Cover


1


»Verdammt noch mal, ich bin so nervös.«, fluchte ich vor mich hin während ich in dem Wartesaal des Gerichts hin und her lief.
»Hey du wirst das schon schaffen.«, beruhigte mich Marie, während sie versuchte mich gleichzeitig zum Stehen zu bringen. »Ja ich weiß, das sagst du mir schon die ganze Zeit. Aber heute wird die Presse dabei sein! Was ist wenn ich es total vermassle?« Ich lief immer noch wie verrückt durch den Raum.
»Du wirst es aber nicht vermasseln. Das hast du noch nie getan und wirst es auch heute nicht tun.«
Eigentlich hatte sie ja Recht. Ich war zwar erst seit fast einem Jahr als Anwältin tätig, hatte aber bisher immer Erfolg gehabt. Aber diese Verhandlung war für mich ein weiterer Schritt in mein Berufsleben. Wenn ich diese Verhandlung gewinnen würde, hätte ich einen Artikel, wenn auch nur einen kleinen, in der Zeitung. Das wäre dann mein Durchbruch. Und deshalb durfte ich diese Gelegenheit nicht verpassen.
»Ja okay. Ich hab’ es drauf, ich werde es schaffen.«, redete ich mit mir selbst. Ich hatte mich gerade etwas beruhigt als Marie auf die Uhr schaute und ich instinktiv wieder in Panik geriet.
»Es ist jetzt soweit.«, hörten wir eine Stimme die hinter der verschlossenen Tür ertönte.
Ich machte mich bereit, bekam noch eine Umarmung als Ermutigung und ging mit meinem Mandanten in den Gerichtssaal.
Ich schaute mich sofort um, als ich den Raum betreten hatte. Der Richter und die Journalisten schenkten mir ein Lächeln und mir wurde etwas wohler.
Doch dann sah ich den Anwalt des Klägers.
Auch er schenkte mir ein wunderschönes Lächeln, das mich eigentlich nicht so aus dem Konzept bringen sollte, wie es es jedoch tat. Sein Gesichtsausdruck schien überrascht doch seine Augen, die eines Topas glichen, hielten mich gefangen und ich wusste von diesem Augenblick an, dass ich nicht die geringste Chance hatte, gegen ihn zu gewinnen.

Als ich den Gerichtssaal verließ war ich wie versteinert. Marie kam mir schon entgegen gesprungen und löcherte mich mit Fragen.
»Ich hab verloren.«, brachte ich nach einigen Schweigeminuten heraus. »Ich hab’ meine wichtigste Verhandlung verloren.«
Marie umarmte mich fest um mich zu trösten und ich legte mich in ihren Arm um Trost zu finden.
Sie wusste genau, dass ich darüber nicht sprechen wollte.
Ich wollte eigentlich oft über viele Dinge nicht sprechen. Wenn ich verletzt worden war oder einfach nur traurig war, brachte ich es nicht zu Stande meine Gefühle zu äußern. Aber sie störte es nicht, denn sie war mir trotzdem schon seit unserer Kindheit treu gewesen.
»Danke.«, murmelte ich in ihrem Arm.
»Hey, schon okay. Die Welt wird nicht untergehen, du musst einfach weiter machen. Du hast doch auch noch soviel Zeit.«
Nach einigen Sekunden der Umarmung machten wir uns dann auf den Weg. Sie brachte mich nach Hause und fragte, ob sie noch ein bisschen da bleiben solle, doch ich war zu deprimiert und schickte sie nach Hause.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und wollte am liebsten im Boden versinken, doch ich riss mich zusammen und machte mir etwas zu Essen, bevor ich mich an den Schreibkram machte.
Nach zwei Stunden Schreibarbeit wurde ich müde und machte mich bettbereit. Ich legte mich schlafen und mir graute es vor dem nächsten Morgen…

Mit einem Ruck wurde ich von einem Klingeln der Haustür wach. Ich ging fluchend zur Tür und bemerkte währenddessen, dass heute etwas anders war.
Ich öffnete die Tür und Marie sprang mir an den Hals.
»Alles Gute zum Geburtstag.«, trällerte sie während noch eine andere Person auf mich zu kam um mich zu umarmen.
»Dad? Was machst du denn hier? « Ich war so überrascht, dass mir die Tränen in die Augen schossen.
»Ich gratuliere dir zu deinem Geburtstag?« Das hatte ich vor lauter Aufregung ganz vergessen, dass ich heute meinen 25. Geburtstag hatte.
»Aber ich dachte du wärst gar nicht im Land? Du hast mich damals, als ich noch klein war verlassen. Und das seit, ähm, vor fast fünfzehn Jahren oder?«
Mein Vater hatte mich, als ich noch ganz klein war, weggegeben. Warum er das tat, hat er mir aber nie verraten. Doch ich respektierte es, solange er es mir irgendwann noch verraten würde.
»Ja es tut mir so leid Estelle, aber ich bin wieder zurück.«, entschuldigte er sich mit einem gewissen Unterton, den ich nicht einordnen konnte. Doch ich genoss diesen Moment des Wiedersehens so sehr, dass ich diesen Gedanken nicht weiter beachtete sondern die beiden in meine Wohnung eintreten ließ.
Plötzlich fingen beide an zu lachen und ich realisierte, dass ich im Schlafanzug vor ihnen stand.
»Kann es sein, dass du bis grade eben noch geschlafen hast? «, prustete Marie.
»Du siehst zum Schreien aus.«
»Jaja, macht euch bloß lustig über mich.« Ich wollte mich gerade umziehen, als mein Blick an der Zeitung hängen blieb, die mein Vater in der Hand hielt.
Ich schnappte sie mir ohne ein Wort und blätterte alle Seiten durch, bis ich an einer hängen blieb und schweigend den Artikel durchlas.
»Verdammter Mist.«, fluchte ich. »Von wegen ein kleiner Artikel. Seht euch mal die Seite an.«
Mein Vater und Marie glotzten mich an und versuchten mich zu verstehen. Ich hielt ihnen die Zeitung hin.
Jetzt lasen sie neugierig und ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig.
»Das ist ja die Höhe was die da schreiben.«, brachte Marie als erste hervor.
»Ja aber im Grunde haben sie Recht.«
»Ja aber …dass sie so übertreiben müssen.« Eigentlich hätte ich mich total aufregen müssen, aber heute war es mir egal. Denn es war ein besonderer Tag und ich würde mir diesen nicht versauen lassen.
Nachdem ich endlich in saubere Kleidung geschlüpft war, machten wir uns gleich auf den Weg zu einem Restaurant. Dort angelangt musste ich mich erstmal an das Ambiente eines 4-Sterne Restaurants gewöhnen, da ich noch nie wirklich schön essen gewesen war.
»Nicht schlecht oder?«, brachte mein Vater stolz hervor, da er uns hierher eingeladen hatte.
»Ich bin beeindruckt«, lobte ich ihn.
Wir suchten uns drinnen einen schönen Platz und betrachteten mit Entsetzen die Speisekarte.
»Ich glaub wir gehen lieber wieder«, murmelte Marie.
Ich schloss mich ihr an. »Wenn wir hier essen wirst du ja arm.«
»Nein, ich kann es mir leisten. Und es ist mein Geschenk für dich, also wirst du es nicht ablehnen dürfen.« Er schaute mich liebenswürdig an und lächelte.
»Ja okay«, gab ich mich geschlagen.
Ich bestellte mir einen Hummer, Schrimps und Nudeln, während sich Marie Kaviar erlaubte.
Sie stupste mich plötzlich an und musste grinsen. »Der Mann da hinten guckt dich die ganze Zeit an«, flüsterte sie mir zu. Ich drehte mich um, um den Mann zu betrachten und blickte in zwei glänzende blaue Augen. Ich hatte das Gefühl eines Déjà-vu und versuchte meinen Blick von ihm zu lösen.
»Der ist ja süß«, schwärmte Marie und glotzte minutenlang den Mann an.
»Ja ich weiß dass er gut aussieht, aber du musst ihn jetzt trotzdem nicht die ganze Zeit so anstarren, das ist peinlich.« Marie sah es ein und versuchte sich mit meinem Vater zu unterhalten.
Während wir auf das Essen warteten schaute ich mich im Restaurant um und bemerkte, dass unser Essen schon bereit auf dem Tresen stand. Dort standen zwei Mal mein Gericht und das von den anderen beiden.
Aus Langeweile starrte ich das Essen an und wartete bis endlich ein Kellner kam um es uns zu servieren. Doch dann kam anstatt eines Kellners, der Mann der mich beobachtet hatte und tauschte die Plätze von den Hummern, die nebeneinander standen.
Dann ging er wieder auf seinen Platz und aß genüsslich weiter.
Was sollte denn das sein? Der hatte echt nichts anderes zu tun als die Essensteller zu vertauschen. Doch bevor ich meinen Gedanken weiter ausführen konnte kam der Kellner mit meinem Hummer und dem restlichen Essen.
Ich betrachtete noch einmal den Mann, bevor ich anfing zu Essen und bemerkte, dass er mich schon wieder beobachtete. Ich schaute verlegen weg und fing an den ersten Bissen von dem Hummer zu kauen, als es plötzlich laut neben unserem Tisch schepperte.
Ein Mann war von seinem Stuhl gefallen und rang keuchend nach Luft.
»Hilfe, bitte helft meinem Mann«, kreischte die Frau die neben ihm kniete.
Marie sprang wie ein Blitz auf und beugte sich zu dem Mann herunter. »Ich bin Ärztin, was ist mit ihm passiert?«, fragte sie während sie den Mann abtastete.
»Er hat einen Bissen von seinem Hummer gegessen und ist plötzlich vom Stuhl gekippt«, schluchzte die Frau.
»Schnell rufen sie den Krankenwagen, ich werde sehen was ich für ihn tun kann!«
Marie gab ihr Bestes um den Mann zu helfen, doch als der Krankenwagen ankam, sah es sehr schlecht für ihn aus.
Als wir nach der ganzen Aufregung das Restaurant verlassen hatten, waren alle noch von dem Vorfall im Restaurant wie betäubt.
»Er wurde vergiftet«, unterbrach Marie endlich die Stille.
»Sein Essen war hundertprozentig vergiftet!«
Als sie diesen Satz beendete, kam mir vor Augen, dass eigentlich ich den Hummer gegessen hätte.


2


Als wir später zuhause waren, stand ich noch immer unter Schock. Man hatte versucht MICH zu vergiften. Der gut aussehende Mann aus dem Restaurant hatte es verhindert. Aber warum ich?
»Estelle?« Mein Vater näherte sich vorsichtig der Couch auf der ich saß und legte mir tröstlich eine Hand auf die Schulter. Besorgnis stand in seinem Blick und ich lehnte mich an seine Schulter und fing an zu weinen. Einfach so, das war einfach zu viel auf einmal. Gestern die verpatzte Gerichtsverhandlung und der schlechte Artikel am Morgen, dann mein Geburtstag, die Rückkehr von meinem Vater und nun die Sache mit dem vergifteten Hummer. »Das kann doch nicht wahr sein«, schniefte ich an seiner Schulter und wusste, dass er mich verstand. Auf eine Art und Weise war es aber auch unheimlich, weil er mir so ähnlich war und mich auch ohne Worte einfach so verstand und annahm. »Warum hast du damals das Land verlassen?« Ich spürte, dass er erstarrte.
»Nicht jetzt Estelle, das war heute schon alles genug für dich.«
Er sperrte sich mir gegenüber schon wieder, doch ich ging nicht weiter darauf ein, da ich wusste er würde es mir später erzählen – wenn der richtige Zeitpunkt kam.
Der Mann der praktisch meinetwegen vergiftet worden war, tat mir unglaublich leid. Schuldgefühle nagten an mir.
»Dad? Ich brauche frische Luft.« Er nickte. Ich brauchte meine Ruhe, nur ganz kurz, nur einen Moment und wahrscheinlich sah man mir das auch an.

Verspannt trat ich vor die Haustür. Die Hitze hing immer noch schwül und drückend in der Luft, obwohl langsam der Abend anbrach. Wer verübt einen Anschlag auf mich? Ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. »Estelle Veronie«, meldete ich mich gewohnt an meinem Handy. »Hey, ich bin‘s Marie. Ich wollte dir nur mitteilen, dass der Mann die Vergiftung überstanden hat. Man musste ihm den Magen auspumpen.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich stieß hörbar den Atem aus. Marie war mit ihm ins Krankenhaus gefahren als der Notarzt eingetroffen war.
»Danke Marie. Ist es in Ordnung wenn ich mich später wieder melde?«
»Na klar.«, erwiderte sie und legte auf. Phuu! Dem Mann ging es gut!
Langsam ging ich die leere Straße entlang und hing meinen Gedanken nach. Scheinwerferlicht streifte meine Beine und warf einen Schatten vor mich. Plötzlich rannte ein kleines Kind an mir vorbei auf die Straße. Der Schrei der Mutter hallte hinter ihr her. »Nora!!!« Mein Kopf fuhr herum und ich sah dass gelbe Gummientchen auf Rollen über die Straße klappern und wie sich das Kind danach bückte… Ein Schrei entfuhr mir, als ich sah, dass der Autofahrer, der viel zu schnell fuhr, unmöglich ausweichen konnte. Mein Blick fiel auf Augen die gezielt auf die Straße gerichtet waren.
Er weiß was er tut! Er wird sie umbringen!
Ohne weiter nachzudenken, stürzte ich auf das Kind zu und wunderte mich, warum ich so schnell war. Ich stand mit dem Kind im Arm auf der anderen Straßenseite, bevor ich es selbst realisiert hatte. Das Kind schrie und die geschockte Mutter war weinend aus dem Haus getreten. Es waren die neuen Nachbarn die erst vorletzte Woche eingezogen waren. Das Auto jagte an uns vorbei und schlitterte mit quietschenden Reifen um die nächste Kurve.
Was war das?
Schluchzend rannte die Mutter des Mädchens das offensichtlich Nora hieß zu uns herüber und nahm mir das weinende Kind ab. Ich ließ es geschehen ohne mich zu wehren und sank auf dem Gehsteig zusammen. »Danke, danke! « Die weinende Mutter umarmte mich und küsste ihr Kind auf die Stirn. Mittlerweile waren weitere Nachbarn auf die Straße getreten und halfen mir wieder auf die Beine, während sie fragten was passiert war.
Zuviel. Das Wort kreiste wie ein Vogel in meinem Kopf herum und lies sich nicht verscheuchen. Schließlich verlor ich das Bewusstsein.

Als ich es wiedererlangte, blickte ich in die Augen meines Vaters. Mein Kopf dröhnte und ich roch den Duft von frischem Tee. »Mhmmm Erdbeere«, murmelte ich und reckte mich.
»Wie geht es dir?« Während ich mich aufsetzte musterte er mich aufmerksam und liebevoll.
»Sehr gut«, log ich und griff nach dem noch dampfenden Tee. Ich blickte in meine
Don’t Worry- Be Happy- Tasse, nahm einen Schluck und merkte wie genau mein Vater jede meiner Bewegungen analysierte.
»Ich merke doch, dass du total durch den Wind bist. Willst du es mir nicht erzählen?« Als mein Vater wusste er genau wie Marie, dass ich nicht viel über meine Gefühle sprach. Doch ich konnte ihm einfach nichts vormachen und versuchte meine Lage zu erklären.
»Weißt du. Erst die Gerichtsverhandlung, die ich total verpatzt habe. Dann der vergiftete Mann im Restaurant. Naja und jetzt noch das mit dem Kind, das fast überfahren wurde. Das ist einfach soviel an einem Tag, so ein Durcheinander hab’ ich noch nie erlebt.«
Er hörte mir genau zu und antwortete mit einem mitfühlenden Gesichtsausdruck.
»Das tut mir echt leid, dass du das alles miterleben musstest, auch noch an deinem Geburtstag. Am besten du ruhst dich den Rest des noch Tages aus und gehst früh ins Bett.« Dann verließ er mein Zimmer und verschloss leise die Tür.
Seltsam. Normalerweise hatte ich meinen Vater anders in Erinnerung. Dass er einer war, der lange über Dinge nachgedacht und diskutiert hatte und nicht einfach nach ein paar Sätzen den Raum verlässt.
Doch dann fiel mir ein, dass ich mich sowieso nicht ausruhen konnte, denn morgen hatte ich einen Termin mit einem Mandanten.
Wer war das noch mal genau?
Ich setzte mich an den Schreibtisch und las mir seine Akte durch.
»Yulius Dermonte, 39 Jahre alt, verheiratet. Beschuldigt seinen Freund, seine Frau vergewaltigt zu haben«, las ich laut vor. Interessant.
Schon wieder ein Vergewaltigungsfall, die kamen mir viel zu oft unter die Finger, als es mir gefiel. Naja, ich hoffte nur, dass es nicht so einer war, der dann doch noch klein bei gab. Oder dass deren Frau eine Affäre hatte und es nicht zugeben wollte. Darauf folgte die Überreaktion des Mannes. Ich musste kichern.
Ich las mir sein Schreiben durch und versuchte die Lage des Mannes so gut es ging zu verstehen.
Schon wieder klingelte das Handy und ich konnte schon ahnen wer es war.
»Marie?«, meldete ich mich, weil es mir unnötig vorkam mich mit meinem Namen zu melden.
»Ja, um Himmels Willen. Was ist denn passiert?«
»Woher weißt du das schon wieder, hat dich mein Vater angerufen?«, murrte ich etwas genervt. Ich fand es ja nicht schlimm, dass sie sich Sorgen um mich machte. Aber ich wollte auch nicht dass sie zuviel erfuhr und sich auch noch den Kopf darüber zerbrach. Eine Person war schon genug.
»Ja, er meinte du wärst zusammengebrochen nachdem du ein Kind vor dem Tod gerettet hast. Was genau ist denn da passiert?« Ich konnte es mir nicht verkneifen und stieß einen kleinen Seufzer aus.
»Genau wie er wohl erzählt hat. Ein Kind stand auf der Straße, ein viel zu schnelles Auto kam angefahren und hätte beinahe das Kind umgefahren. Doch ich hab es rechtzeitig auf die Seite gezogen.«
»Woow, das hört sich echt krass an. Und wie geht es dir jetzt? «
»Naja den Umständen halt entsprechend. Ich bin ziemlich müde und werde auch jetzt ins Bett gehen. Ich hab morgen noch einen Termin mit einem Mandanten«, antwortete ich und gähnte herzhaft.
»Wann hast du denn den Termin? «
»Um 3 Uhr mittags, ich hoffe es dauert nicht so lange.«
»Ach okay, dann hast du doch noch sicherlich Zeit mit mir danach einen Kaffee trinken zu gehen
oder?«, fragte sie neugierig.
»Ja klar, ich kann dir ja dann schreiben wenn ich fertig bin.«
»Okay«, bestätigte sie. »Dann morgen nach der Arbeit, vergiss ja nicht dich zu melden, sonst bin ich sauer!«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Natürlich, ich doch nicht. Also dann bis morgen, schlaf gut.«
»Danke. Und du ruh dich gut aus, du musst morgen wieder fit sein. Tschüss.«
Und schon war sie weg. Sie telefonierte eigentlich auch nicht gerne, genau wie ich.
Ich machte mich Bettbereit und hoffte, dass der morgige Tag nicht so ein Durcheinander sein würde, wie der heutige.

Am nächsten Morgen wachte ich ungewohnt früh auf und wusste nicht wohin mit mir.
Als ich in die Küche spickte, merkte ich, dass mein Vater auch schon wach war und in der Küche das Frühstück zubereitete.
Misstrauisch schaute ich über seine Schulter und beobachtete, wie die Eier in der Pfanne brutzelten.
»Du«, begann ich. »Eigentlich esse ich morgens gar kein Spiegelei, sondern trinke Kaffee.«
»Wer hat denn gesagt, dass die Eier für dich sind?«, neckte er mich. Ich machte mit.
»Ach, für wen sind denn dann die 4 Spiegeleier? Oder warte, isst du die alle alleine?« Ich konnte nicht anders und musste anfangen zu lachen.
Er stimmte in mein lachen mit ein und verbesserte sich, indem er meinte: »Doch die sind auch für dich, aber du kannst dich doch nicht nur von Kaffee ernähren Schätzchen.«
Ich grinste ihm zu und machte mich daran den Tisch zu decken. Danach holte ich mir meine orangene Lieblingstasse aus dem Schrank über der Spüle und stellte sie unter die Kaffeemaschine die ihr gewohntes brummen hören ließ, als ich sie einschaltete. »Du brauchst mal wieder eine neue«, meinte mein Vater und wies mit dem Pfannenwender auf meine schon ziemlich mitgenommene Kaffeemaschine. »Bevor ich die hergebe muss sie schon endgültig den Geist aufgeben«, neckte ich ihn und sandte im Stillen ein Gebet, das sie noch lange durchhalten würde. Plötzlich klingelte es an der Haustür und ich warf einen Blick an mir herab: rosa Puschelhausschuhe und weiß-rosa-karierter Bademantel. In den Spiegel wollte ich lieber gar nicht schauen. »Soll ich?«, fragte mein Dad. Ich schüttelte den Kopf, blickte noch einmal auf mein Outfit und bewegte mich zur Tür, die noch verschlossen war. Sonne flutete den Raum als ich die Türe öffnete und in das Gesicht meiner neuen Nachbarin schaute. »Oh hallo«, murmelte ich, da ich mein Outfit nun doch nicht mehr so passend und egal fand wie vor wenigen Minuten. »Hallo... Ich wollte mich noch vorstellen... wegen dem ganzen Stress gestern kam es ja nicht dazu«, sagte sie lächelnd und reichte mir die Hand. Ich nahm sie dankbar, den peinlichen Augenblick überwunden zu haben, entgegen. »Ich bin Sahra Linder.« In ihre Augen trat ein wunderschönes Lächeln und ich erwiderte es. »Hi, ich bin Estelle Veronie.«


Mir kam es wie 10 Minuten vor, als ich nach einer guten halben Stunde schließlich wieder in der Küche stand und meine Speigeleier kalt waren. »Frauen und ihr Gelaber!«, höhnte mein Vater, der schon frisch rasiert und angezogen war. »Pffft, lass uns doch, sie ist nett«, erwiderte ich, setzte mich an den Tisch und stocherte in den kalten Spiegeleiern herum. Da ich erst um 15:00 Uhr den Termin hatte, würde ich mir heute Zeit lassen. Mein Vater setzte sich an seinen Laptop um seinen Geschäftlichen Tätigkeiten nachzukommen und ich machte mich nach dem essen auf den Weg ins Badezimmer um erst einmal in Ruhe zu baden. Dort angekommen schaltete ich das kleine Radio ein, das ich, weil es mir so gut gefiel, sündhaft teuer erworben hatte. Ich jubilierte als mein Lieblingssong lief und ich tanzte wie immer durch mein kleines Badezimmer und sang laut mit, auch wenn ich den Text an manchen Stellen nicht konnte. Singend ließ ich das Badewasser einlaufen und schüttete aus Versehen zuviel Badeschaum hinein, was mich aber auch nicht sonderlich störte. Schließlich ließ ich mich mit geschlossenen Augen in das wunderbar heiße Bad sinken und genoss das Gefühl der Hitze auf meiner Haut. Meine Gedanken schweiften ab und ich erinnerte mich an die Topas-Augen des Anwalts, der mir meine Verhandlung versaut hatte.
Mhmmmm, der sah echt hinreißend aus...
Verträumt genoss ich meinen entspannten Tagesanfang und war gespannt ob der heutige Tag im Gegensatz zum gestrigen besser werden würde.

Das Gespräch mit Yulius Dermonte am Mittag, war gut verlaufen. Anscheinend machte er sich doch ernstzunehmende Sorgen. Es hatte lange gedauert, ihn zu beruhigen und ein sinnvolles Gespräch anzufangen, sodass ich doch erst ziemlich spät von dem Termin zu Marie kam. Als wir schließlich in unserem Lieblingscafé “Butterblume“ saßen, erzählte Sie mir den neusten Tratsch und Klatsch von ihrer Arbeit. Maries Arztpraxis war in der Nähe dieses Cafés, wodurch sie es schnell zu Fuß hierher schaffte, während ich ungefähr 15 Minuten mit dem Auto benötigte um vom Gericht herzufahren.

Angekommen bestellten wir uns beide erstmal etwas zu trinken und fingen gleich an zu plaudern.
»Na wie war dein Tag?«, erkundigte sich Marie.
»Ja ganz okay, so wie immer halt. Und deiner?«
»Eigentlich auch wie immer, obwohl heute ziemlich viel los war. Aber ich bin froh, dass wir uns noch sehen konnten«, gab sie müde zurück.
»Die Nachbarin war heute bei mir. Also die neue, deren Kind beinahe überfahren worden war.«
»Ach echt? Was wollte sie denn?«
Maries Müdigkeit war für Sekunden wie weggeblasen.
»Sie hat sich noch mal richtig vorgestellt und sich dauernd bei mir bedankt. Aber sie ist echt nett.«
»Achso okay.« Marie war hundemüde und das merkte man auch.
»Hast du morgen Nachmittag vielleicht noch mal Zeit? Ich glaub du solltest lieber nach Hause gehen, mit dir kann man ja nichts mehr anfangen«, schlug ich ihr lächelnd vor.
»Ja, du hast Recht. Klar hab ich morgen Zeit, aber erst gegen 18:00 Uhr.«
Wir tranken noch schnell unseren Kaffee leer und verabschiedeten uns.

Zu Hause aß ich noch etwas zu Abend, was sich aber auf Toastbrot beschränken musste, weil ich zu faul war mit was Anständiges zu kochen.
Mein Vater war nicht da, vielleicht war er ja zu Freunden gefahren. Also setzte ich mich an den Schreibtisch um die morgige Gerichtsverhandlung vorzubereiten.
Bei dieser musste ich aber mein Bestes geben, ich durfte es mir nicht erlauben noch mal zu verlieren.
Mist, ich musste schon wieder an diesen Anwalt denken.
Wieso habe ich mir nicht seinen Namen gemerkt?
Nach einer Stunde legte ich mich schon ins Bett, weil mir keine andere Beschäftigung einfiel und ich merkte, dass ich sowieso zu nichts anderem mehr im Stande war.


3


Der nächste Tag begann für mich früh, da die Verhandlung schon um 10 Uhr anfangen sollte. Ich war überhaupt nicht motiviert und hatte miese Laune. Doch ich riss mich zusammen und besprach mit meinem Mandant noch einmal die Lage und ging in den Gerichtssaal. Ich setzte mich unahnend an meinen Platz und hatte plötzlich das Gefühl dauernd beobachtet zu werden.
Ich schaute mich um, doch mein Blick blieb an dem Angeklagten hängen und ich sah aus den Augenwinkeln etwas Bekanntes.
Neben ihm saß tatsächlich der Mann aus meiner verpatzten Gerichtsverhandlung. Ich merkte, dass ich ihn anstarrte und nervös wurde.
Nein das darf jetzt nicht passieren. Konzentrier dich.
Ich versuchte meinen Blick abzuwenden und der schon begonnenen Handlung zu folgen.
»Domenic Anderson «, hörte ich den Richter sagen.
Endlich wusste ich seinen Namen. Mehr bekam ich nicht mehr mit, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Meinen Teil übernahm ich nebenbei wie in Trance und gab mir alle Mühe glaubenswürdig rüber zu kommen.
Doch als ich mit sprechen fertig war ging alles ganz schnell. Das nächste was ich mitbekam war, dass der Angeklagte –der mir auf irgendeine Weise bekannt vorkam- aufsprang, auf mich zu rannte und seine Faust in mein Gesicht schlug. Ich fiel zu Boden und verlor nach wenigen Sekunden mein Bewusstsein, schon wieder.

Als ich endlich meine Augen wieder öffnen konnte, hatte ich einen totalen Filmriss.
Ich versuchte mich aufzusetzen um mich umzusehen, doch ich zuckte vor Schmerzen in meinem Kopf zusammen.
Als ich dann aber zwei tiefblaue Topase anblickte, blieb mein Herz für einige Sekunden stehen und holperte dann in einem unregelmäßigen Rhythmus weiter. Seine schwarzen Haare bildeten einen wunderschönen Kontrast zu seinen blauen Augen. Eine Strähne seines mittelangen Haars hing ihm in sein Gesicht, welche ihn jedoch anscheinend nicht weiter störte.
»Ruhig liegen bleiben!«, sagte eine tiefe, sanfte Stimme und eine Hand strich mir eine Strähne aus meinem Gesicht, die beim Sturz hineingeraten war. Trotz der Mahnung fasste ich mir an den Kopf und stöhnte gequält, als meine Hand auf dem Weg dorthin mein Auge streifte. »Liegen bleiben! Bleiben Sie liegen!« Die Stimme klang nun wütend und ich bildete mir ein einen Unterton des Mitleids, aber auch der Verzweiflung darin zu hören. Überrascht blickte ich auf. Die tiefblauen Topase waren immer noch da!
Sie sind wunderschön...
Unsere Blicke trafen sich und ich erschrak als ich die Sorge darin erkannte.
Er sorgte sich um mich? Warum? Er kennt mich doch nicht einmal und ich bin seine Rivalin... wenn auch keine gute...
Die Hand die meine Strähne weg geschoben hatte, legte sich auf mein Handgelenk und fühlte meinen Puls. Jetzt murmelte er irgendwas vor sich hin. Auf der einen Seite kribbelte mein Körper, von der Berührung, auf der anderen Seite verabscheute ich sie zutiefst. Er war ein Rivale! Langsam drang der Lärm, der ausgebrochen war als ich zu Boden ging, wieder an mich heran und dieser war so laut, das ich mich fragte wie ich ihn die letzten drei bis vier Minuten hatte überhören können. Ich blickte auf den Mann der neben mir kniete. Eine wunderbare Stille ging von ihm aus und ich hatte sofort Lust, mich mit einer Wärmeflasche in mein Bett zu kuscheln und schöne Sachen zu Träumen. Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht.
Was hat der jetzt bitte zu Grinsen?
Sein Grinsen wurde noch breiter und er legte mit einem wunderbaren tiefen Brummen, meine Hand zurück auf den kalten Steinboden.
Nein!
Tiefe Enttäuschung überkam mich und ich ohrfeigte mich dafür im Stillen, während meine Gedanken darum wirbelten, wie es sich anfühlen würde, diese Hände während eines eng umschlungenen Kusses in meinem Nacken zu spüren. Ein stechender Schmerz riss mich aus meinen Tagträumen und ich blickte niedergeschlagen über meine Phantasien, die ich schon seit der Sandkastenzeit besaß, durch den Gerichtssaal. Lärm, Chaos, Tumult.
Mühsam versuchte ich mich aufzurappeln, wobei mein Blick auf den Angeklagten traf, der von drei Polizisten festgehalten wurde.
Warum kommt er mir nur so bekannt vor?
An die Wand gelehnt stand ich immer noch schwer atmend, aufgrund der Verletzung, da und versuchte mich zu erinnern, wo ich diesen Mann das letzte Mal gesehen hatte. Da meine Gedanken aber immer noch bei den Händen von Domenic Anderson – Ich weiß seinen Namen! – hingen, gab ich es schließlich auf.
Der Angeklagte bäumte sich gegen die Polizisten auf und spuckte wütend in meine Richtung. Seine Spucke flog aber nur ungefähr die halbe Strecke und ich verkniff mir ein spöttisches Lächeln. Auf einmal bekam er einen seiner Arme frei, zeigte auf mich und schrie so laut, dass ich vor stechendem Kopfweh beinahe wieder den Halt verlor:
»Merkt ihr das denn nicht? Sie ist ein Engel! Ihr müsst sie töten! TÖTET SIE!«

Im Raum trat Stille ein.
Ein Engel? Ich? So ein Wesen mit Flügeln? Ich hatte noch nicht einmal Flügel...
Warum nannte er mich einen Engel?
Ein lüsternes Grinsen trat auf das Gesicht des Angeklagten und mir wurde schlecht, als ich die gelblichen Zähne dahinter aufblitzen sah.
»Tja, dumm gelaufen Engelchen, sie werden dich aufschlitzen und dir alle deine Organe entnehmen, so wie es der Brauch ist!«
Er lachte, und mir lief ein Schauer den Rücken hinunter. Im Saal war es Mucksmäuschen still.
»Ach das Beste habe ich noch vergessen! Sie werden dich davor solange quälen, bis du dir den Tod wünscht!«
Anscheinend sah man mir an das es mir nicht ganz gut ging, denn hilfreiche Hände stützten mich, als ich erneut umzufallen drohte.
»Meine Rache wird dich verfolgen ENGEL!«
Das klang so lächerlich, dass der erste im Saal anfing zu lachen, sich aber sofort dafür entschuldigte und versuchte sich zusammenzureißen. »Ihr glaubt mir nicht, stimmt’s? Sie täuscht euch, sie wird euch alle umbringen und eure Kinder wird sie...« Weiter kam er nicht, da ihm Domenic, der kaum noch an sich halten konnte vor Empörung mit der flachen Hand gegen die Wange schlug. Der Angeklagte kreischte auf und biss ihm als Gegenleistung in den Arm, den Domenic nicht schnell genug wegziehen konnte.
»ABFÜHREN!«, brüllte einer der Polizisten. Dann wandte er sich zu Domenic und meinte: »Sie kommen mit Herr Anderson.« Wie ein kleines Kind, dem soeben klar geworden war, dass es einen Fehler begangen hatte, folgte Domenic den Polizisten und dem Angeklagten der kreischend allen Müttern zu erzählen versuchte, ich würde ihre Kinder essen. Diese sahen ihn nur schockiert und herablassend an. Sie dachten er wäre verrückt. Ich auch.
Dann fiel es mir ein.
Der Mann aus dem Auto, der versucht hatte das Kind zu überfahren... Das ist er!
Plötzlich fiel mir auch wieder das Gesicht des Mannes ein, als ich ihn vor zwei Tagen gesehen hatte. Entschlossenen und zielgeheftet auf die Straße gerichteten. Genauso hatte er mich gerade eben angestarrt als er geschrien hatte, seine Rache würde mich verfolgen. Mir war übel. Ich wollte weg. Raus.
Denn mein Unterbewusstsein sagte mir, dass er die Wahrheit gesagt hatte.


Als ich realisiert hatte, dass er derjenige war, der das Kind beinahe überfahren hatte, stand mein Beschluss schon fest. Ich ging mit auf das Polizeirevier und sagte gegen ihn aus. Zu meinem Glück bekam ich ihn aber nicht mehr vor die Augen. Domenic wurde auch nach einer kurzen Befragung wieder entlassen. Weil ich zu nichts mehr Anständigem fähig war, beschloss Domenic mich nach Hause zu fahren, was mir ein kleines Glücksgefühl einbrachte.
In seinem Auto fuhr er mich nach Hause, sein Blick war immer noch mit Sorge gefüllt.
Er sah so aus, als würde er mit sich selbst kämpfen.
»Alles okay?«, brach ich schließlich die Stille im Auto. Er runzelte die Stirn. »Das sollte ich eigentlich dich fragen. Wie geht es dir?« Etwas verwirrt blickte ich ihn an.
Wir duzen uns!, ging es mir durch den Kopf und ich versuchte meine Freude darüber zu verbergen. »Naja, mal abgesehen von den Kopfschmerzen, die mir dieser Verrückte verpasst hat, geht es mir eigentlich ganz gut.«
Eigentlich wollte ich noch mehr sagen, aber ich war mir nicht sicher ob das der richtige Augenblick dafür war.
Wir waren angekommen und ich zögerte kurz bevor ich ausstieg. Bevor ich ins Haus ging rief er mir noch hinterher. »Pass auf dich auf.«
Ich errötete und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
»Dad?« Stille. Er schien wohl noch nicht zu Hause zu sein. Dann hörte ich aber leise Schritte hinter mir und wollte mich gerade umdrehen als mein Blick zu dem sonst geschlossenen Fenster wanderte, das offen stand. Mich überkam eine böse Vorahnung und Gänsehaut bildete sich, als die vertraute schreckliche Stimme zu sprechen begann. »Da bist du ja endlich.« Ich riss meine Augen weit auf, als ich die Stimme des Mannes erkannte der hinter mir stand.
Was soll ich tun? Ich ging in Sekunden durch, wie ich ihn überwältigen konnte. Doch bevor ich einen Entschluss fassen konnte, Stieß er mir seinen Ellebogen in den Bauch und ich sackte in seinen Armen zusammen.


4


Als ich erwachte lag ich in einem Keller in dem nur ein paar Sonnenstrahlen von außen hereinkamen. Als ich mich umsah lief mir ein Schauer über den Rücken und ich konnte es einfach nicht realisieren, dass ich gefesselt in diesem Keller lag. Überall lagen Waffen und Folterwerkzeuge. Ein Stuhl der rote Flecken hatte. Ich schluckte schwer. Was für ein verrückter war dieser Mann?
Entführte er junge Frauen wie mich und quälte sie? Und wie war er der Polizei entkommen?
Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, um mich zu vergewissern, ob das alles nicht doch nur ein böser Traum war.
Doch als ich dann laute Schritte die Treppe runterkommen hörte, wusste ich, dass ich dieses Spiel schon verloren hatte.
»Na wie geht es unserem Engelchen?«, fragte er mit einem spöttischem Grinsen.
»Was haben sie eigentlich immer mit ihrem Engel?« Dieses beschäftigte mich so sehr, dass ich einfach Gewissheit haben musste.
»Ach, spielen wir jetzt die Unwissende, Engel? Aber wenn du unbedingt willst kann ich dir ja alle Tatsachen auf den Tisch legen.«
Ich starrte ihn an während er erklärte.
»Du, Schätzchen bist ein Engel, der komischerweise nichts davon zu wissen scheint. Aber kein richtiger Engel, ein Nephilim« Jetzt starrte ich ihn noch mehr an, da ich kein einziges Wort davon verstand.
»Oh nein, du bist echt eine Unwissende. Das ist bitter.« Er stieß ein höhnisches Lachen aus.
Eine Unwissende? Als er das erwähnte, kam ich mir noch hilfloser vor als ich schon war.
»Ein Nephilim ist ein Halbengel. Das heißt, einer deiner Eltern war ein Engel und der andere ein Mensch.«
Sofort erschien das Bild meines Vaters in meinem Kopf und ich realisierte, dass es etwas mit seinem Verschwinden zu tun haben musste.
»Und wie jeder weiß, werden Nephilims gerne von unseresgleichen aufgegessen.« Er leckte sich die Zähne. Ich schauderte.
»Aber das machen wir nicht nur aus dem Grund, dass wir die Unsterblichkeit erlangen, wenn wir dies tun. Sondern auch, weil die Taten der Nephilims bestraft werden müssen. Deshalb habe ich im Gericht auch allen von deinen bösen Taten erzählt. Aber keine Angst, damit hört es jetzt auf.« Sein Kopf näherte sich meinem Ohr und ich versuchte zurück zu weichen, was aber unmöglich war, da ich an Armen und Füßen gefesselt war.
»Wünsch mir einen guten Appetit!«, hauchte er mir ins Ohr.
Ich hatte keinerlei Hoffnung mehr, dass ich hier lebend wieder rauskommen würde.
Mein letzter Gedanke hing an ihm, Domenic.
In diesem Augenblick wünschte ich mir so sehr, dass er mich retten würde, dass mir die Tränen in die Augen traten.
»Och nicht weinen, Süße. Du kannst froh sein, dass ich dich gefunden habe. Die anderen hätten dich gefoltert, das dir bei mir erspart bleibt. Bin ich nicht nett?«
Die Tränen lösten sich in Sekundenschnelle auf und verwandelten sich in Wut. Ich versuchte mich von den Fesseln zu lösen und spürte plötzlich eine ungeheure Kraft in mir. Ich riss mich von den Fesseln los und schlug ihm mitten ins Gesicht. Dann versuchte ich aus dem Keller zu entkommen.
Eine kurze Weile fasste er sich ans Gesicht und fluchte. Dann aber eilte er mir blitzschnell hinterher und zog mich am Arm zurück.
»Na, da habe ich dich wohl unterschätzt.« kicherte er. »Aber stark genug bist du trotzdem nicht.« Als er mich mit seinem festen Griff gefangen hielt, schien die Kraft wieder zu schwinden und ich sackte auf dem Boden zusammen. Schließlich fesselte er mich auf den ekligen Stuhl mit den roten Flecken.
»Böses Engelchen. Dafür muss ich dich leider bestrafen.« Er beugte sich zu mir vor, wie ein Vampir der seinen Blutdurst stillen wollte.
Ich schloss meine Augen und spürte einen unwahrscheinlichen Schmerz an meinem Hals. Ich war schon fast im Himmel, als es einen riesigen Knall gab und der Mann plötzlich am Boden lag. Ich blickte auf und sah in Domenic‘s schmerzverzerrtes Gesicht. In diesem Moment trafen so viele Gefühle aufeinander. Schmerz, Erleichterung, Sorge und ein anderes, das ich nicht genau einordnen konnte.
Jetzt ließ ich es zu. Tränen kullerten über mein müdes Gesicht und ich fing an zu schluchzen. Er band mich vom Stuhl los und schloss mich in seine starken, tröstenden Arme. Der Mann krümmte sich neben uns am Boden und rang nach Atem. »Was ist mit ihm?«, fragte ich nervös und löste mich aus seiner Umarmung. »Er wird sich in der nächsten Stunde wieder bewegen können, im Moment ist sein Gehirn betäubt – das heißt, er kann seine Bewegungen nicht steuern.« Etwas beruhigter ließ ich mich wieder gegen seine Brust sinken und sog tief den Geruch seiner Haut ein, die nur von einem schwarzen Seidenhemd bedeckt war. Sanft aber bestimmt löste er seine Arme von mir und schob mich auf eine Armlänge Abstand. »Das geht so nicht.«, murmelte er vor sich hin und griff nach seinem Handy, dass er dann aus der Hosentasche hervorzog. Schnell tippte er eine Nummer, während ich noch am überlegen war, was er mit >das geht so nicht< wohl meinte.
»Schickt mir einen Krankenwagen in die Bordé-Gasse 8!« Seine Blicke wanderten einmal an mir herab und wieder hinauf. »Ja, die Verletzungen sind stark, es könnte einer ihrer Flügel verletzt sein.«
Einer meiner Flügel? Verletzungen? Vorsichtig hob ich die Hand um meinen Hals und die Schulter abzutasten und erschrak als ich auf etwas Warmes traf, jedoch keinen Schmerz verspürte. »Nicht anfassen!«, brüllte Domenic mich beinahe an und ich zog schuldbewusst meine Hand zurück. »Ja, sie hat in die Wunde gefasst, beeilt euch gefälligst!«,schrie er nun in den Hörer und warf einen besorgten Blick auf meine Blutüberströmte Hand. Ich folgte seinem Blick und ging in Gedanken noch einmal den Biologieunterricht aus meiner Schulzeit durch um mich davon abzulenken, dass ich ziemlich heftig blutete.
Was sind noch mal die Bestandteile von Blut? ... BLUT!, echote es in meinem Kopf und ich konnte einen angewiderten Blick nicht zurückhalten. Wie ich wohl gerade aussah? Seine Sorge hatte er sicher nur wegen meinem Aussehen gezeigt. Niedergeschlagen schaute ich zu Boden. Für was rettete er mir andauernd das Leben? Er benutzt dich!, mir stockte der Atem als ich zu dieser Einsicht gelangte. Für was sollte er mich sonst retten? Er braucht mich zu irgendeinem Zweck! Wut kribbelte unter meiner Haut und ich spürte wie meiner Verlegenheit Kraft wich, die pulsierend durch meine Adern floss. Ich schloss die Augen. fühlte in mich. Und fand mich schließlich stehend neben Domenic vor.
Ich hatte soeben meinen Körper verlassen?
Erschrocken starrte ich auf meine geschlossenen Augen und befahl meinem Körper sie zu öffnen. Meine Augenlieder gehorchten, doch ich sah in dem leeren Blick, dass es Domenic ebenfalls bemerken würde. Deshalb schloss ich sie wieder. Angeekelt blickte ich auf mein äußeres. Blut klebte überall und hatte meine Kleider verschmutzt. Unsicher sah ich mich nach einem Ausgang um. Das Fenster? Die Tür oben an der Treppe? Ich entschied mich für die Tür, konzentrierte mich und fand mich- was mich sehr beruhigte – wieder in meinem Körper vor. Langsam um Domenic’s Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf mich zu ziehen, bewegte ich mich in Richtung Treppe. Er telefonierte noch immer und ich war dankbar dafür.
Mistkerl! Ich lasse mich nicht benutzen!, schrie ich in Gedanken heraus. Mit einem Ruck fuhr Domenic herum und unsere Blicke trafen sich. Verdammt! »Was...?« Entschlossen rannte ich die Treppe hinauf und rüttelte oben an der abgeschlossenen Tür.
Abgeschlossen? Tränen rannten mir die Wange hinunter. Ich wollte doch nur hier raus. Eine plötzliche Woge der Energie überkam mich, die ich zielgeheftet auf die Türe richtete, die mir Freiheit versprach. Domenic, der fast oben angekommen war, schrie meinen Namen und wich zurück, als die Tür mit einem Knall aus den Garnieren flog.
Er hatte mich eingeschlossen!
Das bestätigte meinen Verdacht, dass ich ein Mittel für einen noch unbekannten Zweck war
noch mehr und ich stürmte durch die Tür. Durch ein Wohnzimmer. Durch die Haustüre. Erleichtert atmete ich die frische Luft draußen ein. Die Wärme des Mittags war verschwunden und ich fragte mich, wie lange ich bewusstlos in diesem Keller gelegen hatte.
Ich lief die Straße entlang und bemerkte, dass ich in einer unbekannten Gegend gelandet war. Immer noch geschockt von dem Vorfall spürte ich wieder diesen Schmerz an meinem Hals, der sich dann aber bis in meine Schultern und den Rücken zog.
Ich redete mir aber ein nicht stehen zu bleiben, damit ich nicht von einen der beiden eingeholt werden würde.
Doch als ich um die erste Ecke bog wurde der Schmerz so unerträglich, dass ich mir eine Bank suchte, die einigermaßen versteckt lag und auf der ich mich erschöpft niederließ.
Dieser Stadtteil kam mir vor wie eine Geisterstadt, fast niemand war unterwegs. Nur ab und zu konnte ich einen Blick auf einige Menschen werfen. Doch irgendwie kamen mir diese nicht normal vor.
Meine Augen wurden müde und ich schloss sie für einen kurzen Moment um mir einen kleinen Moment der Entspannung zu gönnen.
Aber beim Öffnen der Augen konnte ich es kaum mehr aushalten. Ich krümmte mich vor Schmerzen, da diese noch schlimmer geworden waren.
Ich war kurz vor der Bewusstlosigkeit als ich schnelle Schritte hörte. Ich versuchte mich aufzurichten um mich danach umzusehen. Doch bevor ich meinen Körper aufrichten konnte verlor ich den Boden unter den Füßen und saß nicht mehr auf der Bank. Ich lag in den Armen von Domenic. Mein Körper schrie nach seinem, doch ich wollte nicht in seinen Armen liegen. »Lass mich runter«, brachte ich schließlich hervor. Er hielt mich noch fester im Arm und mir kam es so vor, als würden die Schmerzen weniger werden.
»Wie wär’s mal mit einem Danke, dass du mich vor dem Tod gerettet hast?« entgegnete er genervt.
»Du willst mich doch auch nur für deine Zwecke benutzen sonst würdest du mich nicht verfolgen.«
»Dich verfolgen? Ich bin grad schon wieder dabei dir das Leben zu retten.«
Irgendwie wusste ich, dass er Recht hatte, aber konnte nicht anders. Als würde mein Gehirn nicht mehr auf mich hören.
»Lass mich einfach in Ruhe, ich komm’ alleine zurecht. Du gehst mir auf die Nerven.«
Ich war überrascht über meine eigenen Worte und merkte wie ich mich zu seinem Hals beugte und ihn dort mit aller Kraft hinein biss.
Als ich bemerkte, was ich getan hatte, schreckte ich vor mir selbst zurück.
Aber sein Griff wurde nicht lockerer und seine Miene verzog er auch nicht.
»Jetzt lass mich verdammt noch mal runter oder ich fresse dich.« Nun war ich völlig durchgeknallt. Meine Schmerzen wurden wieder schlimmer und ich krampfte mich wieder zusammen.
»Verdammt, wann kommt endlich der Krankenwagen.«, fluchte er.
»Was passiert mit mir?«
Ich konnte nicht mehr klar denken und versuchte die Gedanken, die mir sagten Domenic schlimmes anzutun, auszublenden.
Ich kämpfte mit mir selber und verkrampfte meinen ganzen Körper um das pulsieren in meinen Gliedern zu unterdrücken. Mir kam es vor, als würde ich keine Kontrolle mehr über meinen eigenen Körper haben.
»Du wurdest gebissen, von einem Gestaltenwandler.«, er biss sich auf die Lippe und stieß einen Seufzer aus.
»Mhmmm, ein Gestaltenwandler. Ich verstehe kein Wort.«
»Ich werde es dir später erklären.«
Ich bekam seine Worte gar nicht richtig mit, weil ich zu viel damit beschäftigt war nicht nach ihm zu schlagen.
»Bitte halte noch kurz durch. Du hast es gleich geschafft.« Domenic drückte mich in seinem Arm und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Und ich merkte wie ich die Kontrolle über meinen Körper und meine Gedanken wieder erlangte, doch die Schmerzen waren immer noch unerträglich. Ein Krankenwagen in Pkw-Format kam angefahren und hielt mit quietschenden Reifen vor uns.
Ein Mann mit einem langen Bart und einer roten Mütze stieg aus dem Auto. Er sah aus, wie ein Zwerg aus Schneewittchen, nur, dass er etwas von einer Elfe hatte.
»Na endlich!«, Domenic schien sichtlich erleichtert als der Zwerg auf uns zukam.
»Wie schlimm ist es?«, fragte der Zwerg mit einer überraschenden tiefen Stimme.
»Ich hab sie noch rechtzeitig gefunden und konnte den Broin aus ihrem Körper vertreiben.«, erklärte Domenic angespannt.
»Ist er entkommen?«, hakte der Zwerg nach.
»Nein, ich halte ihn in mir gefangen. Also wäre es ganz nett wenn du ihn mir abnehmen könntest.« Über was zum Gottes Namen sprachen diese zwei nur? Ich kam mir wieder hilflos vor, weil ich nichts von alledem verstand.
»Ja sicher.«, brummte der Zwerg und murmelte einen schnellen Spruch vor sich hin. Ich erschrak, als Domenic am ganzen Körper zitterte. Aus ihm fuhr ein kleines, grelles Licht, dass dann in den Himmel verschwand. Domenic entspannte sich wieder und ich merkte, dass meine Schmerzen langsam verschwanden.
»Soso. Du bist also ein Chaya. Die sieht man nicht mehr oft. Aber pass auf, dass du nicht untergehst. Deine Art ist selten vorzufinden, pass auf dich auf!« Während er sprach versorgte er meine Wunde, machte kehrt und fuhr mit seinem Auto wieder davon.


5

Ich starrte Domenic verwirrt an und ich merkte, dass ich immer noch in seinen Armen lag. Er bemerkte meinen Blick und ließ mich mit einem kleinen Lächeln auf den Boden nieder.
»Geht es wieder?«
»Ja«, gab ich zurück. »Aber was bitte war das? Ich kam mir so unwissend und hilflos vor. Oder ist das alles nur ein Traum?« Ich piekste mir kräftig in den Arm und zuckte vor Schmerzen zusammen, als ich merkte, dass ich hellwach war.
Domenic musste schmunzeln und musste sich anscheinend ein Lachen zurückhalten.
»Nein du träumst nicht. Und ich werde dir so gut es geht erklären was passiert ist.« Er setzte sich auf die Bank, ich folgte ihm und setzte mich neben ihn.
»Also was genau ist denn mit mir passiert? Ich hatte keine Kontrolle mehr über mich.«
»Du wurdest doch von einem Broin gebissen. Durch diesen Biss ist er in deinen Körper eingedrungen und hat dich kontrolliert.«, begann er zu erklären. Doch schon bei den ersten Satz verstand ich nur Bahnhof.
»Was ist ein Broin? Meintest du nicht irgendwas von einem Gestaltenwandler?«
»Ja, ein Broin ist ein Gestaltenwandler. Es gibt sogar zwei verschiedene Arten eines Gestaltenwandlers.«, fuhr er fort.
»Den Chaya und den Broin?« Langsam schien ich seiner Erklärung folgen zu können.
»Genau, dieser Verrückte war ein Broin. Und ich bin ein Chaya. Aber die Arten haben ganz unterschiedliche Eigenschaften.«
Ich nickte um ihm zu zeigen, dass ich ihm folgen konnte.
»Der Broin bedeutet Rabe. Er ist nutzt seine Fähigkeiten aus indem er Engel und Nymphen jagt.«
»Und er frisst sie auf um unsterblich zu werden.«, fügte ich hinzu.
»Ja aber nicht nur. Sie versuchen sie auszurotten, weil sie eine Gefahr für sie darstellen.«
»Engel sind eine Gefahr für sie?«, hakte ich interessiert nach und ich merkte, dass er mich mit einem Grinsen musterte.
»Genau. Engel sind mächtiger als die Gestaltenwandler.«
»Und wieso wollen sie dann die Engel aus dem Weg schaffen? Ist das eine Art Krieg?« Ich steigerte mich in die Unterhaltung rein und merkte, dass ich Spaß daran fand.
»Ja so kann man das auch sagen. Die Gestaltenwandler und die Shantay haben sich zusammengeschlossen und wollen die Herrscher dieser Welt werden. Hört sich vielleicht etwas seltsam an, aber so kann man das nennen.«
»Dieser Welt?
»Ja, ich glaube dir ist auch schon aufgefallen, das es ist anders ist als in der Menschenwelt.« Ich schluckte und sah mir noch mal genau die Gegend an. »Es gibt eine andere Welt?«
Ich wunderte mich ein bisschen, dass ich diese Informationen so schnell ohne Zweifel schlucken konnte.
»Eigentlich ist sich da niemand ganz sicher wie man diese Welt nennt. Aber soweit ich weiß, wird sie Tovah genannt.« Er fasste sich an den Hals, wo ich ihn gebissen hatte, und betastete ihn. Ich errötete, weil es mir peinlich war.
Ich hatte ihn gebissen und mich wie eine Verrückte benommen.
Er lachte herzlich auf, als er merkte wie verlegen ich wegschaute.
»Keine Angst, ich weiß ja dass nicht du mich gebissen hast.« Ich akzeptierte diese Aussage und wendete meinen Blick wieder zu Domenic.
»Und in dieser Welt leben also magische Wesen oder wie? «
»Genau.«, bestätigte er.
»Puuh, das muss ich erst mal schlucken.« Ich starrte für einige Sekunden in seine blaue Augen und vergaß zu atmen.
»Aber eins verstehe ich immer noch nicht. Ich bin ein Engel und habe keine Flügel?«
»Noch nicht. Da du nur ein Halbengel bist, ist deine Verwandlung erst ab deinem 25. Lebensjahr abgeschlossen, du kannst also erst seit deinem Geburtstag deine Flügel benutzen«
»Cool.«, sagte ich und musste kichern.
»Und ich kann dann auch richtig fliegen und
so? « »Ja, aber ich glaub da musst du noch ein bisschen warten. Außerdem ist das Fliegen gar nicht so einfach.« Er runzelte nachdenklich die Stirn und schien nachzudenken.
»Ich habe sogar mal gehört es gibt besondere Flugstunden für Engel.« Er wartete auf meine Reaktion, als ich anfing zu lachen. »Na das hört sich ja spaßig an.«

Interessiert lief ich durch die Straßen der anderen Welt die von den Gestaltenwandlern Tovah genannt wurde. Domenic trottete mir mehr genervt als erfreut hinterher. Und das schon mindestens seit einer halben Stunde. »Was ist denn an dieser Welt eigentlich anders?« Domenic stöhnte noch genervter als vor fünf Minuten -falls das überhaupt noch möglich war- und zog mich am Arm, damit ich ihn ansah. »Schau mich mal an.«, forderte er und ich tat ihm den Gefallen. »Diese Welt ist überhaupt nicht anders als die andere! Das versuche ich dir aber schon seit einer halben Stunde mitzuteilen, aber du musst ja jede Ecke erkunden und…« Er stoppte, als ich mich kichernd seinem Griff entwand und die Straße weiter hinauf hüpfte. Mir ging es unwahrscheinlich gut, meine Wunde hatte aufgehört zu bluten und da ich eh keinen Schmerz verspürte hatte ich im Moment sehr gute Laune. Das einzige was mir Sorgen machte, war, dass ich nicht wusste wie lange ich schon von zuhause weg war. Bestimmt machten sich alles Sorgen! »…die Welt unterscheidet sich nur dadurch von unserer, weil nur eigentlich nur übersinnliche Menschen wie zum Beispiel Engel oder Gestaltenwandler sie erreichen können. Manchmal gibt es Ausnahmen, das kommt auf das hohe Gericht an.«, fuhr er fort als er hinter mir her stapfte. »Ist ja schön und gut…aber… wie lange bin ich eigentlich schon weg aus der “normalen Welt“?« Domenic blickte mich abschätzend an, bevor er antwortete. »Hier vergeht die Zeit ein bisschen langsamer, was heißt du bist seit ungefähr drei Tagen weg.« Bestürzt blickte ich zu ihm hoch, da er ein gutes Stück größer als ich war.
Er ist so wunderschön …
Die Sonne fiel auf seine schwarzen Haare, die bis knapp über seine Ohren gingen, und ließ ihn noch mal doppelt so schön wirken. Schöner Alptraum, dachte ich mir und stellte mir vor wie ich auf ihn zutrat, meine Arme um ihn schlang und meine Lippen sanft seine berührten. Ich schrak zusammen, als ich bemerkte, dass ich ihn mit meinen Armen wirklich umschlang und kurz davor war ihn zu küssen. Domenic blickte mich mit einer Mischung aus Sehnsucht und Verzweiflung an und ich überlegte kurz, wie alles nach dem Kuss werden würde. Anscheinend hatte er das für sich schon entschieden, denn er beugte sich zu mir herunter und… »STOPP!...Nein!« Mit einem Ruck drehte ich mich von ihm weg und rannte die stille Straße entlang der Sonne entgegen die mich fürchterlich blendete. Eine Träne suchte sich ihren Weg über meine Nase um schließlich über mein Kinn und dann abwärts auf die Straße zu tropfen. Ich verabscheute mich zutiefst dafür, dass ich den Kuss nicht hatte geschehen lassen, aber es war mir falsch vorgekommen. Warum wusste ich nicht, es war einfach falsch ihn küssen zu wollen.
Du bist doch ein Engel! Warum darfst du es dann nicht?, fragte die Stimme in meinem Kopf und ich versuchte sie zu verdrängen, bis mir plötzlich ein Licht aufging. Wie automatisch hielt ich inne und Domenic der mir hinterher geeilt war prallte mit voller Wucht gegen meinen Rücken. Ich bekam einen Stoß und flog nach vorne auf die Straße, was meine Hände aufscheuerte, mit denen ich versucht hatte mich abzufangen. »Alles okay?« Zögernd nahm ich die Hand, die er mir hinhielt um mich wieder auf die Beine zu ziehen und platzte dann sofort mit meinem Gedanken heraus. »Ich darf dich nicht küssen, ich bin ein Engel!« Leidend blickte er mich an, da er mir ansah, dass ich verstanden hatte. »Ich kann dich überhaupt nicht küssen, etwas hält mich davon ab!«, schrie ich ihm meinen Frust entgegen. »Engel oder Halbengel können ab ihrem 25. Lebensjahr nur noch Ihresgleichen aus Liebe küssen oder anderes…« Mir stockte der Atem. Ich würde ihn niemals küssen können, nur weil er kein Engel war?
Na toll! Die Vorteile des Engelseins erzählt er mir groß und breit und die negativen Seiten lässt er total aus, ärgerte ich mich. Domenic lief rot an und ich fragte mich, ob ich schon wieder laut geredet hatte. Ich bin echt verwirrt, gestand ich mir ein und blickte traurig zu Boden. Plötzlich hatte ich eine Idee. »Ich gebe den Job ab, ich will kein Engel mehr sein!«, rief ich fröhlich aus und beobachtete wie sein Gesichtsausdruck zwischen bitterer Enttäuschung und Belustigung schwankte. »Du kannst nicht einfach “kein Engel“ sein, weil du als ein Halbengel geboren wurdest Esta.« Eine seiner Augenbrauen fuhr nach oben, als er genau wie ich bemerkte, dass er mich “Esta“ genannt hatte.
Vom Du zu Esta, scherzte ich ihm Geiste und sah wie er erneut errötete. Also das mit dem laut reden obwohl ich denke das ich eigentlich nur nachdenke, musste ich mir mal abgewöhnen, nahm ich mir vor und lächelte ihn strahlend an. Esta.
Esta und Domenic. Ich schaute der Sonne entgegen und hoffte ich würde ihn irgendwann küssen können, denn sonst- und da war ich mir sehr sicher- hätte ich etwas sehr interessantes in meinem Leben verpasst.


