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Prolog

Es war dunkel, lediglich ein paar Straßenlampen sorgten für ein gedämpftes Licht, was mir aber nicht viel weiter half. Ich ging langsam, mit halb zugekniffenen Augen weiter, damit ich wenigstens den Bürgersteig erkennen konnte. So, nur noch ein paar Meter und ich hätte es bis nach Hause geschafft. Hundert Meter müsste ja sogar ich im Dunkeln hinbekommen...dachte ich. Ich hätte nur noch die Straße überqueren müssen. Mit der Betonung auf "hätte". Ich schaute also nach links, rechts und bewegte mich dann vorwärts. Doch bis auf die andere Straßenseite bin ich nie gekommen. Während ich mitten auf der Straße stand, kam von links irgendein Fahrzeug angefahren. Welches, das weiß ich nicht. Ich konnte nur die grellen Lichter erkennen, die sich rasend schnell auf mich zubewegten. Die Zeit, die ich noch gebraucht hätte, um wegzuspringen. Die Zeit, damit mich das Auto nicht gefasst hätte. Diese Zeit habe ich nicht bekommen. Noch bevor ich irgendwas tun konnte, kamen die Lichter immer näher, so wurden immer größer und schluss- endlich waren sie genau vor meinen Augen. Nur einen Bruchteil einer Sekunde später wurde alles schwarz vor meinen Augen.

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Wer war dieses Mädchen, welches ich vor mir im Spiegel sah? Bin das wirklich noch ich? Francesca, Frankie, 17 Jahre alt, wellige Haare, bis unter die Brust reichend, groß, schlank. Meist gut gelaunt, strahlendes Lächeln, witzig, aber auch immer für einen da, sobald man sie brauchte. Doch das Mädchen sah ganz anders aus. Dunkle Augenringe, krausige Haare, ungepflegt. Mundwickel nicht mehr hoch, sondern runter gezogen, witzig war sie seit Tagen nicht mehr und helfen musste man jetzt ihr. Ja, dieses Mädchen hatte sich verändert. Daran war nicht zu zweifeln. Ihr Leben war bis vor ein paar Tagen nahezu perfekt gewesen. Eine Familie, die immer zu ihr stand, Freunde, die andere sich nur wünschen konnten, eine perfekte Schülerin und zu Hause auch die perfekte Tocher. Doch jetzt? Von alle dem war nichts mehr zu sehen. Alles hatte sich geändert. Eine ganze Welt war zusammen gebrochen. Und niemand, wirklich niemand, weiß, wer wirklich daran schuld gewesen ist. Aber dieses Mädchen im Spiegel, das war immer noch ich, trotzdem würde ich niemals mehr so sein können wie früher. Mein strahlendes Lächeln, würde man es jemals wieder sehen? Zu diesem Zeitpunk hätte niemand daran geglaubt, denn das Einzige, was ich momentan konnte, war heulen. Heulen, bis wieder die Nacht anbrach und ich mich irgendwie in den Schlaf weinte. Dazu noch ein paar Beruhigungspillen, die doch nicht helfen, die ich aber meinen Eltern zu liebe schluckte. Ihr wollt wissen, was in einem Leben passieren muss, damit man so tief sinken kann? Was passieren muss, dass sie das ganze Leben innerhalb weniger Sekunden total verändern kann? Wieso ich nie mehr so sein kann, wie früher? Ich werde euch die ganze Geschichte von Anfang an erzählen. Vor genau fünf Tagen hatte der Albtraum begonnen. Ich machte mich, wie jeden Wochentag, fertig für die Schule und wartete darauf, dass mich Veronika abholte. Veronika war schon seit der Grundschule meine beste Freundin und wir wussten wirklich alles von einander. Dazu kam, dass sie auch nur hundert Meter von mir weg wohnte und wir uns so, auch in der Freizeit, immer sehen konnten, wann wir wollten. So war es auch gestern gewesen. Wir hatten noch zusammen Pizza gebacken, dann einen Film geschaut und gegen 22 Uhr ging sie dann nach Hause. Was sollten unsere Eltern schon groß sagen? Veronikas sind mit ihrem Job beschäftigt und meine sind wie eine zweite Familie für meine Freundin. Viel sagen können sie also nicht. Auch als ich schon eine Kleinigkeit gegessen hatte, war sie immer noch nicht da. Normalerweise ist sie immer überpünktlich und muss auch mich warten, deshalb machte ich mir schon so meine Gedanken. Als ich dann auch noch fertig im Flur auf der Treppe saß und sie noch immer nicht da war, verstand ich die Welt nicht mehr. Wäre sie krank, wüsste ich das schon lange. Hätte sie verschlafen, wäre wenigstens eine SMS angekommen. Doch nichts, keine Meldung, rein gar nichts. Verwundert über dieses Verhalten, entschloss ich mich dazu, dass es dann heute dann zum erstem Mal an mir wäre, und ich würde sie abholen. Eigentlich war es ja auch nicht schwer. Ich würde einfach bei ihr vorbeischauen und sie abholen. Doch so einfach die Vorstellung auch war, so schlimm war das Vortreffen, welches alle meine Vorstellungen übertraf. Was meine Vorstellungen eigentlich waren? Verspätung, sie hatte verschlafen, das übliche, alltägliche halt, aber ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass das auch hätte passieren können. Ich meine, das passiert in Filmen, und wenn es mal Realität wird, dann geschieht es anderen Familien, aber doch nicht mir! Ich ging also hinaus, samt Schultasche, weil wir eh schon spät dran waren. Joggte über die Straße und trottete die restlichen paar Meter weiter, bis ich schlussendlich vor ihrer Haustür stand. Ich nahm an, dass sie mir die Tür öffnen würde, weil ihr Eltern, mal wieder, nicht da waren. Ihre Mutter, Stewardess, musste mitten in der Nacht weg. Für eine Woche nach New York. Ihr Vater, Pilot, ging heute morgen. Für 3 Tage nach Brasilien. Eigentlich ist sturmfrei etwas tolles, doch Veronika blieb meistens bei meiner Familie, wenn ihre nicht da war. Trotz Schule übernachtete sie dann auch bei uns. Gestern Abend ging sie nur nach Hause, um sich dann zu verabschieden, sonst wäre sie bei mir geblieben. Ein Fehler? Hätte sie früher "Tschüss" sagen und nicht nach Hause gehen sollen? Dann wäre das alles doch gar nicht passiert, oder? Schließlich klingelte ich an der Tür und wartete, wartete auf eine strahlende Veronika, die sich für ihre Verspätung entschuldigen und dann mit mir in die Schule gehen würden. Jedoch erwartete mich statt meiner besten Freundin ihre Mutter. Als wäre das nicht schon Verwunderung genug, waren ihre Augen rot, ihre Wangen voller Wimperntusche und sie heulte Rotz und Wasser. Bevor ich mich auch nur fragen konnte, was denn nun los sei, fiel mir meine Tasche sprachlos auf den Boden und mein Mund blieb offen stehen, denn es kam kein Ton heraus. Der Grund waren die beiden Polizisten, die hinter Veronikas Mutter aufgetaucht waren. Und die trugen ihre Mützen nicht auf dem Kopf, sondern in den Händen und dies bedeutete immer nur eines: sie war tot. Meine beste Freundin, meine Nika, die ich seit meinem dritten Lebensjahr kannte. Die Veronika, die mir immer zu Seite stand, egal bei welchem Problem. Die Veronika, mit der ich lachen und weinen konnte. Die Veronika, die einfach meine beste Freundin war. Ja sie war tot.

