Es ist kalt, letzte Nacht hat es das erste Mal dieses Jahr geschneit. Viel Schnee. Wollte eigentlich noch einen Spaziergang machen. Wenn der Schnee unter den Füssen knistert, Spuren hinterlassen, wo noch keine sind. Die kalte Luft einatmen und spüren wie belebend sie in die Lunge strömt. Der idyllische Anblick der verschneiten Landschaft ist immer einzigartig, ruhig, friedvoll. Hab mir in den letzten Jahren nie Zeit dafür genommen. Würde gern einmal einen Schneeengel machen. Hab es nie getan, auch als Kind nicht. Warum eigentlich? Hatte doch immer Fantasie, konnte aus den kleinsten Sachen ein grosses Abenteuer zaubern. Hab jeden Baum erklettert, jede Pfütze durchquert. Bin auf dem Stuhl durch die Prärie geritten und hab mit Indianern im Gras gelegen. Drachen getötet und die Hexe vertrieben. Im See nach versunkenen Schätzen getaucht, mit den Fischen getanzt und den Wal gegrüsst. Hinter jedem Zaun war eine Burg die einen Ritter brauchte. Den ganzen Tag unterwegs, um neue Gebiete zu erobern, neue Heldentaten zu vollbringen. Das Leben ein Abenteuer.
Nicht jedes Abenteuer geht gut aus. Nicht jeden Feind kannst du besiegen, nicht jeden Kampf gewinnen.
Es fängt leise wieder an zu schneien, die Flöckchen tanzen vor meinen Augen. Tanzen, hab so gern getanzt. Jeden Rhythmus gespürt, jede Note gefühlt. Im Kreis, durch den Garten, tanzen bis die Füsse nicht mehr wollten. Einen Tanzkurs belegen, tolle Idee. Ist mir nie in den Sinn gekommen. Mein Vater tanzte, wie Väter halt tanzen. Oft war ich auf seinem Arm, hab mich an seinen Hals geschmiegt. Tanzten durch die Werkstatt, festumschlungen, geborgen. Lachten und weinten. Er war ein so liebevoller Mann, nie ein böses Wort, geduldig. Er war mein Held, mein Ritter, mein König. Seine Prinzessin ist nicht mehr da, ging verloren auf ihrer Reise durchs Leben. Würde er sie auch heute noch lieben?
Wird er mich begrüssen, mich halten? Kann er mir verzeihen?
Die Flocken verschwinden in die Dunkelheit, Dunkelheit die mich umhüllt.
Keine Kälte mehr.
Kein Schmerz mehr.
Stille, unendliche Stille.
…
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2021
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für die Erinnerung.
Mögest du begleiten nicht aber führen.