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Ausflug in die Unwirklichkeit


»Ich weiß echt nicht warum du hier hin willst.«, meckerte ich und versuchte nicht über einen der Steine zu stolpern, die auf dem Waldboden verteilt waren.
»Hey, ich hab dich nicht gezwungen mit zu kommen. Außerdem wird das bestimmt interessant. Einen Drachen bekommt man nicht jeden Tag zu sehen.« , rechtfertigte sie sich und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
»Aber du hast mich erpresst! Du hast gesagt ich darf Noelle nicht mehr sehen, wenn ich nicht mitkomme. Das war nicht fair!«, schnauzte ich sie genervt an.
Sie musste kichern.
»Du weißt ganz genau, dass ich dir nie den Kontakt zu ihr verbieten könnte. Sie liebt dich.«

Ihre Tochter war ein hübsches, aufgewecktes Kind, das vor kurzem erst in den Kindergarten gekommen war. Sie hatte die braunen Haare und die Stupsnase von ihrer Mutter geerbt. Und vom Vater hatte sie die grünen Augen. Außerdem war sie sehr dickköpfig. Ich musste kichern, als ich mich daran erinnerte, als sich Noelle einmal geweigert hatte weiter zu laufen, weil sie zu müde war. Eine halbe Stunde standen wir da, bis Marc sie dann doch getragen hatte. Doch sonst war sie ein sehr liebes Kind und bereitete mir jedes Mal Freude.
Ich war sehr neidisch auf Chloé. Sie hatte ein wunderbares Mädchen, einen tollen Freund und ihr Studium hatte sie auch erst mit guten Noten abgeschlossen. Journalismus und Kulturgeschichte waren ihre Fächer, deswegen war sie auch so scharf auf den Drachen. Ein anderer Grund war, dass sie einfach total auf Fantasiewesen und so Zeugs abfuhr. Zauberer, Hexen, Drachen – alles mögliche. Durch einen Zeitungsartikel ist sie auf den Drachen aufmerksam geworden. Sie erzählte, man habe einen Drachen im Wald gefunden und würde ihn nun nach etlichen Untersuchungen der Öffentlichkeit preisgeben.
Ich betrachtete sie und spürte ihre fröhliche Ausstrahlung. Also beschloss ich etwas besser drauf zu sein und gab mir einen geistigen Schubs.
»Wie weit ist es denn noch?«, fragte ich sie und kickte einen Stein zur Seite, der mir im Weg lag.
»Es ist nicht mehr weit...ach siehst du. Da ist ein Schild. Was steht da drauf... Draco volaticus ignipotens ? Was heißt das denn?«, fragte sie mich.
Ich kramte in meinem Gedächtnis nach den lateinischen Begriffen, die ich wohl irgendwann in meinem Studium auswendig lernen musste.
»Das heißt soviel wie Feuerdrache.«, sagte ich und zuckte mit den Schultern.
Wir folgten dem Schild und aus der Ferne sah man schon eine Abzäunung.
»Oh gleich sind wir da!«, murmelte Chloé und hüpfte wie verrückt auf der Stelle, als wir vor einem kleinen Törchen standen.
»Beruhige dich, atme tief ein...und aus.«, befahl ich ihr und sie tat es auch.
»Gut und jetzt gehen wir rein, okay?«, sagte ich zu ihr, als würde ich mit einem kleinen Kind reden.
»Jaja.«, meinte sie nur darauf und zog mich hinein.
Wir schauten uns beide um, doch es war noch kein Drache zu sehen. Doch das Waldstück hinter dem Zaun war sehr schön. Viele große Bäume, die immer wieder kleine Sonnenstrahlen hindurch ließen. Ich spürte die Wärme der Sonne, die man vorher nicht da war. Eine leichte Brise fuhr durch mein schwarzes Haar und ich genoss die ruhige Atmosphäre.
»Oh ich glaub da ist was.«, riss mich Chloé aus meinen Gedanken.
Ich schaute nach vorne und sah etwas hinter einem Busch hervor gucken. Es sah wie der Schwanz einer Eidechse, nur etwas größer.
Chloé machte große Augen und starrte den Drachen an. Doch ich zog eine Augenbraue in die Höhe und runzelte daraufhin die Stirn. Der Drache war in einer Art Käfig, wie man es aus dem Zoo kannte. Doch er war zusätzlich noch an einen Metallpfahl angekettet. Das konnte ich nicht nachvollziehen. Der „Drache“ sah nicht sehr stark aus. Vielleicht wollten sie aber nur dadurch verhindern, dass man ihn nicht stehlen konnte, denn an der Kette waren jeweils zwei Schlösser angebracht, die das Tier mit der Kette verbunden. Außerdem wunderte ich mich, dass sonst niemand außer wir den Drachen betrachten wollten.
»Das ist doch nicht deren Ernst oder?!«, sagte ich genervt.
Das war nie im Leben ein Drache, dachte ich.
