Was sind Engel, denen alles genommen wurde:
ihre Träume , ihre Wünsche, ihre Tränen
Sie sind zu Menschen geworden, die mit dem Kopf in den Wolken hängen.
Aber tief in ihrer Seele werden sie immer Engel bleiben.
Prolog
Es war eine düstere Nacht ohne Sterne. Die Wolken tänzelten über den tiefblauen fast schwarzen Himmel und verschluckten auch das letzte Licht, was diese ruchlose Nacht übrig gelassen hatte. Die Wolkendecke wurde nur hier und da vom silbrigen Licht des hell leuchtenden, runden Vollmonds durchbrochen. Sein Licht fiel auf vereinzelte Schneehaufen und ließ sie glitzern wie ein Meer aus Kristallen.
Alles lag ruhig und verlassen da. Die Stadt wirkte wie ausgestorben und fast wie eine richtige Geisterstadt… .
Wenn da nicht Schritte im Schnee zu hören gewesen wären, auch wenn es federleichte Schritte waren, die den Boden fast gar nicht zu berühren schienen, waren diese Schritt doch vorhanden.
Über den Schnee glitten drei schwarz gekleidete Frauen, die wie Schatten waren. Sie schwebten über den Schnee hinweg und hinterließen keine Spuren, als wären sie gar nicht da. Doch sie waren da und kamen in schrecklichem Auftrag.
Ihr unheilvoller Weg führte sie weiter über den glitzernden Weg die Hauptstraße hinab.
Die Mittlere der Frauen hob leicht den Kopf, um sich zu orientieren und hielt schließlich vor einem alten Haus, das fast schon ein Gemäuer war.
„Hier ist er untergetaucht. Passt zu ihm“, meinte die Linke der drei Frauen. Ihre Stimme war so leise wie das Flüstern des Windes, doch deutlich war eine Spur von Hochnäsigkeit zu hören.
„Ja sein Stil. Er ist eine Ratte und wird wie eine Ratte sterben“, pflichtete die mittlere Frau mit scharfer Zunge ihrer Weggefährtin bei.
„Dort wird ihn erst jemanden finden, wenn er schon verfault ist.“ Die Dritte im Bunde besann sich kurz, bevor sie anschloss: „Wenn er verfault ist, ist er vielleicht endlich hübsch“.
Alle drei lachten auf. Es war ein gefährliches und siegessicheres Lachen, das durch die verlassen Straßen hallte und eine Katze aus ihrem Versteck jagte. Laut fauchend rannte die Katze über die Straße und verschwand hinter einer Ecke, wo sie sich kauernd versteckte.
„Niemand, den wir töten wollen, hat lange überlebt, aber er hat doch tatsächlich einen neuen Rekord aufgestellt“, seufzte die Mittlere, merklich genervt von der Situation.
„Gerade er weiß doch, wer wir sind und dass niemand überlebt, den wir erledigen wollen“.
„Genau, wie lächerlich, dass er wirklich geglaubt hat, dass er sich in einem kleinen Kaff vor uns verstecken kann“, pflichtete die Kleinste der Äußersten bei.
Eine Kerze wurde in dem abbruchreifen Haus angezündet. Sie stand an einem Fenster und hinter ihr war eine zusammengekauerte Silhouette zu sehen.
Über die Gesichter der drei Frauen huschte ein flüchtiges Lächeln, bevor sie verschwammen und eins wurden mit der Dunkelheit. Die kleine schwarze Katze blickte den drei Frauen mit ihren großen Augen nach, als sie verschwanden.
Kaum einen Augenblick später erlosch das Licht in dem kleinen Fenster.
Kapitel 1 Rest in Peace
„Das Leben der Menschen ist wie eine Kerze im Wind“, sagte die Kleinste der drei Frauen, als sie in ihrem Wohnzimmer wieder auftauchten. „Wem hast du das denn jetzt wieder geklaut, Saliya?“, fragte die Mittlere der Frauen. „Irgendwem, ich glaube, einem asiatischen Gelehrten, Taliya“. Die Angesprochene lachte leicht auf.