2

Wenig später saß ich in Veronikas Wohnzimmer auf dem Sofa, neben mir ihre Eltern und vor mir stand schon seit gefühlten drei Stunden die Polizei. Ich hatte mich immer noch nicht beruhigt und hatte es eigentlich auch nicht vor. Ich meine, das konnte doch echt alles nicht wahr sein, was sich hier abspielte. Veronika würde sicherlich jeden Moment hinein kommen, mich anlächeln, mit mir quatschen. Doch ich wusste auch, dass dies nicht so war. "Die Realität sieht anders aus, Frankie! Begreife es endlich!" redete ich mir immer wieder ein, doch ich konnte es nicht verstehen. Von heute auf morgen, von der einen auf die andere Sekunde war sie einfach weg. "Und dass du die hundert Meter gut überlebst." Meine letzten Worte, welche an sie gerichtet waren. Gestern Abend, kurz bevor sie gegangen ist. Dann hatte sie noch gelacht, sich verabschiedet und war schlussendlich in der Dunkelheit verschwunden. Worüber wir uns immer wieder lustig gemacht haben, genau das wurde ihr zum Verhängnis. In den hundert Metern, die unsere beiden Häuser entfernt liegen, war ein Unfall passiert. Doch war es eigentlich ein Unfall gewesen oder nicht? Obwohl ich es immer noch nicht so richtig akzeptiert hatte, dass ich meine beste Freundin nie mehr wiedersehen würde, fingen meine Zweifel an einem Unfall jetzt schon an. Von der Polizei her wussten wir jetzt nur, dass sie auf der Stelle tot war und es das Auto wohl sehr eilig hatte. Doch ich kannte meine Straße. Abends fuhr hier niemand herum und wenn, dann immer schön langsam. Es konnte also kein Unfall gewesen sein! Doch der Gedanke, dass es jemand auf Veronika abgesehen hatte, ließ es mir eiskalt den Rücken herunter laufen. Mord an meiner besten Freundin, wer würde so etwas nur tun? Auch wenn ich mir die Frage nicht beantworten konnte, mein Gefühl sagte mir, es war Mord und mein Gefühl hatte mich in meinem siebzehn Jahren Lebenszeit noch nie enttäuscht, also würde es es jetzt auch nicht tun. Nicht in einer solchen Situation.

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Tag der Veröffentlichung: 15.07.2012

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