»Hä, wieso denn?«, fragte sie verunsichert.
Sie hatte sich so viele Hoffnungen gemacht, es tat mir leid sie enttäuschen zu müssen.
»Schau ihn dir doch mal an. Sein Kopf sieht nicht annähernd wie des eines Drachen aus. Seine Haut ist so dünn wie die einer Schlange und im großen und ganzen ist der Drache gerade mal so groß wie ein ausgewachsener Labrador.«, erklärte ich ihr vorsichtig.
Sie schaute sich das Tier nochmal an und nickte dann als Bestätigung.
Ich nahm ihre Hand um sie etwas zu trösten.»Hey, mach dir nichts draus. Irgendwann werden wir was viel besseres sehen. Okay?«
Sie erzwang sich ein lächeln und lief dann wieder Richtung Ausgang.
»Ich such mir mal kurz ein Plätzchen, ich muss mal. Du kannst am Eingang auf mich warten.«, sagte sie und war nach einigen Sekunden schon fort.
Ich folgte ihr nach draußen und genoss das Gefühl wieder die kalte Brise zu spüren, die in dem Abschnitt des Waldes noch intensiver war. Ich suchte mir ein kleines Rasenstück und legte mich hin. Ich schloss meine Augen und stellte mir vor am Strand zu liegen. Tiefblaues Meer, weißer Sand und Eric. Sein langes, braunes Haar wehte im Wind und glänzte golden in der Sonne. Er lächelte mich an und streckte mir die Hand hin. Gerade wollte ich danach greifen und mich in seine Arme legen, als wir plötzlich in unserem Wohnzimmer standen. Er war am telefonieren und merkte nicht, dass ich gerade nach Hause gekommen war .
»Ich hab dir schon mal gesagt du sollst hier nicht mehr anrufen. Ich liebe meine Freundin, das habe ich dir jetzt schon tausendmal gesagt. Das mit dir war nur ein Ausrutscher, also lass mich bitte in Ruhe.«, konnte ich ihn in einem Flüsterton sprechen hören.
Wir waren seit fast 3 Jahren zusammen und ich konnte es nicht fassen, dass er mich betrogen hatte. Wie eine Furie rannte ich auf ihn los und schlug auf ihn ein.
Ich schluchzte und fragte ihn warum. Warum er mich betrog, obwohl er mich liebte.
Er entschuldigte sich immer wieder und erklärte mir wieso er das getan hatte. Doch ich konnte ihm nicht verzeihen. Nicht mit dem Wissen, dass ich ihm nicht mehr vertrauen konnte. Ich bin ein Mensch, der sehr schwer Beziehungen eingehen kann und das wusste er. Ich hatte ihm von Anfang an gesagt, dass es schwer für mich ist. Und doch hat er mich betrogen.
Wenn ein Mann der dich liebt, dich betrügt, was soll man denn da denken?
Ich packte nach meinem Schrei-Schluchz-Anfall meine Sachen ein und stürmte aus unserer gemeinsamen Wohnung und flüchtete zu Chloe mit dem Wissen, dass sie immer für mich da sein würde.
Und so war es auch. Sie empfing mich mit offenen Armen, obwohl sie selber viel zu tun hatte in ihrem kleinen Haus. Doch das Haus war für eine weitere Person groß genug und ich konnte mich erst mal dort einrichten.
Ich warf mich in ihre Arme und weinte mich aus während ich ihr die ganze Geschichte erzählte. Sie nickte und drückte mich fest und ich war ihr so dankbar für ihre Anwesenheit.
Aber die Geschichte war noch nicht zu Ende.
Gleich am nächsten Morgen stand Eric vor der Tür und wollte mit mir reden. Chloé ließ ihn aber nicht herein und schickte ihn wieder fort. Er gab aber nicht auf und rief wenige Zeit später an. Zufälligerweise nahm ich ab und legte sofort auf, als ich seine Stimme erkannte.
Immer wieder rief er an und stand immer wieder vor Chloé's Haus, ich dachte das würde nie aufhören.
Doch nach zwei Wochen, als meine Semesterferien vorbei waren, wurde es noch schlimmer. Er folgte mir zur Uni, wartete bis ich fertig war und versuchte mit mir zu reden.
Die ersten Male bin ich einfach an ihm vorbei gegangen, doch nach drei Tagen hielt ich es nicht mehr aus und stellte mich ihm. Ich schrie ihn an, er solle mich in Ruhe lasen. Ich würde nie wieder zu ihm zurück kommen, dass er alles zerstört hatte. Er gab aber nicht nach und wollte, dass ich ihm noch eine Chance gab. Doch ich konnte einfach nicht. Und erst nachdem ich mit der Polizei gedroht hatte, ist er gegangen und hat mich seitdem in Ruhe gelassen. Das alles war nun zwei Monate her, aber ich musste immer noch dauernd an ihn denken. Wie kann man einen Menschen noch so sehr lieben, obwohl er einen so sehr verletzt hatte.