„Das ist typisch für dich Saliya, woher hast du das denn immer?“, warf der Schatten am Fenster der Kleinsten namens Saliya an den Kopf. „Sei ruhig, Raihya, lass mich doch und außerdem passte das gerade am Besten“ fauchte Saliya ungehalten. Ihre Hände hatte sie zu Fäusten geballt und sie kochte vor Wut.
„Kommt hört auf, beide. Es war ein langer Tag und dieser kleine Wurm hat mich schon genug genervt“, ging die Frau, die auf dem Namen Taliya hörte, dazwischen.
Sie war die Älteste und Größte der Frauen. Ihr langes, schwarzes Haar mit den silbernen Spitzen, das ihr fast bis zur Taille reichte, war zu einem strengen Zopf geflochten und hing über ihre Schulter.
Die hohen, schwarzen Schnürstiefel mit den kurzen, schwarzen Ketten, die um den Stiefelschaft gewickelt waren, gingen bis unter ihre Knie. Das blutrote Kleid, das sie trug, ging bis ein Stück über die Oberschenkel und war oben weit ausgeschnitten. Der schwarze Ledermantel, den Taliya sich um die Taille herum mit einem Gürtel zu gebunden hatte, ließ ihre ganze Erscheinung noch weiblicher wirken. Taliyas Blick, den sie ihren beiden Schwestern zu warf, reichte aus, um ihre Schwester zu trennen. Lächelnd schloss sie ihre blauen Augen, die mit silbernen Fäden geheimnisvoll durchzogen waren, und lehnte sich auf dem bequemen Sofa zurück.
„Ja wie du meinst“, gab Raihya sich geschlagen und versank wieder in dem Lichtermeer der Skyline von Tokiyo.
Saliya war wütend auf Raihya, setzte sich auf das Sofa und schmollte. Es war ein großes weißes Sofa, das auf einem roten Teppich stand und dessen schwarze Kissen einen hervorragenden Kontrast ergaben.
Raihya hatte, wie auch ihre Gefährtinnen, ihren langen, schwarzen Ledermantel unachtsam auf das Sofa geworfen. Jetzt lehnte sie an der Fensterscheibe und spielte mit ihrer langen roten Haarsträhne. Der Rest ihres Haares war kurz geschnitten, bis auf die eine lange rote Strähne, die ihr ins Gesicht hing. In das schwarze Top, was sie trug, hatte Raihya Löcher hineingeschnitten, wie auch in ihre schwarze Jeans. Die Löcher waren mit Sicherheitsnadeln und silberfarbenen Ketten zusammengeflickt. Ein schwarzer Nietengürtel hielt die Jeans an ihrem Platz. Um ihren freien Bauchnabel wanden sich zwei, am Schwanz ineinander geschlungene Schlangen.
Raihya liebte den Anblick von Tokiyo bei Nacht. Sie konnte ganz abschalten und in dem Lichterspiel der Hochhäuser versinken und träumen. Sie ließ sich dabei auch sehr ungern stören und konnte über diese Störung sehr ungehalten werden.
Ein lauter Knall durchriss die Stille des Raumes. Genervt verdrehten die drei Frauen die Augen, als langsam eine Gestalt aus dem Rauch getreten kam. Am allermeisten erschrak Raihya, die beim Träumen gestört wurde. Taliya warf Raihya einen warnenden Blick zu, der so viel heißen sollte wie: „ Mach jetzt bloß keine Dummheiten“.
