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1. Meine Schwester, mein armseliges Leben und ich!

Müde kralle ich mich an meine Bettdecke und kneife die Augen fest zu.

„Adrian, jetzt steh endlich auf!“, brüllt meine Mutter aufgebracht, während ich versuche mich schlafend zu stellen.

„Mama, ich bin kraaaaank….“, gebe ich leidgeplagt zurück und versuche eine heisere Stimme aufzusetzen.

Um ehrlich zu sein, bin ich nicht krank, aber heute ist der Tag, den ich schon seit Wochen fürchte.

 

Ich habe ihn mir sogar rot im Kalender angestrichen und das ganze Feld mit bösen Smileys und Gewitterwölkchen versehen. Heute ist das Sportturnier in der Schule, und ich bin die wahrscheinlich unsportlichste Person auf der Welt, was Ballsportarten angeht, insbesondere Volleyball. Ich kann diesem Sport einfach nichts abgewinnen und habe Angst vor dem Ball. Besonders viel Praxiserfahrung habe ich auch nicht, da ich mich immer als Auswechselspieler durchgemogelt habe. Aber meine Lehrerin will mich unbedingt mal in Aktion sehen, ausgerechnet beim Turnier! Ich werde mich also ziemlich blamieren.

„Komm stell dich nicht so an!“ Und mit einem Mal habe ich keine Decke mehr, an die ich mich krallen kann.

„Ich bin wirklich krank! Mama, bitte lass mich Zuhause!“ Im Prinzip ist das nicht mal gelogen, etwas flau im Magen ist mir wirklich.

„Du hast fünf Minuten!“ Mit diesen Worten verlässt sie fluchtartig den Raum, mit meiner Bettdecke unter dem Arm. Müssen Eltern eigentlich immer so übertreiben?

Genervt reiße ich die Tür zu meinem Kleiderschrank auf und ziehe mir die erst besten Kleidungsstücke heraus. Bei dem Gedanken an das Turnier schüttelt es mich immer wieder. Vielleicht sollte ich schwänzen. Ich würde zwar Ärger in der Schule bekommen, aber das Schuljahr ist so gut wie vorbei und ich werde wohl sitzen bleiben, von daher könnte es mir eigentlich egal sein…


Jaja ich und die Schule…ich bin halt alles andere als ein Lehrerliebling!


Ich mache meine Hausaufgaben meistens nicht, beteilige mich nicht im Unterricht, kämpfe jedes Jahr aufs neue um die Versetzung, und habe eine nette Summe an Fehltagen. Aber was soll ich machen? Selbst wenn ich mich bemühen würde, wäre ich trotzdem schlecht.

 

Ich bin halt einfach strohdoof und außerdem sind meine Mitschüler meistens ziemlich gemein zu mir, das hebt meine Motivation natürlich nicht besonders an. Das soll jetzt nicht so klingen, als würde ich mich im Selbstmitleid verlieren, aber meine Grundsituation sieht einfach nicht besonders rosig aus.


Meine Zwillingsschwester ist eigentlich mein genaues Gegenteil…die ist superfleißig, superbeliebt und hat auch immer ganz tolle Noten.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe sie und verstehe mich super mit ihr, aber es nervt ständig mit ihr und ihren guten Noten verglichen zu werden.

„Na da bist du ja endlich!! Hättest du dich nicht etwas mehr beeilen können?!“, hetzt mich die Stimme meiner Zwillingsschwester Kathleen, als ich mich mühsam über den schmalen Flur quäle.

„Jaja ich hoffe auch dass du gut geschlafen hast….“, murmele ich ihr beleidigt entgegen.

„Na komm der Schulbus fährt in drei Minuten!“

„Dann geh doch schon mal vor, ich komme gleich!“, grinse ich.

„Das hättest du wohl gerne, Mama hat gesagt ich soll dafür sorgen das du heute zur Schule gehst…immerhin hast du schon weit über fünfzig Fehltage…“

Enttäuscht stehe ich vor unserem Schulbus und sehe meine Schwester vorwurfsvoll an, die gerade mit einem breiten Grinsen den Bus betritt. Wir haben den Bus also tatsächlich noch gekriegt, na welch eine Freude!


Im Bus ist es wie immer laut und muffelig, wie sehr ich verschiedene vermischte Körpergerüche nicht hasse.

Kathleen und ich sitzen wie immer hinter Franzi und Kira, zwei gute Freundinnen von uns. Irgendwie bin ich schon immer am besten mit Mädchen klargekommen, ich habe auch eigentlich nur weibliche Freunde. Jetzt müsste man zwar denken, dass ich voll der Weiberheld bin, aber das ist nicht so. Eine feste Freundin hatte ich noch nie, dabei bin ich 16 und damit wahrscheinlich ein Spätzünder. Aber eigentlich stört mich das nicht wirklich, denn ich will auch gar keine Freundin haben. Auch wenn Lynn, so nenne ich meine Schwester manchmal wenn mir Kathleen doch zu lang wird, mich ständig versucht mit Franzi zu verkuppeln. Aber ich habe noch kein Interesse an Frauen, dann bin ich eben spät dran, mir egal. Lynn ist da ganz anders, sie ist immer in irgendjemanden verliebt und hat auch schon öfters einen Freund gehabt.

Die ganze Busfahrt über muss ich an das Turnier denken und wie unangenehm es mir sein wird.
Wie damals als mein Vater mich immer mit auf den Fußballplatz genommen hat, weil er sich schon immer einen Sohn gewünscht hat, dem er das Fußball spielen beibringen kann. Denn letztendlich ist es ja auch normal für Jungs, dass sie in einem Sportverein sind und Fußball, Basketball oder ähnliches spielen.

 

Ich habe diese Sonntage auf dem Fußballplatz unglaublich gehasst! Denn schließlich bin ziemlich unsportlich und kann überhaupt nicht mit Bällen umgehen. Sowieso ist mir dieser Sport viel zu brutal, anstrengend und man stinkt danach nach Schweiß. Aber mein Vater wollte das nie verstehen und damit waren Sonntage für mich eine Prozedur!
Zu meinem achten Geburtstag hat er mir dann einen Platz im Verein geschenkt, damit ich auch richtig gegen andere Jungs spielen kann. Ich weiß noch ganz genau wie ich an dem Abend im Bett angefangen habe zu weinen, weil ich die Vorstellung so schlimm fand zweimal die Woche mit anderen Jungs Fußball zu spielen, plus die Sonntage mit meinem Vater und den anderen Vätern mit ihren Söhnen. Jedes Mal vor dem Training hatte ich Bauchschmerzen, da ich total schlecht war, von den anderen Jungs geärgert und vom Trainer angeschrien wurde.
Ich wäre viel lieber mit zum Klavierunterricht von Kathleen gegangen, ich glaube das hätte mir wirklich Spaß gemacht! Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie neidisch ich immer gewesen bin, wenn sie dienstags von Mama zum Klavierunterricht gebracht wurde und ich mich für mein Fußballtraining fertig machen musste.

Aber ich konnte meinen Eltern leider nie sagen wie sehr ich Fußball hasse und dass ich viel lieber ein Instrument lernen würde oder so, denn mein Vater hat darauf bestanden dass ich Fußball spiele. Immerhin bin ich ein Junge und muss lernen ein richtiger Mann zu werden!

Ich hätte mir das gar nicht erlauben können und bin auch eigentlich nur erlöst worden, weil mein Vater seinen Arbeitsplatz verloren hat und wir uns die Monatsbeiträge nicht mehr leisten konnten.

 

„Adrian?! Wir sind da! Willst du nicht mit aussteigen?“, rüttelt mich Franzi aus meinen Gedanken.

 

„Ehm . Also wenn du mich schon so fragst…eigentlich nicht…“, murmele ich ihr entgegen, doch bevor ich mich wieder entspannt in den Sitz zurücklehnen kann, packt Lynn mich am Arm und zerrt mich genervt aus dem Bus. Dass die mal wieder kein Verständnis für meine Lage hat war mir klar, die ist ja auch so eine Sportskanone….manchmal ist es kaum zu glauben dass wir verwandt oder sogar Zwillinge sind. Irgendwie hat sie etwas Perfektes an sich, eben genau das Gegenteil von mir. Manchmal wünschte ich, ich könnte so sein wie sie.

Grimmig sehe ich mir die Volleyballfelder an und schnuppere ungewollt von der ungeliebten Turnhallenluft. Je länger ich mir die Felder ansehe, desto unangenehmer wird mir der Gedanke dort gleich stehen zu müssen.

„Adriaan! Das ist ja wunderschön dass du da bist! Dann wollen wir dich gleich mal so richtig in Aktion sehen!“, trällert mir meine Sportlehrerin entgegen, als sie auf mich zu kommt.

„Naja…um ehrlich zu sein kann ich nicht spielen…mein ähm…Bauch tut weh!“, lüge ich.

„Ach Adrian, ich muss dich heute spielen sehen, sonst werde ich dir eine fünf geben müssen!“

„Dann tun sie das doch bitte…ich bleibe eh sitzen!“ Ich bin schon ganz schön armselig…

„Na komm….du bist in der blauen Mannschaft, wie abgesprochen. Da vorne sind deine Teamkollegen!“ Mit dem Finger zeigt sie auf eine Gruppe von Mitschülern und gibt mir mit der anderen Hand ein blaues T-Shirt.

 

Och nee…nicht auch noch die….natürlich bin ich mit den sportlichsten Jungs aus unserer Klasse in einer Mannschaft. Na super!

„Also sieh ja zu dass du es nicht verhaust!“

„Genau, reiße dich zusammen!“

„Blamier uns nicht!“

Diese und ähnliche Sätze werden mir gleich aufbauend gegen den Kopf geworfen, das wird ja immer besser. Ich weiß schon warum ich nicht mit Jungs befreundet bin, die sind nämlich einfach nur gemein!

Nachdem wir uns ein wenig warm gemacht haben, kommt Lynni total aufgeregt auf mich zugerannt, und kreischt mir beinahe hysterisch ins Ohr, dass ich bloß auf den großen schwarzhaarigen Typen achten solle, er heiße Ivan und sei sooooo süß! Sie hätte sogar bald ein Date mit ihm….na herzlichen Glückwunsch. So langsam kann ich mir diese ganzen Namen auch gar nicht mehr merken….Maik da…Tobias hier…Dennis dort….und so weiter….

Als es dann los geht, soll ICH natürlich gleich den Aufschlag machen.


Ich spüre wie alle Augen auf mich gerichtet sind, nervös halte ich den Volleyball in der Hand und versuche die Blicke zu ignorieren. Besonders fällt mir der zweifelnde Blick von diesem Ivan auf, welcher gleich beginnt schadenfroh zu grinsen, als er bemerkt dass ich ihn anstarre. Na danke, jetzt geht es mir schon gleich viel besser, aber du wirst schon sehen! Ich kriege das hin!

Mit viel Kraft und Elan haue ich gegen den Ball und er bewegt sich auch tatsächlich in die Luft, nur leider knallt es kurz darauf einmal heftig und ich sehe wie der Ball von der Decke abprallt.

 

„1:0 für die Jungenmannschaft der 11ten!“ Ruft der Schiedsrichter durch die Halle.

 

Dieser doofe Ivan fängt natürlich sofort an zu lachen, so ein Idiot! Kann ja schließlich nicht jeder so sportlich sein wie er!

Den nächsten Aufschlag macht gleich dieser Affe, mit einem selbstverliebten Grinsen zeigt er mir, dass er es so viel besser kann. 2:0 für die Jungenmannschaft der 11ten!
Ja, den Ball konnte ich halt nicht abwehren und so geht es dann das ganze Spiel weiter. Ich verhaue einfach jeden Ball und er macht sich darüber lustig, und den findet meine Schwester so toll? Weiß sie eigentlich mit was für einem Idioten sie es da zu tun hat? Anscheinend nicht, denn sie jubelt jedes Mal wenn er irgendwas gut macht…anstatt MICH mal ein wenig aufbauend anzufeuern. Na danke auch!

Direkt nach Abpfiff stürme ich sofort in die Umkleidekabine. Ich will jetzt nur noch alleine sein, hoffentlich kommen die anderen nicht so schnell hinterher. Sauer ziehe ich mir mein doofes Trikot aus und schmeiße es fluchend in die nächste Ecke. Ich hasse diese scheiß Schule!

Plötzlich öffnet sich die Tür und jemand tritt herein.

„Hehe hast gut gespielt!" Lacht eine schadenfrohe Stimme hinter mir. Ganz langsam drehe ich mich um und laufe sofort rot an, als ich meinen Gegenüber erkenne. Dieser Ivan…na toll! Der hat mir gerade noch gefehlt. Mit einem schiefen Grinsen fährt er sich durch seine dunklen Haare und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Na und?! Dafür bin ich halt in anderen Sachen besser!“ Gut so! Immer schön selbstbewusst bleiben, lass dir deine Nervosität bloß nicht anmerken.

Kurz lacht dieser Lackaffe auf und tritt dann ein paar Schritte näher an mich heran. Unmittelbar vor meinem Gesicht macht er halt und starrt mir dann direkt in die Augen. Mein Herz schlägt mir fast schon schmerzhaft bis in den Hals. Für ein paar Sekunden halte ich den Atem an und weiß nicht so Recht wie ich mit der Situation umgehen soll.

„Du hast Angst.“ Grinst Mr. Mystic überlegen und lacht sich dann halb tot, als er meinen irritierten Blick sieht.

„Aha….“ Gebe ich mit trockenem Hals wieder und stolper einen Schritt zurück. Irgendwie finde ich den Typen ganz schön schräg. Wie kommt er denn auf so einen Dreck? Will der mich jetzt total verarschen? Der hält sich scheinbar echt für den Held des Tages!

„Hast aber eine hübsche Schwester.“ Hat er sich sein Grinsen irgendwie angeklebt oder leidet er unter einer unheilbaren Mundwinkelfehlstellung?

„Ehm Danke…“ So jetzt reicht es mir. Ich scheiß auf die Spiele die wir gleich noch haben. Auf Wiedersehen du dämliche Schule! So schnell sehen wir uns nicht wieder!

„Ey wo willst du denn hin? Schon mal was von Duschen gehört?“ Mit einem ziemlich komischen Gefühl renne ich aus der Schule und nehme gleich den ersten Bus, den ich nach Hause kriegen kann.

 

Bloß weg hier.

2. Geschnetzelter Adrian mit leckerer Beilage

 Meine Musik dröhnt laut durch mein Zimmer, ja meine Boxen geben schon einiges her. Ich habe mich zum Glück wieder etwas beruhigt und hoffe inständig dass meine  Mutter nichts von meiner Flucht erfahren wird. Das würde nämlich einen ziemlichen Ärger bedeuten, und für den habe ich zurzeit keinen Nerv.
Ich drehe die Musik noch ein klein wenig lauter, in der Hoffnung mir meine Gedanken an den heutigen Vormittag, und irgendwelche Bestrafungen, komplett aus der Birne pusten zu können.
Hinsichtlich auf den Vormittag klappt das leider nur sehr schlecht. Immerhin bin ich seit zirka einer Stunde dabei sein Gesicht und seinen Blick zu zeichnen, als er direkt vor mir stand.  Ich weiß auch nicht warum ich gerade IHN zeichne, aber ich muss immer alles zu Papier bringen was mich gerade beschäftigt. Zeichnen ist wahrscheinlich das einzige was ich wirklich kann, aber dafür kann ich das auch ziemlich gut. Irgendwie habe ich das Gefühl dass dieses Bild die größte Herausforderung ist, die ich je im künstlerischen Sinne hatte. Denn da gibt es so viel was ich auf dieses Papier bringen muss, reine Linien und Konturen reichen da bei weitem nicht aus. Nein das geht ein Stück weiter, ich muss seine ganze Aura, seinen Blick und sogar seinen Geruch in eine Zeichnung fassen. Das Bild muss Leben haben auch wenn es nur in Schwarz-Weiß ist.
Ein wenig wundern tue ich mich ja schon warum mir das so wichtig ist, aber vielleicht ist es auch erst mal egal. Ich werde den Sinn schon erkennen wenn das Bild fertig ist. Immerhin habe ich schon viele Sachen gezeichnet, über die ich mich im Nachhinein sehr gewundert habe, aber mit meinen Zeichnungen versuche ich halt mich auszudrücken.
Nachdem ich mich ein paar Stündchen meiner Zeichnung hingegeben habe, mache ich die Musik aus und stapfe vorsichtig durch mein unaufgeräumtes Zimmer. Plötzlich fällt mir ein zusammengefalteter Zettel auf, der vor meiner Tür liegt. Den muss wohl jemand durch den Türschlitz geschoben haben. Neugierig öffne ich ihn.

Lieber Adrian,
Da wir von deiner Lehrerin angerufen worden sind, haben wir uns sofort nach Hause begeben. Leider war es nicht möglich dich zu kontaktieren, da du deine Zimmertür abgeschlossen hast und die Musik nicht gerade leise eingestellt hast. Wir haben zwei Stunden damit verbracht an deine Zimmertür zu klopfen und dich zu rufen. Leider erfolglos. Da wir ziemlich erbost über den Anruf waren und sich einige Nachbarn bei uns über die Musiklautstärke beschwert haben, und es trotzdem seit drei Stunden nicht möglich ist dich zu erreichen, hat sich dein Vater ein wenig aufgeregt und seine Wut leider an einigen Haushaltsgegenständen ausgelassen und sich dabei die Hand verletzt.
Wir sitzen am Küchentisch und warten auf dich. Da du weder auf Nahrung, noch auf Sanitäre Einrichtungen verzichten kannst, wirst du dich wohl bald aus deinem Zimmer begeben müssen und dann bekommst du den Ärger deines Lebens, verdammt!

Deine verzweifelten und ziemlich wütenden Eltern…

Kurz muss ich schlucken. Na toll, was mache ich denn jetzt? Ewig werde ich mich hier echt nicht einsperren können und aus dem Fenster fliehen ist unmöglich, da wir im achten Stockwerk eines Mehrfamilienhauses wohnen. Vielleicht sollte ich meine Schwester anrufen und fragen wie die Lage unten in der Küche ist, aber irgendwie will ich gerade nicht mit ihr reden, ich kann gerade einfach nicht ihre Stimme hören.
Aber warum? Weil ihr bescheuerter Idiot mich fertig gemacht hat?  Oder weil er nett zu ihr ist, aber zu mir nicht?
Ach, es kann mir doch eigentlich egal sein was er über mich denkt, ist eh nichts Gutes, wie bei allen anderen Mitschülern auch. Ich bin ja nur die doofe Memme, die nichts auf die Reihe bekommt. Eigentlich kennt mich jeder nur unter >Kathleens Bruder<, so werde ich teilweise sogar von Mitschülern genannt, irgendwie scheint keiner meinen wirklichen Namen zu kennen. Aber Kathleens kennt jeder….argh ich muss damit aufhören. Ich sollte nicht eifersüchtig auf sie sein, immerhin ist sie fast immer für mich da und nimmt mich vor den anderen auch in den Schutz, meistens jedenfalls. Ich sollte es anders rum sehen…was wäre ich nur ohne sie?

„Na, bist du endlich wieder in der Realität angelangt?“ Kommt es  in einem ernsten Tonfall, durch die Tür. Eindeutig meine Mutter. Okay was jetzt?
Ach Mist da muss ich eh durch. Vorsichtig schließe ich die Tür auf und trete durch einen engen Spalt hinaus. Sie muss jetzt ja nicht auch noch den Zustand meines Zimmers sehen.

„Ehh es tut mir sooooooooo leid!“ Jammere ich und setze ein bemitleidenswertes Gesicht auf.

„Es reicht! Bist du dir bewusst dass du deine Zukunft wegschmeißt?! Willst du mal so enden wie wir? Wir haben nie Geld!  Wann wolltest du uns eigentlich von der fünf  in Mathe und der sechs in Chemie erzählen?!!“ Schreit meine Mutter wie eine Furie. Oh man, dabei war ich eigentlich ziemlich glücklich über die fünf in Mathe...wann habe ich dass das letzte Mal geschafft?!

„Hmm…es gab  noch eine zweite sechs in Chemie….außerdem…..liegen Naturwissenschaften mir allgemein nicht….“ Stammele ich und langsam kann ich dem Druck hinter meinen Augen nicht mehr stand halten und lasse die Tränen zu.

„Irgendwie liegt dir gar nichts!“ Weitere Tränen laufen über meine Wange…

„Geh runter zu deinem Vater, der will nochmal mit dir über deine Zukunft und dein allgemeines Verhalten reden, viel Spaß! Außerdem den Musikplayer bist du los!“

„Okay…“ Na das hört sich ja toll an.

Nach  zwei geschlagenen Stunden schlurfe ich niedergeschlagen in mein Zimmer zurück. Irgendwie kann ich Papas Vorträge mittlerweile alle auswendig. Als ich mein Zimmer betrete, sehe ich Lynn auf meinem Bett sitzen, sie scheint auf mich zu warten.

„Na du…schien ja nicht so gut gelaufen zu sein.“ Haha der war gut!

„Ne…wäre ich heute Morgen mal im Bett geblieben!“ Ohjaa das wäre schön gewesen. Dann hätte ich diesen ganzen Ärger nicht gehabt und ich hätte diesen ollen Ivan nicht kennengelernt.

„Ach das bringt doch auch nichts! Du musst doch wenigstens deinen Realschulabschluss schaffen, wenn du danach schon nicht weiter in die elfte möchtest.“ Also das werde ich ganz bestimmt nicht…obwohl ich meinen Eltern schon gerne etwas beweisen würde. Aber dazu bin ich halt nicht geschaffen.

„Ich bleibe doch eh sitzen….außerdem was willst du jetzt hier? Ich will alleine sein!“
Zum Glück ist meine Schwester nicht so hartnäckig und verschwindet genauso schnell wie sie aufgetaucht ist. Mit dem Rücken lasse ich mich auf das Bett fallen und nehme aus der Nachttischschublade meine halbfertige Zeichnung. Ich würde sie wahnsinnig gerne zerreißen aber dann wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen. Eine Weile starre ich sie noch an und schmeiße sie dann zurück in die Schublade. Was war das eigentlich für ein beschissener komischer Tag? Die Gewitterwölkchen auf meinem Kalender hat er alle Ehre gemacht. Und Morgen wird wohl auch nicht besser werden. Ich denke nicht dass ich morgen zuhause bleiben darf und seid dem ich morgens mit Lynn zusammen zur Schule muss, ist Schwänzen ziemlich schwierig geworden.
Dabei will ich diesen Kerl wirklich nie wieder sehen! Ein neuer Grund die Schule zu hassen! Dabei gibt es schon genug Leute, die sich über mich lustig machen, da brauche ich nicht auch noch diesen Vogel!

Vielleicht sollte ich mich ein wenig ablenken. indem ich mir Musikvideos  von meinen Lieblingsbands ansehe, das ist echt eine supergute Ablenkung!
Wenn ich Streit mit meinen Eltern hatte, oder in der Schule geärgert wurde, mache ich mir immer eine Live-DVD von meiner Lieblingsband an, und kuschele mich in mein Bett. Ich schaue mir den Lead-Sänger irgendwie unwahrscheinlich gerne an, ich habe sogar ein Poster von ihm, in der Innenseite meines Kleiderschrankes hängen, damit es auch ja keiner sieht. Das wäre etwas peinlich, immerhin bin ich ein Junge und habe Poster von Sängern in meinem Zimmer, die sonst nur Mädchen haben. Aber nun gut, es weiß ja keiner. Ich kann mir nicht erklären warum ich ihn so gerne habe, aber so bin ich schon immer gewesen. Seitdem ich elf Jahre alt bin faszinieren mich ständig irgendwelche Musiker, über die recherchiere ich dann alles im Internet und lade mir zehntausend Bilder herunter. Was jetzt ja leider nicht mehr möglich ist, denn mein geliebter Computer ist weggesperrt worden. Aber wenigstens kann ich mir noch heimlich Zeitschriften kaufen und die Poster, Interviews und Bilder sammeln. Mann ich bin so ein Freak.

Leider lenken mich heute keine Musiker von Ivan mit seiner doofen Mr. Mystic-Kacke ab. Aber trotzdem vergeht die Zeit wie im Fluge, da ich in meiner Gedankenwelt versunken bin, und hätte fast das laute schreien meiner Mutter überhört.

„VERDAMT! Ich kriege hier nochmal die absolute Kriese mit euch!!!! ES REEEEICHT!!!“ Tatsächlich dringen ein lautes Kreischen und ein wildes Geschepper aus der Küche, gefolgt von einem heftigen Gefluche, welches ich hier nicht weiter ausführen möchte. Das hat höchstwahrscheinlich nichts Gutes zu bedeuten. Denn wenn meine Mutter erst mal in Rage ist, dann ist es ein wahres Kunststück sie wieder zu beruhigen. Besser ich verbarrikadiere mich wieder in meinem Zimmer, zum reinen Selbstschutz. Denn ein weiteres Mal heute mit meinen Eltern aneinander zugeraten, ist zu viel für meine Nerven.

„Adrian Geeerdes!! Kommt sofort runter“ Warum schreit sie immer nur meinen Namen, benutz aber trotzdem die Befehlsform im Plural? Weil Kathleen die Liebe ist, und nie Scheiße baut...flüstert mir eine innere Stimme zu.
In der Küche begegne ich dann dem Teufel höchstpersönlich. Ihr Gesicht ist hochrot und ihre Dunklen Haarsträhnen kleben ihr verschwitzt auf der Stirn. Ihre bitterbösen Augen blicken mich hungrig an, als ob sie mich gleich fressen will. Womit habe ich das verdient?

„Wer war das?!“ Mit ihrem Arm fuchtelt sie wild durch die Küche, doch es ist trotzdem unübersichtlich was sie meint. Verdammt! Ich habe total vergessen, dass ich mir Popcorn machen wollte und blöderweise habe ich ebenfalls vergessen die Popcornmaschine mit dem Deckel zu verschließen, nun ist der gesamte Küchenboden mit Popcorn verziert und überall klebt Zucker und halbfertige Popcorns. Na ganz klasse! Und jetzt? Soll ich lieber den ehrlichen Weg der Stellungname gehen oder um mein Leben retten, in dem ich zusehe dass ich hier so schnell wie möglich weg komme?!

„Du machst mich echt fertig…Aber gut, mache das einfach sauber…dein Vater holt sich gleich deinen Fernseher, ich hoffe das ist dir eine Lehre…“ Sagt sie mit bemüht ruhiger Stimme und verschwindet hechelnd und sich das Herz haltend aus der Küche.

„Mama? Das kann doch nicht dein ernst sein! Ich liebe meinen Fernseher!“ Ich versuche eine möglichst leidgeplagte Stimme aufzusetzen, doch außer einem Türen knallen, bekomme ich keine weitere Antwort. Ich werde mich wohl meinem Schicksal beugen und diese Schweinerei hier entfernen müssen.
Aber wie soll ich mir denn jetzt die DVD mit meinem Lieblingssänger ansehen? Ich habe sie mir vor kurzem heimlich gekauft und sie mir schon tausende Male angesehen, und das soll jetzt vorbei sein? Wie unfair! Jetzt habe ich nur noch das Poster….Dabei gibt mir dieser Typ irgendwie Kraft, auch wenn das komisch klingt! Och man….Na wenn das nicht mal wieder ein hammer Tag gewesen ist!

3. Wenn einem die Scheiße bis zum Hals steht, dann sollte man den Kopf nicht hängen lassen

 „Du errätst nieee mit wem wir heute zusammen zur Schule fahren!“  Trällert meine Schwester am nächsten Morgen, viel zu gut gelaunt für meine Nerven, beim Frühstück.