Ich öffnete meine Augen und merkte, dass ich eingeschlafen war. Ich schaute sofort auf mein Handy um nach der Uhrzeit zu sehen. Viertel nach fünf war es schon, das heißt ich war eine halbe Stunde weg gewesen. Also müsste Chloé doch schon längst wieder zurück sein?
Ich stand auf und blickte mich um. Ich ging zu dem sogenannten Drachen, weil ich sehen wollte, ob sie vielleicht dort noch einmal gewesen war. Doch dort war sie auch nicht. Ich ging wieder hinaus und war ratlos. Mit dem Handy erreichte ich sie auch nicht, kein Wunder wenn man keinen Empfang hat. Da stand ich nun im Wald und wusste nicht wo meine Freundin geblieben war. Ein bisschen entmutigt beschloss ich nach ihr zu sehen und dachte mir ich gehe tiefer in den Wald hinein um sie zu suchen. Die erste Abzweigung bog ich nach rechts ab und folgte den Weg bis zur nächsten Kreuzung.
Nach vielen weiteren Abzweigungen musste ich leider feststellen, dass ich mich total verlaufen hatte und keinen Plan hatte, in welcher Richtung sich der Ausgang befand.
Also schlenderte ich weiter und suchte mir einen Platz, der zum Schlafen geeignet war. Weil ich keine Karte hatte und auch mit meinem Handy nichts anfangen konnte, hatte ich keine andere Wahl, als im Wald zu schlafen. Außerdem hatte ich das als Kind einige Male getan, also machte es mir nichts aus.
Nach fünf Minuten fand ich endlich ein geeignetes Plätzchen und hatte mir auf dem Weg schon ein bisschen Feuerholz gesammelt. Ich erinnerte mich noch an meine Pfadfinderzeit, als ich noch noch kleiner war. Dort hatten wir jeden Tag geübt ein Feuer zu machen und uns ein Nachtlager zu bauen. Das konnte ich also alles im Schlaf. Ich entfernte den ganzen Dreck der auf dem Boden war und legte einen Kreis aus Steinen für mein Lagerfeuer. Dann suchte ich nach Tannennadeln sonstigem Brennzeugs, das ich unter das Holz legen konnte. Zum Glück hatte ich immer noch mein Feuerzeug von meiner Raucherzeit in meiner Handtasche und küsste es, weil ich mein Glück kaum fassen konnte.
Als ich mir sicher war, dass mein Feuer erst einmal halten würde suchte ich mir Blätter, Moos und legte alles auf einen Haufen, damit ich ein weiches Kopfkissen zum schlafen hatte. Zum Abschluss schaute ich noch einmal zum Himmel und war froh einen klaren Sternenhimmel zu entdecken. Ich legte mich auf den unbequemen Waldboden und blickte gen Himmel.
Man sah die Sterne so klar, so leuchtend. Erst dann sah ich, dass Vollmond war. Er leuchtete so hell, dass man meinen könnte im Wald würden Straßenlaternen stehen.
Ich erinnerte mich an den Ausflug in das Planetarium in der neunten Klasse. Ich war so aufgeregt, dass ich verloren ging und neben der falschen Klasse im Planetarium landete. Ich war so fasziniert von der Vorstellung, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Erst als die Show zu Ende war, bemerkte ich, dass ich niemanden kannte und suchte aufgelöst meine Freunde.
Ich fand sie genau gegenüber auf den Sitzplätzen und musste lachen, als ich ihr verdutztes Gesicht sah. „Wo kommst du jetzt her?“, hatten sie mich gefragt und ich zeigte auf eine Grundschulklasse direkt gegenüber und sie stimmten in mein Lachen mit ein.
Meine Gedanken kehrten zurück zum Himmel und ich suchte nach zwei Sternenbildern.
Als erstes sah ich den kleinen Wagen oder kleiner Bär, wie man ihn auch nannte. Ursa Minor in lateinisch.
Dieses Bild fand ich immer auf Anhieb, ich hatte mich nach diesem Besuch im Planetarium auch sehr intensiv mit Sternenbildern beschäftigt.