Es war eine wunderschöne, große Frau mit bräunlichen Teint und hüftlangen pechschwarzen Haaren, die sich lockend um ihren Körper wandten, die jetzt mitten im Raum stand und ihre Hände in die Hüften gestemmt hatte. Anscheinend war die schöne Frau ungehalten über irgendetwas. Ihr Gang war grazil und ihre dunklen und geheimnisvollen Augen verrieten, dass sie es gewohnt war, Befehle zu erteilen und sie nicht zu befolgen. Sie trug ein schwarzes Tülloberteil, das mehr betonte als verdeckte. Ihr dreieckig geschnittener, mit langen Schnitten an der Seite versehender Rock wallte durch den Nebel hinter ihr.
„Was verschafft uns die Ehre deines Besuches, Fürstin der Hölle“, fragte Taliya genervt. „Das Blut an euren Händen verschafft mir die Ehre, die drei großen Todesengel zu besuchen“, zischte die Fürstin der Hölle vorsichtig.
„Ach ja, dieser Wurm war ja dein Diener“, warf Saliya ein, die mit ihren silbernen Haaren spielte. Auch sie war, wie ihre Weggefährtinnen, genervt von dem unwillkommenen Besuch.
„Ja das war er, deswegen habt ihr kein Recht, ihn zu töten“. Die Fürstin wurde aufbrausend.
Raihya drehte sich vom Fenster weg und hob beide Hände zum Himmel. Ihre Augen waren geschlossen. Als sie die Augen wieder öffnete, schimmerten diese rötlich, die Fensterscheiben wurden von der Finsternis, die draußen herrschte, durchdrungen und die Dunkelheit hielt Einzug in der Wohnung. Die Finsternis bewegte sich in gleichmäßigen Bewegungen auf die Fürstin zu. Taliya hob die Hand, als die Finsternis gerade die Beine der Fürstin berührte und sie erschaudern ließ, und sofort hielt der tiefschwarze Nebel inne. Die Augen der drei schwarz gekleideten Frauen waren nun rot gefärbt und funkelten bösartig.
„Du weißt wer wir sind, oder, Fürstin der Hölle?“, fragte Saliya und etwas böses war in ihrer Stimme zu hören. Gedankenverloren warf sie ihr silbernes Haar mit den schwarzen Strähnen zurück und legte den Kopf leicht schief.
„Ja, das weiß ich wohl“ flüsterte die Höllenfürstin.
„Wer sind wir denn, Höllenfürstin Calia“, wollte Taliya von ihr wissen.
„Ihr seid die Todesengel, Attentäter und Mörder. Ihr habt viele Feinde, eigentlich seid ihr mit jedem Weltenfürst verfeindet, aber vor allem mit dem Himmelsfürsten. War er es nicht, der euch das angetan hat? Das, was euch zu diesen Monstern machte, und euch zwang, dieses Leben zu führen, was ihr führt. Ihr“. Raihya fuhr Calia, der Höllenfürstin, ins Wort: “Niemand droht uns in unserer Wohnung. Nur, weil der kleine Wurm dein Diener war, hätten wir ihn nicht verschont. Wer uns bestiehlt und uns hintergeht, stirbt einfach und schnell. Keiner, ob lebendig oder tot, mischt sich in unsere Geschäfte ein. Keiner. Also überleg dir lieber vorher, was du vor hast und was du sagst. Du könntest unseren Zorn auf dich ziehen und das willst du bestimmt nicht“, zischte Raihya mit kalter Stimme. „Oder willst du das?“, hakte Taliya nochmals nach, um Raihyas Worte zu verstärken.
„Das wird noch ein Nachspiel für euch haben, das verspreche ich euch. Und wenn ich ein Kopfgeld auf eure schönen Köpfe aussetzen muss. Ich habe mehr Macht als ihr Engel, merkt euch das! Mir unterstehen die brutalsten und widerwärtigsten Dämonen, die die vereinigten Welten je gesehen haben. Auch wenn ich jetzt gehe und ihr glaubt, gewonnen zu haben, werdet ihr am Ende alles verlieren. Wenn es sein muss, dann werde ich den Rat der Fürsten einberufen um euch zur Strecke zu bringen. Ihr könnt euch nicht bis in alle Ewigkeit vor den allsehenden Augen des Himmelreiches verstecken.“ Die letzten Worte der Höllenfürstin waren noch nicht ganz verhallt als Raihya laut anfing zu lachen.