»Ähm ja.«, begann ich während ich das Erkunden der anderen Welt fortsetzte.
»Ich sollte mal wieder nach Hause gehen… Oh Gott, ich hab ja ganz meine Arbeit vergessen. Wie kommen wir hier wieder weg?« Ich blieb vor Schreck stehen und blickte Domenic erwartungsvoll in die Augen.
»Es gibt sozusagen ein Tor zwischen den Welten durch das wir zurückgelangen können.«
»Okay, und wo ist dieses Tor?« Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich nach Hause, aber andererseits wollte ich nicht von ihm getrennt werden. Wegen der Angst noch mal angegriffen zu werden und der Begierde in seiner Nähe zu sein.
Ich schüttelte den Kopf und Domenic schaute mich fragend an.
»Ja also wo ist das Tor?«, fragte ich ihn noch einmal während ich begann an meiner Hose herumzuzupfen.
»Das ist unterschiedlich. Das Tor ist nie an ein und derselben Stelle, es ändert also immer seine Position.«, erklärte er und beobachtete meine Fummelei an der Hose.
»Ja und jetzt? Wie finden wir jetzt das Tor?« Ich war wieder verwirrt und hoffte nur wir würden so schnell wie möglich nach Hause kommen.
»Das suche ich uns jetzt.«
»Na da bin ich mal gespannt.« Plötzlich fing mein Magen an laut zu grummeln und ich errötete, als ich merkte, dass Domenic anfing zu grinsen. »Entschuldige, ich hab schon zu lang nichts mehr gegessen.«
»Ja das stimmt, aber mir geht es genau so.« Er grinste immer noch, während er anscheinend nebenbei mit seinen Gedanken noch woanders war. »So ich hab es. Es ist nicht mal soweit weg.« Er drehte sich um 90 grad und ich trottete ihm hinterher.
Wir liefen die Straße bis ans Ende entlang und bogen nach rechts in die Winkelmatten. Die Namen hörten sich sogar normal an, wie in der normalen Welt. Auch die Häuser und die wenigen Menschen die hier umherliefen sahen normal aus. Ich hatte früher immer gedacht eine magische Welt wäre etwas Besonderes mit Hexenhäusern oder Schlössern. Da hatte ich mich wohl gewaltig geirrt.
Nach ungefähr zehn Minuten laufen standen wir vor einer weißen Villa.
»Und wo ist jetzt das Tor?«, quengelte ich.
»Wir stehen direkt davor, die Haustür ist unser Tor. Aber bereite dich schon mal vor, das Reisen durch die Welten ist kein angenehmes Gefühl.«
»Wie, es ist kein angenehmes Gefühl?« Ich machte ein paar Schritte auf die Villa zu, die ganz gewöhnlich, und nicht wie ein Tor zu einer anderen Welt aussah.
»Hmm, du kannst es ein bisschen mit einer Achterbahnfahrt vergleichen.«, kicherte er.

Oh Gott, ich hasse Achterbahnen.
Er sah wohl den Schreck in meinem Gesicht und musste lachen.
»Wenn du willst kannst du auch meine Hand halten.« Ich errötete, nahm aber seine Einladung dankend an.
Gewappnet gingen wir Händchen haltend und wie in Zeitlupe- so kam es mir vor- auf die Tür zu. Er drückte die Türklinke herunter und ich trat mit Herzklopfen durch die Tür.
Doch als ich wieder herauskam fiel ich zu Boden und ein Gefühl von Schwindel und Übelkeit überflutete mich. Ich erbrach heftig, als ich versuchte mich aufzurappeln.
Und ich merkte erst jetzt, dass Domenics Hand nicht mehr an meiner hing. »Domenic?«
Ich richtete mich langsam auf und riss die Augen auf, als ich merkte, dass ich nicht in meiner eigenen Welt gelandet war.

6

Mein Blick wurde von einem riesigen Tiger aufgefangen, der sich knurrend vor mir aufgebaut hatte. Nein es war nicht nur einer, in diesem Dschungel, in dem ich gelandet war, liefen mindestens zehn Tiger aufgeregt auf und ab, als stände ihre nächste Mahlzeit direkt vor ihnen. Ach du Scheiße! Wo verdammt noch mal war Domenic hin? Und warum stand ich in einem Dschungel? Verdammt! Der Tiger der in meiner Nähe stand knurrte mich verheißungsvoll an. Plötzlich schlug die Panik über mir zusammen. Ich stand vor einem Tiger, hinter dem weitere folgten. Und ich machte mir Sorgen wo Domenic war, anstatt mich in Sicherheit zu bringen! War ich eigentlich total hohl? Bevor ich noch weiter nachdenken konnte, machte ich eine saubere Kehrtwende und düste ab in den Urwald aus Grün, Grün und Grün. Ich verfluchte meine Orientierungslosigkeit als ich blind durch irgendwelches Gebüsch rannte um die Tiger abzuhängen, was eigentlich unmöglich war. Komischerweise folgte mir nur ein Tiger. Der, der geknurrt hatte. Wahrscheinlich war er das Rudeltier überlegte ich und als ich mich umblickte, bildete ich mir ein die große Katze hatte soeben die Augen verdreht! Als ich mich wieder nach vorne drehte, rannte ich in vollem Tempo gegen eine Palme. Der Tiger schnurrte zufrieden auf und ich gab mich meinem Schicksal hin.


»Nächstes Mal passt du besser auf!« Die tiefe exotische Stimme des Tigers riss mich aus meiner Bewusstlosigkeit. Moment. Die Stimme des Tigers? Ich riss die Augen auf als ich erkannte, dass der Tiger mit mir gesprochen hatte. War ich schon im Himmel?
»Nein, du bist nicht im Himmel und wenn du nicht endlich aufhörst ein dauernd so einen Schwachsinn zu denken, schlage ich dich wieder bewusstlos!« Ein “OH!“ entschlüpfte mir und ich starrte fasziniert auf den sprechenden Tiger.
»Du redest! Ein Tiger redet! Wahnsinn! Wenn ich das einem Wissenschaftlichen Labor melde, bekomme ich den Nobelpreis!« Der Tiger verdrehte die Augen – ich hatte es mir also doch nicht eingebildet- und ließ sich vor mir auf dem Boden nieder. Ich lehnte an der Palme, gegen die ich dummerweise gerannt war. »Nein nein, es war sehr schön, das du dagegen gerannt bist, sonst hättest du noch weiter so komisches Zeug über mich gedacht.« Er lachte. Böse starrte ich ihn an. Er hatte nicht geschnurrt, weil seine Beute zu Boden ging, sondern weil ich dann endlich keinen Ton mehr von mir geben konnte! Er merkte, dass mir ein Licht aufgegangen war und grinste mich schief an. »Ich bin Luke. Soviel ich weiß bist du Estelle, deshalb riechst du wahrscheinlich auch so komisch.« Nun war ich vollkommen wütend. Ich roch komisch? Vorsichtig hob ich meinen Arm um darunter zu schnuppern, doch ich roch nichts. Obwohl, ich hatte schließlich schon seit zwei Tagen nicht mehr geduscht. »Ich kann nichts dafür! Ich wäre auch gerne daheim und würde duschen, aber Domenic…« Der Tiger schaute auf. »Domenic? Der hat dich doch hierher gebracht?«, fragend blickte er mich an. »Ich kapier überhaupt nichts mehr! Wie er hat mich hierher…«, dabei wies ich auf das viele Grün um mich »…gebracht?« »Du weißt nicht warum du hier im Dschungel bist?« »Nein, weiß ich nicht?«, genervt schaute ich seine Tatzen an. »Hast du schon einmal was von den Shantay gehört?«, fragte er mich. »Ja, gehört schon… aber was sind das?« »Ich bin zum Beispiel einer dieser Shantay. Es sind ebenfalls Gestaltenwandler, die aber nur ihre normale menschliche Gestalt oder die Gestalt eines bestimmten Tieres annehmen können. So wie ich die Gestalt des Tigers annehmen kann.« »Und warum bin ich dann hier?« Ich verstand das Ganze immer noch nicht. »Domenic der Feigling hat es dir also nicht gesagt?« Als er sah, dass ich nicht Antworten würde, fuhr er fort: »Du sollst bei uns lernen, deine Fähigkeiten als Engel zu benutzen und zu beherrschen. Außerdem bist du bei uns sicher, da wir dich vor Broinen beschützen können, die dich im Moment lieber tot als lebendig sehen, bevor die eine wirkliche Gefahr für sie darstellst.«
Ich sollte hier bleiben? Ich wollte doch überhaupt kein Engel sein! Domenic hatte mich angelogen, als er sagte, durch die Tür ginge es nach Hause!
Erschüttert ließ ich den Kopf hängen. Er hatte mich doch nur benutzt! Ich hatte es doch insgeheim gewusst…
»Er hat dich nicht benutzt! Er sorgt sich um dich wie um ein Kind, du solltest ihm danken.« »ICH soll IHM danken?«, empört schnappte ich nach Luft. »Er hat mich doch erst hierher gebracht!« »Ja das schon, aber doch nur, damit du lernst, nicht deine Mitmenschen aus Versehen umzubringen!«
Meine Mitmenschen umbringen?
Ich drehte meinen Kopf zur Seite, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen. Er hatte braun-goldene Tigeraugen. Und obwohl ich nicht hinsah, wusste ich, dass mich diese mit Blicken verfolgten. Deshalb redete ich mit der mir nächsten Palme in meinem Blickfeld. »Ich bringe keine Menschen um…« Schon alleine die Vorstellung, dass mir jemand so etwas zutraute, tat weh. Vor allem wenn Domenic so dachte. Warum tat er mir das an? Was hatte ich ihm getan?
»Du hast ihm nichts ge…« »HÖR VERDAMMT NOCH MAL AUF DAUERND MEINE GEDANKEN ZU LESEN!«, schrie ich ihn an und sprang auf die Beine.
Ich stampfte wütend durch den Dschungel und versuchte den Tiger hinter mir zu ignorieren.
Domenic kann was erleben.
»Ich sagte doch schon, dass das alles nur zu deinem besten ist.« Er merkte, dass ich ihn immer noch ignorierte. Luke beschleunigte sein Tempo und baute sich vor mir auf um mir den Weg zu versperren.
»Hör mal zu. Ich weiß, dass das alles nicht so einfach ist. Aber du musst was unternehmen, sonst wirst dich nicht verteidigen können.«
Er hatte es geschafft, ich blickte nun interessiert in seine Tigeraugen.
»Wie verteidigen?«
»Du kannst mir nicht sagen, dass du nicht schon mal angegriffen wurdest?«
Ich erinnerte mich wieder an diesen Verrückten, der die Kontrolle über meinen Körper hatte und ich schauderte.
»Und gegen solche musst du dich verteidigen. Du hattest unglaubliches Glück, dass Domenic dich retten konnte.« Als ich seine Worte hörte, gestand ich mir ein, dass er Recht hatte.
»Aber ich will doch gar kein Engel sein.«
»Leider kannst du dir das nicht aussuchen. Aber wie gesagt werde ich dir helfen.«, versuchte er mich zu trösten.
»Wenn du willst können wir gleich anfangen.«, grinste er mich an.
»Aber ich sag’s dir gleich, dass es nicht einfach werden wird.«
Ich nickte etwas eingeschüchtert und fragte mich wie schwer das schon sein konnte.
»Also zu Beginn müssen wir dir erst mal richtig Fliegen beibringen. Also dann zeig mal deine Flügelchen und flieg los.«
»Wie? «, fragte ich total verwirrt und betastete meine Schultern um mich zu vergewissern, dass dort keine Flügel hingen.
»Flügel ausbreiten und losfliegen.«, wiederholte er sich.
»Was für Flügel?«
Er lachte laut auf und musste sich sichtlich zusammenreißen.
»Na da müssen wir wohl von ganz vorne anfangen. Also du musst deine Flügel erst mal freisetzen, aber das ist nicht so schwer.« Ich glotzte ihn an um ihm zu zeigen, dass ich nicht wusste was er von mir wollte.
»Schließ deine Augen und suche deine Flügel in dir!«
Ich folgte seinem Befehl und schloss meine Augen. Ich sah in mir ein Durcheinander von Gefühlen, Gedanken und Bildern. Wo sollte ich hier meine Flügel finden?
»Du musst dich nur auf deine Flügel konzentrieren, versuche den Rest auszublenden.«
Ich zuckte vor Schreck zusammen, weil er schon wieder meine Gedanken gelesen hatte.
»Entschuldige, schlechte Angewohnheit.«, brummte er während er sich ein bisschen mehr aus meinen Gedanken zurückzog.
Flügel, Flügel, wo sind meine Flügel. Ich konzentrierte mich und blendete all das Durcheinander aus. Nun war alles leer und ich sah nur noch ein kleines Licht. Ich hing mich daran und versuchte es zu mir zu ziehen. Es funktionierte und das Licht wurde immer größer.
Bis dann mein ganzes Bewusstsein von diesem Licht ausgefüllt war. Mich überkam Schwindel und ich musste dagegen ankämpfen mein Bewusstsein nicht zu verlieren.
Das Licht war überall und ich versuchte es zu kontrollieren. Als ich es dann nach meinem Belieben formen konnte spürte ich einen kleinen Luftzug an meinem Rücken und öffnete vorsichtig meine Augen. Noch von dem Licht geblendet versuchte ich mich wieder in diesem Dschungel zu orientieren. Luke schenkte mir ein zuversichtliches Lächeln und ich betastete meine Schultern. Ich erspürte etwas wunderbar Weiches. Warmes. Ein Schauer lief mir durch die Berührung über den Rücken.
»Sind das meine Flügel?«, fragte ich noch leicht misstrauisch, weil ich es immer noch nicht ganz realisieren konnte.
»Ja das sind sie. Sie sehen wunderschön aus. Darf ich sie mal anfassen?«, fragte er mich vorsichtig. »Ich wollte schon immer mal Flügel berühren.«
Erst mal versuchte ich sie nach meinem Willen zu bewegen und merkte wie schwer es mir fiel. Ich breitete sie mit Mühe aus und genoss den Luftzug der mir durch meine blonden Haare fuhr.
»Na klar.«, bot ich ihm an.
Luke stand plötzlich auf zwei Beinen und ich konnte seine Verwandlung in seine menschliche Gestalt beobachten. In menschlicher Gestalt hatte er immer noch die Anmut des Tigers beibehalten. Er hatte braune Haare und braun-goldene Augen, genau die Farben des Tigers. Verdammt, sieht der gut aus. Mein Mund stand vor Staunen offen und ich glotzte ihn an. Als er wieder in meine Gedanken eindrang fing er an zu grinsen und bedankte sich für das Kompliment. Er bewegte sich langsam auf mich zu und ließ seine Hand sanft auf meinem Flügel nieder. Ich zuckte leicht von seiner Berührung zusammen und er schrak zurück.
»Du hast nichts getan, das ist nur so ungewohnt.« Ich nahm seine Hand und legte sie wieder auf den Flügel und genoss die Berührung seiner Hand auf meinen warmen Flügeln.
Er schloss die Augen und schien die Berührung genauso zu genießen wie ich. Doch dann zog er seine Hand schnell wieder weg und musterte mich von oben nach unten.
»Wow, so einen wunderschönen Engel habe ich noch nie gesehen. Blonde Haare, blaue Augen und weiß-goldene Flügel, die bläulich schimmern. So einen Engel wie dich habe ich noch nie gesehen. Soweit ich weiß haben Engel hier in Tovah auch nur dunkle Flügel.« Ich errötete von seinem Kompliment und drehte mich verlegen weg.
»Ich bin doch gar kein richtiger Engel, nur ein Nephilim«, berichtigte ich ihn.
»Für mich macht das keinen Unterschied, du bist ein Engel. Aber jetzt musst du deine Flügel auch gebrauchen. Versuchs mal!«
Ich stellte mich aufrecht mit dem Rücken zu ihm gewandt, um Platz zum fliegen zu haben.
Dann versuchte ich meine Flügel langsam auf und ab zu bewegen, was mir immer leichter fiel.
Dann hob ich langsam ab und versuchte aufrecht zu bleiben, um meine Balance zu halten. Nun war ich mindestens zehn Meter über Boden und ich geriet in Panik.
Dadurch verlor ich schließlich meine Balance. Das Licht in meinem Geist zog sich zurück und ich stürzte nach unten. Auf den Boden zu. Ein Schrei entfuhr mir und ich öffnete erst wieder die Augen als ich einen Druck an meinem Rücken spürte. »Und gleich noch mal!«, meinte Luke, der mich im Arm hielt. »Ähm ja klar.«, stammelte ich und entwand mich seinen Armen. Ich suchte in meinen Geist und fand erneut das Licht, das ich zu mir zog, bis es ganz groß war und mich vollkommen ausfüllte. Im Geiste bewegte ich die Flügel. Für einen Moment wünschte ich mir, mich in diesem Zustand sehen zu können und bevor ich es verhindern konnte, hatte ich wie bei dem Verrückten und Domenic im Keller meinen Körper verlassen. Ich sah mich selbst und Luke der mich argwöhnisch beobachtete.
WOW!
Ich starrte die wunderschönen, federleichten Flügel an, die meinen Rücken säumten.
Kein Wunder, dass Luke diese berühren wollte…
Ein kleiner Glücksschauer überkam mich. Ich war stolz auf mich selbst. Ich kicherte.
Wie meine Mutter wohl ausgesehen hatte? Domenic meinte doch, ich sei eine Mischung aus Engel und Mensch rief ich mir ins Gedächtnis.
Ich schätzte, dass meine Mutter ein Engel gewesen war und nicht mein Vater. Das wäre mir sonst irgendwie aufgefallen. Ich wand meine Aufmerksam wieder Luke zu, dem langsam aufgefallen war, dass ich in Trance vor ihm stand. Nun wedelte er mit der Hand vor meinem Gesicht herum und rief meinen Namen.
Ich bin so gut!!
Mir kam eine Idee. Ich befahl meinem Geist hinter ihn zu treten. Bewundernd betrachtete ich seinen gebräunten Nacken.
Nicht schlecht, dachte ich mir, riss mich dann aber zusammen. Nicht ,dass er wieder meine Gedanken liest! Im Geiste berührte ich seinen Nacken mit einem Finger und er schrak zusammen. Suchend blickte er hinter sich.
Er war nervös! Er konnte mich nicht sehen!, freute ich mich. So langsam begann mir das ganze Spaß zu machen. Ich nutze die Gelegenheit um in meinen Körper zurückzukehren, mich auf meine Flügel zu konzentrieren und abzuheben. Die Stärke meiner Flügel überraschte mich erneut und ich stieg auf. Luke fuhr herum, als er den Luftzug auf seiner Haut spürte und blickte böse zu mir auf. Ich kicherte innerlich und schenkte dann meine ganze Aufmerksamkeit meinen Flügeln, damit ich nicht wieder abstürzte. Plötzlich sah ich zu dem grellen weiß-gelben Licht auch noch ein bläuliches. Ich griff danach und zog es ebenfalls zu mir heran, bis es mich erfüllte. Ich schlug die Augen auf. Der Dschungel lag in so einer Klarheit unter mir, dass ich leicht zusammenfuhr. Ich hatte meine Sicht gestärkt! »Cool!«, flüsterte ich gegen den Wind an, der meine blonden Haare nach hinten wehte.
Wie komme ich eigentlich vorwärts?, fragte ich mich und versuchte die Flügel in einem anderen Rhythmus zu bewegen. Sofort verlor ich an Höhe, und bevor ich abstürzte, änderte ich den Flügelschlag lieber wieder. Hmmmm… Ich überlegte, während mein Blick auf Luke ruhte, der von hier oben wie eine kleine Spielfigur bei Mensch-Ärgere-Dich-nicht aussah. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf meine Bewegungen. Automatisch verlagerte ich mein Körpergewicht nach vorne und flog auch in diese Richtung. Achso! Na das ist ja einfach! Ich beugte mich leicht nach links und änderte sofort meine Richtung. Ich drehte aus Stolz noch ein paar Runden und nahm mir vor, schließlich wieder zu landen. Nur wie sollte ich landen? Ach egal, sagte ich mir, und hörte über Stelle an der Luke stand, auf mit den Flügeln zu schlagen und ließ mich in dem Wissen, er würde mich auffangen, fallen. Ich genoss das Gefühl der starken Arme in meinem Rücken, als ich leicht gegen sie prallte. Sofort ließ er mich von seinen Armen gleiten und schaute mich böse und zugleich verwundert an. »Also erstens, du musst lernen zu landen, ich fange dich nicht immer auf und zweitens was war das vorhin?« Ich spielte die Unschuldige und blickte verblüfft drein. »Was meinst du?« »Du hast mich berührt!« »Ich stand doch genau vor dir, wie sollte das denn gehen?«, neckte ich ihn. »Das weiß ich auch nicht so genau, aber du hast mich am Nacken gestreichelt!« »Gestreichelt? Das war…mhm, ist ja auch egal, du durftest mich auch berühren, lass mich…« Schmollend schob ich die Unterlippe vor. »Aber du hattest es mir erlaubt und ich dir nicht und außerdem…« »Jaa?«, unterbrach ich ihn. »…außerdem… wie konntest du mich Berühren, wenn du vor mir standest?« »Tja.«, gab ich zurück. Ich würde dies als mein Geheimnis bewahren. Anscheinend war das keine gewöhnliche Fähigkeit von Engeln, denn sonst hätte er bestimmt davon gewusst.
»So, das Fliegen hast du jetzt drauf jetzt kommt der Rest. Deinen Geist zu verschließen.«
»Damit du nicht mehr meine Gedanken lesen kannst!«, ergänzte ich grinsend.
»Ich probier‘s mal aus.« Ich schloss erneut meine Augen und blendete wieder alles außer meine zwei Lichter aus. Ich suchte nach einem neuen Licht, doch dieses Mal war es nicht so einfach. Ich erkannte ein rotes Lichtchen Es war so klein, dass ich es kaum erfassen konnte. Ich klammerte mich regelrecht daran und ließ es in meinem Bewusstsein ausbreiten. Ich war erfüllt von rotem, grellen Licht und fühlte mich sicherer als vorher. Ich ließ das Licht weiter leuchten während ich meine Augen wieder öffnete.
Luke sah mich angestrengt an und versuchte wohl meine Gedanken zu lesen.
Wow ich hab’s drauf.
Luke zeigte immer noch keine Reaktion und ich musste grinsen. Das einzige was ich spürte war ein kleines Kitzeln an meiner Schutzmauer.
»Ich komm nicht durch. Erstaunlich, eigentlich müsste ich noch eindringen können.«
Er runzelte die Stirn und schien überrascht zu sein. »Ist das schlecht?«, fragte ich verunsichert.
»Nein, ich war nur überrascht. Da du ja sozusagen ein Neuling bist, solltest du eigentlich noch nicht so starke Fähigkeiten haben.«
Ich ließ erleichtert das Licht wieder los und merkte wie meine Schutzmauer zusammenbrach. »Aber das ist auch ziemlich anstrengend das Licht die ganze Zeit zu halten.«, erklärte ich ihm während ich mich wieder ein bisschen entspannte.
»Ja das glaub ich, so starke Fähigkeiten erfordern eine Menge Konzentration und Übung. Später wird es dir sicher leichter fallen.«
Ich grinste mich hinein und freute mich, dass alles so gut funktionierte. Bisher war das Engel Sein doch ganz okay, gestand ich mir ein.
»Also das wichtigste hast du jetzt gelernt, der Rest kommt von alleine, da kann ich dir nicht helfen. Ich hoffe ich habe dir geholfen.« Es hörte sich an wie eine Verabschiedung, doch ich wollte nicht dass er geht. Denn sonst wäre ich wieder alleine in dieser Welt.
»Sag Domenic einen schönen Gruß. Vielleicht sehen wir uns noch mal.«, er schenkte mir zum Abschied noch ein Lächeln und wandte sich von mir ab und zu gehen.
»Warte!«, rief ich ihm hinterher. Er blieb stehen und drehte sich zu mir. »Das wollte ich dich schon die ganze Zeit fragen. Domenic meinte die Broinen und die Shantay haben sich zusammengeschlossen. Wieso hilfst du mir dann?« Er musste schlucken bevor er antwortete.
»Ja das stimmt schon. Aber es gibt verschiedene Arten der Shantay. Ich zum Beispiel gehöre zu dem Rudel der Tiger. Dann gibt es noch die Wölfe, die Füchse und die Pumas. Ich glaub es gibt sogar noch mehr. Aber ich habe bisher nur mit diesen Rudeln die Bekanntschaft gemacht.« Ich musste das erst mal verdauen bevor ich nachhaken konnte.
»Und?«, fragte ich ihn, damit er meine Frage beantwortete. »Die Tiger und die Wölfe sind neutral, die anderen haben sich mit den Broinen zusammengeschlossen. Aber die Gestaltenwandler versuchen uns immer wieder auf ihre Seite zu ziehen. Ich befürchte, dass wir das nicht mehr lange aushalten werden. Und die einzige Unterstützung die wir bisher haben sind die Chaya und die Wölfe.«, murmelte er vor sich hin.
»Also meine Unterstützung habt ihr Auf jeden Fall.«, platzte es aus mir heraus und Luke fing schallend an zu lachen.
»Danke«, brummte er. »Das weiß ich sehr zu schätzen.« Er drehte sich mit dem Rücken zu mir, als wollte er etwas vor mir verbergen.
»Entschuldige.«, murmelte er vor sich hin und ich war mich nicht sicher ob ich es richtig verstand. Dann drehte er sich um und das letzte was ich sah, war wie er sich überwinden musste um mir einen Kinnhaken zu verpassen.


7


Schmerz fuhr durch meinen Kopf als ich erwachte. Ich konnte Luke nicht sehen und merkte auch, dass ich nicht mehr an demselben Ort war wie vorher. Überall sah ich Sand, nichts als Sand. Ich bin doch nicht etwa in der Wüste gelandet?
Wie war ich überhaupt hierher gelangt? Was war mit Luke geschehen? Dann sah ich einen Zettel vor mir liegen und ich klappte ihn auf.

Es tut mir leid.

Ich habe dir nun das Grundlegendste beigebracht damit du dich selbst verteidigen kannst. Aber jetzt bist du auf dich selbst gestellt und musst deine Fähigkeiten nun richtig ausbilden. Leider ist das hier der einzige Weg eines Engels. Ich wünsche dir viel Glück.

Luke

»Was zum…« Die Wut aber auch Verzweiflung sammelte sich in meinem Kopf, der jeden Moment zu platzen drohte.
Schließlich schloss ich die Augen und lehnte mich zurück in den Sand, der meine Haut angenehm wärmte. Langsam klang der Schmerz in meinem Kopf ab und mein Gehirn nahm seine Tätigkeiten wieder auf. Ich lag im Sand. Umgeben von Sand und Sand und nochmal Sand. Ich hatte Durst.
Na toll, mitten in der Wüste habe ich Durst..., brummte meine innere Stimme.
Ich stellte mir vor, wie kühles Wasser meinen Rachen herunter rann und stöhnte leise auf.
Auf einmal hatte ich eine Idee. Ich stand auf, und suchte in meinem Geist nach dem grell-weißen Licht, was ich ohne Anstrengung fand. Meine Flügel bildeten sich, was ich an einem Kribbeln der Schultern und des Rücken bemerkte. Langsam versuchte ich, wie zuvor, meine Flügel auszubreiten und zu bewegen und merkte erstaunt, dass alles wie selbstverständlich ablief. Zufrieden hob ich ab und blickte mich in der Luft nach allen Seiten um. Vorne: Sand. Rechts: Sand. Hinten: Sand. Links: Auch Sand! Mir stockte der Atem, als ich merkte, dass ich auf einer Art Insel war, die nur aus Sand bestand. Um die Insel herum war einfach nichts. Überhaupt nichts! Auf einmal kam ich mir sehr verlassen und hilflos vor.
Was sollte Ich denn hier lernen? Sandkörner zählen?
Ich blickte nach unten, wo der Brief von Luke lag. Er hob sich leuchtend gegen den Sand ab. Leuchtend?
Interessiert legte ich zur Landung an, was ich auf einmal, jetzt da ich nicht darüber nachdachte schaffte. Der Brief glitzerte und leuchtete wie ein wertvoller Edelstein aus einem Juweliergeschäft. Vorsichtig berührte ich den Rand des Papiers, der unheimliche Kälte ausstrahlte.
Vorhin, als ich ihn gelesen habe, hat er doch noch nicht geleuchtet!
Vorsichtig untersuchte ich den Brief. Die Vorderseite des Papiers strahlte eine solche Kälte aus, dass ich den Brief in den Sand fallen ließ, wodurch ich ein paar hin gekritzelte Worte auf der Rückseite des Briefes erkannte. Langsam kniete ich mich nieder um die Botschaft besser entziffern zu können:

Du musst an deine Wünsche glauben.

Irritiert drehte ich den Brief um und überflog noch einmal den Text auf der Vorderseite.
Mir wäre der Text auf der Rückseite doch vorhin aufgefallen!
Langsam begriff ich, dass das leuchten und glitzern das Zeichen dafür gewesen war, dass eine neue Nachricht hinzukam.
Luke kommuniziert mit mir!
Ein Freudenschauer durchlief mich und ich fühlte mich nicht mehr ganz so einsam, wie vor 5 Minuten.
Aber was meinte er mit, ich müsse an meine Träume glauben?

Die Zeit verging wie im Flug. Ich saß nun seit mindestens 3 Stunden in diesem öden Sand, der langsam aber sicher meine Füße verkohlte. Genervt ließ ich mich wieder in den Schneidersitz gleiten, damit genau das nicht eintrat. Meine Füße würde ich mit Sicherheit noch brauchen, sagte ich mir. Mein Gehirn hatte genau wie ich keinerlei Lust mehr auf Sand.
Ich hasse Sand! Meine Kinder, falls ich welche haben sollte, werden nie einen Sandkasten bekommen, schwor ich mir im Stillen.
Sehnsüchtig dachte ich an stilles, kaltes Wasser und eine Sachte Briese in meinem Haar. Im Geiste sah ich ein purpurnes Licht.
Noch eines?
Ich konzentrierte mich darauf und sog vor Anstrengung japsend die Luft ein. Meine Hände verkrampften sich und bildeten zwei Fäuste, die sich auf meine Oberschenkel legten.
Wasser! Wind!, nörgelte die Stimme in meinem Kopf. Blöde Erfindung, dachte ich mir und versuchte sie zu ignorieren, was mir aber nicht gelang. Schließlich gab ich es auf und ließ sie nörgeln, während ich das Licht zwanghaft zu mir zog, bis es sich ausbreitete und mir eine Böe durch mein Haar fuhr.
Wind! Wasser!, jubilierte die Stimme und ich schlug verwirrt meine Augen auf. Vor mir lag nicht mehr nur Sand. Vor mir lag eine kleine Oase die von Palmen gesäumt war, welche einen wunderbaren Schatten auf den überhitzten Sand warfen. Die Palmenblätter neigten sich im Wind und ich genoss die sanfte Brise, die mein Haar zurückwehte. Doch als ich genauer hinschaute merkte ich, dass ich mir die Palmen nur einbildete. Ich hatte mir Wind und Wasser gewünscht und auf irgendeine Art und Weise, hatte sich mein Wunsch erfüllt. Ich hatte mir selbst mein Leben gerettet!

Als mein Rausch zu Ende war kehrte ich zur Realität zurück und ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf. Ich widmete mich wieder meinem Körper und merkte, dass ich immer noch Hunger hatte.
»Vielleicht kann ich mir ja was zu essen wünschen«, dachte ich laut und konzentrierte mich wieder auf das purpurne Licht.
Ich stellte mir eine selbstgemachte Pizza vor, so wie sie Marie immer machte und wünschte mir, dass sie vor mir stehen sollte.
Ich öffnete die Augen, aber sah keine Pizza. Ich versuchte etwas Leichteres und dachte an ein kleines Spiegelei. Immer noch nichts.
»Komisch, ich kann mir nichts mehr wünschen obwohl ich mich konzentriere« Ich erinnerte mich an die Stimme, die ich vorhin in mir gehört hatte und suchte nach ihr. Als ihr leises Flüstern erhaschte, versuchte ich sie in den Vordergrund zu ziehen und stellte ihr meine Frage.
Warum kann ich mir nichts mehr wünschen?
Die Stimme antwortete genervt.
Weil du dir Unsinn wünschst.
Ich merkte wie sich die Stimme wieder zurückziehen wollte, hielt sie aber im Vordergrund meines Geistes gefangen. Wieso konnte ich mir nichts mehr wünschen?
Hab ich doch schon gesagt, weil du dir Unsinn wünschst.
Wieso Unsinn? Ich lag im Sand und sprach mit mir selbst, ich musste kichern. In dieser Wüste ist es ja auch kein Wunder verrückt zu werden.
Weil ich dir keinen Unsinn herbeirufen kann. Ich beherrsche nur die Elemente. Und jetzt nerv mich nicht mit deinen unnötigen Fragen.
Ich verlor für einen kleinen Moment meine Konzentration und merkte wie mir die Stimme entglitt.
»Ich kann die Elemente herbeirufen. Also Wind und Wasser. Wow« Ich konnte es nicht glauben und versuchte den Wind zu beeinflussen. Ich fixierte meinen Blick auf das Zentrum Windes und versuchte es nach meinem Willen zu bewegen. Ich schloss meine Augen und versuchte den Wind nach meinen Willen zu bewegen. Doch ich überschätzte mich und dieser Schmerz, der vorher in meinem Kopf war, wurde unerträglich und ich musste meine Augen öffnen um bei Bewusstsein zu bleiben.
»Das lass ich wohl lieber«, lallte ich immer noch benommen von den Kopfschmerzen.
Schwankend stand ich auf und nahm mir einen Schluck Wasser.
Jetzt musste ich es nur noch schaffen von dieser Insel zu verschwinden.
Ich nahm den Brief in meine Hand, suchte nach dem weißen Licht und bekam immer noch einen leichten Schauer als mich meine Flügel berührten. Ich hob ab und suchte mir eine Richtung aus, in die ich fliegen sollte.
Nach etwa zehn Minuten fliegen, war ich schon ziemlich erschöpft aber versuchte mich über Boden zu halten. Dann sah ich endlich etwas aus der Ferne strahlen. Ich kam immer näher und erkannte, dass es eine kleine Hütte war.
Nur wenig über dem Boden zog ich mein Licht zurück in den Hintergrund gleiten und plumpste auf den Po.
»Das Landen muss ich doch noch üben«, befahl ich mir selbst.
Vielleicht ist das ja ein Tor. In mir glühte ein Funken Hoffnung und ich ging auf die Tür zu.
Na toll, wieder Achterbahn fahren. Naja, wenigstens kann nichts mehr rauskommen...ich hab ja nichts gegessen.
Ich legte meine Hand auf die Türklinke, öffnete die Tür und ging mit geschlossenen Augen hindurch.


8


Mein Magen meldete sich, als ich explosionsartig durch die Luft geschleudert wurde. Erschrocken bemerkte ich, dass ich mitten in der Luft war. Panisch erkannte ich erneut irgendeinen Urwald unter mir, der sich nach einem genaueren Blick als der Dschungel herausstellte, aus dem mich Luke weggeschickt hatte. Instinktiv suchte ich mein grell-gelbes Licht und war erleichtert, dass ich fliegen und mich so vor einem Todessturz in die Tiefe bewahren konnte. Langsam kam ich wieder zur Ruhe und drehte einige Runden über dem Riesen-Wald. Nach einiger Zeit entdeckte ich einige Bananenstauden und steuerte eifrig darauf zu. Flügel sind echt praktisch, dachte ich, während ich fliegend eine Banane nach der andern mampfte und mein Magen sich über das Essen freute.
Satt und zufrieden versuchte ich an Ort und Stelle erneut eine Landung, die wie zuvor mächtig in die Hose ging. Mein Licht zog sich so schnell wie ein Gummiband zurück und meine Flügel waren verschwunden, noch bevor ich überhaupt in der Nähe des Bodens war.
»Aaaaaaaaaaaaaaaaaaah« Mit einem Aufschrei, der filmstarreif gewesen wäre, stürzte ich auf Büsche, Wurzeln und seltsame Pflanzen nieder. »Jautsch«, murmelte ich vor mich hin und rieb mir den Allerwertesten. Ich hielt in der Bewegung inne, als ich hinter mir ein Rascheln wahrnahm. Ein Knurren drang an mein Ohr. Ich hatte das Gefühl eines Deja vu’s, als ich mich umdrehte und in die feuchten Augen eines Tigers blickte. »Also gut Luke, was sollte der ganze Scheiß?« Genervt blickte ich ihn an und wartete auf eine Antwort. »Mal ganz ehrlich, ich habe echt keine Lust, noch mal von dir irgendwohin gehext zu werden, nur weil du vielleicht gut aussiehst, was du mit Garantie eben nicht tust und...« Als der Tiger sein riesiges Maul aufriss und ein raues Knurren ausstieß, fiel mir auf, dass er graue Augen hatte. Nicht die schönen attraktiven Gold-braunen Augen wie Luke sie gehabt hatte.
ACH DU SCHEIßE! Zitternd vor Angst, blieb ich stumm und abwartend im Gras sitzen.
Er wird mich fressen, ER WIRD MICH UMBRINGEN!
Panik erfasste mich und ich unterdrückte den normalen Fluchtinstinkt und konzentrierte mich auf den Tiger vor mir. Er kauerte in Angriffsstellung.
Ich bin ein Engel!, rief ich mir in Erinnerung. Was hatte ich alles gelernt?
Ich versuchte mich soweit zu beruhigen, dass ich in mich spüren konnte. Die Lichter der Fähigkeiten, die ich bisher besaß, schimmerten wie ein Regenbogen. Geblendet von ihrer Schönheit bemerkte ich zunächst nicht, dass noch einige Farben fehlten.
Mhmmm... es gab gelb, rot, blau und purpurn...
Grün fehlt!
Die Farbe fiel mir mit einem mal plötzlich ein. Hektisch suchte ich meinen Geist nach einem grünen Lichtfunken ab. Schließlich fand ich das Licht und zerrte an ihm. Widerspenstig wie es war, ließ es sich kaum in meinem Körper ausbreiten und drohte sich jeden Moment wieder zurückzuziehen. Ich betete inständig, dass es mir im Kampf mit dem Tiger helfen würde. Ich schloss die Augen und ließ das Grüne durch mich fließen. Eine unglaubliche Kraft breitete sich in meinem Körper aus und drohte in mir zu platzen. Doch ich schaffte es sie zu zügeln und hielt sie angestrengt fest. Ich öffnete vorsichtig meine Augen und sah den Tiger vor mir, mit aufgerissenem Maul in Angriffstellung. Von den einen auf den anderen Moment sprang er auf und mir entfuhr ein Schrei. »Neeeeeeeeein« Ich duckte mich und hielt die Hände über den Kopf. Doch es geschah nichts. Ich hörte einen lauten Knall und kurz danach ein leises Jaulen. Der Tiger lag auf dem Boden und krümmte sich. Das Licht war wieder vollkommen abgeklungen und der Schwindel breitete sich wieder in mir aus. Ich kippte um und sah nur noch schwarz.

»Uah.«, ich richtete mich auf und fasste mir an den Kopf. »Wieso tut das immer so weh.«, lallte ich noch immer etwas benommen. Vielleicht liegt es nur an der Anwendung und der Übung. Ich ignorierte die Schmerzen in meinem Kopf und suchte nach dem grünen Licht. Dieses Mal versuchte ich aber mir nur ein bisschen von dem Licht zu nehmen. Nur so wenig, dass ich einen kleinen Funken in mir sah. Ich merkte wie sich eine Schutzmauer aus Energie um mich aufbaute. Jetzt bemerkte ich erst, dass der Tiger immer noch neben mir auf dem Boden lag.
»Oh Gott, ich habe ihn doch nicht umgebracht…« Doch ich merkte wie der Tiger in abwechselnden Abständen zusammen zuckte.
Ich widmete mich wieder meinem Licht und hielt meine Schutzmauer konstant. »Es geht doch, ich muss es nur richtig konzentrieren.« Ich ließ das Licht los und bemerkte, dass ich lieber schnell verschwinden sollte, bevor der Tiger wieder erwachte. Ich breitete meine Flügel aus und flog ohne Ziel davon.

Nach einer Zeit, in der ich wirklich nur herumgeflogen war, ohne ein bestimmtes Ziel zu wissen, viel mir wieder ein, dass ich mich ja wieder in dem Dschungel befand, aus dem mich Luke weggeschickt hatte. Also musste er sich irgendwo herumtreiben, überlegte ich. Ich war natürlich scharf darauf ihn erneut zu treffen, da ich noch das ein oder andere Wörtchen mit ihm zu reden hatte. Unter mir sah ich eine Lichtung und beschloss zu landen um ein wenig zu Fuß weiter zu suchen, da meine Flügel anfingen zu schmerzen. Kurz darauf taten mir aber auch meine Füße weh und ich lehnte mich erschöpft an eine Palme und streckte die Beine aus. Eigentlich war es nicht geplant gewesen, doch durch die ganze Anstrengung nickte ich ein und träumte…

Ich saß an einem Sandstrand und blickte aufs weite Meer hinaus. Der Wind lockerte meinen Haarknoten und wehte mir einige meiner langen Strähnen in das Gesicht. Ich genoss die kühle Brise und vergrub meine Hände in den weichen Sand.
»Estelle?« Ich kannte die Stimme und drehte mich deshalb nicht um. Finger berührten meine von der Sonne erwärmten Schultern.
»Domenic.«, antwortete ich und genoss die kleine Liebkosung seiner Finger auf meiner Haut.
»Warum hast du mich zu Luke in den Dschungel geschickt?«
Ich bemerkte wie er sich versteifte. Er gab mir keine Antwort. Das Schweigen kam mir unendlich lange vor und schließlich drehte ich mich dann doch um. Aber anstatt das Domenic unmittelbar hinter mir stand, war es Luke, der mich irritiert anschaute.
»Luke?«
»Estelle, was hast du jetzt schon wieder gemacht? Ich war doch gerade eben noch am jagen… «
»Ich habe jawohl überhaupt nichts gemacht! Wer hat mich denn im Dschungel ausgesetzt? Na?«, provozierte ich ihn und triumphierte darüber, dass er seinen Blick niederschlug und auf den Sand starrte. Moment. Er starrte nicht auf den Sand, hey! Er starrte auf meinen Hintern! Wütend drehte ich mich um, sodass er ihn nicht mehr mustern und ich ihn direkt ansehen konnte. Auf einmal verwandelte er sich in einen Tiger und versuchte nach mir zu schnappen, während ich kreischend aufstand und auf die mir nächste Palme zu sprintete um sie zu erklimmen und mich vor dem Tiger zu retten, der nach mir schnappte wie ein Piranha nach seiner Beute.


Mit einem Ruck kehrte ich in die Realität zurück und ein Tiger schnappte nach mir. Ich sprang in einem hohen Bogen auf die Beine, flog reflexartig in die Höhe und betrachtete den Tiger von oben.
Er glotzte nach oben und gab ein Schnauben von sich. »Das ist doch nicht etwa…«, brachte ich heraus als der Tiger sich in eine Menschengestalt verwandelte. Ich dachte mir, das es Luke wäre und lies mich langsam auf den Boden gleiten – die Landung funktionierte allmählich. Doch als sich der Mann umdrehte war es nicht Luke, ich blickte in das Gesicht eines Fremden. Und jetzt realisierte ich auch dass ich gar nicht mehr im Dschungel war. Der Mann der sich grad zurückverwandelt hatte war auch kein Tiger gewesen sondern ein Puma. Ich glotzte den Mann an und war gelähmt von seinem Blick. Seine Augen waren tiefschwarz und zeigten keinerlei Freundlichkeit.
Ich ging einen Schritt zurück und stolperte beinahe über einen Stein. Der Angstschweiß fing an über meine Stirn zu laufen und ich konnte endlich wieder einen klaren Gedanken fassen. Ich wollte gerade mein Licht holen, als mich der Mann grob am Arm packte.
»Du bleibst schön hier kleine!«
Ich erschauerte von seiner tiefen Stimme und räusperte mich um einen anständigen Ton aus mir heraus zu bekommen.
»Was willst du von mir? Und wo bin ich überhaupt?« Ich schaute mich um und fand mich in der Steppe wieder. Na toll, ist ja auch nicht viel besser als ein Dschungel oder eine Wüste, ärgerte ich mich.
»Ich habe dich aus diesem grässlichen Dschungel geschleppt. Bin ich nicht nett?« Sein Griff wurde stärker und er zeigte mir ein höhnisches Grinsen. Ich hasste diesen Mann jetzt schon.
Sein Lächeln verschwand und konnte mir denken wieso. Denk an Pizza, denk an Pizza. Flüsterte ich in mich hinein, da er anscheinend auch Gedanken lesen konnte. Ich schob die Pizzagedanken in den Vordergrund und nahm mir ein Fünkchen von dem Licht um mich etwas zu schützen. »Was willst du von mir?«
»Ich liebe Engel.« er zeigte mir wieder ein höhnisches Grinsen, sodass seine Zähne weiß hervor blitzten. »Vor allem so hübsche wie du.«
Oh nein, der will mich doch nicht etwa auch fressen. Genau wie dieser andere Spinner.
Ein Adrenalinschub durchfuhr mich bei diesem Gedanken. Ich riss meinen Arm mit einem Ruck los und flitzte so schnell in die Höhe, dass er es gar nicht bemerkte.
Verdutzt stand er nun unter mir und glotzte mich an. Nun entglitt mir ein höhnisches Grinsen. »Nein danke, ich mag keine Pumas.« Ich flog davon, mal wieder ohne Ziel. Ich wollte einfach nur noch weg von hier. Raus aus dieser Welt.
Domenic bekommt einen riesen Ärger.


9


Als ich fast den ganzen Tag geflogen war, gab ich es auf aus der Steppe zu entkommen. Sie erstreckte sich anscheinend meilenweit und meine Flügel versagten allmählich ihren Dienst.
Grummelnd setzte ich zur Landung an und ließ mich unter einem komischen Baum nieder, der aussah wie ein Mann mit einer Afro-Frisur. In Gedanken schmiedete ich Pläne was ich Domenic alles antun würde, wenn ich ihn wieder sehen würde. Diese reichten von Köpfen bis hin zu bestimmte Genitalien zerquetschen. Doch wenn ich ehrlich war, sehnte ich mich sehr nach seiner Nähe und kam mir ohne ihn schutzlos vor, auch wenn ich jetzt meine eigenen Verteidigungsmethoden hatte.

Genervt trat ich einen Kieselstein weg, der vor meinen Füßen auf dem Boden lag. Moment mal…. Ein Kieselstein? In der Steppe dürfte es so etwas überhaupt nicht geben! Ich setzte mich auf und griff nach dem Steinchen um es näher zu betrachten. Es war ein ganz gewöhnlicher Stein. Na toll, sagte ich mir und dachte daran, dass ich wohl nie wieder nach Hause kommen würde. Plötzlich wurde ich in die Luft geschleudert, und fiel danach direkt auf den Boden zu. Ein Schrei entfuhr mir, als sich der Boden auftat und ich erneut durch ein Portal fiel. Als ich irgendwo auf dem Boden aufstieß, keuchte ich vor Schmerz und hielt mir meinen Bauch. Brechen war das letzte was ich jetzt noch gebrauchen konnte. Nachdem ich mich ein wenig beruhigt hatte, schaute ich mich um. Meine Augen weiteten sich, als ich direkt vor meinem Haus stand. Hastig rappelte ich mich hoch und lief auf die Haustüre zu. »Daaaaaad?«, schrie ich, als ich durch die Wohnungstür platzte und erstarrte, als ich den mit Blut überschwemmten Körper auf dem Boden liegen sah. Sofort ich suchte nach meinem Grünen Licht, das mir Schutz bot. Vorsichtig betrat ich den Raum. Ein Rascheln riss mich aus meinen Gedanken, ob das am Boden mein Vater war und ich schnellte herum.
»Marie!«
»Estelle du musst hier raus,…« Ihre Schultern sanken herab und sie blickte mich traurig an.
»Was ist los?« Ich näherte mich ihr mit ausgestreckter Hand und berührte sanft ihre Schulter.
»Lass mich!«, schrie sie und dann: »JETZT!«
Schnell sprang sie zur Seite. Im ersten Moment wunderte ich mich noch, warum sie mich nicht auf meine Flügel ansprach, im nächsten Moment lag ich auf dem Boden und zappelte wehrlos unter irgendeinem Gewicht. Marie lachte. Meine Flügel taten unglaublich weh, da sie beinahe zerquetscht wurden. »Du musst sie nicht mehr lange festhalten, ich will nur noch kurz ein Andenken an ihre wunderbaren Flügel haben, bevor du sie dir vornimmst!« Sie kramte in ihrer Ledertasche, die sie über die Schulter trug und brachte eine viel zu scharfe und lange Schere zum Vorschein.
Oh mein Gott! Oh mein Gott! Ich schrei wie am Spieß und wandte mich zappelnd, als sie mit der Schere auf mich zu kam und sich über mich beugte. »Man Estelle jetzt sei mal ruhig, der erste Engel hat sein Schicksal viel besser aufgenommen als du und stillgehalten!«, fuhr sie mich an und schlug mir auf den Schädel. Ein qualvolles Stöhnen entschlüpfte mir. »So ist es schon viel besser«, meinte Marie. Ein scharfer Schmerz fuhr durch die rechte Flügelspitze durch meinen ganzen Körper und ich war wieder hellwach. Im Geiste suchte ich mein Licht und erschrak, mit welcher Heftigkeit es um mich explodierte. Marie flog an die Wand, an der die Vitrine mit meiner Lieblingstasse hing. Scheiße, murmelte ich, als die Vitrine auf den Boden fiel und es laut schepperte. Grimmig wandte ich mich nun, befreit von dem Gewicht, das mir beinahe die Flügel zerquetsch hatte, um. Ein junger Mann mit einem durchaus attraktiven Gesicht und dunkelblonden Haaren starrte mich an, bevor er sich in einen Fuchs verwandelte und an mir vorbei zischte um das Haus zu verlassen. »Rody!«, brachte Marie heraus, die zusammengesunken an der Wand lehnte. Aha, er heißt also Rody, merkte ich mir. Nun wurde ich wieder auf den Schmerz aufmerksam, der von meinem rechten Flügel ausging und ich fasste hinter mich um ihn zu betasten. Erschrocken stellte ich fest, dass die Spitze fehlte. Meine Alarmglocken standen auf rot und ich verließ für einen Augenblick meinen Körper, um mir das Drama anzusehen. Ich schluckte, als ich mich so dastehen sah. Die Kleider zerfetzt, die Haare wirr von den ganzen Kämpfen der letzten Zeit. Meine Wangen nicht gerötet, sondern eingefallen, weil ich solange nichts gegessen hatte und dann meine einst so wunderschönen Flügel, bei denen nun der eine keine Flügelspitze mehr hatte. Eine helle Flüssigkeit tropfte aus der Wunde. Erschüttert warf ich einen letzten Blick auf mein Äußeres, als mein Blick auf den leblosen Körper hinter mir fiel. Ich trat wieder in meinen Körper ein und lief zu der Person oder das was von ihr übrig war. »Dad?«, schniefte ich und als ich das Gesicht sah, wusste ich, dass ich mich geirrt hatte. Ich blickte in dunkelblaue Augen, die vor Schmerz weit aufgerissen waren. Die zerfetzten Flügel schauten unter seinem schwarzen Seidenhemd hervor. Ich keuchte. »Tja, damit hättest du nie gerechnet, was? Domenic hatte wirklich so schöne Flügel«, sie grinste und hielt dabei ein Stück glänzendes Silberweiß in einen Sonnenstrahl, der durchs Fenster ins Wohnzimmer fiel.
Silberne Flügel. Domenic. Domenic war ein Engel? Wir hatten zusammengehört, wir hätten so viel zusammen erleben können, sie hatte ihn umgebracht!!!
»Du fieses kleines Monster!« Ich stürmte auf Marie zu, die noch immer an der Wand lehnte und drückte ihr die Luft ab. »Du kleine fiese Verräterin, du mieses Schwein! Du hast ihn umgebracht!!!« Tränen verschleierten meine Sicht und ich brach am Boden zusammen. Ich schlug die Hände vor mein Gesicht und weinte, während Marie hell lachte, weil sie mir das wichtigste weggenommen hatte. Meine Zukunft.


»Estelle! Estelle wach auf!!« Im ersten Moment sah ich nichts. Dann sah ich Luke und wünschte mir ich hätte lieber weiterhin nichts gesehen.
»Lass mich in Ruhe!«, schniefte ich und wischte mir mit meinem Arm die Tränen von den Augen. Verwirrt blickte ich mich um. Dschungel.
Och neee, nicht schon wieder!
»Ich lass dich ganz sicher nicht in Ruhe, weil du sonst den ganzen Dschungel zusammen schreist !« Er musterte mich mit wachsamen Blicken. »Sie hat Domenic umgebracht, da darf ich ja wohl schreien!« Wütend schaute ich in schöne braun-goldene Augen. »Wer hat Domenic umgebracht? Der war doch vorher noch bei uns im Lager.«
»Meine Freundin hat ihn umgebracht und er war ein Engel und mir hat sie den Flügel zerstört…« Verstört ließ ich meinen Kopf auf die Knie sinken. »Domenic ist immer noch ein Gestaltenwandler. Wahrscheinlich hast du geträumt.«
»Nein habe ich nicht! Dafür war es viel zu real.« Ich befühlte meinen rechten Flügel und zeigte dann meine Finger Luke. »Siehst du die Flüssigkeit? Die kam aus meiner Wunde am Flügel.« Luke blickte um mich herum. Verwundert hob er die Brauen. »Darf ich?« Als ich nickte, berührte er meinen Flügel und betrachtete die Flüssigkeit, die er von den Federn abgestreift hatte. »Das ist Engelsblut…du kommst sofort mit!« er packte mich und zog mich in seine Arme. »Hey! Was ist denn überhaupt los?« Luke setzte sich mit mir in dem Armen in Bewegung und murmelte, sodass ich ihn nur schwer verstand: »Du hattest einen seltenen Zukunftstraum, der alles beeinflussen kann.« Den Rest des Weges sagte er nichts mehr und ich fragte auch nicht mehr nach, denn erstens war ich zu müde und zweitens fiel dadurch nicht auf, dass ich mich genüsslich an seine warme Brust schmiegte. Manchmal verstand ich mich selbst nicht.
Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich seit einem Tag keinen Schlaf, weder richtiges Essen noch Trinken hatte. Ich war so fertig, dass ich schlaff in seinen Armen hing als wäre ich tot.
»Estelle?«, fragte mich eine sanfte Stimme.
»Hmm?« Mehr bekam ich nicht heraus, da ich diesen Moment der Entspannung so sehr genoss.
»Gut, dass du noch lebst. Du siehst aus wie tot.« »Ja, so ungefähr fühle ich mich auch.« Mehr sagten wir nicht mehr, bis wir an eine kleine Hütte kamen die Mitten im Dschungel stand. Er trat in die Hütte hinein und ließ mich auf ein kleines Holzbett fallen. Die Hütte erinnerte mich an eine Skihütte, die ich damals mit Marie über die Winterferien bewohnt hatte. Ein großer Ofen, der mir in einem Dschungel komischerweise unnötig vorkam, verlieh dem Raum eine beruhigende Atmosphäre. Außer dem Bett standen dort nur noch ein Tisch mit ein paar Stühlen, ein Sessel und einige kleine Schränke. Aus einem dieser Schränke holte sich Luke eine kleine Box heraus und stellte sie neben das Bett. Er kramte darin herum bis er endlich fündig wurde und ein kleines Fläschchen mit einer weißen Flüssigkeit darin herausfischte. Er las sich anscheinend die Aufschrift durch und schien nachdenklich.
Dann nahm er ohne ein Wort zu sagen die Flasche. Öffnete sie und ließ einen klitze kleinen Tropfen auf meinen Flügel fallen.
Schmerz hämmerte in meinen Flügel, der nicht annähernd so schlimm wie die Kopfschmerzen waren, die ich sonst immer verspürte.
Ich krampfte mich ruckartig zusammen und stöhnte dann laut auf als Luke seine kühle Hand auf meine Flügel legte. Er sagte immer noch kein Wort, doch ich konnte sehen, dass er mit mir fühlte. Ich schloss die Augen und lauschte seinem Herzschlag und bekam gar nicht mit dass ich bei dem Lauschen seines Herzrhythmus einschlief.