Im frühen Griechenland sah man in dem Sternbild die Hesperiden, Nymphen, die Äpfel bewachten, die ewige Jugend verliehen. Die Äpfel wurden durch die drei Deichselsterne des heutigen Großen Wagens symbolisiert.Einer anderen Deutung nach waren die Sterne Bestandteil des Sternbildes Drachen, und stellten dessen Flügel dar.
Das war mir noch im Gedächtnis geblieben. Ich wunderte mich jedes Mal, wenn ich schon beim ersten Blick das Bild entdeckte und mit dem Finger die Linien nach fuhr. Auch dieses Mal fuhr ich mit meinem Finger in der Luft die Linien von Stern zu Stern. Ich dachte an den „Drachen“, den wir gesehen hatten und stellte mit dann einen richtigen Drachen vor. Blaue Augen, majestätische Flügel, ein Muster aus blauen Zacken auf seiner dicken Haut und ein Maul mit spitzen Zähnen. Als ich fertig war sah es so aus, als würde man meine Linien tatsächlich im Himmel sehen. Als würde genau dieser Drache, den ich mit vorstellte, dort oben im Himmel leuchten. Ich rieb meine Augen und dann war es auch schon wieder weg. Dann war es wohl nur meine Einbildung, dachte ich mir.
Ich betrachtete noch für einige Minuten den Sternenhimmel um den großen Wagen zu suchen, doch ich fand ihn nicht, wie fast immer, und schloss müde meine Augen. Als wäre ich vor zwei Sekunden eingeschlafen wachte ich auch schon wieder auf.

Ich rieb mir verschlafen die Augen und versuchte angestrengt nachzudenken, ob ich irgend etwas geträumt hatte. Doch nach ungefähr einer Minute Schläfe massieren und in mich gehen, hatte ich immer noch keinen Gedankenblitz und ich gab auf. Ich hatte schon lange nicht mehr darüber nachgedacht, doch heute war mir irgendwie danach. Der Arzt meinte damals, dass jeder Mensch träumt, es aber direkt beim Aufwachen wieder vergesse. Doch das war nicht das Einzige. Ich fühlte mich immer so leer, so ausgelaugt, wenn ich erwachte. So als wäre das Schlafen anstrengend gewesen. Aber das verschwieg ich dem Arzt und musste mich damit zufrieden geben, dass ich nichts dagegen unternehmen konnte. Ich raffte mich auf und blickte erst einmal herum und war erleichtert, das wieder so schönes Wetter war. Für den Herbstanfang war es noch relativ warm. Ich schätzte die Temperatur auf fünfzehn Grad und sandte dem Himmel ein dankbares Gebet, dass es nicht regnete oder eiskalt war. Ich sammelte mich und kramte mein Handy aus der Handtasche um nach der Uhrzeit zu sehen. Viertel vor neun war es erst und ich machte mich sofort auf den Weg. Welchen ich einschlagen sollte, wusste ich zwar nicht, aber ich suchte mir einfach einen aus und klammerte mich an einen kleinen Funken Hoffnung, dass der Wald bald aufhören würde. Also trottete ich den Waldweg entlang und dachte dabei an Chloé. Wieso war sie nicht zurückgekommen? So leicht kann man sich doch nicht verlaufen, wenn man mal muss. Aber sie war schon immer ein verwirrter Mensch gewesen, deswegen würde es mich gar nicht so wundern. Ich wollte gerade tief ausatmen, als ich mich vor Schreck beinahe verschluckte. Ein lautes „buff“ ertönte und die Erde bebte für einen kurzen Moment. Verwirrt schaute ich mich um und suchte den Grund für den lauten Knall und das Beben. Etwa zehn Meter von mir entfernt sah ich eine Staubwolke und vermutete, dass es wohl dort passiert war.
Ich schlich mich langsam heran – man konnte ja nie wissen was da gelandet war - und lukte durch das Gebüsch hindurch, das vor mir war. In einer kleinen Lichtung entdeckte ich etwas auf dem Waldboden, etwas großes. Es hatte einen schlangenartigen Schwanz, große Tatzen mit riesigen Krallen daran und richtig schuppige Haut. Einige Sonnenstrahlen fielen auf dieses große Etwas und ließ es gold-blau glänzen. Fasziniert von diesem Farbenspiel musste ich näher an dieses Wesen heran um mehr herauszufinden. Mit leisen Schritten ging ich darauf zu und blieb erschrocken stehen, als es sich bewegte. Doch es war nur ein Zucken, das auch schon nach einigen Sekunden vorbei war. Es lag wieder regungslos da und ich näherte mich dem Wesen bis ich nur noch einen halben Meter entfernt stand. Ein leichtes Kribbeln ging durch meine Hand und blieb an meinen Fingerspitzen hängen, als ich die Haut berührte. Es fühlte sich an, als würden tausend kleine elektrische Stöße durch meine Finger fließen. Doch dann erhob sich das Wesen langsam, während meine Hand herunter glitt. Nun sah ich es, voll und ganz. Und erkannte es. Es war ein Drache


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Tag der Veröffentlichung: 25.12.2011

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