„Raihya, das ist nicht komisch. Wir haben uns eine Feindin mehr gemacht. Was ich eigentlich nicht vor hatte. Sie war neben Corvus und Runa, obwohl man nicht weiß, ob Runa noch lebt. Einer der wenigen Weltenfürsten, der uns wohl gesonnen war.“ Doch zum Leidwesen von Taliya war Raihyas Hohn ansteckend, sodass Saliya mit einstimmte.
„Zum Glück hat sie den Schwefel und das Pech abgeschafft, sonst hätten wir noch lüften müssen“, flüsterte Saliya halblaut.
Auch Taliya musste diesmal mit ihren Schwestern mitlachen und ließ währenddessen einen aus durchsichtigem Glas bestehenden Kelch in ihrer Hand auftauchen, der sich langsam wie von Geisterhand mit Wein füllte. Saliya schloss die Augen und Kerzen erschienen aus dem Nichts und entzündeten sich selbst. „Danke, Saliya“, sagte Taliya und genoss ihren Wein.
Saliya überschlug die Beine noch mal demonstrativ und ließ die Ketten an ihren Schuhen noch mal klimpern. Sie trug schwarze Handschuhe und ein schwarzes Cocktailkleid mit einem offenen Rückenteil. Die silbernen Haaren lagen offen über ihren Schultern.
„Raihya, hat mein Blick nicht Bände gesprochen“.
„Doch, Taliya, aber sie, dieses Miststück, hat mich einfach so wütend gemacht“, antwortete Raihya auf Taliyas Frage schuldbewusst. „Das hast du gut gemacht, sonst hätte ich dieser impertinenten Person weit aus schlimmere Sachen angetan als du. Du hast sie zu Tode erschreckt“, sagte Taliya lächelnd. „Habt ihr ihr erschaudertes Gesicht gesehen, als der Nebel sie berührt hatte? Dabei war der Nebel doch nur ein kleiner Gag“, brachte Saliya unter ihrem Lachen mühsam hervor.
„Das Gesicht war wahrlich gelungen. Sie sah zum ersten mal in ihrer 500 jährigen Amtszeit wirklich gut aus“, auch Raihya musste nach diesem Kommentar von Taliya laut loslachen.
„Ihr Besuch war eigentlich sehr amüsant, wenn das immer so ist, sollten wir mehr ihrer Leute umbringen. Was sagt ihr dazu?“, überlegte Saliya laut.
„Das ist gar keine schlechte Idee“, pflichtete Raihya Saliya bei und schaute Taliya fragend an. „Vielleicht irgendwann, ihr Beide, aber ich bin müde und werde jetzt ins Bett gehen“, sagte Taliya und verschwand mitsamt ihres Weines.
"Sie denkt wieder an Leon", sagte Saliya. "Ja, das tut sie. Wir sollten auch schlafen gehen, Saliya", erwiderte Raihya und verschwand auch.
Saliya war die Letzte, die noch wach war, und mit einem Schnippen erloschen die Kerzen und verschwanden da hin, wo sie hergekommen waren. Sie machte sich zu Fuß in Richtung ihres Zimmers auf. Einfach für drei Meter zu verschwinden fand sie überflüssig. Sie spürte gern den weichen Soff des Teppichs und die Kälte des Laminats, mit dem der Flur ausgelegt war.
Als sie an dem Zimmer von Taliya vorbei kam hörte sie markerschütterndes Schluchzen, was ihr eine Gänsehaut über den Körper jagen ließ. Taliya weinte um die Liebe ihres Lebens, sie weinte um Leon.