Ein leises Schnarchen ertönte im Raum. Ich schlug langsam die Augen auf, um zu sehen was dort vor sich ging.
Luke saß am Bett gelehnt und schien noch zu schlafen. Ich musste kichern und rappelte mich auf um meine steifen Glieder etwas zu dehnen.
Doch das erwies sich als schwierig, da ich einen ziemlichen Muskelkater hatte, als hätte ich den ganzen Tag im Fitnessstudio verbracht. Ich öffnete die Tür einen kleinen Spalt und linste hinaus in den Dschungel. Es war tiefste Nacht und stockfinster. Ich wunderte mich, dass es noch Nacht war. Denn als ich eingeschlafen war, war es schon Nacht gewesen.
»Ach mein Engelchen ist endlich mal wach.«, flüsterte er mir ins Ohr. Ich zuckte leicht zusammen vor Schreck und schlug ihm fast mit meinem Ellbogen ins Gesicht.
»Was heißt hier endlich? Es ist doch immer noch Nacht.« Ich drehte mich um und schaute Luke in seine noch verschlafenen Augen. Er strahlte einen unglaublichen Charme aus, selbst wenn er auch noch so verschlafen aussah, sah er total hinreißend aus. Ich musste mich zurückhalten ihm nicht gleich an den Hals zu springen und ihn zu umarmen oder sonstiges.
»Du hast länger als einen Tag geschlafen.«
Jetzt verstand ich auch, wieso meine Glieder so steif und unbeweglich waren.
Ich tastete nach meinen Flügel und war erleichtert, als ich merkte, dass wieder alles dran war.
»Du, wegen diesem Traum. Kannst du mir das mal genau erklären?«
»Also das ist so.«, begann er und setzte sich auf den Boden. Ich schloss mich ihm an und setzte mich neben ihn.
»Du schläfst und hast einen Traum. Und dieser zeigt dir was in der Zukunft geschehen wird.«
»Und wieso war dann mein Flügel verletzt wenn das alles nur ein Traum war?«
»Das ist halt das heikle an so einem Traum. Du nimmst an dieser Vision teil, als würde es gerade passieren. Ich habe mal gehört, jemand ist in so einem Traum sogar gestorben.« Ich musste schlucken und war unendlich dankbar, dass mir nicht so etwas zugestoßen war.
»Also hab ich jetzt sozusagen in die Zukunft gesehen?«, hakte ich noch weiter nach um auch alles zu verstehen. »Nein, das war nur ein Traum beziehungsweise eine Vision, die dir gezeigt hat, was in der Zukunft passieren kann. Das heißt du kannst sie noch ändern, wenn du richtig handelst« Ich blickte aus einem Fenster heraus in die Nacht und wünschte mir, dass ich die Zukunft ändern konnte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen Domenic nicht mehr bei mir zu haben. Ich stand auf, öffnete die Tür und lief zielstrebig in den Dschungel hinein.
»Warte!«, Luke sprang auf und trottete mir hinterher. »Wohin gehst du?« Ich lief weiter und suchte mir eine Lichtung in der ich hinausfliegen konnte. »Ich gehe nach Hause.«
»Wie du gehst nach Hause?« Ich musste schmunzeln und blieb stehen. »Ich bin schon seit was weiß ich wie vielen Tagen in dieser gottverdammten Welt und will einfach nur noch nach Hause. Mein Vater bekommt sonst noch einen Herzinfarkt.« Mit dem letzten Wort breitete ich die Flügel aus, die noch etwas schmerzten, und flog davon. Luke stand unter mir wie angewurzelt und mir tat es etwas Leid, ihn einfach so stehen gelassen zu haben.
Aber ich wollte einfach so schnell wie möglich weg von hier, nach Hause.
Jetzt musste ich nur noch ein Tor finden, aber eins, dass mich in meine Welt zurückbrachte. Ich erinnerte mich, wie Domenic das Tor gefunden hatte und versuchte einfach das Gleiche. In Gedanken suchte ich nach einem Tor zur anderen Welt und wurde schneller fündig als ich dachte. Ich flog zielstrebig in die Richtung und war auch schon nach fünf Minuten an einer kleinen gelben Hütte angelangt. Ich landete, ging auf die Tür zu und schritt hinein. Auch wenn ich das Gefühl nun bereits mehrere Male durchlebt hatte, zog sich mein Magen erneut zusammen und dieses Mal erbrach ich mich dann doch. Viel kam nicht heraus, doch Gallenflüssigkeit war für mich immer noch ZU viel. Angewidert von meiner eigenen Hinterlassenschaft schaute ich mich um und fing an zu strahlen, als ich endlich mein Haus wieder sah. Freudestrahlend dachte ich an meine Lieblingstasse, mit einem Kaffee aus meiner alten Kaffeemaschine, an ein heißes Bad in meinem kleinen Badezimmer und an Dad’s eigentlich ganz gut schmeckende Spiegeleier. Mit diesen wunderbaren Gedanken klingelte ich und streifte dabei unbewusst mit meinen Flügeln den Türrahmen.
Mist! Meine Flügel! Erst jetzt erinnerte ich mich daran, dass mir niemand gezeigt hatte, wie meine Flügel wieder verschwanden! Hastig drehte ich mich um und suchte den Schutz eines Busches auf der anderen Straßenseite. Traurig beobachtete ich, wie mein Dad ein wenig zu schnell die Tür öffnete, und danach mit trauriger Miene wieder verschloss. Ich wusste dass er mich erwartete. Eilig überlegte ich wie ich meine Flügel herbeiholte. Das weiße Licht! Meine Augen fielen wie von selbst zu und ich sammelte im Geiste mein weißes Licht und ließ es an seinen Ursprungsort zurückkehren. Zu dem Regenbogen in mir. Das Licht verschwand und mit ihm meine Flügel. Erleichtert tastete ich hinter mich um ganz sicher zu sein, dass ich nicht doch als Engel in den Straßen herum lief. Meine Hände fanden keine Hindernisse an meinem Rücken und so machte ich mich erneut zum Haus auf um meinem Vater genau zwei Sekunden später heulend in den Armen zu liegen.
»Wo warst du verdammt noch mal so lange?«
Vor lauter weinen, schniefen und Nase putzen bekam ich erst einmal keinen Ton heraus. Dann nahm mein Gehirn seine Arbeit schließlich doch wieder auf und ich fragte ihn erst einmal wie lange ich weg gewesen war.
»Du warst ungefähr eineinhalb Monate verschwunden! Die ganze Stadt hat nach dir gesucht, ich und Marie haben Suchblätter überall verteilt…aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben…«, er lächelte mich müde an.

10


»Dad wir müssen reden.«, sagte ich, während ich uns jedem einen Kaffee machte. Ich hatte frisch gebadet, etwas gegessen und meinen kuscheligen Bademantel angezogen.
Kurz: Ich fühlte mich Pudel-wohl.
»Ich weiß.«, antwortete mein Vater mit gesenktem Blick, der auf die Tischplatte vor ihm gerichtet war. »Also gut, schieß los…« Neugierig setzte ich mich neben ihn auf einen Stuhl und reichte ihm seine Tasse mit Kaffee.
»Also, was du sicher schon weißt ist, das du ein Engel bist. Deine Mutter war ebenfalls von dieser Gattung und deshalb bist du praktisch gesagt ein Halbblut. Deine Mutter hatte besondere Fähigkeiten, die andere nie hatten… ich weiß nicht ob du ein paar von diesen schon entdeckt hast oder nicht, dabei kann ich dir leider nicht weiterhelfen…« Er schaute mich fragend an und als ich nickte, um zuzustimmen, dass ich soweit Bescheid wusste, fuhr er fort.
»Vielleicht hast du auch schon etwas von den Gestaltenwandlern gehört… ich schätze aber schon, da du ziemlich viel Kontakt mit Domenic hattest.« Empört schnappte ich nach Luft.
»Dad, hast du mir etwa hinterher spioniert?!«
Er antwortete nicht sondern redete einfach weiter. »Was jetzt kommt, ist schlimm und ich bitte dich mir zu verzeihen, auch wenn es vielleicht schwer ist, aber du bist mir unendlich wichtig und dich auch zu verlieren wäre unerträglich für mich…« Verwirrt blickte ich ihn an. Warum sollte ich ihn nicht mehr mögen?
»Du warst vier Jahre alt, als deine Mutter starb…«
»Was ich dachte sie starb bei meiner Geburt!?«, unterbrach ich ihn.
»Moment, lass mich einfach erzählen«, er hob die Hand um meine Fragen abzublocken.
»Also… es brach ein Krieg zwischen Gestaltenwandlern und Engeln aus, als du circa dreieinhalb Jahre alt warst. Dabei wurde deine Mutter umgebracht. Du hattest damals einen Gefährten oder naja besser gesagt einen Spielkameraden, der alles für dich getan hätte…« fragend schaute ich ihn an. »Domenic, war es.« Geschockt schaute ich ihn an.
Was hat er gesagt? Domenic? Ich kannte Domenic schon? »Er hatte damals noch nicht so ausgereifte Fähigkeiten wie heute. Gestaltenwandler können unter anderem Gedanken verändern. Damals konnte er es nicht, so dass er dir dein gesamtes Gedächtnis gelöscht hat.«, er blickte mich mit trübem Blick an. »Aber warum hat er mir das Gedächtnis gelöscht?« Das erklärte zumindest, warum ich mich nicht an meine Mutter erinnern konnte, sodass mich mein Vater über ihren Tod hatte anlügen können.
»Ich habe ihn dazu gezwungen, weil du deine Mutter ermordet aufgefunden hast…« Bei dieser Erinnerung rannte eine Träne über sein Gesicht.
Ich hatte meine Mutter ermordet aufgefunden?
»Ich habe sie tot aufgefunden?« Ich musste schlucken und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ja. Und du warst erst dreieinhalb Jahre alt. Du hattest es noch nicht verstanden. Aber ich wollte nicht, dass du dein ganzes Leben an diesen schrecklichen Augenblick denken musst.« In diesem Sinne war ich meinem Vater unendlich dankbar. Ich wäre nie damit klargekommen, meine Mutter tot aufgefunden zu haben. Doch andererseits war ich zutiefst enttäuscht, dass er mir alle meine Erinnerungen an meine Mutter genommen hatte. Dadurch konnte ich mich nicht mal an schönes erinnern. Ich hatte es gehasst wenn Marie von ihrer Mutter sprach, denn ich wollte auch so schöne Erinnerungen haben. Natürlich habe ich ihr nie gesagt, dass mich das störte. Aber ich gönne es ihr auch, dass sie eine so wunderbare Familie hat. Eine größere Schwester und noch einen kleinen Bruder. Ihre Eltern sind schon seit dreißig Jahren verheiratet und sind immer noch glücklich. So ein schönes Familienleben gab es nicht oft. Das einzige was Marie fehlte war ein Freund, der bei ihr war und den sie lieben konnte. Denn bisher hatte sie immer Pech im Liebesleben, das hatten wir beide gemeinsam. Entweder hatte sich der Mann doch als hoffnungslos erwiesen oder er war fremdgegangen. Doch komischerweise tendierten die Männer eher zum zweiten. Schon seit der Uni hatten wir beide es nun aufgegeben eine Beziehung aufzubauen. Beziehungsweise auf Männer einzugehen.
Doch jetzt war ich froh, dass wir beide keinen Freund hatten. Das würde alles nur noch komplizierter machen.
»Estelle?« Mein Vater riss mich aus meinen Gedanken und ich versuchte das Thema zu wechseln.
»Kannst du mir bitte endlich verraten wieso du mich damals verlassen hast?«
»… Ich hatte dich verlassen weil es kurz vor deinem 18. Geburtstag war. Denn mit achtzehn fängst du an deine Fähigkeiten als Engel zu entwickeln. Man konnte also schon ab achtzehn erkennen. dass du ein Engel bist. Doch nur wenige, gut Erfahrene hätten dich erkennen können. Und das auch nur, wenn du hervor stechen würdest. Also so wie in der Zeitung oder im Fernseher. Oder durch mich.«
»Wie durch dich?« »Naja das ist so…«, begann er und holte tief Luft. »Die andere Welt kennt mich ja schon, ich bin auch immer in Kontakt mit ihr. Also wäre ich bei dir geblieben, wären sie auf dich aufmerksam geworden. Und das wollte ich verhindern.« Er blickte mich an um sich zu vergewissern, dass ich ihm zuhörte. Ich nickte um ihm zu zeigen, dass ich alles verstanden hatte. »Wieso hattest du mir nicht schon früher erzählt, dass ich ein Engel bin. Dann wäre mir das alles hier viel leichter gefallen« Ich fing wieder an zu weinen, weil das alles so unbegreiflich aber auch so verständlich war. »Aber warte mal. Du bist doch sterblich oder? Wie konntest du dann mit meiner Mutter zusammen sein?«, fragte ich ihn.
»Ich habe dem Gericht oft bei Problemen geholfen, deshalb hatte das Gericht eine Ausnahme gemacht und mich als Gefährten deiner Mutter akzeptiert.«
Ich ließ mir kurz seine Worte durch den Kopf gehen und fuhr mit meiner Fragerei fort.
»Was genau war denn mit Domenic?«
»Du meinst als du klein warst?« Ich nickte als Antwort. »Er war dein bester Freund. Er war jeden Tag bei dir und hat mit dir gespielt. Du kennst ihn also schon seit du geboren wurdest. Der kleine war echt süß. Er ist jeden Tag von zu Hause ausgebüchst um dich zu besuchen. Aber als er deine Erinnerungen verändern wollte, war er erfüllt mit Schuldgefühlen. Denn als er merkte, dass er deine Erinnerungen nicht nur verändert sondern ganz und gar gelöscht hatte war er enttäuscht von sich selbst und konnte sich nie verzeihen was er dir angetan hatte. Selbst heute nicht. Estelle glaub mir, es tut mir alles unendlich leid.«
»Das weiß ich doch. Aber wenigstens weiß ich jetzt woher das Gefühl herkommt, dass ich ihn irgendwo zuvor schon mal gesehen hab.« Ich wollte endgültig mit der Vergangenheit abschließen und war froh, dass mein Vater mir endlich alles erzählt hatte. Wobei ich auch etwas sauer auf ihn war, weil er mir so vieles verschwiegen hatte. »Wie geht es Marie?
»Ihr geht es gut, doch sie macht sich schreckliche Sorgen um dich. Du solltest dich mal bei ihr melden.«, antwortete mein Vater, der immer noch total müde und fertig aussah.
»Was ist mit Domenic?« Ich musste ihn einfach wieder sehen. Es war schon solange her. Ich gestand mir ein, dass ich ihn ziemlich vermisste und schämte mich nicht dafür.
»Er hat mich jeden Tag besucht.«, erzählte er und fing an zu grinsen. Leicht irritiert starrte ich ihn an und grinste einfach zurück.
»Er hat sich tierische Sorgen um dich gemacht und mich jeden Tag gefragt ob du der Herausforderung gewachsen bist. Gestern war er auch hier und war kurz davor in die andere Welt zu gehen um nach dir zu sehen. Doch ich hab ihm gesagt, dass du es schaffen wirst.« Mein Herz schmolz dahin und ein warmes Glücksgefühl erfüllte mich, als ich hörte, dass Domenic mich vermisste und sich um mich sorgte. Mein Vater schien das zu bemerken und fuhr fort. »Er mag dich sehr Estelle.« Ich glaubte seinen Worten, doch ich war ziemlich sauer auf Domenic gewesen, weil er mich mir nichts dir nichts einfach alleine gelassen hatte.
Doch jetzt wo ich wieder zu Hause war, war das Gefühl so gut wie verflogen. Ich wollte ihn wieder sehen und ihn in meine Arme schließen. Ihm sagen wie sehr ich ihn vermisst hatte.
Nein, nein. Das lässt du schön bleiben. Er soll sich gefälligst bei dir entschuldigen.
Ich schüttelte in Gedanken den Kopf und regte mich über meine naiven Gedanken auf. Diese Naivität hatte mir schon damals viel Pech bei den Männern gebracht. Deshalb durfte ich nicht wieder rückfällig werden.
Ich stand auf und trank den Kaffe in einem Zug leer, da ich ihn während des Gesprächs nicht ein einziges Mal angefasst hatte.
»Ich geh jetzt zu Marie.«, erklärte ich ihm und ging durch die Tür hinaus in meine eigene Welt.
Was zum Teufel soll ich Marie bloß erzählen, warum ich solange weg war.
Ich beschloss im Auto, in Maries Praxis zu fahren, da sie um diese Uhrzeit noch gar nicht zu Hause sein konnte. Es war drei Uhr mittags, eine Zeit in der sich die Früh- und Spätschichten bei ihr überkreuzten.
Nach etwa zwanzig Minuten Auto fahren war ich an der Praxis angekommen und war ziemlich nervös als ich die Praxis betrat. Ich ging an den Tresen und erkundigte mich bei der Arzthelferin nach Marie.
»Ist Marie gerade zu sprechen?«, fragte ich Nicole, die mich schon von etlichen Besuchen kannte.
»Nein tut mir leid, die hat Urlaub. Sie kommt erst nächste Woche wieder.«
Ich verließ die Praxis und war verwirrt. Marie hatte sich immer nur zeitgleich mit mir Urlaub genommen.
»Dann muss sie wohl zu Hause sein.«, murmelte ich vor mich hin während ich mich auf den Weg nach Maries zu Hause begab.
Dort angekommen fing mein Herz wieder an zu klopfen und ich klingelte an ihrer Tür.
Niemand machte auf. Ich versuchte es noch einmal und drückte dieses Mal etwas länger auf die Klingel. Dann hörte ich Schritte und atmete erleichtert auf, als die Türklinge heruntergedrückt wurde. Doch derjenige der die Tür öffnete war nicht Marie, sondern ein mir allzu bekannter Mann, den ich zuvor schon einmal gesehen hatte. »Ja bitte?«, hörte ich seine raue Stimme fragen, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.


11


»Ähm, ist Marie da?«, fragte ich zögerlich. Er nickte und rief nach Marie, die nach ungefähr einer Minute die Treppe herunter gepoltert kam. Nur mit einem Bademantel bekleidet! Entsetzt schaute ich sie an.
In dem Fall nehme ich das zurück, was ich vorher über Marie im Bezug auf Beziehungen gesagt habe, dachte ich mir und musterte sie argwöhnisch. »Estelle!!« Marie rannte auf mich zu, riss mich in ihre Arme, was den Bademantel, der eh schon mehr knapp als alles andere war, verrutschen ließ. Es dauerte eine Weile, bis sie sich beruhigt hatte und aufhörte meine Schulter zu durchweichen.
Naja, sie hatte sich ja eine schöne Beschäftigung in der Zeit gesucht, als ich weg war. Ein bisschen sauer war ich schon. Ich ließ mich nur ungerne ersetzten. Auch wenn der Mann extrem heiß war. Doch dank meiner Zukunftsvision wusste ich es besser.
Ein Gestaltenwandler...aha... na toll jetzt hatte Marie auch einen. Deprimiert darüber, dass ich schon wieder an Domenic gedacht hatte, musterte ich gründlich die Türschwelle auf der ich stand und nicht wusste wie ich mich weiter verhalten sollte. Offenbar merkte er ebenfalls, dass ich nicht ganz unwissend war... oder ich bildete mir nur ein, dass er mich ziemlich offensichtlich Dauer-anschaute.
»Achso, komm doch rein!«, unterbrach Marie das Schweigen und trat ein Stück zur Seite, um mich herein zu lassen. Ich schlüpfte durch die Türöffnung und betrat ihre freundlich eingerichtete Wohnung. Ich lief schon mal vor ins Wohnzimmer, das ich wie mein eigenes betrachtete und setzte mich auf meinen hellgrünen Lieblingssessel. Marie und der Fremde, der mir ja nicht fremd war, folgten mir und taten mir es gleich, indem sie sich auf dem hellgelben Sofa niederließen. »Also, wo warst du solange?«, platzte Marie heraus. Da ich nicht wusste, in wie weit ich dem Mann trauen konnte, antwortete ich zurückhaltend. »Ich musste dringend weg, es ging um einen Klienten.« Marie zog die Augenbrauen hoch und ich wusste, dass sie wusste, dass ich sie anlog.
»Oh, natürlich!«, rief sie und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Man, das hatte ich ja total vergessen!« Entsetzt drehte sie sich zu dem Mann um und verdrehte die Augen. »Schatz, denkst du ich werde schon dement?« Ohje! Meine schlimmsten Befürchtungen sind eingetreten! Sie hat schon ein Verhältnis mit ihm!, murmelte ich vor mich hin. Der Mann schaute mich empört an, als hätte er alles genau verstanden und ich zuckte mit den Schultern. Marie drehte sich wieder zu mir und spielte weiterhin mit.
»Es tut mir leid, dass ich deinen Vater so nervös gemacht habe, nur weil ich vergessen habe, dass du geschäftlich wegmusstest! Ich bin so dumm!« Langsam machte ich mir echt Sorgen, denn das was sie an Schauspielerei fabrizierte klang ziemlich echt. Schuldbewusst fing sie an zu schniefen und meinte dann weinerlich: »Und ich dachte schon, du wurdest von diesem Verrückten entführt oder schlimmeres!« Jetzt war ihr Schmerz mit Gewissheit nicht mehr gespielt und ich stand auf und nahm sie in die Arme. »Du Dummerchen, jetzt bin ich ja wieder da und mir geht’s gut.« Ich lächelte ihr aufmunternd zu und sie hörte nach einem kräftigen Schniefen in das Taschentuch, das ihr Freund ihr gab, auf zu weinen. »Ach ich habe euch noch gar nicht einander vorgestellt.«, kicherte Marie mädchenhaft. »Estelle, das ist Rody. Rody, das ist Estelle meine beste Freundin.« Wir nickten uns zu und in sein ohnehin attraktives Gesicht, das von dunkelblonden Haaren umrundet wurde, stahl sich ein ihn noch attraktiver machendes Lächeln, als er mir die Hand reichte. Er hatte einen angenehmen Händedruck und sah sehr sympathisch aus. Ich hatte nicht die geringsten Zweifel, dass er genau der richtige für Marie war, aber wegen meiner Zukunftsvision war ich auf der Hut. »Naja, ich geh dann mal wieder, Ich will euch ja nicht stören.«, ich stand auf, immer noch schlaff von der langen Reise. »Nein, du störst nicht. Du kannst ruhig hier bleiben. Du warst jetzt solange nicht da!« Maries Bitte war aufrichtig, doch ich konnte an Rody’s Blick erkennen, dass er nicht gleicher Meinung war.
»Nein schon okay, ich wollt nur kurz bei dir vorbeischauen um dir zu zeigen, dass ich wieder da bin. Außerdem hab ich noch einiges zu erledigen.« Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und schenkte ihr eine kurze Umarmung als Abschied. Dabei beäugte ich Rody noch einmal und beschloss, dass er nett war und ich mir erst mal keine weiteren Gedanken über den Traum machen musste.
Ich schloss die Tür hinter mir und atmete tief durch. Ich hoffte, dass es dieses Mal klappen würde mit Marie und ihrem Freund.
Weiß sie eigentlich, dass er ein Gestaltenwandler ist?
Erst jetzt schoss mir diese Frage durch den Kopf. Doch ich war der Meinung, dass dies unmöglich war und machte mich auf den Weg nach Hause. Kurz bevor ich zu Hause war bekam ich plötzlich fürchterliche Kopfschmerzen und war froh als ich endlich zu Hause angekommen war. Meine Beine wollten mich fast gar nicht mehr tragen und ich war kurz davor im Stehen ein zu schlafen. Wieso bin ich plötzlich so müde?
Ich hatte es bis zur Haustür geschafft und schloss sie mit großer Mühe auf. Ich stolperte in die Wohnung und plumpste auf den Boden.
Jemand kam angelaufen und packte mich an den Armen. Doch ich konnte ihn nicht erkennen, weil mein Kopf schlaff an meinem Körper herunter hing. »Hey, was ist los? Ist irgendwas passiert?« Jetzt erkannte ich die Stimme und mir wurde es warm ums Herz. Ich riss mich zusammen und richtete mich auf während Domenic mich stütze. »Nein, ich bin nur plötzlich so müde und schlapp.« Kaum waren diese Worte ausgesprochen, nahm er mich schon sanft in seine Arme. Wir beide schwiegen für einen kleinen Augenblick, wofür ich sehr dankbar war, weil ich diesen Moment so sehr genoss. »Ich dachte schon, dir wäre etwas zugestoßen.« Ich musste kichern und freute mich über seine Besorgnis, doch innerlich schlug ich mich dafür.
»Wieso bin ich denn so müde?« Langsam lockerte er seinen Griff und half mir, mich auf die Couch zu setzen. »Du bist heute erst wieder gekommen oder?« Ich nickte als Antwort und machte mich auf der Couch breit, um mich etwas zu entspannen. »Das ist üblich. Das Reisen von der einen in die andere Welt ist für den Körper sehr anstrengend. Deshalb muss sich der Körper erst mal daran gewöhnen.«
»Aha, und wann gewöhnt sich der Körper daran?« Domenic fing an, an meiner Hose Fusel ab zu zupfen während er antwortete. »Nach dem zweiten oder dritten Mal solltest du es geschafft haben.« Na toll, ich hab genug vom Achterbahn fahren. Ich schauderte bei der
Vorstellung.

Nachdem ich – peinlicherweise- vor Domenic‘s Augen auf der Couch eingeschlafen war, wachte ich dann alleine gelassen wieder auf. An der Dunkelheit, die den Raum füllte, konnte ich erkennen, dass es mitten in der Nacht sein musste. Mein Bauch knurrte laut und ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Schon war ich auf den Beinen und auf dem Weg zum Kühlschrank. Währenddessen dachte ich über Rody und Marie nach. Auch wenn er mir in meiner Zukunftsvision eine Gefahr bedeutete, so war er mir doch sympathisch und ich hatte nicht vor ihn zu ignorieren und damit dann auch Marie zu verärgern. Sie wirkte so offen ihm gegenüber. So glücklich.
Und wenn sie glücklich mit ihm ist, ist er gut für sie, entschied ich und wand mich schließlich einem noch angenehmeren Gedankengang zu: Domenic. Meine Hand fuhr über den Handgriff des Kühlschranks in der Küche, öffnete ihn und musterte kritisch dessen Inhalt. Dad hatte schon immer nachts die merkwürdigsten Sachen gegessen und ich war eigentlich kein Deut besser. Also schnappte ich mir eine Hand voll Mini-Schokolädchen und lehnte mich zufrieden mit meiner Eroberung mit dem Rücken an die Arbeitsfläche in der Küche. Domenic war vorhin da gewesen und hatte mich aufgefangen. Er hat mich vielleicht vermisst… mhm ja ganz vielleicht und eventuell…
»Ja hab ich…« Ich hatte die Schritte seitlich von mir überhaupt nicht gehört und schrak zusammen, als sich eine Hand auf meine Schulter legte, begleitet von den Worten, die in mein Ohr drangen. Mein Gehirn weigerte strikt seinen Einsatz und so gab ich schließlich seufzend auf, ihm klar zu machen, dass er mich tatsächlich vermisst hatte.
»Domenic…«, erwiderte ich knapp und drehte ihm mein Gesicht zu. Seine Gestalt schien mir verschwommen, was an dem Mondlicht lag, das ihm im Rücken stand und gegen das ich blicken musste. Ich unterdrückte einen Seufzer und versuchte nicht zu viel von dem >Ich- himmel- dich- sowas- von- an- Blick< zu zeigen. Er lächelte und strich mit der Hand die eben noch auf meiner Schulter gelegen hatte ein Stück meinen Hals hinauf. Ich versteifte mich und hielt den Atem an. Tausende kleine Elektrostöße strömten durch meinen Körper und ich versuchte vergeblich zu kontrollieren, mich an seine Brust zu werfen. Also stand ich stattdessen stocksteif an der Arbeitsfläche und glotzte ihn böse an, weil ich ihn ja nicht anhimmelnd anschauen wollte. Man war das alles kompliziert! Seine Hand wanderte weiter zu meinen Lippen und streichelte sanft – ach quatsch was heißt denn schon sanft! – streichelte UNBESCHREIBLICH darüber.
Oh mein Gott, ich will sterben! Lasst mich sterben!, weinte ich innerlich und versuchte meinen Kopf wegzudrehen. Es zerbrach mir das Herz zu wissen, dass ich diesen Menschen noch nicht einmal küssen konnte, nur weil er kein Engel ist. »Domenic, bitte hör auf…«
Domenic hob mein Kinn an, sodass ich ihm in seine wunderbaren dunkelblauen Augen schauen musste.
»Es gibt eine Möglichkeit, auch wenn ich kein Engel bin…« Ich riss die Augen auf.
Waaas? Warum sagte er das denn jetzt erst?? Ich wiederholte laut meine Gedanken und er grinste. »Weil ich bis jetzt nicht daran gedacht habe.«, erwiderte er leichthin und grinste noch mehr. Ich trommelte nervös mit den Fingern auf die Arbeitsfläche und platzte beinahe vor Neugierde. »Jetzt sag schon!«, brach es aus mir heraus. Domenic drehte sich zur Seite und lehnte sich neben mich gegen den Kühlschrank. Bedenklich hob er die Augenbrauen. »Also, das ist aber gar nicht so ohne… ich muss einen Antrag an das hohe Gericht stellen. Die müssen alles prüfen und dann genehmigen, dass wir beide… nun ja«, er lächelte schief. Ich wurde rot und war froh, dass es dunkel war und es Domenic so nicht bemerkte. »Was passiert eigentlich wenn wir uns… wenn wir uns trotzdem küssen?« Die Frage kam beinahe lautlos über meine Lippen und ich schämte mich so ungeduldig zu sein. »Probiers doch.«, neckte er mich und ich tat ihm den Gefallen, schon um meinen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ich lächelte schon beim Gedanken an seine Lippen und gab mich schließlich ganz hin. Vorsichtig hob ich den Kopf, schaute noch einmal in seine Augen und unterdrückte das plötzliche Bedürfnis wegzulaufen. »Blöde Schranken!«, murmelte ich und dann berührten sich unsere Lippen. Ganz leicht. »Ahhhhhhhh!« Ich wurde wie von Geisterhand zurück geschmissen und krachte gegen den Esstisch. »Aua,«, murmelte ich und rieb mir den Rücken. Domenic lachte, kam auf mich zu und half mir hoch. »Das ist verdammt noch mal nicht witzig! Du gehst jetzt sofort dieses Ding beantragen, sonst sterbe ich freiwillig…« Trotzig reckte ich das Kinn und freute mich, dass ich seit ich ein Engel war, keine großen Schmerzen mehr litt. Ansonsten hätte ich sicher über eine Woche Rückenschmerzen. »Das geht nicht so schnell…Ich muss erst einmal dorthin gelangen… und dann ist fraglich ob sie den Antrag überhaupt genehmigen. Außerdem darf es keine Mit-Werber geben.« Bei den letzten Worten schaute er mich abschätzend an.
»Was schaust du mich jetzt so an? Ich hatte seit der Uni keine Beziehung mehr! Ich glaube kaum, dass mir gleich mehrere Gestaltenwandler hinterher rennen und einen Antrag an das hohe Gericht stellen nur weil sie mich küssen wollen… oder anderes.«, erklärte ich ihm. »Tja… so wie ich gehört habe, hast du Luke ganz schön angemacht als ich nicht da war.«
Empört schnappte ich nach Luft. »Ich habe Luke überhaupt kein bisschen angemacht und wenn schon dann war es nicht absichtlich!« Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Was sollte ich denn mit Luke? Klar er sieht gut aus und naja er … STOPP!, ermahnte ich mich und blickte Domenic erneut an. »Das glaubst du doch selbst nicht, oder?«
»Nun… er meinte er durfte deine Flügel berühren, schon zwei Mal sogar…«
Meine Alarmglocken klingelten und ich war mir nur allzu bewusst, dass das ein heikles Thema war. Flügel berühren galt als sehr intime Berührung in Tovah und ich hasste mich dafür, dass das missachtet hatte. »Das ist mir doch total egal.«, redete ich mich raus, »Von mir aus darfst du sie ablecken oder eine Feder davon haben um sie über dein Bett zu hängen oder weiß Gott was! Das eine Mal durfte er sie berühren, weil er sie so schön und selten fand und das andere Mal, weil das mit der Zukunftsvision war, also kein Grund für ein Drama.« Ich drehte mich von ihm weg. »Blöde Eifersucht.«, schnaubte ich vor mich hin und beobachtete eine Fliege, die über den vom Mondlicht angeleuchteten Boden huschte.
»Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig.«, murmelte Domenic hinter mir. »Ich denke ich werde den Antrag stellen, aber du solltest dich langsam mal entscheiden, wen du mehr magst, mich oder Luke!« Mit diesen Worten stampfte er die Treppe zum Gästezimmer hoch, in dem ihn mein Vater kurzfristig einquartiert hatte.
Super gemacht!, verhöhnte mich meine innere Stimme. »Ach halt‘s Maul!«, schrie ich sie frustriert und ließ mich zu der Fliege auf den Boden gleiten. »Ist dein Leben leichter als meines? Willst du vielleicht tauschen?« Die Fliege erhob sich in die Luft und segelte durch das gekippte Küchenfenster nach draußen in die kühle Nacht, was ich als konkretes Nein deutete.
Warum hatte ich bloß so ein Leben? Warum war ich nicht ein ganz normales Kind, das in einer ganz normalen Familie groß geworden ist, mit Mutter und Vater? Warum war gerade ich ein Engel?
Ich seufzte laut und schob mir eine meiner Mini-Schokolädchen in den Mund, die bereits verschmolzen waren, weil ich sie in meiner Hand zerquetscht hatte. Die Schokolade beruhigte mich ein wenig und ich stand auf und kehrte plötzlich wieder müde zum Sofa zurück, wo ich mich hinlegte und auch sofort in einen tiefen, unruhigen Schlaf fiel.


Ungläubig beobachtete ich aus einem Versteck aus Blättern, wie auf der Lichtung am Lager der Tiger eine Verhandlung geführt wurde. Doch es war keine große Verhandlung. Nur zwei Personen standen in mitten der Lichtung und funkelten sich böse an. »Es ist dein Pech, dass das dir jetzt erst einfällt!«, brachte die eine Person heraus, die ich sofort anhand der tiefen rauen Stimme als Luke identifizierte. »Sie wird sich trotzdem für mich entscheiden.«, murmelte die andere Person, welche ganz klar Domenic war. »Tja, nur blöd, das sie das nicht zu entscheiden hat, sondern das hohe Gericht. Und zu schade für dich, dass ich bereits den Antrag gestellt habe, und du noch nicht einmal weißt, wie du ihn stellen musst.«, höhnte Luke und grinste extrem dämlich und doch ziemlich sexy. Am liebsten wäre ich aus meinem Versteck gekrochen und hätte mich eingemischt, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich versuchte zu rufen, doch meine Stimme versagte ihren Dienst. »Vergiss sie einfach!«, fuhr Luke fort. »Sie hat mir bereits zweimal erlaubt ihre Flügel zu berühren, und ich durfte sie auch schon verarzten.«, gab er an. »Was bringt es dir, sie zu verarzten, wenn sie dich nicht liebt?«, spottete Domenic.
»Sie ist verrückt nach MIR und nicht nach dir!« Ich gab ihm stumm Recht und versuchte zu verstehen, warum ich hier war und das alles miterlebte. »Wenn mein Antrag angenommen wird, ist sie Mein und du weißt genauso wie ich, das sie ebenfalls auf mich reagiert wie auf dich… nur ein bisschen anders.« Nun waren sich die beiden so nahe, dass sich ihre Köpfe beinahe berührte, doch auch aus meinem Versteck hörte ich jedes ihrer Worte so gut, als würden sie sie mir ins Ohr brüllen. »Ja, das weiß ich, aber momentan denkt sie nur an mich und dich vergisst sie vollkommen!« Domenic grinste ihn hasserfüllt an und meinte dann: »Wieso war ich überhaupt mal mit dir befreundet? Und wieso habe ich sie dir überhaupt eine zeitlang in Lehre gegeben, wo ich doch eigentlich wusste, dass du sie verführen würdest, wenn sie nicht so hässlich ist wie ein Haufen Mist…« Domenic zischte Luke regelrecht an.
Ja, warum hatte mich Domenic der Lehre von Luke übergeben und es nicht selbst übernommen, fragte ich mich, während der Streit der beiden weiter durch den riesigen Dschungel hallte.
»Du hast mir eben vertraut… und ich hätte nie erwartet, das sie soooooo gut aussieht… eigentlich kann ich überhaupt nichts dafür.«, redete er sich raus und verspottete damit Domenic. Domenic holte aus und schlug Luke mit der flachen Hand gegen die Wange. Luke zuckte erschrocken durch die plötzliche Handlung zusammen, schreckte aber nicht zurück. »Ich bekomme sie!«, flüsterte Luke. »Das wirst du nie, weil ich sie liebe…«, konterte Domenic und ich hielt den Atem an. Domenic hatte soeben gesagt, dass er mich liebte! Das fand ich so putzig, das sich eine Träne aus meinem Augenwinkel stahl und auf ein Blatt tropfte, das neben mir von einer länglichen Pflanze herunterhing.

PLOPP

Das Geräusch hallte meilenweit wieder und ich zog erschrocken die Luft ein, als beide Köpfe sich mir zu wandten und auf mein Versteck starrten. In Panik riss ich das Blatt herunter, auf dem die Träne gelandet war und verbarg es in meiner Hand, als könnte ich damit alles rückgängig machen.
Ich will weg hier!, schrie ich in Gedanken.
Als hätte jemand meinen Wunsch erhört, verschwamm alles vor meinen Augen und ich trieb in grauen Wellen davon.


12


»Guten Morgen Estelle«, säuselte mein Vater in mein Ohr und stellte mir meine Don‘t worry- Be happy- Tasse auf den Couchtisch. Dampfender Erdbeergeruch stieg mir in die Nase und erleichtert stellte ich fest, dass ich nur einen Traum gehabt hatte, auch wenn er mir wieder ziemlich real vorgekommen war. Als ich aufblickte, sah ich Domenic mürrisch am Esstisch hocken und in einem von Dad‘s Spiegeleiern herumstochern. Ich wollte gerade etwas sagen, als mein Blick auf ein Blatt fiel, das in meiner Hand lag. Als ich es neugierig näher betrachtete sah ich die glänzende Spur, die meine Träne hinterlassen hatte. Geschockt blickte ich zu Domenic auf und ich erinnerte mich widerstrebend an den Traum. Mit weit aufgerissenen Augen und in Gedanken versunken schaute ich in zwei Topase, während ich zum Esstisch lief und mich Domenic gegenüber setzte.
Hatte ich wieder einen Zukunftstraum? Aber der andere ist ja auch nicht in Erfüllung gegangen. Bisher auf jeden fall.
Mir war nach heulen zu Mute. »Estelle?«, fragte mich Domenic besorgt. Er riss mich aus meiner Trance und ich tat so, als wäre nichts gewesen. »Alles okay.«, teilte ich ihm mit und begann das Spiegelei zu essen, das Dad mir auf den Teller legte. Während dem Essen fiel mir wieder ein, dass ich für eine lange Zeit nicht arbeiten war. Doch mein Vater sagte, er hätte das für mich geklärt und ich brauchte mir nicht weiter Sorgen drüber machen. Eigentlich sollte mich das ja freuen, dass er sich so um mich sorgte. Doch irgendwie kam mir das alles ein bisschen gespielt vor. So, als wollte er etwas vor mir verbergen.
Ich trank den letzten Schluck Tee und begab mich zur Tür um zur Arbeit zu fahren. Domenic tat es mir gleich und nahm mich an der Hand als ich in mein Auto einsteigen wollte.
»Ich fahre dich.« Ich starrte ihn an und war einerseits geschockt, weil er mir nichts zu traute, und andererseits genoss ich das Gefühl seiner Fürsorglichkeit. Ein kleiner Stich fuhr mir durchs Herz und ich schloss für einen klitze kleinen Moment die Augen, um die Berührung unserer Hände einzuspeichern. Wenn ich ihn schon nicht küssen konnte, dann wollte ich ihn wenigstens berühren, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Ich ließ die Hand los und stieg beim Beifahrersitz ein. Wortlos startete Domenic das Auto und hatte sichtlich Probleme beim fahren, weil er dauernd versuchte die Kupplung zu drücken. Doch ich hatte seit ich meinen Führerschein hatte, zum Automatik gewechselt, weil mir das Schalten ehrlich gesagt zu kompliziert war.
Ich musste kichern und merkte wie unangenehm ihm das war. »Du musst so schnell wie möglich diesen Antrag machen Domenic.«, murmelte ich vor mich hin während ich aus dem Fenster blickte und die vorbeihuschenden Häuser und Menschen betrachtete. »Ich weiß. Aber das wird nicht so einfach.« Mit einem leisen brummen fuhren wir um die Ecke und hielten an. Ich registrierte seine Worte und stieg wortlos aus. »Bitte ruf mich an wenn du fertig bist.«, sagte er zum Abschied und brauste mit meinem Auto davon. Ich blieb erstmal einige Minuten auf dem Parkplatz stehen und versuchte wieder ins Arbeitsleben zurück zu kehren. Doch das war gar nicht so einfach. Ich hatte einfach viel zu viel im Kopf, was ich in einer so kurzen Zeit nicht verarbeiten konnte.
Doch ich riss mich zusammen und ging in mein Büro nachdem ich alle meine Arbeitskollegen beruhigt hatte, dass es mir wieder besser ging.
Mein Vater hatte ihnen doch tatsächlich erzählt, ich wäre im Gesundheitsurlaub gewesen, weil ich mich in letzter Zeit nicht so wohl fühlte.
Ich hatte genau das Gegenteil getan, eine schreckliche Reise in eine andere Welt.
Mit einem lauten Seufzen ließ ich mich in meinen Sessel fallen und bemerkte gar nicht, dass jemand in meinem Büro stand.
»Luke? Was machst du denn hier?« Überrascht von seiner Anwesenheit glotzte ich ihn an und merkte wieder, wie gut er doch aussah.
Er musste grinsen, weil er wieder meine Gedanken gelesen hatte. Ich summte in Gedanken „Alle meine Entchen“ vor mich hin, um mir nicht extra eine Schutzmauer aufbauen zu müssen.
»Ich wollte dich besuchen. Ist das so ungewöhnlich?«, fragte er höhnisch und beäugte mich in meiner Arbeitskleidung.
Alle meine Entchen singen, befahl ich mir innerlich, um ihm nicht meine Gedanken zu offenbaren.
Ich begab mich an den Schreibkram und beachtete Luke nicht weiter, der sich unaufgefordert hinsetzte.
Aber nach ungefähr einer Stunde saß Luke immer noch da, so als hätte er sich gerade erst hingesetzt. »Luke, was willst du denn? Ich muss arbeiten.« Genervt klappte ich die Akte eines Klienten zu an wartete auf seine Antwort. »Weißt du, ich kann mich nicht konzentrieren wenn mich die ganze Zeit jemand anstarrt.«
»Ich wollte mal schauen, wie du so in deiner Welt lebst. Ich interessiere mich halt für dich. Ist das schlimm?« Ich errötete aufgrund seines Geständnisses. »Du kannst mich gerne anstarren, wenn ich esse oder schlafe. Dann stört es mich nicht. Aber bitte nicht bei der Arbeit.« Mit einem Satz stand er auf und kam auf mich zu. Vor Schreck richtete ich mich vor ihm auf und wich etwas zurück. Er stand nun direkt vor mir und unsere Gesichter waren nur wenige Millimeter voneinander entfernt. Ich spürte seinen Atem in meinem Gesicht und bekam Gänsehaut. Bevor ich überhaupt weiter denken konnte legte er seine Lippen auf meine.
Sie waren warm und passten sich perfekt den meinen an.
Nein. Nein, ich will das nicht.
Ich musste mich an den Traum erinnern und ein Stich fuhr wieder durch mein Herz. »Luke… hör auf damit!«, lispelte ich unter seinen Lippen. Doch er hörte nicht auf, sondern versuchte nur noch mehr mich in Besitz zu nehmen.
Ich will das nicht.
Ich geriet in Panik und suchte verzweifelt einen Weg mich aus dem Kuss zu entwinden. Ich griff nach dem grünen Licht und Luke prallte mit voller Wucht gegen meinen Schreibtisch.
»Autsch.« Luke fasste sich an den Kopf und versuchte sich aufzurichten, was nicht ganz zu klappen schien.
Das Adrenalin schoss immer noch durch meinen Körper und dieses nutzte ich aus. Ich packte meine Tasche und sauste aus dem Zimmer. Ich zog meinen Autoschlüssel und wollte zum Auto rennen. Doch dann bemerkte ich, dass das Auto gar nicht da war.
Oh nein, Domenic hatte mich gefahren.
Ich hörte laute Schritte hinter mir und sah, dass Luke hinter mir her war. Ich geriet wieder in Panik und rannte zum Hintereingang des Gebäudes. »Estelle, es tut mir leid. Bleib doch stehenQ«, rief Luke mir hinterher.
Doch ich hatte Angst vor ihm und rannte nur noch schneller.
Ich flog die Treppen regelrecht hinauf und gelang schließlich oben auf das Dach. Ich schloss die Tür mit meinem Schlüssel auf und verschloss sie hinter mir. Ich wiegte mich in Sicherheit und setzte mich an einen Mast, der sich auf dem Dach befand. Doch dann gab es einen lauten Knall und die Tür flog mir entgegen.
Luke stand mit nun verzweifelten, aber auch wütendem Gesichtsausdruck hinter mir.
Ich stand auf und wich etwas zurück.
»Ich habe doch gesagt es tut mir leid. Ich tue dir doch nichts.«, brachte Luke etwas aus der Puste hervor. Doch aufgrund des Traumes, war ich so verunsichert, dass ich nicht wollte, dass er sich mir näherte.
Er kam einen Schritt näher und streckte seine Hände nach mir aus, als wollte er mich in den Arm nehmen. Ich wich noch ein Stück zurück und stand nur noch wenige Schritte vor dem Abgrund eines 10. stöckigen Gebäudes.
Ich sah nur einen einzigen Ausweg und griff nach meinem weißen Licht. Luke versuchte mich noch zu fassen, doch ich war zu schnell und war schon in der Luft.
Ich flog hinauf, bis Luke nur noch so klein wie eine Ameise war.
Wenigstens kann er nicht fliegen. Beruhigte ich mich in Gedanken und fand mich nach wenigen Minuten in meiner Wohngegend wieder.
Doch dann merkte ich wie einige Leute nach oben blickten.
Oh nein, daran habe ich gar nicht gedacht.
In dieser Welt gibt es keine Engel, die werden sicher denken sie sehen nicht richtig.
Etwas beruhigter suchte ich mir eine abgelegene Straße und landete dort. Etwas außer Atem stand ich vor meiner Haustür- das dachte ich zumindest- und schloss sie mit zitternden Händen auf.
Ich fiel kopfüber hinein und plumpste mit einem harten Knall auf einem Teppich auf. Mir war schlecht und ich wusste was geschehen war.
Ich bin in der anderen Welt. Naja, wenigstens musste ich mich nicht wieder übergeben.
Verwirrt schaute ich mich um und sah ein schön eingerichtetes Zimmer mit Bett, Schrank und Sessel. Es sah ein bisschen aus wie in einem Königshaus. Ich rappelte mich auf und schaute aus dem Fenster. Es sah aus wie ein Palast. Draußen liefen viele Menschen in Dienstkleidung herum. Um die Villa herum schien eine riesige Mauer zu stehen, wie bei einer Burg. Ich beschloss mich umzusehen und öffnete vorsichtig die Tür. Doch bevor ich überhaupt einen Schritt aus dem Zimmer machen konnte, kam eine junge Dame angerannt und packte mich am Arm.
»Was denkst du wo du hingehst? Du bleibst schön hier.« Meckerte die Dame die aussah wie eine groß geratene Elfe. Bevor ich nachfragen konnte, was sie von mir wollte, schleifte sie mich den Flur entlang und schubste mich in einen Großen Saal, der wie ein Gerichtssaal aussah, nur viel größer.
Einige Leute waren in dem Saal versammelt, wie bei einer Gerichtsverhandlung.
»Estelle Veronie, bitte treten sie vor!«, sagte der Mann der in der Mitte des Gerichts saß und ich gehorchte ihm. »Was läuft hier ab?«, fragte ich ihn verwirrt. Der Richter stand auf und musterte mich von oben bis unten.
»Sie sind angeklagt ihre Engelsgestalt in der anderen Welt der Menschen gezeigt zu haben.«
Verwirrt blickte ich mich um. Das Gericht war
rappelvoll und alle starrten mich mit einem empörten Gesichtsausdruck an.
»Was haben sie zu ihrer Verteidigung zu sagen?«, fragte der Richter barsch und ich fühlte mich in meine eigenen Gerichtsverhandlungen hineinversetzt.
»Ein Bewohner von Tovah hat mir höchste Angst eingejagt. Und ich wäre beinahe von einem 10. stöckigen Haus in den Tod gestürzt, wenn ich nicht gebrauch meiner Flügel getan hätte. Zudem haben mich nur zwei oder drei Menschen gesehen.«, brachte ich hervor und erhob mein Kinn. Ich sah überhaupt nicht ein, dass ich wegen Luke nun vielleicht meine Fluggenehmigung verlor. Der Ausdruck auf dem Gesicht des Richters änderte sich schlagartig und er schaute ziemlich verblüfft über mein selbstsicheres Auftreten. »Ein Bewohner von Tovah hat ihnen Angst eingejagt? Sie sind doch ein Neuling! Das verstößt gegen das hohe Gericht! Nenne mir seinen Namen.« Unsicher geworden, überlegte ich ob ich nun wirklich den Namen nennen sollte. Warum macht es mir etwas aus, dass es ihm nachher beschissen geht?, ärgerte ich mich und wendete meine Aufmerksamkeit wieder dem Richter zu, als dieser sich räusperte.
»Sein Name ist mir unbekannt.«, hörte ich mich sagen und dachte mir, dass ich ihn immer noch auffliegen lasen könnte. So hatte ich wenigstens etwas gegen ihn in der Hand.
»Das ist bedauerlich…«, murmelte der Richter und meinte dann, dass das hohe Gericht sich für eine Beratung einige Minuten zurückziehe. Ich nickte daraufhin und setzte mich auf einen Stuhl, der wohl für die Angeklagten da stand. Plötzlich, ganz in meine Grübeleien versunken, kam mir ein Gedanke. Das hohe Gericht! Ich saß vor dem hohen Gericht!
Nun war mir auch klar, wie man zu ihm gelangte. Durch eine Straftat. Welche Art von Straftat hatte oder würde Luke begehen, um vor das hohe Gericht zu gelangen und den Antrag zu stellen? Ich musste Domenic so schnell wie möglich Bescheid sagen! Da fiel mir ein, dass er in dem Traum nicht Bescheid wusste. Irgendwas würde mich daran hindern zu sagen wo das hohe Gericht war. Vermutlich würden sie mir das Gedächtnis löschen. Einmal mehr kam ich mir hilflos vor und war immer noch geistesabwesend, als das Gericht erneut vortrat.
»Estelle Veronie, sie dürfen gehen!«, verkündete der Richter mit lauter Stimme und ich sackte erleichtert zusammen. »Doch zuvor möchte ich sie gerne noch persönlich sprechen.«, fügte er hinzu.
Der Gerichtsaal lehrte sich schneller als ich gedacht hätte und schließlich waren der Richter und ich alleine. Er stellte ein Glas Wasser vor mich. »Trinken sie dies. Danach können sie in ihre Welt zurückkehren. Aber erlauben sie sich nicht noch einmal so einen Fehler wie diesen!«
Angewidert starrte ich das Glas Wasser an.
»Das löscht mein Gedächtnis, oder?« Der Richter senkte seinen Blick und nickte.
»Bevor ich das trinke, hab ich noch eine Frage…« Fragend blickte er auf und sah mich an. Verwundert stellte ich fest, das seine Augen lila mit pinken sprenkeln waren. »Kann ich einen Antrag stellen, damit ich mit einem Gestaltenwandler zusammenleben kann?«
»Ja schon, aber das dauert…kannst du mir eure Namen aufschreiben, ich werde das dann bearbeiten...« Er reichte mir ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber, der in seinem Jackett steckte. Ich schrieb groß und deutlich: ESTELLE VERONIE und DOMENIC ANDERSON darauf. Daraufhin reichte ich ihm das Blatt zurück und fühlte mich nun besser. Ich griff nach dem Glas und trank es in einem Zug ganz leer. Dann wurde mir schwindelig und das letzte was ich sah, bevor alles in einem Grau verschwamm, war das der Richter nett lächelte.


13

Leicht benommen kam ich in meinem Wohnzimmer wieder zu mir. Meine Übelkeit war nicht so schlimm wie auf dem Hinweg, aber trotzdem war es immer noch nervig. Ich stand schwankend auf und vergewisserte mich, dass ich auch wirklich in meinem Wohnzimmer stand.
»Dad?« Ich schaute mich um, doch niemand war in meiner Wohnung.
»Besser so.«, gab ich vor Erleichterung von mir.
»Was ist besser so?«, brummte eine bekannte Stimme hinter mir. »Domenic!« Ich war froh ihn zu sehen nach all diesem Stress. »Warum bist du eigentlich nicht bei der Arbeit? Und wie bist du hierher gekommen?« Domenic löcherte mich mit Fragen und schien besorgt aber auch wütend zu sein.
»Ähm.«, ich musste angestrengt nachdenken, weil ich irgendein Loch in meinem Gedächtnis hatte.
»Ich war bei der Arbeit. Dann ist Luke da aufgetaucht.«
»Was wollte der denn von dir?«, stocherte Domenic mit einem Hauch von Eifersucht nach.
»Er wollte mich sehen.« Ich zuckte mit den Schultern und schaute ihm direkt in die Augen. »Hast du was dagegen?«, hakte ich unschuldig nach und hoffte sehr auf ein >ja natürlich<. Domenic runzelte die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. »Es ist deine Sache mit wem du dich rum treibst, ich habe keine Lust darauf wieder mit dir zu streiten, weil du denkst ich mische mich in deine Angelegenheiten ein.« Was sollte das denn nun wieder heißen? Beleidigt wendete ich mich von ihm ab und ging in die Küche, um Schokolade zu essen. Ich esse zu viel Schokolade, tadelte ich mich und machte mit einem schlechten Gewissen gegenüber meiner Figur die Kühlschranktür auf. »Warum isst du eigentlich immer nur Schokolade?«, kam dann auch noch Domenic und ich knallte mit einem wütenden Schnauben die Kühlschranktür wieder zu, ohne die Schokolade zu nehmen. »Kann man nicht mal in Ruhe irgendwas machen? Weißt du was? Ich schmeiß dich raus! Geh woanders hin! Ich halte es nicht aus ein dauernd jemanden um mich herum zu haben, der nur nervt und mich bei allem was ich mache kontrolliert! Es geht dich überhaupt nichts an wie viel Schokolade ich esse und außerdem bist du ein scheiß verdammtes Arschloch und überhaupt...hau jetzt endlich ab!« Ich musste mich an der Küchentheke abstützen um bei diesem Redewall der mich überkam nicht umzufallen. Jetzt schnappte ich hastig nach Luft und versuchte ruhig zu atmen, während Domenic‘s Gesichtszüge von erstaunt über entrüstet bis zu belustigt wanderten. Beinahe kichernd wie ein Schulmädchen setzte er mir entgegen, dass mein Vater ihn einquartiert hatte und nicht ich und ich ihn nicht einfach rausschmeißen könnte und dann setzte er noch einen drauf indem er meinte, dass ich es bereuen würde ihn rauszuschmeißen, weil ich sowas von verrückt nach ihm wäre. Bei den Worten >verrückt nach ihm< landete eine meiner Fäuste auf seiner Brust, die nächste daneben und schließlich schlug ich meine ganze Frust an ihm heraus. »Wow wow, laaaangsam kleine!« Domenic umfasste meine Handgelenke mit seinen Händen und schob mich ein Stück von sich weg, damit ich ihn nicht mehr verhauen konnte. Unfähig mich zu wehren, stand ich vor ihm und weinte. Wie peinlich ist das denn? Ich wurde rot und drehte den Kopf weg, damit er wenigstens die Tränen nicht bemerkte. Ich wusste, dass er mit allem was er gesagt hatte, Recht behielt. Ich war verrückt nach ihm, ja. Ich würde ihn vermissen, ja das auch. Doch ich würde ihn trotzdem rausschmeißen. Ich würde nicht so abhängig von einem Mann sein! Entschlossen schaute ich ihn an und wies mit dem Finger auf die Haustüre.
»RAUS!«
»Aber warum denn? Ich dachte du…«
»Dann hast du eben einmal in deinem Leben falsch gedacht, RAUS!«
»Das kannst du nicht machen?! Du weißt genau, dass du das keinen Tag durchhältst!«
»Wetten?«, fragte ich angriffslustig und wiederholte meine Geste zur Tür.
»Gut ich gehe, aber verlass dich darauf, dass ich so schnell nicht wieder komme!«
Mein Finger zeigte noch immer auf die Türe und ich dachte mit grauen an die Tage zurück, an denen ich Domenic wie verrückt vermisst hatte. Und an meinen Antrag bei dem hohen Gericht. Moment… Welcher Antrag? Grübelnd zog ich meine Augenbrauen zusammen und dachte nach. Wie kam ich darauf, dass ich einen Antrag gestellt hatte? Plötzlich sah ich einen großen Saal und schüttelte den Kopf.
»Domenic geh aus meinem Kopf!« Dieser schaute mich verwirrt an und meinte dann lächelnd: »Ich kann auch nichts dafür das du immerzu an mich denkst…«
»Das mein ich doch gar nicht! Hör auf mir Bilder in meinen Kopf zu pflanzen!« Zornig funkelte ich ihn an. »Ich sehe Bilder von einem komischen riesigen Gerichtssaal mit komischen Leuten! Lass das!«
»Ähm ich mache überhaupt nichts? Was hast du gesagt, hast du gesehen? Einen Gerichtssaal mit komischen Leuten? Du warst beim hohen Gericht?« Beinahe erschrocken trat Domenic einen Schritt auf mich zu und fasste mich an den Ellenbogen. »Schau mich an Estelle, warst du beim hohen Gericht?«
»Lass mich los! Ich war überhaupt nirgendswo! Schau lieber, dass du hinkommst um den Antrag zu stellen!« Ich riss mich los und wollte gerade zurück ins Wohnzimmer stampfen, als es klingelte. »Na super, auch das noch!«, murmelte ich wütend, als ich zur Tür ging sie unsanft aufriss und ein genervtes: »Ja bitte?« hervorbrachte.

Ich hatte versucht Domenic rauszuwerfen, als er versuchte mir den Briefumschlag aus gelb- goldenem Stoff zu entnehmen, der vor der Haustüre gelegen hatte. Immer wieder hatte er gerufen, das wäre ein Brief vom hohen Gericht und wollte ihn sich schnappen, bis ich schließlich auf die Idee kam, mich mit dem Brief aufs Sofa zurückzuziehen und ein Schutzschild mit meiner Engelskraft um mich herum aufzubauen, an dem Domenic wieder und wieder abprallte. Ich war so in den Brief vertieft gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie er es schließlich aufgab und mein Haus verließ. Endlich! Was in dem Brief stand war erschütternd und Tränen bahnten sich einen Weg über meine Wange. Als ich den Brief geöffnet hatte, hatte ich noch keine Ahnung gehabt. Doch als ich ihn las, fiel mir alles wieder ein. Das hohe Gericht, wie ich dort gelandet war und das ich den Antrag wegen Domenic und mir gestellt hatte. In dem Brief stand jedoch nicht nur die Antwort auf den Antrag, sondern eine lange, lange Geschichte. Ich fühlte mich betrogen und weinte, weil ich ihn nie mehr sehen wollte.
Meinen Vater.


