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1. Kapitel

1.
„Ich glaube, du hast einen Verehrer“, raunte Melissa mir ins Ohr und schaute dabei an mir vorbei in Richtung der Fensterfront des kleinen Cafés, in dem wir beide als Kellnerinnen arbeiteten. Ich folgte ihrem Blick und sah dort diesen arroganten Typen sitzen, der mich am Vortag wegen eines klitzekleinen Kaffeespritzers zur Schnecke gemacht hatte. Er trug einen Anzug, der an seinem athletischen Körper wie angegossen saß. Dazu hatte er schon von weitem teuer aussehende Lederschuhe an. Vermutlich irgend so ein Schnösel von Geschäftsmann, der glaubte, ihm gehörte die Welt. Wie ich solche Männer hasste. Ich hatte schon oft mit seinesgleichen Dates gehabt und es hatte mir immer einen Heidenspaß gemacht, sie anschließend eiskalt abblitzen zu lassen. Das war überhaupt der Grund, weshalb ich mich auf ein Treffen mit ihnen einließ. Dieser hier schien jedoch kein Interesse an mir zu haben. Zumindest hatte er mich gestern, als er sich so aufgeregt hatte, überhaupt nicht richtig wahrgenommen. Seine Blicke hatten mir zu verstehen gegeben, dass er in mir lediglich eine unterbelichtete und unfähige Bedienung sah. Zu blöd, dass ich in meinem Job dazu verpflichtet war, immer freundlich zu sein, sonst hätte ich diesem eingebildeten Mann gehörig die Leviten gelesen.
„Er gefällt dir?“, fragte meine Kollegin und sah mich mit einem wissenden Lächeln an.
„Um Gottes Willen nein, ich hasse ihn. Er hat mich gestern so runtergeputzt und mir dadurch den ganzen Nachmittag verdorben.“
„Du darfst dir das Fehlverhalten unserer Gäste nicht immer so zu Herzen nehmen, Süße“, erwiderte sie und sah mich mitfühlend an. Sie hatte ja recht, in unserem Business gehörte es einfach dazu, sich ein dickes Fell zuzulegen, denn bei einigen unserer Gäste, die glücklicherweise die seltene Ausnahme waren, hatte man den Eindruck, dass sie nur auf das Haar in der Suppe warteten, um ihren Aggressionen freien Lauf lassen zu können. Diese Menschen hatten ein echtes Problem, das rein gar nichts mit mir zu tun hatte. Das wusste ich und konnte es mir immer wieder sagen und doch blieb ich nicht unberührt, wenn sich ihr Frust gegen meine Person richtete.
„Was auch immer diesem heißen Kerl gestern über die Leber gelaufen ist, heute jedenfalls beobachtet er dich ständig“, teilte Melissa mir mit einem breiten Grinsen mit.
„Wahrscheinlich wartet er nur darauf, dass mir wieder ein Missgeschick passiert“, bemerkte ich und sah noch einmal mit bösem Blick in Richtung des besagten Mannes.
In diesem Moment hob er gerade den Kopf, woraufhin wir uns kurz anstarrten, bis er mir zuzwinkerte und ich mich demonstrativ genervt von ihm abwandte. Es war mir dabei total egal, ob der Kunde König war. Dieser Mann hatte kein Lächeln verdient. Wahrscheinlich hatte er schon wieder vergessen, dass ich diejenige war, die sein teures Designerhemd beschmutzt hatte, wobei der Fleck, den ich verursacht hatte, nur mit einer Lupe zu finden gewesen war. Der Typ war eindeutig extrem penibel. Eine Eigenschaft, die ich so wenig leiden konnte wie Arroganz. Und jetzt glaubte er vermutlich, dass wenn er mir einmal zuzwinkerte, ich ihm sofort verfiel. Er sah zugegebenermaßen ziemlich attraktiv aus. Dunkles, volles Haar, das ihm bis zu den Ohren reichte, markante Gesichtszüge, hohe Wangenknochen und ein trainierter Körper, der sich unter dem Stoff seines Hemdes erahnen ließ, sorgten dafür, dass er die Blicke der Frauen auf sich zog. Aber was nützte der schöne Schein, wenn sich dahinter ein mieser Charakter verbarg.
„Ich glaube unser Leckerbissen will noch etwas bestellen“, bemerkte Melissa und sah mich schmunzelnd an.
„Na dann viel Spaß“, sagte ich betont gleichgültig und wischte mit einem feuchten Tuch energisch das letzte Staubkorn von der Theke.