„Sag an…“ Gebe ich relativ genervt zurück. Letzte Nacht war scheiße. Ich konnte nicht schlafen, weil meine Eltern sich die ganze Zeit gestritten haben und mich dieser Ivan verfolgt hat.
Warum mache ich mir eigentlich solche Gedanken um ihn? Das fängt langsam echt an zu nerven. Ich sollte ihn einfach schlau daher reden lassen, er ist eh ein komischer Voge!

Du hast Angst.

Woher will der das denn wissen? Der kennt mich doch gar nicht!

„Ivaaan!! Whoa ich bin schon voll aufgeregt. Liegen meine Haare so gut?“ Ich schlucke. Das darf doch echt nicht wahr sein! Mit dem geh ich nirgendwo hin!

„Eh geeeeht….Ich find den Kerl scheiße, das wollte ich dir gestern schon sagen! Ich fahr ganz bestimmt nicht mit DEM Bus!“

„Ehm das wollte ich dir sowieso noch sagen, also er wohnt in einer ganz anderen Ecke….und deswegen machen wir uns gleich schon auf den Weg um mit der U-Bahn in sein Viertel zu fahren!“ Erklärt Lynn aufgeregt in einem viel zu schnellem Tempo für mein kleines Ameisenhirn.
Soso, ihr ist unsere finanzielle Situation also peinlich. Zu ihrem einzigen kleinen Makel kann sie nicht stehen…

„Ehm na denn viel Spaß!“

„Du musst mit, ich habe Mama und Papa versprochen dafür zu sorgen dass du zur Schule gehst!“

„Na und? Aber nicht unter solchen Umständen, dann fahre ich heute halt alleine…“

„Als ob du dass tun würdest….na komm! Sonst sage ich es unseren Eltern!“

„Tja dann sage ich ihnen dass du dich für sie schämst!“

„Das stimmt doch gar nicht!“

„Achja und warum machst du dann so einen Aufriss, nur damit er nicht sieht dass unsere Eltern keine Anwälte oder Ärzte sind?“ Genervt atmet meine Schwester aus und sieht mich vielsagend an. Verdammt sie sitzt halt am längeren Hebel, wenn sie sagt dass es nicht so gewesen ist, dann wird ihr das auch geglaubt, mir hingegen kann man alles anhängen was man will, ob es jetzt der Wahrheit entspricht oder nicht.

„Also guuut“ Na das kann ja heiter werden. Ich werde ihn nicht ansehen und nicht mit ihm sprechen! Damit er merkt was ich von ihm halte.

Auf dem Weg zum werten Herrn Mystic bereue ich schon wieder mich nicht einfach in meinem Zimmer eingeschlossen zu haben. Denn es ist erstens total umständlich und zweitens redet sie die ganze Zeit nur von diesem Kerl. Also langsam kann ich ihn weder mehr sehen noch hören, der verfolgt mich ja schon fast.
Nach einer gefühlten Ewigkeit sind wir endlich an seinem Haus angekommen. Irgendwie bin ich gerade total sauer auf sie. Warum tut sie mir das an? Sie muss doch spätestens eben in der U-Bahn mitbekommen haben, dass ich ihn nicht mag oder? Du hast Angst….whahahah….
Die Gegend in der er zu wohnt, sieht aber echt nicht schlecht aus. Wir stehen in einer gut gepflasterten Straße mit vielen Einfamilienhäusern, inklusive eigener Gärten und an jedem Haus steht ein Auto.
Manchmal wünsche ich mir auch in so einer Gegend aufgewachsen zu sein.  Das wäre viel schöner gewesen, wir hätten jeden Tag draußen spielen können (also etwas anderes als Fußball!) und hätten einen eigenen Garten zum toben gehabt. Wir hätten dann vielleicht sogar das Geld gehabt um mal in den Urlaub zu fahren, keine großen Reisen nach Hawaii oder so….ganz Bodenständig, ich meine wer das Geld für ein Auto hat, der kann sich bestimmt auch leisten mal zu verreisen. Und meine Eltern hätten auch nicht so viele Gründe gehabt sich zu streiten. Bei den Gedanken muss ich lächeln, doch schnell werde ich aus meiner Traumwelt gerissen, denn die große weiße Haustür geht auf und ein gut gelaunter Ivan öffnet uns die Tür. Juhu.
„Na Süße!“ Lächelnd gibt er ihr einen Kuss auf die Wange und holt schnell seine Tasche. Lynni hört natürlich nicht mehr auf zu grinsen und ich frage mich warum ich mir das eigentlich antue. Dieser Typ ist derartig ekelig und schmierig…
Irgendwie fühle ich mich wie so ein hinterher trottender Dackel, denn die beiden laufen bestimmt zehn Meter vor mir und unterhalten sich, während ich genervt hinterher laufe. Aber das ist mir eigentlich auch lieber als bei ihnen zu laufen, denn  bei dem Schmierlappen würde mir mein gesamtes Frühstück wieder hochkommen. Ganz schön paradox, dass ich ihn gezeichnet habe obwohl ich ihn so wenig abkann. Aber er geht mir halt nicht mehr aus dem Kopf, und das nervt mich.

Plötzlich bleibt er stehen und sieht mich prüfend an, während ich weiterlaufe.  

„Sag mal was macht der eigentlich auf einem Gymnasium?“ Auf einmal fängt er laut an zu lachen.

„Was soll das den heißen?! Nur weil ich nicht so ein Streber bin wie du?!“ Eine Welle von Wut und Anspannung macht sich in mir breit, während er mich kritisch mustert.

„Streber? Ohh ich kann doch nichts für meine Intelligenz und mein Talent…was dir zu fehlen scheint.“

Warum nimmt mich Kathleen eigentlich nicht in den Schutz?

„Lynn sag doch auch mal was! Du weißt ganz genau dass ich nicht in allem ein hoffnungsloser Fall bin!“ Bei meinen eigenen Worten fahre ich zusammen, es ist ganz schön peinlich seine Schwester bitten zu müssen, anderen Leuten zu erzählen dass der Bruder nicht total hohl in der Birne ist.

„Ja das stimmt aber, Adrian ist eigentlich voll der liebe Mensch und kann richtig gut zeichnen, wirklich das liegt ihm total!“

„Och nee wie süß…warte ich glaub meine kleine Cousine hat noch ein paar Malbücher, wenn du willst kannst du die gerne haben.“

„Echt du bist sowas von fies! Was hast du eigentlich gegen mich? Von Anfang an machst du mich nur fertig, dabei kennst du mich gar nicht!“

„Kathleen? Du hast Recht, dein Bruder ist echt süß!“ Arsch!!!!!!
Ich finde sein Verhalten so ungerecht, es ist nie mein Wunsch gewesen aus ein Gymnasium zu gehen, das ist ganz alleine die Idee meiner Eltern gewesen, und jetzt haben sie halt den Salat…Herzlichen Glückwunsch!
Da kann ich auch lieber gleich zuhause bleiben, denn in der Schule werde ich nur von den anderen Jungs geärgert. Kurzerhand beschließe ich gleich nach der ersten Doppelstunde Geschichte wieder nach Hause zu gehen, mehr Ärger und Bestrafungen kann ich eh nicht mehr bekommen. Immerhin bekomme ich kein Taschengeld mehr, alle meine Unterhaltungsmedien sind weggesperrt, Hausarrest habe ich ebenfalls und an das Geschreie meiner Eltern habe ich mich gewöhnt.
Nachdem ich einen ziemlich langweiligen Vormittag in meinem Zimmer ertragen habe, stürmt meine Schwester total wütend in mein Zimmer.

„WO warst du heute von der dritten bis zur sechsten Stunde?!“

„Hier?“

„Das darf doch echt nicht wahr sein…“

„Selber Schuld….Ihr hättet ja mal ein bisschen netter zu mir sein können…Bin ich euer Spielzeug das man Ärgern kann oder was?“

„Nein, es tut mir schon leid aber ich möchte ihm einfach gefallen…“ Auf einmal wird ihre Stimme sehr leise, sie scheint ihren Fehler wohl eingesehen zu haben.

„Es war trotzdem total fies von euch! Gerade von dir bin ich enttäuscht…warum hast du mich nicht mehr in den Schutz genommen? Du bist meine Zwillingsschwester!“

„ Ja du hast Recht, aber er ist wirklich zu einer ganz besonderen Person für mich geworden…“ Schwärmt Lynni mit hochrotem Gesicht.

„Du kennst ihn doch noch gar nicht richtig“ Stelle ich ernüchtert fest. Anstatt sich zu entschuldigen, redet sie weiter von ihm.

„Natürlich tue ich dass, er ist sooo süß!“

„Ja und was weißt du schon alles über ihn? Warum hat er überhaupt die Schule gewechselt? Vielleicht ist er ja sogar geflogen weil er ein Schlägertyp ist!!“ Keife ich meine Schwester an.

„Ach Adrian…das ist doch Quatsch!“

„Achjaa und warum hat er dann die Schule gewechselt?“

„Ich weiß es nicht…“ Gibt sie kleinlaut zu.

„Siehst du! Du hast keine Ahnung von ihm! Du kennst ihn überhaupt nicht, aber bist ja sooo verliebt! Und in wen? In eine äußerliche Erscheinung!“ Ich werde immer aufbrausender und wütender.

„Ohh das sagt der große Experte in Sachen Liebe! Du hast doch gar keine Ahnung wie das ist verliebt zu sein und willst mir hier sagen was ich zu tun habe?! Und warum regt es dich eigentlich so auf? Sonst ist es dir doch auch egal mit wem ich mich date!“ Okay da hat sie wahrscheinlich gleich zwei Wunde Punkte auf einmal getroffen. Eigentlich hat es mich ja nie interessiert dass ich noch nie verliebt gewesen bin und noch keine Erfahrungen gemacht habe, aber irgendwie stört es mich gerade ziemlich stark, eigentlich genau seitdem meine Schwester mit Ivan ankam. Aber sie hat Recht…warum stört es mich so sehr dass sie sich mit ihm trifft? Mache ich mir vielleicht Sorgen um sie oder was ist der Grund für mein komisches Verhalten? Wahrscheinlich mache ich mir einfach nur Sorgen…

„Jaaa Dr. Sommer ich höre?“

„Ich weiß es nicht…ich mache mir halt Sorgen um dich, irgendwie habe ich bei dem Kerl ein ganz ungutes Gefühl.“ So und damit ist die Sache für mich gegessen! Bevor noch mehr unangenehme Fragen kommen könnten schmeiße ich sie wohl lieber aus meinem Zimmer.

„Warte…wenn du so ein unangenehmes Gefühl hast kannst du ja morgen Abend mit auf seine Houseparty kommen, dann lernst du ihn mal besser kennen.“ Schlägt sie vor.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft dass ich ihn freiwillig in meiner Freizeit sehen möchte?“

„Ach komm schon Franzi und Kira kommen auch mit und ich rede nochmal mit ihm dass er netter zu dir sein soll“

„Ach das ist ja wunderbar und dann werden wir ganz tolle Freund und haben uns gaaanz doll lieb?“

„Hör auf damit, du weißt genau was ich meine…komm einfach mal mit! Dann wirst du sehen dass er eigentlich richtig cool ist“

„Pfffft“

„Adrian?“ Sie schaut mir tief in die Augen und zwickt mir leicht in die Seiten.

„Ich habe Zimmerarrest!“ Kontere ich.

„Mama und Papa sind morgen Abend nicht da!“ Grinst mir meine Schwester entgegen.

„Ja ist Okay…“ Auf was lasse ich mich da eigentlich ein und warum zur Hölle möchte ich dahin?

4. Ein seltsamer Wandel

 Mein Blick schweift durch das mit Gästen gefüllte Wohnzimmer. Irgendwie kenne ich niemanden von diesen Leuten, was ja auch kein Wunder ist, immerhin hat Ivan erst vor kurzem die Schule gewechselt, warum auch immer. Aber es mag ja nicht unbedingt schlecht sein dass ich hier niemanden kenne, so lerne ich vielleicht mal neue Leute kennen, bevor meine Schwester sie kennen lernt.
Mit viel Selbstbewusstsein und einem Lächeln auf dem Gesicht versuche ich irgendwie bei den anderen anzukommen, erst scheint es auch ganz gut zu klappen. Ich bin mit einigen Leuten ins Gespräch gekommen, nur leider war Kathleen mal wieder schneller. Ich werde immer wieder gefragt ob ich nicht der Bruder von Kathleen bin, worauf ich dann natürlich mit ja antworte, und ab dann kommen nur noch Fragen über sie. Schon nach sehr kurzer Zeit bin ich ziemlich genervt von diesen Kathleen-bezogenen Gesprächen und begebe mich dann doch lieber direkt zu ihr.
Nur leider kriege ich hier so gut wie gar keine Aufmerksamkeit, wie gemein! Denn Lynn hat nur Augen für diesen Idioten und scheint mich nicht mal wirklich zu bemerken. Eine Weile lang lasse ich mir das gefallen, doch irgendwann wird mir dieses Geturtel dann doch zu doof.

„Sag mal könnt ihr endlich mal damit aufhören?! Immerhin bin ich auch noch da!“ Keife ich die beiden an. Mist habe ich das gerade laut gesagt? Eigentlich wollte ich mich ja lieber stumm vor mich hin ärgern. Ganz schön peinlich….naja egal….

„Was hast du denn auf einmal?“ Kommt es mit hochgezogenen Augenbrauen von Ivan.

„Naja ihr nervt mich grad ganz schön…ihr ignoriert mich voll….“ Stammele ich leise vor mich hin, aber ich habe ja auch Recht! Immerhin hat Lynn mich hier gegen meinen Willen her geschleift und jetzt ignoriert sie mich?!

„Kann es sein das du eifersüchtig bist?“ Kommt es von ihm mit zuckersüßer Stimme. Für einen kurzen Moment hat er mir um ehrlich zu sein die Sprache verschlagen.

„Hä? Auf was denn? Auf wen den?“ Wettere ich.     

„Naja auf Kathleen? Du scheinst ja voll in ihrem Schatten zu stehen!“ Irgendwie verändert sich seine Stimme als er das ausspricht, sie wird irgendwie ruhiger und einfühlsamer. Vielleicht hat er gemerkt wie sehr er mir damit weh tut. Doch für mich gibt es kein Zurück mehr. Das war zu viel auf einmal, wütend drehe ich mich um und verlasse stürmisch sein Haus.
Das kann ja wohl echt nicht wahr sein! Was ist denn das nur für ein komischer Vogel?! Erst kommt er mir mit seiner „Du hast Angst“ Nummer an und jetzt das!
Der kennt mich doch gar nicht und wagt es mich so zu beleidigen! Jetzt bin ich aber echt wüten, mit mir kann man ja so einiges machen aber was zu weit geht das geht zu weit!

„Eeey warte mal bitte! So habe ich das echt nicht gemeint!“ Da ich echt keine Lust mehr auf ihn habe versuche ich schneller zu rennen, aber natürlich habe ich keine Chance und er holt mich ziemlich schnell ein und bringt mich zum stehen.

„Achja? Und warum hast du es dann gesagt? Du bist doch sowieso nur die ganze Zeit dabei mich fertig zu machen! Schade das meine Schwester nicht sieht was für ein Arschloch du bist!“

„Es tut mir echt leid…Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

„Ach?!“ Irgendwie muss ich gerade lachen. Das sagt ausgerechnet er!

„Und warum warst du dann die ganze Zeit so fies zu mir?“

„Ich weiß auch nicht…ich habe mir da irgendwie nicht so viele Gedanken drüber gemacht....es tut mir jedenfalls leid!“

„Wie nicht so viele Gedanken darüber gemacht? Worüber denn genau nicht? Das du mir vielleicht mit deinen doofen Kommentaren weh tun könntest oder dass ich mich mit meiner Schwester deswegen streiten könnte, weil die mich nicht in den Schutz genommen hat?“

„Ach ich weiß auch nicht! Es kommt nicht wieder vor…das war echt scheiße und ich war ein blinder Idiot! Aber ab jetzt bin ich ganz brav okay?“ Hat der irgendwie Stimmungsschwankungen oder so? Auf einmal grinst der mich total nett und entschuldigt sich?

„Naja gut wenn du meinst….das werde ich dann ja sehen…“

„Danke“ Und schon wieder fängt er an zu grinse. Naja der soll trotzdem nicht glauben dass ich ihn jetzt mag oder so! Ich gehe jetzt lieber nach Hause, ich habe eh Zimmerarrest.

„Nein warte mal! Wollen wir uns nicht mal unterhalten, oder so?“ Der ist aber ganz schön hartnäckig, also ich persönlich glaube der will mich nur wieder verarschen und irgendwo reinreiten!

„Wozu?“ Frage ich ihn in einem genervten Tonfall.

„Naja ich denke wir sollten uns gut verstehen, wegen Lynn.“ Alles immer nur wegen Lynn…

„Hab ich da irgendwas mit zu tun? Ist doch nun echt nicht meine Sache!“

„Na komm schon! Ich war ein Idiot ich weiß! Aber ich biege das schon wieder grade!“ Sagt mal was hat der denn auf einmal für seltsame Sinneswandlungen? Der ist echt total seltsam! Aber nun gut wenn er meint…eigentlich würde ich mich ja schon gerne gut mit ihm verstehen…

„Naja gut wenn du meinst? Aber dann möchte ich erst mal wissen warum du die Schule gewechselt hast! Wer weiß was du für ein Vogel bist!“

„Hmm meine Mutter wollte dass ich die Schule wechsel weil ich angefangen habe mich mit den falschen Leuten abzugeben.“

„Wie meinst du das denn?“ Haake ich nach.

„Hmm naja Zuhause hat sich ziemlich viel verändert. Mein Vater hat eine neue Frau kennen gelernt, die viel jünger ist als meine Mutter und hat sie sogar für dieses Flittchen verlassen. Zur Krönung ist er mit ihr nach Barcelona ausgewandert, was schon immer der große Traum meiner Mutter gewesen ist. Das hat ihr ordentlich zugesetzt und mir natürlich auch, immerhin bin ich immer ein „Papakind“ gewesen. Ich wollte einfach etwas Abstand von dem ganzen Stress haben und bin fast jeden Abend unterwegs gewesen, dabei habe ich ein paar Leute von meiner Schule besser kennen gelernt, die ich eigentlich immer ziemlich asozial gefunden habe, weil sie viel mit Drogen und Schlägereien zu tun haben.“ Nervös fährt er sich durch die Haare und zündet sich eine Zigarette an.

„Aha…und dann hast du dich mit diesen fragwürdigen Leuten angefreundet, und bist ebenfalls so geworden?“

„Nein!“

„Aber?“

„Naja schon…irgendwie reizte mich dieses „Verbotene“ in meiner Situation. Immerhin wollte ich einfach nur Abstand…“ Sein Blick verrät dass er von Sekunde zu Sekunde nervöser wird…ich habe doch gleich gewusst dass mit dem etwas nicht stimmt!

„Ja und dann?“

„Dann habe ich angefangen richtigen Mist zu bauen. Ich ließ ich mich auf vieles ein, zum Beispiel probierte ich das Kiffen aus oder trank Unmengen an Alkohol. Klar habe ich davor auch mal das ein oder andere Bier getrunken, oder auch mal ein bisschen zu viel aber das war richtiges Koma saufen. Wer halt am meisten schaffte. Und ab dann ging es richtig los, um voll zur Clique dazugehören zu dürfen musste ich Mutproben machen, ich musste beispielsweise die Fensterscheiben eines Ladens einschlagen, ich musste mich mit einem Mitschüler anlegen der älter, größer und stärker war als ich und habe natürlich ordentlich eins auf die Fresse bekommen und noch viele andere gefährliche Sachen. Eigentlich bestand mein Leben nur noch aus trinken, kiffen und Schlägereien. Ich weiß,  du fragst dich jetzt warum ich sowas getan habe nur um dazu gehören zu dürfen, aber ich habe mich selbst da irgendwie so reingeritten, sodass ich da nicht mehr rauskam. Ich wollte Drogen und sie hatten welche, und jeder der in irgendeiner Form Wiederstand leisten wollte wurde kaputt gemacht. Natürlich hat das meine Situation nicht verbessert, mir ging es nicht besser durch den neuen
„Freundeskreis“, aber ich kam da alleine nicht mehr raus. Zum Glück hat meine Mutter sich große Sorgen gemacht und sich da nicht rausgehalten, wofür ich sie am Anfang gehasst habe aber mittlerweile bin ich ihr sehr dankbar dafür. Sie hat mich für eine Zeit von der Schule freistellen lassen und mich dann auf diese geschickt. Außerdem haben wir den Stadtteil gewechselt weil unsere Fensterscheiben ständig eingeschmissen waren. Ich bereue sehr was ich getan habe aber ich habe auch daraus gelernt und bin froh dass diese Zeit vorbei ist.“ Sprudelt es förmlich aus ihm heraus und für einen kurzen Moment bin ich erstmal baff.

„Okaaay das ist natürlich heftig…weiß Kathleen schon davon?“ Stottere ich.

„Ehm ne aber ich werde es ihr bestimmt noch sagen…“

„Das solltest du vielleicht.“

„Ich weiß nicht direkt, ich habe das Gefühl sie ist relativ verwöhnt von Zuhause her und möchte daher alles perfekt haben.“ Oh jetzt sitze ich natürlich in der Zwickmühle. Soll ich ihm die Wahrheit sagen, dass wir eigentlich total arm sind, oder lieber nicht? Ach was, das ist doch Lynn’s Sache wenn sie lügt, ich erzähle ihre Lügenmärchen bestimmt nicht weiter!

„Wir haben eigentlich gar nicht viel Geld. Ich denke Lynn hat dir das erzählt um dich zu beeindrucken.“ Für einen Moment starrt mich Ivan ungläubig an. Er scheint wohl ziemlich enttäuscht zu sein, dass Lynn ihn so angelogen hat. Aber naja selber Schuld, ich habe ihr gesagt sie soll ihn nicht anlügen. Auf der anderen Seite wundere ich mich schon über mich, eigentlich hätte ich sie trotzdem in den Schutz genommen, aber sie hat mich in letzter Zeit ja auch immer doof dastehen lassen.

„Das meinst du jetzt nicht ernst! Ich dachte eure Eltern sind so reich und wohlhabend. Dein Vater ist doch Manager!“

„Mein Vater ist eigentlich KFZ-Mechaniker aber er hatte vor zwei Jahren einen Unfall und ist seit dem Arbeitsunfähig und meine Mutter ist eben Hausfrau, aber sie hilft zurzeit in einem
Imbiss aus.“

„Und warum hat sie mir das nicht gleich gesagt? Ich meine das ist doch nichts schlimmes, man kann sich die finanzielle Situation seiner Eltern ja nicht aussuchen!“

„Tja sie wollte halt gut vor dir da stehen….“

„Na ganz toll das hat sie jetzt ja geschafft!“

„Oh da spricht der Moralapostel persönlich!“
Noch eine ganze Zeit laufen wir nebeneinander her und unterhalten uns über alles Mögliche, und mit allem Möglichen meine ich nicht Kathleen. Ich muss ehrlich zugeben dass ich unseren kleinen Spaziergang sehr genieße, immerhin interessiert sich sonst nie jemanden nur für mich. Ich wundere mich zwar schon dass er auf einmal so viel Interesse an mir zeigt, aber vielleicht ist das erst einmal egal.

5. Was du kannst, kann ich schon lange!

 Nach der vergangen Nacht muss ich ehrlich zugeben, dass dieser Ivan doch gar nicht so schlecht ist wie ich dachte!
Er ist zwar etwas seltsam, immerhin war er am Anfang total gemein zu mir und ganz plötzlich entschuldigt er sich und schüttet mir auch noch sein Herz aus. Aber es hat mich gefreut, dass er es ausgerechnet mir erzählen wollte, das zeigt ja dass er mir vertraut, anscheinend sogar mehr als Lynn, oder interessiert sich Lynn nur nicht dafür?
Wahrscheinlich.

Eigentlich ist es richtig lieb von ihm dass er mir so viel Aufmerksamkeit gegeben hat! Wir sind bestimmt zwei Stunden lang spazieren gegangen und haben uns die ganze Zeit über allesmögliche unterhalten. Und das ohne meine Schwester, sondern nur wir beide…
Es war ein richtig schöner Abend, und er hat mich auch nicht dazu benutzt mich über Lynn auszuquetschen, wie ich es zuerst erwartet habe.
Er hat mich eher Sachen über mich gefragt und hat mich sogar ernst genommen.
Aber meine Zweifel habe ich immer noch.
Woher soll ich denn bitteschön wissen ob er mich nicht verarscht hat und am Montag alle über mich lachen?
Auch wenn ich mir das eigentlich nicht vorstellen kann, dafür ist er viel zu lieb zu mir gewesen.
Oh Mann ich rede echt wie ein Mädchen!

Aber das Gute ist ja, dass er dieses Wochenende komplett Sturmfrei haben wird, weil seine Mutter aus beruflichen Gründen weg ist, und er heute Abend wieder feiern möchte. Immerhin will er das Wochenende komplett ausnutzen, weil sich solche Gelegenheit nicht oft bieten.
Ich bin tatsächlich eingeladen!  Ich freue mich schon den ganzen Tag darauf! Als Lynn und ich heute Morgen wieder gekommen sind, bin ich so aufgeregt und aufgekratzt gewesen, dass ich nicht einschlafen konnte, obwohl ich so müde war! Die ganze Zeit musste ich an ihn und unseren Spaziergang denken. Ich bin schon lange nicht mehr so glücklich gewesen wie heute! Ich glaub selbst meine Eltern könnten meine Laune heute nicht trüben, selbst wenn sie doch bemerkt haben dass ich letzte Nacht nicht da gewesen bin.
Nur Lynn könnte sie kaputt machen, indem sie mir erzählt wie ihre Nacht mit Ivan gewesen ist, denn die beiden haben nicht bei den anderen Partygästen im Wohnzimmer geschlafen, sondern ganz alleine oben in seinem Zimmer.
Oh Gott, darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch nicht so viele Gedanken gemacht, aber wieso stört es mich so?
Wahrscheinlich weil Ivan die erste Person ist die sich NUR für mich interessiert hat, und dann hat er nebenbei etwas mit meiner Schwester. Das macht mein ganzes Bild von ihm wieder kaputt!

Ich hoffe sehr dass Ivan heute Abend wieder Zeit für mich findet, das wäre so schön!
Deswegen möchte ich heute nicht so gerne in irgendeinem Outfit zu ihm. Vielleicht sollte ich mir meine Lieblingssachen anziehen, um so auf mich aufmerksam zu machen?

Sagt mal was denke ich da eigentlich für einen Schrott?

Warum muss ich mich denn jetzt extra für ihn besonders herausputzen? Ich habe schon die ganze Zeit ein komisches Gefühl bei der Sache. Das ist ja fast so als ob ich mich ver…liebt hätte?!
Haha…ja es ist fast genauso! Beinahe amüsant, dass ich so etwas jetzt denke! Aber das würde nicht funktionieren, immerhin ist er ein Kerl.
Ich kann auch gar nicht verliebt sein, schließlich bete ich ständig irgendwelche Musiker an und die sind ja auch Typen, wie er, und in die bin ich ja auch nicht verliebt.
Naja gut…vielleicht würde mir eine Extrastunde im Badezimmer trotzdem gut tun, einfach nur so….ohne tiefere Bedeutung.

Nach einer ausgiebigen Stunde unter der Dusche, in der literweise Shampoo, Pflegespülung und Duschgel ihren Weg in den Abfluss gefunden haben, einer Ewigkeit vor dem Spiegel und meinem angeschleppten Klamottenberg, verlasse ich mehr oder weniger zufrieden das Badezimmer.

„Sage mal Bruderherz, seit wann brauchen wir eigentlich so lange im Badezimmer?“ Grinst mir meine Schwester breit entgegen, nachdem ich die Tür schwungvoll geöffnet habe.