14


Liebe Estelle Veronie,

Es tut mir sehr leid, ihnen mitteilen zu müssen, dass der Antrag im Bezug auf ihre Bindung mit Domenic Anderson abgelegt wurde.
Das hat natürlich Gründe, die ich ihnen nur ungerne brieflich mitteile und trotzdem werde ich es nun doch tun. Bitte entschuldigen sie mein Fehlverhalten.

Mit Freundlichen Grüßen
Richter Balterman


Du warst noch sehr, sehr klein, als deine Mutter starb. Genauer gesagt dreieinhalb Jahre alt. Dein Vater hat uns immer versprochen, dir die Wahrheit über ihren Tod zu sagen, aber da er es bis jetzt nicht getan hat, ist es die Aufgabe des hohen Gerichts, dir diesen mitzuteilen. Du weißt von dem Krieg zwischen Gestaltenwandlern und Engeln. Dieser wurde ausgelöst durch deine Mutter, die eine Gestaltenwandlerin angriff. Diese war Mutter von drei Kindern und hatte zudem ziemliches Pech in ihrer Ehe. Ihr Mann schlug sie. Sie hieß Mathilda und war die Affäre deines Vaters. Das bekam deine Mutter eines Tages heraus, griff Mathilda an und verletzte sie schwer. Der Kontakt zwischen Engeln und Gestaltenwandlern war schon immer kritisch und so brach schließlich, durch die Tat deiner Mutter ausgelöst ein Krieg aus, der noch immer verheerende Folgen hat. Du hast deine Mutter schließlich ermordet von einem Gestaltenwandler aufgefunden. Sie hat nach dir gerufen und du bist zu ihr gegangen. Indem Moment in dem sie starb übertrug sie ihre besonderen Fähigkeiten auf dich, weil sie deine Hand hielt und dich nicht verlassen wollte. Dein Vater wollte dich und sich schützen und setzte aus Angst du würdest ihn hassen, wenn du von seiner Schuld am Tod deiner Mutter erfährst, deinen damals besten Freund Domenic als Mittel zum Zweck ein. Er zwang den Jungen dazu dein Gedächtnis zu verändern, sodass du denken würdest deine Mutter kam auf normale Art und Weise um. Doch der Junge hatte noch keine ausgereiften Fähigkeiten, weshalb er nur dein Gedächtnis löschen konnte. Und damit löschte er auch sich aus deinem Leben. Dein Vater verbot ihm jeden Kontakt mit dir, bis zu deinem 25. Lebensjahr.
Deshalb kann das hohe Gericht den Antrag nicht genehmigen. Domenic hat das Vertrauen des Gerichts gebrochen, indem er sich von deinem Vater zwingen ließ, dein Gedächtnis und damit dich zu verändern. Ich bedaure dies sehr, doch ich sehe keine positiven Aussichten in diesem Fall.
Mir persönlich sind sie sehr sympathisch und deshalb bedaure ich es, sie mit diesen Zeilen unglücklich gemacht zu haben.

Richter Balterman


15


»Hallo Schatz! Ich bin wieder dahaa…Estelle?«
Mein Vater kam zur Haustüre herein und stolperte beinahe über die drei großen Koffer, mit denen er angereist war. Sein Blick fiel auf das Häufchen Elend auf dem Sofa. Auf mich.
»Estelle?«, wiederholte er seine Frage nach mir, nur besorgter. »Estelle, was ist los?« Als er am Sofa ankam, hob ich den Kopf. Wut stand darin. Hass. Trauer. Schmerz.
»Geh Dad. Geh einfach!« Ich legte meinen Kopf zurück auf meine Knie und unterdrückte die Brechreize, die mich seit ein paar Minuten überkamen. Ich redete mir ein, dass das von meiner Schokoladenverfressenheit kam und versuchte mich zu beruhigen.
»Warum soll ich gehen? Und wo ist überhaupt Domenic?«
»Den habe ich schon rausgeworfen.«, nuschelte ich an mein Knie.
»Und warum soll ich gehen?«, wiederholte er seine erste Frage.
Mein Kopf fuhr hoch und ich sah ihm direkt in die Augen, als ich ihn anschrie. »Wegen dir ist Mama tot! Du hast mich angelogen! Du hast Domenic für deine Zwecke missbraucht! Du hast Mama betrogen! Du hast mich seit ich dreieinhalb Jahre alt war angelogen!
Warum du gehen sollst?! Die Frage ist so lächerlich! Verschwinde!«
Meine Trauer ließ sich nicht mehr im Zaum halten und ich stand auf, trat zu den Koffern, die ich für meinen Vater gepackt hatte, nahm sie einen nach dem anderen und stellte sie vor die Haustüre. »Hau ab! Mach‘s so wie damals und hau einfach ab!«

Das schlimmste daran war, das mein Vater einfach ging. Einfach so. Und dann war ich alleine. Mit meinem Leben, dass ein Brief so verändert hatte, dass ich wünschte ich hätte ein anderes Leben zugeteilt bekommen. Domenic war weg. Luke war nicht da. Mein Vater ging. Ich war alleine…Doch eine Person blieb mir noch, Marie. Ich schnappte mir das Telefon und wählte ihre Nummer. Es piepte einige Male, doch niemand nahm ab. Ich probierte es erneut und dieses Mal nahm zu meiner Erleichterung jemand ab.
»Hallo?« Am anderen Hörer ertönte eine männlich Stimmte, das musste wohl Rody sein. »Hey, hier ist Estelle. Kann ich bitte Marie sprechen?«
»Nein, die hat jetzt keine Zeit«, hörte ich ihn brummen und er legte auf.
»Na toll.«, fluchte ich.
Jetzt habe ich niemanden zum Reden.
Eigentlich mochte ich es gar nicht über meine Gefühle zu reden. Doch in diesem Moment lag ich so tief am Boden, dass ich einfach jemanden brauchte, der bei mir war und mir zuhörte. Doch alle waren weg. Domenic hatte ich rausgeschmissen, meinen Vater weggeschickt und Marie war nicht zu sprechen.
Und zu Luke würde ich bestimmt nicht gehen, er war der Letzte den ich jetzt sehen wollte.
Ich erinnerte mich an den Kuss mit ihm und ich erschauerte auf eine komische Art und Weise. Einerseits angeekelt, dass er mich einfach so geküsst hatte. Aber andererseits auch angetan von seinem Charme und seiner Eleganz.
Doch ich beschloss lieber angeekelt zu sein und machte es mir auf dem Sofa gemütlich.
Versunken in Selbstmitleid lag ich nun auf meinem Sofa und wusste nichts mehr mit mir anzufangen. Ich fing leise an zu weinen und sank in den Schlaf.

Domenic lief wutentbrannt durch den Dschungel und suchte offensichtlich jemand oder etwas. Er wurde nicht langsamer, wurde nach etwa fünf Minuten fündig und stand vor einer kleinen Hütte, die mir sehr bekannt vorkam.
»Komm schon raus du Hund«, schrie er aus voller Lunge. Er musste nicht lange warten, bis Luke elegant aus der Hütte raus stolzierte und sich in seiner Tiergestalt präsentierte.
»Was willst du denn hier?« Luke schien nicht sehr überrascht, aber stellte trotzdem die unnötige Frage.
Domenic sprang mit einem Satz auf Luke zu und schlug mit voller Wucht seine Faust in Lukes Tigergesicht. In seinem Gesicht standen Wut und Trauer. Er hätte Luke bestimmt noch mehr angetan, doch er beherrschte sich und trat ein paar Schritte zurück.
»Ich dachte ehrlich wir wären Freunde. Aber da hab ich mich wohl gewaltig geschnitten.« Jetzt überwog das Gefühl der Trauer und Verletzlichkeit in Domenic. Man konnte in seinen Augen sehen, wie verletzt er war.
»Hast du mich schon unsere ganze Freundschaft hinters Licht geführt? Verdammt noch mal, wir kennen uns seit wir Kinder sind!«
Luke verwandelte sich in seine menschliche Gestalt und richtete sich auf.
»Hat dich Estelle wohl rausgeschmissen. Wie hast du das denn geschafft?«, lachte Luke und strich seine Kleidung zu recht. Domenic war wieder kurz davor ihm einen Kinnhaken zu verpassen, doch stattdessen trat er noch einige Schritte zurück um nicht über Luke herzufallen.
»Beantworte mir gefälligst meine Frage. Hast du mich schon öfters belogen? Ich kann mich noch an die vielen Freunde in meinem Leben erinnern, die du alle verscheucht hast. Vor allem wenn es Frauen waren. Wieso tust du das?«
Luke musste höhnisch auflachen und machte ein paar Schritte auf Domenic zu.
»So oft habe ich dich gar nicht belogen. Eben nur bei deinen Freunden und Frauen.«
»Aber wieso?« Domenic schürzte die Lippen und krampfte am ganzen Körper zusammen.
»Ich war einfach neidisch. Du warst so beliebt bei allen und hattest so viele Freunde. Ich war nur der komische Außenseiter, der an deiner Seite war. Die Leute haben mich nur wegen dir beachtet. Ich habe es dir einfach nicht gegönnt, ich wollte auch so viel. Deshalb habe ich sie verscheucht und auf meine Seite gezogen. Außerdem haben dich immer alle Frauen angebaggert. Aber wieso denn? Ich sehe doch auch gut aus.«
Domenic starrte geschockt in Lukes Augen und musste diese Antwort erst mal verdauen, bevor er antworten konnte.
»Du hast mich belogen, du hast immer gesagt es sei dir egal, dass ich so beliebt sei.«, stotterte er vor sich hin.
»Wie konnte ich dir nur vertrauen?«
Luke kam wieder ein paar Schritte auf Domenic zu, bis er schließlich direkt vor ihm stand.
»Aber weißt du, wieso ich all das überhaupt getan habe? Wieso ich dir nie verzeihen werde?« Domenic schien verwirrt und starrte Luke immer noch an.
»Weil du Maria einfach beim Sterben zusahst. Nein, du hast nicht zugesehen. Du bist wie ein kleines Baby davon gerannt und hast sie zurück gelassen. Sie hat immer wieder nach Hilfe gerufen, doch du hast sie einfach zurück gelassen. Dieses Schreien, jede Nacht muss ich es in meinen Träumen hören. Weißt du wie sehr so was weh tut? Nein, natürlich weißt du so was nicht. In deinem Leben lief ja immer alles glatt. Du bist einfach das Letzte.« Nun war Luke derjenige, der Domenic mit der Faust ins Gesicht schlug, bis er am Boden lag.
»Du verstehst das nicht!«, verteidigte sich Domenic am Boden liegend.
»Was verstehe ich nicht? Dass du ein Feigling bist und vor allem davon läufst?«
Domenic rappelte sich langsam wieder auf und lief ein paar Schritte zurück um nicht wieder eine von Luke verpasst zu bekommen.
»Ich hab dir damals schon gesagt, dass ich nichts tun konnte. Ich hab mich immer wieder entschuldigt, ich dachte du hättest mir verziehen.«
»Ich werde dir nie verzeihen, dafür dass du einfach weggerannt bist und nichts getan hast.«
»Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich ihr einfach nicht helfen konnte. Ich war von einem Broin besessen.«, verteidigte sich Domenic.
Luke kam wieder auf ihn zu. »Du willst einfach nicht zugeben. Dass du Angst hattest und sie nicht retten wolltest. Und das wirst du büßen. Du wirst Estelle nie bekommen. Das mit dem Antrag hat sich ja auch schon erledigt.« Luke schlug Domenic wieder zu Boden. »Sie gehört mir, du wirst sie nie bekommen. Und weißt du wieso?« Domenic konnte sich wehren, dass sah man ihm an. Doch er wollte es nicht und sah Luke einfach nur still ins Gesicht.
»Du liebst sie gar nicht.«, brachte er heraus.
»Ja, weil Liebe dich verletzbar macht. Schau dich doch nur an. So will ich nicht enden.« Genau das war Domenic. Verletzbar.
Ihm wurde bewusst, wie Recht Luke doch hatte. Aber er stand dazu. Das würde sich nie ändern, außerdem war er nicht so schwach wie Luke zu glauben schien.
Luke machte kehrt und ließ Domenic am Boden liegen. Er blieb einen kurzen Moment liegen und starrte einfach nur in den blauen Himmel.
»Domenic…«, flüsterte ich vor mich hin und es schien, als hätte er mich gehört, denn er senkte seinen Kopf zur Seite und sah mich an. Es sah aus als würde eine kleine Träne sich einen Weg über sein wunderschönes, aber trauriges Gesicht bannen.


Endlich erwachte ich aus diesem schrecklichen Traum. Eigentlich war es eine interessante Zukunftsvision, doch es war erschreckend, wie falsch Luke doch war. Er hatte Domenic belogen. Wegen einer Frau, die wohl im Kampf gestorben war. Doch ich glaubte Domenic, dass er unschuldig war und alles versucht hätte um sie zu retten.
Ich sah Domenic‘s Gesichtsausdruck immer noch so deutlich vor Augen, dass ich wieder hätte losheulen können. Ich hatte ihn sehr verletzt, als ich ihn weggeschickt hatte. Er tat immer so stark, doch in Wirklichkeit war er genau so verletzbar wie ich.
Ich wollte am liebsten zu ihm und mich bei ihm entschuldigen. Doch ich wusste nicht wo er sich im Moment aufhielt. Denn er konnte überall sein, außerdem konnte meine Zukunftsvision jeden Moment in Erfüllung gehen.
Doch ich beschloss, trotzdem in die andere Welt zu reisen um Domenic zu suchen. Ich hielt es einfach nicht mehr alleine aus und wollte bei Domenic sein.

Ich zog mir schnell besser geeignete Kleidung an und suchte in Gedanken nach dem Tor, das mich in Lukes Dschungel bringen würde. Ich wurde schnell fündig und lief in das Wohngebiet in dem sich das Tor befand.
Im Dschungel angekommen merkte ich, dass mir fast gar nicht mehr übel wurde, wenn ich durch das Tor trat. Ich beeilte mich und suchte die Stelle, an der die Unterhaltung der beiden stattgefunden hatte. Oder besser gesagt, stattfinden sollte.
Als ich dort war, war noch keiner von beiden da. Also beschloss ich mich hinter einem Gebüsch zu verstecken und zu warten bis jemand kam.
Ich errichtete zu meiner eigenen Sicherheit eine Mauer um meine Gedanken, damit mich auch ja niemand bemerken würde.
Die Zeit zog sich, bis Domenic endlich auftauchte. Das schlimme war, dass ich hier überhaupt kein Zeitgefühl hatte und froh war, als die Unterhaltung begann. Alles passiert wie in meinem Traum.


16


Als Luke davonrannte sah ich Domenic am Boden liegen, genau wie im Traum. Ich schlich leise zu ihm und setzte mich neben ihm.
Er bemerkte mich erst, als ich sanft seine Wange berührte um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da war.
Er schien überrascht und drehte sich verlegen weg.
Es war ihm anscheinend peinlich, dass er verletzbar war.
»Es tut mir leid, dass ich dich weggeschickt habe.«, entschuldigte ich mich und genoss das Gefühl sein Gesicht zu berühren.
Domenic riss sich zusammen und richtete sich auf, sodass er neben mir saß.
Ich zog meine Hand zurück und blickte auf den Boden.
»Hast du alles mitbekommen?«, fragte mich Domenic, dessen Stimme brüchig klang.
»Ja, zwei Mal sogar« Eine unangenehme Stille breitete sich im Dschungel aus, als er nach meiner Antwort nichts mehr sagte.
Sein Schwächemoment war vorbei und er schien sich wieder vollkommen zusammengerissen zu haben.
»Der Brief«, begann ich leise. »Das Gericht hat meinen, unseren Antrag abgelehnt. Ich glaub langsam echt, mir passiert nur schlechtes in meinem Leben.« Meine Augen füllten sich wieder mit Tränen. Es fühlte sich so an, als hätte ich zu viel Tränenflüssigkeit in mir, die ich los werden musste.
»Also hast du doch einen Antrag gestellt.«, bemerkte er und sah mir in die Augen.
»Ja, aber ich kann mich nicht mehr erinnern.«, verteidigte ich mich und beachtete seinen Blick nicht.
»Sie haben mir die ganze Wahrheit erzählt.«
Ich musste wieder an meinen Vater denken.
Wie konnte er mich nur so belügen?
»Es ist alles Dad‘s Schuld, wegen ihm ist Mum gestorben. Er hat mich mein ganzes Leben belogen. Wusstest du davon?« Domenic senkte seinen Blick wieder und atmete tief ein bevor er antwortete.
»Ich weiß nicht genau, ich war noch so jung. Ich kann mich nur an dich erinnern.«
»Ich glaub nicht, dass ich ihm jemals verzeihen kann. Er hat dich auch noch benutzt um mich zu belügen.« Ich stützte meinen Kopf auf meine Knie. Ich war seelisch am Ende und wusste nicht was ich als nächstes tun sollte. Domenic stand lautlos auf und zog mich auf die Füße. Ich schaute ihm müde in die Augen und wartete darauf, dass er etwas zu mir sagte.
Worte die mich trösten sollten.
Doch er nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich spürte seine Wärme und ließ mich in seinen Armen fallen.
»Was soll ich tun?«, fragte ich ihn und hoffte, dass er einen guten Vorschlag hatte.

Er hatte ebenfalls nicht weitergewusst. Lange hatten wir einfach nur so dagestanden. Ich in seinen Armen. Und ich hatte mich noch nie so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Wenn ich so darüber nachdenke, ist mein Leben schon ziemlich kompliziert. Ich konnte nie damit rechnen, ein Engel zu sein. Oder das der Mann meiner Träume ein Gestaltenwandler und für mich wie es schien unerreichbar schien. Mein Leben ist beschissen, beschloss ich und hielt mir meine kalten Hände an die Backen. Anders als meine Hände war mein Kopf nämlich knall heiß, weil ich seit Stunden überlegte, was für Möglichkeiten ich hatte, um mit Domenic leben zu können. Bisher kam bei meinen Gedankengängen leider überhaupt nichts heraus.
Domenic hatte uns wieder in die normale Welt gebracht und war gerade dabei zu duschen. Ich hatte ihn mehr oder weniger wieder in mein Haus geschleppt, weil ich das Alleinsein nicht mehr aushalten würde, da war ich mir sicher.
Ich seufzte auf und starrte durchs Wohnzimmerfenster in den kleinen Garten vor meinem Haus, um den ich mich schon ewig nicht mehr gekümmert hatte. Ich seufzte erneut. Ich kam einfach zu nichts mehr. Außerdem fehlten mir mein normaler Arbeitstag und die Treffen mit Marie in unserem Lieblingskaffee.
Marie! Ich hatte schon solange nicht mehr an sie gedacht, dass sich der Name beinahe fremd anhörte, als er in meinem Kopf wiederhallte. Ich beschloss dem ein Ende zu bereiten, griff nach dem Telefon und wählte ihre Nummer. Dieses Mal hatte ich Glück und sie ging selbst dran. »Ja hallo?«
»Hi Marie, ich bin‘s…«
»Estelle!«, quiekte Marie. »Du glaubst ja gar nicht was alles passiert ist, wir müssen uns unbedingt treffen! Wo warst du denn schon wieder und warum meldest du dich nie? Ich hab schon wieder angefangen mir Sorgen zu machen und ich vermisse meine Lieblingsfreundin! Du warst auch nicht bei der Arbeit die letzten zwei Tage und…«
»Waaaas? Zwei Tage?«, unterbrach ich sie entsetzt.
»Ja du warst zwei Tage nicht bei der Arbeit. Und warum rufst du mich nie an? Und außerdem muss ich dir so viel erzählen, du glaubst ja gar nicht, was gestern passiert ist…«
Ich schweifte gedanklich von unserem Gespräch ab und überflog blitzartig die Ereignisse, seit ich das letzte Mal bei der Arbeit gewesen war. Das war, als Luke… Ich verbot mir weiterzudenken. Natürlich war ich heute in Tovah gewesen, aber zwei Tage? So schnell ging die Zeit doch dort auch nicht rum…
Dann kam mir der Gedanke, dass ich doch beim hohen Gericht gewesen war. Die Zeit musste dort nur so verflogen sein, wenn ich zwei Tage nicht mehr bei der Arbeit gewesen war.
»Estelle, hörst du mir überhaupt noch zu?«, brabbelte Marie empört ins Telefon.
»Ja süße, ich bin nur eben nicht ganz mitgekommen.«, log ich. »Kannst du’s noch mal sagen?« Marie lachte und setzte erneut an: »Ich habe mit Rody geschlafen.« Ich wartete auf den Rest, den sie mir sicher zu erzählen hatte.
»Und weiter?«
»Hm..also, ich weiß nicht genau wie ich es dir sagen soll…«
»Oh Gott, was denn? Du bist doch nicht schwanger oder?«, scherzte ich. Am anderen Ende der Leitung blieb es still.
»Marie?? Du bist Schwanger? Ach du scheiße, wie genial ist das denn? Meine beste Freundin ist schwanger!«, freute ich mich und hüpfte aufgeregt im Zimmer herum.
»Er will, dass ich das Kind abtreibe.« Ich hielt mitten in einer meiner Hüpfbewegung inne und kam donnernd wieder auf dem Boden auf. Mein Mund stand offen und ich starrte Domenic der gerade die Treppe herunterkam, ungläubig an.
»Schatz, was ist los?« Besorgt trat er auf mich zu und zuckte dann zusammen, als ich das Gespräch wieder aufnahm. »Dieses kleine Arschloch! Kein Wunder, dass er immer gesagt hat du bist nicht da oder nicht zu erreichen!«, schrie ich in den Telefonhörer. Domenic runzelte die Augenbrauen, was unglaublich süß aussah. Mein Gott, ich steh sowas von auf diesen Mann!, schoss es mir durch den Kopf.
Maries Stimme riss mich erneut aus meinen Gedanken.
»Er hat was? Er hat gesagt ich bin nicht zu erreichen?«, flüsterte sie schäumend vor Wut in den Hörer. Anscheinend war Rody in Hörweite, sonst würde sie nicht flüstern.
»Ja, ich habe mehrmals angerufen. Aber das ist jetzt auch egal. Du treibst auf gar keinen Fall ab…oder?« Unsicher wartete ich auf Maries Antwort.
»Nein werde ich nicht.«, antwortete sie mit einer solchen Entschlossenheit in der Stimme, dass ich überhaupt keine Zweifel haben konnte. Sie meinte ihre Entscheidung sehr ernst. Soviel war sicher und mir fiel ein riesiger Felsbrocken vom Herzen.
Nach ein paar weiteren Neuigkeiten bei der Arbeit, die aber eher unwichtig waren, verabredeten wir uns in unser Lieblingskaffee auf einen der besten Kaffees der Welt- fanden wir jedenfalls.

Als ich schließlich wieder nach Hause kam, war es schon fast dunkel und ich freute mich darauf mich an Domenic zu kuscheln und einfach zu entspannen. Marie und ich hatten aus irgendeinem unerfindlichen Grund angefangen eine wirklich genaue Beschreibung unseres Traummannes zusammenzustellen und egal wie rum ich es auch drehte, bei meiner Beschreibung kam immer Domenic heraus. Bei Maries Rody. Nur ohne die Macke, dass er keine Kinder wollte. Schließlich saßen wir solange in dem Kaffee, dass es dunkel wurde und wir erst dann merkten, dass es schon reichlich spät war. Marie wollte keinen Stress mit Rody und so verabschiedeten wir uns und gingen beide nach Hause.
In der Küche leuchtete Licht und ich musste schmunzeln, als ich mir vorstellte, was Domenic wohl gerade machte. Mein Bauch knurrte und ich dachte daran, dass ich im Moment wohl alles essen würde, wenn es halbwegs essbar war. Also stürmte ich sozusagen die Küche und bekam bei dem Anblick der sich mir bot einen Lachanfall.
»Hör auf zu lachen! Das ist überhaupt nicht witzig!«, brachte Domenic wenig ernst unter seiner Taucherbrille hervor. »Du siehst so verdammt sexy damit aus…verdammt, ich bekomm keine Luft mehr!«, schnaufte ich und legte meine Hände auf den Bauch. Die Taucherbrille war rosa und hatte pink-weiße Regenwürmer darauf. »Hab.. hab…hab…aua mein Bauch…Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich …dass ich…überhaupt keine Zwiebeln esse?« Mittlerweile war ich auf den Boden gesunken und kullerte dort herum. Domenic’s Miene verfinsterte sich kurz, bevor er gespielt schmollend auf mich zu kam und meinte: »Nein das hast du mir nie gesagt! Jeder isst Zwiebeln… naja ich zumindest… und an einen Tomatensalat gehören nun mal Zwiebeln. PUNKT. Und weil ich nicht weinen wollte wie ein Schlosshund wenn du hereinkommst, habe ich eben deine alte Taucherbrille…benutzt…«
Ich schaute ihn an und prustete auch schon wieder los. Domenic riss sich meine alte Taucherbrille von den Augen und kniete sich neben mich auf den Boden. Dann schaute er mich mit diesen superdunkelblauen Augen an und ich hörte augenblicklich auf zu lachen. Langsam beugte er sich zu mir herunter. Unsere Lippen berührten sich… ganz sanft.
Ein gewaltiger Knall warf mich an die nächste Wand und Domenic gegen den Kühlschrank. »Autsch.«, meinte Domenic und rieb sich sein Hinterteil. »Als ich aufgeklärt wurde, hat mir keiner gesagt dass Küssen wehtut.« Ich prustete los und kullerte mich weitere fünf Minuten am Boden, bevor ich mich mithilfe von Domenic hinstellen konnte, ohne gleich wieder umzufliegen. Dann gab es Tomatensalat, für mich ohne und für Domenic mit Zwiebeln und ich musste mich beherrschen um nicht wieder loszulachen. Zwischendurch dachte ich an meinen Vater und fragte mich wo er jetzt wohl war. Ein schlechtes Gewissen hatte ich schon ein bisschen, aber eigentlich war es nicht gerecht, dass ich Mitleid verspürte. Trotzdem tat ich es. Und ich fragte mich, wie die Ehe meiner Eltern so gründlich schief laufen konnte.

Der Abend mit Domenic war schließlich noch wunderschön, obwohl ich dauernd das Bedürfnis hatte ihn zu küssen. Manchmal kam mir dann die Erinnerung an den Kuss mit Luke hoch und ich zuckte zusammen, was ich Domenic als zittern weil mir kalt wäre unterschob. Glücklicherweise bemerkte er meinen Schwindel nicht, sonst hätte ich ihm noch ausversehen von dem Kuss mit Luke erzählt.
Warte mal, Luke hatte mich geküsst?
»Wie kann Luke mich küssen, wenn er ein Gestaltenwandler ist?«, schoss es aus mir heraus
»Was meinst du?«, fragte Domenic.
»Luke hat mich geküsst, wie geht das, wenn er ein Gestaltenwandler ist? Oder ist das bei den Shantay anders?«, erklärte und fragte ich ihn zugleich.
»Er hat was?«,zischte Domenic, der nun ziemlich wütend aussah.
»Als ich letztens im Büro war, da hat er mich einfach geküsst. Aber das kann er doch gar nicht oder? Außer er stellt einen Antrag….und…der wird…genehmigt.« Ich glotze in zwei Topase und konnte es nicht glauben.
Domenic tat es mir gleich, und schien den kleinen Schauer der Eifersucht schnell überwunden zu haben. Denn er schien das gleiche wie ich zu denken und wusste anscheinend nicht, was er dazu sagen sollte.
Ich fasste mir mit den Händen an den Kopf und wollte das nicht glauben.
Da ich nun den wahren Luke kennen gelernt hatte, verabscheute ich ihn einfach nur.
Luke war falsch, denn er liebte mich gar nicht.
All das tat er nur, um Domenic zu rächen.
Für eine Tat, die Domenic aus tiefstem Herze bereute. Obwohl er nicht einmal etwas für den Tod für diese Maria konnte, da war ich mir sicher.
Sie muss eine wichtige Person in Lukes Leben gewesen sein, dass er so verletzt war.
Aber trotzdem entschuldigt das nicht seine Taten.
»Estelle?«, Domenic schüttelte mich an den Armen, und riss mich dadurch aus meinen Gedanken.
»Das ist schon okay. Wir bekommen das hin.«, redete er mir ein.
»Was bekommen wir hin?«
»Das mit Luke, mit dem Antrag. Einfach alles.«, erklärte Domenic der seiner Worte gar nicht so sicher schien.
»Und wie soll das gehen?«, hakte ich optimistisch nach.
»Wir gehen einfach noch mal zum Gericht und stellen den Antrag noch mal.«
Wenn das so einfach gehen würde, dachte ich mir.
»Deshalb kann das hohe Gericht den Antrag nicht genehmigen. Domenic hat das Vertrauen des Gerichts gebrochen, indem er sich von deinem Vater zwingen ließ, dein Gedächtnis und damit dich zu verändern.«, flüsterte ich vor mich hin, als läge der Brief direkt vor mir. »Deswegen wurde der Antrag abgelehnt?
Ich war noch ein Kind und wurde zu dieser tat gezwungen!«, versuchte sich Domenic zu verteidigen.
»Ich weiß, aber das Gericht sieht das anders. Wenn du also noch eine andere Idee hast, dann bloß raus damit.«, nuschelte ich vor mich hin, mit dem Gedanken, dass wir sowieso keine andere Möglichkeit hatten.
Ich umarmte Domenic und hoffte dadurch einen guten Einfall zu bekommen.
Wieso ist es mir nicht vergönnt ihn zu lieben.
Noch nie hatte ich einen Menschen so sehr geliebt und gebraucht wie Domenic.
»Kennst du nicht irgendjemand der uns vielleicht helfen kann?«, fragte ich während der Umarmung.
»Nein, leider nicht. Aber was ist mit deinem Vater?«, antwortete Domenic.
Ich löste mich aus seiner Umarmung und ging ohne ein Wort zu sagen in mein Schlafzimmer.
Ich zog mir schnell einen Schlafanzug und legte mich ins Bett.
»Schatz?«, hörte ich Domenic, als er gerade mein Zimmer betrat.
Ich äugelte unter der Bettdecke hervor und grinste ihn an. »Was machst du da?«, fragte er mich und grinste zurück.
»Ich liege in meinem Bett, wie du sehen kannst.«
Domenic musste schmunzeln und legte sich zu mir ins Bett. »Wenigstens können wir kuscheln ohne dass uns der Blitz trifft.«, bemerkte ich und kuschelte mich an ihn.
»Ich will meinen Vater nicht mehr sehen.«, murmelte ich vor mich hin, während Domenic mich sanft streichelte. »Ich weiß. Aber was wäre, wenn er uns helfen könnte?«
Was wäre wenn…, ließ ich mir durch den Kopf gehen. Was wäre, wenn mein Vater meine Mutter nicht betrogen hätte…Dann wäre meine Mutter noch am leben.
»Estelle?« Domenic riss mich aus meinen Gedanken, aber ich war froh drüber.
»Eigentlich hast du ja Recht. Aber ehrlich gesagt habe ich weder seine Handynummer noch weiß ich wo er sich grade befindet.«
»Ich hab seine Nummer, ich kann ihn sofort anrufen wenn du willst.«, bot er mir an.
»Nein, nicht sofort. Lieber morgen, ich muss mich erst seelisch darauf vorbereiten.«, erklärte ich und atmete tief ein.
»Was ich dich noch fragen wollte. Kannst du mir mehr über diese Zukunftsträume erzähle? Oder was auch immer das auch ist.«
»Ehrlich gesagt, kenne ich mich damit nicht so gut aus. Ich habe nur mal gehört, dass deine Träume sofort wahr werden können oder auch gar nicht. Es kommt ganz darauf an ob du einschreitest oder nur zuschaust. Ob du viel darüber nachdenkst oder es einfach wieder vergisst.«, erklärte er.
Ich dachte kurz darüber nach und schloss meine Augen.

Mit schnellen Schritten kam die Person auf den Gerichtssaal zu. Er öffnete die Tür und stand in einem Büro. Irgendwie kam mir dieser Mann in dem Büro bekannt vor, doch leider fiel mir sein Name nicht ein. Der Mann, der in das Büro gestürmt war erkannte ich leider nicht, weil ich ihn nur von hinten sah. »Wieso wird meine Tochter dafür bestraft? Für Taten die ich begangen habe.« Ich erkannte nun endlich wer der Mann war, es war mein Vater.
»Naja, mehr oder weniger wurde nicht sie bestraft, sondern Domenic Anderson.«, erklärte der Mann im ruhigen und ernsten Ton.
»Aber ich habe ihn doch dazu gezwungen, dann ist es doch meine Schuld. Allein ich trage die Schuld für das was passiert ist. Bestrafen sie mich.«, sagte mein Vater. »Sie wurden schon bestraft.«, erklärte der Mann.
»Bitte, ich würde mein Leben dafür geben. Hauptsache meine Tochter muss nicht darunter leiden. Sie ist das einzige was ich noch habe.«
Der Mann schien nachdenklich, als würde er sich seinen Vorschlag durch den Kopf gehen lassen. »Wenn sie es so wollen.«, sagt er und führte meinen Vater in ein anderes Zimmer.

»Neiiiiiin!«, schrie ich und erwachte aus dem schrecklichen Traum.
Schweißgebadet lag ich im Bett und hatte beinahe einen Herzinfarkt bekommen, wegen diesem Traum.
»Estelle, was ist los? Hattest du einen Alptraum?«,erkundigte sich Domenic schläfrig.
»Alptraum ist noch untertrieben, wir müssen unbedingt zu meinem Vater. Sofort!« Ich sprang auf und wollte gerade in die Dusche springen, als Domenic mich am Arm festhielt.
»Sag mir bitte was du geträumt hast.« Eigentlich wollte ich ihm es nicht erzählen, doch als ich in seine Topase sah, konnte ich nicht anders.
»Mein Vater wollte sein Leben für mich opfern.«, sagte ich knapp und hüpfte unter die Dusche.
Domenic sagte nichts weiter und machte mir etwas zum Frühstück.
Fertig angezogen und geduscht saßen wir dann beide am Esstisch und verschlangen schnell unsere Toastbrote.
»Scheiße.«, platzte es aus mir heraus.
Domenic guckte mich nur verwundert an, als wäre auf seinem Gesicht ein großes Fragezeichen abgebildet.
»Ich hab meine Arbeit ganz vergessen.«, erklärte ich ihm.
»Achso, das hab ich gestern noch erledigt. Ich hab dir für heute Urlaub genommen.«
Gott sei Dank hatte Domenic daran gedacht, sonst hätte ich noch ein Problem mehr gehabt. Und darauf konnte ich gerne verzichten.
»Also, hast du meinen Vater schon angerufen?« Domenic nickte.
»Aber ich habe ihn leider nicht erreicht. Es ging immer nur die Mailbox dran. Ich versuch’s noch einmal.« Er tippte ein paar Tasten und hielt dann sein Handy ans Ohr.
»Ruf mich bitte so schnell wie es geht zurück wenn du das hörst.«, sprach er ihm auf die Mailbox.
»Mist!«, fluchte ich. »Was ist wenn er schon zum Gericht gegangen ist. Wir müssen da sofort hin:«, entschied ich und lief zum nächsten Tor, dass sich nur wenige Häuser weiter befand. »Warte, Estelle!« Domenic packte mich am Arm.
»Wir können nicht so einfach zum Gericht marschieren.«, sagte er. »Nicht?«, fragte ich deprimiert. »Und wieso nicht?«
»Das Gericht ist unerreichbar. Man gelangt dort nur hin, wenn das Gericht dich ruft.« Er ließ meinen Arm wieder los. »Und wie kommen wir da jetzt hin?«, hakte ich hibbelig nach, weil ich so schnell wie möglich dort hin musste. »Weiß ich nicht, wie bist du denn letztens dort hin gelangt?« Das war mir noch gar nicht eingefallen. Ich überlegte, hatte aber Probleme mich daran zu erinnern, weil ich irgendwie eine Gedächtnislücke hatte.
Luke hat mich geküsst. Ich bin weggerannt…Dann stand ich auf dem Dach.
»Ahhh!«, triumphierte ich. »Ich bin geflogen, ich habe etwas verbotenes getan.« Domenic lächelte und küsste mir auf die Stirn. Mich überkam ein Schauer der Lust. Ich liebte ihn so sehr und wollte ihn jede Minute abknutschen. Doch ich hielt mich zurück und drückte ihm einen Kuss auf seine Nasenspitze.
»Und was machst du jetzt damit du zum Gericht kommst?«, fragte ich Domenic.
»Ich zeig es dir.« Er schenkte mir ein schiefes Lächeln und mein Körper prickelte.
So fühlen sich also Schmetterlinge im Bauch an.
Domenic suchte sich eine Gasse wo nur wenig Menschen waren, um nicht alle in Angst und Schrecken zu versetzen.
Schließlich fanden wir einen kleinen Gang, der an einigen Familienhäusern vorbei ging.
Dort lief ein Mann in Domenic‘s Richtung. Währen er auf den Mann zulief, versteckte ich mich schnell hinter einem Busch und lugte durch, um Domenic zu beobachten.
Domenic blieb vor dem Mann stehen und ließ ihn nicht vorbeilaufen. »Hee!«, sagte der Mann empört. Doch bevor er weiteres sagen konnte änderte Domenic seine Gestalt. Es blitzte kurz auf und vor dem Mann stand nun ein Domenic mit längeren blonden Haaren, aber seine immer noch gleichen wunderschönen blauen Augen waren geblieben. Der Mann stand mit offenem Mund da und glotzte Domenic an, als wäre er ein Monster. Ich kicherte leise vor mich hin, weil das einfach so albern aussah. Doch dann blitzte es noch einmal und Domenic war verschwunden. Ich machte es ihm gleich und stellte mich vor den Fremden, der immer noch wie angewurzelt da stand. Ich suchte mein Licht, dass ich wie ich bemerkte, schon länger nicht mehr in Gebrauch gewesen war und schüttelte meine Flügel. Der Mann rieb sich die Augen um zu schauen, ob er auch richtig sehen konnte. Ich musste wieder kichern und erschreckte den Mann, der dann schreiend davon rannte. Ich musste lachen und konnte einfach nicht mehr aufhören. Selbst als der Blitz kam und mich zum Gericht beförderte, war ich immer noch am Lachen. Erst als ich Domenic wieder erblickte und unsere Situation bemerkte riss ich mich wieder zusammen.
Ich muss ihn aufhalten…. Ich suchte den Raum, den ich in meinem Traum gesehen hatte und wurde schnell fündig.
Ich wollte die Tür zum Nebenraum aufmachen, als ich plötzlich einen lauten Schrei hörte.
Den Schrei meines Vaters…


17


Ich rannte los. Die Tür sprang fast wie von selbst auf, als ich mich dagegen warf. Geschockt starrte ich auf eine Art Käfig in der Mitte des Raumes, in dem mein Vater saß und genauso geschockt zurückstarrte.
»Dad?« Mein Mund stand offen, während ich ihn verwundert musterte. »Verdammt, was machst du denn hier?«, setzte er entgegen und schüttelte den Kopf. Ich betrachtete ihn stirnrunzelnd und beäugte misstrauisch den Käfig, der aus vielen kleinen Lichtern zu bestehen schien. Langsam trat ich näher und streckte aus Neugierde meine Hand danach aus. »ESTELLE! NEIN!«, schrei mein Vater, doch da berührte ich auch schon das weiche Licht. Mit einem gewaltigen Ruck wurde ich zurückgeschleudert und landete hart auf dem Boden, während eine unglaublich laute Sirene zu heulen begann. Ich rappelte mich –Schimpfwörter wie dumm ich doch war, vor mich hersagend – auf und sprintete aus der Tür hinaus in einen noch dunkeln Gang. Jedoch würde er nicht mehr lange dunkel sein, das war ich mir bewusst. Ich drehte mich um. Mein Vater schaute mich ängstlich an. »Dad? Was hast du getan? Sag ihnen du hörst auf damit, was auch immer sie mit dir machen! Und sag es soll lieber alles beim alten bleiben! Ich verstecke mich nur eben und bin gleich wieder zurück, in Ordnung?« Er fing an zu Zittern. »Lass mich nicht alleine Estelle! Wenn du gehst hält mich nichts mehr hier in der Gegenwart und es ist zu spät. Meine Seele ist nur noch hier, weil du vor mir stehst…«
Ich brauchte einige Minuten um das zu kapieren. Ich versuchte ruhig zu atmen, als ich Schritte hinter einer der vielen Korridortüren vernahm. Nur keine Panik!
Ich sandte meine Gedanken nach innen und suchte nach meinem Licht. Es funkelte wie ein wunderschöner Regenbogen. Ich musste einfach Lächeln. Mir viel sofort das kräftige Orange auf, das sich in diesem Moment deutlich von den anderen Farben hervorhob. Ich zog es in den Vordergrund und hielt es angestrengt fest. »Oh mein Gott! Oh mein Gott! Estelle? Estelle wo bist du?«, rief mein Vater panisch. »Ich bin doch hier! Siehst du mich nicht?« Mein Vater schaute irritiert und antwortete mit Nein. Wow ich kann mich unsichtbar machen! Sehr praktisch!
»Dad ich bin bei dir, aber du darfst mich nicht verraten!«, zischte ich ihm zu, als auch schon die Türe zum Zimmer aufging, die ich vorher vorsorglich hinter mir geschlossen hatte. Mein Vater fing wieder an zu jammern und zu schreien, so, als wäre ich nicht im Raum und ihm ginge es schlecht. »Wo ist sie?«, fragte Domenic und schaute meinen Vater böse an. »Ich weiß es nicht, sie ist gegangen! Sie hat das Licht angefasst! Wärter sie müssen mich hier raus lassen!«
Ich hatte schon vor lauter Freude Domenic hier zu sehen wieder mein Licht loslassen und mich damit sichtbar machen wollen. Doch der böse Blick hatte nicht zu Domenic gepasst. Und seine Augen waren von einem hässlichen braun erfüllt. Das war nicht Domenic. Es war ein Wärter.
Sie wollen mich linken!, schoss es mir durch den Kopf. Ich blieb still stehen und rührte mich nicht vom Fleck.

Der Wärter war schließlich zu dem Entschluss gekommen, ich sei weg und auf den Korridor hinausgetreten, um die anderen zu warnen, dass ich den Gefangenen befreien wollte. Ich spähte aus dem Raum durch die offene Tür und erschrak, als ich erkannte, dass alle aussahen wie Domenic! »Ach du meine Güte.«, murmelte ich vor mich hin. Mein Vater tat weiterhin so, als würde er die größten Schmerzen der Welt erleiden und ich war richtig stolz auf ihn, weil er es – wie ich mir eingestehen musste- ziemlich glaubwürdig und echt herüberbrachte. Schritte rissen mich aus meinen Überlegungen und ich konzentrierte mich wieder auf meine jetzige Situation. Ich kam mir vor wie in einem Agentenfilm, bei dem Mann seine Deckung nicht aufgeben durfte, als ich mich an der Wand entlang zurück in eine der Ecken pirschte. Sonst rannte man mich am Ende noch um! Und das bräuchte es nicht auch noch, sagte ich mir und zog stärker an meinem Licht, um ganz sicher zu sein, dass ich nicht wieder sichtbar wurde. Mein Vater starrte auf meine Füße. Scheiße! Anscheinend beherrschte ich das Licht noch nicht so gut wie gedacht hatte. Man sah deutlich meine Schuhspitzen. Langsam und immer weiter aufwärts wurde ich wieder sichtbar und die Augen meines Vaters immer größer. Er versuchte mir mit heftigen Kopfbewegungen das mitzuteilen, was ich bereits wusste. Ich war nicht mehr unsichtbar. In meinem Kopf läuteten die Alarmglocken und ich drehte mich auf der Suche nach einem geeigneten Versteck einmal um die eigene Achse. Ich sah genau zwei Möbelstücke. Einen alten Stuhl und ein kleines Bett, die beide wahrscheinlich für den Wärter meines Vaters gedacht waren, falls dieser hier eine längere Wache schieben musste. Ich fluchte und rannte auf das Bett zu. So schnell ich konnte, quetschte ich mich darunter und versuchte möglichst wenig Staub einzuatmen um zu vermeiden, dass ich niesen musste. Ich war keine Sekunde zu früh gewesen, denn in diesem Moment öffnete sich erneut die Türe. Einer der Domenic‘s schaute sich flüchtig um und mauerte dann seinen Blick auf das Bett. »Estelle?«, flüsterte er leise. Ich betrachtete ihn genau. Ich sah die Sorge um meinen Vater in seinem Blick und hörte die Liebe in seiner Stimme, als er meinen Namen flüsterte. Erleichtert atmete ich aus und kroch aus meinem Versteck. »Domenic! Zum Glück bist du da! Ich hatte solche Angst! Wir müssen Papa da raus holen!«, faselte ich und warf mich in seine Arme, die mich fest in eine Umarmung schlossen. Zu fest. »Keine Sorge es wird alles gut.«, flüsterte er zu mir und schrie dann: »Sie ist hier! Hierher! Sie ist HIER!«
Mein Kopf summte. Falle Falle Falle..., lachte die Stimme in meinem Kopf und ich wünschte mir auf einmal sehr, sie wäre einfach nicht da.
Doch dann erinnerte ich mich daran, dass ich sie auch schon einmal richtig gebraucht hatte. Als ich in der Wüste gewesen war und ich erlernte die Elemente zu beherrschen! Ich versank in meinem inneren und zog das purpurne Licht heran, das ich gelernt hatte zu beherrschen um die Elemente zu rufen, wenn ich in Gefahr war zu sterben. Und wenn ich nichts unternahm würde ich das nun vielleicht. Und mein Vater auch. Und ich würde Domenic nie wieder sehen. Lukes Name schwirrte mir durch den Kopf, doch ich schob ihn beiseite. An ihn wollte ich nicht denken. Wegen ihm war ich hier. Er hatte einen Antrag gestellt, weshalb ich und Domenic nicht zusammenkommen konnten. Nie mehr! Eine unglaubliche Wut breitete sich in meinem Körper aus und mit ihr das Licht, dass ich festhielt, damit es sich nicht seinen Weg zurückbahnen konnte. Mit einem Schrei stieß ich meinen “Auslieferer“ von mir. Ein kribbeln stieg durch meinen Körper und ich fühlte pure Macht. Der “Auslieferer“ zuckte erschrocken zusammen, als er das Licht um mich herum sah und wich zurück. Ich lachte.
Ein Wirbelsturm bildete sich auf meiner Handfläche, so klein wie eine normale Walnuss. Ich ließ ihn anschwellen und größer werden und schickte ihn mit dem Mann der mich getäuscht hatte durch die Türe in den Korridor hinaus. Krachend fiel die Tür wieder ins Schloss. Ich richtete meine Konzentration auf den leuchtenden Käfig und sammelte meine Kraft. Zweifelnd überlegte ich, ob ich mit den Elementen ein von dem hohen Gericht erschaffenen Licht-Käfig zerstören konnte. Ich schaffe das!, redete ich mir gut zu und hob meine Hände. Ein Blitz schoss hervor und hob ein Loch in den komischen Fließen Boden, sodass mein Vater die Möglichkeit hatte unter dem Käfig hindurch auf die andrer Seite der Gitterstäbe zu kriechen. Er verstand was ich vorhatte und kroch vorsichtig um das Gitter nicht zu berühren los. Vorsichtshalber schützte ich ihn mit meinem grünen Licht und hielt es solange über ihm ausgedehnt, bis er ganz draußen war.
»Estelle? Danke… nur nützt es nichts.« Ich musste anscheinend ziemlich dämlich schauen, denn er fuhr fort: »Ich habe die Schuld auf mich genommen, Domenic ist nun frei. Auch wenn ich jetzt aus diesem Käfig bin, trage ich diese Schuld für immer auf meinen Schultern und der Eintausch meiner gegen Domenic’s Bestrafung kostet mich trotzallem mein Leben. Sie saugen meine Seele aus mir.« Ich wusste, dass er die Wahrheit sagte und Tränen brannten in meinen Augen. »Es tut mir Leid Estelle. Du warst immer das wichtigste für mich. Du schaffst das auch alleine meine Große, in Ordnung?« Mein Licht schnappte zurück und der Schutz des grünen Lichtes war nun nicht mehr über meinem Vater. Er schrie auf.
»Estelle es tut mir leid, es tut mir alles unendlich leid, das musst du mir glauben!« Seine Augen füllten sich ebenfalls mit Tränen, bevor er erneut unter Schmerzen zusammenzuckte. »Nein! Dad! Papa! Nein du darfst nicht auch weg gehen, ich brauche dich doch!«, schrie ich und klammerte mich an seinen Körper, als wäre er ein Rettungsring in einem tosenden Meer. Er sank zu Boden und ich schrie und jammerte und doch wusste ich, dass es bereits zu spät war. Ich hatte nicht früh genug gehandelt und die Zukunftsvision hatte sich sozusagen erfüllt. »Ich liebe dich Estelle, ich…lie…lie… ..be...di…c…h!« Ich spürte wie sein Körper erschlaffte und in meine Arme sank. Verzweifelt schluchzte ich auf und klammerte mich an den schlaffen Körper meines Vaters. Ich wusste das er tot war.
Er ist tot…er ist tot…TOT…!!!, kreischte die Stimme in meinem Kopf. »SEI RUHIG!«, schrie ich sie an und weinte, den Kopf an Dad‘s Brust gepresst. Es war zu spät.

Nach einiger Zeit stand ich auf und versuchte den Körper meines Vaters auf das kleine Bett zu schleifen. Als das nicht funktionierte, brach ich erneut in Tränen aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Seine Augen waren geschlossen. Wo er jetzt wohl ist?
Ich würde es nie erfahren, dachte ich mir und biss mir in den Arm um mich zu beruhigen. Mein Atmen ging schnell und bald fing ich an zu hyperventillieren. Verzweiflung packte mich und ich schlug verärgert nach einer Mücke, die sich auf den Leichnam meines Vaters setzte. Ich konnte hier nicht ewig bleiben. Sie suchten mich. Moment…sie suchten mich doch…warum war bisher niemand hierhergekommen?
Misstrauisch beäugte ich die Türe die vor mir lag. Warum kam niemand? Ich schüttelte meinen Kopf und stand langsam auf.
Halt warte! Du musst mich verstecken!, rief die Stimme meines Vaters in meinem Kopf. Ich schlug mir mit der flachen Hand dagegen um mich zu vergewissern, dass ich nicht träumte und dass alles ein schlechter Scherz war.
Trotzdem fing ich an zu reden. »Dad?« Ich bekam keine Antwort.
War ja klar, dass ich mir das nur einbilde!, dachte ich und wollte gerade den Weg zur Türe einbahnen, als ich die Stimme von Dad erneut hörte.
Du musst mich verstecken! Das lenkt von dir ab. Sie denken dann sie müssen zwei Personen suchen! Los schnell!
Meine Gedanken überschlugen sich, als ich begriff, dass er mit mir kommunizierte obwohl er tot war.
Dad?, fragte ich dieses Mal in meine Gedanken hinein und jauchzte vor Freude auf, als er mir antwortete.
Ja, ich bin da! Und nun beeile dich!, ertönte die Stimme erneut und ich ging zurück zu meinem eigentlich toten Vater und versuchte ihn unter das Bett zu schieben. Nach einigen Minuten hatte ich es schließlich geschafft und war ein bisschen außer Puste.
Und denk daran, sagte mein Dad, ich bin immer bei dir wenn du mich brauchst.
Ich spürte ein Ziehen an der Kopfhaut und dann war mein Vater aus meinen Gedanken verschwunden. Einigermaßen beruhigt, versuchte ich mich wieder in die neue Situation einzufühlen. Ich öffnete die Türe und schloss sie wieder hinter mir. Vorsichtig schaute ich mich um, doch es war niemand zu sehen.
Ich schlich vorsichtig durch das Haus in der Hoffnung Domenic endlich zu finden. Ich wunderte mich warum die ganzen Wachen nicht mehr in Domenic’s Erscheinungsbild herumliefen. Da kam auch schon aus heiterem Himmel Domenic auf mich zu und wollte mich in die Arme nehmen. Ich wich aber unsicher zurück, weil ich nicht in die Arme der Wachen laufen wollte. »Hey was ist los?«, fragte mich der Domenic. Um mich zu vergewissern, dass es auch wirklich Domenic war versuchte ich in seine Gedanken einzudringen. Doch erschreckend stellte ich fest, dass es auf jeden Fall nicht Domenic war. Denn ich hörte ein leises Flüstern der Gedanken, von dem Unbekannten der vor mir stand. Mal schauen, ob sie den Test besteht, dachte die Person.
»Sie sind nicht Domenic!«, sagte ich und wartete neugierig was die Person darauf antworten würde. »Da haben sie wohl Recht. Sie haben den Test bestanden.«, sagte sie und wandelte sich zu einem etwas älteren Herrn mit kurzen Haaren, der mich irgendwie bekannt vorkam.
»Was für ein Test? Und was soll das alles hier?«, fragte ich wütend und verschränkte die Arme. »Ich bin Richter Baltermann und ich habe sie getestet ob sie mich von ihrem Freund unterscheiden können«
»Und wieso das alles? Ihr habt meinen Vater umgebracht.«, entgegnete ich und bebte vor Wut und Trauer. Doch ich atmete einmal tief durch und riss mich zusammen. Ich konnte jetzt nichts mehr ändern.
verzweifelt sah ich mich um, ob noch irgendwo andere Domenic’s auftauchten. »Ihr Vater hat mir ein Angebot gemacht, dass ich nicht ablehnen konnte. Denn dadurch dass er uns seine Seele gegeben hat, hat er ihnen und uns damit geholfen.« Ich dachte über seine Worte nach und erinnerte mich wieder an meinen Traum. Mein Vater hatte hat sein Leben dafür gegeben, die Schuld von Domenic zu nehmen. Dadurch hatten wir beide vielleicht doch noch eine Chance einen Antrag zu stellen.
»Und was für einen Nutzen hat die Seele meines Vaters für sie?« »Die Seele ihres Vater gibt unseren Kriegern Energie für den Krieg, den sie sicher schon mitbekommen haben.« Ich musste schlucken und wollte dem Mann am liebsten an den Hals springen, doch ich hielt mich zurück. »Ich glaub das wäre keine so gute Idee.«, sagte der Mann und lächelte freundlich.
»Gehen sie aus meinem Kopf!« In meinen Gedanken griff ich schnell nach meinem roten Licht und nahm mir so viel davon, dass niemand in meinen Kopf herumwühlen konnte. Ich hasste es wenn man auf Gedanken in meinem Kopf Antworten gab.
»Wissen Sie.«, begann Herr Baltermann, »Ich wollte testen ob sie mich mit ihren Fähigkeiten von den anderen unterscheiden können, weil wir sie brauchen... Sie können mehr als sie bisher wissen.« »Wie sie brauchen mich?«, fragte ich verwirrt. Auch mir war aufgefallen, dass ich ohne weiteres seine Gedanken und Gefühle erkannt hatte, woraus ich schloss, dass es ein neues Licht gab. Ich versank einen Moment in mir und stellte fest, dass genau das eingetreten war. Am Rande meines herrlich leuchtenden Regenbogens gab es nun ein gräulich-glitzerndes Licht. Könnte nützlich sein, sagte die nervige Stimme, doch ausnahmsweise stimmte ich ihr zu. »Wir brauchen sie für den Krieg. Wir möchten, dass sie mit den anderen Kriegern versuchen den Krieg zu stoppen. Deswegen habe ich ihre Fähigkeiten getestet.«
Sie brauchen mir für den Krieg? »Warten Sie mal, das geht mir hier zu schnell.« Ich holte tief Luft. »Ich habe gerade meinen Vater verloren und sie fragen mich hier ob ich in den Krieg ziehe?« Herr Baltermann räusperte sich und führte mich in das Büro aus meinem Traum.
»Ich weiß, das ist nicht alles so einfach für sie. Aber der Krieg wird immer schlimmer werde, wenn wir keine Unterstützung bekommen. Wir sind nämlich in der Unterzahl. Doch mit einem Engel wie sie und ihrem Freund wird unsere Hoffnung größer, dass wir es schaffen könnten.«
Das musste ich erst mal schlucken und sah Baltermann in die Augen. »Wo ist Domenic eigentlich?« Er zeigte auf eine von vielen Türen, die in dem Zimmer waren. Ich stand auf und wollte gehen, zu Domenic. Das alles ging mir viel zu schnell, ich brauchte seine Nähe. Das mit meinem Vater…Ich bin doch immer bei dir. Hörte ich wieder seine Stimme sagen. Doch leider war es nicht das Gleiche, wenn er lebendig neben mir stehen würde.
»Ich werde es mir überlegen. Jetzt will ich erst nach Hause.«, sagte ich und trottete aus dem Zimmer und hoffte Domenic wieder zu sehen.
Ich lächelte erleichtert, als ich Domenic auf einem Stuhl saßen sah. Ich prüfte, in dem ich in seine Gedanken und Gefühle eindrang, ob er der richtige Domenic war. Doch ich spürte seine Wärme und seine Liebe für mich und war mir sicher, dass er der Richtige war.
»Estelle.«, sagte er und schenkte mir ein warmes Lächeln. Er nahm mich in den Arm und drückte mich. »Das tut mir alles so leid.«, versuchte er mich zu trösten.
Mir standen wieder Tränen in den Augen, doch ich schluckte die Tränen herunter und weinte nicht. Ich darf nicht mehr weinen, wenn ich in den Krieg ziehe muss ich stark sein, redete ich mir ein.
Ich löste mich aus seiner Umarmung und lächelte ihn noch mal an, um ihm zu zeigen, dass es mir gut ging. Ich setzte mich auf den Stuhl und dachte nach, über alles.
Domenic tat es mir gleich und nahm meine Hand. Mein Körper prickelte und ich hatte wieder das verlangen ihn zu lieben, ihn zu küssen. »Der Antrag!«, platzte es aus mir heraus. Ich stand auf, rannte aus dem Zimmer und zog Domenic hinter mir her. Doch leider war Herr Baltermann nicht mehr in dem Büro. Ich rannte weiter und nahm mir einfach vor, alle Zimmer zu durchsuchen, bis ich ihn finden würde. »Was ist denn?«, prustete Domenic während wir rannten.
»Wir müssen Baltermann finden!« Wir rannten durch das halbe Schloss, bis wir ihn endlich fanden. Er musste schmunzeln, weil er wohl schon wusste was ich von ihm wollte.
»Ich werde den Antrag noch mal durchgehen lassen. Doch ich kann ihnen nicht versichern, dass es trotz der geänderten Umständen geändert wird. Vor allem, da schon ein Antrag für sie genehmigt wurde.« Als ich an diesen Verräter denken musste, wurde mir schlecht und musste tief durchatmen um keinen Wutanfall zu bekommen. »Aber ich will das doch gar nicht. Muss ich nicht auch einverstanden sein, damit sein Antrag angenommen wird?«
»Ja da haben sie Recht. Wenn jemand einen Antrag stellt müssen beide damit einverstanden sein, damit der Antrag erst genehmigt wird«, erklärte er. »Wieso hat Luke mich dann einfach geküsst? Ich wollte das gar nicht!«, wunderte ich mich und drückte Domenic’s Hand.
»Er hat das ohne ihre Zustimmung getan? So geht das natürlich nicht.«, stellte Baltermann fest und rieb sich nachdenklich am Kinn. »Ich werde diese Angelegenheit klären. Doch das kann ein bisschen dauern, da wir zurzeit etwas Stress haben. Sie wissen ja warum. Haben sie sich eigentlich schon entschieden?« Eigentlich brauchte ich gar nicht darüber nach zu denken.
»Ja, ich werde helfen.« Aber alleine wollte ich das nicht. »Und du Domenic?«
»Ja, auch ich werde helfen.« Ich atmete erleichtert aus, denn mit Domenic in den Krieg zu ziehen machte mir nicht so viel aus wie alleine zu gehen.
»Dann ist ja alles erklärt. Wenn ich sich irgendwas ergibt, werde ich es ihnen natürlich so schnell wie möglich mitteilen.«, sagte Baltermann und wollte grade gehen als mir noch etwas einfiel. »Warten Sie. Werden wir uns noch an alles erinnern wenn wir wieder zu Hause sind?«, fragte ich, obwohl ich nicht wusste wieso mir diese Frage eingefallen war.
»Ja, das werden sie, weil das eine wichtige Angelegenheit ist die sie natürlich nicht vergessen dürfen.«, sagte er und schon waren wir aus dem Gericht nach Hause geschickt worden.
Ich warf mich sofort auf mein Bett und sog den Geruch von frischer Bettwäsche ein. Ich stieß einen lauten Seufzer aus, da kitzelte Domenic mich an den Füßen. Beinahe schlug ich ihm ins Gesicht, traf aber zum Glück nur seine Schulter.
Das ganze endete darin, dass ich auf Domenic lag und seine Bauchmuskeln bestaunte. »Vielleicht wendet sich jetzt doch alles zum besseren.«, flüsterte ich auf seinem Körper und ließ meine Gedanken kurz zu meinen Dad schweifen.
»Mhhh«, stimmte er mir leise und verschlafen zu.