Saliya schlich weiter in Richtung ihres Zimmers, als sie plötzlich von Raihya in ihr Zimmer gezogen wurde.
„Ey, was soll das, Schwester?“, zickte Saliya Raihya an.
„Das kann so nicht weiter gehen mit Taliya. Obwohl sie so tut, als ob Leons Tod sie nicht berührt hätte, zerreißt der Schmerz sie innerlich. Jede Nacht weint sie. Sie weint seit einem verfluchten kompletten Jahr und ich weiß nicht, wie lange sie das noch durchhält. Ich fühle, wie die Dunkelheit sich immer mehr in ihrem Herz ausbreitet. Spürst du das denn nicht, Saliya?“, wollte Raihya von ihr wissen.
„Doch, natürlich spüre ich das, schließlich ist die Finsternis unser zuhause, unser Vermächtnis. Ich weiß aber auch nicht, wie wir ihr helfen können. Wir haben noch nie so tief geliebt, wie sie Leon geliebt hat und wir haben noch niemanden so auf diese Art und Weise verloren. Du und ich, Raihya, wir waren zu jung, um vom Tod unserer Eltern zu wissen, oder von unserem eigenen. Ich weiß nicht, wie wir ihr helfen sollen. Mich schmerzt es auch, sie so zu sehen. Ich kann es nicht mehr ertragen. Gerade sie, die Älteste, die Stärkste und die, die immer abwog, ob es sich lohnt, jemanden zu töten, tötet nur noch aus Rache. Das kann nicht so weiter gehen“ Saliya versuchte ruhig zu bleiben, doch ihre Stimme zitterte.
Saliya drehte Raihya den Rücken zu und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Raihya blieb in Mitten ihres Zimmers stehen und ließ dünne Nebelschwaden durch den Raum gleiten. Sie war wütend auf ihre eigene Hilflosigkeit, und stille Tränen liefen über ihre Wangen.
Taliya warf sich auf ihrem Bett hin und her und fand keine Ruhe. Die Decke hatte sie sich bis zum Kinn gezogen, da sie so gefroren hatte. Schweißgebadet schreckte sie hoch und zog die Beine an. Sie fühlte eine kalte Aura um sich herum, die das ganze Zimmer einzunehmen schien.
„Taliya“ Die Stimme war nicht mehr als ein Flüstern zwischen den Blättern eines Baumes, doch sie erkannte die Stimme sofort.
„Taliya, mein Herz“, flüsterte die Stimme wieder, diesmal aus einer anderen Ecke des Zimmers.
„Leon“, wisperte Taliya.
„Leon, bist du es“, schrie sie verzweifelt.
„Ja, ich bin es, mein Herz“, wisperte die Stimme nun merklich lauter.
„Ich bin gekommen um dich und deine Schwestern zu warnen. Die Welt ist ihm Wandel! Mit dem Mord an diesem Diener von Calia habt ihr etwas ausgelöst, was euch töten kann.
Dieser Diener war nicht an meinem Mord beteiligt“, sprach die Stimme mit einer Spur von Besorgnis in der Stimme
„Wer war es dann? Sag es mir, damit ich dich rächen kann“, schrie Taliya nur noch lauter
„Du brauchst mich nicht zu rächen, mein Herz. Ich wollte nie, dass du tötest, nie“, antwortete die Stimme in einem ruhigen Ton.
„Leon, zeig dich. Ich kann nicht mehr. Ich will ohne dich nicht mehr leben. Leon“ Taliyas Stimme verlor sich in ihren Tränen.
„Wir werden uns bald wiedersehen, mein Herz, das verspreche ich dir“, flüsterte die Stimme nah an ihrem Ohr.
Sie schluckte schwer um ihre Tränen zu unterdrücken und nickte.
„Ich muss jetzt gehen, Taliya“.
Taliyas Augen weiteten sich erschrocken.