„Na und? Lass mich doch! Du blockierst doch auch immer ewig das Badezimmer!“

„Ja aber ich bin ja auch ein Mädchen! Aber du hast dich bis jetzt noch nie besonders lange mit deinem Spiegelbild beschäftigt! Außerdem hast du ewig geduscht und 10 Liter Parfum von Papa drauf! Siehst aber gut aus!“

„Eh….?“ Hektisch versuche ich ihr zu entkommen, aber sie blockiert mir einfach den Weg. Oh Gott was will die denn von mir!

„Adriaaaaaan ist verlieeeebt! Endlich! Wie süüüß ist das denn?! WER - IST - SIE!!“ Für einen Moment werde ich blass….auch wenn es gut ist, dass sie von einem Mädchen ausgeht. Nur werde ich mir jetzt eine glaubhafte Geschichte ausdenken müssen, damit sie nicht auf falsche Gedanken kommt.
Verdammt ich bin ein grottiger Lügner, besonders vor Lynn. Aber wenigstens denkt sie dann nicht mehr, ich würde Ivan imponieren wollen. Sie soll gar nicht erst anfangen komische Sachen zu denken! Und ich auch nicht!

„Es gibt keine SIE!“ Okay das war unüberlegt! Verdammt…

„Wie keine SIE?! –“

„-Jaaa also ich meine damit….es gibt niemanden in den ich verliebt bin!“ Unterbreche ich Lynn.

„DOCH! Und ich weiß auch wer! WHAAAAAAA!“ Oh Gott!!

„Franzi! Sie ist doch einer deiner besten Freundinnen und sie ist single….Kira kann es nicht sein, immerhin hat sie einen Freund!“ Meint Lynn 007 entzückt.
Wieso kann man sich nicht in jemanden verlieben der einen Freund hat, ich meine da gibt es doch keine automatische Sperre oder so…..auch wenn so etwas praktisch wäre.

„Ach so ein Quatsch! Franzi ist nur eine gute Freundin!“

„Achja und wer ist es dann?!“ Mist….ich muss mir wohl was ausdenken….Vielleicht sollte ich versuchen Zeit zu schinden um mir was Brauchbares auszudenken. Ach menno….

„Also guut….beruhige dich! Geh schon mal auf mein Zimmer, ich komme gleich und dann erzähle ich dir alles….aber vorher muss ich noch kurz in die Küche…“ Welche seit der Popcornattacke eigentlich ein absolutes Sperrgebiet für mich ist.

„Okay!“ Grinst Lynn sichtlich zufrieden. Wenigstens habe ich noch ein bisschen Zeit mir Gedanken zu machen, was ich meinem Schwesterlein nun erzählen werde.
Am besten kenne ich sie aus dem Internet, dann hält sie mich zwar wieder für einen Loser, aber sie kann das Mädel wenigstens nicht kennen.
Sie sollte nur hier aus Berlin kommen, damit meine Badezimmerorgie auch einen Sinn in ihren Augen hat.
Aber sie wird nicht auf der Party sein! Scheiße…da will ich heute Abend aber hin!
Als ich mein Zimmer wieder betrete, sitzt meine Schwester grinsend auf meinem Bett und starrt mich an, als ob ich gleich verkünden würde dass ich im Lotto gewonnen habe. Wenn ich mir sie so ansehe tut es mir richtig leid, dass ich sie gleich anlügen werde. Sie freut sich so ehrlich mit mir, fast so als wäre es ihr Glück. Oh Scheiße….Aber ich habe wohl keine andere Wahl.

„Alsoooo?“

„Ja….ich habe sie halt im Internet kennengerlernt…..“ Stammele ich mit hochrotem Kopf.

„Wie im Internet kennen gelernt? Seit wann suchst du im Internet nach potenziellen Freundinnen?“

„Naja es war mehr Zufall, wir haben einfach nur gechattet und dann habe ich gemerkt das sie mich mag und auch in Berlin wohnt….und so kam das dann…“ Wenn sie mich gut kennt wird sie meine Lüge bemerken.

„Oh wie süß! Und jetzt seid ihr schon so richtig zusammen? Oh Adriaaaan das freut mich so für dich!“ Nein merkt sie es nicht, sie ist viel zu begeistert….Sie freut sich so ehrlich für mich, das rührt mich total. Dabei habe ich sie in den letzten beiden Tagen so gehasst und das nur wegen eines Typen. Ich bin sowas von bescheuert.
Obwohl bei dem Gedanken wie nah sie Ivan steht, werde ich fast schon wieder eifersüchtig…

„Nein noch nicht so richtig….hmm mal gucken….“

„Wie heißt sie? Wo wohnt sie? Wie alt ist sie?“ Lynni überschlägt sich fast beim sprechen vor Aufregung.

„Ehm….Luisa….sie ist 15….und wohnt im Süden der Stadt…also am ganz anderen Ende!“ SO! Wenn das nicht Oskar reif gewesen ist, weiß ich auch nicht mehr weiter!

„Und ihr habt gleich ein Date?“ Hakt sie neugierig weiter nach.

„Ehm…ja!“

„Hehe okay…ich grüß Ivan dann ganz lieb von ihr!“

„Also so war das nicht gemeint! Ich komme nur eine Stunde später zu der Party!“

„Okay mach das….pass nur auf das Mama und Papa dich nicht erwischen!“
Jetzt habe ich eine Stunde weniger mit Ivan zusammen, wie gemein! Und das nur wegen meiner doofen Schwester, aber was soll’s, besser als wenn ich gar nicht hin könnte.

6. Modenschau

 Wie gemein! So ein Mist!

Mein Vater hat mich doch tatsächlich erwischt, wie ich das Haus verlassen wollte und hat mich jetzt in meinem Zimmer eingeschlossen!


Nein!


Ich MUSS doch zu Ivan!


Wie kann er mir das nur antun?!


Stocksauer habe ich mich in mein Bett gelegt und heule hysterisch in mein riesengroßes Kissen. Ich wünschte Ivan würde jetzt kommen und mich retten! Er würde meinem Vater mal so richtig die Meinung geigen und mich dann mitnehmen!
Jaja…genau….auf seinem weißen Pferd bringt er mich dann in sein Schloss! Ey Adrian du hast so peinliche Gedanken, der würde sich bestimmt kaputtlachen wenn er sie lesen könnte!

Auf einmal klopft es an der Tür, der Schlüssel dreht sich um und meine Schwester tritt hinein.

„Du? Ich habe Papa von Luisa erzählt und jetzt hat er dir doch noch erlaubt heute Abend zu gehen! Habe ich gut gemacht, oder?“ Sie hat bitte was? Och ne ich will nicht dass mein Vater davon weiß, denn er wird mich bestimmt mit seinem Machokram zuquatschen. Aber wenigstens darf ich jetzt doch zu Ivan! Gott sei Dank!

Genervt stehe ich auf und laufe wie ein Storch durch mein unaufgeräumtes Zimmer.

„Oh mein Junge! Das sind ja tolle Neuigkeiten, die ich da gehört habe!“ Sobald ich mein Zimmer verlassen habe, werde ich von der lobenden Stimme meines Vaters überrascht.

Moment mal…ICH werde gelobt?
Von meinem VATER?
Wo gibt es denn sowas?

„Ehm ja….“

„Warum hast du mir denn nicht gleich gesagt, dass du ne Schnecke am Start hast?“ Fragt er mich stolz. Irgendwie tut es mir aber weh, dass er auf etwas stolz ist was ich ihm nicht geben kann.

„Ehm…naja…wir sind ja noch nicht richtig zusammen!“ Stammele ich verlegen, ich hoffe mein Vater hört endlich auf zu reden!

„Ach mein Junge das wird schon! Du ziehst jetzt los und machst sie dir klar, ja? Man ich bin sowas von stolz auf dich! Aus dir scheint ja doch noch ein richtiger Mann zu werden!“ Mit der  rechten Hand klopft er mir ziemlich stark auf die Schulter und ich verziehe schmerzhaft das Gesicht. Aua…

„Jaja, das hat noch einen Moment Zeit, oder? Du musst mir erst nochmal helfen!“ Meint Lynn schließlich und zieht mich in ihr Zimmer. Knallt die Tür direkt hinter uns zu und hibbelt nervös durch ihr Zimmer.

Was war heute Morgen bitteschön in ihren Cornflakes?

„Alsoooo soll ich lieber das rote Kleid oder das dunkelblaue Top mit dem Jeansrock zusammen anziehen?“ Fragt Lynn mich total aufgeregt.

„Hm wieso fragst du mich das?“ Seit wann bin ich denn eine wertvolle modische Beratung für sie? Normalerweise übernehmen den Job doch eher Franzi und Kira.

„Naja ich muss doch gut für Ivan aussehen! Immerhin will ich ihn weiter für mich begeistern!“ Achja genau, das habe ich ja schon fast wieder verdrängt!
Also welches Oberteil würde hässlicher aussehen?
Verdammt bin ich fies! Ich weiß auch nicht warum ich das tue, aber irgendwie bin ich gerade total eifersüchtig, dass sie Ivan so nah steht und ihn begeistern KÖNNTE.

„Hm also ich finde beide nicht so toll! Mhhh hast du nicht noch dieses grüne Kleid in deinem Kleiderschrank? Das stand dir totaal gut!“ Also um ehrlich zu sein finde ich das Kleid ganz furchtbar! Dieses grün steht ihr einfach überhaupt nicht und es sitzt auch nicht besonders gut. Es hat schon seinen Grund, dass es seit Ewigkeiten im Kleiderschrank vermodert, gut dass ich mich an es erinnert habe.

„Ehm spinnst du? Dieses Kleid ist voll alt und gar nicht schön!“

„Nein das stimmt nicht, das habe ich aber schon öfters gedacht! Das Kleid sieht total toll aus….schade das du es nie wirklich getragen hast…“ Also in letzter Zeit kann ich immer besser lügen!

„Hmm meinst du wirklich?!“ Nachdenklich blickt meine Schwester in den Kleiderschrank und sucht das besagte Kleid. Schon wieder kämpften in mir zwei Seiten gegeneinander. Auf der einen Seite habe ich ein unglaublich schlechtes Gewissen, weil ich versuche ihr zu schaden, aber auf der anderen Seite hoffe ich dass sie das Kleid anzieht und Ivan damit vergrault. Auch wenn ich ganz genau weiß, dass Ivan sich nicht von einem modischen Fehltritt vergraulen lassen würde, aber wie sagt man so schön?
Die Hoffnung stirbt zuletzt?
Und vielleicht kommt er dann ja zu mir und lädt mich zum Eis essen ein!
Wäre das nicht super romantisch?
Wir würden in ein einsames Cafe am Strand gehen und uns einen XXL Schokoladeneis Becher auf einer Terrasse mit Blick auf das Meer teilen.

Was träume ich da eigentlich wieder für einen Mist?

Meinte ich da gerade romantisch?

Das wäre einfach nur lächerlich, kitschig und total peinlich! Ich hoffe wirklich dass er meine Gedanken nicht lesen kann, denn so ganz sicher bin ich mir da nicht, immerhin ist er schon ein ziemlich schräger Vogel.  
Dass ich Angst hatte wusste er schließlich auch…oh oh…

„Oh Mann Adrian! Das Kleid sieht super scheiße aus!“ Mittlerweile hat Lynn das Kleid angezogen und steht mit gerunzelter Stirn vor mir. Mit ihren Händen versucht sie irgendwie das Kleid in Form zu bringen.
Ich muss zugeben es sieht echt nicht besonders gut aus. Scheiße ist übertrieben, aber mit dem Kleid wird sie niemanden begeistern können!

„Ach Quatsch! Das sieht total gut aus! Ich finde das Grün passt super zu deinen Augen! Nimm das, ehrlich!“ Oh Gott ich bin so fies!

„Meinst du wirklich?“
„Jaaa!“

„Hm nein…ich nehme lieber das rote Kleid…damit bin ich auf der sicheren Seite!“ Verdammt…heute geht aber auch alles in die Hose!

„So und jetzt mach dich endlich auf den Weg zu deiner Luisa! Viel Spaß euch beiden!“ Zwinkert meine Schwester mir zu und schiebt mich aus ihrem Zimmer.
Jetzt muss ich irgendwie zusehen, dass ich die Zeit bis zu Ivans Party herumkriege und am besten auch noch zu spät komme, damit sie nicht denkt dass mein Date ein Reinfall gewesen ist.
Obwohl wäre das nicht eigentlich besser? Dann müsste ich mir wenigstens ein Lügenmärchen weniger ausdenken. Auf der anderen Seite würde sie mich dann wieder für einen Loser halten.

Damit ich Zeit schinden kann, mache ich mich auf den Weg in die Innenstadt, um ein wenig Eis zu essen. Hausarrest habe ich ja nicht mehr. Welch eine Ironie.
In den total überfüllten Fußgängergassen setze ich mich in ein kleines Café und suche mir einen Platz direkt vor einer großen Glasscheibe aus. Hier habe ich die perfekte Sicht auf eine belebte Einkaufsstraße. Die Menschen drängeln sich hektisch mit ihren prallen Einkaufstaschen durch die Menge und versuchen an einem sonnigen Tag wie heute, die besten Schnäppchen zu ergreifen. Aber natürlich dürfen auch die glücklichen Pärchen nicht fehlen, die ich heute am liebsten vergiften würde, wenn ich daran denke dass Lynn und Ivan auch bald so miteinander umgehen könnten.
Als ein Kellner kommt, bestelle ich mir einen großen Schokoladenbecher, dann esse ich mein Eis eben alleine, ohne Ivan…

So ein Mist aber auch!

Aber das wäre eh der falsche Ort für so etwas, besonders romantisch ist das Ambiente nicht. Es ist total laut und anstatt des Meerblickes hat man eine perfekte Sicht auf viele verliebte Paare und Familien.

Zum kotzen.

Vielleicht sollte ich ernsthaft mal darüber nachdenken mich nach einer Freundinn umzusehen, in letzter Zeit denke ich immer öfter drüber nach. Aber wäre das nicht total falsch und wäre ich überhaupt glücklich? Und die noch viel entscheidendere Frage…will mich überhaupt jemand? Vermutlich nicht…denn sonst hätte ich doch schon längst eine Freundinn.
In der siebten Klasse haben meine Mitschüler begonnen sich kleine Zettelchen zu schreiben und sie in den Unterrichtsstunden kichernd herumzugeben. Meine Schwester hatte immer eine Menge bekommen, sie konnte sich vor Verehren kaum retten und hatte die große Auswahl. Fast jeden Tag kam sie mit hochrotem Kopf und ein paar Briefchen nach Hause, las sie mir alle vor und redete den ganzen Tag von nichts anderem mehr.
Ich hingegen habe natürlich keinen einzigen bekommen, naja gut…außer den von Jan. Er hatte mir auf einem pinken Zettel geschrieben, dass ich das hübscheste Mädchen auf der ganze Welt sei. Das ist echt total gemein gewesen. Dabei konnte ich es gar nicht fassen als ich von Lynn einen kleinen Zettel in die Hand gedrückt bekam und sie meinte ich müsse ihn nicht weiter reichen, er sei für mich. Wir beide haben uns so gefreut. Nachdem ich ihn gelesen habe und ihn am liebsten sofort weggeschmissen hätte, riss Lynn ihn mir sofort aus der Hand um ihr ebenfalls zu lesen. Ich glaube ich habe mich noch nie in meinem Leben so sehr geschämt.

7. Eifersucht und Kampfmeerschweinchen

 Es ist mir verdammt schwer gefallen eine Stunde in der Stadt auszuharren, um zu spät zu seiner Feier zu kommen.
Aber meine Geschichte muss ja glaubhaft bleiben. Denn mein Vater ist ja total stolz auf mich und Kathleen ist es wahrscheinlich auch.
Weil es so aussieht, als würde ich das erste Mal in meinem Leben etwas gebacken bekommen.

Ich habe mein Schokoladeneis extra langsam gelöffelt und trotzdem habe ich es nach zwanzig Minuten komplett aufgegessen.
Also habe ich mir noch einen Vanillemilchshake geholt und bin etwas durch die Einkaufsgassen geschlendert.
Letztendlich habe ich mich sogar fast zu spät auf den Weg zu Ivans Party gemacht, weil ich mir vorgestellt habe wie es gewesen wäre mit ihm durch die Stadt zu laufen.
Dabei ging tatsächlich einiges an Zeit drauf…

Zum Glück habe ich diese quälenden Minuten jetzt überstanden, denn ich stehe total nervös und voller Vorfreude vor Ivans Haustür. Ich habe bereits geklingelt, um ehrlich zu sein sogar mehrere Male, weil mir so schnell keiner geöffnet hat. Ich kann mein Herz bis in den Hals klopfen fühlen und habe ein ganz eigenartiges Gefühl im Bauch. Als Ivan mir dann endlich die Tür öffnet und mich mit einem breiten Grinsen begrüßt, rutscht mir mein Herz bis in die Hose und ich würde ihn am liebsten vor Freude anspringen und ihn nie wieder zu meiner bösen Schwester gehen lassen.
Aber dann müsste ich mich schon an ihm festketten, denn er würde vermutlich nicht freiwillig so lange bei mir bleiben…
Worüber mache ich mir hier eigentlich Gedanken?
Am Anfang habe ich sein selbstverliebtes Grinsen total gehasst, aber mittlerweile muss ich zugeben dass sein Grinsen total…

…naja….

…sagen wir mal „ansehnlich“ ist.

Gut okay, gelogen!

Sein Grinsen ist totaaal süß! Er hat so richtig schöne Lippen und total weiße Zähne. Wer fände dieses Zahnpastalächeln nicht süß?!

„Hey schön das du da bist!“

„Ehm ja…danke…Ich wollte eigentlich nicht kommen, aber ich dachte ich schau dann doch mal vorbei!“ Versuche ich möglichst cool und gleichgültig zu klingen, in der Hoffnung es sei auch richtig angekommen, denn vor Aufregung habe ich eher geschrien als in normaler Zimmerlautstärke zu sprechen.

„Ja ich habe schon von deinem Date gehört, musst du mir gleich mal erzählen. Aber mal ehrlich, du hättest echt nicht kommen müssen, wenn du keine Zeit hast. Dann sagst du halt ab, macht auch nichts! Ich habe doch Verständnis für sowas.“ Zwinkert er mir immer noch grinsend zu.
Allerdings hat er mir mit diesen kleinen Sätzen direkt ins Herz getroffen, ich hätte also nicht kommen müssen?

Es wäre ihm also völlig egal gewesen?

Wie gemein ist das denn?

Im Wohnzimmer sieht es eigentlich aus wie gestern.
Überall stehen Bierflaschen und Aschenbecher herum, auf den beiden großen Sofas sitzen die meisten Gäste, welche sich ausgelassen unterhalten.
Leider sind heute auch einige Mitschüler von mir anwesend, wie peinlich…
Obwohl vielleicht glauben die mir dann ja mal, dass ich Freunde habe?
Gerade als ich mir einen Platz suchen wollte, legt sich Ivans Hand auf meine Schulter und er grinst mich ein weiteres Mal breit an.

„Kommst du noch eben mit in die Küche?“ Fragt er mich und deutet auf eine große weiße Tür. Unsicher nicke ich und stapfe ihm neugierig hinterher.
Will er sich wieder mit mir unterhalten?
Wahrscheinlich!
In der Küche ist niemand außer uns, und er schließt sogar sofort die Tür hinter sich.
Seine Augen funkeln mich an, als er ein paar Schritte auf mich zukommt.

„Jetzt bin ich ja mal gespannt! Erzähl mir von deinem Date.“ Lächelt er milde.

Verdammt!

Ich habe eigentlich auf sentimentale Unterhaltungen, wie gestern gehofft und jetzt muss ich mir wieder irgendwelche Märchen ausdenken.
Ich erzähle ihm schließlich von meiner „Braut“, wie er es so schön genannt hat, und verschwinde dann schnell wieder im Wohnzimmer.
Bevor weitere blöde Fragen kommen.
Mittlerweile bin ich ja sogar mit ihr zusammen. Zu mindestens hat Kathleen das überall erzählt, und dann konnte ich nicht mehr nein sagen.
Na schön, dann habe ich halt eine Freundinn! Auch gut!

Trotzdem stehe ich seit einer halben Stunde alleine am Fenster herum, und hoffe dass mich niemand blöd anstarrt, denn Ivan und Kathleen sind beide nicht auffindbar.
Das hat definitiv nichts Gutes zu bedeuten, vielleicht hätte ich sie doch weiter überreden sollen das grüne Kleid anzuziehen.
Nein am besten sogar einen stinkenden Müllsack!
Vielleicht sollte ich ihr bei der nächsten Gelegenheit auch die schulterlangen brauen Haare giftgrün färben und kurz schneiden, sie hat einen sehr tiefen Schlaf, sollte also kein Problem werden.
Nach einer ganzen Weile, die ich grübelnd vor dem Fenster verbracht habe, stellt sich auf einmal Franzi neben mich und zwinkert mir zu. Die perfekte Gelegenheit Lynn und Ivans Aufenthaltsort ausfindig zu machen!

„Sag mal Franzi…hast du Lynn oder Ivan gesehen?“

„Hehe die beiden sind nach oben auf Ivans Zimmer gegangen! Oh die beiden sind soo süß! Wetten die sind bald zusammen?“ Gluckst sie aufgeregt und klatscht wild in ihre Hände.
Das Gesagte versetzt mir einen heftigen Stich in die Brust.
Wie können die mir sowas nur antun? UND WARUM VERDAMMT NOCHMAL MACHT MIR DAS SO VIIEL AUS?! Vor kurzem mochte ich ihn noch nicht mal und jetzt macht es mich so fertig, dass er meine Schwester lieber mag als mich, besonders weil es schon wieder sie ist! Nein er mag nicht irgendein Mädchen lieber….NEIN er mag ausgerechnet Lynn! So was Ungerechtes und Fieses!
Aber die wird schon sehen was sie davon hat! Die kleine Memme kann
auch ganz anders sein!

Jawohl!

Ich werde mein Mehrschweinchen zu einem Kampftier trainieren und es dann auf sie loslassen! Spätestens dann wird sie wohl nichts mehr zum lachen haben!
„Oh wie schön für die…“ Nuschele ich und verabschiede mich knapp von Franzi.

Ich glaube damit ist die Party für mich gelaufen, dabei habe ich mich so sehr gefreut mit ihm zusammen einen Abend zu verbringen. Ich habe echt gehofft, dass wir wieder zusammen spazieren gehen oder so. Hauptsache wir beide machen etwas alleine. Aber es war ja irgendwie abzusehen, dass er lieber mit meiner Schwester Zeit verbringt als mit mir. Wie kann man denn bitteschön so naiv sein und glauben ein Typ wie Ivan würde sich für einen Idioten wie mich interessieren?
Deprimiert suche ich mir einen anderen Platz, um noch kurz einen zu Trinken, bevor ich mich auf den Heimweg mache.
Ich schenke ich mir ein neues Glas Vodka-O ein, mit extra viel Vodka und extra wenig Orangensaft. Dieser Abend kann ja noch lustig werden, ich freue mich schon auf mein schönes weiches Bett…aber Zuhause habe ich weder Alkohol noch die Chance dass Ivan doch wieder kommt. Vielleicht streiten sich die beiden ja oder so?

Dann bleibe ich also hier, ja? Nur in der Hoffnung die beiden Streiten sich
gleich?

Aber eigentlich wäre es gar nicht mal so verkehrt, denn wenn dieser Fall wirklich eintreffen sollte, würde Ivan vielleicht mit mir spazieren gehen wollen, um sich von meiner bösen Schwester abzulenken.
Wir könnten uns über alles Mögliche unterhalten und ich würde mich wieder pudel wohl fühlen.
Nur irgendwie scheint es so, als müssten sich die beiden ganz schön heftig streiten, denn den ganzen Abend lassen sie sich nicht mehr blicken. Also ich muss schon sagen, Ivan ist ein ganz schön miserabler Gastgeber, während er sich hoffentlich mit meiner Schwester streitet, sitzen seine Gäste alleine im Wohnzimmer herum.
Aber gut, dann schieße ich mich eben ab.
In der Hoffnung sich morgenfrüh gar nicht mehr an diesen beschissenen Abend erinnern zu können.
Die ganze verdammte Aufregung ist umsonst gewesen, ich hätte mich heute auch einfach früh ins Bett legen können, dass wäre um einiges schmerzloser gewesen.
Ich freue mich so sehr auf diese Party und dann kommt Kathleen einfach an und macht alles kaputt!
Hoffentlich hat sie ihren Spaß.
Sie weiß zwar nichts von meinen Gefühlen und denkt ich sei selber total verliebt, aber es ist trotzdem so typisch für sie! Sie bekommt immer alles was sie will…ihr wird immer alles zugeworfen und sie sieht es als das normalste der Welt an, dass sie so glücklich sein darf.
Sie muss wirklich der glücklichste Mensch auf der Welt sein. Immerhin trägt sie Tag ein, Tag aus ein breites Grinsen auf dem Gesicht mit sich herum, weil alles immer so perfekt läuft.
Mit der einen Ausnahme dass wir nicht besonders viel Geld haben und sich unsere Eltern oft Streiten. Aber wenn man so von seinen Eltern geliebt wird, superbeliebt und gut in der Schule ist und bald mit Ivan zusammen seien darf, wird das ja wohl zu verkraften sein, oder?
Ich im Gegensatz erfülle keinen einzigen von diesen Punkten, meine Eltern habe ich auf der ganzen Linie enttäuscht, ich gelte in der Schule und in der Umgebung als eine kleine Memme, habe total schlechte Noten und mit Ivan werde ich wohl nie zusammen kommen…Okay das möchte ich auch gar nicht, der Punkt diente nur der Vollständigkeit halber…denke ich…
Vielleicht sollte ich aufhören meine Schwester zu hassen, weil sie Ivan so nah steht, denn sonst könnte man echt noch denken ich wäre lieber mit ihm zusammen.

Ich habe doch nur ein Problem damit, dass sie jemanden hat der existiert. Meine Freundinn gibt es nämlich gar nicht und ich möchte auch gar nicht dass es sie gibt, wie erbärmlich. Manchmal frage ich mich selbst was ich eigentlich für ein schräger Vogel bin.

8. Obstsalat

 Das ganze restliche Wochenende habe ich damit verbracht in meinem Zimmer zu hocken und meiner Familie so gut es geht aus dem Weg zu gehen.
Meine Mutter möchte ich nicht sehen, weil sie mich mit ihren komischen Aufklärungsversuchen, da ich jetzt ja eine Freundinn habe, total nervt. Sie soll mich mit ihren doofen Bananen und Kondomen bloß in Ruhe lassen, als ob ich mit 16 Jahren noch nicht wissen würde wie Kinder entstehen…
Ich meine nur weil ich noch keine Freundinn hatte, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht wüsste was Sex ist. Sowas bescheuertes!
Meine Schwester nervt mich natürlich auch total…sie ist jetzt nämlich endlich mit ihrem Ivan zusammen!

Na Halleluja!

Ich muss zugeben, ich hätte ihr am liebsten die Augen ausgekratzt, als sie mit hochrotem Kopf und strahlenden Augen vor mir stand und mir entgegen brüllte „Ich bin jetzt endlich mit meinem Ivan zusammen!“

IHREM Ivan.