19


Noch halb schlafend quälte ich mich aus dem Bett und machte mir einen Kaffee. Ich war ja schon wieder seit ein paar Tagen nicht mehr arbeiten gegangen, es war einfach so viel passiert. Ich machte mir zum Frühstück ein Toastbrot und beschloss Domenic noch schlafen zu lassen. Ich schlich mich bevor ich ging noch schnell in mein Schlafzimmer und gab Domenic ein Kuss auf die Stirn. In der Kanzlei angekommen, erkundigten sich wieder alle Kollegen besorgt, ob es mir wieder gut ginge. Ich wollte gar nicht wissen, was Domenic sich dieses Mal ausgedacht hatte. Zu Beginn sortierte ich erst einmal die ganze Unordnung auf meinem Schreibtisch und suchte mir die Akte meines neuen Klienten raus.
Doch leider kam ich nicht weit. Es klopfte an der Tür und jemand mir bekanntes trat zur Tür herein. »Was willst du denn hier? Du kannst gleich wieder gehen. Ich weiß gar nicht warum du dich es noch traust hier aufzutauchen.«, schnaubte ich ihn wütend an.
Er erschrak wegen meines Ausbruches und zuckte leicht zusammen. »Ich wollte dich nur mal wieder sehen.«, erklärte er.
»Ich hab gesagt du sollst gehen!« Ich blieb hart. Ich durfte nicht nachgeben, nach alledem was da passiert war.
»Hab ich irgendwas gemacht warum du so sauer bist? Das wegen dem Kuss tut mir Leid, so was werde ich nicht noch mal tun ohne deine Erlaubnis.«
»Das ist dir leider zu spät eingefallen.«, teilte ich ihm im ruhigen Ton mit, um nicht meinen Kollegen alles erklären zu müssen.
»Luke, ich weiß alles. Ich hab alles über dich erfahren, also brauchst du dich nicht mehr vor mir blicken zu lassen!« Ich las die Akte weiter durch und wartete darauf dass er mein Büro verließ. Doch er tat es nicht.
»Soll ich die Sicherheitsleute holen oder kannst du alleine gehen?«, fragte ich Luke, der da stand, als wäre er erstarrt.
»Was weißt du über mich?«, fragte er.
»Ich hab so ziemlich alles über dich erfahren was es da zu wissen gibt, glaub ich. Weißt du, ich hatte vor kurzem einen Zukunftstraum. Ich habe das ganze Gespräch mit dir und Domenic mitbekommen. Zweimal. Nach dem Traum bin ich zu dem Ort gegangen und habe gewartet ob mein Traum Wirklichkeit wird. Und das ist geschehen. Ich habe erfahren wie du über Domenic denkst. Was damals passiert ist. Und was du über mich denkst. Dann habe ich gestern auch noch erfahren, dass du einen Antrag gestellt hast, mich aber ohne meine Erlaubnis einfach geküsst hast. Ich bin nicht mehr so naiv wie früher Luke. Ich werde nicht auf dich hereinfallen. Außerdem will ich jetzt, dass du verschwindest oder ich rufe die Sicherheitsleute.«, erklärte ich, holte tief Luft und widmete mich wieder der Arbeit.
Zum Glück verließ Luke nach meiner Ansprache ohne weitere Worte mein Büro. Ich versuchte weiter zu arbeiten, war aber so durch den Wind, dass ich zu gar nichts mehr im Stande war. Ich fuhr mich durch meine langen Locken, die heute ausnahmsweise mal nicht zu einem Zopf zusammen gebunden waren. Dann nahm ich das Telefon und rief bei mir zu Hause an.
»Hier bei Veronie?«, hörte ich Domenic’s wunderschöne Stimme, die mich wieder ein bisschen zur Ruhe brachte. »Hey, hier ist Estelle.«, meldete ich mich.
»Ist was passiert? Oder warum rufst du an?«, erkundigte sich Domenic besorgt. Ich musste grinsen. »Nein, alles okay. Ich wollte nur deine Stimme hören.« Ich konnte fühlen, dass Domenic lächelte und bekam ein warmes Gefühl im Bauch. »Aber irgendwas muss doch passiert sein? Ich kann deine Gefühle spüren. Du bist aufgebracht..«
»Luke war wieder da.«, murmelte ich. »Aber ich hab’ ihn gleich wieder verjagt. Es ist nichts passiert.«
»Dieser Bastard, er soll sich von dir fern halten.«, fluchte Domenic am anderen Ende der Leitung. »Ja ich weiß, aber er hat es ja eh schon versaut, ich hoffe sie streichen ihm den Antrag wieder!«
»Weißt du was? Ich liebe dich.«, kam ich schließlich nach etwa zehn Minuten zum Ende und war als ich auflegte wieder wahnsinnig gut gelaunt.
Die Tür sprang auf und Luke schaute mich entsetzt an.
»Das eben war jetzt nicht dein ernst oder?«
In Sekundenschnelle begriff ich, dass er mein Gespräch mit Domenic belauschte haben musste. Mit einigermaßen fester Stimme versuchte ich zu antworten. »Es ist mein voller ernst Luke! Und wenn du jetzt nicht augenblicklich mein Büro verlässt, dann...«
Luke schlug die Türe zu. Sein Blick aus den Gold-braunen Augen bohrten sich in meine und ich hielt den Atem an. Wie bei einem tiefen Instinkt in mir, wusste ich, dass ich mich jetzt auf keinen Fall bewegen sollte. Ich hatte den Tiger in ihm geweckt. Und er sah mich als seine Beute.
Mit der Geschmeidigkeit, die gleich der eines Tigers war, kam er auf mich zu. Wieder einmal versuchte ich nicht daran zu denken, wie gut er doch aussah. Doch es war zu spät. »Du begehrst mich.«, murmelte Luke und sein intensiver Blick ging mir direkt unter die Haut.
Schritt für Schritt kam er auf mich zu und ich wagte es nicht auch nur einen Fuß nach hinten zu setzten. Eigentlich konnte ich das so oder so nicht. Ich stand zwischen der Wand mit einem großen Glasfenster und meinem Bürotisch.
Ich hatte mir dieses von zwei Büros ausgesucht, weil mir der Blick über die Stadt so gefallen hatte.
Kein Wunder, dachte ich, ich bin ja auch ein Engel.
Angst stieg in mir auf und ein Gefühl, dass ich so gerne beiseite geschoben und missachtet hätte, doch es war da. Luke hatte Recht. Ich begehrte ihn. Aber auf eine andere Weise.
In dem Moment setzte mein Verstand aus und mein Fluchtinstinkt ein. Ich drehte mich mit einem Schwung um und versuchte hinter dem Schreibtisch hervorzukommen, doch Luke war schneller. Er legte seine kraftvollen Arme von hinten um meine Hüfte und hielt mich fest. Mir entfuhr ein Stöhnen, als er seine Hände über meinen Bauch gleiten ließ. Ich konnte nicht anders und dafür hasste ich mich. In meinen Gedanken blitzen Domenic’s Augen auf und ich stellte mir vor wie er reagieren würde, wenn er später einmal herausfinden sollte, dass Luke mich verführt hatte.
Luke drehte meinen Körper dem seinen zu und blickte mich ruhig und wachsam an. So als hätte ich eine Wahl. Die Stimme in meinem Kopf zeterte vor sich hin, dass ich meine Entscheidung eh schon getroffen hätte. Und das hatte ich auch. Stumm erwiderte ich Lukes Blick und er zog mich enger an sich. Ich spürte deutlich seine Erregung und versuchte nicht den Kopf zu verlieren. Mein Körper prickelte vor Erwartung, als sich Lukes Kopf zu mir herabsenkte.
»Estelle, du hast mich ger... ach du meine Güte!«, meinte Marie, die in der Tür stand und die intime Szene geschockt betrachtete.
»Ups, da liegt wohl ein Missverständnis vor und du hast mich überhaupt nicht gerufen, ich bin schon wieder weg, Entschuldigung, es tut mir wirklich leid!«, entschuldigte sich Marie, der die ganze Sache mehr als peinlich zu sein schien. »Nein nein Marie, bleib ruhig hier... äh Luke wollte sowieso gerade gehen, nicht wahr?«, fragte ich mit einem frechen Grinsen und Luke verdrehte die Augen. Im Geiste versuchte ich mich zu beruhigen und nicht darüber nachzudenken, was alles hätte passieren können. Marie blickte verwirrt von mir zu Luke und trat dann automatisch beiseite, als Luke sich an ihr vorbei drängelte.
Mich nicht aus den Augen lassend schloss sie dir Türe hinter ihm.
»Okay... was war das?«, fragte Marie mit einem schiefen Grinsen im Gesicht. »Sah ja ziemlich heiß aus der Typ.«
Ich streckte Marie die Zunge aus und bedeutete ihr mit einer Geste sich zu setzten. Marie ließ sich in einem Sessel der kleinen Sitzecke nieder, die ich bewusst in eine der Zimmerecken hatte einbauen lassen. Manchmal konnte ich mich so besser mit meinen Klienten unterhalten als über einen Schreibtisch hinweg. Für mich hatte die Sitzecke einen hohen Wert in meinem Büro, denn sie nahm das befremdliche. Das “typische Büro“ verschwand dadurch. Und mit ein paar Zimmerpflanzen und meinem schönen großen Fenster war mein Büro fast heimisch. Ich liebte es hier zu arbeiten und das bemerkten auch meine Kunden, meinte auf jeden Fall mein Chef. Marie tabbelte unruhig mit ihren Fingerspitzen auf die Armlehne des Sessels und ich kehrte gedanklich zu ihrer Frage zurück.
Ja... was war das eigentlich gewesen? Der Antrag von Luke war offenbar noch nicht storniert worden...
Ich blickte in Maries fragende Augen und überlegte krampfhaft was ich ihr nun erzählen sollte. »Naja...«, versuchte ich den Anfang.
»Was naja?«, drängte Marie.
In dem Moment fasste ich einen Entschluss. Ich musste Marie die Wahrheit sagen. Auch, weil Rody sie sonst in seine Pläne einspannen konnte und mein Zukunftstraum dann wahr werden würde. Ich wollte sie nicht verlieren. Auf keinen Fall!
»Okay Mäuschen... wir haben uns doch immer die Wahrheit gesagt oder nicht?«
Sie nickte mit bekümmertem Blick. Meine Augen wanderten zu ihrem Bauch und mir wurde ganz warm, als ich daran dachte was für eine wunderbare Mutter Marie doch sein würde.
Marie folgte meinem Blick und legte beschützerisch die Hände auf ihren Bauch, der schon ziemlich dick zu sein schien. Insgeheim nahm ich mir vor Domenic zu fragen, ob Gestaltenwandlerbabys vielleicht schneller wuchsen als normale Babys von normalen Menschen.
»Was ist mit meinem Baby?«, fragte Marie mit leicht hysterischer Stimme.
Sofort wandte ich den Blick von ihrem Bauch ab und lächelte sie beruhigend an.
»Nichts Marie, ich dachte nur daran, wie es wohl ist dich als Mutter zu sehen.«
Ein Lächeln huschte über Maries Gesicht, doch dann wurde sie wieder ernst.
»Estelle, du schweifst mal wieder vom Thema ab... was ist los? Wer war der heiße Typ und was sollte das vorher?«
Ich seufzte und fing an ihr von allem zu erzählen. Dass ich ein Engel war. Dass mein Dad tot war. Dass es ein hohes Gericht gab, das darüber entscheiden sollte, ob ich und Domenic jemals richtig zusammenkommen konnten.
Und von Luke. Von seinen Gemeinheiten.
Und, dass es mir schwer fiel, mich von Luke fernzuhalten, obwohl ich doch ganz genau wusste, dass ich Domenic liebte. Ihn sehr liebte.

Marie unterbrach mich nicht. Sie zog weder die Augenbraue hoch, wie sie es sonst immer tat wenn sie skeptisch war, noch lachte sie mich aus. Sie hörte einfach nur zu. Als ich geendet hatte, trafen sich unsere Blicke. In ihren Augen las ich Vertrauen, Unterstützung und Zuneigung. Sie hatte begriffen, dass das alles kein Spaß war.
Einen Bruchteil später lag ich in ihren Armen und auf ihrem kleinen runden Bauch und heulte mir die Seele aus dem Leib.
Du Heulsuse, du wolltest doch nicht mehr!, beschwerte sich die nervige Stimme in meinem Kopf. Ich versetzte ihr ihm Geiste einen Klaps und sie war wieder still.
Marie saß einfach nur da und hielt mich fest, so wie früher auf dem College, wenn die blöden Typen fies waren und man sich einfach ausweinen musste. Ich war ihr so dankbar, dass sie da war.
Schniefend schaute ich zu ihr auf. »Danke.«, faselte ich und kuschelte mich wieder in ihre Arme. In dem Moment spürte ich eine sachte Bewegung unter meinem Ohr.
»Es hat getreten. Oder?«, hauchte ich und schaute erneut zu Marie auf, die glücklich lächelte.
»Du wirst es nicht abtreiben, oder?«
»Nein.«, lächelte Marie, »Dafür ist es zu spät.«
Fragend suchte ich ihren Blick. »Weshalb zu spät?«
»Ich war heute Morgen bei der Ultraschalluntersuchung und es hat sich irgendwie herausgestellt, dass mein kleines schon viel größer ist, als es sein sollte, auch wenn man auf dem Bild nichts Wirkliches erkannt hat. Ich darf überhaupt nicht mehr abtreiben.«, grinste sie.
Ich lächelte frech zurück. Damit hatte sie Rody in der Hand.
»Jetzt weißt du ja wahrscheinlich, warum das Kind so schnell wächst.«, zwinkerte ich ihr zu. Sie nickte. »Rody ist auch ein Gestaltenwandler hast du gesagt, stimmt‘s? Und er ist verfeindet mit Domenic’s und Lukes Stämmen oder so, richtig?«
»Ja, so ungefähr.«, antwortete ich.
»Kein Wunder, dass Rody dich immer so komisch behandelt hat... das muss daran liegen, dass du mit einem seiner Feinde zu tun hast... naja... wenigstens hat er nichts gegen dich persönlich. Ich würde es nämlich nicht überleben, wenn du nicht an meiner Seite bist wenn ich ihm das Ja-Wort gebe...«
»AAAAAHHHH! Ihr seid verlobt, ihr seid verlobt!! Warum sagst du das nicht, du doofe Rübe du!«, lachte ich und warf mich ihr in die Arme.
Es klopfte.
Schnell sortierte ich mein Outfit und wischte mir unter den Augen die verschmierte Wimperntusche weg, bevor ich >Ja, bitte?< rief.
Die Türe ging auf und mein Chef stand ein wenig irritiert vor mir.
»Alles in Ordnung bei ihnen? Ich habe komische Geräusche gehört und dachte ich sehe vielleicht lieber mal nach dem rechten...«
»Dankeschön für ihre Fürsorge, aber bei mir ist alles in Ordnung.«
Ich blickte über die Schulter und zwinkerte Marie zu, die sich ein Kichern verkneifen musste.
»Gut, dann kann ich ja in aller Ruhe wieder an meine Arbeit zurückkehren.«, meinte er und verschwand genauso schnell wie er gekommen war.
Ich sprang auf Marie zu und knuddelte sie erneut, bis ihr bald die Luft ausging.
»Meine kleine ist verlobt, meine kleine ist verlobt!«, wir tanzten noch ein paar Minuten durch das Zimmer, bevor wir uns erneut in der Sitzecke niederließen.
»Warum will Rody dich denn jetzt auf einmal heiraten?«, fragte ich sie, weil mir das Ganze dann doch auf einmal komisch vorkam.
»Er meinte, er liebt meinen Dickschädel...
Und auch wenn er am Anfang das Kind nicht wollte...er will es jetzt...das spüre ich... und ich glaube er braucht mich irgendwie. Auch wenn er sich die Zukunft vielleicht anders vorgestellt hatte...«
Ich nickte und überdachte das Gesagte.
Dann fiel mir meine Zukunftsvision mit Marie und Rody wieder ein. Ich hatte in der Vision weder einen dicken Bauch, noch ein Baby oder ein Kleinkind gesehen, was hieß, das Baby selbst hatte die Zukunft verändert. Nicht ich mit meiner Offenbarung vor Marie. Doch das war mir jetzt egal. Ich war froh, wieder alles mit Marie teilen zu können. Meine Gedanken, meine Gefühle, meine Zukunft.
Luke und den Antrag hatte ich beinahe schon wieder vergessen...


20


Nachdem Marie schließlich gegangen und ich mich meiner angehäuften Arbeit zugewendet und diese nach ein paar wenigen Überstunden beendet hatte, beschloss ich noch auf einen Abstecher bei ihr vorbeizufahren.
Der Abend ging schnell vorbei und ich muss sagen, Rody machte auf mich nun einen netteren Eindruck. So als wäre er mir dankbar, dass ich ihm die Last von den Schultern genommen hätte, als ich Marie sagte, dass er ein Gestaltenwandler war und ihr Baby deshalb anders war als andere Babys eben.
Ich sah ihn sogar lächeln.
An diesem Abend verstand ich auch, warum Marie ihn so liebte. Er war freundlich und höflich, doch trotz allem hatte er einen süßen Humor, der ausgezeichnet zu Marie passte. Manchmal schweifte ich mit den Gedanken ab und stellte mir vor, wie mein Leben wäre, wenn ich genauso mit Domenic zusammenleben könnte, wie Marie und Rody.
Nachwuchs im Anmarsch und sich dauernd küssen zu können... das bewertete ich als absoluten Luxus. Marie strahlte vor Glück und zeigte mir schließlich auch noch ihren Verlobungsring, den sie bei mir im Büro absichtlich abgenommen hatte um mich zu überraschen. Er war wunderschön. Er bestand aus Alt Gold mit einem kleinen Diamantenherz in der Mitte. Er schien wie für Maries Hand geschaffen zu sein und ich lächelte glücklich vor mich hin.
Marie hatte es geschafft. Sie hatte ihr Leben im Griff. Ich nicht.
Irgendwann konnte ich mich nicht mehr auf die Gespräche konzentrieren und verabschiedete mich.
Auf dem Weg nachhause dachte ich an Domenic und was ich am liebsten mit ihm anstellen würde. Auch wenn ich nicht in seiner Nähe war, spürte ich seine Wärme. Ich freute mich einfach nur mich in seinen Armen von dem langen Tag zu erholen.
Ich stellte das Radio lauter, summte etwas Undefinierbares mit und ließ den Wagen schneller fahren um mein Ziel rascher zu erreichen.
Im Haus leuchtete Licht und ich summte noch die Melodie des Liedes nach, als ich auf den Weg zur Haustür trat.
Das Knacken eines Zweiges ließ mich herumfahren. Erschrocken stolperte ich ein oder zwei Schritte rückwärts, als ich erkannte, dass es sich nicht um ein Wesen aus dieser Welt handeln musste, sondern aus Tovah.
Du musst schreien, SCHREIEN!, tobte die Stimme in meinem Kopf.
Schließlich bekam ich den Mund auf und schrie mit voller Kraft Domenic’s Namen.
Die Haustür sprang auf und ich hörte Domenic laut schlucken. »Verdammter Mist! Estelle beweg dich nicht! Sei einfach gaaanz ruhig...«
»Domenic was ist das?«, stotterte ich, während ich auf das widerliche etwas vor mir blickte, das mir höllische Angst einjagte.
Mein Instinkt riet mir zu rennen.
»Rühr dich nicht vom Fleck!«, flüsterte er, nun schon näher bei mir. »Das ist ein Krieger...« »Iiiih«, kreischte ich, als das Ding, was wohl einen Krieger darstellen sollte, zusammenzuckte. Es sah aus wie ein klein geratener Wolf mit grässlichen Krallen und gelben fletschenden Zähnen. Es fing an zu knurren und sabberte den ganzen Boden voll. Kurz erinnerte ich mich an meinen damaligen Hund Damen. Er war genauso groß wie das Ding vor mir und war mein bester Freund gewesen. Doch ich bemerkte, dass jetzt keine Zeit war, über die Vergangenheit nachzudenken, als das Ding einen Satz nach vorne machte und mich beinahe erwischt hätte, wenn Domenic nicht dazwischen gegangen wäre. »Achtung, seine Bisse sind gefährlich.«, erklärte er mir und schob mich hinter sich.
»Und was ist mit dir?«, fragte ich und erschauerte bei dem Knurren des Dinges.
»Ich schaff das, ich hab damit schon mal was zu tun gehabt.«
»Das ist ein Shantay oder? Soll das ein Fuchs sein oder was?«, erkundigte ich mich bei Domenic, während er versuchte gegen den Fuchs zu kämpfen. »Ja, aber dieser hier scheint noch jung zu sein.« Dann hechtete er nach vorne und versetzte dem Fuchs einen Blitz und dieser fiel dann zu Boden. Er schien nur bewusstlos zu sein, da sich seine Brust noch langsam hob und senkte. Dann verwandelte sich der Fuchs plötzlich in seine Menschengestalt und ich musste schlucken, als ich den kleinen mickrigen Körper da liegen sah.
Es war ein kleiner Junge, nicht älter als 10 Jahre. Er hatte überall Schrammen und blaue Flecken am Körper, die er wohl aus schon älteren Kämpfen davon getragen hatte. Ich stellte mir eine Schule für Kinder vor, in der sie das Kämpfen erlernten. Anstatt Mathe zu lernen, mussten sie üben sich schnell zu verwandeln, ihren Körper richtig zu beherrschen und wurden auf den Krieg vorbereitet. Ob das wirklich so abläuft? Er ist doch noch ein Kind…
Domenic streichelte sanft die Wange des Kindes und bereute es, dass er dem kleinen so zusetzen musste. Doch das war die einzige Chance das Kind zu schützen. Schließlich nahm er es in seine Arme und trug ihn in meine Wohnung. Er legt ihn auf die Couch und deckte ihn mit einer meiner Wolldecken zu. Dieser Anblick zeigte uns, was der Krieg zu bedeuten hatte. Mit so was hatte ich nicht gerechnet und suchte Domenic’s Nähe als ich realisierte, was uns bevorstand. Er schlang seine Arme um meine Hüfte und küsste mir auf den Kopf und schmiegte seinen Kopf in meinen Nacken.
Ich sog seinen herrlichen Duft von Rasierwasser ein und drückte ihn. »Was sollen wir mit ihm machen?«, brach ich schließlich die Stille.
Domenic schaute den kleinen an und zuckte leicht mit seinen Schultern. »Am besten behalten wir ihn erst mal hier.« »Und dann? Was ist wenn er uns wieder angreift?«, fragte ich ihn besorgt, nahm seine Hand und verschränkte meine Finger mit seinen.
»Das wird er schon nicht, dafür werde ich sorgen.« Ich hörte einen Unterton, der mir nicht gefiel. »Bitte tu ihm nichts.«, flüsterte ich und drückte ihm einen Kuss auf sein Kinn. Er nickte zustimmend. Doch ich wusste eigentlich, dass das nicht so einfach werden würde. Wenn es schief gehen würde, müsste Domenic handeln. Das war mir bewusst, doch ich versuchte es zu verdrängen.
Ich blickte in Domenic’s himmelblauen Augen und spürte plötzlich einen Schauer von Lust ihn auf seine wunderschönen Lippen zu küssen. Mein ganzer Körper war erregt. Ich musste mich zurück halten nicht über ihn herzufallen. Doch Domenic ging es genauso. Er krampfte genau wie ich zusammen und zog seine Hand zurück.
Mein ganzer Körper vibrierte und sehnte sich nach ihm. Nach seiner Stimme, seinen Lippen, einfach allem. Ich versuchte mich in seinen Kopf zu schleichen, in dem ich mein gräulich-glitzerndes Licht benutzte. Ich wurde überschwemmt von seinen Gefühlen, seinem Verlangen nach mir. Wieso waren diese Gefühle plötzlich so intensiv da? Wieso waren unsere Gefühle füreinander noch stärker geworden als zuvor?
»Estelle…«, brummte Domenic und ich bekam noch einen Schauer und war kurz davor über ihn herzufallen. »Was ist das?«, fragte ich verkrampft und durchforschte immer noch seinen Kopf. Das einzige was ich finden konnte in diesem Moment waren Gefühle für mich. Ich sah in seinen kopf, einen Gerichtssaal in dem er mich nach langer Zeit wieder gesehen hatte.
Wie er in einem Restaurant war und das Essen vertauschte. Und…»Du warst der Mann in dem Restaurant? Du hast mir ja das Leben gerettet!«, flüsterte ich und war gerührt, dass er mich so beschützt hatte. Domenic musste kichern, obwohl es eigentlich nichts zu lachen gab.
Doch irgendwie konnte ich an nichts mehr anderes denken als an diesen wunderschönen Gestaltenwandler der direkt vor mir stand.
Domenic nahm sanft mein Gesicht in die Hand und drückte seine Lippen langsam auf meine.
Unsere Lippen verschmolzen miteinander während er mich wieder und wieder küsste. Mein Gehirn war total vernebelt. Er zog mich, während wir immer noch am küssen waren, fester an sich und gab mich für einen kurzen Moment frei um Luft zu holen. Dann fuhren wir fort. Er schob seine Zunge langsam in meinen Mund und erforschte ihn sanft. Ich konnte nicht mehr klar denken, und versuchte einfach diesen Moment so sehr wie möglich zu genießen.
Das ist ein schöner Traum, dachte ich während Domenic sich wieder von mir löste.
Das ist kein Traum, konnte ich ihn Flüstern hören. »Wieso könne wir uns dann küssen? Und wieso spüre ich diese Gefühle noch mehr als sonst?«, fragte ich heiser von dem Kuss und räusperte mich. »Der Vertrag wurde akzeptiert.«, murmelte er als er seine Lippen wieder die meinen streiften. Irgendwann befanden wir uns auf meinem Bett und waren immer noch am rumknutschen. Hauptsächlich übernahm Domenic die Führung und ließ mich nur selten gewähren. Als er mich kurz frei gab um Luft zu holen, fummelte ich an seiner Hose rum um ihm helfen sie aus zu ziehen. Dann lagen wir schließlich beide nackt in meinem Bett.
Er küsste meine Brust, meinen Hals, meinen Kopf, meinen ganzen Körper versehrte er mit vielen heißen Küssen. Erregt wie ich war knabberte ich an seinem Ohrläppchen, während er damit beschäftigt war meine Brüste genauer zu erforschen. »Ich liebe dich.«, flüsterte ich als er wieder begann mich zu küssen. Doch anstatt mir zu antworten öffnete er seinen Geist und offenbarte mir alle seine Gefühle für mich, als ich in seinen Kopf schaute. Wieder überfluteten mich seine Gefühle und ich konnte nicht glücklicher sein.
Dann kam endlich der Höhepunkt und Domenic drang in mich ein. Wir beide stöhnten in voller Ekstase und ließen unseren Gefühlen freien Lauf.

Sanft streichelte ich seine warme Brust und musste vor Freude lächeln. Domenic war wie jeder andere Mann zu erschöpft zum reden, deshalb ließ ich ihn erst mal in Ruhe, um selbst etwas nachdenken zu können.
Wenn ich an die letzten Wochen zurück dachte fiel mir auf, was ich alles durchgemacht hatte.
Ich hatte erfahren, dass ich ein Engel war. Indem ich von einem verrückten Broin entführt und gebissen worden war. Er ergriff Besitz von mir, beziehungsweise versuchte es.
Ich hatte mich in diesem Moment total vor Domenic blamiert gehabt. Ich musste in mich hinein kichern. Ich habe ihn gebissen… Ging es mir durch Kopf. Wieso wollte der Broin eigentlich, dass ich ihn beiße?
Gott sei Dank war Domenic da. Denn er war stark und hatte schon viel Erfahrungen gesammelt – hatte ich auf jeden Fall im Gefühl.
Dann wäre ich beinahe in einem Restaurant vergiftet und von einem Auto überfahren worden. Dann wurde ich auch noch in der Tovah zurück gelassen und musste mit Luke meine Fähigkeiten, sowie das Fliegen erlernen. Da war Luke anders. Er war ein attraktiver sympathischer Mann, bevor ich sein wahres Ich kennen gelernt hatte.
Ich bin alleine durch die andere Welt geflogen und hatte einen Ausweg gesucht.
Ich war vor Luke geflüchtet, als er mich küssen wollte und war danach im Gerichtshof gelandet.
Jetzt war ich noch mal dort und habe meinen Vater verloren. Doch er hatte mir sein Leben geschenkt, damit ich nicht mit seiner Schuld leben musste. Jetzt wurde auch noch der Antrag vom Gericht genehmigt. Es schien doch noch Hoffnung für mich zu geben.


21


Ein Klopfen an der Zimmertüre holte mich aus meinen Gedanken. Im ersten Moment war ich verwirrt, als ich auf das ängstliche Gesicht des Jungen blickte. Seine schwarzen Haare hingen ihm ins Gesicht hinein und waren vom Schlafen ganz verwuschelt.
Ein entzücktes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
»Unten ist es so dunkel...«
Die Stimme des Kleinen war so zart, so zerbrechlich und ich schwor mir heimlich, dass diejenigen, die Kindern wie ihm so etwas Grauenvolles wie Krieg antaten, dafür bezahlen müssten. Auf irgendeine Art und Weise.
Ich konzentrierte mich wieder auf den Blick des Jungens und sagte ihm er solle einen Moment vor der Türe auf mich warten. Ich schlüpfte in Jeans und T-Shirt und betrat den dunklen Flur, um mein Versprechen einzulösen. Der Junge kauerte auf dem Treppenansatz und schaute mit großen Augen zu mir auf.
»Wie heißt du denn?«, fragte ich ihn, als er aufstand um zu mir zu laufen.
»Justin...«
»Dann komm mal mit Justin.«, sagte ich und nahm ihn bei der Hand. Während ich mit Justin an der Hand in die Küche runter marschierte um meine letzten Schokolädchen mit ihm zu futtern, kam ich mir vor wie im Traum.

»Und dann hab ich dich gesehen und mich wahnsinnig erschreckt.«, lachte ich und versuchte erschrocken zu schauen, während ich wild mit den Händen gestikulierte, um die Szene vor ein paar Stunden nachzuahmen. Justin hielt sich den Bauch und lachte sein süßes verschmitztes Lachen, das ich unendlich lange hören könnte. Ich hatte nicht vor, ihn jemals wieder herzugeben, also auf jeden Fall nicht für den Krieg. Mittlerweile sah ich ihn schon als mein eigenes Kind an.
Na logisch... dein Kind, höhnte die Stimme in meinem Kopf. Justin und ich hatten erst den halben Kühlschrank geplündert und uns danach mit einer heißen Schokolade auf der Couch bequem gemacht. Seit ungefähr einer Stunde unterhielten wir uns nun schon und ich erschrak als ich auf die Uhr sah und bemerkte wie spät es in Wirklichkeit schon war. Justin gähnte und ich lächelte in mich hinein. Der Kleine hatte im Handumdrehen mein Herz gestohlen und wenn er mich mit seinen riesigen dunkelbraunen Augen ansah, vergaß ich alle meine Sorgen auf einen Schlag. Ich hatte mir lange eine richtige Familie gewünscht. Und jetzt schien mein Traum wahr zu werden. Ein Mann, der so unglaublich sexy war und von dem ich einfach nicht genug bekommen konnte und ein kleiner Junge, den ich jetzt schon über alles liebte. Eigentlich wollte ich immer eine Tochter..., kam mir der Gedanke, doch ich verscheuchte ihn sofort wieder. In diesem Moment war ich einfach nur glücklich. Als dann auch noch Domenic verschlafen die Treppe herunter spazierte, drohte mein Herz vor Liebe gerade zu überzuquellen. »Ach du ... was macht ihr denn hier?« Domenic’s Blick wanderte über unzählige Essensreste und verfing sich dann mit meinem. Fragend schaute er mich an.
»Wir hatten Hunger.«, antwortete Justin für mich und leckte sich Schokolade von den Fingern.
»Soso... mitten in der Nacht?«, grinste er und setzte sich zu mir und Justin aufs Sofa.
Justin grinste zurück und ich warf Domenic einen Blick zu, der so viel bedeuten sollte wie: >Können wir ihn behalten?<
Domenic seufzte und gab mir einen Kuss. Justin streckte mir die Zunge raus. Ich warf ihm einen Augenverdreh-Blick zu und musste lachen, als Domenic sichtlich verwirrt dreinschaute.
»Habt ihr jetzt eine neue Methode der Gedankenübertragung gefunden, oder wie?«
Ich grinste Justin zu und gab Domenic einen Kuss auf die Wange.
»Okay kleiner Mann... kannst du uns etwas über deine Familie und den Krieg erzählen?«
Ich hatte dieses Thema bei der vorherigen Unterhaltung bewusst gemieden, da ich Angst hatte, dass es Justin zu sehr belastete und nun schaute ich nicht wenig überrascht, als er ohne zu zögern mit dem erzählen anfing.

Er erzählte uns, wie seine Eltern umkamen.
Wie er sie tot im Garten ihres Hauses auffand und schreiend davon lief.
Wie sein Fuchs-Rudel ihn versuchte zu schützen, und er trotzdem gefangen genommen und für den Krieg ausgebildet wurde.
Den Krieg gegen uns.
Als er endete, wischte ich die Träne weg, die über meine Wange rannte.
Justin hatte glasige Augen und ich nahm ihn beschützerisch in den Arm, als auch er begann zu weinen. Erneut schwor ich mir, die Leute, die ihm solches Leid zugetan hatten zu bestrafen. Meine Wut wuchs an, als ich ihn in meinen Armen hin und her wiegte, auch um mich selbst zu beruhigen und die schrecklichen Bilder zu vertreiben, die sich durch seine Erzählungen in meinem Kopf eingenistet hatten. Das Bild meines toten Vaters streifte meine Gedanken und ich erschauerte.
Als wir schließlich wieder im Bett lagen, Justin zwischen uns gekuschelt, schlief ich sofort ein und träumte erneut...


»Lasst ihn los, lasst ihn los!«, hörte ich meine hysterische Stimme kreischen.
»Mamaaaa!«
»Lasst die Finger von ihm! Hört auf!«, rief Ich verzweifelt, als zwei hässliche Krieger Justin an den Armen packten und immer weiter von mir wegzogen.
Ich spürte die Tränen auf meinen Wangen, als der Wind sachte über sie strich.
»Lass ihn gehen...«, vernahm ich eine beruhigend wirkende Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und schaute in Domenic’s mit Liebe gefüllte Augen.
»Wir können ihm nicht mehr helfen, es ist zu spät Estelle...«
Er strich mir mit der Hand über die Wange und entfernte so meine Tränenspur.
»Aber, aber sie können ihn uns nicht wegnehmen! Lasst meinen Sohn los! Lasst ihn hier!«
Ich sackte gegen Domenic’s Arme, als sie Justin durch ein Tor schubsten wodurch er nach Tovah gelangen würde... für mich nicht mehr erreichbar.
»Estelle!« Domenic versuchte mich aus der Ohnmacht zurückzuholen. Doch alles wurde schwarz.... so dunkel...


»ESTELLE!«
Ich riss meine Augen auf und schaute in Domenic’s schöne Augen. Wütend und geschockt wendete ich mich von ihm ab. Er hatte Justin weggehen lassen. Nach Tovah. Er hatte es zugelassen.
»Was hast du geträumt?« Domenic beugte sich zu mir herüber.
»Bitte, sag es mir...Estelle?«
»Du hast zugelassen, dass sie ihn mir wegnehmen! Du hast gesagt wir können ihm nicht helfen! Sie haben ihn mitgenommen...«, flüsterte ich entsetzt.
»Wen haben sie mitgenommen?«
»Justin...«, hauchte ich.
»Was ist mit mir?«, meldete sich Justins zarte Stimme unter der Bettdecke hervor.
Ich und Domenic schauten ihn beide an.
Erleichtert atmete ich aus und zog Justin zu mir in die Arme.
»Er ist noch da, er ist noch da«, murmelte ich zufrieden, bevor ich wieder einschlief.
Domenic und Justin warfen sich noch ein paar fragende Blicke zu und versuchten dann ebenfalls wieder einzuschlafen.


Ich schämte mich als ich erwachte, weil ich eigentlich wusste, dass Domenic so etwas nie tun würde. Aber das war ein Zukunftstraum…Vielleicht denkt Domenic nur im Moment nur so über Justin. Das wird sich nach der Zeit ändern.
Ich schlich schon früh aus dem Bett, um mich für die Arbeit bereit zu machen. Ich gab beiden ein Küsschen auf die Wange, zog mich an, schlürfte schnell einen Kaffee runter und fuhr zur Arbeit.
Zum Glück erschien Luke nicht wieder in meinem Büro, sonst hätte er mich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Aber eigentlich konnte er das ja jetzt nicht mehr, weil der Antrag abgelehnt wurde. Ich hatte mich nur angezogen gefühlt, weil er den Vertrag gestellt hatte.
Ich machte eine kleine Pause und blickte aus dem Fenster runter auf die Stadt. Es war so ungewohnt zu arbeiten, weil ich in letzter Zeit so viel anders erlebt hatte.
Ich drehte mich wieder zum Schreibtisch und wählte Maries Nummer. Schon nach einmal klingeln nahm sie ab mit einem fröhlichen »Estelle.«. »Marie.«, imitierte ich sie mit dem gleichen Ton. Wir beide lachten ins Telefon.
»Wie geht’s dir? Wie geht’s Rody? Und dem Baby?«, fragte ich sie neugierig. »Ich wollte dich auch grad anrufen. Wir müssen uns unbedingt treffen, heute noch.«, fing sie an zu quasseln. »Wieso denn? Ist irgendwas Tolles passiert? Du bist doch schon verlobt, was Besseres kann dir doch nicht passieren.«
»Wir müssen uns aber auf jeden Fall treffen, das musst du einfach sehen.«, versuchte sie mich zu überreden.
»Ja okay, heut Abend um 6 im der Butterblume?«
»Okay bis später.« Dann war unser Gespräch auch schon beendet und ich legte lächelnd den Hörer wieder auf.
Die Arbeit ging schnell und ohne Zwischenfälle vorbei, was mich sehr beruhigte. Ich schrieb Domenic noch schnell eine SMS, dass ich mich noch kurz mit Marie treffen würde.
Ich wollte grad in mein Auto einsteigen, als es hinter mir schepperte. Da es schon dunkel war konnte ich nicht viel erkennen.
Bevor ich mich weiter umsehen konnte traf mich ein Schlag und ich fiel zu Boden. Meine Wange brannte und ich merkte, dass Blut aus ihr heraus quoll. Ein weiterer Schlag in meinen Bauch riss mir eine tiefe Wunde hinein. Ich rappelte mich gerade wieder auf als ich erneut einen Schlag abbekam, von etwas unbekannten. Ich lag wieder am Boden und blutete dazu noch an der Stirn. Ich fasste mir an mein Gesicht und an den Bauch. Mein ganzer Körper zitterte, als ich mein warmes Blut an meinen Fingern spürte. Ich konnte nicht mehr richtig denken und lag wie ein kleines Stück Elend am Boden, dass am ganzen Leibe am zitterte. Ich versuchte verzweifelt nach dem grünen Licht zu greifen und bekam es zum Glück schnell erfasst.
Ein Auto fuhr an dem Parkplatz des Gebäudes vorbei und erhellte für einen kurzen Moment die Kreatur die knurrend vor mir stand.
Es war ein Fuchs. Er sah nicht aus wie Justin, er war viel größer und Angst einflößender. Aber Justin war ja auch noch ein Kind, also musste dieser hier ausgewachsen sein. Also mindestens in meinem Alter. Ich rappelte mich zitternd auf, indem ich mich an meinem Auto festkrallte. Es hörte einfach nicht mehr auf zu bluten. Der Fuchs versuchte wieder mich anzugreifen, prallte aber ab, da ich meine Schutzmauer gut aufgebaut hatte. Aber mir wurde schwindlig, ich konnte das grüne Licht nicht die ganze Zeit halten. Ich musste mir was überlegen. Ich versuchte verzweifelt die Autotür auf zu bekommen doch rutschte die ganze Zeit mit meinen blutigen Händen ab, so sehr zitterte ich.
Schließlich fiel ich wieder zu Boden, dieses Mal aber wegen meines schnellen Blutverlustes. Ich saß nun an meinem Auto gelehnt und wusste nicht mehr weiter, Der Fuchs griff immer und immer wieder an, prallte wieder und wieder von meiner Schutzmauer ab. Doch bei jedem Sprung den der Fuchs gegen meine Mauer machte, schien sie schwächer zu werden.
Domenic, rief ich verzweifelt in Gedanken. Ich brauchte ihn, ohne ihn war ich verloren.
Um nicht zu verbluten nahm ich meine Jacke und drückte sie so fest ich konnte an meine Bauch, weil diese Wunde schlimmer war,als die in meinem Gesicht. Musste ich als Engel nicht stark und unverwundbar sein? Oder war ich immer noch ein Mensch mit Flügeln und einigen besonderen Fähigkeiten?
Estelle was ist passiert?, hörte ich Domenic’s warme Stimme ich mir.
Domenic, murmelte ich wieder in Gedanken. Schön deine Stimme zu hören Ich glaub ich bin eingeschlafen. Mein Gesicht schien weniger zu bluten, doch ich ließ nicht locker und drückte immer noch fest darauf. Wieso solltest du schlafen? Wo bist du?, fragte er mich verwirrt.
Weil ich deine Stimme höre und hier bei meinem Auto sitze. Und meine Schutzmauer gleich zusammen fällt. Und der Fuchs springt immer noch die ganze Zeit dagegen. Ich glaub ich schaff‘s nicht. Mir ist irgendwie schwindlig. Alles verschwamm leicht vor meinen Augen und ich merkte, dass ich kurz davor war bewusstlos zu werden. Estelle!, schrie Domenic in meinem Kopf. Du darfst nicht einschlafen, hörst du? Ich bin gleich bei dir.
Mein Kopf fing an zu schmerzen, weil meine Mauer schon solange den Sprüngen des Fuchses stand halten musste.
Aber ich bin so müde…was…wieso kann ich eigentlich mit dir reden? Wir telefonieren doch etwa nicht oder? Ich hab mein Handy… doch gar nicht …in der Hand? Ich hörte Domenic’s leises Lachen in meinem Kopf und musste unwillkürlich mit lachen, obwohl mir körperlich nicht danach war.
Ich liebe dich, gestand ich ihm. Ich brauche dich. Ohne dich bin ich ein nichts, Ich kann mich nicht mal gegen so einen Fuchs wehren.
Dann hörte ich plötzlich einen lauten Schlag und meine Schutzmauer viel zusammen. Ich hielt schützend meine Hände vor den Kopf um mich vor noch einem Angriff zu schützen. Ich hörte noch einen Schlag und dann war es still.
Ich öffnete meine Augen und sah zwei vor Wut aber auch Liebe glänzenden Topase. Zwei Arme umschlangen meine Hüfte und ich stöhnte vor Erregung auf als er mich am Po packte und mich in seine Arme schloss.
Leise fing ich an in Domenic’s Umarmung zu schluchzen und drückte ihn so fest ich konnte.
»Sch, ich bin ja da.«, hauchte er mich tröstend in mein Ohr. Dann fing er plötzlich an blau zu leuchten. Mein Gesicht fing an zu prickeln und mein Schmerz wurde nach und nach weniger. Ich hatte auch aufgehört am ganzen Körper zu zittern. Sogar mein Schwindel wurde immer weniger, bis er nach einigen Minuten schließlich vollkommen abgeklungen war.
Dann hörte Domenic wieder aus zu leuchten und küsste mir auf den Kopf.
»Geht es wieder?«, fragte er mich, als er begann seine warmen, seidigen Lippen auf meine zu legen. »Ja, hast du mich geheilt?« Ich erwiderte seinen Kuss und spürte wie er mir Wärme und Liebe in seine Küsse steckte.
»Mhmm,«, brummte er an meiner Lippe und ich erschauerte von seiner erregten Stimmlage.
Ich krallte meine Finger in seine Haare ohne daran zu denken, dass diese völlig blutverschmiert waren. »Estelle.« Er löste seine Lippen von meine und drückte mich wieder fest an sich. »ich liebe dich so sehr.« Er streichelte meinen Kopf während er die Worte in mein Ohr hauchte. Ich war so gerührt von seinen Worten und nahm seinen Kopf in meine Hände. Schweigend betrachtete ich sein Gesicht und streichelte über seine Wange. Ich drückte meine Lippen wieder auf seine und offenbarte ihm meinen Geist. Ich zeigte ihm alles was so in meinem Kopf herum geisterte. Meine Liebe zu ihm, die Verbindung mit Justin, die Freundschaft mit Marie, die Wut auf Luke, aber auch die Trauer die ich in den letzten Tagen erlebt hatte. Doch auch das Gefühl, dass ich in diesem Moment empfand zeigte ich ihm, weil ich trotz dem allem, so glücklich war bei ihm zu sein. Domenic hatte mir noch nie direkt gesagt, dass er mich liebte. Deshalb war ich trotz des vorherigen Erlebnisses glücklich und lächelte, als ich mich wieder von ihm löste.
Er tat es mir gleich und unsere Geister verschmolzen miteinander.
Doch dann riss uns ein Klingeln aus der Umarmung.
»Oh, Mist. Ich hab Marie ganz vergessen,«, fluchte ich während ich nach meinem Handy suchte. Ich fand es nachdem es drei Mal geklingelt hatte in meiner Tasche und entschuldigte mich rasch bei Marie, weil ich noch nicht bei ihr war.
Domenic stütze mich noch ein bisschen beim Laufen, weil mein Körper immer noch ein bisschen schwach war.


22

»Sag mal, ich bin doch ein Engel. Bin ich immer noch sterblich?«, fragte ich Domenic als wir beide im Auto saßen. »Nein bist du nicht. Du bist jetzt ein Engel. Engel sind unsterblich-«
»Und wieso wäre ich dann beinahe verblutet?«, fragte ich ihn und schloss meine Hand um seine, während er am fahren war.
»Weil du erst seit deinem 25. Lebensjahr ein vollständiger Engel bist. Deine Unsterblichkeit entwickelt sich erst nach einiger Zeit.« Er verschränkte seine Finger mit meinen.
»Und wie lange dauert das?«, fragte ich neugierig. »Kommt ganz auf den Menschen an. Es kann Tage, Wochen oder Jahre dauern. Es hängt von der Stärke des Menschen an, auf seinen Geist.« Ich gab mich mit der Antwort zufrieden und dachte mir, dass ich wohl noch einige Zeit brauchte um unsterblich zu werden.
»Und was ist mit dir? Bist du auch unsterblich?«
»Ja genau wie du, ab dem 25. Lebensjahr.«
In dem Moment fiel mir auf, dass ich mich noch gar nicht nach seinem Alter erkundigt hatte. Irgendwie war es mir bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht wichtig gewesen. »Ähm..«, fing ich an, da ich nicht wusste wie ich fragen sollte, »Wie alt bist du eigentlich?«
Domenic lachte und ich kam mir ein bisschen blöd vor, da ich nicht früher daran gedacht hatte ihn zu fragen. Ich schaute durch die Windschutzscheibe geradeaus und lies meinen Gedanken freien Lauf .Doch dann kam mir ein Gedanke.
»Ach, mein Dad hatte mal was von dir erzählt glaube ich. Also älter als ich bist du auf jeden Fall. 27 Jahre alt oder so?«
»28 eigentlich. Aber die Unsterblichkeit mach’s möglich.«, antwortete er und schenkte mir ein schiefes Lächeln, das mein Herz erwärmte.
Ich seufzte nun doch erleichtert und lehnte mich im Sitz zurück.

Wir hielten vor der Butterblume und ich stieg hastig aus. Ich war nun schon dreißig Minuten zu spät. Ich beugte mich noch einmal runter in den Wagen um Domenic einen Abschiedskuss zu geben und ihm ans Herz zu legen so schnell wie möglich zurück zu Justin zu fahren. Domenic zog eine Augenbraue hoch. Anscheinend passte es ihm überhaupt nicht mich alleine zu lassen.
Irgendwie haben es die Füchse auf mich abgesehen, überlegte ich mir, während ich die Treppe zur Butterblume nach oben stieg und dem Auto hinterher schaute.
Drinnen angekommen marschierte ich eilig zu unserer Lieblingsecke und machte große Augen, als ich Maries Bauch erblickte. Wir begrüßten uns mit Küsschen auf die Wangen und setzten uns. Ich deutete auf ihren Bauch. »Wächst wohl noch schneller als wir dachten, oder?«
»Ja scheint so...deshalb wollte ich auch mit dir reden...«, murmelte sie vor sich hin, während sie sanft die Hände auf ihren Bauch legte.
»Es tritt die ganze Zeit und bekomme jedes Mal richtig gemeingefährliche Unterleibschmerzen.« Sie seufzte verzweifelt auf und zog ihre Kaffeetasse näher zu sich heran. Eine Bedienung kam vorbei und ich bestellte mir ebenfalls eine Tasse Kaffee, während ich ihr von Justin erzählte.
»Das ist so typisch.«, lachte sie, »Kaum bekomme ich ein Kind willst du auch eines haben.«
Ich trat ihr unter dem Tisch gegen das Schienbein und sie musste nur noch mehr lachen.
Plötzlich sprang die Eingangstüre auf und die Bedienung ließ mit einem Schreien das Tablett mit meinem Kaffee fallen. Erschrocken drehte ich mich um und erstarrte. Maries Augen wurden groß als sie die Ansammlung von hässlichen Kreaturen sah, die sich uns langsam näherten.
»Du trägst das Kind von einem Fuchs und bist befreundet mit der Freundin eines Shantay.«, murmelte einer dieser Kreaturen. Er schein der Anführer zu sein. »Zudem hält sie einen Jungen unseres Stammes bei sich gefangen!« Die Stimme grollte nun vor Zorn und ich stellte mich beschützerisch vor Marie, die sich von ihrem Stuhl erhoben hatte.
»Geh mir aus dem Weg Engel!«, brüllte er voller Hass.
Domenic...DOMENIC!, rief ich in Gedanken. Schon kurz darauf hörte ich seine Antwort durch meinen Kopf streichen.
Ja? Estelle? Was ist? Justin geht es gut, er vermisst dich nur.
Ich lächelte, bevor mein Gesicht wieder ernst wurde.
»Sie kommuniziert! Schnappt sie euch!«
Marie schrie auf.
Domenic! Füchse sind hier. Viele. Und noch eine andere Rasse. Und sie wollen sich an Marie rächen. Du musst Rody Bescheid sagen! Domenic?!

Die Füchse rückten immer näher. Die Bedienung war schließlich in Ohnmacht gefallen. Wahrscheinlich dachte sie, sie hätte Halluzinationen. Ich verübelte es ihr auf jeden Fall nicht. Ich hatte mich in meine Engelsgestalt gewandelt, da Marie die einzige menschliche Person, ausgenommen der Bedienung die in Ohnmacht lag, im Café war und sie so oder so in die Geheimnisse der Anderswelt eingeweiht war.
Ich griff nach meinem grünen Licht und schirmte mich und Marie damit ab so gut ich konnte. Allerdings hatte ich Zweifel, dass es so gut halten würde. Schließlich hatte vorhin ein einziger Fuchs gereicht um das Schutzschild zu durchbrechen.
Die Türe flog erneut auf und Rody stand knurrend hinter unseren Angreifern.
»Sieh einmal an, wen haben wir denn hier?«, höhnte der Anführer. Die anderen lachten. Marie quiekte, während sie versuchte an meiner Schulter vorbeizuschauen. Ich schob sie sanft aber bestimmt wieder zurück. Sie sollte das alles nicht sehen, beschloss ich.
Für sie war es schon anstrengend genug all meine Geschichten und die Fakt, dass ihr Baby und ihr Mann nicht normal waren zu akzeptieren.
Rody verwandelte sich innerhalb von Sekunden in seine Fuchsgestalt und ich erkannte den Fuchs aus meinem Zukunftstraum wieder. Er blickte zu mir auf und ich sah das Glitzern in seinen Augen. Er würde um Marie und das Baby zu schützen töten. Jeden der sich ihm in den Weg stellte.
Die Türe ging erneut auf und Domenic trat ein. An der Hand hielt er Justin. Mein Schutzschild flackerte.
Ruhig...ganz ruhig!, ermahnte ich mich.
Warum brachte er Justin mit in dieses Höllentheater?
Meine Angst schwoll an. Der Zukunftstraum ließ mich einfach nicht in Ruhe. Wenn ich nichts unternahm, würden sie mir Justin wegnehmen! Mein Schutzschild flackerte erneut. Ein Teil der Angreifer wendete sich auf Befehl hin wieder uns zu. » Die lächerliche Truppe hält uns auch nicht auf! Schnappt sie euch! Und vor allem die Frau mit dem Kind!«
Die Männer stürmten los. Ich starrte auf Justin. Justin starrte auf die Truppe, die auf uns zustürmte.
Ich bin bei dir!, murmelte mein Dad in Gedanken. Und deine Mum auch. Ich habe sie endlich wieder gefunden.