Ein kalter Hauch strich über ihre Wange und kalte Lippen legten sich auf ihre.
„Auf ein baldiges Wiedersehen, mein Herz“, sagte die Stimme und verschwand dabei immer weiter weg, bis Taliya wieder allein in ihrem Zimmer war.
„Leon“, schrie sie so laut, dass man sie diesmal durch die ganze Wohnung hörte.
Schnell kamen Saliya und Raihya angelaufen und betraten ihr Zimmer. Taliya saß auf dem Bett weinte und schrie, schrie Leons Namen und wollte sich nicht beruhigen. Ihre beiden Schwestern setzten sich zu ihr auf das weiche Bett und versuchten, sie zu beruhigen. Doch egal, was sie versuchten, es half Taliya nicht, zur Ruhe zu kommen.
Bis in das tiefen Morgengrauen verbrachten die Schwester in diesem Zimmer, wartend, bis Taliya einschlief. Raihya und Saliya waren auch sehr müde und schliefen gleich nach ihrer Schwester ein. Alle drei lagen nun auf dem Bett und schliefen selig.
Der Abend graute langsam und zog lila, rote und gelbe Schatten über den Himmel. Die Schatten waren bereits lang durch die Wohnung gezogen, als die beiden jüngsten Schwestern, Saliya und Raihya, aufwachten. Beide streckten sich und gähnten herzhaft, bis sie merkten, dass Taliya nicht mehr neben ihnen lag.
Schnell sprangen die Beiden auf und hofften, ihre Schwester noch irgendwo in der Wohnung zu finden.
„Sie ist nicht mehr hier. Ihr Mantel ist weg“, rief Raihya durch die Wohnung.
„Oh Gott, wo kann sie sein?“, fragte Saliya, durch die Wohnung rufend.
„Wahrscheinlich beim Grab von Leon“, antwortete ihr ihre Schwester, nach ihrem Mantel greifend.
„Saliya, komm schon, wir müssen los, das Grab ist außerhalb der Stadtgrenze. Wir wissen nicht, wie viel Vorsprung Taliya schon hat“ Raihya blaffte ihre Schwester an doch diese bewegte sich nicht.
Sie bückte sich, hob etwas auf, drehte sich langsam im Stand zu ihrer Schwester um und meinte fluchend: „Den Mantel kannst du gleich wieder ausziehen“.
Raihya zog den Mantel fluchend wieder aus, als sie die schwarze Feder in Saliyas Hand bemerkte.
„Sie ist doch nicht wirklich geflogen“, bat Raihya. Saliya beugte sich etwas weiter vor
und bestätigte Raihyas Befürchtung: „Anscheinend doch, da sind noch mehr von ihren Federn. Was machen wir jetzt?“
„Wir tun es ihr gleich“, siegesgewiss lächelte Raihya
„Was? Spinnst du? Das können wir nicht, unsere Schwingen werden uns niemals tragen. Niemals“, zeterte Saliya, doch darauf hörte Raihya nicht, sonder stieß ihre kleine Schwester aus dem sich auflösenden Fenster.
Saliya fiel immer tiefer, bis schwarze Engelsflügel sie wieder mit den Aufwärtswinden nach oben rissen. Raihya glitt bereits neben ihr, doch urplötzlich, wie aus heiterem Himmel, klappten ihre Schwingen weg und sie fiel wie ein Stein zu Boden. Saliya stieß sofort in die Tiefe, um ihrer Schwester zu helfen. Ihre silbernen Haare flatterten im Wind und die weißen Ketten, die einst aus Engelsstahl gearbeitet wurden, klimperten im Flugwind. Die Ketten führten vom Anfang ihrer Flügel bis zu ihren Flügelspitzen quer durch das empfindliche Fleisch und ließen es bei der kleinsten Anstrengung bluten. Knapp über dem Boden hatte sie ihre Schwester erreicht, griff nach ihren Schultern und riss sie hoch.