Irgendwie tat es weh, dass sie Ivan als ihr „Eigentum“ bezeichnete.
Am liebsten wäre ich auf sie losgegangen und hätte ihr irgendwelche scharfen Gegenstände ins Gesicht geschmissen, damit sie endlich aufhört so doof zu grinsen.
Aber ich habe es gelassen und sie stattdessen beglückwünscht, um sie zwei Sekunden später „unauffällig“ aus meinem Zimmer zu schmeißen.
Danach habe ich mich unter meiner Bettdecke versteckt und bin den ganzen Tag nicht mehr darunter hervorgekommen.  
Blöderweise glaubt sie ich sei selber total verliebt, in meine tolle Internetfreundin, und macht es mir damit nur noch schwerer. Denn jetzt erzählt sie mir total offen wie es in ihrer Beziehung so läuft.
Früher hatte sie das nie getan, weil sie mir nicht weh tun wollte…
Woran man wieder merkt was sie eigentlich für eine liebe Schwester ist, aber sie soll gefälligst aufhören mit Ivan zusammen zu sein und mir dann auch noch alles über ihre Beziehung zu erzählen.
Unter normalen Umständen wäre sie nie in mein Zimmer gekommen, um mir Stunden lang über ihre Liebessachen zu erzählen, aber weil ich Idiot jetzt ja selber eine Freundinn habe, war es ja kein Problem mir zu erzählen, dass sie schon mit Ivan geschlafen habe. Es soll total schön gewesen seien, denn er ist richtig liebevoll und gut im Bett.
Boah mir dreht sich mein armer Magen gleich komplett um!
WIESO?! WIESO?!
Dafür würde ich sie am liebsten noch ein Mal mehr töten!
Sie soll gefälligst ihre Finger von Ivan nehmen!
Wütend schnaube ich einmal mehr in mein Kissen, ich bin mal wieder am heulen, wie immer eigentlich. Irgendwie passt der Spitzname Memme richtig gut zu mir.
Aber was soll ich denn auch anderes machen?
Die ganze Situation ist ja auch zum heulen und ich kann mich ja nicht mal wirklich ablenken, da mein Zimmer leergeräumt ist, bis auf den Müll, versteht sich.
Sonst würde ich mir wieder ein paar Bilder von irgendwelchen Musikern ansehen, auch wenn es sinnlos wäre.

Keiner dieser Kerle ist Ivan.

Aber ich könnte Ivan im Internet stalken, ich kriege meinen geliebten Computer bestimmt bald wieder, immerhin habe ich jetzt eine Freundinn. Welch eine Freude, das schwarze Schaf der Familie scheint doch ein wenig mehr Glanz in die Familie zu bringen.
Immerhin würde ich mit einer Freundin nicht mehr in dieses typische Loser-Klischee passen.
Aber wisst ihr wer mich fast so sehr nervt wie meine Schwester?

Mein Vater!
Und zwar mit seinem dämlichen Macho-Galaber!
Vor ihm und seinen dämlichen Fragen muss ich mich ganz besonders in Acht nehmen, denn er besitzt tatsächlich die Frechheit mich zu fragen, wie meine Schnecke denn so im Bett ist.
Meiner Auffassung nach geht es ihn überhaupt nichts an! Er soll mich einfach nur in Ruhe lassen und mir keine dämlichen Fragen mehr stellen.
Mein ständiges Erröten schiebt er auf meine Sensibilität.
Heute beim Frühstück fielen tatsächlich Worte wie „Weichspüler“ oder „Softie“, und das nur weil ich mich mit meinem Vater nicht über die BH-Größe meiner Freundin unterhalten wollte. Er scheint tatsächlich auf eine Art Männerfreundschaft zwischen ihm und seinem Sohnemann zu hoffen, dieser Gedanke lässt mich Buchstäblich erschauern.

Unweigerlich drängen sich Bilder in meinen Kopf, wie ich und mein Vater, in schmutzigen Unterhemden, vor dem Fernseher sitze und grölend Fußball gucken, während meine Mutter uns neues Bier bringt.
Abartig.
Gleichzeitig muss ich aber auch daran denken wie mein Vater und ich zusammen auf meiner Hängematte sitzen und Erdbeereis essen, meine Lieblingssorte. Wir schauen uns zusammen eine Live-DVD von meinem Idol an, bei jeder Bewegung die er macht quietschen wir laut auf und grinsen über das gesamte Gesicht.
Sehr Abartig.

Stattdessen sitze ich mit verzogenem Gesicht auf meiner Hängematte und versuche diese Bilder zu verdrängen.
Von wem habe ich nur diese blühende Fantasie? Ich glaube von meiner Mutter.
Irgendwie habe ich alles von meiner Mutter, sogar das Aussehen!
Auf ihren seltsamen Partys, auf denen man Brotdosen verkauft, bin ich immer das arme Opfer, auf das sich all die überdrehten Frauen stürzen, um es ihn die Wangen zu kneifen. Und dass nur weil sie der festen Überzeugung sind, ich sehe genauso aus wie meine Mutter.
Ich verziehe ein weiteres Mal das Gesicht, ich möchte nicht aussehen wie eine Frau!
Zwar habe ich dieselbe Haarfarbe wie meine Mutter, ein seltsames dunkles Straßenköter braun und dieselben Gesichtszüge, die von anderen oft als sanft, in meinem Fall eher als Babyface, beschrieben werden.
Aber ich teile mit meiner Mutter bestimmt nicht denselben Körperbau!
Also!
Pah! Nichts da, du siehst deiner Mutter aber ähnlich!
Automatisch lege ich meinen Kopf in den Nacken, sodass meine Nase in die Luft gestreckt ist und grinse allmächtig.
Schon im nächsten Moment komme ich mir dämlich vor und hoffe dass mich keiner durch versteckte Wanzen gesehen hat.


Natürlich freue ich mich schon total auf unser gemeinsames Abendessen. Am Sonntagabend gönnen wir uns immer ein richtig schönes Essen, weil es sonst meistens nur für einfache Fertiggerichte reicht.
Nur ungern möchte ich mir dieses Essen entgehen lassen, auch wenn ich mit meiner Familie an einem Tisch sitzen müsste.
Neugierig dem aus der Küche kommendem Duft folgend, stapfe ich in den besagten Raum.
Im Raum liegt eine seltsame Atmosphäre vor. Alle sehen mich an, doch sagen tut niemand etwas.
Lediglich das knarren des Stuhles, als ich ihn unter mir zu Recht rücke und das Brutzeln des Hähnchens ist zu vernehmen.

„Na mein Sohn, sag mal…unterhalten wir uns gleich nochmal?“ Bricht meine Mutter die Stille und sieht mich mit einem ziemlich seltsamen Blick an, wetten die kommt gleich wieder mit ihren Bananen an?

„Nein ich habe eigentlich keine Lust.“ Antworte ich monoton und stopfe mir die ersten Kartoffeln in den Mund. Nanu? Haben die anderen etwa noch nicht angefangen?

„Das muss aber sein!“ Protestiert sie.

„Bei Lynn musste das auch nicht sein!“ Kontere ich.

„Aber Lynn weiß doch schon über alles Bescheid!“

„Ach und ich nicht oder was?“ Wieso behandeln mich alle immer wie ein kleines zurückgebliebenes Kind?

„Naja, bei dir bin ich mir halt nicht so sicher…“

„Ach wisst ihr was?! Lasst mich doch alle einfach nur in Ruhe!“ Jetzt bin ich aber echt sauer und auf das blöde Essen habe ich auch keine Lust mehr, zu mindestens nicht mit denen zusammen! Wütend schnappe ich mir meinen Teller, fülle ihn mir randvoll und trampel mit ihm auf mein Zimmer. Ich weiß selber, dass ich einen Höllenärger kriegen werde, aber wen kümmert es?
Ich kann laut und deutlich die Stimme meiner Mutter hören, sie schreit aus voller Kehle, dass sie mir nur etwas Gutes tun wollte. Mit Bananen oder was? Sie stürmt in mein Zimmer, um mir den Teller wieder aus der Hand zu nehmen und schickt mich schließlich ohne Essen ins Bett. Wie ein kleines Kind.

Naja wenigstens sehe ich morgen Ivan wieder, denn morgen ist ja Schule und dort werde ich auch garantiert hingehen. Er ist eine echte Motivation für mich. Ich hoffe er hat in den Pausen auch mal Zeit für mich und wenn es nur ganz kurz ist, ein oder zwei Minuten, es würde mich schon glücklich machen.
Wo wir wieder beim Thema sind, heute Nacht werde ich bestimmt wieder nicht schlafen können, weil dieser Typ mir die ganze Nacht im Kopf rumgeistern wird. Wie schon den ganzen Tag, ich habe ihn heute sogar wieder gezeichnet, zwei neue Bilder von ihm sind entstanden. Auf dem einen sieht er besonders süß aus, ich liebe dieses Bild! Mittlerweile schrecken mich meine Gedanken gar nicht mehr so sehr ab, irgendwie habe ich mich etwas daran gewöhnt, auch wenn es mich immer noch verdammt fuchst. Manchmal komme ich für einen Moment wieder aus meiner Traumwelt zurück, in die Realität, und  frage mich was ich für peinliche und komische Gedanken habe. Ich hoffe wirklich, dass es sich bei meinem seltsamen Verhalten nur um eine Phase handelt, die ganze schnell wieder vorbei geht. Denn langfristig habe ich bestimmt keine Lust auf meine schrägen Gefühle, vor allem weil sie unheimlich weh tun können.

Am nächsten Morgen stehe ich total verschlafen und müde auf, ich habe wirklich die ganze Zeit an ihn denken müssen und konnte vor Aufregung, ihn heute wiederzusehen, kaum einschlafen. Heute bin ich sogar extra früh aufgestanden, damit ich vor meiner Schwester ins Badezimmer kann, um extra viel Zeit für mein Styling zu haben.
Mittlerweile bin ich fertig mit dem Duschen und habe mir nach reiflicher Überlegung ein Outfit zusammen gestellt, ich hoffe er wird es mögen…naja es wird ihm wahrscheinlich nicht einmal auffallen, aber man kann ja hoffen und heute muss ich wirklich gut aussehen!
Ich sehe mir mein Spiegelbild jetzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit an, irgendwas muss ich doch mit meinen doofen Haaren anfangen können, bisher habe ich mir meine dunkelbraunen Haare einfach wachsen lassen und immer wenn sie Schulterhöhe erreicht haben, habe ich sie wieder auf Kinnlänge zurückschneiden lassen. Ich fand eigentlich nie dass es besonders schlecht aussah, Lynn meinte sogar dass mir diese Frisur stehen würde, aber heute möchte ich mal etwas Neues ausprobieren. Also versuche ich mit etwas Gel und Haarspray etwas richtig cooles aus meiner Frisur zu machen. Gelingt mir zwar nicht wirklich, aber nach einer guten halben Stunde sieht es echt schon besser aus, als vorher. Ich hoffe das fällt auch Ivan auf!  

„Oh mein Gott das ist nicht wahr! Nein das ist nicht möglich…ich  muss träumen!“Mit großen Augen blickt mich Lynn an, als sie die Küche betritt.

„Was denn??“ Was hat die denn nun schon wieder? Ich hoffe meiner Mutter hat sie nicht mit ihrem Bananenfieber angesteckt.

„DU bist schon so früh wach? Jetzt erzähl mir nicht, dass du vor hast freiwillig zur Schule zugehen!“

„Doch…kann ja schließlich nicht ewig so weiter gehen!“

„Ach Adrian! Du glaubst gar nicht wie stolz ich auf dich bin! Luisa scheint echt einen guten Einfluss auf dich zu haben!“ Ach wie schön…

Die ersten beiden Schulstunden wollten erst gar nicht vergehen, ich habe noch öfters als sonst auf die Uhr geguckt, eigentlich habe ich neunzig Minuten lang nur meine Armbanduhr angestarrt, um der großen Pause entgegen zu fiebern.
Zum Glück habe ich diese Prozedur mittlerweile überstanden, stehe vor seinem Klassenzimmer und warte darauf dass auch sein Unterricht beendet wird. Ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht so genau was ich sagen soll. Eigentlich ist es sogar richtig dämlich, dass ich jetzt vor seinem Klassenzimmer warte, wie so eine doofe Klette. Vielleicht sollte ich einfach wieder gehen?
Aber dann wäre die ganze Mühe umsonst gewesen….Nein ich werde warten!
Werde ich doch, oder?! Ach maaan!

Doch noch bevor ich wieder flüchten kann, fühle ich auf einmal wie etwas ziemlich hartes brutal gegen mein Gesicht schlägt, ich spüre einen kurzen Schmerz im Gesicht und sehe dann nur noch Sternchen um mich herum. Was um Himmels willen war das denn?

„Hey ADRIAAN?! Bist du okay?“ Höre ich irgendjemand rufen. Was ist das? Langsam öffne ich meine Augen, doch schließe sie wieder ziemlich schnell, alles dreht sich.

„ADRIAAN? Jetzt sag doch mal bitte was!“ Wo kommen diese Stimmen her? Ein weiteres Mal versuche ich langsam meine Augen zu öffnen, und erkenne ganz langsam ein Gesicht! Das ist IVAN!

„Ivaaan! Du bist da!“ Murmele ich glücklich vor mich hin und höre ein lautes Gelächter im Hintergrund.

MOMENT MAL?!

Was ist hier eigentlich los?! Irritiert sehe ich mich um, überall um mich stehen Mitschüler aus Ivans Jahrgang und blicken auf mich herunter. Ich liege auf dem Boden und hier ist Blut, auf dem Boden und an der Tür.
Och neee….ich habe jetzt nicht ernsthaft eine Tür ins Gesicht bekommen oder?! Ich hätte mich vielleicht nicht direkt vor die Tür stellen sollen und wie ein Aasgeier auf Ivan warten sollen. Wie peinlich! Ivan lacht mich bestimmt auch gerade aus, oder?
Nein tut er nicht! Er sagt den anderen sie sollen aufhören zu lachen, das Ganze sei überhaupt nicht lustig! Wie süüüüß! Ach er ist mein Held! Okay mittlerweile höre ich mich echt wie ein kleines Mädchen an, aber das liegt bestimmt nur daran, dass ich gerade ordentlich einen gegen die Birne bekommen habe, das zählt also nicht!

„Warte ich bring dich eben in den Sanitätsraum, kannst du alleine aufstehen oder soll ich dir helfen?“ Wie gesagt er ist ein Held! Mein Held!

„Ehm ein wenig Hilfe wäre nett…“ Also ich hätte das bestimmt auch alleine hinbekommen, aber diese Situation darf man jawohl mal ausnutzen! Und gerade jetzt wo ich meinen Kopfschaden habe…
Tatsächlich hilft er mir auf und stützt mich sogar beim Laufen. Als er seinen Arm unter meine Schultern legt um mich zu stützen wird mir ganz heiß. Um ehrlich zu sein brauche ich nun echt Gehhilfe, denn meine Beine könnten nicht mehr eigenständig gehen, sie sind weich wie Butter und zittern total! Im Sanitätsraum muss ich mich dann auf eine Liege legen und ein Schulsanitäter checkt mich kurz durch. Mein Puls sei wohl stark erhöht, naja woher das wohl kommt? Er rät mir ins Krankenhaus zu fahren, da ich eine Gehirnerschütterung haben könnte, eigentlich bin ich gar nicht begeistert von der Idee, aber Ivan hat mir versprochen mich heute besuchen zu kommen, also mache ich mich gleich auf den Weg. Der Sanitäter hätte mir auch einen Krankenwagen geholt, aber das wäre mir viel zu peinlich gewesen, die ganze Schule hätte das mitbekommen. Mir ist zwar noch ziemlich schwindelig, aber das Krankenhaus ist gleich um die Ecke, ich muss nur ein paar Minuten laufen und Ivan begleitet mich sogar bis zum Eingang! Mit seinem Arm unter Meinen Schultern!

9. Selbstmitleid

 Meinen Tag im Krankenhaus zu verbringen ist fast so ätzend und nervig, als würde ich ihn in der Schule verbringen. Ich muss ganz viele Untersuchungen über mich ergehen lassen und habe zu viel Wartezeit, in welcher mir zunehmend bewusst wird, wie sehr ich mich eigentlich vor meinen Mitschülern blamiert habe. Inklusive Ivan.
Erstens habe ich eine Tür ins Gesicht geschlagen bekommen und lag dann kurze Zeit regungslos auf dem Boden….
Zweitens, der viel peinlichere Teil, als ich wieder aufgewacht bin, habe ich Ivan total dämlich angegrinst, und konnte es mir außerdem nicht nehmen lassen, total peinlichen Kitsch von mir zu geben.

Die unangenehme Frage, die sich mir jetzt natürlich aufdrückt, ist: Was wird er jetzt von mir denken?
Wahrscheinlich, dass ich ein riesengroßer Idiot bin, der zusätzlich auch noch schwule Züge an sich trägt.
Immerhin habe ich ihn angegafft, als sei er die Schönheit in Person…

Aber irgendwo hat sich mein unglücklicher Zusammenprall mit der Tür auch gelohnt, denn für einen kleinen Moment, hatte ich seine volle Aufmerksamkeit, was mir in seine Nähe verhalf. Als er mich ins Krankenhaus brachte.
Wenn ich wieder an seinen männlichen Geruch denke, wird mir erneut ganz warm.
Für diesen Geruch, würde ich jeden Tag eine Tür ins Gesicht bekommen, auch wenn ich jetzt eine Gehirnerschütterung und eine gebrochene Nase habe!

Trotz der schönen Momente, frage ich mich, wie ich auf einmal einen Jungen mögen kann, ich meine ich bin doch nicht Schwul oder so. Es ist also völlig unmöglich!
Zwar habe ich mich bis jetzt noch nicht für Mädchen interessiert, aber ich bin auch noch keine dreißig. Das Blatt hätte sich also noch wenden können. Bei manchen dauert es halt länger, bis einem die Traumfrau über den Weg läuft.

Genau!

Hier handelt es sich nur um ein riesengroßes Missverständnis!
Grummelnd schüttele ich den Kopf, wenn ich so darüber nachdenke, will ich mich gar nicht für ein Mädchen interessieren….
Vielleicht sollte ich mir mal ganz in Ruhe Gedanken machen, was ich eigentlich will. Denn ich habe es schon immer gehasst, wenn ich von anderen in fremde Rollen gesteckt wurde und möchte mich nicht selber verstellen.
Auch wenn die ganze Geschichte auf mich ein wenig befremdlich wirkt. Ich meine, Scheiße…wer will schon schwul sein?!

Warum wieder ich?
Warum kann ich nicht wenigstens in einer Sache normal sein? Schon wieder wird es einen Punkt geben warum man mich Mädchen nennen kann und ich werde meine Eltern in einem weiteren Punkt enttäuschen.
Ich persönlich habe eigentlich überhaupt nichts gegen Schwule und akzeptiere alle, aber es bei einem selbst zu akzeptieren ist irgendwie etwas anderes, als bei anderen Menschen.

Ein weiteres Mal schüttele ich den Kopf und kneife meine Augen fest zusammen, ich habe es immer geschafft meine Gefühle zu verdrängen, warum werden sie mir ausgerechnet jetzt zum Stolperstein?

Außerdem gibt es noch eine weitere ungeklärte Frage, warum muss dieser Stolperstein ausgerechnet Ivan sein?
Ich kann mich noch gut an den Hass erinnern, den ich zu Anfang gegen ihn gehegt habe. Außerdem ist er nicht wirklich fair zu mir gewesen.
Aber vielleicht habe ich ihn ja gerade so gehasst, weil ich irgendwie schon gemerkt habe, dass ich ihn eigentlich total gerne habe und wollte es einfach nur nicht wahrhaben?
Diese Fragerei nervt mich, ich sollte es einfach dabei belassen, dass ich ein weiteres Mal Pech gehabt habe.
Dass ich Ivan „mag“ ist sowieso nicht gerade gut gelaufen, immerhin ist er mit meiner Schwester zusammen!
Wie soll es auch weitergehen…Sie wird mir den ganzen Tag die Ohren zu quatschen, außerdem werde ich die beiden ganz oft zusammen sehen…
Oh Gott ich muss mir diesen Typen einfach aus dem Kopf schlagen, aber wieso muss sich meine Schwester bei all ihren Verehrern auch ausgerechnet in Ivan verlieben?!
Genau so herum könnte man das ja auch mal sehen, sie kriegt immerhin immer jeden Typen ab und ist ständig in jemanden verliebt und ich war es bis jetzt noch nie!
Ich war noch nie verliebt und es gab auch noch nie jemand der sich für mich interessiert hat. Und jetzt bin ich endlich auch mal dran mit Schmetterlingen im Bauch, Herzklopfen und diesem ganzen Kitsch und da kommt meine Schwester einfach an und schnappt ihn mir einfach vor der Nase weg!
Gegen Nachmittag öffnet sich dann endlich die Tür von meinem Zimmer. Ich bin stationär aufgenommen worden und muss zwei Nächte hierbleiben. Aber darüber habe ich mir eigentlich noch nicht so viele Gedanken gemacht, denn ich habe nur Ivans Besuch entgegen gefiebert und jetzt ist er wahrscheinlich endlich da. Meine Mutter hat vorhin auch kurz angerufen, sie haben wohl keine Zeit um vorbei zu kommen, warum auch immer. Aber das ist jetzt egal, immerhin ist Ivan jetzt da und dann habe ich ihn eine Weile für mich. Für mich ganz alleine….ohne Lynn!

Nur leider zerplatzt meine Seifenblase wieder ziemlich schnell, denn der Gute hat seine neue Freundinn höchstpersönlich mitgebracht. Och neeee! Wie gemein! Ich hab zwar nichts dagegen, dass Kathleen mich auch besucht, aber doch nicht mit Ivan zusammen! Das gibt es doch nicht!

Verdammt!

„Heeey mein Kleiner! Was machst du denn? Guck mal, ich habe dir Schokolade mitgebracht!“ Ruft meine Schwester besorgt und stürzt mit der Riesenschokoladentafel und einer Karte auf mich zu. Ohja Schokolade kann ich jetzt gut gebrauchen! Eigentlich ist sie ja eine liebe Schwester. Sie hat mir sogar noch eine Karte geschrieben. Auf der Deckseite ist ein Teddybär mit einem verletzen Arm abgebildet und auf der Rückseite steht geschrieben:
Gute Besserung und einen nicht allzu ätzendes Krankenhaus Aufenthalt wünschen dir:
Lynni und Ivan

Oh mein Gott! 

Ivan hat die Karte auch unterschrieben! Oh wie süß!
Und er hat sogar die Karte geschrieben, denn das ist nicht Kathleens Schrift!
Er hat so eine schöne Schrift und das ist soo lieb von ihm! Total fasziniert starre ich die Karte an, das Blut schießt mir in mein Gesicht und ich werde ziemlich rot.

„Adrian geht es dir nicht gut? Alles Okay?!“ Fragt mich meine Schwester besorgt, als sie mein knallrotes Gesicht sieht.

„Ehm…geht schon…Ich habe Kopfschmerzen, aber das ist normal für eine Gehirnerschütterung!“ Nuschel ich mit großen Reh-Augen.

Ich bin immer noch total fasziniert von Ivans Karte. Ich glaube ich werde Lynn’s Namen weg killern!
Eine Weile lang unterhalte ich mich mit den beiden, und versuche dabei besonders mit Ivan ins Gespräch zu kommen. Nur leider muss er ziemlich früh wieder weg, weil seine Freistunde endet. Dafür bleibt meine tolle Schwester bei mir, na welch eine Freude. Dabei kann ich sie zur Zeit überhaupt nicht ertrage! Wenn ich nur daran denke, wie nah sie Ivan seien darf, kriege ich die absolute Krise. Ich würde viel lieber mit ihm kuscheln…

10. Enttäuschung

 Die zwei Tage im Krankenhaus waren echt total ätzend! Die einzigen Lichtblicke waren Ivans Besuche, nur leider kam er auch am nächsten Tag zusammen mit Kathleen. Aber naja besser als gar nicht.

Vor dem heutigen Schultag habe ich schon die ganze Nacht Angst gehabt. Ivans Mitschüler haben den Vorfall bestimmt nicht vergessen und werden sich heute ziemlich über mich lustig machen. Es soll sich durch die ganze Schule gesprochen haben, dass Memmen-Adrian eine Tür in das Gesicht bekommen hat, und danach ziemlich peinliche Dinge gesagt hat.
Alleine bei dem Gedanken Ivan könnte sich ebenfalls über mich lustig machen, wird mir ziemlich übel.
Ich hoffe Ivan wird zu mir stehen und sich nicht den anderen anschließen. Das würde ich unter keinen Umständen verkraften. Um ehrlich zu sein, wäre es meine größte Angst, dass Ivan mich plötzlich nicht mehr mag, weil ich so peinlich bin. Und das nach seiner lieben Karte.

Genervt trottele ich zusammen mit Lynn den Schulweg entlang. Ich habe lange über das Schwänzen nachgedacht und sogar einen Magen Darm Virus vorgetäuscht. Aber meine Schwester hat einfach nicht locker gelassen, dabei habe ich meine Mutter fast überzeugt wirklich krank zu sein. So ein Mist aber auch.
Als wir uns dem großen Schul Tor nähern werde ich immer nervöser. Die Scheiben des Haupteinganges spiegeln mein Gesicht ungünstig wieder, auf meiner Nase klebt ein riesiges  Pflaster und meine Wange ist noch leicht geschwollen. Kurz gesagt, ich sehe ziemlich dämlich aus.
Meine Mutter hat mich heute Morgen beim Frühstück kleiner Frankenstein genannt, sie empfand diesen Namen tatsächlich als einen süßen kleinen Spitznamen.
Natürlich entgeht mein fragwürdiges Äußeres auch meinen Mitschülern nicht, von allen Seiten bekomme ich blöde Blicke zugeworfen. Teils belustigt, teils drohend.
Wie es auch nicht anders seien sollte, dauert es nicht lange bis die ersten richtig gemeinen Kommentare von irgendwelchen Mitschülern kommen.

„Na Süße? Bist wohl auf die Schnauze gefallen was? Aber keine Sorge…das Pflaster steht dir!“ Ruft einer der „Coolen“, als ich an ihm vorbeigehe. Um ihn herum haben sich viele Jugendliche angesammelt und lachen mich öffentlich aus.

Zähne zusammenbeißen und Stark bleiben…

„Ey sag mal hast du ein Problem, oder was?“ Wie aus dem Nichts erscheint auf einmal Ivan und funkelt den hochgewachsenen Sunnyboy böse an, welcher nur leicht den Kopfschüttelt und sich dann aus dem Staub macht.

OH MEIN GOTT!

Das war der absolute Wahnsinn von Ivan! Das werde ich ihm nie im Leben vergessen. Vor kurzem ist er noch so gemein zu mir gewesen und jetzt ist er so lieb zu mir! Er hat mich ernsthaft vor allen seinen Mitschülern und Freunden in den Schutz genommen! Er ist einfach mein Held! So etwas hätte nicht einmal Kathleen für mich getan, sie stand zwar immer hinter mir, aber so öffentlich und deutlich hätte sie das niemals getan….und dabei kennt mich Ivan ja noch nicht mal besonders lange und tut so viel für mich.
Und jetzt kommt er mit seinem unsagbar schönem Lächeln auf mich zu und fragt mich ob ich okay bin…natürlich kann ich mich kaum bewegen und nicke nur schwach.

„Komm mal mit!“ Sagt er mit fester Stimme. Das klingt fast so, als hätte er etwas Wichtiges mit mir zu besprechen…aber was gibt es mit mir schon Wichtiges zu besprechen?
Er schleppt mich auf den Pausenhof und setzt sich mit mir auf eine Bank, die nicht so in der Menschenmenge steht, sondern eher abseits. Bin ich ihm jetzt doch peinlich?

„Danke das du mir eben geholfen hast…das war echt nett von dir!“ Bedanke ich mich brav, und werde gleich wieder rot.
„Kein Problem…du bist ja schließlich der Bruder meiner Freundinn!“ Grinst er mich an und versetzt mir damit einen ganz schönen Stich in mein armes kleines Herz. Ja…der Bruder seiner Freundinn! Genau das bin ich für ihn! Vielleicht sollte ich mich nicht zu tief in meine rosaroten Wolken wiegen…

„Sag mal…Ich wollte dich mal etwas fragen. Ich habe manchmal das Gefühl es geht dir nicht gut…was ist dein Problem?“
Aber dafür dass ich nur der Bruder seiner Freundinn bin, interessiert er sich ganz schön für mich! SO hat das noch nie jemand getan….klar fragt Kathleen mich ab und zu mal wie es mir geht. Ich möchte ihr Interesse an mir auch nicht bezweifeln, aber so direkt hat noch nie jemand gefragt, wie es mir wirklich gehen würde.
Etwas nervös blicke ich auf den Boden, was soll ich denn jetzt antworten?
Einfach die Wahrheit?
Dass ich ein Loser bin und es nicht ertrage von alles gehasst zu werden?