Ich brauchte einige Sekunden um mich wieder zu sammeln. Meine Mum?
Estelle?, hauchte eine zarte Stimme durch meinen Kopf.
Sämtliche Erinnerungen an meine Mum waren ausgelöscht gewesen, doch plötzlich tauchte ein Bild von ihr hinter meinem inneren Auge auf. Sie war wunderschön, hatte dieselbe Haarfarbe wie ich.
Der erste Fuchs prallte gegen mein immer noch schwaches Schutzschild.
Konzentriere dich Estelle! Das grüne Licht, hörst du?!, ermahnte mich meine Mum und ich gehorchte.
Mein Licht leuchtete stark auf und gewann augenblicklich an Kraft und Farbe. Ich war zu überrascht über die plötzliche Stärke des Schutzschildes als das ich mich hätte freuen können.
Der Fuchs flog in hohem Bogen durch den Raum und landete hinter der Theke. Justin lächelte. Das war der Moment, in dem das große Chaos anfing. Rody griff den ihm nächststehenden an und Domenic schob Justin schützend hinter sich. »Wow…Ich meine…Wow.«, murmelte Marie hinter mir, als der nächste Fuchs gegen meinen Schutzschild rannte und zwei der weiteren Angreifer mit sich zurückschleuderte.
»Ich wusste nicht das du so stark bist!«
In ihrer Stimme schwang stolz und Ehrfurcht mit und ich hob lächelnd meine Arme um meinen Schutzschild weiter zu vergrößern. Du bist stärker als du denkst. Wieder hörte ich die Stimme meiner Mum in meinem Kopf. Ich wusste zwar nicht ob ich mir das alles nur einbildete, doch auf einmal wurde mein Schutzschild so stark, dass alle Füchse, die dagegen sprangen, zuckend auf dem Boden liegen blieben. Selbstsicher experimentierte ich mit meinen Lichtern und griff gierig auf mein purpurnes Licht, dass ich bisher nur ein oder zwei Mal benutzt hatte. Da es so schwer zu kontrollieren war, blendete ich alles um mich herum aus und konzentrierte das Licht, dass eine leichte Brise durch das Café wehte. Ich ließ dem Licht mehr Freiraum und merkte, dass der Wind immer stärker wurde. Plötzlich erstarrten alle im Raum und starrten erschrocken um sich. Ich tat es ihnen gleich und sah mich um was für einen kleinen Wirbelsturm ich geschaffen hatte. Er war mächtig und wild, war aber nicht sonderlich groß. Ich wollte ja nicht das ganze Haus in die Luft wirbeln. Konzentriert richtete ich den Wirbelsturm auf die Füchse, merkte aber, dass Wind allein nicht viel nutzte. Während ich mein Schutzschild immer noch hielt, durchsuchte ich mit meinen Augen schnell den Raum, um andere Elemente ausfindig zu machen. Das einzige was ich jedoch gut gebrauchen konnte war Wasser. Ich zog mir einige Liter aus dem Wasserhahn und fügte es langsam, aber konzentriert dem Wirbelsturm hinzu. Jetzt sah der Wirbelsturm schon viel besser aus. Doch ich bemerkte dass sich ein paar ängstliche Füchse aus dem Staub machen wollten und schickte meinen Wirbelsturm zu ihnen, der sie dann erfasste und in der Luft herum schleuderte, doch tief in meinem Inneren, verabscheute ich die Tat die ich begangen hatte. Ich konnte nicht leichtherzig Menschen verletzen, selbst wenn es Feinde waren.
Ich vergrößerte meinen Sturm noch ein bisschen und experimentierte noch ein bisschen mit dem Wasser.
Wasser…Wasser…Wir wäre es mit Eis? Geht das?, fragte ich die Elemente.
Klar geht das….hörte ich es flüstern.
Ich grinste in mich hinein und ließ, indem ich noch etwas mehr Licht hinzu fügte, das Wasser gefrieren. Gefährlich wirbelte das Eis durch die Luft. Nun starrten mich alle Leute an, was mir ziemlich unangenehm war. Ich beschloss die Luft weg zu lassen, so dass nur noch das Eis da war und entschied mich, die Füchse einfach an die Wand zu heften. Ich wandelte das Eis zu Eispflöcken und zielte damit auf die Füchse und traf sie so, dass sie fast alle an der Wand hingen und zappelnd versuchten sich loszureißen. Ich ließ mein Schutzlid zusammenbrechen und konzentrierte mich nur noch auf das Eis, damit es nicht schmolz.
»Ähm«, stammelte ich, als mein Rausch beendet war. Meine Beine gaben ihren Geist auf und ich landete mit dem Po auf dem Boden. Rody rannte zu Marie und umarmte sie. Er untersuchte ihren Körper und erkundigte sich bei ihr, ob auch alles in Ordnung sei.
Dann stand Domenic vor mir und versuchte mich wieder auf meine Beine zu ziehen. Doch mir fehlte nach diesem ganzen Geschehen die Kraft und kam einfach nicht mehr nach oben. Er nahm mich schließlich in den Arm und drückte mich fest. Er ließ nach einigen Sekunden wieder locker und drückte mir seine heißen Lippen auf meine. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus und mein Herz machte einen Satz und fing dann an zu rasen.
»Du warst Klasse!«, murmelte er, als wir eine kleine Pause zwischen den Küssen machten.
»Du bist so stark. Wie hast du das geschafft?« Ich legte noch einmal meine Lippen auf die seinen bevor ich ihm antwortete.
»Meine Eltern haben mir geholfen.«
Während ich im einen Kuss auf seine Nase gab, hörte man ein leises Plätschern. Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder den Füchsen zu und merkte, dass das Wasser langsam anfing zu schmelzen. »Uuups.«, stammelte ich und konzentrierte mich wieder auf das Wasser damit die Füchse nicht entkommen konnten. Justin erblickte ich hinter einem Tisch und musste unweigerlich lächeln, als er ängstlich dahinter hervor sah. »Komm her kleiner!«, rief ich. Er kam schließlich zu uns gerannt und krallte sich an Domenic fest.
»Was tun wir jetzt mit ihnen?«, fragte ich Domenic der mich anlächelte.
»Das Gericht wird sich um sie kümmern.«, erklärte er.
»Müssen wir die Füchse jetzt zum Gericht bringen?«, erkundigte ich mich während ich kurz zu Marie rüber lugte, die still in Rodys Armen lag. Die zwei waren so süß zusammen. In dem Zukunftstraum den ich gehabt hatte, war Rody schließlich böse gewesen. Er gehörte ja ebenfalls zu den Füchsen, die sich den Broinen angeschlossen haben.
Doch er schien sich für Marie und das Kind entschieden zu haben, er liebte sie so sehr, dass er vieles riskierte. Aber solang Marie nicht durch ihn verletzt werden würde, hätte ich keine Einwände gegen ihre Beziehung.
»Sie haben das alles mitbekommen und sind schon auf dem Weg.«, riss mich Domenic aus den Gedanken um mir auf meine Frage zu antworten. »Nicht träumen, mein Engel.«, wies er mich zu Recht.
Er nahm meinen Kopf in seine Hände und drückte mir einen Kuss auf meine Stirn. »Wie hat sich deine Mutter denn angehört?«, fragte er mich.
»Wunderschön. Wie die Stimme eines wunderschönen Engels.«
Domenic fragte nicht weiter nach, weil er wusste, dass ich sonst wieder zu viel drüber nachdenken würde. Aber das konnte ich sowieso nicht verhindern, ich konnte die Stimme meiner Mutter immer noch in meinem Kopf hören. So seidig und wunderschön. Ihre Stimme kam mir so bekannt vor, als hätte ich sie schon mein ganzes Leben lang gehört. Ich würde sie am liebsten noch einmal reden hören. Hielt mich aber zurück, weil ich sonst dauernd an sie denken musste. Das konnte ich mir im Moment leider nicht leisten. Ich musste aufmerksam sein und überprüfte, ob das Eis immer noch so kalt und fest war wie vorher.
Nach ungefähr 5 Minuten traten dann endlich Vertreter des Gerichts in das Café und nahmen die Füchse in Gewaltsam und schleppten sie in ihrer Menschengestalt hinaus.
Ich sah ein bekanntes Gesicht und ging ihm mit Domenic als Stütze entgegen.
»Ich habe gehört du sollst gute Arbeit geleistet haben.«, sagte Baltermann als er mich und Domenic beäugte.
»Ja das hat sie. Doch leider hat sie dafür viel ihrer Energie verbraucht.«, antwortete Domenic für mich. Ich nickte nur zustimmend und lächelte.
»Das freut mich zu hören. Pass gut auf sie auf!« Das waren Baltermanns letzte Worte, bevor er kehrt machte und Richtung Tür lief. »Achja.«, fügte er hinzu.
»Kann ich mich darauf verlassen, dass du dich um die Menschen kümmerst?« Domenic nickte als Antwort und Baltermann verließ das Café.
»Was meint er damit?«, fragte ich ihn und suchte nach seiner Hand und nahm sie in meine. Ein kleiner Glücksschauer durchfuhr mich, als er mich anlächelte.
»Ich muss die Erinnerungen der Menschen löschen. Sie dürfen sich nicht an dieses Ereignis erinnern.«, erklärte er ruhig.
»Das wird ihnen doch nicht wehtun oder?« Ich bereute es innerlich, dass ich die Füchse so verletzen musste, auch wenn es nötig gewesen war. »Nein wird es nicht, sie werden nur leichte Kopfschmerzen haben, wenn sie wieder erwachen.«

Nach zehn Minuten war er fertig und Marie, Rody, Domenic, Justin und ich machten uns auf dem Heimweg.
»Du meldest dich doch wenn das Baby kommt, oder?« »Natürlich!«, antwortete Marie auf meine Frage und umarmte mich soweit es möglich war.
Dann saßen wir nach einer Stunde endlich zu Hause auf der Couch in meiner warmen Wohnung. Wir hatten uns auf dem Weg noch Pizzen geholt. Und zwar fünf Stück. Ich dachte Domenic scherzte, als er sich in der Pizzeria fünf Pizzen bestellte, sogar der Verkäufer hatte blöd geglotzt. Doch als wir dann schließlich die Pizzen verzehrten, beobachte ich die beiden Jungs die sich hastig die Pizza in den Mund stopften.
Sie war so schnell aufgegessen, dass ich gerade mal zwei Stücke abbekam.
Doch ich lächelte, als ich die beiden satt nebeneinander gekuschelt sitzen sah und beide zufrieden wirkten.
Meine Familie..., ging es mir durch den Kopf.


23


In dieser Nacht schlief ich wie auf Wolken. Justin lag an mich gekuschelt und schnarchte leise vor sich hin. Domenic hatte sich zur Seite gedreht, als er der Überzeugung war, dass ich schlafen würde. Doch ich hatte noch lange wach gelegen und gegrinst wie ein Honigkuchenpferd, denn das einzige was mir ein schlechtes Gewissen bereitete, war, dass ich die Füchse hatte verletzen müssen, doch das schob ich einfach unter Notwehr.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, versuchte ich möglichst leise aufzustehen um duschen zu gehen.
Als das kalte Wasser über meine Haut rann, fühlte ich mich einfach nur gut und ich summte irgendeine undefinierbare Melodie vor mich hin.
Es klopfte.
»Ja?«, fragte ich automatisch nach.
Keine Antwort.
Ich stellte das Wasser ab. »Hallo?«, fragte ich noch einmal, da ich dachte ich hätte die Antwort auf meine vorherige Frage wegen des plätschernden Wassers überhört.
Als ich erneut keine Antwort bekam, nahm ich mir vor, der Sache auf den Grund zu gehen.
Ich schlang das Handtuch um meinen Körper und ging auf Erkundungstour. Langsam öffnete ich die Türe und hielt überrascht inne.
Vor der Türe stand ein wunderschön hergerichtetes Frühstückstablett. Eine rote Rose ragte aus einer durchsichtigen Vase und es duftete wundervoll nach den frischen Brötchen die auf einem Teller lagen. Ich grinste. Dann werde ich wohl mitspielen, dachte ich.
»Was für ein wunderschönes Frühstückstablet.t«, säuselte ich absichtlich laut vor mich hin. Justin schielte um die Ecke und lachte. Ich winkte ihn zu mir heran und flüsterte ihm leise ins Ohr: »Wo versteckt sich denn der nette Liebhaber, der mir dieses schöne Tablett hergerichtet hat?«
Justin deutete auf die Ecke um die er gerade gebogen war. »Danke.«, flüsterte ich und stieg über das Tablett hinweg. Leise pirschte ich mich an und sprang mit einem lauten Ausruf mitten in Domenic’s Arme. Ich kicherte, als er mich hochhob und sich mit mir im Kreis drehte.
»Lasst mich auch!«, meckerte Justin und zupfte an Domenic’s Boxershort herum. Ich blickte strahlend auf ihn herab.
»Die nächste Runde geht an dich.«
Er nickte, mit der Antwort anscheinend zufrieden.
Domenic setzte mich wieder auf dem Boden ab und küsste mich leidenschaftlich. Meine Welt blieb stehen und ich genoss einfach nur das Gefühl von jemandem im Arm gehalten zu werden.
Im Schlafzimmer klingelte das Telefon. Mit einem letzten Kuss rannte ich los, um den Anruf nicht zu verpassen. »Ja Hallo?«, meldete ich mich.
»Estelle? Hier ist Rody!«, meldete er sich hastig am anderen Ende der Leitung.
Rody rief mich an? Da war doch irgendetwas faul!
»Rody ist was mit Marie nicht in Ordnung?«
Ich lauschte in den Hörer. Im Hintergrund hörte ich Marie etwas murmeln.
»Ich weiß nicht was ich machen soll, Marie verhält sich komisch und... und ihr Bauch bewegt sich dauernd!«, brabbelte Rody aufgeregt.
Ihr Bauch bewegt sich?
»Wir kommen sofort!«
Mit einer Hand hielt ich den Hörer zu und meinte zu Domenic: »Irgendetwas stimmt mit Maries Baby nicht, wir müssen da sofort hin!«
Domenic schnappte sich sein Handy und telefonierte.
Auf der Fahrt zu Maries Wohnung erzählte Domenic mir, dass er den Zwerg angerufen hatte, der mich auch schon einmal behandelt hatte. Das beruhigte mich ein wenig.
Justin hingegen schien immer aufgeregter zu werden, denn er löcherte mich ein dauernd mit allen möglichen Fragen über Babys. Dabei hatte ich selbst keinen blassen Schimmer. Domenic stellte auf Durchzug und beteiligte sich erst gar nicht am Gespräch.
Typisch Männer, dachte ich mir.

Ein Mann sprang vor den Wagen und ich wurde brutal gegen den Sitzgurt gepresst.
»Nicht schon wieder ein Fuchs.«, stöhnte Domenic.
»Warum denn jetzt?«, meldete sich Justin von der Rückbank, der vor Aufregung schier zu platzen schien und verdrehte die Augen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte ich Domenic, als der Fuchs plötzlich auf meinen Wagen sprang.
»Ich erledige das schnell.«, murmelte er, stieg aus dem Auto und versetzte dem Fuchs einen so harten Schlag, dass dieser bewusstlos am Boden liegen blieb. Dann stieg er wieder ins Auto und ließ ihn einfach mitten auf der Straße liegen. Ich glotzte ihn blöd an, als ich weiterfuhr. Zum Glück lebten wir in einer kleineren Ortschaft in der wenige Leute lebten im Vergleich zu New York oder London. Und diese wenigen Leute bekamen in diesem Ort fast nichts mit. Außer man tanzt ihnen direkt vor der Nase etwas vor.
»Wir haben jetzt keine Zeit um auf das Gericht zu warten.«, gab er mir die Antwort auf mein Glotzen. Nach dreißig endlosen Minuten kamen wir endlich bei Marie an. Ich stürzte zum Haus und klopfte wie eine Verrückte an die Tür, währen Domenic und Justin ganz cool neben dran standen.
Die Tür wurde aufgerissen und Rody stand nervös und verschwitzt vor uns und ließ uns herein. »Irgendwas stimmt nicht mit dem Baby.«, stöhnte er vor Erschöpfung und führte uns zu Marie. Sie lag auf ihrem Bett, das überall mit Blut besudelt war. Ich lief zu Marie und streichelte sanft ihr Gesicht um sie zu beruhigen.
»Was ist denn los? Geht’s dem Baby nicht gut?«, fragte ich nervös, als ich Maries Gesichtsausdruck sah.
»Doch, aber…Ich weiß nicht-« Sie brach mitten im Satz ab, weil sie einen Hustenanfall bekam.
Rody setzte sich auf die andere Seite des Bettes und hielt Maries Hand.
»Ich habe solche Schmerzen.«, nuschelte sie.
Ich betrachtete ihren großen Bauch und konnte sehen, dass sich das Baby in ihren Bauch bewegte. Nein, es bewegte sich nicht. Es trampelte beinahe in ihrem Bauch.
Dann hörte man ein leises Knackes, das von Maries Körper kam. Sie schrie laut auf und suchte Rodys Nähe, der verzweifelt ihre Hand drückte.
»Domenic.«, flüsterte ich. »Was ist das für ein Baby?« Uns allen war schon von Anfang an klar gewesen, dass dieses kein normales Baby war. Doch nun fügte es Marie schreckliche Schmerzen zu. Das konnte ich nicht länger mit ansehen. »Sowas habe ich noch nie gesehen.«, antwortete er.
»Was?« Ich befahl Justin aus dem Raum zu gehen, da ich nicht wollte, dass er davon Alpträume bekam.
»Dass ein Mensch sich mit einem Gestaltenwandler gepaart hat. Vor allem ein Shantay.« Er rieb sich nachdenklich am Kinn und ich erschauerte, als er mir in Gedanken einen Kuss schenkte.
»Ist das so ungewöhnlich?«
»Ja eigentlich schon.«, begann er zu erklären. »Shantays und Menschen können sich eigentlich gar nicht paaren. Also Sex haben können sie schon, aber nur Wesen aus der Tovah bzw. Wesen wie du und ich können ein Kind von einem Shantay austragen.« Er setzte sich neben mich und Schlang einen Arm um meine Hüfte, um mir zu zeigen, dass er für mich da war. »Also heißt das, dass nur Menschen mit besonderen Fähigkeiten wie Engel und Gestaltenwandler ein Kind Ihresgleichen austragen können?«, fragte ich nach. »Genau.« Er wechselte einen Blick mit Rody und versuchte Maries Schmerz zu lindern, indem er ihre gebrochene Rippe zu heilen begann.
»Kann dann nur ein Gestaltenwandler einen anderen Gestaltenwandler befruchten oder wie?« Ich machte mich bereit für die Geburt, da die Wehen immer stärker wurden. Marie hatte keine Puste mehr um zu reden, doch ich verstand an ihrem Gesichtsausdruck, dass es bald soweit war.
»Nein, es müssen nur Wesen aus der Tovah sein.«, verbesserte er mich.
»Also könnte ich auch ein Kind von dir bekommen?«, fragte ich neugierig und versuchte mich auf Marie zu konzentrieren.
»Ja, theoretisch schon.«, sagte er leicht irritiert von der plötzlichen Frage. Ich errötete, wendete meinen Blick zu Marie und hörte sie laut aufschreien.
»Du musst es raus lassen Marie. Du musst pressen.«, redete ich ihr hektisch ein. Sie folgte meinem Befehl. Dann ging alles sehr schnell. Ein fellartiges Knäuel flutschte aus ihr heraus und landete auf dem Boden. Marie schrie wieder laut auf und krümmte sich im Bett. Domenic konzentrierte sich auf sie und versuchte ihr ein bisschen von ihrem Schmerz zu nehmen.
Ich betrachtete, während die anderen das Fellknäuel auf dem Boden noch gar nicht bemerkt hatten, das komische Ding. Es sah kein bisschen aus, wie ein kleines süßes Baby. Als ich es genauer betrachtete, sah ich dass es ein zusammen gerolltes Etwas voller Blut war.
»Was zum…« Ich schluckte und überwand mich das Ding anzufassen, um heraus zu finden, ob es noch lebte. Als ich es leicht berührte zuckte es zusammen und rollte auseinander.
Ich kreischte laut auf als ich erkannte was es war. Es war ein kleiner Babyfuchs!
Die anderen bemerkten endlich, dass das Baby schon draußen war und Rody stürzte zu mir während er panisch fragte:
»Ist was mit dem Baby nicht okay?« Als er dann schließlich selbst vor ihm stand riss er die Augen weit auf und nahm den Fuchs fasziniert in die Arme, ohne Notiz von dem Blut zu nehmen, dass in dessen Fell klebte. Er setzte sich wieder an den Rand des Bettes, um Marie den Fuchs zeigen zu können. Doch sie begann zu kreischen, als sie ihn sah und fuchtelte verwirrt mit den Händen. »Was ist das?«, fragte sie, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte.
Domenic nahm die Hand von Marie und betrachtete nachdenklich seine Hände und Finger.
»Das ist unser Kind.«, murmelte Rody, der den Fuchs immer noch im Arm hielt und ihn sanft streichelte. »Ich bin aber kein Fuchs, ich bin ein Mensch. Und Menschen bringen Menschen zur Welt…«, erklärte sie steif und wendete ihren Blick wieder dem Baby zu.
»Aber ich bin ein Fuchs.« Marie kam noch ein Stück näher und blickte Rody immer noch verwirrt in die Augen.
»Schatz.«, begann er. »Ich bin ein Gestaltenwandler, der eine Fuchsgestalt annehmen kann. Vielleicht waren meine Gene ja stärker, und deswegen wurde er als Fuchs geboren...« Ich schlich zu Domenic, als die beiden am diskutieren waren und nahm seine warme, prickelnde Hand in meine.
»Er?..Ist es ein Junge?«, fragte Marie neugierig.
»Ich hab noch gar nicht nachgeschaut.«, beichtete Rody, der begann den Körper des Fuchses zu inspizieren. »Ich wollte eigentlich schon immer ein Mädchen haben.«, nuschelte Marie vor sich hin.
»Es ist …ein…Mädchen.«, stellte Rody fest und schenkte Marie ein wunderschönes Lächeln. »Echt? Ein Mädchen? Ich kann’s kaum glauben. Lass es mich auch mal auf den Arm nehmen!«, bat sie gierig.
Rody drückte ihr vorsichtig den Fuchs in die Hand, der zu schlafen schien. Marie schaute zärtlich auf das kleine Baby hinab und begann es mit einem Deckenzipfel sauber zu wischen.
»Wird sie denn immer in dieser Fuchsgestalt bleiben?«, fragte sie, während sie das Baby anlächelte.
»Ich weiß es nicht. Aber eigentlich müsste sie auch ihre menschliche Gestalt annehmen können, nur wann ist die Frage.« Rody zuckte leicht seine Schultern und streichelte Maries Wange, nachdem er ihr einen Kuss darauf gegeben hatte.
»Domenic?« Er betrachtete immer noch verwirrt seine Hände und schien nachdenklich zu sein.
»Mhhmm?«, brummte er ohne seinen Blick von seinen Händen zu lassen.
»Was ist los?«, erkundigte ich mich bei ihm, während ich Rody, Marie und ihr Baby beobachtete.
»Es ist komisch. Marie ist schneller geheilt, als es mir eigentlich möglich war. Sie hätte nicht so schnell gesund werden können.«, erklärte er und wendete erstmals seinen Blick von seinen Händen um mir in die Augen zu sehen.
Mein Herz machte einen Sprung und klopfte in einem unregelmäßigen Rhythmus weiter, als mich wieder die Wucht seiner Schönheit traf.
Wie hatte ich nur so einen Mann verdient?, schallte es in meinem Kopf. Domenic schien es gehört zu haben und musste schmunzeln. Doch er wurde ernst als er weiter sprach.
»Sie war genauso schnell geheilt wie du vor kurzem, doch das kann gar nicht sein.«
»Und wieso nicht?«, hakte ich interessiert nach.
»Weil sie ein Mensch ist, und du nicht. Du bist ein Engel, die heilen schneller als Menschen. Wie kann das also passiert sein?« Ich blickte nachdenklich zu Marie und fand keine Antwort auf seine Frage.
»Du hast ja auch gesagt, Marie hätte gar nicht von ihm schwanger sein können, weil sie ein Mensch ist.«, murmelte ich.
»Ja das stimmt.« Dann blickte er genau wie ich zu den beiden, die da auf dem Bett saßen. Wie konnte Marie ein Kind von Rody bekommen, wenn er ein Shantay war?
Und wie konnte Marie so schnell geheilt werden, wenn sie doch auch ein Mensch war?
Wir beide stellten uns diese Fragen, während wir die kleine Familie betrachteten, die ihr kleines Baby fasziniert inspizierte.


24


»Marie?«
Domenic und ich hatten uns einen letzten Blick zugeworfen und gemeinsam entschieden, all diesen Fragen sofort auf den Grund zu gehen.
»Was denn?«, fragte sie mit glänzendem Blick. Ich musste mich bemühen um nicht loszuschniefen, so süß sah Marie mit dem Füchschen im Arm aus.
»Du müsstest tot sein nach ihrer Geburt.«, ich nickte mit dem Kopf auf das Baby.
Marie blickte auf den Fuchs und dann wieder zu uns. Ihre Augen waren geweitet. »Warum denn das? Ich lebe doch? Rody?«
Rody nahm sie beruhigend in den Arm. Er wusste worauf wir hinaus wollten.
»Man kann nur wenn man unsterblich ist eine Shantay-Geburt überleben-«
Ich ließ den Satz unbeendet. Maries Blick verschwamm, so als wäre sie mit den Gedanken ganz woanders.
»Marie. Marie? Hör uns zu.« Ich wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.
»Ich müsste tot sein? Warum hat mir das vorher niemand gesagt? Ihr wusstet das doch!« Diese Unterstellung betraf Domenic und Rody, die zusammenzuckten, als Marie sie mit unfassbaren Blicken befeuerte. »Ihr wusstet die ganze Zeit das ich bei der Geburt sterben kann?«
Ich keuchte. Geschockt wendete ich mich an Domenic, der die Hände wie ein Schutzschild vor seinen Körper hielt um Marie zu bedeuten, dass sie innehalten sollte.
»Ehrlich, ich wusste davon nichts, bis zu dem Moment, als ich die Hände auf deinen Bauch gelegt habe. Ich weiß ursprünglich überhaupt nichts über Geburten in der anderen Welt. Es hat mich nie interessiert!« Rody nickte zustimmend.
Ich legte den Kopf schief. Domenic sagte die Wahrheit. Er hatte mir bereits seinen Geist offenbart als wir miteinander geschlafen hatten. Mir wäre aufgefallen, wenn er mir etwas vorenthalten würde. »Er sagt die Wahrheit.«, meldete ich mich. Maries Blick wanderte zu mir. »Woher soll ich wissen ob das stimmt?« Sie kniff herausfordernd die Augen zusammen.
Ich wurde rot. »Naja... er hat mir seinen Geist offenbart...«, stammelte ich. Rody grinste und warf Domenic einen dieser nervigen Männerblicke zu der so viel bedeuteten wie: Glückwunsch Kumpel.
Das rot auf meinen Wangen wandelte sich in dunkelrot. Marie riss die Augen auf. »Oh.. ups.«, meinte sie peinlich berührt.
Rody lachte.

»Also wie auch immer.«, überspielte Domenic die peinliche Situation, »Du kannst nicht menschlich sein sonst hättest du das hier nicht überlebt.«
Es muss irgendetwas mit ihren Eltern zu tun haben, überlegte ich. Marie schaute mich an. »Meine Eltern? Die sind doch schon lange tot!«
Ups laut geredet, lachte die Stimme in meinem Kopf mich aus.
Moment! Wieder kam mir einer meiner Einfälle und teilte diesen auch sofort allen anwesenden mit. »Vielleicht können meine Eltern deine Eltern finden?«
Marie lachte auf. »Die sind doch auch tot du Scherzkeks.« Das Baby machte ein Geräusch, das wie ein Heulen klang. Marie gab das Baby Rody und setzte sich vorne an die Bettkante. Ich hockte mich im Schneidersitz auf den Boden. Domenic wollte es mir gleichtun, doch mit dem Schneidersitz hatte er ziemliche Probleme, weswegen er den Versuch schließlich unterließ. »Ich kann mit ihnen reden...«, sagte ich zu ihr. Sie schaute mich ungläubig an.
»Ihnen?«
»Also mit meinem Vater und meiner Mutter.«, antwortete ich.
»Das hast du überhaupt nicht erzählt!«, meckerte sie.
»Hab ich wohl vergessen in all der Aufregung. Mit meiner Mutter hab ich das erste Mal gesprochen, als ich dich geschützt habe, du weißt schon, in der Butterblume...«
Ich riss die Augen auf. »Jetzt wird mir auch klar, warum ich mich als Engel wandeln konnte, obwohl du doch ein Mensch bist. Ich hätte beim hohen Gericht landen müssen und das bin ich nicht! Die Kellnerin war doch bewusstlos und du warst die einzige menschliche Person, die sich sonst noch im Raum befand!«
Marie schluckte.
»Kann das klappen? Deine Eltern suchen meine?«
»Mein Dad hat auch meine Mum dort irgendwo wieder gefunden...die schaffen das schon...« Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf meinen Geist.
Dad?
Estelle! – die Stimme meiner Mum antwortete mir.
Dein Vater ist irgendwie gerade verschwunden...Männer eben... was gibt es denn?
Ich brauche eure Hilfe! Ihr müsst die Eltern von Marie aufspüren, um herauszufinden, was für ein Unsterbliches Wesen sie ist, denkst du, ihr bekommt das hin? Es ist wirklich unglaublich wichtig. Sie hat gerade ihr erstes Baby geboren und es ist ein Shantay, das heißt sie ist nicht menschlich, sonst hätte sie es doch nicht überleben können.
Ich konnte spüren, wie sie überlegte.
Zeig mir ein Bild von ihr.
Wie soll das gehen?, fragte ich verwirrt.
Ganz einfach. So wie du Domenic auch Bilder schicken kannst.
Woher weißt du...?
Schon als ihr damals zusammen gespielt habt, wusste ich das die Zukunft so kommen würde. Ich habe es gesehen. In meinen Träumen, erzählte sie.
In deinen Träumen? Meinst du Zukunftsträume?
Ja genau die, lächelte meine Mum.
Ich versuchte angestrengt ein Bild von Marie aus meinem Gedankenkreis hinauszuschieben und schließlich gelang es mir auch.
Sie ist wunderschön, hauchte meine Mutter.
Ich selbst betrachtete das Bild. Es war ein Bild meiner Erinnerung, wie sie gerade erst das frischgeborene Baby im Arm hielt – blutverschmiert.
Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was daran wunderschön war. Deshalb fragte ich nach.
Siehst du es denn nicht? Ihr Ausstrahlung? Das Leuchten? Ihre Augen?
Verwirrt blickte ich auf das Bild, das frei im Raum der Gedanken zu schweben schien.
Nein ich sehe nichts, meinte ich enttäuscht.
Dein Blaues Licht, erinnerte mich meine Mum. Stärke deine Sicht!
Ich zog die Farben meines Regenbogens zu mir heran und wählte das blaue. Ich hatte es bisher nur dafür genutzt während dem Fliegen meine Sicht zu stärken. Darauf, die Sicht für etwas anderes zu nutzen war ich bisher nicht gekommen.
Ich zog das Licht heran und ließ es dich in meinem Körper ausbreiten. Dann richtete ich den Blick erneut auf Maries Bild.
Mir verschlug es schier die Sprache. Marie trug ein wunderschönes Gewand, das aus einem sanften Grünton bestand. Es schmiegte sich eng an ihren schönen Körper und betonte ihr Dekolleté. Ihre Haare fielen ihr offen über die Schultern. Im Arm hielt sie ein kleines Mädchen, das zufrieden schlief. Der Fuchs war verschwunden.
Ich versuchte zu atmen und genoss die kühle, mit der sich meine Lunge mit Sauerstoff füllte.
Was ist sie?, fragte ich gerührt von dieser perfekt wirkenden Schönheit, die rein äußerlich fast nichts mehr mit meiner kleinen Marie gemeinsam hatte.
Eine Nymphe, flüsterte meine Mum entzückt.
Was ist eine Nymphe? Domenic hatte zwar mal eine erwähnt, doch was eine Nymphe war, hatte er mir nie erklärt.
Es ist der Elfe sehr ähnlich, hat aber andere Fähigkeiten als sie, erklärte meine Mum.
Und was? Ich konnte mit einer Elfe genau so wenig anfangen wie mit einer Nymphe.
Ich kannte nur Elfen aus den Büchern und aus dem Fernsehen. Doch ob sie genauso aussahen bezweifelte ich.
Eine Elfe sorgt dafür, dass die Seelen der Menschen nach ihrem Tod, aber auch vor der Geburt an, den richtigen Platz kommen, fuhr sie fort.
Ich musste unwillkürlich an einen Postboten denken, der die Post an die richtigen Leute austrug. Ich musste innerlich grinsen, was meine Mutter wohl bemerkt hatte.
Ich erklär's dir mal. Eine Elfe muss die Seelen nach dem Tod in den Himmel oder ins Nichts leiten.
Ein lautes Aufschreien von dem Baby riss mich aus der Unterhaltung mit meiner Mutter. »Was ist los?«, erkundigte sich Marie besorgt.
»Ich muss mich konzentrieren.«, sagte ich und suchte wieder die Stimme meiner Mutter in meinem Geist,
Ins Nichts?, hakte ich nach. Ja das nichts ist so etwas wie die Hölle, nur ohne Teufel und Feuer und so Zeugs... eben nur das Nichts. Sie runzelte in meinem Geist die Stirn.
Achso. Und was machen die Nymphen?
Die Nymphen haben keine bestimmen Aufgaben. Es gibt nur wenige Wesen in Tovah, denen eine bestimmte Aufgabe zugeteilt ist. Die Achelos sind Wassergötter, die sich um das ganze Wasser, das auf dieser Welt fließt, kümmern. Die Aiolos sind für den Wind, Gaias für die Erde und die Helios für die Sonne. Aber das sind nicht die einzigen, es gibt noch viele mehr. Das was ich aufgezählt habe, waren nur die Götter der Tovah.
Ich strahlte neugierig und wollte noch mehr über die Wesen in Tovah wissen.
Die Nymphen, kam sie zum eigentlichen Thema zurück. Werden auch Athene genannt. Sie sind bekannt für ihre Weisheit, Kriegstaktik und Strategie.
Marie bekannt für Weisheit und Strategie? Das konnte ich mir nicht so ganz vorstellen.
Und wieso wusste Marie nicht mal, dass sie eine Nymphe ist? Ich wechselte kurz einen Blick mit Marie.
Es kommt immer öfters vor, das Nymphen nie ihr wahres Wesen erkennen und ihr ganzes Leben als Mensch verbringen.
Das ist aber nicht nur bei Nymphen so. Viele Wesen werden in der Menschenwelt geboren und leben dort, ohne dass ihnen von ihrer wahren Gestalt erzählt wird. Es liegt meistens an den Eltern, die aus der Tovah kommen, aber in der anderen Welt leben wollen.
Ich musste daran denken, wie ich erfahren hatte, dass ich ein Engel war. Ich war froh, dass ich letztendlich davon erfahren hatte. Denn ohne diese Erkenntnis, wäre ich Domenic vielleicht nie so nahe gekommen.
Aber da Marie nun bald erfahren wird was sie ist, wird sich ihre Weisheit erst entwickeln. Du wirst es ihr doch erzählen oder?, fragte meine Mum.
Ja das werde ich. Und ich glaube sie werden auch schon ungeduldig. Marie starrt sich gleich die Augen aus dem Kopf, berichtete ich ihr. Das letzte was ich von ihr hörte, war ein herzliches Lachen. Dann war sie aus meinem Geist verschwunden.
»Jetzt sag doch mal, was hat sie gesagt?«, nörgelte Marie. Aber auch Domenic und Rody betrachteten mich neugierig und warteten auf meine Antwort.
»Ähh…«, begann ich, als es plötzlich an der Tür klopfte.
»Darf ich wieder reinkommen?«, hörte man Justin hinter der Tür piepsen.
Ich blickte auf das mit Blut besudelte Bett und beschloss ihn lieber draußen zu behalten.
»Nein, warte bitte noch kurz. Wir sind hier gleich fertig.« »Ich hab' keine Angst vor Blut.«, erklärte Justin.
»Ich will aber, dass du draußen wartest.« Dann fuhr ich fort. »Meine Mum hat gesagt, du bist eine Nymphe.« Marie starrte mich an und konnte wohl genauso wenig damit anfangen, wie auch zu Beginn.
»Und was ist eine Nymphe?«, fragte sie neugierig.
»Also du kennst doch Elfen oder?«, fragte ich sie und suchte noch ein Mal für einen kurzen Moment die Nähe meiner Mum, um mir ein Bild aus ihrer Erinnerung zu betrachten. Das Bild einer Elfe. Elfen sahen denen die in Geschichten erwähnt wurden sehr ähnlich, nur dass sie normale Ohren hatten. Und dass ihre Flügel noch schöner waren, als in den Filmen.
»Ja weiß ich, sehen die in echt aus wie in den Märchen?«, fragte sie und strahlte übers ganze Gesicht.
»Naja, fast. Sie haben normale Ohren und ihre Flügel sind tausendmal schöner.« Jedoch hatten Nymphen keine Flügel, dass vermutete ich zumindest, denn meine Mutter hatte nichts von Flügeln erwähnt.
»Du bist ihnen ähnlich, eure Gedanken und Fähigkeiten sind fast gleich. Nur dass du keine Flügel hast.« Maries Strahlen verschwand nachdem sie das gehört hatte. Sie hatte sich wohl gerne Flügel gewünscht.
»Aber vielleicht irre ich mich auch und du hast doch Flügel. Ich werde bei Gelegenheit noch mal meine Mum fragen. Aber jetzt will ich erst mal nach Hause, ich bin echt müde. Falls das in Ordnung ist?«
Marie strahlte wieder ein wenig und nickte. Wir betrachteten bevor ich ging das Baby. »Clara.«, flüsterte sie und küsste Rody leidenschaftlich auf den Mund. Dann umarmten wir uns noch als Verabschiedung und Domenic, Justin und ich machten uns auf den Weg nach Hause.
Doch als wir nach der endlosen Autofahrt endlich vor meiner Haustür standen hörte man von innen ein leises Klirren.
Mein Herz begann vor Aufregung zu rasen an. Ich drehte den Schlüssel langsam im Schloss herum, bis die Tür schließlich aufging.
Kaum war die Tür offen, sprang mir etwas entgegen und drückte mich zu Boden.
»Oh nein.«, seufzte ich, als ich die Gestalten erkannte.


25


Zwei große Hunde leckten abwechselnd mein Gesicht und ich schubste sie genervt von mir weg. »Molly! Benny! Aus!«, schimpfte ich vor mich hin. Justin kniete sich neben mich und knuddelte Molly durch, was sie besonders toll zu finden schien. Domenic lachte im Hintergrund. Da Benny nun auch endlich von mir abhielt um eine Knuddel-Ration von Justin zu erhalten, konnte ich mich wieder aufrappeln. Ungläubig schaute ich auf die beiden Hunde die Vergnügt an Justins Klamotten herum kauten. »Das gibt’s doch nicht!«, murmelte ich und fasste mir mit der Hand an die Stirn. Domenic trat neben mich und blickte Belustigt auf die Szene die sich ihm bot. »Was sind das für Hunde?«, erkundigte er sich bei mir. Ich starrte auf meine Füße und versuchte mich zu erinnern.
»Estelle!«, rief eine mir vertraute Stimme und ich schaute überrascht auf. Als ich in ihr Gesicht blickte, kamen auch Augenblicklich meine Erinnerungen zurück.
Sonniges Wetter. Frischer Kuchen. Lachende Gesichter. Braungebrannte Hände. Meilenweite Felder.
»Tante Hilde!«
Die kleine rundliche Frau kam auf mich zu und drückte mich herzlich. »Ich wusste doch, dass ich dich irgendwann wieder finden werde!« Sie drückte mich noch einmal fest an sich, bevor sie von mir abließ um mich zu mustern. Ihr Blick wurde glasig und ich las darin beinahe so etwas wie pure Bewunderung.
»Meine Güte bist du hübsch geworden!«
»Ich möchte ja nicht stören-«, meldete sich Domenic neben mir, »-aber kannst du mir das bitte erklären Estelle?«
Ich errötete. Domenic hatte ich in dem Durcheinander des Wiedersehens ganz vergessen. »Natürlich.«, murmelte ich und deutete auf Hilde. »Das ist Tante Hilde, also eigentlich ist sie nicht meine Tante aber alle haben sie so genannt…«
»Lass mich erklären.«, mischte sie sich ein. »Als damals der Krieg in Tovah ausbrach und sie ihre Mutter tot aufgefunden hatte, brachte ihr Vater sie zu mir und meinem Mann auf einen abgelegenen Bauernhof. Er konnte sie nicht alleine erziehen. Einige Zeit hatte er mit aller Kraft versucht sich um Estelle zu kümmern. Aber seine Schuldgefühle fraßen ihn innerlich auf, wenn er bei Estelle war. Außerdem gefährdete sie Estelle durch seine Anwesenheit. Er wollte Estelle davor schützen, als Engel entdeckt zu werden.« An mich gewandt fuhr sie fort »Hast du deinen Vater niemals wieder gesehen?«
Ich nickte traurig. »Er hat mich an meinem 25. Lebensjahr ausfindig gemacht, aber er ist seit weniger als einer Woche verstorben.«
Ein seltsamer Ausdruck legte sich auf das Gesicht der kleinen Frau. »Georg ist ebenfalls verstorben.«
Ich zuckte zusammen. Hildes Mann war für mich wie ein zweiter Vater gewesen. Zwar war ich neugierig, woran er denn verstorben war, doch ich hielt mich zurück um Hilde nicht zurück in die Trauer zu stürzen, die ich in ihrem Blick ausmachte. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, antwortete sie: »Die Pumas haben ihn umgebracht. Als wir Elin schützen wollten.«
Domenic zog eine Augenbraue nach oben. »Wer ist Elin?« Ich antwortete ihm an ihrer Stelle. »Ihre Tochter. Für mich war sie wie eine Schwester.«
In Gedanken suchte ich nach einem Bild von Elin und Georg um es Domenic zu zeigen. Als ich eines fand, traten mir Tränen in die Augen. Es zeigte Hilde, Georg, Elin und mich beim Kuchen essen in der Küche des großen Bauernhofes.
Molly bellte empört um wieder ein wenig der Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Nun da ich die beiden Hunde überragte, machte mir ihre Größe nicht mehr zu schaffen. Doch als kleines Mädchen hatte ich furchtbare Angst vor den Beiden gehabt. Sobald einer von ihnen mir zu nahe gekommen war, war ich zu Elin geflüchtet, die schon immer wunderbar mit Tieren hatte umgehen können. Jedes Mal hatte sie spöttisch gelächelt, mich aber trotzdem immer tröstend in den Arm genommen. Ihre langen braunen Haare und ihre haselnussbraunen Augen hatte sie zu hundertprozentiger Garantie von Hilde geerbt und früher hatte ich sie darum beneidet. »Was ist mit Elin geschehen? Warum kamen die Pumas zu euch? Ich dachte immer euer Hof sei sicher-« ich brach mitten im Satz ab.
Natürlich erzählt man einem kleinen Mädchen wenn es seine Mutter tot aufgefunden hatte, dass der abgelegene Bauernhof sicher war!, ärgerte sich die Stimme in meinem Kopf über meine Blindheit.
»Nun da du in die Geheimnisse der anderen Welt eingewiesen wurdest, kann ich endlich offen mit dir reden.«, seufzte sie. »Elin ist eine Elfe. Aus irgendeinem Grund wurde unser Hof verraten und die Pumas kamen um sie zu vernichten, weil sie zusätzliche Fähigkeiten hatte, die nicht normal für eine Elfe waren.«
Ich wurde Aufmerksam. Elin war eine Elfe mit besonderen Fähigkeiten? Auch im Interesse von Marie fragte ich noch einmal nach welche Fähigkeiten eine Elfe denn normalerweise besitze, in der Hoffnung noch etwas Neues zu den Erklärungen meiner Mutter hinzufügen zu können. »Eine Elfe sorgt normalerweise dafür, dass die Seelen der Menschen nach ihrem Tod aber auch vor der Geburt an den richtigen Platz kommen. Doch Elin konnte noch zusätzlich für die Seelen der Tiere sorgen und mit ihnen kommunizieren. Die Pumas waren damit anscheinend nicht einverstanden. Sie brachten Georg um, nahmen mir Elin und brannten unseren Hof ab.« Sie schluchzte.
»Woher weißt du das alles?«, unterbrach ich sie in ihren Erzählungen.
»Ich bin ebenfalls eine Elfe, doch das wusste niemand. Ich habe sehr früh gelernt meine Fähigkeiten versteckt zu halten und wie ein normaler Mensch zu leben. Aber bei Elin fielen ihre Fähigkeiten und ihr wunderschönes Aussehen zu sehr auf. Und dann haben sie sie mir genommen! Das einzige was ich danach noch hatte, waren Molly, Benny und die Erinnerung an dich, deshalb habe ich dich gesucht, was schließlich nicht allzu schwer war. In den Richterkreisen scheinst du nämlich schon ziemlich berühmt zu sein.« Sie lächelte schwach. »Ich habe den Ersatzschlüssel unter dem Blumentopf da gefunden und gedacht ich könnte drinnen auf dich warten, weil die Hunde so gefroren haben und-«
Ich winkte beruhigend mit der Hand ab. »Das ist schon in Ordnung Tante Hilde, aber was meinst du mit, sie haben dir Elin genommen? Ist sie…ist sie tot?«
Hilde schüttelte den Kopf. Dann nickte sie. Dann schüttelte sie ihn erneut. »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sie haben sie mitgenommen und durch ein Portal nach Tovah geschubst.«
Die Erinnerung an meinen Zukunftstraum in dem Justin dasselbe wiederfuhr brach über mir zusammen und ich zog ihn an mich. Justin blickte mich mit einem komischen Ausdruck an, ließ es aber geschehen. »Es wäre vielleicht besser, wenn wir das Gespräch drinnen fortsetzten.«, sagte Domenic und drückte leicht meine Schulter. Auch er hatte offensichtlich an den Traum mit Justin gedacht.
Ich nickte zittrig und wir traten in die Wohnung ein, in der ich sofort feststellte, was zu Bruch gegangen war. Meine geliebte Kaffeemaschine lag am Boden und sah ziemlich mitgenommen aus. »Oh nein!«, stöhnte ich und hob den Trümmerhaufen vom Boden auf. Jetzt ist dann wohl doch eine neue fällig, dachte ich mir und blickte Traurig drein.
»Oh das tut mir Leid.«, sagte Hilde, die ebenfalls meine Kaffemaschine musterte. »Als Molly deine Stimme von draußen wahrgenommen hatte, ist sie sofort zur Haustüre gesprintet und dabei über den Stecker gestolpert…« Mein Blick glitt zu dem herausgerissenen Stecker und ich seufzte. Schweren Herzens stellte ich die Maschine auf die Küchentheke und meinte nur knapp, dass es nun eben keinen Kaffee geben würde.
Jedes Leben geht einmal zu Ende, auch das von deiner Kaffeemaschine…
Ich erschrak heftig, als ich die belustigte Stimme meines Vaters vernahm.
Erschreck mich nie wieder so Dad!, motzte ich ihn an.
»Was macht sie da?«, fragte Hilde Domenic und schaute mich erstaunt an. »Sie kommuniziert in Gedanken.«, erwiderte er sachlich und bot ihr einen Platz auf der Couch an. »Sie kann in Gedanken kommunizieren?«, fragte sie verblüfft. Dann leuchteten ihre Augen auf einmal auf. »Die Fähigkeiten ihrer Mutter! Sie hat die Fähigkeiten ihrer Mutter?« Domenic nickte lächelnd und bedachte mich mit einem liebesvollen Blick, während ich mich angeregt mit meinem Vater unterhielt.
Hilde ist hier!, teilte ich ihm vor Freude mit.
Was ist mit Elin und Georg?, erkundigte er sich besorgt.
Die Pumas haben Elin mitgenommen und Georg getötet, flüsterte ich, weil sich bei dem Gedanken mein Herz vor Schmerz zusammenzog.
Mein Vater stieß zischend die Luft aus.
Immer diese Pumas und Füchse!, schimpfte er.
Ich stimmte ihm nickend zu.
Es wimmelt praktisch nur noch von ihnen, erzählte ich ihm.

Schließlich redeten wir noch ein wenig und beendeten dann das Gespräch damit, dass ich ihm noch einmal ausdrücklich sagte, dass Mama und er nach Maries Eltern suchen sollten.
Justin saß glücklich vor sich hin summend mit einer heißen Schokolade in der Hand auf dem Sessel, während Molly zu seinen Füßen lag. Benny hatte es sich an Hildes Füßen bequem gemacht und ich setzte mich, um wieder am Gespräch teilzunehmen zu Domenic aufs Sofa.
Er nahm meine Hand und drückte mir einen Kuss auf meine Stirn.
Mein Herz fing an zu rasen und ich wollte am liebsten über ihn herfallen. Doch das war nicht der richtige Augenblick dafür. Wenn ich jetzt anfangen würde Domenic zu küssen, könnte ich nicht so schnell wieder aufhören. Ich merkte, dass auch er sich beherrschen musste und wendete schließlich meinen Blick von ihm ab. Tante Hilde hatte unsere Blicke bemerkt und grinste mich an.
»Willst du mir nicht mal deinen Freund vorstellen?«, fragte sie neugierig, während sie Bennys Rücken streichelte.
Ich musste grinsen und drückte Domenics Hand. »Das ist Domenic, er ist ein Chaya.«
Domenic lächelte sie an und streckte seine Hand aus, die Tante Hilde nahm und leicht schüttelte. »Da hast du dir aber einen tollen Mann geangelt.«, kicherte sie.
Ich musste wieder grinsen und gab ihr einen Klaps auf ihren Schenkel. Ich hatte Tante Hilde schon solange nicht mehr gesehen. Es tat richtig gut wieder mit ihr zu reden. »Es ist so ruhig.«, sagte ich und lehnte mich an Domenic. Tante Hilde nickte und schien die Zeit mit uns zu genießen. Sie hatte ja niemanden mehr, außer ihren Hunden.
Sie hatte ihren Mann verloren und ihre Tochter war entführt worden. Doch ob sie überhaupt noch am Leben war wusste niemand…
»krrrrr« Justin schreckte bei diesem Knarren auf und verschüttete beinahe seinen Kakao.
»Domenic.«, seufzte ich. Denn ich vermutete, dass es wieder die Füchse waren, die uns schon seit Tagen verfolgten.
»Ich geh schon.«, murrte er und ging zur Tür. Er quetschte sich hindurch, sodass die Füchse nicht herein kommen konnten.
Dann hörten wir einen lauten Knall. Und noch einen, dann war es still.
»Domenic?«, flüsterte ich, als ich mich vorsichtig an die Tür schlich.
Domenic? Was ist los? Ich bekam keine Antwort und bekam Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte.
Schließlich baute ich mir eine mentale Schutzmauer auf, sowie eine Schutzmauer, die mich vor Angriffen schützten und bereitete mich auf einen Kampf vor.
Ich drehte mich noch einmal um bevor ich durch die Tür schlüpfte, um den anderen zu zeigen, dass ich bereit war.
Kaum war ich draußen, sprangen mir die Füchse an die Schutzmauer. Nein. Es waren nicht nur Füchse. Es war ein kleines Rudel von Pumas und Füchsen. Da es schon dunkel war, konnte ich nicht viel erkennen. Doch ich schätzte, dass es mindestens dreißig Pumas und Füchse waren, die mich umrundeten. Ich erblickte Domenic vor mir auf den Boden liegen und baute mein Schutzschild auch um ihn herum auf. »Was habt ihr ihm angetan?«, knurrte ich und rüttelte Domenic, damit er wieder erwachte. Doch das tat er nicht.
»Sagt schon, was habt ihr mit ihm gemacht?«, schrie ich die Füchse und Pumas an. Niemand machte Anstalten sich zu bewegen. Ich sah mich um und wunderte mich warum keine Menschen unterwegs waren. Ich wohnte zwar in einer ruhigen Gegend, doch einige Leute waren immer auf den Straßen. Doch dann entdeckte ich einen Mann der mich anstarrte und dann davon rannte. Er sah nicht aus als hätte er Angst gehabt, eher so als hätte er etwas schlimmes getan, vordem er wegrennen wollte.
»Was habt ihr mit den Menschen getan?« Einer der Füchse trat aus der Menge hervor und verwandelte sich in seine menschliche Gestalt.
Er sah Luke sehr ähnlich, nur dass er viel größer war und ein markanteres Gesicht hatte.
»Um die haben wir uns gekümmert. Wir wollen ja nicht wieder soviel Aufmerksamkeit erregen damit das Gericht kommen muss, nicht wahr Engelchen?« Er lachte höhnisch auf, als ich nicht darauf antwortete.
»Ach und dein Freund ist im Land der Träume.«, fügte er hinzu um auf meine Frage zu beantworten.
»Was wollt ihr? Ihr verfolgt uns schon die ganze Zeit. Und was ist mit den Pumas?«
Er kam einen Schritt näher an mich heran und meinem Schutzschild gefährlich nahe.
»Das ist doch nicht so wichtig.«, sagte er ganz entspannt. Er machte noch einen weiteren Schritt auf mich zu und stand nur noch ein paar Millimeter vor meinem Schild.
Es knisterte. Dann trat der Mann plötzlich einen großen Schritt zurück und verwandelte sich wieder in seine Fuchsgestalt.
Dann sprangen fast alle Tiere gleichzeitig auf mich zu und prallten an meinem Schutzschild ab. Während ich mein Schild hielt, versuchte ich Domenic in Gedanken wach zu rütteln.
Domenic, wach auf. Flüsterte ich in seinen Geist. Doch als ich keine Antwort bekam, dachte ich mir, dass ich eher schreien musste, um ihn aufzuwecken.
Aufstehen Schlafmütze! Schrie ich in seinen Geist und im nächsten Moment riss er die Augen auf. Er rappelte sich auf und musste schnell reagieren. Denn als die Tiere merkten, dass Domenic wieder wach war, stürzten sich einige von ihnen auf ihn. Ein paar prallten an meinem Schutzschuld ab, das ich um ihn gelegt hatte, und einige schlug er zu Boden.
Ich rief den Wind und schleuderte die Pumas und Füchse gegen die Hauswand. Schließlich lagen alle auf dem Boden und rührten sich nicht mehr, außer einem. Es war der Fuchs der mit mir kommuniziert hatte. Ich benutzte mein gräulich-glitzerndes Licht um in seinen Geist schauen zu können. Ich wollte Antworten haben. Warum sie uns die ganze Zeit verfolgten. Was sie mit den Menschen getan hatten…
Wir brauchen Verstärkung. Ich hörte die Gedanken des Fuchses und versuchte mich unauffällig in seinem Geist aufzuhalten.
So werden wir den Engel nie bekommen.
Dann verstummten seine Gedanken und die anderen Füchse und Pumas richteten sich auf und humpelten davon.
Mit einem lauten »plumps« fiel Domenic zu Boden und fasste sich an den Kopf.
Ich kam zu ihm und beugte mich herunter.
»Was ist los?«, fragte ich ihn besorgt.
»Mein Kopf…«, murmelte er und massierte sich die Schläfen. »Haben sie dich nieder geschlagen oder was haben sie getan?« Ich stützte ihn während er sich auf rappelte.
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass mein Kopf davon schmerzt.« Ich nahm ihn in den Arm, um diesen Schrecken zu verarbeiten. Er löste sich aus der Umarmung und küsste mich leidenschaftlich. Er zog mich wieder an sich und fuhr mit seiner Zunge durch meinen Mund. Ich machte mit und genoss das Kribbeln in meinem Bauch. Doch dann löste er sich wieder von mir und fasste sich an den Kopf. »Ich glaub du legst dich besser ein bisschen hin.«, riet ich ihm und ging mit ihm wieder ins Haus.
»Was war das?«, erkundigte sich Tante Hilde panisch, als wir herein traten.
»Das waren wieder die Füchse. Doch dieses Mal waren auch Pumas dabei. Aber wir haben sie wieder verjagt.«, erklärte ich und begleitete Domenic mit ins Schlafzimmer. Er ließ sich aufs Bett fallen und streckte sich.
»Ich bin so müde.«, murmelte er und streifte seine Schuhe ab, die er vergessen hatte auszuziehen.
Ich flitzte schnell ins Wohnzimmer und teilte den anderen mit, dass Domenic und ich schon ins Bett wollten. Ich zeigte Tante Hilde wie man die Couch aufklappte, auf der sie diese Nacht schlafen würde. Justin beschloss spontan bei Tante Hilde im Wohnzimmer zu schlafen, was mich ein bisschen freute. Ich hatte eine Nacht mit Domenic alleine und das würde ich ausnutzen. Ich kicherte in mich hinein und schlich zurück ins Schlafzimmer. Ich zog mir meine Kleider aus und gesellte mich zu Domenic ins Bett, der nun auch nur noch in seiner Unterwäsche da lag.
Doch ich bemerkte, dass er schon eingeschlafen war und war ein bisschen enttäuscht, denn es war noch nicht so spät, erst acht Uhr.
Ich betrachtete Domenic und lächelte.
Er sieht so süß aus wenn er schläft. Ich kuschelte mich an ihn und genoss die Wärme, die er ausstrahlte. Doch dann fing sein Körper plötzlich an zu zittern. Er war nicht wach, doch sei ganzer Körper bebte. Ich beschloss noch eine Decke zu holen, damit er hoffentlich aufhörte zu zittern. Doch nach einigen Minuten hörte es immer noch nicht auf. »Domenic.«, flüsterte ich sanft in sein Ohr, doch er schlief weiter. »Domenic!« Ich versuchte ihn
wachzurütteln, doch er wachte einfach nicht auf.
Irgendwas stimmt nicht, dachte ich mir.
Ich beschloss in seine Gedanken einzudringen, um heraus zu finden, war mit ihm geschah.
Verschwinde! Du wirst mich nicht beherrschen, ich habe eine Resonanz aufgebaut. Hörte ich Domenic schreien. Eine fremde Stimme schrie darauf hin:
Das wird dir nichts nützen. Deine Resonanz ist viel zu schwach.
»Was geht ihn im vor…«, murmelte ich und konzentrierte mich wieder auf Domenic’s Gedanken.
Ich hab dir doch gesagt, dass du es nicht schaffst. Ich hab aus meinen Fehlern gelernt, erklärte Domenic dem Unbekannten.
Du unterschätzt mich, Chaya, grummelte die andere Stimme. Dann zuckte sein Körper auf einmal und krampfte sich zusammen.
Besitz von jemandem wie dir zu ergreifen ist ein Kinderspiel für mich, lachte die Stimme in seinen Gedanken.
»Ein Broin!« Mir fiel ein, wie ein Broin von mit Besitz ergreifen wollte. Doch dann musste ihn ein Broin gebissen haben,
Ich suchte seinen Körper ab und fand an seinem rechten Handgelenk eine Bisswunde.
Der Mann den ich gesehen habe muss der Broin gewesen sein. Fiel es mir ein.
Mhhh, hörte ich Domenic’s quälendes Seufzen. Ich merkte wie sich sein Geist immer weiter zurück zog.
Nein, schrie ich in Gedanken. Ich weiß nicht wie ich das geschafft hatte, aber ich sah plötzlich ein schwarzes Licht in meinem Geist glimmern, dass ich erfasste um dem Broin einen geistige Schlag zu versetzten. Ich schleuderte ihn aus Domenic’s Geist und hielt ihn in einem Käfig aus schwarzem Licht gefangen. Dann ließ ich in langsam wieder los, sodass sein Geist aus seinem Körper verschwand.
Ich sah einen kleinen Luftzug und dann war der Broin mit einem leisen Schrei verschwunden.
Domenic‘s Lider flatterten, als er erwachte.
Ich drückte ihn fest an mich und zitterte am ganzen Körper. Ich hatte die dunkle Macht des Broins in meinem Körper gespürt, als ich ihn gefangen hielt. Das war das schrecklichste Gefühl, dass ich je verspürt hatte. Es war ganz anders, als er mich beherrscht hatte. Denn dieses Mal war es bewusst und ich konnte deutlich die Dunkelheit spüren.
»Domenic…«, stammelte ich mit zittriger Stimme.
»Mein Enge.l«, flüsterte er und wiegte mich in seinen Armen um mich zu beruhigen. »Dankeschön, dass du mir das Leben gerettet hast.«, fügte er hinzu und drückte seine Lippen auf meine. Er offenbarte mir seine Gefühle und ich erschauerte, als ich mir seinen Schmerz zeigte, den er verspürt hatte, als der Broin in seinen Körper gedrungen war.
Er löste sich von meinen Lippen um mich sogleich noch mal zu küssen. Doch dieses Mal steckte in dem Kuss mehr Leidenschaft, mehr Gefühle.
Erregt von seiner Brust, die an meinen Brüsten rieben, krallte ich meine Finger in seine wundervollen Haare.
Er betastete meinen Po und glitt mit seinen Händen hoch zu meinen Brüsten. Ich beschloss ihm eine Freude zu bereiten und schloss meine Hand um seinen Schaft.
»Mhhh.«, stöhnte er leise auf als er meine Hand bemerkte.
Ich fing an ihn zu massieren und streichelte währenddessen mit der anderen Hand seinen Kopf. Ich beschleunigte mein Tempo und trieb ihn damit zum Höhepunkt.
»Ich liebe dich.«, hauchte er mir, mit seiner erregten Stimmte ins Ohr. Ich erschauerte.
Er drückte mich auf den Rücken ohne aufzuhören mich zu küssen.
Dann drang er mit einem Stoß ich mich ein und fand einen passenden Rhythmus zu dem ich meine Hüfte kreiste.
Ich schrie leise auf, als wir beide zum Höhepunkt kamen, denn ich wollte die beiden im Wohnzimmer nicht all zu sehr mit meinem Gekreische stören.
Domenic erschlaffte und legte sich neben mich.
»Wann hat das endlich ein Ende?«, murmelte ich vor mich hin, als ich mich wieder an ihn kuschelte.
Ich weiß es nicht, flüsterte er in Gedanken. Aber wir müssen schleunigst etwas dagegen unternehmen.
Das waren die letzten Worte die ich wahrnahm, bevor ich in den Schlaf fiel.