Auf einem benachbarten Hochhaus ließ sie ihre Schwester herunter und fiel selbst erschöpft zu Boden.
„Alles okay, Saliya?“, ermittelte Raihya vorsichtig.
„Es könnte mir besser gehen“, zischte Saliya zurück und bemühte sich, wieder auf die Beine zu kommen. Ganz langsam bewegte sie die Flügel, um sofort schmerzhaft zurückzuzucken.
„Dein ganzer Rücken ist blutig, Saliya“, bemerkte Raihya und strich über die Flügel, die sich sofort unter ihren Hände vor Schmerzen wanden.
„Die Ketten glühen auch rot und sind heiß. Wir sollten lieber die andere Art der Fortbewegung benutzen, bevor er bemerkt, dass wir noch am Leben sind “, flüsterte Raihya und strich über die Ketten, zog ihre Hand aber sofort fluchend zurück.
„Hast du dich verbrannt?“, wollte Saliya wissen.
„Natürlich, würde ich sonst so fluchen?“, zickte Raihya.
„Lass uns gehen, wir haben keine Zeit“, bestimmte Saliya und löste sich langsam auf.
Raihya warf noch einen kurzen Blick nach rechts und links und verschwand dann auch in die Dunkelheit.
Eine dunkele Gestalt löste sich aus dem Schatten der Hochhausantenne und lächelte verhalten. Er schwebte auf die Stelle zu, an der Saliya gelegen hatte, und berührte die silbrig glänzende Flüssigkeit, die sie zurück gelassen hatte.
„Wie töricht“, flüsterte er und leckte genüsslich die silbrige Flüssigkeit von seiner Hand.
Aus seinem schwarzen Stoffüberwurf zog er eine kleine, aus bläulichem Kristall gefertigte Phiole, und füllte den Rest der Flüssigkeit hinein. Die Flüssigkeit erstarrte sofort zu blankem Eis. Vorsichtig bettete er die Phiole in seinen Überwurf und löste sich zufrieden grinsend in einem pechschwarzen Flammenmeer auf.
Zur gleichen Zeit im Spiegelpalast des Himmelreiches.
Ein junger Engel mit weißen Flügeln eilte mit schnellen Schritten durch die riesigen Gänge des Spiegelpalast, der Hauptsitz des Weltenfürsten des Himmelreiches. Seine Schritten hallten in den leeren Gänge. Er musste sich beeilen, um seinem Herren diese wunderbare Nachricht zu bringen. Nach unzähligen Abbiegungen und Kurven erreichte er endlich sein Ziel. Nun stand er vor dem großen Tor, das ihn von seinem Herrn trennte. Auf dem großen Tor waren zwei riesige Engel in den weißen Kristall geschlagen worden, die jeden Besucher argwöhnisch anblickten.
Der Diener ließ sich aber nicht davon abhalten und drückte die Tür mit aller erdenklichen Macht, die er aufbringen konnte, auf, um durch den sich bildenden Spalt schnell hindurch zu rutschen. Laut krachte die Torseite zu. Sein Herr saß auf einem großen imposanten Thron aus durchsichtigem, bläulich gefärbtem Kristall, der an den Sitzflächen mit rotem Samt bezogen war. Die Kerzenleuchter an den Säulen waren gelöscht worden, und so lag der Raum im Halbdunkeln. Der junge Diener näherte sich ein paar Schritte weit seinem Herr, der sich gerade von ein paar weiblichen jungen Engeln verwöhnen ließ. „Mein Herr“, sprach der Diener vorsichtig seinen Herrn an, und warf sich zu Boden. Sein Herr reagierte aber nicht und so ergriff der Diener abermals das Wort: „Mein Herr, ich habe wichtige Neuigkeiten für Euch. Verzeiht, dass ich Euch störe.“
Diesmal blickte Kilger auf und ließ die weiblichen Engel zur Seite treten. Er hatte ein aufgeknüpftes weißes Hemd und ein schwarzes Stoffgewand als Beinschutz an. Seine langen, schwarzen Haare hingen ihm wild ins Gesicht. Er beugte sich nach vorne und ließ den Diener mit einer Handbewegung aufstehen.