„Naja…es nervt mich halt das ich immer der Loser bin…“ Nuschel ich in mich hinein und versuche seinem Blick aus dem Weg zu gehen.
Für einen kurzen Moment schweigt er, bis er zum Sprechen ansetzt.

„Also…ich finde wirklich nicht, dass du ein Loser bist, aber wenn du möchtest können wir an deinem Ruf etwas ändern.“ Lächelt er mich aufmunternd an. Bei seinen Worten wurde mir ziemlich warm, er sieht mich nicht als einen Loser? Sogar bei Kathleen habe ich öfters, dass Gefühl sie sieht auf mich herab.

„Achja und wie? Ich habe eine super beliebte Schwester und noch nicht einmal die konnte meinen Ruf irgendwie retten!“

„Ach das kriegen wir schon hin…du hast Probleme in Mathe oder?“

„Ja so wie in allen Naturwissenschaften…und Geschichte…Deutsch….etc…Ich bin einfach total hohl…“ Irgendwie fühle ich mich gerade ziemlich arm, ich mache mich selber vor Ivan schlecht, müsste ich nicht eigentlich versuchen ihm zu imponieren?

„Da kann ich dir doch helfen….Mathe und Naturwissenschaften sind voll mein Ding! Wenn du willst kann ich dir mal ein wenig Nachhilfe geben!“ Oh…Das ist echt super lieb, ich weiß gar nicht was ich sagen soll!

„Echt das würdest du für mich tun?“ Strahle ich ihn viel zu auffällig an, es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich denken kann wie gerne ich ihn mag.

„Klar…du kannst gleich morgen Mittag vorbeikommen! Aber deine Noten sind doch nicht dein einziges Problem, oder?“

„Es ist wegen Lynn oder?“ Harkt er noch einmal nach.
Als ich nach ein paar Momenten immer noch nicht geantwortet habe, erklärt er seine Vermutung.

„Naja ich hab manchmal das Gefühl, du bist eifersüchtig auf sie und in letzter Zeit versteht ihr euch irgendwie nicht so gut, soll ich vielleicht mal mit ihr reden?“

„Und was willst du ihr sagen?“

„Naja…das sie vielleicht auch mal ein wenig mehr Rücksicht auf dich nehmen soll und mehr hinter dir stehen sollte, immerhin hat sie da einen ganz tollen Bruder!“ Oh mein Gott, wenn er weiter so redet fange ich gleich an zu heulen! Er würde sich vor ihr für mich einsetzten! Und er hat gesagt ich sei ein toller Bruder!

Er verspricht mir tatsächlich mit ihr zu reden. Total beschwingt von dem Gespräch mit Ivan kehre ich zurück in den Unterricht und ignoriere alle dämlichen Sprüche die über mich, bezüglich meines XXL-Pflasters, fallen gelassen werden. Zuhause angekommen schmeiße ich meine Schulsachen in die Ecke und werfe mich sofort überglücklich in mein Bett. Mit lauter Schmetterlingen im Bauch kralle ich mich an meine Bettdecke und drücke sie gegen meine Magenregion. Ich kann es kaum glauben dass Ivan so lieb zu mir ist und mir morgen sogar Nachhilfe geben will!
Plötzlich platzt Kathleen in mein Zimmer und schnauzt mich wütend an.

„Falls du das schon vergessen hast ist er MEIN Freund!“ Keift sie und baut sich mit geballten Fäusten vor meinem Bett auf.

„Nein habe ich nicht…wieso?“
„Weil er mich plötzlich wegen dir anpampt und morgen keine Zeit für mich hat, weil er dir Nachhilfe geben will, geht’s noch? Ich habe mich auf einen schönen romantischen Samstag mit meinem Freund zusammen gefreut und was machst du? Versaust mir einfach alles!“ Tief in mir freue ich mich unheimlich dass ich Lynn ihren „romantischen Samstag“ versaut habe, immer wieder gerne! Seit wann kann ich eigentlich so gemein sein?

„Ja na und? Und deswegen darf ICH mich nicht mit ihm treffen?!“

„Jedenfalls nicht so dass er keine Zeit mehr für MICH hat!“

„Du übertreibst voll! Er gibt mir morgen nur ein wenig Nachhilfe. Sag mal bist du jetzt eifersüchtig, oder was?“

„Auf was denn bitte? Außerdem wundere ich mich schon, wenn MEIN Freund mehr Zeit mit meinem Bruder verbringt als mit MIR!“

„Ach so ein Blödsinn….wir verstehen uns halt gut!“
„Das ist aber schon ziemlich komisch…Ich dachte du magst Ivan nicht? Außerdem seit wann bist du eigentlich mit Kerlen befreundet? Ist Ivan dir nicht viel zu männlich?“ Keift sie weiter, und bringt mich mir ihren Kommentaren beinahe aus dem Konzept.

„Sag mal spinnst du?! Was willst du damit bitte sagen?“ Meine Stimme gleicht nur noch einem Fiepen.

„Naja das kannst du dir doch denken, oder?“ Mit einem Mal werde ich ganz rot im Gesicht. Sie meint doch nicht etwa…?
Also sie weiß doch nichts, oder?
Bin ich so auffällig?

„Du bist bis jetzt immer nur mit Mädchen befreundet gewesen, und auch so bist du eher der softe Typ!“ Wütend funkelnde Augen blicken mich an.

„Eh…na und?!“ Ich würde mich jetzt am liebsten in Luft auflösen! Das kann doch echt nicht wahr sein! Wenn sie erfährt das ich Ivan…naja….SO mag, dann habe ich echt ein riesen Problem!

„Naja Ivan passt einfach nicht zu dir! Er ist nicht deine „Liga“, Ivan ist cool weißt du?“
Fassungslos starre ich sie an. Das kann doch jetzt nicht ihr ernst sein! Ich dachte sie steht zu mir… Und jetzt das?! Jetzt wo Ivan da ist, bin ich ihr also nicht mehr gut genug?

„Ist das jetzt dein Ernst? Ich bin dir also nicht „cool“ genug….na wenn das so ist…dann brauchst du mich jetzt auch nicht mehr!“ Schreie ich sie wütend an, und halte mir meine Hände vor die tränenden Augen.

„Neein, Adrian….so war das nicht gemeint!“ Versucht sie mich zu beruhigen, in ihrer Stimme schwingt beinahe etwas wie Reue mit.

„Ach komm hör auf…ab jetzt kannst du auf mich verzichten, sonst bin ich dir noch peinlich!“

Ich bin so wahnsinnig enttäuscht von ihr!

Wie kann sie sowas zu mir sagen?!

11. Nachhilfestunde

 Der Regen prasselt wie wild gegen meine Fensterscheibe, der unregelmäßige Rhythmus der Tropfen lässt mich noch nervöser werden. In einer Stunde werde ich mich auf den Weg zu Ivan machen. Natürlich bin ich bereits seit zwei Stunden fertig und versuche ungeduldig die Zeit zu überbrücken. Ich hätte niemals gedacht dass ich mich auf eine Nachhilfestunde so freuen würde.
Aber es handelt sich ja auch nicht um eine normale Unterrichtsstunde, sondern um neunzig Minuten alleine mit Ivan Seligmann, dem Mann meiner Träume. Ich habe heute schon angefangen Mathe zu lernen um ihn ein wenig zu beeindrucken, aber ich möchte auch nicht zu viel wissen, denn sonst könnte er denken dass ich keine Hilfe brauche. Aber nun gut dieser Fall ist ausgeschlossen, denn alleine werde ich sowieso nie zum Mathegenie, ich weiß auch gar nicht wie ich es gleich schaffen soll mich zu konzentrieren. Ich werde einen ganzen Nachmittag nur mit ihm alleine haben! Ohne meine blöde Schwester, welche ihn die ganze Zeit nur so ekelig anschmachtet, und er lässt das auch noch mit sich machen!
Sie glaubt sowieso sie sei etwas Besseres, auch wenn ich ihr in diesem Punkt leider Recht geben muss, aber sie muss es einem trotzdem nicht so deutlich unter die Nase reiben.
Dass ICH ihr allerdings das Wochenende versaut habe, freut mich unheimlich. Heute ist sie mal diejenige, die alleine zuhause bleiben muss. Während ich bei Ivan bin.

Eine Stunde später mache ich mich total aufgeregt auf den Weg zu Ivan.
Ich kann mich kaum auf den Verkehr konzentrieren und rase mit meinem Fahrrad wie ein armer Irrer durch die Straßen, wenn ich nicht aufpasse habe ich bald noch ein zweites Pflaster im Gesicht kleben. Als ich an einem Kleingarten vorbei fahre, übersehe ich beinahe ein altes Ehepaar, die Reihe Mülltonnen hätte ich natürlich ebenfalls mitgehen lassen. So etwas lasse ich mir doch nur zu ungern entgehen.

Ich scheine wirklich einen geduldigen Schutzengel gehabt zu haben, als ich unversehrt das Fahrrad in seinem Schuppen parkte, um einen Moment später zur Haustür voranzuschreiten.
Schon nach einem kurzen klingeln wird mir enthusiastisch die Haustür geöffnet. Eine zirka 160 cm große Frau mit langen schwarzen Haaren steht strahlend vor mir und bittet mich in ihr Haus.
„Hallo! Du musst Kaddlins Bruder sein!“ Flötet die aufgeregte Frau mir entgegen. Wer ist denn bitteschön Kaddlin?

„Ehm ich glaube sie müssen mich verwechseln…“

„Nein, nein! Kaddlin…Ivans neue Freundinn! Ach ich mag sie total gerne! Ich bin übrigens Velana, Ivans Mutter! Aber komm erst mal rein...und mach es dir bequem!“ Ach Kathleen. Für einen kurzen Moment schleicht sich ein sarkastisches Grinsen auf mein Gesicht. Ich empfinde es als zu komisch, dass Ivans Mutter Lynns Namen nicht aussprechen kann, ob das ein gutes Omen ist? Ich hoffe nicht…

„Ehm okay…danke!“ Lächele ich und folge ihr in das Wohnzimmer, in dem Ivan ganz lässig auf der großen weißen Couch sitzt, und auf mich zu warten scheint.

„Hey da bist du ja! Du kannst schon mal nach oben gehen, ich hole uns noch etwas zu trinken!“ Hastig nicke ich und mache mich sofort auf den Weg die steilen Treppenstufen zu erklimmen. Nach einer anstrengenden Reise stehe ich in der ersten Etage und blicke mich neugierig in dem kleinen Flur um.
Eine Tür rechts von mir gelegen deute ich als Ivans Zimmer, denn die Zimmertür ist mit einigen Postern von Musikern und Sportlern versehen.
Tatsächlich behalte ich Recht, als ich vorsichtig die Tür öffne. Hier scheint tatsächlich Ivan zu leben.
Er hat ein relativ großes Zimmer, die Wände sind in einem ziemlich knalligem Rot gestrichen, Spinner. Unter einer Schräge mit einem großen Fenster steht sein Bett, wie romantisch. Nachts kann man von dort aus bestimmt in den Sternenhimmel sehen.
Unsicher gehe ich auf das Bett zu und setze mich vorsichtig hin. Mit meiner rechten Hand streiche ich über den dunkelblauen Bettbezug. Am liebsten würde ich mich jetzt in sein Bett kuscheln, aber ich bin ja leider nicht zum kuscheln hier. Außerdem will ich nicht wissen wer vor mir in diesem Bett lag, auch wenn ich es mir denken Kann. Mir wird schlecht…
Um mich von diesem abstoßenden Gedanken abzulenken schaue ich mich ein wenig in seinem Zimmer um und fahre ziemlich zusammen, als ich einen Bilderrahmen auf seinem Nachttischchen entdecke.
Ein Bild…von Kathleen und Ivan zusammen. Ivan hält sie ganz fest im Arm und drückt ihr einen Kuss auf die Stirn während sie ihn glücklich angrinst und ihre Hände auf seine Arme legt.
Ach wie süß…in mir dreht sich gerade alles um und mir wird noch um einiges übler als zuvor. Genau in diesem Moment schreitet Ivan zur Tür hinein und balanciert gekonnt ein Tablett mit zwei Gläsern Limonade und Salzstangen, welches er auf seinem Schreibtisch abstellt.

„Hey ist alles in Ordnung?“ Fragt er mich besorgt und setzt sich neben mich. Nur schwerlich kann ich meine Tränen unterdrücken und versuche Stärke zu behalten.

„Das Bild habe ich von Lynn gestern geschenkt bekommen, ich finde es eigentlich ziemlich lieb von ihr, aber irgendwie übertreibt sie auch…“ Sagt Ivan monoton, als er gesehen hat dass ich das Bild angestarrt habe. Ganz plötzlich sind alle Tränen vergessen und ich schaue ihn zufrieden an. Sie übertreibt also?

„Wieso?“ Frage ich ihn interessiert.

„Naja ich kann nach ein paar Tagen Beziehung nicht sagen ob es die große Liebe ist, aber sie verhält sich als wären wir seit Jahren glücklich zusammen, und überhäuft mich mit Bildern, Liebeserklärungen und Anrufen. Wehe ich habe mal fünf Minuten keine Zeit für sie…“

„Ja das habe ich gemerkt….sie war voll sauer dass du dich heute mit mir triffst und nicht mit ihr…tut mir leid…“ Tut es mir nicht!

„Ich weiß…um ehrlich zu sein regt mich so ein Verhalten ziemlich auf, aber ich will nicht schlecht über sie reden, ich mag sie ja trotzdem und bin froh sie als Freundinn zu haben.“
Ein weiterer tiefer Riss in meinem Herzen, hätte er sich diesen Satz nicht sparen können?

„Naja wollen wir anfangen? Schreibst du bald eine Klausur oder so?“
Wie um Himmels Willen soll ich mich denn bitteschön konzentrieren, wenn ich die ganze Zeit neben Ivan sitze? Er hat ein total hübsches Gesicht wenn er sich konzentriert und nachdenkt. Er legt die Stirn immer in Falten und kräuselt etwas die Lippen.
Irgendwie bewundere ich ihn total…für seine total coole und lässige Art. Er strahlt einfach so eine Ruhe und Gelassenheit aus, das ist der Wahnsinn! Außerdem hat er eine wahnsinnig schöne Sprechstimme und erzählt immer so viele tolle Sachen. Am liebsten würde ich ihm den ganzen Tag zuhören wenn er spricht!
Außerdem bewundere ich sein Selbstbewusstsein, er zieht immer sein eigenes Ding durch und achtet nie auf das was andere ihm sagen….das könnte ich nicht!
Sobald ich bei ihm bin fühle ich mich sicher und immun gegen die blöden Blicke und Kommentare meiner Mitschüler, weswegen ich immer versuche in den Pausen bei ihm zu sein. Lynn scheint es ziemlich zu nerven, weil sie ihren Freund für sich allein habe will, aber ich möchte auch Zeit mit ihm verbringen. Sie kann es schließlich den ganzen restlichen Tag.

Weiß sie eigentlich was für ein Glück sie hat?

In letzter Zeit hasse ich sie schon fast dafür!

Ich hasse meine eigene Zwillingsschwester….dabei ist sie immer für mich da gewesen!

Und ich kann noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben….weil dieses Mädchen einfach so viel Glück im Leben hat! Dabei kann sie eigentlich nichts für, ihr wird halt alles zugeworfen…das ist schon immer so gewesen.

„Hey sag mal was ist denn los? Kannst du dich nicht konzentrieren?“ Holt er mich auf einmal aus meiner Gedankenwelt.

„Doch…doch!“ Ich muss mich echt mehr anstrengen, schließlich will ich ihn nicht enttäuschen…

„Na sag schon! Ist es immer noch wegen dem Streit zwischen dir und Lynni?“

„Also eigentlich verstehen wir uns ja super, aber in letzter Zeit haben wir irgendwie eine Krise….ich weiß auch nicht wie so“


Es tut richtig gut mir alles von der Seele reden zu können.

„Ich würde dir ja gerne mehr helfen was Lynn angeht, aber irgendwie stehe ich bei euch total zwischen den Stühlen. Aber ich kann ja nochmal versuchen mit ihr zu reden.“

„Danke aber das musst du nicht. Ich bin eh schon euer Streitthema Nr. Dass ich es jemandem erzählen kann hilft schon ganz gut.“


Eigentlich hätte ich ja kein Problem damit wenn die beiden sich streiten, aber ich muss mich vor Ivan natürlich so unauffällig wie möglich verhalten.

12. Fettnäpfchen-Slalom

 Ich habe es geschafft!
Das ist doch unglaublich! Ich habe tatsächlich eine 3- in Mathe geschrieben! So eine gute Mathe Arbeit habe ich noch nie in meinem ganzen Leben geschafft!
Und das nur wegen Ivan! Direkt nachdem ich die Arbeit von meiner überraschten Lehrerin ausgehändigt bekommen habe, bin ich sofort zu ihm gerannt, natürlich mit einem besonderen Sicherheitsabstand der Tür gegenüber.
Ich wäre Ivan beinahe vor Freude entgegengesprungen als ich ihn gesehen habe, aber ich konnte mich zum Glück zusammenreißen.
Kathleen ist natürlich auch ziemlich stolz auf mich, vor allem aber überrascht. Tja damit hätte sie wohl nicht gerechnet! Das der Adrian aus der unteren Liga mal eine drei in Mathe schreibt! Ich kann es kaum erwarten es meinen Eltern zu sagen, sie rechnen bestimmt wieder mit einer fünf oder sechs.
Ivan freut sich richtig für mich und nimmt mich sogar kurz in den Arm. Ich kann es kaum fassen und versuche mir diesen Moment so gut wie es geht einzuprägen, auch wenn es nur ganz kurz war. Damit ich mich nicht großartig vor ihm blamiere stolpere ich schnell zurück und stammele mir eine Ausrede zusammen warum ich diesen Ort schnell verlassen müsse. Denn ansonsten wäre ich wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen.

ER HAT MICH UMARMT!!

Mal wieder bin ich so hibbelig und aufgeregt, dass ich gerade so einen Fahrradunfall verhindern konnte. Irgendwie kann ich mich nicht konzentriert und vor allem langsam fahren, wenn ich an ihn denke. Irgendwann werde ich wegen ihm bestimmt unter großen LKW-Rädern landen, oder so.
Zuhause stürme ich sofort in unser Wohnzimmer und bekomme fast kein einziges Wort heraus. Meine Eltern werden stolz auf MICH sein! Und dieses Mal wegen etwas das auch wirklich stimmt! Und nicht wegen einer ausgedachten Freundin…

„Ich habe meine Mathe Arbeit wieder!“ Keuche ich aufgeregt und bekomme nur gelangweilte Blicke von meinen Eltern, welche auf dem kleinen Sofa sitzen und eine kleine Mahlzeit zu sich nehmen.

„Aha…und hast du wenigstens mal eine Mitleidsfünf geschafft?“ Fragt mich meine Mutter mit einer genervten Stimme.

„NEIN!! Nein…ich habe eine drei geschrieben!“ Schreie ich schon fast hysterisch auf und hüpfe glücklich durchs Wohnzimmer, sehr unmännlich…ich weiß!
Meine Eltern starren mich einfach nur entsetzt an, und scheinen nicht zu glauben was ich da gerade gesagt habe, wenn ich mich jetzt noch richtig anstrenge werde ich vielleicht sogar versetzt! Ich muss nur am Ball bleiben, auf einmal habe ich total viel Motivation die zehnte Klasse zu schaffen!

„Adrian…ist das dein Ernst?“ Fragt meine Mutter ungläubig.

„Jaaa!“ Quieke ich auf und krame die Mathe Arbeit aus meiner Schultasche. Mein Vater nimmt sie mir sofort aus der Hand und scheint sich fast an seinem Brot zu verschlucken als er die 3- sieht.

„Junge, das hast du echt gut gemacht! Wir sind stolz auf dich!“ Der letzte Satz geht runter wie Öl. Sie sind stolz auf mich, ein wundervolles und vor allem vermisstes Gefühl.
Den heutigen Tag kann keiner mehr wirklich trüben. Ivan hat mich umarmt, ich habe eine 3  geschrieben und meine Eltern sind stolz auf mich. Besser geht es nicht oder?
Sie haben mir sogar meinen Computer wieder gegeben! Darüber habe ich mich besonders gefreut, denn nun kann ich mir mal Ivans Seiten im Internet angucken. So wie ich mich kenne werde ich sie mir vermutlich nicht nur ansehen, sondern ich werde ihn erbarmungslos stalken, aber das ist jetzt auch egal!
Tatsächlich besitzt er soziale Netzwerke mit vielen hübschen Fotos, aber leider auch mit der Information das er mit einer Kathleen Gerdes zusammen ist, super. Natürlich konnte es sich meine Schwester nicht nehmen lassen alle zwei Minuten auf seine Seite ein Herz oder ein „Ich liebe dich über alles“ zuschreiben…der Arme…

Es liegt sogar schon etwas länger eine Freundschaftsanfrage von ihm in meinem Postkasten, kann man es glauben?
Nachdem ich mir ein paar Fotos von ihm angesehen habe, habe ich beschlossen sie abzuzeichnen.
Sofort mache ich mich an die Arbeit, und versinke förmlich in ihr.

Eigentlich fehlen nur noch ein paar Konturen und das Bild ist fertig. Es ist unglaublich was gezeichnete Bilder ausdrücken können, ich finde auf eine bestimmte Art und Weise sind sie sogar lebendiger als Fotos. Deswegen liebe ich es auch so sehr Ivan zu zeichnen. Er ist so ein schöner Mann und hat einfach ein perfektes Gesicht. Alleine wenn ich an seine Augen denke könnte ich schon dahin schmelzen. Und ich finde seine Augen sind mir dieses Mal auch ziemlich gut gelungen, zwar ist es tausend mal schöner ihm gegenüber zu stehen und in seinen blau-grauen Augen zu versinken, aber dazu habe ich leider nicht so oft die Möglichkeit und deswegen ist jetzt auch das gefühlt zehntausende Bild von ihm fertig.  

Wenn man sich das mal so überlegt, verhalte ich mich ziemlich peinlich, meine Gedanken sind ekelig kitschig und ich verhalte mich wie ein pubertierender Teenager! Dabei bin ich mit sechzehn schon laaange aus dem Alter raus! Naja vielleicht muss ich ja was nachholen, aber trotzdem wäre es ganz nett wenn diese Schwärmereien endlich mal aufhören würden, immerhin ist er ein KERL und der Freund meiner ZWILLINGSCHWESTER! Es wäre mir so unglaublich peinlich wenn das rauskommen würde!

„Uhh was zeichnest du denn da?“ Erschrocken fahre ich zusammen und klappe meinen Zeichenblock ganz schnell zusammen. Plötzlich steht meine Schwester hinter mir und beäugt meinen Zeichenblock neugierig.

„Ehm nix!“

„Ach komm schon! Sei doch nicht immer so wenig von dir selbst überzeugt! Na komm zeig her!“ Das sagt diejenige, die mich in die untere Liga einordnet?

„Nein! Lass mich bitte!“ Mit einem Mal werde ich ganz rot.

„Uuh lass mich raten! Du hast deine Freundinn gezeichnet, oder?“ Meine Freundinn…haha…

„Ehm ja…aber das Bild ist mir nicht so gut gelungen!“ Mittlerweile habe ich mich mit meinem ganzen Körper über den Zeichenblock gebeugt und versuche ihn vor meiner Schwester zu beschützen.

„Ach das ist doch egal! Ich will sie mal sehen! Wie hieß die gleich nochmal?“ Oh scheiße! Genau wie hieß die eigentlich nochmal….ich habe mir ihren Namen natürlich nicht gemerkt…verdammt.

„Ehm….Also…sie….Ist doch eigentlich nicht so wichtig oder?“ Versuche ich mich heraus zu reden. Woraufhin ich ziemlich ungläubige und verwirrte Blicke ernte. Denk nach Adrian! Denk nach! Streng dein verdammtes Erbsenhirn an!

„Du weißt nicht wie deine Freundinn heißt?“

„Doch natürlich weiß ich das….ich finde es einfach nicht so wichtig wie sie heißt….genau! Namen sind doch unwichtig, ich liebe sie doch für ihren Charakter und nicht für irgendeinen Namen den ihre Eltern ihr vor Jahren mal gegeben habe!“  Oh Adrian du bist so ein unglaublich schlechter Philosoph und armselig noch dazu! Du kannst noch nicht einmal eine Beziehung mit einer Fantasiefreundin führen…

„Sag mal Adrian? Was erzählst du da eigentlich für einen Mist? Du kannst doch trotzdem wissen wie sie heißt?“ Meine Schwester sieht mich mittlerweile schon fast abgeneigt an. Okay ich habe auch einen unglaublichen Blödsinn aufgebunden und dass ich ihr das Bild nicht zeigen möchte muss sie auch sehr seltsam finden. Oh man…

„Ja schon….ich weiß ja auch wie sie heißt….nur ich finde es halt…naja…du weißt schon….nicht so wichtig….“ Meine Stimme wird immer leiser zum Ende des Satzes hin.

„Irgendwas stimmt da doch nicht…du hast doch eine Freundinn oder?“ Hmm soll ich auf Risiko gehen und versuchen mich weiter raus/reinzureden oder soll ich ihr lieber erzählen dass es dieses Mädchen niemals gab? Wäre vielleicht besser aber dann wird sie wissen wollen in wen ich wirklich verliebt bin und warum ich ihr das nicht sagen konnte.

„Du hast also keine Freundinn?“

„Naja du bist doch diejenige die die Geschichte ins Rollen gebracht hat!“

„Und warum lügst du mich an?“ Lynn sieht ganz schön enttäuscht und wütend aus, dass ich sie angelogen habe.

„Ich weiß auch nicht, ich wollte halt nicht immer nur der Loser sein!“

„Na toll, und deswegen lügst du mich an?“ Fragt sich mich schockiert.

„Ach…du kannst mich doch gar nicht verstehen! Bei dir läuft ja auch immer alles glatt!“

„Na und? Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Ich finde es total scheiße dass du mich anlügst! Ehrlich das verletzt mich voll!“ Ach wie tragisch…

„Und mich verletzt dass ihr mich alle immer wie den letzten Deppen dastehen lässt! Und das ich immer nur das kleine Mädchen bin!“ Brülle ich sie stocksauer an, wenn ich mich nicht ein klein wenig mehr am Riemen reiße, werfe ich ihr gleich auch noch die Sache mit Ivan vor, und das wäre gar nicht gut.

„Du hättest mir ja trotzdem die Wahrheit sagen können…“ Meint sie versöhnlich und geht einen Schritt auf mich zu, als sie sieht dass sich meine Augen mit Tränen füllen.

„Sagst du es bitte nicht unseren Eltern?“ Frage ich sie bittend und werde dann von ihr in den Arm genommen. Eigentlich eine schöne Geste, und eine sehr vermisste Situation.
Noch eine ganze Weile hält sie mich einfach fest, bis es an unserer Haustür klingelt.

„Das muss Ivan sein!“ Flüstert sie und lässt mich wieder los, um zur Haustür zu gehen.

Ivan!