26


Ich erwachte vom Zittern meines Körpers, den ich mit meinen Armen eng umschlang. Ich hatte das Gefühl mich vor Kälte nicht bewegen zu können, als ich die Augen aufschlug. Ich blickte in einen verdunkelten Himmel und zog verwundert meine Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn.
Warum im Himmel? Ich lag doch im Bett? Um mich zu vergewissern rollte ich mich auf die Seite und erwartete Domenic’s Gesicht zu erblicken, doch stattdessen starrte ich in eine endlose Landschaft aus weiß.
Erschrocken versuchte ich meine Arme von meinem Körper wegzubewegen. Meine Hand fuhr über eine scharfe Kante und ich schrie überrascht von dem plötzlichen Schmerz auf. Ich blinzelte, als sich eine Schneeflocke auf meinen Wimpern verirrte und dort schmolz.
Wo bin ich verdammt nochmal?, fragte ich mich, während ich mich mühsam in eine Sitzposition brachte.
Erstaunt schaute ich mich um. Der Himmel über mir war dunkel und verschleiert, da Millionen an Schneeflocken durch die Luft tanzten. Mein Atem, der nun stoßweise ging, hinterließ weiße Atemwölkchen in der klaren kalten Luft.
Ich saß im Schnee und um mich herum war alles weiß! Nein, nicht alles, erinnerte mich meine innere Stimme an die Blutlache, die sich unterhalb meiner Hand ansammelte. »Verfluchter Mist!«, schrie ich und stand auf.
Wenn diese Situation nicht so unglaublich perfekt in mein chaotisches Leben passen würde, hätte ich jetzt sehr wahrscheinlich einen mittleren Tobsuchtsanfall, gestand ich mir ein und drehte mich einmal um meine eigene Achse um sicher sein zu können, dass es hier nichts anderes außer weißem klarem Schnee gab. »SCHEIßE!« Wütend kickte ich den Schnee unter meinen Füßen davon. Meine Hand blutete immer noch und ich zog mein purpurnes Licht heran, um mit dem Waser meine Blutungen ein wenig zu stoppen. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass das Wasser auf meiner Hand gefror.
»Arrrgh!«, rief ich aus und war nun beinahe den Tränen nahe. Ich zog erneut an meinem purpurnen Licht und beschwor die Sonne. Augenblicklich wurde mir wärmer.
Ein Gedanke huschte durch mein Gedächtnis.
Der Traum, murmelte ich mit weit aufgerissenen Augen.
War es überhaupt ein Traum?, fragte ich mich zweifelnd. Schließlich wäre ich nicht an diesem kalten Ort, wenn es nur eine meiner üblichen Zukunftsvisionen gewesen wäre.
Ich versuchte mich zu erinnern, was genau ich geträumt- oder erlebt hatte. Wie ich hierher gelangt war.
Mum!, hallte der Schrei durch meine Gedanken und ich zuckte zusammen. Justin! Sie hatten Justin!
Auf einmal war meine Erinnerung wieder glänzend klar. Angst schnürte mir, wie in dieser Nacht schon einmal, die Kehle zu. Meine Zukunftsvision hatte sich erfüllt! Sie hatten Justin geholt. Doch daran, dass mich Domenic daran gehinderte hätte ihnen zu folgen, konnte ich mich nicht erinnern. Dann hat die Vision sich also nur teilweise erfüllt, weil er noch zu schwach von dem Broinen Angriff gewesen war und geschlafen hatte, überlegte ich.
Aber wo war ich jetzt bloß? Erneut blickte ich mich um.
Justin hatte geschrien und ich war hinunter ins Wohnzimmer geeilt. Hilde und die Hunde hatte man in einen Schlaf fallen lassen und so schlief Hilde selig und nichts ahnend auf der Couch, während die Hunde am ausgestreckt am Boden lagen. Justin zappelte im Griff der beiden Männer und ich hatte einen Würgreiz unterdrücken müssen. Ohne, dass sie mich entdeckt hatten, erschufen sie ein Tor vor meinen Augen und schubsten Justin hindurch. Kurz bevor sich das Tor allerdings schlossen, war ich ihnen hinterher gesprungen. Aber wo sind sie dann? Und wo bin ich?
Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich war zu spät durch das Tor gesprungen, was hieß, ich war an einen völlig anderen Ort gebracht worden als Justin. Ich seufzte und ließ traurig und verzweifelt die Schultern hängen. Mein Justin, meldete sich meine nervige Stimme besitzergreifend.
Wie komme ich hier bloß wieder weg?
Mein Blick schweifte über den schneebedeckten Horizont ich und kniff meine Augen zusammen, als ich dort gräuliche Schatten ausmachte. Ich verwendete mein gräulich-glitzerndes Licht und sandte meine Gedanken aus.
Dort ist sie! Dieses Mal sitzt sie in der Falle! Bald gibt es keinen Anführer unter ihnen mehr!, schrie eine mir unbekannte Stimme und ich zuckte zusammen.
Sie jagen mich. Sie kommen! Die Erkenntnis kam keine Sekunde zu spät, denn schon jetzt hatten sich die Schatten verdeutlicht und ich konnte nun einigermaßen die Silhouetten meiner Angreifer erkennen. Es waren unzählige.

Aus reinem Instinkt benutzte ich mein grell-gelbes Licht und fand mich einige Sekunden später in der Luft vor. Ohne groß zu überlegen stärkte ich meine Sicht und beobachtete, wie sich die Menge meinem ursprünglichen Standort näherte. Geschockt blickte ich auf die rote Blutlache im Schnee. Verdammt!
Ich rief den Wind heran und versuchte so gut es mir gelang meine Spuren zu verwischen. Die Hand hielt ich nun dicht an meinen Körper gedrückt um keine weiteren Spuren zu hinterlassen. Ich versuchte gegen das Schneegetümmel um mich herum anzufliegen, indem ich stärker mit den Flügeln schlug. Die Schneeflocken fegten über mich hinweg und ich erschauerte, als meine Angreifer – lauter Füchse und Pumas – an meinem Ausgangspunkt ankamen. Zum Glück kann ich die Sonne rufen, tröstete ich mich. Sie erfüllte meinen Körper mit Wärme und ließ mich zu mindestens von der Kälte nichts merken.
Wo ist sie hin?, schrie die Stimme die Menge an. Ich erkannte nun, da sie näher waren einige der Gesichter von gestern Abend wieder. Wut kroch in mir empor.
Vielleicht ist sie geflogen?, antwortete jemand und unzählige Köpfe wandten sich gen Himmel. Ich kam mir plötzlich nackt und schutzlos vor, wie mich tausende Augenpaare anstarrten. Hass und Entschlossenheit glomm in ihren Augen und ich schaute, dass ich an Höhe gewann. Doch je weiter ich aufstieg, desto mehr peitschte der Wind und brachte mich aus dem Gleichgewicht.
Mum!, jammerte ich und zog das Kinn an meine Brust um mein Gesicht vor einer Böe zu schützen.
Estelle? Sie Stimme meiner Mum hallte klar und hell in meinen Gedanken wieder und ich schluchzte vor Freude.
Wo bist du?
Ich schickte ihr in Gedanken ein Bild meiner Umgebung und sie verkrampfte sich leicht.
Wo bin ich? Was ist los? Ich versteh das alles nicht! Sie wollen mich! Sie wollten die ganze Zeit nur mich! Warum?! Was habe ich ihnen getan? Meine Stimme begann zu zittern und sie brach ab. Eine Träne rollte über meine Wange und fiel wie eine Glasperle hinab in die tosenden Schneeflocken. Mittlerweile folg ich so hoch, dass ich die Menge der Angreifer nicht mehr sehen konnte.
Meine Mutter löste sich aus ihrer Starre und antwortete mit kaum vernehmbarer Stimme.
Es gibt etwas, das du nicht weißt...
Sie stockte kurz und holte tief Luft bevor sie fortfuhr.
Dein Vater wusste es ebenfalls nicht. Ich durfte es ihm nicht verraten, sonst wäre er dem Tode geweiht gewesen. Sie jagen dich, weil du der Anführer ihrer Feinde bist... Estelle? Du bist meine Erbin. Du bist die Anführerin, die Herrscherin des Engel-Clans. Deshalb hast du auch solch stark ausgeprägte Fähigkeiten... wie ich sie damals ebenfalls hatte, bevor der Krieg kam und meine Zeit gekommen war zu gehen und einen Nachfolger für mein Amt zu wählen...
Du warst das wichtigste in meinem Leben und das wird auch immer so bleiben! Deshalb...deshalb habe ich dir als ich starb meine Fähigkeiten und damit die Verantwortung für die gesamten Engel von Tovah in deine Hand gelegt. Sie werden niemals ruhen, bevor sie dich nicht vernichtet haben...du darfst nicht aufgeben, gib nicht auf!
Die Stimme meiner Mutter verklang leise und mein Kopf fühlte sich an, als wolle er platzen.
Ich sollte Anführer eines Engel-Clans sein?
Ich hob die Hände an mein Gesicht und fing meine Tränen auf, damit sie nicht hinunter zu denen fielen, die mich sterben lassen wollten. Ich wollte noch nicht sterben. Was sollte aus Justin werden und was aus Domenic?
Domenic! Meine Stimme hallte einsam durch die dichte Wand aus Schneeflocken. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich auch meine Mum nicht mehr hören konnte.
Ich war auf mich allein gestellt.
Von unten hörte ich spöttische Rufe.
»Weint unser Engelchen etwa? Mal schauen, wie du das hier findest!«
Ich lauschte. Wie ich was finden würde?
Justins Schrei fuhr mir durch Mark und Bein, als sie anfingen ihn zu foltern.
Mama!
Ich erstarrte und glaubte mein Herz bliebe stehen, als ich die Schmerzen von Justin in meinem Geist fühlte.
Seit wann kann ich mit Justin kommunizieren?
Vielleicht ging das ja, weil ich so eine enge Beziehung mit ihm hatte.
Warte, er hat mich Mama genannt?
Ein warmes Gefühl von Liebe und Geborgenheit breitete sich in meinem Körper aus.
Justin sah mich als meine Mutter, das freute mich. Doch andererseits musste ich an seine Eltern denken und schob die Gedanken daran beiseite. Außerdem war ich mir nicht so sicher, ob ich ihn als mein Kind bezeichnen konnte, denn er war nicht mein eigen Fleisch und Blut. Ich wollte ja selbst noch Kinder bekommen. Ich war auch bei solchen Adoptiv Geschichten immer sehr skeptisch gewesen.
Justin war sehr wichtig für mich geworden, auch wenn wir uns noch nicht lange kannten. Doch ich war mir nicht sicher, was genau er für mich war. Doch darüber hatte ich noch Zeit zum nachdenken, ich musste ihn jetzt befreien.
Ich rette dich!, rief ich ihm in Gedanken zu.
Dann stürzte ich im Sturzflug auf den Boden. Alles ging so schnell, dass ich beinahe den Überblick verloren hatte.
Ich erspähte Justin, der von einem Menschen mit dem Kopf in den Schnee gedrückt worden wahr. Ich rannte zu dem Mann und benutzte wieder mein purpurnes Licht, um den Schnee als Waffe zu benutzen.
Ich ließ den Schnee schmelzen auf dem er stand und hüllte ihn in das Wasser ein, bis ich ihn schließlich darin einfror, sodass er in einem Eiskäfig gefangen fahr.
Justin lag mittlerweile auf dem Boden, denn der Mann hatte Justin vor Schreck losgelassen.
Ich packte ihn gerade am Arm, als ich plötzlich ein Stechen im Kopf bekam und leicht zusammen zuckte.
Ich war kurz davor, den Eiskäfig wieder schmelzen zulassen, weil die Schmerzen immer schlimmer wurden.
Eigentlich hatte ich vor mit Justin davon zu fliegen. Doch ich hatte nicht mehr genug Kraft um abzuheben. Ich hatte nicht gut genug drauf geachtet, wie ich meine Kräfte einsetzte.
Denn die Elemente zu benutzen war am schwierigsten. Das purpurne Licht brauchte immer am meisten Energie, vor allem wenn man es nicht perfekt einsetzte.
Mein Schutzschild, dass ich schon im Schlaf halten konnte war schon, seit ich auf dem Boden gelandet war, aufgebaut.
Es war irgendwie zur Gewohnheit geworden ein Schutzschild aufzubauen, vor allem, weil dieses Licht am wenigsten Energie brauchte.
Und in diesem Moment war ich so froh, dass er stand. Mindestens fünfzig Tiere und Menschen, was für Menschen das auch immer waren, standen um mich herum.
Ich stand nun dort, mit Justin in den Armen und wusste nicht, wie ich hier entkommen konnte. Justin hatte sich sofort an mich geklammert, als er von dem Mann losgekommen war. Er zitterte am ganzen Körper, wahrscheinlich nicht nur wegen der Kälte.
Die Tiere und Menschen griffen mich an und prallten an meinem Schutzschild ab, wieder und wieder.
Was soll ich tun?, fragte ich mich selbst.
Ich ließ mir das Gespräch mit meiner Mum noch mal durch den Kopf gehen. Sie hatte gesagt ich war der Anführer der Engel in Tovah. Meinte sie etwa aller Engel? Hatte ich als Nephilim überhaupt das Recht dazu?
Ich hatte noch so viele Fragen, aber hatte keine Zeit mich genauer damit zu beschäftigen. Mein Schutzschild würde nämlich auch nicht mehr lange halten. Deshalb musste ich mir schleunigst etwas einfallen lassen.
Ich bin ein Anführer von Engeln. Vielleicht können die mir ja irgendwie helfen. Vielleicht sind ja welche in der Gegend. Ich beschloss einfach einen Hilferuf auszusenden.
An alle Engel die mich hören können, ich brauche eure Hilfe. Kommt so schnell ihr könnt. Schrie ich in Gedanken und schickte noch ein Signal von mir nach außen, damit mich die Engel auch finden konnten.
Ich wartete und wartete. Es waren mindestens schon fünf Minuten vergangen und niemand war aufgetaucht. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Länger als zehn Minuten würde ich es nicht mehr aushalten.
Als dann wieder fünf Minuten verstrichen waren, sank meine letzte Hoffung dahin.
Aus Verzweiflung rief ich in Gedanken immer wieder nach Domenic, obwohl ich mir dachte, dass er mich gar nicht hören konnte.
Denn irgendwas musste mit ihm passiert sein, sonst wäre er schließlich bei mir. Aber vielleicht lag es wirklich nur daran, dass er von dem Broin noch so geschwächt war, dass er das alles gar nicht mit bekommen hatte.
Ein starker Windzug riss mich aus meinen Gedanken und über mir sah ich zwei Gestalten mit Flügeln.
Ihr habt mich doch gehört, murmelte ich erleichtert darüber, dass ich Verstärkung bekommen hatte.
Die Zwei Engel ließen sich vor mir nieder und legte mein Schutzschild nun ebenfalls um sie.
Es waren ein Mann und eine kleine zierliche Frau, die sich vor mir verbeugten, als wäre ich eine Königin. Die Flügel der beiden, waren nicht so groß wie meine, etwas kleiner und schmaler. Sie hatten auch eine ganz andere Farbe. Die des Mannes waren eine Mischung aus nachtschwarz und dunkelblau, einfach wunderschön. Die der Frau waren schwarz und glitzerten golden.
»Ihr habt uns gerufen.«, sagte der Mann förmlich.
»Ähm, ja. Ich brauche eure Hilfe. Ich muss hier weg, egal wie. Ich hab fast meine ganze Energie aufgebraucht, deshalb kann ich nicht einmal mehr fliegen.«, erklärte ich ihnen die Situation.
Während ich sprach, beäugte der Mann misstrauisch Justin, der sich immer noch an mich klammerte. Die Angreifer versuchten immer noch durch mein Schutzschild zu kommen. Doch die Engel unterstützten mich mit ihrer Kraft, sodass der Schild zu stark war.
»Er gehört zu mir, aber das werde ich später erklären.« Er schluckte, als er bemerkte, dass ich seinen auf Justin gerichteten Blick gesehen hatte und entschuldigte sich.
»Es tut mir aufrichtig leid, Herrin Veronie.« Die Art wie sich mich ansprachen ging mir auf die Nerven.
»Nennt mich einfach nur Estelle.« Endlich lockerte sich die Anspannung, die den beiden seit der Ankunft anzusehen war.
»Also könnt ihr mir helfen von hier wegzukommen? Könnt ihr mich tragen?«, fragte ich sie.
»Natürlich schaffen wir das.« Dieses Mal sprach die Frau. »Dann trägt dich Evan und ich den kleinen.« Ich nickte als Antwort und befahl Justin nicht rumzuzappeln, wenn er getragen wurde.
Schließlich schossen Evan und die Frau mit uns in den Armen hoch in die Luft.
Wir flogen nicht mal fünf Minuten als wir an eine kleine schneebedeckte Hütte kamen, die mitten im Wald stand.
Die Engel waren erstaunlich schnell, sogar mit uns in den Armen. Mit ihrem Tempo konnte ich keinesfalls mithalten.
Justin plumpste erleichtert auf den Boden, als wir endlich angekommen waren.
»Ich mag den Boden viel lieber.«, sagte er. Ich lachte auf und war froh, dass es Justin gut ging. Evan und die Frau lächelten als sie den kleinen ansahen und wendeten nun ihre fragenden Blicke an mich.
»Danke ihr zwei.«, bedankte ich mich zu Beginn.
»Wie heißt denn meine Helferin? Du heißt ja Evan, wenn ich vorhin richtig gehört habe.«, sagte ich und lächelte ihn an. Er wendete verlegen seinen Blick ab und nickte. Die Frau fing herzlich an zu lachen, als sie Evan erröten sah.
»Ich bin Amrei.« Die beiden schienen mir nun viel sympathischer als zu Beginn.
»Was für einen schönen Namen du hast.« schwärmte ich in der Erinnerung, dass ich als Kind nie Estelle, sondern immer Marie heißen wollte. Ich war früher immer sauer auf Marie gewesen, dass sie so heißen konnte und ich nicht.
Ich hab mich oft mit ihr darüber gestritten. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass mein eigener Name einfach viel besser zu mir passte.
»Und wohin gehen wir jetzt?«, fragte ich sie, als ich entdeckte, dass die Hütte ein Tor war.
»Am besten wäre es, wenn du erstmal mit ins Schloss kommst. Weißt du, wir suchen nämlich schon seit vielen Jahren nach dir. Und nun haben wir dich endlich gefunden. Du musst dich dringend den Engeln vorstellen, sie sind schon ganz ungeduldig, seitdem du den Hilferuf ausgesandt hattest.«, riet sie mir während sie erneut Justin betrachtete.
»Ins Schloss?«, fragte ich begeistert. Ich wollte schon immer mal in einem Schloss wohnen.
»Ja, sozusagen die Basis für alle Engel von Tovah.«, erklärte sie.
»Okay.«, begann ich. »Aber erst muss ich noch Domenic holen. Ich will, dass er mitkommt.«
»Es ist verboten, andere Wesen außer Engeln mit ins Schloss zu bringen. Sonst besteht die Gefahr, dass unser Schloss von unseren Feinden gefunden wird.« Sie konzentrierte sich nun auf mich und runzelte die Stirn.
»Aber er ist auf unserer Seite, er ist ein Gestaltenwandler.« Amrei schnappte nach Luft und riss die Augen weit auf.
»Ein Gestaltenwandler?«, fragte sie beängstigt nach.
»Ja ein Chaya. Und äh… er ist mein…Freund. Also will ich, dass er mitkommt.« Amrei seufzte erleichtert und entspannte sich wieder ein wenig.
»Ich dachte schon du hast was mit unseren Feinden am Hut.«, sagte sie und wendete sich zu Evan, der unbeteiligt da stand und den Schnee betrachtete. Ich sah ihn an und versuchte schlau aus ihm zu werden. Er merkte, dass ich ihn ansah und drehte sich mit dem Rücken zu mir.
»Kann es sein, dass er mich nicht mag?«, erkundigte ich mich bei Amrei, die zu lachen begann.
»Nein, er ist nur so überwältigt von dir. Aber das geht mir genauso.«, sagte sie und ging dann schließlich zu Evan und zog ihn zu mir, sodass er wieder mit dem Gesicht in meine Richtung blickte.
»Wieso denn das?«, fragte ich neugierig. Ich wusste in aller Welt nicht, was an mir so toll sein sollte.
»Dein Anblick ist einfach atemberaubend, außerdem strahlst du soviel Macht und Stolz aus. Als wir alle deinen Hilferuf hörten, konnten wir für einen kurzen Augenblick deine Macht wahrnehmen. Einfach unglaublich!« Ich zuckte verlegen die Schulter, weil ich es nicht gewohnt war, etwas Besonderes zu sein.
»Dankeschön. Ihr zwei seid aber auch wunderschön.«, murmelte ich.
»Also…«, begann Evan. »Gehen wir dann jetzt?«
Amrei und ich fingen gleichzeitig an zu lachen, was Evan störte, sodass er sich beleidigt abwandte.
»Tschuldigung.«, sagte wie beide gleichzeitig und fingen schonwieder an zu lachen.
»Dann gehe ich jetzt noch schnell nach Hause bringe Justin zu Tante Hilde und sag Domenic Bescheid.« Die beiden Engel nickten und folgten Justin und mir durch das Tor.
Domenic, flüsterte ich sehnsüchtig in Gedanken.


27


Als wir bei meinem Haus ankamen war alles ruhig, als ob ein der Wind, der leicht wehte, alle Geräusche mit sich hinfort tragen würde.
»Domenic?« Ich öffnete langsam die Haustüre und wurde von wildem Gebell begrüßt. Dann hat der Schlafzauber also wieder nachgelassen, überlegte ich und trat ein.
Das erste was meinen Blick auf sich zog, war der Kummervolle Ausdruck auf Tanten Hildes Schlafendem Gesicht. Verwirrt runzelte ich die Stirn und drehte mich zu Amrei und Evan um. »Müsste sie nicht normalerweise wieder wach sein?«
Amrei schaute skeptische an mir vorbei auf Hildes Schlafenden Körper.
Ein Kichern von Justin ließ mich den Kopf wenden und ich musste selbst ein Lachen unterdrücken. Evan hatte doch tatsächlich Angst vor den Hunden! »Justin bringst du die Hunde bitte nach oben und schaust nach Domenic?«
Justin nickte eifrig, schnappte sich Molly und Benny an ihren Halsbändern und zog sie mit sich die Treppe hinauf. Als er aus meinem Sichtfeld verschwand, wendete ich mich wieder Amrei zu. »Warum meinst du sie müsste wieder wach sein?«, fragte sie mich, während ihr Blick weiter auf Hilde ruhte.
»Als die Männer Justin geholt haben, schliefen auch die Hunde... aber da diese nun wieder wach sind...ich dachte, dann müsste Hilde auch wieder erwachen, oder hält er Schlafzauber bei Tieren kürzer an als bei Menschen?«
Amrei schüttelte verwirrt den Kopf, bevor sie zu Hilde trat und diese sachte an den Schultern rüttelte. »Eine Elfe.«, murmelte sie leise. Als Hilde von dem rütteln nicht wach wurde, kam sie wieder zu uns. »Der Schlafzauber hält noch an, was bedeutet, dass jemand die Hunde frühzeitig aufwachen ließ und-« Ihr Satz wurde von einem grellen Schrei aus dem oberen Stockwerk unterbrochen.
Bevor ich richtig reagieren konnte, war Evan auch schon die Treppe nach oben geeilt und verschwand um eine Ecke. »Das war Justin!«, keuchte ich, bevor ich hinter ihm her rannte. Amrei tat es mir gleich, indem sie mir folgte.
Hastig rannte ich zum Schlafzimmer und blickte erst auf das Bett, auf dem Justin, dicht an den schlafenden Domenic gedrückt dalag und mit weit aufgerissenen Augen zum Fenster starrte. Ich folgte seinem Blick und zuckte zusammen. Evan hielt ein wunderschönes Wesen fest in seinem griff und drückte mit den Händen auf dessen Kehle.
»Stopp! Hör auf!«, schrie ich und eilte zu ihm, um seine Hände wegzuziehen. Evan ließ verwirrt los und die Frau brach mit einem Stöhnen auf dem Boden zusammen.
»Elin hörst du mich? Elin!« Ich warf mich neben sie auf den Boden und tätschelte ihr mit der Hand die Wangen.
»Elin! Elin wach auf! Elin hörst du mich? Du musst aufwachen! Elin!«
Ihre Lider öffneten sich leicht, doch sie fielen innerhalb eines Sekundenbruchteils erneut zu. Ich packte sanft aber bestimmt ihren Oberkörper und lehnte ihn an die Wand, damit sei mehr Luft bekam. Ihre Lippen waren leicht bläulich verfärbt und ich warf Evan einen bösen Blick zu, der errötete und eine leise Entschuldigung murmelte. Eigentlich war ich nicht sauer auf ihn, doch dass er fast meine Schwester umgebracht hätte, auch wenn er mich hatte schützen wollen, nahm ich ihm übel.
»Elin?«, rief ich erneut und beuget mich über sie, als sie anfing etwas zu murmeln.
»Zu stark.. tot...nicht helfen.«
»Wer ist zu stark? Tot? Wem kann man nicht helfen?«, fragte ich besorgt und riss die Augen auf, als ich den Sinn ihrer Worte begriff. Völlig erschöpft rappelte ich mich hoch und rannte die wenigen Schritte zu meinem Bett. Hastig kroch ich zu Domenic und Justin. »Domenic?«
Angst erfüllte mich und ließ meine Wut auf Evan verpuffen. Domenic!, versuchte ich es in Gedanken, doch als er immer noch keine Antwort gab, wandte ich mich an Amrei, die sich mittlerweile um Elin kümmerte. »Amrei, wieso wachen sie nicht auf? Er wird sterben! Sie werden beide Sterben!« Ich drehte mich wieder zu Domenic und eine meiner Tränen fiel auf sein Gesicht, als ich ihm einen Kuss gab. »Domenic, Domenic! Du darfst nicht sterben, ich brauche dich doch!«
Justin wimmerte leise neben mir und Evan kam zu uns herüber und nahm in die Arme.
Benny jaulte, weil Molly ihn durch das Zimmer jagte und ich seufzte verzweifelt.
Die Träne, die auf Domenic’s Gesicht getropft war, folgte einer imaginären Spur und lief schließlich durch den Spalt zwischen seinen Lippen.
»Ich weiß nicht warum sie nicht aufwachen...«, begann Amrei zögerlich und schlug die Augen nieder. »Über das lösen von Zaubern haben wir Engel keine Macht. Nur Elfen können leichte Zauber lösen, oder derjenige der ihn erschaffen hat. Wer waren die Männer die Justin entführt haben Estelle?«
Ich versuchte mich zu konzentrieren, konnte mich aber nur an die besondere Größe und Brutalität der Entführer erinnern.
»Sie konnten ein Tor erschaffen, aber mehr weiß ich nicht mehr...«
Die Träne war nun ganz verschwunden und ich stellte mir vor wie der salzige Geschmack Domenic’s Kehle herunter rann.
»Sie konnten ein Tor erschaffen?«, murmelte Evan vor sich hin und runzelte dabei die Stirn, als müsste er angestrengt nachdenken.
»Nur besonders mächtige Wesen aus Tovah können ein Tor aus freiem Willen erzeugen.«, bemerkte Amrei.
Besonders mächtige Wesen?, überlegte ich.
Ja, besonders mächtige Wesen wie zum Beispiel der Anführer eines Clans, hörte ich die Antwort in meinem Geist.
Mein Blick fiel auf Elin, die noch immer nicht bei Bewusstsein war, doch offenbar mit mir kommunizierte.
Anführer eines Clans?, fragte ich nach.
Genau, zum Beispiel die Anführer der Gestaltenwandlerclans, die der Elfen und so weiter..., antworte sie mir unverzüglich.
Müsste...müsste ich dann nicht auch ein Tor aus freiem Willen erzeugen können... wenn ich doch der Anführer des Engelclans bin?
Elin nickte in Gedanken und ich erschauerte, als ich erneut meiner Macht bewusst wurde.

»Estelle?«
Ich zuckte zusammen, als mich Domenic’s warme Stimme aus meinem Gespräch riss.
»Oh Gott! Du lebst!« Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. »Warum sollte ich nicht leben? Ich habe doch nur geschlafen...«
Ich schüttelte leicht den Kopf um dies zu verneinen. »Evan, kannst du bitte nach Tante Hilde sehen?« Er nickte und verließ kurz darauf den Raum. Einige Minuten später war er schon wieder zurück und trug eine schlafende Hilde in seinen Armen.
»Verflucht!«, rief ich aus, traurig darüber, dass der Zauber wohl doch nicht einfach aufgehoben war.
»Was ist hier eigentlich los?«, meldete sich Domenic. »Wer sind sie?« Er betrachtete verwirrend Elin die an der Wand lag und die beiden Engel, die neben mir standen.
»Ich erkläre es dir später,«, sagte ich und gab ihm einen flüchtigen Kuss, den er sanft erwiderte.
Amrei blickte zweifelnd von Domenic zu Hilde und dann zu mir. »Was ist mit ihr?«, fragte mich Domenic, der sich mittlerweile aufgerichtet hatte und Justin auf seinen Schoß zog.
»Warum schläft sie noch, während Domenic nun wach ist?«, kam die Frage von Amrei und ich hob die Hände um anzudeuten, dass sie still sein sollten.
Denk nach!, flüsterte meine innere Stimme und ich folgte ihrem Rat. Was hatte Domenic aufwachen lassen? Irgendetwas hatte ihn geweckt...nur was?
Konzentriert durchlebte ich die letzten Minuten und versuchte einen Hinweis zu erhalten.
Bei meiner Träne die auf Domenic’s Gesicht fiel hielt ich inne.
Konnte eine Träne von mir seinen Zauber gelöst haben? Hatte Amrei unrecht, als sie sagte, Engel könnten keinen Zauber lösen?
»Amrei.«, flüsterte ich. Sie kam zu mir und setzte sich neben mich auf das Bett.
»Ja?«, fragte sie nach und lauschte auf meine folgenden Worte.
»Erinnere dich bitte an das schlimmste was dir in deinem bisherigen Leben wiederfahren ist...«
Ich spürte Amrei‘s fragenden Blick auf meinem Gesicht, doch ich hatte die Augen in Konzentration geschlossen und wollte sie nun nicht öffnen. »Warum?«, hauchte sie beinahe tonlos und doch wusste ich, dass sie sich in genau diesem Moment schon erinnerte, denn ihre Stimme zitterte leicht. Als ich nicht antwortete, fing sie an zu erzählen. »Mein Mann hat unsere Tochter und danach sich selbst getötet.«, flüsterte sie und ein Schauer des Grauens erfüllte mich. Ich öffnete die Augen und Blickte in die ihren, die vor Schmerz und Hass glänzten. Eine Träne sammelte sich in ihren Augenwinkeln. »Lass die Träne die du gleich weinst in Hildes Mund fallen.«, bat ich leise und richtete ihr in Gedanken mein Beileid aus, weil ihr so etwas schreckliches widerfahren war. Sie wich meinem bittenden Blick aus, befolgte aber meinen Wunsch. Die Träne fiel sanft auf Hildes Lippen und zerfloss in alle Richtungen. »Es tut mir Leid, dass ich dich dazu gebracht habe daran zu denken.«, richtete ich mein Wort an Amrei, die sich die Tränen vom Gesicht wischte.
»Ach du meine Güte! Sie haben Justin! Und sie haben Molly und Benny mit einem Schlafzauber belegt!«, kreischte Hilde. Erleichterung überflutete mich mit großen Wogen und ich entspannte mich erschöpft.
Amrei warf mir einen Seitenblick zu, als hätte sie verstanden und nickte verwundert. »Vielleicht können wir doch Zauber lösen.«, gestand sie sich zögerlich ein und schien sich wieder gefangen zu haben.
Auch Evan schien überrascht. »Elin!«, rief Hilde aus und erinnerte mich so wieder an meine Schwester, die immer noch an die Wand gelehnt da saß.
»Sie ist nur ohnmächtig.«, beruhigte ich Hilde und lächelte, als Domenic mich in seine Arme zog.
»Wir sollten uns beeilen.«, meinte nun Amrei.
Ich wandte mich zu Domenic und gab ihm einen Kuss.
Ich bin die Anführerin des Engelclans!, teilte ich ihm gedanklich mit und er schaute überrascht auf mich hinab. »Was?«, sagte er laut und schloss kurz die Augen um diese Information erst einmal zu verarbeiten.
»Und wir müssen bald los.«, redete ich weiter. »Wohin denn?«, fragte Hilde, die glücklich lächelnd neben Elin saß und deren Hand streichelte.
»Weil der gesamte Engelsclan auf sie wartet.«, schloss Amrei und lächelte mir aufmunternd zu. In dem Moment wurde mir bewusst, dass ich die zierliche Frau um einiges unterschätzt hatte. Sie war sehr stark. Stark, weil ihre Vergangenheit so grausam gewesen war.
»Danke.«, flüsterte ich, sodass es nur Domenic und Amrei hörten. Domenic drückte mich an sich und Amrei nickte mir zu.
»Worauf wartet ihr dann noch?«, meldete sich Hilde, die anscheinend verstanden hatte. Zu mir gewandt fuhr sie fort: »Ich wusste schon immer, dass du mehr bist, als ein gewöhnliches Mädchen!«
Mein Herz machte vor Freude einen Sprung und ich stand auf und drückte sie herzlich.
Mir war klar, dass sie gerne mitkommen würde, doch ich brauchte jemanden, der auf Justin aufpasste, während ich und Domenic weg waren.
»Tante Hilde, ich weiß, dass du gerne mitkommen würdest...aber könntest du vielleicht hierbleiben und auf Justin aufpassen?«
Hilde warf einen Blick auf Justin, dann auf Elin und nickte schließlich zustimmend.
»Jetzt da ich Elin wieder habe, gehe ich sicher nirgendwo hin!«, stellte sie fest und drückte deren Hand.
»Mutter?«, murmelte Elin und versuchte sich aufzurichten.
»Elin.« Tante Hilde fing vor Freude an zu weinen und nahm sie in den Arm. Elin flüsterte ihr zu, dass alles in Ordnung wäre um sie wieder zu beruhigen. »Wie bist du entkommen?«, fragte ich sie beiläufig.


28

Elin riss die Augen weit auf, löste sich aus Hildes Umarmung und kam auf mich zu.
»Es tut mir leid.«, sagte sie. »Ich habe sie hereingelegt und bin gerade so entkommen. Ich habe Mutters Präsenz gespürt und bin hier her gekommen. Doch sie verfolgen mich, sie können jeden Moment hier auftauchen!«, stammelte sie mit ihrer Kraft am Ende.
Tante Hilde nahm sie wieder in den Arm und gab ihr etwas ihrer Kraft.
»Dann seid ihr hier nicht sicher-«, stellte ich fest und wandte meinen Blick zu Amrei.
Können wir sie mit ins Schloss nehmen? Dort sind sie doch sicher, fragte ich sie in Gedanken.
Das musst du entscheiden. Aber sicher sind sie dort auf jeden Fall, wenn uns niemand folgt.
Ich wandte meinen Blick wieder Elin zu.
»Ihr kommt alle mit.«, begann ich. Alle schreckten auf, als jemand die Treppe hoch gerannt kam. Aus Reflex, legte ich um uns alle ein Schutzschild.
Doch es waren nur zwei Personen, die völlig außer Puste vor uns standen und kein Rudel Füchse. Die eine warf sich mir um den Hals und fing an zu weinen.
»Marie, Rody«, murmelte ich und drückte sie.
»Du musst uns helfen, die Füchse verfolgen uns.«, schluchzte sie. Ich blickte auf Rody, der Clara auf dem Arm trug und sie streichelte.
»Gibt es hier jemanden in Raum der nicht verfolgt wird?«, fragte Domenic sarkastisch. Ich musste mir trotz der misslichen Lage ein Kichern unterdrücken.
Evan baute sich plötzlich vor mir auf.
»Das ist ein Shantay, was hat er mit dir zu tun?«, fragte er mich wütend.
Domenic zog ihn zurück, weil ihm anscheinend sein Ton nicht passte.
Dann trat Rody vor zu Evan, überreichte Marie das Baby und kniete sich vor ihm auf den Boden.
»Ich weiß, dass mein Volk schreckliche Dinge tut. Aber ich habe mich abgewendet und gehöre nicht mehr dazu. Ich habe meine Liebe zu Marie gefunden und wurde Vater. Ich weiß, dass ich mich nicht für die Taten meines Rudels entschuldigen kann, aber ich wünsche mir, dass du mich als eigene Person anerkennst.«
Ich erschrak aufgrund Rodys Verhalten und blickte Evan flehend an, der nachdenklich die Stirn runzelte.
»Ich weiß nicht ob ich dir vertrauen kann. Doch wenn Estelle der Meinung ist, sie kann dir vertrauen, werde ich dich wohl akzeptieren müssen.«, sagte er und ging zu Amrei, die ihm ein paar Worte zuflüsterte, die ich leider nicht verstand.
Doch an Evans errötenden Gesichtsausdruck, konnte ich mir in etwa denken, was sie ihm gesagt hatte.
Rody richtete sich wieder auf und umarmte glücklich Marie und Clara.
»Danke Evan.« Ich schenkte ihm ein Lächeln, das er mit einem Grinsen erwiderte.
Ich blickte mich einmal im Raum um und konnte kaum glauben, in was für ein Chaos ich da nur geraten war.
Elin hielt die Hand ihrer Mutter, die mich fragend anschaute, als sie meinen Blick bemerkte. Ich lächelte nur und wandte meinen Blick zu Domenic, der damit beschäftigt war, Justin zu kitzeln.
Doch dann war es plötzlich totenstill und alle guckten mich an, woraufhin ich errötete.
»Nun ja…«, begann ich zögernd. »Auf geht’s zum Schloss.«
Die Mienen der anderen wurden nun ernster. Ich versuchte zu überlegen, wie wir sicher zum Schloss kamen, ohne dass wir verfolgt wurden.
Ich wandte meinen Blick erst zu den Engeln und dann zu Elin. Alle warteten darauf, dass ich etwas sagen würde, doch es war gar nicht so einfach, vor wütend gewordenen Tieren zu flüchten.
»Wenn ihr eine Idee habt, wie wir alle sicher zum Schloss kommen, dann nur raus damit.«, warf ich in den Raum.
Doch die Engel schüttelten entschuldigend den Kopf und Marie und Rody waren zu sehr damit beschäftigt ihr Baby zu beruhigen, das plötzlich komische Geräusche von sich gab.
Tante Hilde und Elin waren zu erschöpft, stellte ich fest.
Also liegt es wohl an mir, grummelte ich innerlich.
Ich schloss meine Augen und betrachtete meinen Regenbogen.
Irgendwie muss ich es doch schaffen zum Schloss zu bekommen. Ich muss nur meine Fähigkeiten gezielt einsetzen, redete ich mir ein. Dann kam mir ein Gedanke, den ich mir mehrmals durch den Kopf gehen ließ.
Ich beschloss, dass der Plan funktionieren müsste und überlegt mir, wie ich ihn am besten umsetzen konnte.
Angeblich könnte ich ja ein Tor erschaffen, doch ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich das hinbekommen sollte.
Ich spürte. das Domenic meine Hand ergriff und mir einen Kuss auf dem Kopf gab. Ich lächelte und war dankbar, dass er bei mir war. Er gab mir Mut und Kraft, dass ich das alles schaffen würde.
Ich versuch’s jetzt einfach, sprach ich mir Mut zu.
Ich stellte mir in Gedanken vor, wie ein Tor aussah, wie es beschaffen war und wie man hindurch in die andere Welt gelangte. Ich versuchte mit meinen Gedanken, das Tor zu nachzuformen.
Als es fertig war, versuchte ich das Tor in mein Schlafzimmer zu schaffen. Ein lautes Knistern war zu hören und ich öffnete meine Augen.
Alle blickten mich erstaunt an, als hätte ich ein Wunder vollbracht.
Ich wollte nachfragen was los war, als sich plötzlich ein riesiges schwarzes Loch mitten im Raum bildete.
»Du hast ein Tor erschaffen!«, murmelte Amrei begeistert.
»Also hört gut zu!« ich wartete bis alle Blicke auf mich gerichtet waren und fuhr dann fort.
»Wir schlüpfen jetzt durch das Tor. Amrei und Evan gehen voran, da sie uns zum Schloss führen. Wenn wir dann in der anderen Welt angekommen sind, will ich, dass alle still sind. Auch geflüstert wird nicht und auf keinen Fall in Gedanken miteinander kommunizieren! Ich werde zwar eine Schutzmauer um unsere Gedanken aufbauen, aber ich will sicher gehen, dass sie uns nicht hören!«
Ich ließ meine Worte erst einmal auf sie wirken, bevor ich weitersprach.
»Evan, glaubst du, du kannst zwei von uns tragen während du fliegst? Ich will lieber auf Nummer sicher gehen. Und in der Luft sind wir einfach sicherer.« Evan nickte.
»Wenn es nicht soweit ist denke ich, dass ich es schaffen werde.«
Das hoffte ich auch, denn man konnte nicht ahnen, wo sie das Tor heraus ließ. Ich blickte zu Tante Hilde und Elin.
»Und ihr beide könnt ja Fliegen oder?« Sie nickten hoffnungsvoll und zeigten uns ihre wunderschönen Flügel.
Elins waren hellblau mit glänzenden, silbernen Stellen und sie waren nicht wie die der Engel, sondern beinahe durchsichtig. Kurz gesagt, atemberaubend. Doch auch Tante Hildes schlichten Flügel aus weiß mit blauen Stellen waren wunderschön.
»Gut, dann bitte ich dich Evan, dass du irgendwie Marie, Rody und Clara trägst. Bist du dir sicher, dass du das schaffst?«, fragte ich sicherheitshalber nach.
Es wäre besser, wenn du mir vielleicht doch ein bisschen helfen könntest, murmelte er verlegen. Er wollte wohl vor den anderen den stärkeren spielen.
Ich grinste und übertrug ein bisschen meiner Kraft auf ihn, doch dann kippte er plötzlich um und lag ohnmächtig auf dem Boden.
»Oh mein Gott, was ist passiert?«, fragte mich Amrei, die vor Schreck beinahe gegen meinen Schrank gestoßen wäre.
Evan kam schnell wieder zu sich und rappelte sich langsam wieder auf.
Willst du mich umbringen? Ich habe gefragt, ob du mir ein bisschen helfen kannst. Nicht, dass du mich mit deiner Kraft überflutest, schnaubte er.
Aber das war doch nur ganz wenig, sagte ich unschuldig und merkte wie er sich verkrampfte.
»Wow.«, flüsterte er und betrachtete seine Arme.
»Du bist wahrlich unglaublich.«, gab er von sich, ehe er sich Rody mit dem rechten und Marie mit dem linken Arm packte. Amrei schnappte sich Justin und schloss ihn in ihre Arme.
Elin und Tante Hilde waren auch startbereit.
Schließlich schlang Domenic seine Arme um mich, nachdem er mir noch einen warmen Kuss auf die Lippen geschenkt hatte. Ich baute eine Schutzmauer für unsere Gedanken auf und gab Amrei ein Zeichen, dass ich bereit war.
»Und egal was passiert, nicht sprechen!«, befahl ich ihnen und schon schossen wir nacheinander durch das Tor. Molly und Benny schauten uns vorwurfsvoll hinterher.

Wir fanden uns in der Wüste vor, die mir irgendwie bekannt vorkam. Amrei flog aber sofort weiter, ohne das sie sich vergewisserte, dass wir alle da waren.
In der Wüste war kein einziges Wesen, worüber ich sehr froh war. So musste ich mein orangenes Licht erst wieder benutzen, als wir die Wüste verließen.
Ich schloss das Licht um alle und versuchte es zu halten, ohne dabei viel Energie zu verbrauchen.
Ich war froh darüber, dass sie nicht bemerkten, dass wir unsichtbar waren, da ich keine Lust auf Erklärungen hatte. Amrei und Evan aber nickten mir anerkennend zu und ich lächelte erfreut.
Wir flogen circa eine halbe Stunde bis wir zu einem wunderschönen Schloss kamen, das verborgen in der Luft und hinter Wolken versteckt schwebte. Der Flug war mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, weshalb ich froh war endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Ich ließ mein orangenes Licht wieder los, sodass wir wieder sichtbar wurden.
Ich verlockerte meinen Griff um Domenic und bestaunte das Schloss. Er legte den Arm um meine Hüfte und betrachtete mit mir den wunderschönen Park der sich um das Schloss herum ausstreckte.
»Wow.«, stammelte ich. Zu mehr war ich nicht fähig, denn es war einfach überwältigend.
Das Schloss war mindestens so groß wie zwanzig Häuser auf einem Haufen. An der rechten und der linken Seiten des Schlosses ragten zwei große Türme in die Höhe. In der Mitte gab es ebenfalls einen, nur war dieser nicht so groß, dafür aber mit einer riesigen Glocke geschmückt.
Alle anderen waren ebenfalls sprachlos und starrten mit mir auf das riesige Gebäude.

»Lasst uns reingehen, bevor uns noch irgendjemand entdeckt!«, forderte uns Amrei auf und blickte sich suchend um. Sie schien nichts Bedrohliches gesichtet zu haben und drehte sich mit einem Lächeln auf ihren Lippen wieder zu uns.
Die anderen blickten mich erwartungsvoll an.
»Ähm... ich kenne den Weg noch nicht?«, rechtfertigte ich mich und schaute zu Evan und Amrei hinüber. Evan konnte sich ein kichern, darüber dass ich auch mal in einer blöden Lage war, nicht verdrücken und ich lief rot an.
Amrei stach Evan den Ellenbogen in die Hüfte, worauf dieser das Gesicht zu einer komisch aussehenden Grimasse verzog. »Lass das!«, zischte sie, setzte sich in Bewegung und schritt auf das riesige Schlosstor zu.
Ob die beiden mal zusammen kommen werden?, kam mir der Gedanke und ich musste bei ihrem Anblick grinsen.
Die anderen taten es ihr gleich und folgten ihr. Ich reihte mich schnell neben Amrei ein, sodass nicht der Eindruck entstand, ich hätte überhaupt nichts unter Kontrolle.
Amrei links, Evan rechts und der Rest hinter mir schritt ich durch das große Tor und schaute andächtig nach oben zu den schönen Mustern und Bögen die in dem weißen Marmor eingraviert waren.
Drinnen angekommen blieb mir der Mund offen stehen. Vor uns breitete sich ein Fußballfeld großer Saal aus, an deren beider Seiten zwei Wendeltreppen in höhere Stockwerke führten. Auch hier war alles aus weißem Marmor und mit hellen, teuer Aussehenden Teppichen und Kronleuchtern geschmückt.
»Willkommen daheim.«, flüsterte Amrei von links in mein Ohr.


29


Auf dem Weg zum >Besprechungsraum< – wie ihn die Engel nannten – kamen wir an tausenden wunderschönen Zimmern vorbei, sodass ich total den Überblick verlor.
Überall roch es nach frischem Blütenduft, da Blumen und Pflanzen aller Art das ganze Schloss zierten und in ein wahres Paradies verwandelten.
»Hier entlang.«, drang Evans Stimme an mein Ohr. Als ich nicht reagierte, weil ich gerade ein buntes Gemälde anstarrte, das einen Babyengel in einer Wiege zeigte, zog er mich sanft davon weg um unseren Weg fortsetzen zu können.
Viele Gänge, Räume und Gemälde später, hatten wir den Besprechungsraum erreicht und ich war immer noch dabei die vielen neuen und verschiedenen Eindrücke zu ordnen und zu begreifen. Mein Gehirn schwirrte voller Bilder über das Schloss.
Als sich die Türe des Saals mit einem lauten Knarren schloss, wurde ich abrupt in die Gegenwart zurückgerissen und die Bilder verblassten. Eine Welle des Verlustes überkam mich und ich seufzte schwer.
»Was war das?«, brachte ich heraus und sah direkt in das Gesicht eines großen gut gebauten Engels mit grauen Augen.
Er verneigte sich vor mir, bevor er sprach.
»Das war ein Schutzzauber, der Neulinge die das Schloss betreten so verwirrt, dass sie niemals ohne Hilfe wieder herausfinden.«
Ich starrte ihn empört an. Erst jetzt fiel mir auf, dass bis auf Amrei und Evan alle verschwunden waren.
»Wo sind die anderen?«, fragte ich Amrei und sie lächelte mir beruhigend zu.
»Sie wurden auf ein Zimmer gebracht, in dem sie sicher sind. Sie dürfen bei dieser Besprechung nicht dabei sein, aber du kannst nachher wieder zu ihnen.«
Ich nickte und wand meinen Blick wieder Grauauge zu, der wirklich umwerfend aussah. Irgendwie sehen alle Engel verdammt gut aus, meinte meine innere Stimme und ich grinste.
»Also-«, fuhr ich fort, »- warum wurde ich diesem Zauber unterzogen, wenn ich doch eure Anführerin bin?«
Grauauge zog eine Augenbraue hoch und lächelte mich mitleidig an. Wut braute sich in meinem Bauch zusammen und ich versuchte weiterhin nach außen kühl und überlegen zu wirken.
»Das Schloss zieht diese... nennen wir es Sinnesverwirrung... bei jedem durch, der das Schloss zum ersten Mal betritt. So wird gewährleistet, dass zum Beispiel kein Gestaltenwandler das Schloss betritt, indem er eine andere Gestalt annimmt. Deshalb ist es hier auch so sicher. Die Verwirrung kommt von dem Duft der Blüten auf dem Flur. Hast du keine Bösen Absichten und hast ihn einmal eingeatmet, bist du immun gegen diese Sinnesverwirrung.«
»Das bedeutet, dass wenn ich nun den Gang ein zweites Mal betrete, ich normal denken kann ohne vor lauter Eindrücken beinahe umzukippen?«
Grauauge nickte knapp und wandte sich dem Engel zu seiner linken zu. Es war eine Frau mit langem rotgelocktem Haar, die Grauauge eine Hand auf die Schulter legte.
Erst jetzt nahm ich den Saal und die vielen Leute um mich wahr.
Ich saß an einem großen Konferenztisch, Amrei links und Evan rechts von mir. Mir gegenüber saß Grauauge und die Rothaarige, die ihre Finger nicht von ihm lassen konnte. Weiter drüben neben Evan und Amrei saßen weitere Engel, alle bildschön.
Ich beugte mich zu Amrei um ihr eine Frage ins Ohr flüstern zu können. »Wer ist der Grauäugige mit der Rothaarigen mir gegenüber?«
Sie unterdrückte sich ein Kichern und antwortete mir gespielt ernsthaft. »Das sind Gregor Morson und seine momentane Freundin Lasiana. Gregor ist einer der ältesten und weisesten Engel des Clans und hat ihn, bis wir wussten, dass es dich gibt, geführt. Zeige ihm gegenüber Respekt!«, ermahnte sie mich und ich beugte mich wieder zurück.
»Nun denn... Die Konferenz ist eröffnet!«, sprach Gregor und erhob sich. Die anderen Engel standen ebenfalls auf und neigten ihre Köpfe. Ich wollte gerade ebenfalls den Kopf neigen, als Evan mich an stupste und den Kopf schüttelte. »Wir sind deine Untertanen, du musst nicht deinen Kopf neigen!«, flüsterte er und ich errötete, als mir bewusst wurde, dass er recht hatte.
Gregor war anscheinend recht amüsiert über meine Unwissenheit, denn als ich zu ihm sah, zuckten seine Mundwinkel. Allerdings hielt er meinem Blick stand und ließ sich nichts weiter anmerken. Schon jetzt wusste ich, dass wir niemals dicke Freunde werden würden.
Er ist doch nur eifersüchtig auf dich, erklang die Stimme meiner Mum in meinem Geist und ich atmete erschrocken zu viel Luft ein, sodass ich laut japste. Alle sahen mich an. Meine Mutter kicherte.
Das ist nicht witzig!, brüllte ich ihr meine Frustration entgegen während ich der Menge von Engeln ein geübtes ruhiges lächeln zeigte.
So ging es mir am Anfang doch auch, beruhigte sie mich.
Gregor war froh, als er den Clan nach meinem Tod führen durfte, denn das war und ist sein großer Traum. Doch leider ist er nicht zum Anführer geboren wie du oder ich. Lass ihn ein paar wichtige deiner Aufgaben übernehmen, dann wirst du auch keinen Ärger mit ihm bekommen. Höre auf seinen Rat, denn er ist schlau und weise und verletzte niemals seine Ehre!, lehrte mich meine Mum und brach dann ab.
Er war schon im Clan als du noch lebtest?
Meine Bewunderung für Gregor wuchs ein Stück und meine Wut verpuffte.
Ich muss mich nachher bei ihm bedanken, dass er den Clan seit deinem Tod geschützt hat, nahm Ich mir vor.
Das ist die Richtige Einstellung, lobte sie mich und zog sich nach einem letzten Satz aus meinem Geist zurück.
Du bist erst eine gute Anführerin, wenn du an deine Fähigkeiten und deine Macht glaubst! Und wenn du doch einmal Fragen hast so wie vorhin, dann wende dich immer an Amrei, Evan oder mich, aber niemals an Gregor. Denn das wäre unter deiner Würde.
Ich dachte an die Frage mit der Sinnesverwirrung zurück und konnte seinen mitleidigen Blick besser einschätzen.
Unter deiner Würde..., nörgelte die Stimme in meinem Kopf und ich tadelte mich selbst.

Als sich nach der Besprechung alle setzten, blieb ich stehen, reckte das Kinn und blickte Gregor direkt in seine grauen Augen. »Gregor Morson!«, rief ich laut und deutlich in den Raum.
Alle Blicke lagen nun auf mir. Gregor erhob sich und neigte seinen Kopf vor mir, wie die anderen Engel es zuvor vor ihm getan hatten.
»Ich will ihnen meinen Dank für die Führung und die Beschützung des Clans aussprechen, in der Zeit nach dem Tode meiner Mutter. Diese Aufgabe die sie sich aufgeladen haben, war sicherlich nicht einfach. Meine Ehre und mein Dank ihnen gegenüber ist groß und ich stehe tief in ihrer Schuld.«
Ich neigte meinen Kopf vor ihm und als ich ihn wieder hob und das Lächeln in seinen Augen bemerkte, fühlte ich mich schon ein wenig besser.
»Vielen Dank Corchitana, es war mir eine besondere Ehre.«, sprach er und neigte nun ebenfalls seinen Kopf vor mir, bevor er sich wieder setzte. Ich blickte fragend zu Evan.
»Corchitana bedeutet Anführerin.«, murmelte er mir zu.
»Ich würde sie gerne zu meinem Stellvertreter machen.«, meinte ich und blickte Gregor fragend an.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem gesamten Gesicht aus und die Unfreundlichkeit die ich zuvor empfunden hatte, verschwand vollkommen. Er nickte und nun brachen die anderen Engel in wildes Geschwätz aus.
Ich ließ mir etwas einfallen um die Engel wieder zu beruhigen und ihnen etwas Respekt vor der neuen Anführerin beizubringen.
Eine leichte Brise schlich durch den Raum und erweckte zu meiner Zufriedenheit die Aufmerksamkeit der Engel.
Einige waren immer noch Gespräch, redeten wie ich verstehen konnte über meine Fähigkeit den Wind zu kontrollieren. Schon wieder strich der Wind durch den Raum bis letztendlich alle still waren.
»Ich glaube ich muss mich erst einmal vorstellen.« Ungefähr fünfzig Engel, die um einen riesigen Tisch herum saßen, starrten mich neugierig an.
»Wie ihr schon sicher mitbekommen habt, bin ich die Tochter der ehemaligen Anführerin. Mein Name ist Estelle Veronie. Da ich erst kürzlich in mein Engeldasein eingeweiht wurde, hoffe ich doch, dass ich allen Anforderungen gerecht werde. Ihr dürft auch gerne ein paar Fragen stellen wenn ihr etwas wissen wollt.« Als ich meinen Satz beendet hatte schossen schon die ersten Arme in die Luft. Ich setzte mich auf einen Stuhl, bevor ich eine Frau mit kurzen, blonden Haaren anlächelte, um ihr zu zeigen, dass sie an der Reihe war.
»Bitte nennt mir doch immer noch eure Namen.«, bat ich sie. Dann begann die Frau zu sprechen.
»Ich bin Eve und ich freue mich, dass sie ihr Amt endlich antreten. Das soll natürlich nichts gegen Gregor sein. Er war ein wunderbarer Anführer, doch uns fehlte etwas. Das reine Blut einer Corchitana. Und das hast nur du. Hast du denn auch so besondere Fähigkeiten wie deine Mutter? Und wie alt bist du denn wenn ich fragen darf? Weil uns deine …ähm… Entschuldigung, ihre Mutter nicht verraten hatte, dass sie eine Tochter hatte. Wir haben erst vor kurzem, von dem hohen Gericht von dir erfahren und haben überall nach dir gesucht. Ich bin froh, dass wir dich endlich gefunden haben.« Als ihr Redeschwall endete, errötete sie, weil ihr fast alle Engel einen empörten Blick zuwarfen.
»Ihr müsst mich nicht siezen. Ich bevorzuge es, wenn ihr mich bei meinem Vornamen ansprecht.« Ich lächelte sie an und sprach weiter. »Ich bin auch froh, dass ich hier bin. Aber vielleicht können sie mir noch etwas über meine Mutter erzählen. Ich war noch sehr klein, als sie gestorben ist. Deshalb weiß ich auch nicht allzu viel über sie.«, erklärte ich mit einem Anflug von Trauer, den ich jedoch schnell beiseite schob.
»Ihre Mutter war wundervoll.«, begann sie mit strahlenden Augen. »Sie sah fast genau so aus wie du. Sie hatte wunderschöne blaue Augen, aber ein bisschen dunkleres Haar als du, dass sie immer kurz getragen hatte. Sie hatte jedoch nicht ganz so wunderschöne Flügel wie du. Ihre waren weiß, die silbern schimmerten.
Sie konnte wie jeder Engel ihre Gedanken in eine Schutzmauer hüllen und sich auch mit eben dieser vor Angriffen schützen. Natürlich konnte sie auch super fliegen und hatte eine erstaunliche Kondition. Wenn es nach ihr ging, wäre sie tagelang nur durch die Luft gesegelt. Außerdem konnte sie dann auch von einer erstaunlichen Höhe aus erkennen, was unter ihr geschah. Sie war eine tolle Anführerin, die sich um jeden gekümmert hat. Wie ich bemerkt habe, hast du sogar noch mehr Fähigkeiten wie sie, oder?«
»Ja, das stimmt. Ich habe auch die Fähigkeiten die sie hatte und noch einige wenige mehr. Aber ich frage mich wieso ich eure Corchitana bin obwohl ich nur ein Nephilim bin.«
Ein anderer Engel streckte und wollte wohl meine Frage beantworten. Ich nickte ihm zu.
»Mein Name ist Raphael. Die Tatsache, dass ihr Vater nur ein Mensch war ist unwichtig. Denn Engelsblut dominiert, wenn es das Blut einer Corchitana ist. Wenn deine Mutter ein einfacher Engel gewesen wäre, dann wärst du jetzt vielleicht gar kein Engel. Die Beziehung deiner Mutter mit deinem Vater war eine Ausnahme. Die einzige Ausnahme die jemals vorgekommen ist.«, erklärte er mir im ernsten Ton.
»Dankeschön.« Ich schenkte Raphael ein Lächeln bevor ich fort fuhr.
»Nun ja, um noch mal auf deine Frage zurück zu kommen. Ich bin erst kürzlich 25 geworden. Ich bin also noch nicht solange ein Engel. Aber ich beherrsche alle meine Fähigkeiten und weiß über fast alles Bescheid. Ich kann wie ihr auch sicherlich bemerkt habt, den Wind beherrschen. Zudem aber auch alle anderen Elemente. Außerdem kann ich mich tarnen, indem ich unsichtbar bin, allerdings nur für einen bestimmten Augenblick. Broine kann ich auch austreiben, wobei ich diese Fähigkeit erst vor kurzem erlernt habe. Ich muss noch sehr viel an mir arbeiten, das weiß ich. Aber ich gebe mein Bestes um meinem Titel gerecht zu werden.« Ein paar Engel in dem Raum japsten nach Luft als ich ausgeredet hatte. Ich versuchte unauffällig in ihre Gedanken einzudringen um nachzuschauen, warum sie das taten.
Sie kann Broinen austreiben. Ich dachte, das könnten nur Gestaltenwandler, hörte ich eine Stimme.
Wow, sie ist erst 25 Jahre alt, hörte ich eine andere Stimme in ihrem Geist flüstern. Eve sah auch erstaunt aus, schenkte mir aber ein Lächeln, das ich erwiderte.
»Ich hoffe damit habe ich erstmal eure wichtigsten Fragen beantworte. Ich wollte-« Ich brach mitten im Satz ab, als ich plötzlich einen heftigen Schmerz in meinem Kopf spürte.
Estelle Veronie, hörte ich eine bekannte Stimmte in meinem Geist flüstern.