„Was bringst du mir für Neuigkeiten, dass ich deinetwegen auf meinen Spaß verzichten muss, Tornes?“. Kilger Stimme war gnadenlos und die Engelinnen zitterten vor Angst. „Schau dir diese wunderschönen Frauen an, und dann sag mir, ob deine Nachricht diese Frauen aufwiegen kann“, flüsterte Kilger gewissenlos.
Tornes schaute sich die Frauen gut an. Es waren alle Altersgruppen vertreten, auch noch ganz junge Engelinnen. Tornes wurde schlecht. Sein Blick wanderte weiter über die zehn Frauen, und blieb an einer besonders Schönen hängen. Sie war ein Cherubim, das sah man an ihren roten Flügeln. Sie hatte blaue Augen und blondes Haar, was aussah wie ein Getreidefeld im Frühjahr. Kilger sah sich das Spiel genau an. Tornes wandte sich mühevoll ab und sagte: „Ja, diese Neuigkeit wiegt es auf“.
Kilger musterte ihn genau mit seinen braunen, lockigen Haaren und seinen grünen Augen. Er trug ein leicht grünes, Tunika ähnliches Gewand und braune Schlappen. Kilger fand, dass er einer der schönsten Engel in seinem Reich war, deswegen war er auch sein persönlicher Diener geworden. Kilger entging nichts, und so sah er, wie die Engelin, die Tornes vorhin lange gemusterte hatte, seinen Diener nun beobachtete.
„Was hast du für Neuigkeiten, Tornes. Ich will fortfahren, ich habe mir gerade eine Schöne ausgesucht für heute Abend. Also, um was geht es?“, fragte der Fürst des Himmels.
Er winkte den Cherubim-Engel zurück neben seinen Thron, während die anderen weiter auf den Treppenstufen zu dem Thron saßen und zitterten.
„Es geht um die drei Todesengel“, flüsterte Tornes leise, während er mit ansah wie sein Herr diesem Engel die Kleider von Leib riss. „Ich habe dich nicht verstanden, Tornes, um wen geht es?“ Die Stimme seines Herrn war ungehalten, und so gab Tornes noch mal eine Antwort, diesmal aber lauter: „Es geht um die Todesengel, mein Herr“. Tornes blieb das Herz stehen als er sah, was sein Herr mit dem Engel machte. Der kleine Engel weinte hemmungslos, während er zwischen den Beinen seines Heeren kniete und sein Kopf von den Händen des Herrn geführt und fixiert wurde.
„Was ist mit ihnen, Tornes?“
„Unser Seher sagt, sie Leben“, gab Tornes kleinlaut zurück.
„Was? Das kann nicht sein“, schrie Kilger und war aufgesprungen, den Engel hatte er die Treppe runtergeschubst. Jetzt lag er vor den Füßen von Tornes.
„Wenn du willst kannst du sie haben, diese Cherubim taugen eh nicht für meine Zwecke, sie sind zu rein. Mit ihnen macht es nie Spaß“, bemerkte er spöttisch.
„Woher weiß unser Seher, dass sie am Leben sind?“, hackte Kilger nach.
„Sie habe ihre Flügel benutzt“, antworte Tornes.
„Ich will mit dem Seher persönlich reden. Gehen wir, Tornes. Um dieses Geschöpf kannst du dich später kümmern“, blaffte er und eilte voraus. Tornes eilte ihm hinterher, um mit ihm Schritt zu halten.
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2008
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Todesengel, die Ideengeber dieses Werkes und die jenigen die meine Schreiblust immer ertragen mussten, meine Eltern.