„Da er offensichtlich auf dunkelhaarige Frauen steht, überlasse ich ihn dir ganz selbstlos“, entgegnete meine Kollegin, die normalerweise mit ihren hellblonden Haaren, ihren blauen Augen und ihrer kurvigen Figur die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zog.
„Ach, der macht in deinem Fall doch bestimmt eine Ausnahme, was seine Vorlieben betrifft“, ermutigte ich sie und suchte verzweifelt nach einer Aufgabe, die ich stattdessen übernehmen konnte. Nach dem Mittagsansturm waren nur wenige Plätze besetzt und alle Anwesenden, außer dem Business-Schnösel, waren, wie es aussah, fürs erste wunschlos glücklich.
„Mir hat er aber nicht mit Blicken schon die Klamotten vom Leibe gerissen“, konterte Melissa.
„Er hat bitte was?“, rief ich erschrocken und nahm dabei aus dem Augenwinkel wahr, dass Mr. Arrogant neugierig zu uns hinüber schaute. Sollte er sich doch lieber wieder seinen Geschäftsunterlagen zuwenden, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte, als irgendwelchen Kellnerinnen hinterher zu sabbern. Vermutlich hatte er eine stressige Zeit gehabt und dabei gewisse körperliche Bedürfnisse vernachlässigt, so dass er nun unter akutem Notstand litt.
„Es ist wirklich besser, wenn du gehst, wenn du mir helfen möchtest, diesen Job zu behalten.“
„Tja, wenn du ihn dir durch die Lappen gehen lassen willst. Ich hätte ja nichts gegen ein Date mit ihm einzuwenden. Er ist mit Abstand der attraktivste Mann, der dieses Café, seit ich hier arbeite, betreten hat.“
„Darf ich dich an den gut gebauten Mann von Montag erinnern, der dir nach eigenen Aussagen fast den Verstand geraubt hat.“
„Ok, der ist außer Konkurrenz und deshalb habe ich ihn gar nicht mitgezählt.“
Spielerisch haute ich daraufhin mit meinem Putzlappen in Richtung ihres Pos, was wiederum zur Folge hatte, dass der Mann am Fenster uns regelrecht anstarrte. Ging es noch?
Während Melissa sich ihren Bestellblock schnappte und mit wogenden Hüften zu dem Gast lief, kümmerte ich mich um das Nachfüllen der Kaffeemaschine. Und da meine Neugierde mich mal wieder übermannte, konnte ich nicht umhin, die beiden zu beobachten. Meine Kollegin war, wie nicht anders zu erwarten, ganz in ihrem Flirtmodus. Ich kannte es schon, wie sie sich dabei immer wieder eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr strich, den Kopf beim Lachen in den Nacken riss und ihren Hals frei legte. Dieses Verhalten hatte ihr bereits unzählige Telefonnummern eingebracht und ich war mir sicher, dass sie die eine oder andere schon gewählt hatte, denn sie war kein Typ, der etwas anbrennen ließ. Insgeheim sehnte sie sich zwar nach der großen Liebe mit einer finalen Hochzeit, traf aber in der Regel Männer, die vor diesem alles entscheidenden Schritt erst noch ihre Freiheit genießen wollten und in ihr genau die richtige Partnerin dafür sahen. Ein Dilemma, dem schon viele Taschentücher zum Opfer gefallen waren. Der Mann, den sie sich jetzt auserkoren hatte, bildete da bestimmt keine rühmliche Ausnahme. Auch er schien mit ihr zu flirten. Sein Hundert-Watt-Lächeln wirkte routiniert und hatte ihm wahrscheinlich schon einige Erfolge beim anderen Geschlecht beschert. Nun wartete ich nur noch auf den Moment, in dem er sich zu meiner Kollegin vorbeugte und ihr seine Nummer zusteckte. Stattdessen blickte er jedoch plötzlich zu mir und seinem süffisanten Grinsen nach zu urteilen, war ihm sehr wohl bewusst, dass ich ihn die ganze Zeit über betrachtet hatte.
Mit heißen Wangen widmete ich mich schnell wieder meinen Kaffeebohnen, die ich ja eigentlich in die Maschine füllen wollte. Verdammt, genau deshalb war es keine gute Idee andere zu beobachten, insbesondere Männer, die ihre Wirkung auf die Frauenwelt gern überschätzen.

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Tag der Veröffentlichung: 24.02.2016

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