Hastig schließe ich meine Zimmertür ab und wische mir schnell meine Tränen aus meinem Gesicht. Er muss mich ja schließlich nicht so verheult zu Gesicht bekommen. Der Spiegel in meinem Zimmer sieht das allerdings anders. Meine Augen sind rot verfärbt und meine Tränensäcke rosa und total angeschwollen. Ich sehe aus wie ein kleines Kind das seinen Lolli nicht bekommen hat. Na super…Ich sollte vielleicht noch ein wenig warten bis ich Ivan begrüße, so schwer es mir auch fällt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit des Wartens sehe ich nicht viel besser aus. Ich zerbreche mir total den Kopf darüber wie ich meine natürliche Gesichtsfarbe wieder herstellen soll.
Eine Idee hätte ich da ja…aber damit würde ich endgültig das Klischee vom kleinen Mädchen erfüllen…
Ich KÖNNTE in Kathleens Zimmer gehen und mich an ihrem Make up vergreifen, ein wenig von diesem Schmierzeugs ins Gesicht und ich sehe wieder aus wie vorher, oder vielleicht sogar ein kleines bisschen besser. Das Zeugs soll ja frisch und schön machen, warum sollte es mich nicht auch ein wenig auf hübschen?

Leise schleiche ich mich durch den Flur um in ihr Zimmer zu gelangen, als ich allerdings an der Küche vorbeikomme mache ich kurz halt.

„Muss der wirklich mitkommen?“ Höre ich Lynn’s meckernde Stimme aus der Küche schallen.
Was ist denn jetzt schon wieder los? Ich hoffe sie ist nicht schon wieder böse auf mich. Wir haben uns doch gerade erst vertragen.
Obwohl wenn sie gerade darüber streiten, ob ich etwas mit ihnen zusammen unternehmen soll, habe ich natürlich nichts dagegen einzuwenden. Außer vielleicht dagegen dass Lynn auch mitkommen würde. Denn von ihrer Klammerei habe ich mittlerweile genug! Die gibt ihm ja keine Sekunde mehr zum atmen und lässt ihn teilweise kein Wort mehr zu Ende sprechen, weil die Dame glaubt nichts würde mehr ohne ihren Senf schmecken. Oh man das nervt sowas von!

Auch wenn ich in letzter Zeit irgendwie das Gefühl habe, dass Ivan leicht genervt von Lynns Verhalten ist. Letztens hat er sie von sich weggedrückt und sie gefragt ob er auch mal eine Sekunde in Ruhe gelassen werden könnte. Das fand ich echt total cool von ihm! Ich konnte mir mein Grinsen natürlich nur sehr sehr schwer verkneifen und hoffte inständig dass niemand etwas von meinem innerlichen Gewinn bemerkt hat. In letzter Zeit sagt er ihr auch öfters mal ab, wenn sie mal wieder seine ganze Zeit verplant hat. Aber warum verhält Lynn sich so? Sie war doch eigentlich immer mehr der Typ von Freundinn, der seine Freiräume brauchte und eben nicht Rund um die Uhr Zeit mit ihrem Partner verbringen wollte. Vielleicht liebt sie Ivan mehr als ihre Exfreunde?

Schlampe!

Oder sie hat bemerkt dass ich wahnsinnig eifersüchtig bin und auch gerne mehr von Ivan haben würde. Scheiße hat sie das echt spitz gekriegt? Naja möglich wäre es ja, immerhin verbringen Ivan und ich auch oft Zeit miteinander und ich bin öfters dabei wenn Ivan und Lynn sich sehen. Außerdem hasse ich es ihr zuzuhören, wenn sie über Ivan schwärmt, ich würde sie in solchen Momenten immer am liebsten erwürgen. Das muss sie ja irgendwie bemerkt haben?

„Ach jetzt sei nicht so! Dein Film ist eh total langweilig…dann machen wir uns halt einen DVD-Abend zu dritt!“ Schlägt Ivan vor. Oder wir machen uns einen zu Zweit, nur Ivan und Ich!

„Das kommt gar nicht in Frage! Ich will dich für mich haben und dich eben nicht mit meinem Bruder teilen!“ Hatten wir nicht eigentlich Waffenstille? Naja von mir aus ist die jetzt wieder aufgehoben!

„Genau das ist das Problem! Ich hab eben auch noch andere Menschen um mich, die mir wichtig sind, da bist nicht nur du!“ Oh mein Gott! Ich bin ich ihm wichtig? Vermutlich war ich gar nicht gemeint, soo lange kennen wir uns nun ja auch noch nicht, aber vielleicht ja doch…immerhin setzt er sich immer ganz schön für mich ein…

„Na gut…wie du meinst! Dann könnt ihr euch auch gleich einen Abend ohne mich machen! Ich habe eh schon etwas Besseres vor!“ Genau! Einen Abend mit ihm alleine, nur wir Beide, das wäre toll.

„Okay wenn du meinst, eingeladen bist du.“

„Ach wie großzügig…“ Schmollt meine blöde Schwester weiter.

„Ja ich weiß und jetzt mach mal wieder ein nettes Gesicht!“ Sagt Ivan mit einer versöhnlichen Stimme, vielleicht sollte ich jetzt lieber nicht in die Küche gehen, sonst platze ich noch in ihre Turtelei…

Stattdessen begebe ich mich lieber weiter auf den Weg in Lynns Zimmer und suche nach ihrem Make up. Später werde ich bestimmt noch einmal runter kommen, vielleicht fragt mich Ivan dann ja wirklich ob ich heute Abend Zeit hätte.

> Lässt ihre Haut seidig glatt aussehen und verleiht ihr einen natürlichen Teint. Sie werden femininer aussehen als je zuvor!

Steht auf der beigefarbenden Make-up Tube. Femininer…na wenn das keine Ironie ist!

Aber seidig glatte Haut klingt ja nicht unbedingt schlecht…also klatsche ich mir das Zeugs mutig ins Gesicht. Muss aber feststellen das ich vermutlich viel zu viel benutzt habe, die Flasche ist nämlich fast leer und ich habe einen schmierigen Überzug auf meinem Gesicht. Ihh….irgendwie sieht mein Gesicht gerade ziemlich ekelig aus…Na toll, wenigstens sieht man nicht mehr das ich geweint habe! Aber ich sollte die Sache lieber wieder gerade biegen, müsste Lynn nicht irgendwo Abschminktücher haben?

Ich höre Schritte, sie kommen direkt auf Lynns Zimmer zu! Das darf doch echt nicht wahr sein!

Sie dürfen mich unmöglich in diesem Zustand sehen!
Das wäre zu peinlich…gerade wo es so gut läuft!

So ganz ruhig! Abschminktücher…hastig blicke ich durch ihr Zimmer und entdecke tatsächlich eine Verpackung mit Tüchern drin. Sofort ziehe ich mir ein paar heraus und wische damit hastig über mein Gesicht.

Verflucht nochmal brennt das!

Es brennt wie verrückt! Was um Himmels Willen ist das?

Nagellackentferner…steht auf der Verpackung…

Scheiße!

Und die Schritte kommen auch immer näher…

Was mache ich denn jetzt? Ich habe eine dicke Schicht Make-up im Gesicht und brennende Augen weil ich mich mit Nagellackentferner abschminken wollte.

Genau im richtigen Moment geht die Tür hinter mir auf und ein turtelndes Pärchen kommt in das Zimmer...

13. Ich werde ein Mann!

 Also ich fasse die Situation noch einmal zusammen.
Ich, die kleine Memme Adrian, die gerne als Mädchen bezeichnet wird, stehe hier gerade in dem Zimmer meiner Schwester mit einer dicken Schmierschicht Make-up im Gesicht und wie verrückt brennenden Augen und mittlerweile auch schmerzendem Gesicht. Vor zirka einer Sekunde ist Lynn mit meinem Schwarm, der einzige der mich bis jetzt noch nicht für einen Trottel gehalten hat, ins Zimmer gekommen. Was jetzt?

Vielleicht sollte ich schnell aus ihrem Fenster springen, oder sagen ich wäre einfach nur in ihr Make-up gefallen?
Okay, letzteres ist Blödsinn…

Ersteres eine durchaus interessante Möglichkeit….

Allerdings ist mein ganzes Leben bis jetzt ziemlich albern gewesen, will ich jetzt auch noch so sterben?

Da mir nichts Besseres einfällt halte ich mir beide Hände vor mein Gesicht und renne panisch ins Badezimmer, wo ich mein Gesicht sofort unter das Waschbecken halte, ich muss dieses Zeugs von meinen Augen bekommen, es brennt wie verrückt und ich wollte eigentlich nur sehr ungern erblinden.
Natürlich habe ich in der Hektik die Badezimmertür nicht abgeschlossen, was mir im Nachhinein sehr leid tut, denn sofort kommen Ivan und Kathleen hinterher gestürmt und bauen sich hinter mir auf.

„Was hast du denn gemacht, Adrian?“ Fragt meine Schwester mich erst besorgt, dann aber schockiert als sie mein Gesicht sieht. Antworten tue ich nicht, zu peinlich. Stattdessen beginne ich lieber zu weinen, als ich merke dass das Brennen nicht weniger wird. Was sich nicht als eine unbedingt weniger peinliche Alternative herausstellt, denn jetzt heule ich auch noch wie ein Baby…

„Adrian...ist das Make-up was du im Gesicht hast?“ Fragt Lynn mich leicht irritiert. Beschämt bemerke ich auch wie Ivan sich über meine Schulter beugt und mein Gesicht betrachtet, welches ich panisch wasche.

„Hey was hast du mit deinen Augen?“ Fragt er etwas besorgt.

„Es brennt!“

„Das ist Make-up…das brennt nicht Süßer!“ Kommt es von meiner Schwester, welche leicht am Grinsen zu seien scheint.

„Nein!“ Viele Wörter bekomme ich leider nicht zu Stande, es brennt so stark!

„Hey, du darfst deine Augen nicht reiben, wenn sie brennen, spül sie lieber unter fließendem Wasser aus!“ Schlägt Ivan vor und nimmt meine Hände in seine, um sie von meinen Augen weg zu nehmen.

„Um Gottes Willen! Die sind ja knall rot!“ Stellt er fest.

„Auaa!“ Jaule ich, ich blamiere mich hier immer mehr. Aber ich beruhige mich wirklich etwas als ich bemerke, dass Ivan mir über den Rücken streichelt, während ich meine Augen jaulend unter den Wasserstrahl halte.

Nach einer ganzen Weile haben sich meine Augen wieder beruhigt und ich wasche mir noch schnell das Make-up aus dem Gesicht. Ivan hat immer noch nicht aufgehört mir über den Rücken zu streicheln, was mir unglaublich gut tut. Deswegen lasse ich mir auch besonders viel Zeit mit dem Gesicht waschen.

„So und jetzt erzählst du mir mal bitte was du gemacht hast!“ Fordert meine Schwester als ich meinen Kopf wieder erhebe und vor meinem eigenen Spiegelbild zurückschrecke. Ich sehe noch schlimmer aus als vorher. Meine Augen sind Feuerrot und angeschwollen, genau wie der Rest meines Gesichtes, hinzu kommt natürlich noch meine verletzte Nase von meinem unglücklichen Zusammentreffen mit der Tür. Ich sehe etwas aus wie ein Alien. Aber nur etwas.

„Ich…ich…habe doch vorhin geweint…und ich sah noch so verheult aus….und da…“ Wieder kommen mir die Tränen hoch und schmerzen meine Augen ein weiteres Mal unheimlich, ich bin so ein Weichei, aber die Geschichte ist auch unheimlich peinlich, außerdem steht Ivan noch neben mir und hört mir zu.
Als er allerdings bemerkt dass ich weine, legt er seine Hand auf meine Schulter und streichelt beruhigend über sie.

„Hey…halb so wild, uns kannst du es doch erzählen!“ Versichert er mir und lächelt mich total lieb an, dass er bei meinem Anblick nicht schreiend wegrennt wundert mich sowieso!

„Also…ich wollte halt ein wenig Make-up über meine Haut machen, weil sie noch so rot war und ich deswegen so scheiße aussah, und da habe ich halt zu viel genommen…und dann wollte ich es wieder wegmachen, nur leider habe ich irgendwie Nagellackentferner erwischt…“ Stammele ich beschämt und starre dabei auf den Boden, allerdings habe ich aufgehört zu weinen, denn Ivans Streicheleinheiten sind viel zu schön um rumzuheulen.
Meine Schwester scheint irgendwie böse auf mich zu seien, weil ich einfach in ihr Zimmer gegangen bin und ihre Sachen benutzt habe, was ich ihr auch nicht verübeln kann.
Ivan hingegen nimmt die Sache mit Humor, allerding ohne mich auszulachen oder mich als Depp dastehen zu lassen. Am Ende muss ich sogar selber ein wenig über meine eigene Doofheit lachen, ich glaube das habe ich noch nie gekonnt.

„Du sag mal hast du Freitag eigentlich Lust auf einen DVD Abend?“ Kommt es von Ivan als wir gerade das Badezimmer verlassen.

„Achja ich vergaß, ich bin unerwünscht!“ Faucht Lynn sofort und starrt mich drohend an, bevor sie sich umdreht und in ihr Zimmer donnert.

„Klar!“ Lächele ich ihn ein wenig zu lange an und werde automatisch rot, auch wenn das nicht mehr besonders auffallen dürfte.

„Cool! Freut mich, dann bis Samstag.“ Zwinkert er mir zu und geht lässig in Richtung Wohnungstür. Wow was für ein Abgang.

Lynn hingegen scheint richtig genervt zu sein, dass wir uns so gut verstehen, und das freut mich ehrlich gesagt, denn ich hätte nie im Leben geglaubt dass sie mal auf mich eifersüchtig seien würde! Und jetzt scheint sie es tatsächlich zu seien….der Wahnsinn oder?

Wahrscheinlich wird das jetzt falsch verstanden, und man denkt ich würde ihr die Pest an den Hals wünschen, was ich zurzeit auch eigentlich tue aber ich möchte wirklich dass sie glücklich ist. Nur eben nicht mit Ivan…Kann sie sich nicht einfach jemanden anders suchen? Genug Verehrer hat sie doch, aber nicht mit meiner ersten Liebe! Ja ich gebe es zu, ich bin verliebt! Und wie! Zum ersten Mal und wahrscheinlich für immer.
Auch wenn es mich immer noch ziemlich stört dass er ein Typ ist, denn ich wollte eigentlich nur sehr ungerne mein Klischee noch mehr erfüllen, denn Schwul sein passt doch perfekt zur kleinen Memme, oder? Und eigentlich wollte ich ja etwas männlicher werden. Aber kann man nicht auch männlich und schwul sein? Das wäre doch ein schöner Kompromiss? Natürlich geht das, ich muss nur ein wenig daran arbeiten…

Vielleicht sollte ich erst einmal an meinem Gesicht arbeiten?
Kein Mann sieht gerne aus wie ein Alien, oder?

„Du Lynni?“ Mit roten Reh Augen schleiche ich in ihr Zimmer und hoffe sie ist nicht mehr allzu böse auf mich.

„Könntest du mir vielleicht nochmal dein Make-up leihen? Ich sehe so doof aus…dieses Mal könntest du mir ja helfen?“

„Vergiss es, das Zeugs ist verdammt teuer und du hast es fast alle gemacht und jetzt verschwinde!“ Na das war ja mal eine Ansage, in letzter Zeit ist sie so zickig geworden! Wie soll ich mich SO denn bitteschön in die Schule trauen? Ich wollte doch ein Mann werden!

Vielleicht sollte ich meine Mutter um Hilfe bitten? Vielleicht aber auch lieber nicht…

Soll ich morgen wirklich mit dieser Fresse in die Schule gehen, so werde ich mich doch erst recht lächerlich machen...

14. Kettensägen

 Zugegeben ich bin deprimiert! Ziemlich deprimiert um genau zu sein…
Denn ich sitze bereits seit zwei Stunden fieberhaft vor meinem Handy und bete dass sich Ivan endlich bei mir meldet.
Er hat mich die letzten beiden Tage in der Schule total komisch behandelt. Irgendwie ziemlich abweisend. Gemeldet hat er sich ebenfalls nicht, dabei hat er mir versprochen sich wegen dem DVD-Abend, welcher eigentlich heute stattfinden soll, anzurufen.
Er hatte zwar angemerkt dass er vielleicht gar keine Zeit habe, aber er wollte mir wenigstens eine SMS schreiben wie es ausschaut.

Und jetzt sitze ich hier und starre seit Stunden mein Handy an. So tief in Gedanken versunken bemerke ich zuerst nicht wie meine Zimmertür auffliegt und ein Monster schnaubend in mein Zimmer gerannt kommt.

Moment ein Monster?

„Verdammte scheiße!!“ Schimpft meine Schwester und schlägt wild um sich.

Muss ich mir Sorgen bei solch einem Verhalten machen?
Da es sich um Kathleen handelt, die gerne mal aus einer Mücke einen Elefanten macht, vermutlich nicht.

„Was ist denn los?“
Ohne zu Fragen schmeißt sie sich auf mein Bett und verschränkt die Arme vor der Brust. Das darf doch jetzt echt nicht wahr sein, womit will sie mich dieses Mal nerven? Ist ihr Nagellack verschmiert oder hat sie als Ausnahme mal keine Eins geschrieben?
Genervt verdrehe ich die Augen, so ein Mist fehlt mir gerade noch. Immerhin stehe ich selber ziemlich unter Strom, da ich noch nichts von Ivan gehört habe, außerdem habe ich vorhin gesehen dass er eine Menge neue Foto’s im Netz hochgeladen! Und ich muss die alle noch runterladen…

„Wenn es so weiter geht ist das mit Ivan bald vorbei!“ Fängt Lynn an zu erzählen und ich muss ehrlich zugeben, ganz so uninteressant sind ihre Neuigkeiten doch nicht, irgendwie sogar interessanter als die neuen Partyfotos von Ivan.

„Ach wirklich? Warum?“ Ich versuche so einfühlsam wie möglich zu klingen, immerhin braucht mein neugieriges Hirn auch ein paar Informationen.

„Hmm ich glaub ich treffe mich jetzt mit Franzi um Dampf abzulassen, dich interessiert mein Liebesleben ja sowieso nicht!“

„Ach doch doch! Erzähl ruhig…habt ihr euch gestritten?“ Klitzekleine Gewissensbisse breiten sich in mir aus, als ich sie genau betrachte, so traurig habe ich sie noch nie gesehen. Und schon wieder kämpfen diese zwei Seiten in mir, auf der einen die des Zwillingsbruders und auf der anderen Seite die von dem eifersüchtigen Stalker, ja ich glaube man könnte mich Stalker nennen, es ist ein Hobby von mir geworden alles nachzulesen was Ivan so im Internet macht, außerdem hocke ich seit Stunden vor meinem Handy und warte sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen von ihm. Man könnte sagen, dass sich meine ganze Welt nur noch um ihn dreht.

„Das müsstest du doch wissen!“ Was, seit wann soll ich denn von irgendetwas eine Ahnung haben?

„Naja er hat jemand anderes! Und da bin ich mir ganz sicher!“ Verstohlen blickt Kathleen mir tief in die Augen. Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter…woher soll
ich so etwas denn bitte wissen?

„Warum fragst du das ausgerechnet mich?“

„Tu doch nicht so! In letzter Zeit unternehmt ihr beiden doch ständig was miteinander!“

„Das stimmt doch gar nicht!“ Keuche ich, auch wenn es mir selber bewusst ist, dass meine Chancen bei Ivan nicht gegeben sind und Lynn müsste das auch wissen. Natürlich weiß sie das, sie glaubte bis vor kurzem ja nicht mal Ivan würde sich mit mir anfreunden.

„Ach nein? Und was war bitte letzten Samstag? Und heute Abend wollt ihr euch ja wieder treffen, außerdem bist du in den Pausen ständig bei uns! Adrian, du bist eine miese kleine Klette!“

„Wir verstehen uns halt gut! Außerdem habe ich keine Ahnung wovon du redest? Er hat eine Andere?“ Die Option er könnte noch eine haben, gefällt mir gar nicht.

„Er muss eine Andere haben, warum ist denn sonst alles wichtiger als ich?!“ Sollte ich sie darauf hinweisen, dass sie Ivan vermutlich mit ihrer anhänglichen Art auf die Nerven geht, oder sollte ich sie lieber ins offene Messer laufen lassen? Ich drücke es mal so aus, die kleine miese Klette hat keine großen Entscheidungsprobleme.


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Am späten Nachmittag werde ich tatsächlich noch von meinen Qualen erlöst, während meine Schwester sich bei Franzi die Augen ausheult. Gerade als ich eine Sekunde weggeschaue, klingelt tatsächlich mein Handy. Und zu meiner großen Freude ist Ivan derjenige am anderen Ende der Leitung.
Seltsamerweise ist er am Telefon wieder netter als in der Schule. Naja wenn wundert es schon.
Nur seine coole Nettigkeit habe ich irgendwie schon vermisst, außerdem erzählt er mir sogar von dem Streit zwischen Ihm und Lynn. Er sagt sogar sie mache ihn Wütend mit ihrem speziellen Charakter. Und als könnte es nicht mehr besser kommen fragt er mich tatsächlich ob ich heute Abend noch Lust hätte vorbeizukommen.

Trotz der Vorfreude auf den heutigen Abend hinterlässt die Tatsache, dass er immer besonders nett zu mir ist wenn er Stress mit Kathleen hat, einen bitteren Nachgeschmack. Das habe ich schon ein paar Mal beobachtet und ich finde es echt seltsam. Bin ich also nur seine zweite Wahl? Der Trostpreis, wenn niemand anders zur Auswahl steht?
Natürlich bin ich das, ich sollte aufhören mir einzubilden ich sei etwas Besonderes für ihn.
Denn wenigstens beachtet er mich…und ein Trostpreis ist ja nicht unbedingt etwas schlechtes, auf dem Jahrmarkt habe ich immer tolle Trostpreise bekommen…Gummientchen, Lollies oder kleine Püppchen. Alles also nur halb so schlimm…


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Der heutige Abend kommt immer näher, und meine Probleme meine Aufregung zu verbergen verstärken sich von Minute zu Minute.

Leicht Paranoid sitze ich am Tisch mit meiner Familie und esse zu Abend. Ich kann es einfach nicht lassen immer wieder zu meiner Schwester zu schielen, die meine Schweißtropfen auf der Stirn kritisch beäugt.
Sie hat heute Nachmittag sogar versucht mich bei meiner Mutter schlecht zu machen, in der Hoffnung ich bekäme Hausarrest. Dieses Biest!
Obwohl meine Mutter sogar zu mir gestanden hat, sie war der Meinung ich habe mich in der letzten Zeit sehr positiv entwickelt und findet es gut dass ich mich unter Menschen mische. Auch wenn es in diesem Fall Lynns Freund ist.
Dabei ist Lynn immer diejenige gewesen die mich vor meinen Eltern in den Schutz nahm, und nicht andersherum.
Aber sie kann es wohl nicht leiden, dass ich mal bevorzugt werde und dann auch noch von ihrem Freund! Dabei hat sie keinen Grund sich zu beschweren, immerhin ist Madame sonst immer diejenige, nach der gefragt wird. Da gibt es einmal eine Person, die mich wirklich zu schätzen scheint und sie versucht alles, damit ich wieder alleine dastehe. Gut ich habe auch noch Kira und Franzi, aber bei denen habe ich manchmal das Gefühl, dass sie nur meine Freunde sind weil Kathleen es so möchte.
Jedenfalls werde ich da heute Abend hingehen, koste es was es wolle! Ich habe mir schon ein passendes Outfit ausgesucht, ein dunkles Shirt und eine saubere Hose, denn die meisten meiner Hosen haben Grasflecken. Ich bin halt ein ungeschickter Trampel, aber heute Abend muss alles glatt gehen! Ich darf mich nicht blamieren, immerhin werde ich den ganzen Abend mit ihm alleine verbringen.

Eine ganze Stunde später stehe ich nervös an der Bushaltestelle. Ich weiß nicht wann ich das letzte Mal in meinem Leben so aufgeregt gewesen bin.
Als ich endlich seine Haustür erreicht habe klopft mir mein Herz bis zum Halse und ich traue mich kaum die Klingel zu betätigen. Am liebsten würde ich wieder wegrennen, doch würde ich es vermutlich bereuen, also nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und drücke mit meinen schweißnassen Händen auf die Klingel.
Schon nach kurzer Zeit wird mir die Tür von Ivans Mutter Velana geöffnet. Sie hat sich ganz schön aufgetakelt, ihre langen dunklen Haare sind hochgesteckt und ihre Augen sind dunkel geschminkt.
Möchte die noch irgendwo hin? Haben wir heute Sturmfrei?
Wie cool! Obwohl eigentlich ist das nichts besonderes, wir wollen ja keine Party feiern, oder so.

„Hallo Adrian! Ivan freut sich schon auf dich!“ Zwitschert Velana und macht sich dann auf den Weg nach draußen, natürlich nicht ohne mich vorher hinein zu bitten.
Schüchtern mache ich mich auf den Weg in sein Zimmer. Im Flur laufe ich an einer Wand mit vielen Familienfotos vorbei. Was mir wirklich auffällt ist dass die meisten Bilder mit seinem Vater zusammen sind. Seine Mutter scheint wohl noch sehr an ihm zu hängen…

„Hey schön das du da bist!“ Plötzlich steht er neben mir und sieht sich mit mir zusammen die Fotos an, erklärt mir wo sie gemacht wurden und was für eine Bedeutung die Fotos für ihn haben.
Seltsam finde ich nur dass hier keine Fotos von seinen Freunden hängen, in unserer Wohnung hängen überall Fotos von Lynns tollen Freunden.

„Naja so viele Freunde habe ich ja nicht…“ Lächelt er.

„Natürlich, du bist total beliebt!“

„Na und? Das bedeutet ja nicht dass ich viele Freunde habe. Eigentlich wäre da zurzeit nur eine Person, die ich als Freund bezeichnen würde…“

„Nur eine Person?“ Erstaunt sehe ich ihn an, das hätte ich wirklich nicht erwartet, schließlich reißen sich die Leute in den Pausen um ihn.

„Ach weißt du, ich habe lieber einen echten Freund als tausend flüchtige!“ Lächelt er mich an und meine Knie werden ganz weich. Hoffentlich wird er mich eines Tages wenigstens zu seinem kleinen Freundeskreis zählen.
Eine Weile stehen wir einfach nur im Flur und sehen uns die Fotos an. Richtig süß. Am liebsten würde ich mir ein paar Fotos mitnehmen, er sah als Kind richtig niedlich aus, aber Ivan wäre vermutlich nicht einverstanden, außerdem wäre es ziemlich peinlich und seltsam nach den Fotos zu fragen.

„Magst du eigentlich Horrorfilme?“ Fragt Ivan mich plötzlich aus heiterem Himmel und unterbricht damit die angenehme Stille.

„Ehm…ich weiß nicht!“ Ich hasse Horrorfilme, ich finde es einfach nur schrecklich sich so etwas anzusehen, außerdem kann ich nach solchen Filmen nicht mehr schlafen. Manche verfolgen mich wochenlang.

„Ich habe uns nämlich welche ausgeliehen, sind ziemlich kranke Streifen…Ist das Okay oder lieber was anderes?“

„Öhm schon okay…“ Verdammt! Erde an Minigehirn! Das kann doch echt nicht wahr sein. Ich habe noch heute Angst vorm Krümelmonster aus der Sesamstraße…

„Cool!“ Antwortet er nur kühl und wir gehen auf sein Zimmer. Sein Zimmer ist ziemlich dunkel, nur eine kleine Lampe in der Ecke brennt. Die DVD scheint er schon eingelegt zu haben, denn auf dem Bildschirm flackert ein grauenerregender Vorspann, außerdem stehen auf seinem Nachtschrank allerlei Süßigkeiten. Abgesehen von dem Film herrscht also eine sehr romantische Atmosphäre.

Wir setzten uns auf sein Bett und ich achte darauf mich besonders nah neben ihn zusetzten, so nah dass mein Arm seinen berührt. Dann startet er den Film und ich muss zugeben er ist sogar schlimmer, als ich es erwartet habe. Schon nach fünf Minuten halte ich es nicht mehr aus und klammere mich wimmernd an seinen Arm.