30

Baltermann, dachte ich verwirrt.
Was ist los? Warum kommunizieren sie auf diese Weise mit mir?, fragte ich ihn empört.
Weil es dringend ist und dies der schnellste und einfachste Weg ist mit ihnen zu sprechen, erklärte er entschuldigend und verzog sich ein bisschen aus meinem Geist, wodurch meine Kopfschmerzen etwas weniger wurden.
Wir haben beschlossen endlich zu handeln und diesen albernen Krieg zu beenden. Wir haben gemerkt, dass die Broinen und die Shantay viele Wesen der Tovah töten oder entführen. Sie lassen sich außerdem immer öfter in der anderen Welt blicken, was wir nicht mehr tolerieren können.
Ich sehe außerdem, dass sie endlich ihren Platz im Engelsclan aufgenommen haben, das freut mich. Ich nickte im Geiste und hörte wie Evan und Gregor versuchten, die Engel zu beruhigen. Sie waren unruhig geworden, als sie merkten, was mit mir geschah.
Doch ich versuchte das auszublenden und lauschte weiter Baltermanns Worten.
Und da du dich bereit erklärt hast zu helfen, bitte ich nun um die Unterstützung der Engel.
Ich nickte wieder im Geiste und musste schlucken, als mir bewusst wurde, dass es jetzt ernst wurde.
Sobald ihr fertig seid erwarte ich euch im Gericht. Ich werde dir ein Tor des Gerichts zeigen mit dem ihr zu uns gelangen könnt.
Dann schickte er mir in Gedanken die Struktur eines Tores und war dann aus meinem Geist verschwunden. Ich prägte mir das Bild gut ein und kehrte wieder in die Wirklichkeit zurück.
Alle Engel starrten mich an und warteten auf Worte der Erklärung.
Ich erhob mich und begann die Lage zu erklären.
»Das Gericht hat mit mir gesprochen. Denn wie ihr schon sicherlich mitbekommen habt herrscht ein Krieg zwischen uns und den Gestaltenwandlern. Das Gericht hat beschlossen einzugreifen und hat um unsere Hilfe gebeten. Ich habe mich als einzelne Person schon seit einiger Zeit bereit erklärt zu helfen. Deshalb hoffe ich, dass alle Engel, soweit es möglich ist, helfen diesen Krieg zu beenden.« Ich atmete tief durch und wartete. Ich weiß nicht genau auf was ich wartete, aber ich war froh als Evan seine Hand auf meine Schulter nieder legte.
»Natürlich sind wir dabei. Wir sind verpflichtet deinen Befehlen zu folgen.«, sagte er und schwenkte seinen Blick einmal durch den Raum.
»Ich weiß, dass einige von euch noch misstrauisch sind was Estelle angeht, vor allem, da sie noch so jung ist. Aber seitdem ich sie kennen gelernt habe, hat sie mich immer wieder erstaunt. Sie ist die geborene Anführerin.« Nach und nach standen alle Engel auf und verbeugten sich vor mir.
Ich errötete, weil ich mir gestand, dass mir meine Position bisher ziemlich gut gefiel.
»Jeder von euch hat noch fünf Minuten Zeit um allen Engeln, die noch nicht anwesend sind, zu berichten wie wir nun vorgehen werden. Ich werde alle Nachzügler noch ins Gericht schaffen. Sonst erwarte ich euch alle in fünf Minuten unten im Empfangsaal!«, befahl ich ihnen und verließ daraufhin den Raum.
Ich suchte im selben Gang nach den anderen und wurde zum Glück schnell fündig.
Domenic stürzte mir entgegen als ich mich hereinkommen sah und umarmte mich. Ich spürte wie angespannt er war und gab ihm einen langen Kuss auf seine wunderschönen Lippen.
Ich löste mich nur ungern von ihm und wandte mich zu den anderen.
»Domenic und ich werden gleich gehen müssen. Ihr werdet alle hier bleiben, verstanden? Das hohe Gericht hat mich kontaktiert. Wir werden den Krieg beenden und nur Domenic wird mitkommen. Ich will nicht, dass euch etwas passiert. Ihr verlasst unter keinen Umständen das Schloss und wartet bis ihr entweder von mir oder Domenic hört. Habt ihr das verstanden?«
Ich ließ meine Worte kurz auf sie wirken und war froh, dass mir alle ein ernstes Nicken zeigten. Bevor ich und Domenic den Raum wieder verließen umarmten mich alle und sagten mir, ich solle aufpassen. Ich schenkte ihnen ein viel versprechendes Lächeln und hoffte, dass wir das schaffen würden. Justins traurigen Blick aber, sah ich noch in meinen Gedanken, als wir den langen Gang entlang schritten und ich kämpfte mit mir nicht umzudrehen, zurückzulaufen und ihn noch einmal ganz fest zu umarmen oder gar mitzunehmen.
Domenic nahm meine Hand und ging mit mir in die Empfangshalle, in der nun mindestens siebzig Engel versammelt waren.
Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, wie viel Gestaltenwandler uns im Kampf gegenüber stehen würden.
Als ich die Halle betrat machten mit die Engel den Weg frei und verbeugten sich wieder vor mir. Ich und Domenic stellten uns in die Mitte und warteten noch einige Sekunden, bis alle still waren.
»Ich werde jetzt ein Tor öffnen, durch das ihr alle nacheinander schreitet. Domenic wird vorangehen und ich werde als letzte durch das Tor gehen.«, erklärte ich knapp und öffnete mit großer Mühe das Tor, das sich vor mir ausbreitete.
Ich gab Domenic einen kleinen Schubs, als Zeichen, dass er nun voran gehen sollte.
Nach wenigen Minuten waren alle Engel durch das Tor hindurch verschwunden und ich ging als letztes und schloss das Tor wieder, als ich im Gericht angekommen war.
Wir befanden uns in einem riesigen Saal, der so ähnlich aussah wie die Empfangshalle des Schlosses. Nur war er mindestens dreimal so groß.
»Es freut mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid.«, hallte Baltermanns laute Stimme durch den Saal.

Mein Blick schweifte wirr im Saal herum und ich blickte in tausende Gesichter. Manche strahlten Entschlossenheit aus, manche Angst vor dem kommenden Krieg und ich versuchte, den Wesen, die in meine Richtung schauten, aufmunternd zuzulächeln.
»Ich bitte nun die Anführer der Clans zu mir.«
Baltermann machte eine ausholende Geste, um uns zu sich nach oben auf eine Treppenstufe zu bitten. Ich bahnte mir einen Weg durch die Masse und nahm meinen Platz neben Baltermann ein.
»Hallo.«, flüsterte ich ihm zu, um wenigstens etwas zu sagen.
Er nickte mir zu und wandte sich wieder der Menge zu. Nach mir betraten ein Mann und eine weitere Frau die Treppe. »Luke?«
Luke drehte sich von mir weg und stellte sich auf die andere Seite von Baltermann.
Ich beugte mich vor um an Baltermann vorbeizuspähen. »Luke!«
Widerwillig hob er den Kopf um mich anzusehen. Vermischte Gefühle spiegelten sich in seinen Augen wieder und ich senkte verlegen den Blick auf meine Schuhe. »Ja?«, hörte ich seine leise Antwort. »Er sagte doch gerade, dass die Anführer der Clans herkommen sollten… was machst du dann hier?«
Luke schaute mich an, als wäre ich ein tollpatschiges kleines Kind, das soeben in eine matschige Pfütze gestolpert wäre und runzelte die Stirn.
»Ich bin der Anführer des Tiger-Clans.«
Überrascht, da ich diese Möglichkeit nie in Betrachtung gezogen hatte, antwortete ich empört: »Warum hast du mir das denn nie gesagt?«
Luke verzog seine Lippen zu einem spöttischen Grinsen. »Hätte das denn etwas zwischen uns geändert? Und außerdem... hast du mir etwa erzählt das du die Anführerin des Engel-Clans bist?« Vor sich hinmurmelnd fügte er hinzu: »Hätte ich das gewusst, hätte ich doch niemals deine Flügel berührt…«
Baltermann räusperte sich und ich lief rot an, als mir bewusst wurde, dass er das eben gesagte alles mitbekommen hatte.
»Nun denn, da nun alle Anführer hier bei mir sind, schlage ich vor, dass wir uns einen Kriegsstrategie ausdenken und versuchen diese umzusetzen.«
Ich beugte mich wieder auf meinen ursprünglichen Platz zurück, um nicht mit dem Kopf komisch vor Baltermanns Körper zu hängen. Luke tat es mir gleich und ich versuchte mich vergebens auf die kommende Situation eines Krieges einzustellen.
Irgendwie kam mir alles total unreal vor. Der Saal verschwamm vor meinen Augen und ich vernahm von weit, weit weg Domenic’s Stimme, die schrie, sie sollten mich halten.
Wie halten?, dachte ich, bevor ich auf den Boden zustürzte und mir meinen Kopf an einer höher liegenden Treppenstufe anstieß.

Unschlüssig wo ich war, hob ich meinen Kopf. Schließlich atmete ich erleichtert aus, als ich bemerkte dass ich vor dem Schloss im Rasen lag. Lärm drang an meine Ohren und ich drehte meinen Körper, um diesem auf den Grund zu gehen.
Ich riss ungläubig meine Augen auf, als unglaublich viele Wesen in einer langen Reihe aus dem nahe gelegenen Wald auf mich zukamen, sodass sie aussahen wie eine undurchdringbare Wand.
Eilig rappelte ich mich auf, um mehr zu erkennen. Sie waren unglaublich schnell und ich schaute mich hastig nach einem geeigneten Versteck um. Hinter mir ertönte Gebrüll und ich drehte mich um meine eigene Achse. Unglücklicherweise erkannte ich dieses Mal meine Freunde, meinen Clan, den Tiger und den Wolfsclan unter ihnen.
»Verdammt!«, murmelte ich, als mir bewusst wurde, dass ich mitten auf dem Schlachtfeld stand. Zwischen den Gegnern. Ohne Versteck. Ich erblickte Domenic und versuchte verzweifelt zu ihm zu gelangen. Doch ich kam einfach nicht von der Stelle! »Domenic!«
Meine Stimme hallte hohl und unwirklich in der Luft.
Niemand reagierte. »Verdammter blöder Mist!«, brüllte ich und warf mich in Richtung meiner Freunde. Nichts. Ich kam einfach keinen Zentimeter vorwärts!
Ängstlich wandte ich mich wieder der Menge an Wesen zu die aus dem Wald getreten waren. Jetzt erkannte ich ganz deutlich die Gestalten die sich unheimlich dunkel von dem hellen Himmel abhoben. Es waren die Füchse und Pumas. Verzweifelt sank ich auf den Boden.
Wie kam ich hier nur wieder raus?
Ich suchte im Geist nach meinem Regenbogen und wimmerte, als ich nichts weiter als eine trübe Masse erblickte.
Langsam rückten die beiden gegnerischen Mannschaften näher an mich heran, als wäre ich der Mittelpunkt des ganzen Spektakels. Schließlich waren beide Mannschaften nur noch zwei Schritte von mir entfernt und ich konnte ihren stoßweise gehenden Atem hören und sah in die Wut verzerrten Gesichter. Mein Blick huschte über die Waffen und ich erschauerte.
Der Anführer des Fuchsclans, den ich mittlerweile durch seine Angriffe auf mich schon kannte, trat vor und fing an zu sprechen.
»Was bietet ihr uns, damit wir sie wieder freilassen?«
Luke und die Frau, die die Anführerin der Wölfe war, traten ebenfalls einen Schritt auf mich zu und Luke erwiderte mit bebender Stimme: »Lasst sie gehen!«
Der Anführer des Fuchsclans lachte laut und grauenvoll auf und ich zuckte nervös zusammen. Nun verstand ich zumindest, warum ich keinen Schritt vorwärts kam und mich nicht bewegen konnte.
»Das würde euch so passen!«, höhnte er und blickte erniedrigend auf mich herab.
»Es hat lange genug gedauert jemanden zu finden, der sie in eine ihrer Zukunftsvisionen fallen lassen konnte, um sie dort gefangen zu halten. So sind ihre ach so tollen Fähigkeiten nämlich nichts mehr Wert.«, redete er weiter und ich hätte ihn am liebsten eine reingehauen.
Domenic’s bekümmerter Blick traf mich und ich zuckte mit den Schultern.


31

Da ich nun wusste, dass dies doch die Realität war und nicht eine meiner Zukunftsvisionen wie ich zuerst angenommen hatte, verblasste diese langsam und ich nahm alles um mich herum wieder genauer und klarer wahr.
Estelle? Domenic’s warme Stimme erklang tröstlich in meinen Gedanken.
Domenic!, rief ich vor Freude aus und wäre am liebsten aufgesprungen, um mich ihm an den Hals zu werfen.
Da mir das im Moment aber leider unmöglich war, begnügte ich mich damit, mit ihm in Gedanken zu kommunizieren.
Wie haben sie es geschafft mich gefangen zu nehmen?, fragte ich und senkte gleichzeitig meinen Kopf, damit nicht auffiel, dass ich mit jemandem redete.
Sie haben irgendwo eine Hexerin aufgetrieben, die es beherrscht Wesen in einem Bann gefangen zu halten. Erst wenn sie dich freispricht, kannst du dich wieder bewegen.
Ich nickte in Gedanken, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstand.
Warum befinde ich mich mitten auf dem Schlachtfeld? Und wie kommt es, das dass hier alles wirklich passiert, wenn es doch anfangs nur eine meiner Zukunftsvisionen war?
Domenic zuckte mit den Schultern.
Ich weiß es nicht, antwortete er mir und meinte dann: Normalerweise ist so etwas nicht möglich. Es muss an dieser Hexerin liegen. Eigentlich gibt es diese Art schon seit tausenden von Jahren nicht mehr. Ihr Dasein ist etwas Besonderes.
Na toll!, dachte ich mir und grub meine Fingerkuppen in den Rasen.
Mein Clan kann nicht kämpfen, wenn ich nicht dabei bin, oder?
Domenic nickte erneut. Sie brauchen deine Befehle und deinen Schutz, meinte er.
Wenn dein Clan wegfällt, steht es zwei gegen zwei. Und genau das wollten die Füchse und die Pumas erreichen. Es wird ein Gemetzel ohne Ende und Sieg geben, weil alle Clans gleichstark sind.
Es darf keinen Krieg geben!, wies ich ihn an. Ihr müsst irgendwie versuchen diese Hexerin auf eure Seite zu ziehen oder mit den beiden Clans einen Friedensvertrag abzuschließen!
Wenn ein Krieg stattfindet, sterben höchstwahrscheinlich so viele, dass man die Clans auflösen kann!, rief ich bestürzt.
Sorge klamm in mir auf und drohte mich mit großen Wogen zu verschlingen.
»Sie kommuniziert!«, kreischte der Anführer des Fuchsclans auf und versetzte mir einen Tritt in die Magengrube.
Ich beugte mich mit Schmerzverzogenem Gesicht über meinen Unterkörper und fing an zu würgen.
Mein Blick aus zusammengekniffenen Augen huschte zu Luke, der angespannt dastand und dann zu Domenic, der von Amrei und Evan festgehalten wurde. Ich fragte mich warum sie sich überhaupt die Mühe machten. Irgendjemand musste diesem Hohlkopf einfach eine Abreibung verpassen!
Eine ältere Frau wurde nach vorne zu mir geschubst, sodass sie beinahe hinfiel.
»Du hast gesagt, sie kann ihre Fähigkeiten nicht nutzen!«, brüllte ein Mann, der wahrscheinlich der Anführer des Pumaclans war.
Sie wich zurück, als er versuchte nach ihr zu schlagen und reckte ihr mit Falten übersätes Kinn in die Höhe. »Ihr schreit mich an? Dabei seid ihr es gewesen, der etwas von mir wollte! Ihr habt mir überhaupt nichts zu sagen! Nur weil meine Tochter einst eine Füchsin war, habe ich euch meine Dienste dargeboten. Doch so springt niemand mit mir um! Nicht so!«
Sie schaute zu mir herab und ich sah die Träne fallen, noch bevor ich einen weiteren Atemzug machen konnte. Mein Bann löste sich in dem Moment auf, als die Träne den Zauber berührte.
Ich dachte nur Engel können Zauber mit Tränen auflösen?, fragte ich mich und fing an zu überlegen. Die Wesen die damals im Wohnzimmer Justin durch das Tor geschubst und Domenic und Tante Hilde mit einem Schlafzauber belegt hatten, mussten die Anführer des Puma und des Fuchsclans gewesen sein, da nur mächtige wesen, wie zum Beispiel Anführer eines Clans ein Tor erschaffen konnten. Das hieß, dass der Anführer eines Clans ebenso Banne und Zauber wirken konnte. Mächtige Wesen… zählte diese Hexerin zu ihnen? So musste es wohl sein, dachte ich, denn sonst hätte sie weder einen Bann schaffen, noch ihn wieder lösen können. Sie ist die Anführerin eines Clans?
Die Anführerin des Hexenclans, antwortete die Hexerin mir in Gedanken.
Wieso können seit neustem alle in Gedanken mit mir kommunizieren?, fragte ich mich genervt und blickte in das Gesicht der alten Dame. Sie reichte mir die Hand, damit ich aufstehen konnte. Ich nahm sie dankbar und ließ mich hochziehen. Komischerweise tat sie das mit einem Ruck voller Kraft und nicht wie ich erwartet hatte mit einer schwachen gebrechlichen Hand.
Du kannst mit allen Anführern und den Wesen die dir am Herzen liegen in Gedanken kommunizieren Schätzchen, erwiderte sie tonlos in meinen Gedanken.
Ich nickte und wischte meine Hände an meiner Hose ab, die mit Gras und Erde verschmiert waren.
Sie wendete sich wieder dem Anführer des Pumaclans zu und schaute ihn herablassend an. »Ich entziehe euch meine Dienste und biete sie stattdessen dem Engelsclan und dessen Mitstreitern an.«


32

Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, da nun klar war, dass unser Team stärker war und gewinnen würde. Die anderen zwei Clans hätten gegen drei Clans und die Hexerin einfach keine Chance.
Wut stand auf den Gesichtern der Pumas und Füchse geschrieben und sie knurrten bedrohlich. Sie wussten genau wie alle anderen, dass sie verlieren würden, weshalb sie sich abwendeten und uns verächtlich den Rücken zukehrten.
»Noch habt ihr die Oberhand, weswegen wir uns vorerst geschlagen geben, aber irgendwann werdet ihr das hier bereuen!«
Mit diesen letzten Worten verschwanden sie nach ein paar weiteren Minuten wieder in dem Wald, aus dem sie gekommen waren.
Ich drehte mich um und rannte zu Domenic, der die Arme öffnete um mich aufzufangen. Ich küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund, während er mich fest in seinen starken Armen hielt. Es gibt keinen Krieg!, freute ich mich in Gedanken und Domenic nickte zustimmend. Ich lächelte, während alle anderen anfingen still zu werden.
»Ähäm«, räusperte sich Amrei vorsichtig und ich drehte ihr mein strahlendes Gesicht zu. »Was ist?«,fragte ich verwirrt darüber das alle mich so komisch anschauten.
Amrei blickte zum Waldrand, aus dem erneut die Clans traten. Dieses Mal jedoch anscheinend fest entschlossen zu kämpfen.
»Och ne…«, murmelte ich genervt.
Doch plötzlich bekam ich eine Gänsehaut am ganzen Körper. Sie hatten Justin und Elin!
»Es tut mir leid.«, murmelte Elin, als sie bei uns angekommen waren.
»Wir wollten doch nur sehen, ob alles schon vorbei ist… und da haben wir uns aus dem Schloss geschlichen…« Ich starrte sie vorwurfsvoll an.
Und was jetzt?, fragte ich Luke und die Anführerin des Wolfclans in Gedanken.
Bevor sie antworten konnten, riss ich vor Schreck die Augen auf.
Nicht nur Füchse und Pumas traten aus dem Wald, sondern auch Broinen.
»Scheiße, die hab ich ja ganz vergessen.«, fluchte ich vor mich hin, worauf hin mir die anderen einen wütenden Blick zuwarfen.
Bei den Broinen müssen wir aufpassen. Viele von uns sind ihnen nicht gewachsen, stellte Luke nachdenklich fest.
Seiner Feststellung nach zu folge, mussten also alle geschützt werden. Die Idee, die mir kam, war zwar so gut wie unmöglich, aber ich probierte es dennoch aus. Ich griff nach dem grünen Licht, nahm aber dieses Mal soviel davon, dass es nicht zuviel aber auch nicht zu wenig war und breitete über alle Engel, Tiger, Wölfe und mich ein riesiges Schutzschild aus. Sogleich spannte ich auch noch alle in eine Schutzmauer meines rotes Lichts ein, damit ihre Gedanken geschützt waren.
Als das geschafft war, bemerkte ich erst, dass der Kampf schon begonnen hatte.
Unsere Gegner stürzten sich auf unsere Krieger, prallten aber aufgrund meines Schutzschildes wieder ab.
Die Shantay bemerkten, dass alle geschützt waren und zogen sich etwas zurück.
»Ach kommt schon!«, hörte die laute Stimme eines Broins brüllen.
»Ihr wollt doch nicht, dass ich eure Lieben hier verletze oder?« Ich presste die Lippen aufeinander und musste mir schnell etwas überlegen um sie zu befreien.
Wir müssen sie befreien, bat ich Luke und die andere Anführerin um Hilfe.
Wenn ich wüsste wie, wäre das kein Problem, meckerte Luke.
Ich weiß beim besten Willen nicht, wie wir sie befreien sollen, meldete sich die Frau.
Während wir am überlegen waren, waren die anderen damit beschäftigt mich blöd anzustarren. Wahrscheinlich hatten sie endlich gemerkt, dass ich ein Schutzschild über alle gespannt hatte.
Aber ich merkte, wie ich meine Kraft schnell weniger wurde. Außerdem wurden unsere Gegner ungeduldig.
Du bist unglaublich, hörte ich Luke und die Frau gleichzeitig in meinen Gedanken flüstern.
Ich freute mich, dass ich eine Hilfe war. Doch dies half mir auch nicht weiter.
Domenic nahm meine Hand und drückte sie.
Ich lächelte ihn angestrengt an um mich für seinen Beistand zu bedanken.
Wir müssen irgendwie für Ablenkung sorgen, murmelte ich.
Können die Engel nicht irgendwie aus der Luft angreifen?, fragte die Frau.
Nein, das wäre zu offensichtlich, mischte Luke sich ein.
Estelle, beteiligte sich plötzlich Domenic an der Konversation in Gedanken.
Du kannst dich doch unsichtbar machen. Vielleicht hilft dir das ja, beriet er mich. Luke und die Frau glotzten mich beide an und warteten gespannt auf meine Antwort.
Da kam mir die Idee.
Du bist der Beste, lobte ich Domenic und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Er musste laut auflachen und drückte noch mal meine Hand.
Also, begann ich mit allen zu sprechen, die auf unserer Seite waren.

Wir werden Elin und Justin nun befreien. Die Engel werden auf mein Kommando in die Luft steigen, ihr werdet aber nicht angreifen. Ihr sollt versuchen solang wie möglich auf einer Stelle über den Gegnern, mit den Flügeln schlagen. Wenn es soweit ist, werde ich euch genauere Befehle erteilen.
Der Rest greift an, sobald ich das Kommando gebe. Aber ihr müsst gut aufpassen, es wird nachher ziemlich nebelig. Also werdet ihr sehr schlecht sehen können.
Ich werde mich bevor ihr angreift, unsichtbar machen, und mir die beiden schnappen.
Luke und äh…
Eva, stellte sich die Frau endlich mit ihrem Namen vor.
Genau. Luke und Eva werden ihren Clan anführen. Habt ihr das alle verstanden?
Fragte ich und war erleichtert als ich nur Zustimmungen bekam.
Und du Domenic, kannst du dich mit den restlichen Chayas bitte um die Verletzten kümmern und darauf achten, dass niemand von den Broinen angegriffen wird? Du hast ja Erfahrung damit.
Ja, antwortete er knapp. Denn er wollte genau wie ich, diesen Krieg so schnell wie möglich beenden.
Ich atmete tief ein und gab Domenic einen zärtlichen Zungenkuss, während ich still heimlich einen dichten Nebel, mit meinem purpurnen Licht, bildete.
Ich nickte Amrei und Evan zu, worauf dann alle Engel empor stiegen.
Ich nahm etwas von dem orangenen Licht und flog ebenfalls in die Höhe.
Wedelt mit euren Flügeln den Nebel auf die Gegner, befahl ich den Engeln.
Es ging alles so schnell, dass unsere Gegner gar nicht bemerkten, als ich Elin und Justin aus ihren Griffen zog und mit ihnen in die Luft flog.
Jetzt seid ihr an der Reihe. Eva, Luke und Domenic reagierten sofort.
Alle stürzten sich auf die anderen, die immer noch nicht in der Lage waren klar zu denken, um die Situation einzuschätzen.
Der Nebel lichtete sich jedoch immer mehr, weil ich damit beschäftigt war ein geeignetes Versteck für Justin und Elin zu finden.
Wo sind eigentlich die anderen?, fragte ich Elin beiläufig.
Sie sind im Schloss geblieben, erklärte sie.
Ich war erleichtert, dass nicht noch mehr gefangen werden konnten.
Mit einem starken Stich im Kopf, war mein orangenes Licht verschwunden und befand sich wieder im Regenbogen. Nun konnten mich die Gegner wieder sehen. Einige von ihnen, blickten verblüfft durch den Nebel zu mir empor.
Ein höhnisches Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus.
Ich flog auf den nächsten Engel zu, den ich sah.
»Wie ist dein Name?«, fragte ich einen männlichen Engel mit wunderschönen grünen Augen.
»Castiell«, antwortete er knapp und wartete auf einen Befehl von mir. Seine Schönheit traf mich wie die der anderen, die ich bisher gesehen hatte. Sie war berauschend und Angst einflößend zugleich.
»Bitte nimm die beiden und bringe sie zum Schloss.« Ohne auf seine Antwort zu warten, gab ich ihm ein kleines bisschen meiner Kraft, wie ich es bei Evan getan hatte, achtete aber darauf, dass es ein bisschen weniger war, damit er nicht auch bewusstlos wurde.
Ehe er sich versah, trug er die beiden schon in den Armen und flog verdutzt davon.
Ich versuchte noch einmal mit Mühe mein orangenes Licht zu benutzen, was mir Gott sei Dank gelang, und legte es um Castiell, damit er unauffällig zum Schloss gelangen konnte.
Unter mir war nun ein riesiges Schlachtfeld.
Körper flogen durch die Gegend und prallten gegen die Bäume, von denen viel zu viele im Weg standen.
Mist, fluchte ich. So kann das nicht weiter gehen.
Der Nebel war nun ganz verschwunden und die Engel warteten auf neue Anweisungen von mir.
Jeder Engel sucht sich einen von uns aus der unten kämpft und versucht ein Schutzschild um ihn zu spannen so gut es geht.
Sie folgten meinem Befehl und versuchten ihr Bestes. Doch die anderen waren in der Überzahl, solange würden wir ihre Angriffe nicht überstehen. Ich muss mir was überlegen, murmelte ich vor mich hin.
Auf meine Fähigkeiten konnte ich nun aber nicht mehr zählen, ich hatte schon zuviel meiner Energie verbraucht.
Ich benutzte mein blaues Licht und schaute mich unten um. Baltermann und die Hexerin standen versteckt im Wald und waren heftig am diskutieren.
Ich flog zu ihnen hinunter und ließ mich sanft auf dem weichen Waldboden nieder.
Da wir weit genug vom Schlachtfeld entfernt waren, konnten wir laut reden, ohne dass uns die anderen verstehen konnten.
»Ich schaffe das aber nicht alleine!«, brüllte die sie.
»Wir müssen es aber probieren, das ist unsere einzige Chance!«, klagte Baltermann.
»Was schafft sie nicht alleine?«, fragte ich nach.
»Einen Friedenszauber.«, erklärte die Hexe und drehte sich zu mir.
»Es gibt einen Friedenszauber?«, hakte ich mit einem Hauch von Hoffung nach.
»Ja.«, antworteten die Hexe und Baltermann gleichzeitig.
»Es ist ein Zauber, der die Seele der Wesen beruhigt und all ihre Konflikte und Probleme beseitigt. Es reinigt ihre Seele.«, erklärte Baltermann weiter.
»Ja, aber normalerweise wendet man diesen Zauber bei einem einzigen Wesen oder Menschen an. Ich würde es höchstens bei zwei schaffen. Aber bei so vielen auf einmal ist es schier unmöglich!«, meinte die Hexe verzweifelt und fuchtelte wild mit ihren Armen.
»Soviel Macht habe ich nicht.«, meinte sie und warf Baltermann einen bösen Blick zu, den er sogleich erwiderte.
»Vielleicht habe ich ja genug Macht, die ich dir geben kann.«, mischte ich mich ein. Viel war zwar nicht mehr von meiner Kraft übrig, doch ich hoffte, dass es genug war.
Die beiden rissen die Augen auf und starrten mich fassungslos an.
»Theoretisch könnte das funktionieren, aber es könnte dich dein Leben kosten Estelle.«, stellte Baltermann fest und runzelte nachdenklich die Stirn.
»Ich werde es tun, ich muss.« Ich war fest entschlossen zu helfen, doch ich hatte trotzdem fürchterliche Angst, sodass ich am ganzen Körper zitterte.
»Und ihr seid euch sicher, dass wir dadurch Frieden schaffen?«, fragte ich sicherheitshalber nach.
Die Hexe nickte und blickte zu Baltermann.
»Sagt mir schon was ich tun muss. Ich will nicht, dass unsere Leute verletzt werden.«, drängte ich die beiden.
»Also gut«, begann die Hexerin. »Ich werde gleich einen Spruch aufsagen. Wenn ich damit fertig bin, werde ich in deinen Geist eindringen und du wirst mir all deine Kraft geben, die du hast. Du darfst mich nicht abwehren oder mir den Zutritt zu deinem Geist verwehren.
Danach werde ich deine ganze Kraft in den Zauber leiten. Hast du das verstanden?« Ich nickte und atmete tief ein.
Domenic…, rief ich ihn in Gedanken.
Was ist los? Ist irgendwas passiert? Du klingst so komisch, fragte er panisch.
Ich liebe dich über alles, antwortete ich, als die Hexerin begann unverständliche Worte vor sich hin zu murmeln.
Nichts anderes konnte helfen. Das war die einzige Wahl die ich ganz allein treffen musste. Und obwohl ich eine fürchterliche Angst vor dem Tod hatte, davor, alle Menschen zu verlieren die ich so sehr liebte, musste ich diesen Weg wählen.
Ich verschloss meinen Geist vor Domenic, damit er das nicht mitbekam.
Tränen sammelten sich in meinen Augen, weil ich wusste, dass ich daran sterben könnte.
Ich danke dir für deine Tapferkeit, murmelte Baltermann, der seine Hand auf meine Schulter gelegt hatte.
Meine Augen schlossen sich wie von selbst, als ich merkte, dass die Hexe in meinen Geist eindrang.
Ich ließ sie gewähren und gab ihr all meine Kraft, die tief in mir verborgen lag.
Auch meinen schönen Regenbogen gab ich ihr, einfach alles.
Eine starke Hitzewelle gefolgt von einem riesigen Blitz breitete sich im Wald aus.
Das war das letzte was ich mitbekam, bevor ich in einem unendlichen Nichts landete.


33

»Wo bin ich?«, murmelte ich und richtete mich schwer atmend auf. Ungläubig schaute ich an mir herab und bemerkte mit einem leisen Schrei, der aus meiner Kehle drang, dass mein gesamter Körper mit einem hässlichen grau überzogen war. »Gaaaanz ruhig!«, versuchte ich mich selbst zu beruhigen. »Es gibt für alles eine Lösung...ganz ruhig...verdammt warum bin ich grau?!«
Hinter mir knackte etwas und ich drehte mich so hastig um, dass ich vornüber stürzte und auf meine Knie prallte. Ein weiteres Knacken ließ mich langsam meinen Blick heben. Er wanderte über graue verbrannte Füße, hässliche graue dünne Beine und schließlich über den unbedeckten abgemagerten grauen Körper. Die Augen in die ich dann sah drückten Grauen aus, wie ich es noch nie erlebt hatte. Das Ding fing an zu kreischen und ich schob mich einige Zentimeter zurück, nur um aufzustehen und ohne zu zögern loszustürmen. »Heiliger Herr im Himmel, lass mich das hier bitte überleben!«, keuchte ich während ich einen ängstlichen Blick über meine Schulter riskierte. Das Ding verfolgte mich!
Ich nahm mir verzweifelt vor nicht mehr zurückzuschauen und rannte, was ich konnte...

Die Hexerin richtete sich mühsam vom feuchten Waldboden auf. Ihr erster Blick fiel sofort auf Baltermann, dessen Gesichtsausdruck von Trauer und Verlust geprägt waren. Sie seufzte.
»Sie hat diesen Weg gewählt...«, verteidigte sie sich schuldbewusst.
»Was ist mit ihr geschehen?« Baltermanns Frage ließ die Hexerin die Stirn runzeln.
»Wo ist Estelle?« Domenics Stimme drang unter heftigen Atemzügen aus dem Wald heraus zu ihnen. Baltermann warf der Hexerin einen viel sagenden Blick zu und sie übernahm seufzend die Rolle des Nachrichtenüberbringers.
»Sie weilt nicht mehr unter uns, weil-«, setzte sie an und wurde sofort unterbrochen.
»Was heißt sie weilt nicht mehr unter uns?«, jaulte Domenic. »Alle haben auf einmal aufgehört zu kämpfen... WO IST ESTELLE?« Die letzten Worte schrie er der Hexerin entgegen und versuchte gar nicht erst seine Verzweiflung und Sorge um Estelle zu überspielen.
»Ich weiß es nicht.«, antwortete sie ihm und senkte den Blick.
»Das kann nicht sein! Sie war doch eben noch in meinen Gedanken und jetzt ist sie einfach weg! Das kann doch nicht sein! Das kann einfach nicht so sein!« Verzweifelt rieb er sich mit der Hand über das Gesicht, was ihn müde und kraftlos wirken ließ. Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln. »Ich brauche sie doch!«, murmelte er leise und die erste Träne fiel auf den weichen Waldboden hinab.
Baltermann hob die Hand und legte sie auf Domenics Schulter. »Es tut mir Leid.«, murmelte er ebenfalls, da er sich nicht getraute die Stille die nun ausgebrochen war zu übertönen.
»Du hast gesagt sie war in deinen Gedanken... hat sie etwas gesagt?«, fragte die Hexerin abwesend.
Domenic schaute der Hexerin ins Gesicht und sagte leise: »Sie hat gesagt, dass sie mich liebt.«
Die Hexerin kniff das rechte Auge zusammen. »Sie hat dir gesagt, dass sie dich liebt?«
Domenic schaute überrascht und meinte dann: »Das hätte ich auch zu ihr gesagt, wenn ich gestorben wäre... was soll ich denn nun Justin sagen? Sie war doch seine zweite Mutter...« Er schaute in die ferne und wischte sich verstohlen mit der Hand die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Sie hat ihm gesagt, dass sie ihn liebt...«, murmelte die Hexerin wieder und wieder vor sich hin, offenbar in Gedanken versunken.
Domenic wendete sich Baltermann zu. »Warum ist sie weg?...Warum?«
Baltermann nahm ihn am Unterarm um ihn ein Stückchen von der Hexerin wegzuführen.
»Sie hat gewusst, dass sie das ihr Leben kosten kann. Sie hat eingewilligt um den Krieg zu beenden.«, erklärte er mit rauer Stimme.
»Bei was hat sie sich einverstanden erklärt?«, fragte Domenic misstrauisch.
»Die Hexerin kannte einen Friedenszauber, den sie aber nur mit einer Macht hätte wirken können, die ihre um weites übersteigt. Estelle hat ihre Macht auf die Hexerin übertragen, damit diese den Zauber wirken konnte. Sie hat ihr Leben für uns alle geopfert...«
Sie gingen ein Stück und blieben dann stehen. »Dann ist sie jetzt also tot...«, brachte Domenic mit krächzender Stimme hervor und bemühte sich seine Tränen zurückzuhalten. Er würde nicht ohne Estelle leben wollen, soviel war ihm klar, denn er würde es nicht schaffen. Alles erinnerte ihn an Estelle. Und seit ihre Gedankliche Verbindung unterbrochen war, fühlte sich sein Geist alleine und leer an.
Ein jauchzen riss beide aus ihren Gedanken. Die Hexerin kam angelaufen und strahlte über das ganze Gesicht. Domenics fragender und bekümmerter Blick löste ihre Zunge und sie fing an zu reden wie ein Wasserfall.
»Sie ist nicht tot! Sie kann nicht tot sein! Sie ist in der Zwischenwelt. Zwischen leben und Tod, versteht ihr? Sie hat dir ihre Liebe gestanden. Vor ihrem Tod! Das ist ein Liebesschwur! Viele Wesen denken, bevor sie sterben nicht an ihre liebsten, aber sie hat es getan! Dadurch kam sie in eine Zwischenwelt! Sie ist nicht tot! Sie lebt!... naja jedenfalls im Moment noch...«
Domenic riss die Augen auf. »Was heißt sie lebt im Moment noch? Können wir sie irgendwie zurückholen?«
Hoffnung glänzte in seinen feuchten Augen und die Hexerin senkte wehmütig den Kopf. »Ihre Seele muss gegen die eines anderen Wesens getauscht werden...«
Sie sprach leise und undeutlich, doch Domenic hatte sie genug verstanden, um sofort zu antworten.
»Ich kann nicht ohne sie leben, lieber bin ich tot... nehmt meine Seele im Tausch gegen die ihre. Sie wird vielmehr gebraucht als ich. Im Engelsclan, bei Justin, bei Tante Hilde und Elin... «
Baltermann schüttelte den Kopf. »Nicht noch so ein Versuch!«, wehrte er ab.
Die Hexerin blickte Domenic an. Er nickte.
Sie hob die Hände und schleuderte ein gewaltiges Licht auf ihn, das ihn hoch in die Luft hob und schließlich seinen Körper leblos wieder zu Boden prallen ließ. »Finde sie und bring sie uns zurück...«, murmelte sie und versuchte erst Baltermanns Schreien und dann seine Vorwürfe ihr gegenüber zu überhören.

Keuchend hielt ich inne. Ich lehnte meinen Körper schwer atmend und völlig aus der puste gegen einen Steinpfeiler und versuchte wieder mehr Luft zu bekommen. Ich rannte mindestens schon eine halbe Stunde am Stück!
Ein durchdringendes Knacken direkt neben mir, ließ meinen Atem stocken. Es durfte mich nicht finden! Angstschweiß breitete sich an meinem ganzen Körper aus und ich betete, dass das Wesen, was es auch immer sein mochte, nicht riechen konnte. Leider lag ich damit falsch, denn im nächsten Moment kreischte es und ich wurde angesprungen. Ekel durchflutete mich und ich versuchte verzweifelt und erfolglos das Wesen abzuschütteln.
Plötzlich erhellte ein kräftig strahlendes Licht die riesige Steinhöhle in der ich mich befand. Das Wesen ließ irritiert einen Augenblick von mir ab, den ich ausnutzte um nach ihm zu schlagen. »Hau ab!«, schrie ich ängstlich und trat ihm gegen eines seiner Schienbeine. Das Wesen schaute verdutzt, während es fürchterlich knackte und das Bein nun in einem sehr komischen Winkel da hing. Zwei wütende schmerzverzerrte Augen funkelnden mich an. Dann kreischte es los. Da mir alles weitere aussichtslos erschien, hob ich mir die Ohren mit den Händen zu und verschloss meine Augen vor dem Grauen, dass sich mir bot.
»Estelle!«, brüllte Domenic unsicher darüber, was genau er machen sollte.
»Domenic?« Ich öffnete meine Augen und spähte an dem Wesen vorbei, dass sich mit seinen dürren Armen an mir festklammerte, fürchterlich stank und mich mit seinen hässlichen gelb-braunen Zähnen immer und immer wieder kräftig biss.
Ich untersuchte meinen Geist und stellte zufrieden fest, dass meine und Domenics Gedankliche Verbindung wiederhergestellt war.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich. Die Bisse spürte ich schon gar nicht mehr, da der Schmerz bereits meinen Körper lahmlegte.
»Dich retten.«, meinte er zärtlich, während er nach dem Wesen griff und es brutal von mir weg schleuderte.
Seine Augen, so dunkelblau und wunderschön, füllten sich mit Tränen. »Ich liebe dich auch über alles, und ich werde es auch für immer tun!...«, murmelte Domenic, bevor er mir einen liebevollen Kuss auf die Lippen gab. »Du musst dich um Justin und die anderen kümmern und um deinen Clan...«
»Domenic... was soll das?«, fragte ich panisch, als ein helles Licht um meinem Körper zu schimmern begann und Domenics Gestalt immer undeutlicher wurde. »Domenic!«, kreischte ich und versuchte mit den Händen nach ihm zu greifen. »Ich liebe dich...«, war seine geflüsterte Antwort und das letzte was ich verstand, bevor ich heftig atmend auf einem feuchten Waldboden erneut die Augen aufschlug.

Baltermann seufzte erleichtert und half mir, mich aufzurichten. »Ein Glück bist du wieder da!«, rief er erfreut aus und ich schaute ihn böse an. »Domenic hat seine Seele für mich geopfert!«, fauchte ich und stampfte wütend davon. Die Hexerin nickte. Baltermann kam mir hinterher. »Schau doch mal, du hast einen Clan zu leiten und Menschen um die du dich kümmern musst... er hatte nur dich!«
»Nein! Er hatte auch Justin! Er hatte ein Leben! Und jetzt? Jetzt ist er an diesem grauenvollen Ort voller schlimmer Wesen und hat niemanden! NIEMANDEN!« Meine Stimme brach ab und ich drehte mich weg, damit er meine Tränen nicht sah.
»Estelle! Was war los? Unsere Verbindungen waren unterbrochen!«
Amrei und Evan traten in den Wald hinein und musterten mich besorgt. »Außerdem verhalten sich die Füchse und Pumas so, als wären wir ihre absoluten Lieblingsfreunde! Also..?« Abwartend blickten sie mich an.
»Die Hexerin hat einen Friedenszauber gewirkt und ich war kurz in so einer Zwischenwelt oder so und jetzt ist Domenic da, weil er seine Seele gegen meine eingetauscht hat!«, erklärte ich traurig und feuerte ein paar böse Blicke in Richtung Baltermann und Hexerin ab. »Ach du meine Güte!«, meinte Evan und kam zu mir. »Alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.
Ich nickte schwach. »Aber Domenic darf nicht dortbleiben... sie werden ihn töten!«
Schluchzend rieb ich mir die Augen und versuchte meinen Kummer zu verbergen. Amrei nahm mich schwesterlich in den Arm und meinte: »Wir finden schon einen Weg...«
Als ich entfernte Rufe hörte, löste ich mich mit einem dankbaren Lächeln zu Amrei, aus der Umarmung und trat aus dem Wald auf die Wiese, wo der Kampf stattgefunden hatte. Zu meiner Zufriedenheit wirkte der Friedenszauber offensichtlich. Tante Hilde kam auf mich zu gerannt und fuchtelte wild mit den Armen.
»Elin, Elin! Sie hat den Auftrag bekommen Domenics Seele zu leiten und ist dann sofort wie weggetreten gewesen! Du musst sofort mitkommen!«
Ich schnappte nach Luft. Ausgerechnet Elin musste Domenic, den Mann den ich so über alles liebte, in den Tod führen!
Ich drehte mich zu den anderen um, die mir auf die Wiese gefolgt waren. Dann nickte ich Hilde zu und rannte hinter ihr her in das wunderschöne Schloss, das ich aber mittlerweile nur mit furchtbaren Ereignissen verbinden konnte.
Als wir in das Zimmer kamen, warf sich Justin überschwänglich glücklich in meine Arme und fing an leise zu wimmern. Elin lag auf einem großen Bett und wirkte wie Hilde gesagt hatte ziemlich abwesend und weggetreten. Ich setzte Justin auf einen Sessel und wies Evan an, sich um ihn zu kümmern.
Ich trat an das Bett und hörte Elin leise murmeln. »Domenic... rettet Clan-Führer...einen Wunsch frei...«
Gespannt lauschte ich weiter und versuchte die Zusammenhänge zu verstehen. »Kann sich Leben zurückwünschen... aahhh!... nein!... wünscht sich sicheres Leben für Estelle und Justin... ahh!...«
Hilde kam zu mir heran. »Sie redet das schon die ganze Zeit...«
»Sie sagt, Domenic hat, weil er einen Clans-Führer, also mich, gerettet hat noch einen Wunsch frei... aber er wünscht sich nicht sein Leben zurück sondern das ich und Justin sicher leben können...«
Eine Träne fiel auf die helle Bettdecke und färbte sie an dieser Stelle dunkel.
»Er hat dich wirklich geliebt...«, murmelte Tante Hilde leise neben mir.
»Er liebt mich immer noch...«, antwortete ich schockiert und schluchzte laut auf.
»Selbstlos... Gericht muss entscheiden...«, brabbelte Elin.
Baltermann stand plötzlich neben mir und tippte auf meine Schulter. Erschrocken zuckte ich zusammen. »Er ist so selbstlos... er wählt den Tod, damit du glücklich leben kann, anstatt sich sein leben zurückzuwünschen... wahrscheinlich hat er noch nicht einmal daran gedacht... er denkt nur an die, die er liebt...« Er stockte und schaute mir fest in die Augen. »Es tut mir Leid Estelle, ich habe mich geirrt. Er hatte nicht nur dich , sondern auch deine Liebe...« Er errötete leicht und fuhr dann fort. »Wir können ihn zurückholen, wenn du das willst. Dadurch, dass er einen Clan-Führer gerettet und dann auch noch seine Freiheit für ein besseres Leben für dich geopfert hat, können wir ihn zurückholen. Das hohe Gericht muss entscheiden und ich bin ein Teil des hohe Gerichts...ich wäre es dir schuldig...allerdings hat die ganze Sache einen Hacken... er kann nicht in seiner ursprünglichen Gestalt zurückkehren und auf die Veränderung seiner Gestalt hat leider auch das hohe Gericht keinen Einfluss... das bedeutet er könnte eine total andere Gestalt annehmen und seine Fähigkeiten als Gastaltenwandler verlieren... du musst dich entscheiden...«
Ohne zu zögern entschied ich mich dafür ihn ins Leben zurückzuholen, denn egal in welcher Gestalt er nachher landen würde...alles war besser, als in der grausamen Zwischenwelt zu bleiben oder dort zu sterben.
»Holt ihn zurück... es ist mir gleich welche Gestalt er annimmt...«, antwortete ich ihm mit fester Stimme.
»Das hohe Gericht hat entschieden.... aaahh!.....«
Elin schlug wild mit den Armen um sich und krampfte sich in Schüben zusammen. »So sei es.«, flüsterte Baltermann.


34

Ein schimmerndes Licht breitete sich im Raum aus und die Silhouette einer Person kam verschwommen zum Vorschein und wurde dann immer deutlicher. Elin schlug von einem auf den anderen Moment ihre Augen auf und keuchte erschöpft. Als sie das Gesicht ihrer Mutter erblickte, ließ sie sich wieder zurück in die Kissen sinken. Ihre Aufgabe war nun erledigt.
Ich beobachtete genau, wie die Person festere Gestalt annahm und jauchzte dann vor Freude auf, als ich in ihr Domenics alte Gestalt erkannte.
»Domenic!« Ich rannte zu ihm und warf mich ihm in die Arme. Er breitete sie aus um mich abzufangen und stutzte plötzlich. Mitten in der Umarmung berührten meine Fingerspitzen etwas weiches, seidenes. Erschrocken zog ich meine Hände zurück und blickte auf den Schimmer an meinen Fingerspitzen. »Oh... Domenic!«, murmelte ich, als ich sie erblickte. Zwei wunderschöne Flügel ragten aus seinem Rücken hervor und schimmerten im Licht der Abendsonne, das durchs Fenster in den hohen Raum fiel. Sie waren nicht nur atemberaubend, sondern einfach umwerfend. Domenic versuchte über seine Schulter einen Blick zu erhaschen und erstarrte, als er die wunderschönen dunklen Flügel erblickte. »Ich habe Flügel?«
Ein lächeln breitete sich auf Baltermanns Gesicht aus. »Wie ich sehe, hat sich deine Gestalt zu deinem Vorteil geändert. Willkommen im Engelsclan Domenic...«
Ich schaute ihn verdutzt an. »Aber er sieht doch so aus wie vorher!«, protestierte ich. »Sie in seine Gedanken Estelle... er ist was er war...ein Gastaltenwandler... aber es gibt eine Veränderung...«
Ich tat wie mir gehießen und vergaß vor lauter Staunen meinen Mund wieder zu schließen. »Er ist Gastaltenwandler und Engel zugleich? Wie ist das möglich?«
»Nichts ist unmöglich in Tovah... das solltest du langsam wissen Estelle.«, tadelte er mich, drehte sich lachend weg und ging aus dem Zimmer.
Noch immer bestaunte Domenic seine Flügel. »Wahnsinn...Estelle?« Ich schaute ihn an und mein Herz wuchs bei seinem Anblick ins unermessliche an. »Ja?«, murmelte ich um den Augenblick nicht zu zerstören, der mir so wertvoll und kostbar erschien.
»Danke.«, meinte er lächelnd und schloss mich in seine Arme und erdrückte mich beinahe.
Ich drückte ihn noch fester um sicherzugehen, dass er real war. Ich gab ihm einen zärtlichen Zungenkuss und genoss das Kribbeln, das durch meinen Körper floss. Ich wollte gar nicht mehr aufhören ihn zu spüren, doch meine Kraft ließ es nicht zu und eine erneute Dunkelheit erfüllte mein Bewusstsein.

Meine Lider waren fürchterlich schwer und nur mit großer Mühe konnte ich meine Augen öffnen. Der Raum in dem ich lag, sah aus wie ein Prinzessinnenzimmer. Das Bett war riesengroß und mit goldenen Schnörkeleien ausgestattet.
Es roch angenehm in dem Zimmer, irgendwie nach Erdbeere.
Mein Blick huschte zu dem Nachttisch der neben dem Bett stand und ich erblickte eine Tasse Tee.
Dann erblickte ich Domenic der neben dem Bett auf in einem wunderschönen Sessel saß und gerade zu sich kam. Weil er wohl eingenickt war.
»Estelle.«, murmelte er erleichtert.
Anstatt zu antworten stand ich hastig auf und rannte auf der Suche nach einem Bad durch die Gegend. Zum Glück wurde ich schnell fündig, da direkt neben meinem Zimmer ein Badezimmer angebaut war.
Eine plötzliche Übelkeit breitete sich in meinem Körper aus und ich erbrach heftig.
Domenic kam hinterher und stützte mich als ich mir den Mund ausspülte.
»Was ist los?«, fragte er panisch und nahm mich besorgt in den Arm.
»Mir war plötzlich schlecht.« Ich tastete meinen Bauch ab, weil er sich irgendwie anders anfühlte.
»Wo sind die anderen? Geht es allen gut?«, erkundigte ich mich und ging wieder in das Zimmer zurück um mich hinzusetzen.
»Es geht allen gut. Tante Hilde und Elin sind im Park mit Justin und Marie und Rody müssten hier auch noch irgendwo im Schloss sein.«
Ich atmete beruhigt aus, setzte mich auf seinen Schoß und schlang meine Arme um ihn.
»Ich liebe dich so sehr. Und mach sowas nie wieder.«, hauchte ich in sein Ohr.
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn, auf die Nase, auf meinen Hals und wanderte schließlich hinab bis zu meinen Brüsten.
Ich erschauerte vor Lust und knabberte an seinem Ohr, während er meine Brüste liebkoste.
»Du weißt, dass ich alles für dich tun werde.«, hauchte er unter seinen heißen Küssen.
Ich wollte gerade meine Bluse ausziehen, als es an der Tür klopfte.
Domenic schreckte hoch und knallte mit seinem Kopf an mein Kinn.
Ich unterdrückte den Schmerz und musste laut auflachen. Domenic stand schnell auf und öffnete die Tür, während ich meine Kleidung wieder an die richtige Stelle schob.
»Luke? Was willst du denn hier.«, rutschte es mir heraus. Er hatte zwar im Krieg geholfen, doch er war immer noch der letzte, den ich jetzt sehen wollte.
Ehe ich mich versah, kniete Luke vor Domenic auf dem Boden.
»Ich weiß gar nicht wie ich dir danken soll. Ich habe dir schlimme Dinge angetan und dich belogen. Ich weiß, dass ich mich nicht dafür entschuldigen kann, aber ich bin dir unendlich dankbar dafür, was du getan hast. Ich stehe ewig in deiner Schuld.«, murmelte Luke mit zitternder Stimme.
»Ich weiß, dass du eine schwere Zeit hinter dir hast und ich hoffe, dass zwischen uns nun alles geklärt ist.« Er legte seine Hand kurz auf seine Schulter und wendete sich dann von ihm ab.
Habe ich irgendetwas verpasst?
Ich verstand gar nichts von dem, was die beiden redeten.
Luke erhob sich und ging aus dem Zimmer. Doch er ging nicht alleine, ich erhaschte einen Blick auf eine wunderschöne Frau mit roten Haaren, die seine Hand nahm.
»Von was habt ihr da geredet?«, fragte ich Domenic, der sich neben mich setzte und mich wieder auf seinen Schoß zog.
»Als ich in der Zwischenwelt war habe ich Maria gefunden und sie mitgenommen.«
Maria? War das nicht Lukes Freundin?
»Ich habe gedacht sie wäre damals gestorben?«, fragte ich und verschränkte seine Finger mit den meinen.
»Ja, aber sie war nie richtig tot. Sie ist in der Zwischenwelt gelandet und hat dort solange überlebt, dass ich sie retten konnte.«, erklärte er.
Mir wurde warm ums Herz, als ich wieder einmal mehr erkannte, was für ein wunderbarer Mensch er doch war. Er war immer für die anderen da und opferte sogar sein Leben für mich.
»Wie kann es nur einen Menschen wie dich geben.«, murmelte ich vor mich hin.
»Ich bin ja auch kein Mensch. Ich bin ein Gestaltenwandlerengel, oder so was in der Art.«, kicherte er und platzierte einen Kuss in meinen Nacken.
»Wir haben jetzt keine Zeit uns zu lieben oder?«, fragte ich atmete einmal tief durch.
»Leider nicht mein Engel.«
Beunruhigt tastete ich noch mal meinen Bauch ab und wurde das Gefühl nicht los, dass irgendwas mit mir nicht in Ordnung war.
»Alles in Ordnung? Ist dir wieder schlecht?«, fragte er besorgt.
Ich schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck von dem Tee, der nun schon etwas abgekühlt war.
»Ich habe tierischen Hunger.«, teilte ich ihm mit und sprang auf.
Er tat es mir gleich und folgte mir durch das Schloss, bis wir endlich die Küche gefunden hatten. Hastig suchte ich nach etwas essbarem und wurde schnell fündig.
Ich schmierte mir zwei Marmeladenbrote und verdrückte hinterher noch gierig einen Apfel, bis ich schließlich satt war.
Domenic hatte wohl schon gegessen, denn er saß nur da und beobachtete mich grinsend beim Essen.
Um etwas frische Luft zu schnappen gingen wir, als ich fertig war, in den Park und genossen die kühle Winterluft.
»Kannst du deine Flügel schon benutzen?«, erkundigte ich mich während wir im Park auf einem Kiesweg liefen.
»Ich kann sie nur rein und rausholen.«, meinte er und ich musste kichern, weil sich das so witzig anhörte. »Das ist ein echt komisches Gefühl. Ich kann mir gar nicht vorstellen in der Luft zu fliegen.«
»Dann muss ich dir wohl das Fliegen beibringen.« Ich lächelte und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf seine warmen Lippen.
Estelle, hörte ich Baltermanns Stimme in meinem Geist flüstern.
Ja? Was wollte er nun schon wieder von mir?
Herzlichen Glückwunsch., gratulierte er mir.
Für was denn? Eine plötzliche Unruhe breitete sich in meinem Körper aus.
Für euren Nachwuchs, erklärte er und war so schnell wie er gekommen war wieder aus meinem Geist verschwunden. Domenic bemerkte das die Farbe aus meinem Gesicht schwand und meinte nervös:
»Jetzt sag mir endlich was los ist sonst dreh ich noch durch!« Domenic rüttelte an meinem Arm um mich aus dem Schock zu holen, den Baltermann mir von der einen auf die andere Sekunde versetzt hatte.
Ich bin Schwanger? Auf einmal fiel bei mir der Groschen - kein Wunder das ich mich so unwohl fühlte und mir so schlecht gewesen war.
Schon sah ich in Gedanken meine kleine Familie wachsen, die nun nicht mehr nur aus Domenic, Justin und mir bestand, sondern auch noch aus dem kleinen Wesen, das in mir wachsen würde und das ich mein Kind nennen konnte.
Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Domenic schaute mich noch immer besorgt an und wartete geduldig auf eine Antwort.
»Ich bin Schwanger!«, rutschte es mir raus und mein Lächeln wurde noch breiter, als ich Domenic's strahlendes und fassungsloses Gesicht erblickte.
»Du bist unglaublich.«, lachte er, während er mich hochhob und wild im Kreis drehte.
Als er mich wieder absetzte, sah er mir fest und liebevoll in die Augen. Ich sah Wärme, Liebe und wie glücklich er war.
»Estelle ich liebe dich so sehr.«, flüsterte er zärtlich, bevor er mich sanft küsste. »Willst du meine Frau werden, Estelle?«
Als Antwort drückte ich meine Lippen auf seine und murmelte lächelnd und so glücklich wie noch nie in meinem Leben: »Und ob ich das will!«


ENDE


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Tag der Veröffentlichung: 27.12.2011

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