„Hey…soll ich lieber ausmachen?“ Fragt er sachte und streichelt mir durch meine Haare, anstatt mich wegzustoßen und auszulachen.

„Ja…“ Schluchze ich gegen seine Schulter und werde im selben Moment von den Angsteinflößenden Geräuschen von Kettensägen und spritzendem Blut erlöst.

„Du hättest mir ruhig sagen können, dass du Angst vor Horrorfilmen hast! Wir sind doch Freunde!“ Sein letztes Wort lässt mich aufhorchen, wir sind FREUNDE?

„Aber ich dachte du hast nur einen Freund?“ Frage ich verwirrt.

„Ja und der hat anscheinend Angst vor Kettensägen.“ Lacht Ivan auf und verschlägt mir damit komplett die Sprache. Ich bin sein einziger Freund? Total perplex sehe ich ihn an. Aufgrund der Dunkelheit, in seinem Zimmer, kann ich nur die Umrisse seines Gesichtes und seine funkelnden Augen erkennen. Unsere Blicke treffen sich und lassen sich nicht mehr los. In meinem Magen macht sich ein unbeschreibliches Gefühl breit, als ich realisiere dass er meinem Gesicht immer näher kommt und sanft seine Lippen auf meine legt.

15. Schokoladeneis

 Sanft drückt er mich an sich und streichelt mir über meine Wange. Ich fühle mich irgendwie als wäre ich in einer anderen Welt, einer sehr unrealistischen Welt. Scheiße!
Und trotzdem fühlt es sich total real an, als er mit seiner Hand über meine Seite streichelt und sich viele kleine Punkte auf meiner Haut breit machen. Ein Anflug von hartnäckiger Gänsehaut. So tief kann man doch gar nicht schlafen, oder?!

Als unsere Zungen sich berühren scheint alles in mir zu explodieren, das muss der Himmel sein.
Ich möchte wirklich gerne wissen warum Kathleen in letzter Zeit so schlecht gelaunt ist, wenn sie jemanden wie Ivan küssen darf!
Vorsichtig lege ich meine Hand in seinen Nacken und spiele an seinem Haaransatz, mit meiner anderen Hand fahre ich über seinen weichen Rücken. Warum hat der Typ auch so einen weichen Rücken, ich glaube ich habe dort überall Pickel, oder so. Ich rücke noch ein Stück näher an ihn heran, doch plötzlich, wirklich wie aus heiterem Himmel, trennen sich unsere Lippen und zwischen mir und Ivan entsteht ein größerer Abstand. Irritiert suche ich seine Augen, welche mich schockiert anstarren. Na super.
Augenblicklich werde ich rot und versuche meine Atmung wieder zu normalisieren, warum muss man auch immer aufhören wenn es am schönsten wird?

Einige stille Momente vergehen, in denen wir uns nur ansehen. Dann schließt er die Augen, schüttelt den Kopf und steht auf. Fragend blicke ich ihm nach, bekomme jedoch keine Antwort, stattdessen verschwindet Ivan im angrenzenden Zimmer und lässt mich total perplex auf seinem Bett sitzen.
Eine ganze Weile bleibe ich noch sitzen, in der Hoffnung er würde wieder kommen, jedoch wird mir auch nicht klar was ich Schlauberger dann sagen würde, also verlasse ich lieber sein Zimmer. Die Situation ist einfach zu peinlich und ich kann nicht wirklich mit ihr umgehen. Hoffentlich wird er die Sache nicht so zurechtrücken, dass ich der Übeltäter gewesen wäre und den armen Ivan einfach geküsst habe. Glaubhaft wäre es ja.

Ich treffe durch unsere Wohnungstür als meine Laune am tiefsten ist und verteile genügend wütende Blicke in der Wohnung, sodass eine unangenehme Atmosphäre herrscht, in der Hoffnung niemand würde es dann noch wagen mich anzusprechen. Tatsächlich blickt mein Vater nur skeptisch von seiner Zeitung auf, um sich dann der nächsten Seite zu widmen. Meine Mutter sitzt am Küchentisch und scheint hochwichtige Gespräche mit ihrer besten Freundin zu führen, bei der sie niemand stören darf, sowie man meinen Vater besser nicht beim Fußball gucken oder Zeitung lesen stört.
Ich habe also freie Bahn in mein Zimmer. Wo mir meine Wut erst richtig bewusst wird und ich anfange mit Gegenständen herum zu schmeißen. Blöcke, Kissen, Kleidungsstücke, alles donnert gegen die Wand an der mein Schreibtisch steht, gefolgt von einem krächzendem „Scheiße!“
Warum verhält er sich so komisch? Erst küsst er mich und dann stößt er mich weg? Will er mich verarschen?!
Ich fühle mich verraten und verletzt, und das auch noch von Ivan.
So langsam macht sich Angst in mir breit, denn einen Gedanken habe ich bis eben noch gar nicht gehabt. Er wird mich jetzt sicher nicht mehr beachten wollen. Und das nur weil ER mich geküsst hat.
Plötzlich öffnet sich auch noch meine Zimmertür, wütend fahre ich herum und wer baut sich nun vor mir auf?

Lynn!

Genau auf die habe ich gerade noch gewartet.
Das schönste an so einer liebevollen Geschwisterliebe ist, dass man auch ungefragt im Zimmer seines Bruders willkommen ist und seine Möbel mitbenutzten darf. Frei nach dem Motto „Mi casa e su casa“.
Ohne mit den Wimpern zu zucken setzt sie sich auf mein Bett und reißt sich eine XXL-Packung Schokoladeneis auf, in der linken Hand hantiert sie mit zwei Löffeln.

„Was hast du denn vor?“ Frage ich sie misstrauisch und setzte mich neben sie, den Kopf im Kissen vergraben. Abwehrhaltung.

„Schokoladeneis essen? Hilft gegen Liebeskummer…“ Murmelt sie, stellt das Eis ab und beginnt zu heulen. Na ganz klasse…

„Warum hast du denn bitteschön Liebeskummer?“ Keife ich sie wütend an, sie hat echt keinen Grund dazu! Ivan stößt sie bestimmt nicht einfach weg, dafür darf ich mir dann das süße Traumpaar aus sicherer Entfernung ansehen.

„Weil Ivan kaum noch Zeit für mich hat! Der führt irgendwas im Schilde, ich glaube sogar dass er mich betrügt!“ Flennt sie und ich habe große Mühe sie zu verstehen, wobei sich in mir ein schlechtes Gewissen breit macht. Ich bin ein echt armseliger Bruder aber warum muss sie sich auch ausgerechnet Ivan aussuchen?

„Adrian! Du musst mir helfen!“ Stottert sie, während sie in ihr Taschentusch schnaubt, als sie von ihrem Tuch hochsieht starrt mich ein herausforderndes Augenpaar an.

„Du musst herausfinden wer die Schlampe ist!“ Ihre Stimme gleicht eher einem tiefen Knurren, welches mich zum bibbern bringt. Sie klingt wie ein Monster.

„Welche Schlampe?“ Krächze ich leise, während ich mich an einen anderen Ort wünsche, ohne Monsterschwestern.

„Na die Schlampe die mir meinen Freund ausspannt!“ Erklärt sie mir wütend und kneift die Augen zu zwei bedrohlichen Schlitzen zusammen.

„Und wie?!“ Meine Stimme gleicht einem Piepsen, ich fühle mich leicht ertappt und rücke ein wenig von meiner Schwester ab, dessen Blick sich verdunkelt.

„Ihr seid doch auf einmal die besten Freunde, quetsch ihn ordentlich aus. Oder schnüffel in seinem Zimmer herum, vielleicht findest du ja etwas Brauchbares! Oder noch besser, in seinem Handy!“ Erklärt sie mir und zieht theatralisch die Nase hoch.

„Wenn ich etwas herausfinde sage ich es dir!“ Verspreche ich ihr hastig, jedoch werde ich Ivan garantiert nicht hinterher spionieren. Meine Schwester scheinen meine Worte jedoch zu genügen und sie trampelt samt Schokoladeneis aus meinem Zimmer. Welch ein glanzvoller Auftritt!

Ein wenig überfordert lasse ich mich auf mein Bett sinken und würde am liebsten schreien, dabei sollte ich eigentlich ein wenig glücklicher sein. Immerhin hat Ivan mich geküsst, das ist doch ein gutes Zeichen, oder?


-.-.-.-


Am nächsten Morgen sitze ich schon früh auf meiner Couch und lese mir immer wieder eine SMS durch, die ich vor etwa zwanzig Minuten erhalten habe. Eine einzelne SMS hat mich noch nie so sprachlos gemacht, mir fehlen alle möglichen Worte um auf diese Nachricht zu antworten.
Ivans Name ziert mein Display, unter ihm steht geschrieben:
Es tut mir total Leid, ich hätte dich nicht so behandeln dürfen. Ich hoffe du bist jetzt nicht allzu traurig…oder wütend. Aber du musst verstehen dass es nicht einfach für mich ist, und dass es eigentlich nie funktionieren könnte.

Eigentlich ist eine Einschränkung oder?

Was soll ich also auf diese SMS antworten?

Hey kein Problem! Dann eben nicht =)

Oder…
Du Arschloch!

Oder…
Natürlich könnte es funktionieren, du müsstest es nur wirklich wollen…

Irgendwie gefällt mir die letzte Variante am besten, aber leider bin ich viel zu feige ihm so etwas zu schreiben, also entscheide ich mich für ein simples Okay..
Gerade in dem Moment, wo ich auf senden drücken möchte, vibriert mein Handy plötzlich und spielt die Musik, die es nur spielt wenn mich jemand anruft.

Hö?

Sein Bild erscheint auf meinem Display und mein Herz macht einen großen Hopser.

Rangehen?

Ja oder Nein?

Ich entscheide mich dazu einmal mutig zu seien und drücke auf den grünen Hörer, welcher mir so verführerisch entgegen tanzt.

„Hey Adrian…“ Murmelt er am anderen Ende der Leitung.

„Hi!“

„Du, es tut mir wirklich leid! Lass es uns einfach vergessen, okay?“ Vergessen klar…

„Okay…“ Antworte ich mit fester Stimme und unterdrücke meine Tränen, können sie bitte noch warten bis ich aufgelegt habe?

„Natürlich nur wenn dir das Recht ist…“ Murmelt er und es entsteht eine große Pause, in der ich nicht weiß was mit mir geschieht.

„Nein eigentlich nicht!“ Antworte ich fix und bin im nächsten Moment total schockiert über meine Aussage.

„Du kannst mich nicht einfach küssen, dann wegstoßen und es dann einfach vergessen wollen und schon ist alles wieder in Butter!“ Schreie ich schon fast ins Telefon und bin irgendwie sogar richtig stolz auf mich, dass ich so viel Mut habe, hätte ich nie im Leben gedacht!

„Weiß du…“ Fahre ich fort. „Ich bin es gewohnt so behandelt zu werden, wie der letzte Mist aber von dir habe ich echt mehr erwartet…“ Murmele ich traurig ins Handy, lege sofort auf und lasse mich in mein Kissen fallen. Die Tränen lasse ich dieses Mal zu.

16. Gewissensbisse

 Wütend und verletzt fange ich hemmungslos an zu weinen, in meinen Magen beginnen sich dicke Knoten zu bilden.
Ich fühle mich schäbig und benutzt, von dem einzigen Freund den ich je hatte. Irgendwie scheine ich die personifizierte Lachnummer zu sein und Ivan hat in mir den Gedanken frei gesetzt ob ich nicht selber schuld daran bin. Dränge ich mich selbst in diese Rolle durch mein ewiges Selbstmitleid?
Oder wurde ich mit einer ausgeprägten Pechsträhne geboren, in einer Gesellschaft böser Menschen?
Ich beschließe den unangenehmen Gedanken auf später zu verschieben und mich erst einmal mit einer Zwischenlösung zufrieden zu geben. Vermutlich trifft beides zu. Wer nicht stark ist, der kann auch nicht gewinnen.

Ohne Vorwarnung taucht ein dunkler Schatten über mir auf und sieht besorgt auf mich herab.

„Was willst du von mir?“ Keife ich meine Schwester an und versuche mit meinem Kissen nach ihr zu schlagen. Warum muss meine Schwester immer zur falschen Zeit am falschen Ort sein?

„Ich habe dich weinen gehört und wollte nach dir sehen.“ Lynn reicht mir ein Taschentuch und trocknet mit ihren Fingern einzelne Tränen aus meinem Gesicht. Dann sieht sie mich an und schenkt mir ein Lächeln. Ein wenig überfordert bedanke ich mich und nehme ihr das Taschentuch aus der Hand.
Früher hat sie mich oft getröstet und in den Arm genommen, heute sitzen wir uns ratlos gegenüber. Wie zwei Fremde.

„Ich habe das Gefühl dass wir uns voneinander entfernen und das fände ich sehr schade.“ Flüstert Lynn in meine Haare und gibt mir einen vorsichtigen Kuss auf den Ansatz. Dann sieht sie schüchtern zu Boden. Ein unangenehmer Schauer läuft mir über den Rücken. Sie hat Recht, wir entfernen uns von einander.

Aber wer ist daran schuld?

Meine Eifersucht, Lynn’s Glück oder Ivan, der sich zwischen uns drängt?

In meinem Kopf ertönen Alarmsirenen, die Frage ist objektiv einfach zu beantworten.
Ich und meine kindische Eifersucht sind schuld an dem Schlamassel. Früher haben wir uns auch meistens gut verstanden, obwohl Lynn oft besser dran war.
Fluchend über mich selbst fahre ich innerlich zusammen.

„Möchtest du mir nicht erzählen was dich bedrückt?“ Mit ihren Händen streichelt sie vorsichtig über meine Wange und zum ersten Mal frage ich mich, ob ich es ihr nicht doch anvertrauen könnte. Ich muss ja nichts von dem Kuss erwähnen, nur die Tatsache dass ich mich in ihren Freund verliebt habe. Vielleicht reagiert sie sogar einfühlsam oder sie zerreißt mich in der Luft. Die wahrscheinlich schlimmste Variante wäre allerdings, wenn sie mich mit Mitleid überhäufen würde und ich somit meiner Rolle als bemitleidenswerter Adrian alle Ehre mache. Entschieden distanziere ich mich von meiner Idee.

„Ich bin nur schlecht drauf.“ Murmele ich verschlafen und drehe mich auf die Seite, wende ihr den Rücken zu. Einige bedrückende Momente streichen schwer an uns vorbei. Sie sitzt neben mir und streichelt mir Gedankenverloren durch die Haare und ich liege ihr den Rücken zugewandt auf der Seite und würde am liebsten die Luft anhalten. Dann verlässt sie seufzend das Zimmer. Das drückende Gefühl bleibt allerdings zurück. So langsam frage ich mich wirklich ob ich vielleicht der Böse in dieser Geschichte bin und nicht meine Schwester.
Ich habe mich besonders in den letzten Tagen immer an den Hass auf sie geklammert und nicht mehr rational gedacht. Kein einziges Mal flammte der Gedanke in meinem Kopf auf, dass ich mich vielleicht unfair verhalten könnte. Objektiv betrachtet kann Lynn überhaupt nichts für meine Situation, immerhin sind meine Gefühle für Ivan aussichtslos. Aber warum hat er mich dann geküsst? Das ist doch alles verrückt. Eine weitere Brise Wut erreicht meinen Körper.
Er wirbelt alles wieder durcheinander. All die Gefühle, die schon immer wüst und ungeordnet in meinem Kopf Achterbahn fuhren. Er bringt noch mehr Chaos hinein, mehr als je dort gewesen ist. Und das nur wegen eines dämlichen Scherzes. Er scheint noch nicht besonders zielsicher zu sein, was meinen Sinn für Humor betrifft.

Völlig unerwartet geht ein weiteres Mal die Tür auf und ich schrecke leicht zusammen. Als ich meine Augen durch mein unaufgeräumtes Zimmer zum Türrahmen gleiten lasse, weiten sie sich. Der Eindringling wird eindeutig als Ivan identifiziert. Groß und dunkelhaarig lehnt er in der Tür und sieht abschätzend auf mich herab.
Auf meinen irritierten Blick geht er zunächst nicht ein und bahnt sich einen Weg durch das Chaos, um auf meiner Bettkante Platz zu nehmen. Ein lautes Quietschen schallt durch den Raum, als sich eine große Hand auf meine Schulter legt.

„Deine Schwester hat mich geschickt, ich soll mit dir reden. Sie macht sich wirklich Sorgen um dich.“ Lächelnd zieht er mich in eine sitzende Position und ich muss kräftig schlucken um einen weiteren Seufzer zu unterdrücken. Ich wische mir eilig durch mein verweintes Gesicht und schiele dann vorsichtig durch meine Finger hindurch. Ivan sitzt auf meinem Bett, und wartet in Seelenruhe dass ich meinen Mund aufmache.

„Und da schickt sie ausgerechnet dich, ja?“ Meine Stimme erhält einen säuerlichen Ton, mit meinen Fingern gleite ich von meinem Gesicht und versuche seinem Blick stand zuhalten.

„Es tut mir wirklich leid, ich wollte dich nie verarschen!“

„Achja, und warum hast du es dann?“

„Das war kein blöder Witz, ich kann mir wirklich nicht erklären wie es dazu kam. Lass uns die Sache doch bitte vergessen, sie bleibt unter uns und wir Freunde!“ Flehend sieht er mir tief in die Augen und knetet dabei nervös seine Hände. Ein wenig enttäuscht, über die Tatsache dass er diesen Kuss einfach nur vergessen will, sehe ich zu Boden. Aber um mal wieder einen Weg zurück in die reale Welt zu finden, was habe ich denn erwartet? Dass ich ihm so nah sein durfte, war mehr als ich erwarten darf.

„Na gut.“ Nuschel ich und zwänge mir ein Lächeln auf die Lippen. Ivan atmet erleichtert aus und rückt näher an mich heran, um mich kurz freundschaftlich zu umarmen. Dabei fallen ihm seine dunklen Haare direkt in die Augen, glatte Strähnen liegen auf seiner hellen Haut und verdecken die Sicht seines rechten Auges, für einen kurzen Moment bin ich versucht sie ihm aus dem Gesicht zu streichen.

„Wollen wir schwimmen gehen?“ Wie von einer Biene gestochen springt er von meinem Bett auf und schwingt enthusiastisch mit den Armen umher.  

„Nein, ich habe noch viel zu tun.“ Erkläre ich mit einem Unterton, den nur Wichtigtuer benutzen würden.

„Na gut, dann sehen wir uns Montag in der Schule.“ Lächelnd rauscht er aus meinem Zimmer.

Wir sehen uns am Montag in der Schule, irgendetwas lässt mich vorausahnen dass ich dort nicht sein werde.

17. Wiedergutmachungen

 „Erzähl doch mal mein Junge, wie geht es deiner Schnecke?“ Grinsend schiebt sich mein Vater eine riesige Kartoffel in den Mund und zwinkert mir zu. Bei dem Wort Schnecke läuft es mir eiskalt den Rücken hinunter. Schnecke. Wie kann man sich nur auf ein so niedriges Sprachniveau herablassen?

Wir sitzen gemeinsam am Küchentisch und nehmen das kleine Abendessen zu uns, das meine Mutter gekocht hat.

„Gut…“ Murmele ich und hoffe inständig dass das Thema damit vom Tisch ist.

„Ich würde sie gerne Mal kennen lernen, wie heißt sie nochmal?“ Meine Mutter mustert mich mit neugierigen Blicken und ich kann nicht glauben dass ich mir den Namen nicht aufgeschrieben habe. Man erfindet keine Freundinn, um vor anderen Menschen mit ihr angeben zu können und vergisst dann ihren Namen, das ist peinlich. Ich bin mir nicht ganz sicher wo ich diese Regel aufgeschnappt haben will, aber sie erscheint mir logisch.

„Luisa.“ Lächelt meine Schwester und ich atme erleichtert aus. Luisa!! Eindringlich versuche ich mir diesen Namen einzuprägen. Meine Schwester weiterhin in dem Glauben zu lassen ich hätte eine Freundin wäre mir vermutlich sowieso zu blöd gewesen, aber vor meinen Eltern zugeben dass sie erfunden ist, um sie stolz zu machen? Nie im Leben.

„So ein schöner Name!“ Schwärmt meine Mutter. „Bring sie doch morgen mit zum Abendessen! Ich koche auch was Nettes.“

„Sie ist gerade im Urlaub!“ Erkläre ich hastig und starre mein Gemüse an.

„Mitten in der Schulzeit?“ Meine Mutter hebt eine Augenbraue an und beäugt mich kritisch, während ich mir mental eine Trachtprügel erteile. Sie ist im Urlaub, wie blöd kann man nur sein?

„Nicht ganz, sie ist für eine Woche auf Klassenfahrt.“ Erklärt Lynn souverän und beißt einen Broccoli von ihrer Gabel. Meine Mutter nickt und scheint sich mit der Aussage zufrieden zugeben. Dankbar nicke ich ihr zu und lächele sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ehrlich an.

Nach dem Abendessen ziehe ich mich zurück in mein Loch von Zimmer und lasse den Kohlestift über den Zeichenblock fliegen. Ich bin mir nicht genau bewusst was ich mit diesem Bild zum Ausdruck bringen möchte, doch ich muss zugeben es sieht sehr interessant aus.Ein leises Klopfen lässt meinen Kopf hoch schnellen und ehe ich mich versehe steht meine Schwester lächelnd in der Tür.

„Geht es dir besser?“ Fragt sie mich fürsorglich und setzt sich neben mich.

„Ja und danke für vorhin…“ Murmele ich, bezogen auf das gemeinsame Abendessen und die unangenehmen Fragen bezüglich meiner „Schnecke“.

„Gerne. Ich fahre jetzt zu Ivan, soll ich ihn von dir grüßen?“

„Aber ich dachte er betrügt dich?“

„Nein das glaube ich nicht mehr. Dafür liebt er mich zu sehr.“ Zufrieden strahlt Lynn mich an und verschwindet dann aus der Tür.Ich fühle mich als würde ich einen mentalen Rückwärtsgang einlegen, zurück zu meiner Wut auf Lynn. Mittlerweile wird mir diese Angelegenheit viel zu kompliziert. Meine Oma sagte immer das Leben wäre langweilig wenn alles glatt gehen würde. Vielleicht hatte sie damit sogar recht, man muss lernen zu kämpfen und sich mit Problemen auseinander zueinander zu setzen. Aber muss das Leben es so ernst mit mir meinen? Nur ein wenig Glättung wäre nett. Ivan hätte ja der Freund seiner dämlichen Nachbarin sein können, dann hätte er gemeinsam mit seiner Schwester die Sache durchstehen können. Je länger ich über die Worte meiner Oma nachdenke, desto absurder kommen sie mir vor. Ich kann mir kaum vorstellen dass Lynn ein langweiliges Leben führt nur weil alles glatt läuft. MEIN Leben ist langweilig. Ein fieser Gedanke führt zum nächsten und letztendlich lande ich wieder bei meinem „Lieblingsthema“. Ich könnte an meiner Situation etwas ändern, ich müsste es nur endlich in Angriff nehmen.Ohne ausgedachte Freundinnen und auch ohne Ivan. Im Grunde genommen halte ich mich selbst gefangen, in meinem tiefen Selbstmitleid.Ich müsste kämpfen und lernen aufzustehen. Anfänge sind bereits gemacht, der Weg eingeschlagen, ich müsste ihm nur folgen.Womöglich wird es reichen wenn ich ihm langsam folge, beschließe ich und lasse meine Schultern erschlaffen. Immerhin habe ich zurzeit genug um die Ohren.Als wäre der abschließende Gedanke ein Startsignal gewesen, erhalte ich eine SMS von meiner Schwester, mit der sie weitere missmutige Gefühle in mir auslöst.

Ivan ist so süß! Wir gehen morgen Abend zusammen in ein Musical

Fremdknutschen und dann ein schlechtes Gewissen haben, oder wie muss ich das verstehen? Nur trifft sein schlechtes Gewissen irgendwie die Falsche, Lynn hat er nicht verletzt. Nicht wirklich jedenfalls, er hat gefälligst etwas bei mir wieder gut zu machen. Meine Laune wird immer schlechter.

Ein Summen auf dem Schreibtisch kündigt zirka zwanzig Minuten später eine weitere SMS an, genervt klappe ich mein Handy auf und sehe dass sie von Ivan ist.

Hey…Hast du morgen schon etwas vor? Ich habe zwei Musical Karten und mit deiner Schwester gehe ich erst mal nirgendwo hin! Ein Musical ist zwar eine scheiß Aktion, Frauensache und so, aber die Karten waren echt teuer. Also wie siehst aus?

Ewigkeiten vergehen in denen ich nur den Bildschirm anstarre.

Zu viele Informationen.

Ich werde mit ihm auf ein Musical gehen und er hat Streit mit Lynn! Analysiert mein Kopf in schleichender Geschwindigkeit. Eigentlich eine ziemlich interessante Mischung, oder?Der Kuss, ein Musical und ein neuer Streit mit Lynn.

Somit geht die Wiedergutmachung wohl doch an mich.

Hämisch lache ich auf und fühle mich im nächsten Moment wieder schlecht. Wenn Lynn gleich nach Hause kommt wird es ihr schlecht gehen und ich bin an der Reihe sie zu trösten. Nur habe ich dazu nicht wirklich die Motivation. Aber sollte ich es nicht wenigstens versuchen? Schokolade kaufen, als kleine Aufmerksamkeit? Oder gleich eine ganze Eispackung? Ich wische mir grummelnd meine verkohlten Hände an meiner alten Jogginghose ab, als ein weiteres Mal mein Handy klingelt.

Dieses Mal meldet sich am anderen Ende des Hörers zu meiner Überraschung Franzi, die beste Freundinn meiner Schwester. Sie erklärt mir mit ihrer piepsigen Stimme dass Lynn die Nacht bei ihr verbringen und nicht mit mir sprechen wollen würde.

Verwundert lege ich auf, ehrlich gesagt weiß ich nun wirklich nicht mehr weiter.

Habe ich sie aus irgendeinem Grunde verärgert oder hat Ivan ihr von unserem Kuss erzählt?Die letzte Variante wäre mir genauso Unrecht wie Recht.



-.-.-.-.-.-



Mitten in der Nacht werde ich plötzlich von einer schrillen Stimme geweckt und Händen die an meinen Armen zerren.

„Sag mal bist du eigentlich bescheuert?!“ Grelle Lichtblitze schneiden mir die Sicht, bis ich mich in eine sitzende Haltung verhelfe. Das klackert des Lichtschalters bricht ab und meine Schwester stürzt auf mich.

„Adrian! Du miese Ratte!“ Schimpft sie. Fragend sehe ich sie an und wische mir mit den Händen über die Augen. Ein kleines Blinzeln zu meinem Fenster verrät dass es noch mitten in der Nacht sein muss.

„Wie bitte?“ Ich sehe mich verwirrt um und weiß nicht so recht wo mir der Kopf steht. Wovon spricht dieses aufgescheuchte Wesen bitte?

„Du hast mir schon wieder mein Date kaputt gemacht. Nicht irgendein Date. DAS DATE!“ Als ich meine Schwester betrachte fügen sich in meinem Kopf alle Möglichkeiten zusammen. Sie wird von unserem Kuss wissen, anders ist ihre Reaktion nicht zu erklären. Immerhin verstehen wir uns erst seit ein paar Stunden wieder besser.

„Wie bitte?“

„Das Musical. Warum gehst du mit meinem Freund in das Musical?! Du wirst ihm absagen und ihn dazu bringen sich bei mir zu entschuldigen!“

„Wofür?“

„Dafür dass er mich nicht ernst nimmt.“ Mit diesen Worten verschwindet sie fluchtartig aus der Tür und ich bleibe eine Weile wie festgefroren in meinem Bett sitzen. Bis ich mich ratlos wieder schlafen lege. In mir breitet sich langsam eine Gleichgültigkeit gegenüber meiner Schwester auf. Ob sie nun sauer auf mich ist, oder nicht stört mich schon lange nicht mehr so wie früher.

18. Liebe ist Krieg?

 Den gesamten nächsten Tag werde ich mit bösen Blicken bombardiert, einen besseren Draht werden wir wohl so schnell nicht mehr zueinander finden. Am Abend passt sie mich tatsächlich im Badezimmer ab und funkelt mich finster an.

„Warum machst du dir deine Haare?“ Sie stellt mir diese Frage mit einem Unterton, der mich erschauern lässt. Ob sie mich durchschaut hat?

„Weil man sich für ein Musical zurecht macht?“

„Du wirst aber nicht gehen.“ Kreischt sie mit gerötetem Kopf. Im nächsten Moment krallen sich ihre Fingernägel in meinen Arm und sie schleift mich aus dem Badezimmer. Ich strampele wild mit meinen Armen umher, jedoch ist ihr Griff ziemlich stark. Ernüchtert muss ich feststellen dass ich mich nicht gegen meine Schwester wehren kann und versteife mich, als Protest.Sie schleift mich durch den kleinen Flur und ich stolper unbeholfen hinterher. Die Türklinke unserer Abstellkammer knallt gegen unseren Schlüsselkasten und wenig später finde ich mich in der Abstellkammer wieder, auf dem Boden. Ungläubig starre ich meine Schwester an, die in der Tür steht und mir den Weg versperrt.

Dieses Biest!

Geschwisterliebe? Versöhnung? Der Krieg um Ivan ist härter als ich zunächst angenommen habe. Nur dass meine Rivalin nicht weiß worum wir kämpfen.

Langsam begreife ich worum es hier geht, sie will ihre Rolle bewahren und nichts an mich abtreten. Auch wenn es hier nur um einen Abend mit meinem „Kumpel“ geht.

„Findest du nicht dass du übertreibst?“ Ich funkel sie wütend an. „Deine Stimmungsschwankungen sind echt unglaublich! Ganz zu schweigen von diesem Kontrollwahn! Kein Wunder dass Ivan angepisst ist!“ Für einen kurzen Moment herrscht Stille. Meine Worte scheinen sie zum Nachdenken gebracht zu haben, ein kurzer Anflug von Reue nimmt ihre grünen Augen ein und sie besieht sich zweifelnd die Türklinke, die sie in der Hand hält.Die Luft, die uns umgibt wird dicker und ich fühle mich ein wenig benommen. Die nächsten Sekunden könnten über so viel Entscheiden, als wäre eine zugezogene Tür ein Schlussstrich. Ich wüsste jedenfalls nicht wie ich ihr verzeihen könnte. So etwas hat es zwischen uns nie gegeben.Doch kräuselt sie ihre Lippen. Mit einem geschickten Griff fegt sie sich ihre naturbraunen Haare aus den Augen, als würde sie ihr Gesicht wahren wollen. Ihr Blick festigt sich und sie schaut auf einmal mit einer Selbstsicherheit auf mich herab, die an Überheblichkeit grenzt. Im nächsten Moment höre ich das Schloss klacken, die kleine Glühbirne über mir knackt und spendet ein sparsames Licht und sie ist verschwunden.

Die Tür ist zu und ich bin allein, eingesperrt und vor den Kopf gestoßen von meiner eigenen Schwester. Von Lynn!

Aber so etwas wird mir nicht nochmal passieren, nie wieder!

Ich werde ihr die Hölle heiß machen und die Haare giftgrün färben! Ein Muskelaufbautraining könnte allerdings auch nicht schaden, immerhin habe ich gerade gegen ein Mädchen verloren.

Eigentlich sollte ICH jetzt auf dem Weg zum Bahnhof sein, und nicht meine Hundsgemeine Schwester. Aber wird er sie überhaupt mitnehmen, während ich zwischen staubigen Kisten, einem hässlichen Plastik Tannenbaum und einer hungrigen Großfamilie, die der Gattung Spinne angehört, sitze?

Wobei die ekeligste Spinne vermutlich auf dem Weg zu Ivan ist, um ihm schöne Augen zu machen oder Drama zu spielen. Wer weiß dass bei meiner Schwester schon.

Allerdings kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er Lynn mit offenen Armen begrüßen wird. Wahrscheinlich wird er sie verjagen, nur sollte er nicht vergessen vorher nach mir zu fragen. Andererseits werde ich vermutlich hier versauern. Oder von Spinnen gefressen werden.Nach ihrem Auftritt kann ich mir kaum vorstellen, dass sie mich wieder freilassen wird. Vermutlich wird sie meinen Eltern erzählen, sie hätte gesehen wie ich von einem Elch gefressen wurde und damit wäre die Sache für sie dann erledigt.

Und irgendwann in 1000 Jahren werden meine Überreste dann hier gefunden werden, und in einem Museum für Homosapiens ausgestellt.

Ivan ist hoffentlich schlau genug ihr die Elchgeschichte nicht zu glauben, und auf seinem weißen Pferd nach mir zu suchen. Er wird mich schon finden, irgendwann.

-.-.-

In diesem grausigen Raum verliert man schnell das Zeitgefühl,  aber ich schätze dass ich mir diesen Raum seit etwa einer Stunde mit den Spinnen teile. Mit meinen Fingern zerreiße ich die kleinen Plastiktannennadeln, die ich immer wieder von den Ästen reiße und horche angestrengt in die Wohnung. Nichts.Ab und zu höre ich Schritte in der Wohnung über mir, aber die alte Frau Maier wird mir auch nicht weiterhelfen wollen.

DRIIING

Ich schrecke auf, es hat tatsächlich an der Tür geklingelt. Einen kurzen Moment herrscht Stille und ich überlege mir meine weitere Vorgehensweise.Was wenn Ivan im Treppenhaus steht? Ich könnte laut nach ihm rufen. Und dann?Ganz zu schweigen von der Peinlichkeit, wenn dort nur ein Staubsaugerverteter stehen würde. Es klingelt ein weiteres Mal und ich halte mir deprimiert die Ohren zu, ich kann schließlich nicht viel machen.

Nach drei weiteren Versuchen verschwindet derjenige wieder und es ist ruhig. Ich blase die Luft gequält aus und trete gegen die Tür. So ein Mist.

-.-.-.-

Meine Langweile ist ins unermessliche gestiegen, ich habe die ganze Abstellkammer nach interessanten Gegenständen abgesucht, doch nichts gefunden. Der Plastikbaum ist mittlerweile nackt und ich finde immer wieder zerrissene Tannennadeln in meinem hellbraunen Haar. Vielleicht sollte ich sie irgendwann mal abschneiden, sie reichen mir mittlerweile bis über das Kinn und ich bin mir nicht sicher was sich sonst noch in meinen Haaren verfängt.Auf einmal kann ich leise Schritte vernehmen, sie kommen eindeutig aus dem Flur. Die Schritte werden immer lauter, schließlich enden sie direkt vor mir. Ein Schlüssel wird umgedreht und die Tür öffnet sich. Zu meiner Überraschung steht Lynn vor mir und lächelt mich unsicher an. Sie tritt einen Schritt zur Seite, sodass ich den Raum verlassen kann. Doch ich bleibe auf dem Boden sitzen und versuche unheimlich auszusehen.

„Adrian, es tut mir leid! Ich weiß nicht was in mich gefahren ist!“ Flüstert meine Schwester, traurig sieht sie mich an, erreicht jedoch nichts. Meine Wut wird mir erst richtig bewusst als Lynn wieder vor mir steht.

„Ich hasse dich!“ Mit diesen Worten stehe ich schließlich auf und quetsche mich an ihr vorbei. Ich fühle mich enttäuscht und ein wenig verarscht. Sehe ich aus wie ihr Hampelmann?

„Adrian warte!“ Lynn greift mit ihrer Hand nach meiner Schulter und zieht mich zurück. „Ivan ist da, bitte erzähl ihm nichts davon.“ Flüstert sie.

Fassungslos sehe ich sie an und mache mich grob von ihr los. Anscheinend hält sie mich wirklich für einen Narren. Ich stapfe wütend ins Wohnzimmer.

„Hey, du bist noch sauer oder?“ Ivan steht lächelnd auf unserem verfranzten Teppich und verfolgt mich mit seinem Blick.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Ich habe auf dich am Bahnhof gewartet, wegen dem Musical. Du kamst nicht, warst nicht auf deinem Handy zu erreichen und plötzlich kam deine Schwester und meinte du würdest nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.“ Ich starre ihn eine Weile an, dann schaue ich zu Lynn, die auf dem Sofa platzgenommen hat und Schuldbewusst auf ihre Fingernägel guckt. Mir wird schlecht, ich habe mich noch nie so hintergangen von jemandem gefühlt, schon gar nicht von meiner Schwester. Mein Kinn beginnt zu zittern und hinter meinen Augen bahnt sich ein kleiner Fluss an.Wie kann man nur so gemein sein?

„Adrian, es tut mir wirklich leid.“ Flüstert meine Schwester vom Sofa aus, traut sich aber nicht mir in die Augen zu sehen.

„Sie hat mich eingesperrt!“ Erkläre ich aufgebracht. Ivans grau-blaue Augen verdunkeln sich, als würde sich ein Schatten über sie legen. „Sag mal spinnst du eigentlich?“ Schreit er aufgebracht und geht einen Schritt auf seine Freundinn zu. „Wie verlogen bist du eigentlich? Was soll das?!“

„Ich hatte Angst dich zu verlieren…“ Nervös knetet sie ihre Hände. Der Damm bricht und meine Tränen haben freie Bahn über mein Gesicht. Alles bricht gerade zusammen.

„Weißt du, so langsam reicht es mir mit dir!“ Ivans Kopf wird rot, er schüttelt ungläubig den Kopf.

„Aber du kümmerst dich nur noch um Adrian.“ Mault meine Schwester und schaut im nächsten Moment wieder schuldbewusst zu Boden.

Ivan schnalzt mit der Zunge und wendet seinen Blick mir zu. Eilig wische ich mir mit den Händen über meine nassen Augen und lächel ihn an. Mir wird plötzlich ganz warm und in meinem Hals bildet sich ein dicker Knoten.

„Bist du denn noch sauer auf mich?“ Er kommt mit einigen Schritten auf mich zu und sieht mir unsicher in die Augen

„Wegen dem DVD-Abend?“ Ich wische mir über meine kleine Nase, auf der zurzeit ein schrecklicher Pickel wohnt.

„Ja.“ Grinst er. Unsicher studiere ich unseren alten Teppich und frage mich ernsthaft was ich ihm antworten soll.Bin ich denn noch sauer?Eigentlich schon, aber ist das jetzt nicht vollkommen egal?Ich bemühe mich also zu einem schiefen Grinsen und schüttele den Kopf.Die Situation ist wirklich schräg, nun stehen wir uns gegenüber und grinsen uns wegen des Kusses besonnen an, während meine Schwester im Hintergrund weint.

„Seht ihr, ich weiß nie wovon ihr sprecht!“ Meldet sich meine Schwester beleidigt zu Wort und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Davon dass wir uns geküsst haben, als Adrian das letzte Mal bei mir war.“ Zischt Ivan genervt. Seine Worte treffen mich unvermittelt, ich stolpere ein paar Schritte zurück und schaue ihn ungläubig an.

Hat er das gerade wirklich gesagt?

Oder habe ich jetzt Halluzinationen?

Alpträume?

Wunschträume?

„Was?!“ Keucht meine Schwester, steht auf und lässt sich wieder auf das Sofa fallen. Jetzt habe ich ihr doch wirklich einen ausgewischt, oder?

Aber warum erzählt Ivan meiner Schwester so etwas?

„Du hast mich betrogen, mit meinem eigenen Bruder? Einem Kerl?!“ Kreischt sie und steht erneut vom Sofa auf.

„Nenn es wie du willst. Ich weiß, ich war nicht immer fair, aber es ist wirklich schwierig mit dir zusammen zu sein und wenn ich ehrlich bin…“ Ivans Gesichtszüge glätten sich, entschuldigend sieht er ihr in die Augen.

Werde ich gerade Zeuge einer Trennung? DER Trennung?

In mir tobt ein Sturm, vollkommen überfordert stehe ich in unserem Wohnzimmer und alles zieht an mir vorbei. Ich kann nur einen kurzen Blick auf die Dinge werfen, bevor schon das nächste Ereignis angerast kommt.

„Willst mich verlassen?“ Schießt es aus Lynn heraus. Die Fassungslosigkeit in ihrer Stimme ist kaum zu überhören.

„Ja, ich denke schon.“ Murmelt Ivan. „Es tut mir wirklich leid.“

Meine Augen brennen und es fließen weitere Tränen über meine Wangen, ohne zu wissen woher sie kommen. Eigentlich sollte ich nun wirklich nicht weinen.

„Nein! Du darfst mich nicht verlassen!“ Kreischt sie und schmeißt mit einem Sofakissen nach ihrem Angebeteten. Ivan fängt das Kissen geschickt und lächelt sie an. „Lynn…“

„Aber ich bin schwanger!“ Erklärt meine Schwester verzweifelt und lässt sich zurück auf das Sofa fallen. Sie fängt hemmungslos an zu weinen.

Ihre Offenbarung trifft mich wie ein Blitz. In mir zieht sich alles zusammen und ich sehe mich hilflos im Raum um.

19. Hiobsbotschaft

 Ein wenig verstört suche ich den Blick meiner Schwester. Sie hat die Beine vor dem Bauch mit ihren Armen verschlungen und starrt einen imaginären Punkt vor sich an. Einige Strähnen ihrer braunen Haare lösen sich aus dem Zopf und fallen ihr immer wieder vor die geröteten Augen. Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich fühle mich beinahe so als hätte man mich in einen Alptraum versetzt.
Meine Schwester ist schwanger von Ivan?!

„Aber Lynn, das kann doch gar nicht sein. Wir haben immer verhütet, außerdem nimmst du die Pille!“ Ratlos ergreift Ivan das Wort, nach einigen viel zu stillen Minuten.

„Ich weiß.“ Zischt sie.

„Bist du dir überhaupt sicher?“ Mit zittrigen Händen und einem unregelmäßigen Atem stützt er sich auf der Sessellehne ab.

„Natürlich bin ich mir sicher! Ich hätte vor zwei Wochen meine Periode bekommen müssen, also habe ich gestern drei Tests hintereinander gemacht, als ich bei Franzi war.“

„Und die waren ALLE positiv?!“ Keucht Ivan aufgebracht, tief nach Luft ringend.

„Nein natürlich nicht!!! Ich erzähle dir das nur zum Spaß.“ Knurrt Lynn sarkastisch.

Ein weiterer Moment des Schweigens bricht an.

Lynn versteckt sich hinter einem riesigen Kissen, Ivan stützt sich auf unserer Sessellehne ab, während seine Atmung an die eines Erstickenden erinnert und ich stehe hier mitten im Raum und drohe umzukippen. Ein gewaltiger Sturm zieht auf, soweit habe ich die Sache mittlerweile analysiert.

„Lynn…ich muss das erst mal sacken lassen…Ich meine…alles einfach.“ Fahrig wischt Ivan sich durch sein blasses Gesicht. „Ich melde mich bei dir, versprochen.“ Er knetet nervös auf seinen Fingern herum, dreht sich schließlich um und geht den schmalen Flur zur Haustür entlang.  Lynn sitzt immer noch auf dem Sofa und zittert als würde sie in der Arktis baden gehen.
Auf einmal überkommt mich das Gefühl überflüssig zu sein. Ich meine die Beiden haben ihre Probleme, aber dennoch werden sie sich irgendwie arrangieren müssen.
Aber was ist mit mir? Meine Schwester ist schwanger von meiner ersten Liebe und ich hänge hier im Wohnzimmer herum, wie ein Sack nasser Klamotten, unfähig irgendetwas zu sagen.

„Ivan warte, verdammt!“ Brüllt meine Schwesteraufgebracht und folgt ihm in den Flur. Sie knallt die Tür hinter sich zu, sodass ich nun vollkommen abgeschottet bin.

Lynn ist schwanger.

Ich komme wirklich nicht darüber hinweg. Dieses Bild einer Lynn mit dickem Babybauch will sich einfach nicht in meinem Kopf zusammensetzten. Oder ein kleines Kind das sowohl Ivans als auch die Gene meiner Schwester besitzt, ist für mich viel zu weit daher geholt. Einfach unmöglich.

„Du kannst doch jetzt nicht einfach verschwinden! Du musst zu mir halten!“ Lynns laute Stimme hallt durch unsere Wohnzimmertür, direkt in meine Ohren. Sie wiederholen sich in meinem Kopf und ergeben ein Echo. Er muss zu ihr halten. Vermutlich hat sie Recht, so jung wie die Beiden noch sind, wäre es am Besten. Immerhin planen wir gerade erst unseren siebzehnten Geburtstag, während Ivan noch nicht allzu lange alleine Autofahren darf.

„Beruhige dich bitte, wir werden eine Lösung finden.“ Gibt Ivan mit sanfter Stimme zurück, soweit ich das von hier aus vernehmen kann.

„Willst du damit sagen, ich soll abtreiben?!“ Lynns Stimme überschlägt sich beinahe und ich kann sie im nächsten Moment husten hören.

„Lynn! Ich sage gar nichts, sei nicht immer gleich so melodramatisch. Gib mir einfach einen Tag um in Ruhe über uns nachzudenken. Ich ruf dich morgen an.“

„Du bist ein riesengroßes Arschloch! Männer sind alle gleich, betrügen und hauen ab wenn es ernst wird!“ Lautstark knallt sie die Haustür hinter Ivan zu und stampft wütend zurück ins Wohnzimmer.
Ihre riesengroßen bösen Augen lassen mich zusammenzucken. Allmählich glaube ich wirklich ich würde nur träumen. Ich habe den einzigen Mensch verloren, der immer auf meiner Seite war und nun ein Kind von Ivan erwartet. Jetzt steht sie vor mir und funkelt mich bedrohlich an.
Ich würde am liebsten weinen, mich unter meiner schützenden Bettdecke vergraben und nur noch weinen.

„Wenn du unseren Eltern oder irgendjemand anderem erzählst, dass ich schwanger bin, dann…“ Nach Worten suchend schaut sie mir tief in die Augen. „Dann werde ich ihnen erzählen dass du schwul bist!“ Ihre Stimme ist kühl und herablassend. Ein dicker Kloß in meinem Hals verbietet mir das Sprechen und so verbleibt mir nur die Kraft einige Tränen herunterzuschlucken.

„Was fällt dir eigentlich ein Ivan zu küssen?!“ Brüllt meine Schwester im nächsten Moment lauthals.

„I-ich…hm….“ Adrian reiß dich zusammen! Appelliere ich an mich selbst und balle meine Hände zu Fäusten. „Ich habe ihn gar nicht geküsst.“ Bringe ich flüsternd heraus.

„Ach nein?! Und wer soll es bitte dann gewesen sein?! Ein Doppelgänger, hm?“ Kommt es spitz von ihr.

„Nein, er hat mich geküsst und nicht andersherum…“ Ich hasse mich dafür, dass ich nicht mehr als ein Stottern herausbekomme.

„Du lügst. Mein Freund ist mit Sicherheit nicht schwul.“ Lynn wischt sich ihre Tränen aus dem Gesicht und schnappt sich ihre blaue Regenjacke von der Garderobe. „Ich werde zu Franzi fahren, ihr Kerle seit sowieso alle Idioten!“

Ratlos bleibe ich allein in der Wohnung und trotte mit schweren Schritten in die Küche, um mich auf die Suche nach einer Aspirin zu begeben.In meinem dröhnt es fürchterlich, es herrscht ein furchtbares Chaos an nicht einordbaren Fragen und Gedanken.

Zum einen wundere ich mich wirklich warum Ivan ihr von dem Kuss erzählt hat. Sie hatte nie einen Verdacht in diese Richtung geäußert, es hätte für immer als Geheimnis unter der Oberfläche bleiben können. Ob er sie ärgern wollte?
Desweiteren weiß ich nicht wie es mit mir und Lynn weitergehen soll. Ist unsere Beziehung jetzt auf Ewigkeit zerstört? Ich meine sie hat mich eingeschlossen und meine Freunde belogen. So etwas vergisst man nicht einfach wieder. Ich habe das kleine Röhrchen mit der heilenden Wirkung gefunden und löse eine Tablette sprudelnd in Zitronenlimonade auf.
Und der Kuss? Den wird sie mir ewig vorhalten, falls sie überhaupt noch mit mir reden wird. Ich kann wirklich nicht einschätzen ob meine Schwester mit meiner Sexualität umgehen kann.
Auf einmal fühle ich mich unheimlich einsam.
Mir wird schmerzlich bewusst dass Ivan nun für immer einen wichtigen Teil ihres Lebens ausmachen wird, ganz egal ob sie sich trennen oder nicht. Immerhin werden sie Eltern.
Lynn und Ivan. Es ist zum Haare raufen. Ich könnte mich gleich ein weiteres Mal verfluchen. Ich habe mich wirklich stark vergriffen, als ich mich ausgerechnet in Ivan verlieben musste. Jetzt wird der Kerl auch noch Vater und ich  der Onkel seines kleinen Scheißers. Um Gottes Willen.
Diese Gedanken treiben mich in den Wahnsinn. Vielleicht sollte ich zu ihm fahren, um mit ihm zu reden? Schließlich sind wir ja Freunde…



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„Ich wollte schauen wie es dir geht.“ Lächele ich im Türrahmen seines Zimmers gelehnt. Ivan sitzt auf seinem Sofa und starrt gedankenverloren seine Hände an.Als er mich bemerkt, schaut er auf und lächelt schwach.

Mich überkommt ein Schauer, als ich mich neben ihn setze, auf demselben Sofa haben wir uns vor ein paar Tagen geküsst. Aber daran sollte ich jetzt nicht denken. Deshalb bin ich nicht hier! Verdammt!

„Weiß deine Mutter schon davon?“

„Vor nicht langer Zeit sind wir umgezogen, weil ich nur Mist gebaut habe und kaum sind wir hier schwänger ich meine minderjährige Freundin, meine Mutter wird begeistert sein!“ Kichert Ivan zynisch.

„Sie ist doch eine liebe Frau, vielleicht freut sie sich Oma zu werden.“ Lächele ich und auf Ivans Gesicht breitet sich tatsächlich ein dümmliches Grinsen aus.

„Vielleicht, ich werde heute Abend mal mit ihr reden müssen.“

„Bleibst du jetzt mit Lynn zusammen?“ Meine Stimme ist wieder einmal nur sehr dünn und kaum wahrnehmbar.

Ivan atmet tief ein, während er über meine Frage grimmig nachzudenken scheint. „Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung! Gerade in den letzten Tagen ist mir aufgefallen, dass wir nicht zusammenpassen, aber ich bin ohne Vater aufgewachsen und habe da wirklich drunter gelitten, soll ich meinem Kind etwa dasselbe antun?!“

„Du kannst doch Vater sein, obwohl ihr getrennt seid. So etwas gibt es heute doch an jeder Ecke.“

„Und irgendwann heiratet sie einen riesengroßen Idioten und der werte Stiefvater wird mehr Einfluss haben als ich.“ Sinniert Ivan mürrisch und schlägt sich die Faust vor die Stirn.

„Adrian, es tut mir leid…“ Flüstert er dann und nimmt seine Faust von seinem Gesicht.

„Was tut dir Leid?“

„Ich wollte eigentlich nicht, dass die Sache so aus geht. Wir haben uns da in ein ganz schönes Schlamassel geritten, was?“ Flüstert Ivan mit belegter Stimme und schaut mir dabei tief in die Augen.

„Wir?“

„Ja, wir.“ Bedächtig streckt er seine Hand aus und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

20. Gänseblümchen

 „Wovon sprichst du?“ Frage ich heiser, als ich meine Stimme wiedergefunden habe. Seine Hand ruht noch immer auf meiner Wange, er zieht sie nur bedächtig zurück. Träume ich?!
Ivans Lippen formen ein leichtes Grinsen. „Ich denke das weißt du.“ Flüstert er dann.
Weiß ich das wirklich? Ich möchte ihn nur ungern falsch verstehen, um dann peinlichen Unsinn zu reden.

„Von uns?“ Zische ich trotzdem vorsichtig und verkrampfe mich ein wenig. Aber was gibt es hier schon falsch zu verstehen. Er hat mir über meine Wange gestreichelt! Das macht man nicht einfach so, oder? Eigentlich müsste ich jetzt vor Freude Purzelbäume schlagen, aber ich bin hier immer noch in wertvoller Gesellschaft, also verschiebe ich die lieber auf später.

„Aber wir wollten das doch vergessen!“ Ergänze ich dennoch mit fester Stimme, immerhin habe auch ich meinen Stolz. Schwer zu glauben, aber wahr. Wenigstens zu einem kleinen Teil.

„Ja, in letzter Zeit musste ich irgendwie…mehr an dich denken als an deine Schwester…“ Nuschelt er und kratzt sich verlegen am Kopf. Irgendwie ja süß. “Das war auch der Hauptgrund warum ich mit ihr Schluss gemacht habe, oder besser gesagt wollte.“ Der Anflug Sarkasmus verfliegt sofort aus seinem Gesicht und weicht Verzweiflung.  Die Augen, in denen heute das blau überhandgenommen hat, lässt sich ein wirklich schlechtes Gewissen erkennen. Ich würde ihm gerne antworten, ihm sagen dass es mir genauso geht, aber ich kann nicht. Mir steckt ein dicker Kloß im Hals, die Verwirrung muss mir deutlich im Gesicht stehen und so presse ich meine Zähne aufeinander und sehe ihn erwartend an.

„Ich weiß nicht wie es weitergehen soll! Weißt du, da denkt man Tage lang nach wie man sich von seiner anhänglichen Freundinn trennt, ohne angegriffen zu werden oder ihr das Herz zu zerreißen. Welchen Zeitpunkt und welche Worte man wählt und dann ist sie SCHWANGER!“ Er richtet seinen Blick Kopfschüttelnd auf den Teppich. „Weißt du, ich bin ganz schön überfordert mit der Situation, als wäre es nicht schon kompliziert genug.“ Murmelt Ivan benommen und ich finde meine Stimme wieder, weil irgendetwas in mir sagt ich sollte schnell das Wort ergreifen, bevor der Zug abgefahren ist.

„Ja, aber nun ist sie schwanger, ihr könnt es ja nicht mehr ändern!“ Könnten sie schon. Pfeift es durch meinen Kopf, aber ich bin der letzte der ihnen solche Möglichkeiten unterbreiten sollte. „Aber auf Zwang bei ihr zu bleiben?! Ivan ich bitte dich, ihr würdet nicht glücklich werden!“ Appelliere ich mit fester Stimme und lächele milde. Innerlich bete ich dass er meine Meinung teilt. Sie sind nicht für einander bestimmt! Den Moralapostel in mir versuche ich getrost zu ignorieren. Er faselt irgendetwas von der Hölle, weil ich momentan kein schlechtes Gewissen hätte, meiner Schwester den Vater ihres Kindes auszuspannen.

„Da muss ich dir Recht geben. Aber gibt es eine Alternative? Hör zu,  so fern ich mich noch viel zu jung für ein Kind fühle, will ich doch für es da sein. Immer da sein, und nicht nur an Geburtstagen und jedem zweiten Wochenende.“ Seine Worte erklingen mir einleuchtend, er hat verdammt Recht. Am Anfang würde er das Baby bestimmt jeden Tag sehen können, auch wenn sie kein Paar mehr sind, doch irgendwann wird sie eine Familie gründen. Mit einem anderen Mann und Ivan wird nur noch der eigentliche Vater sein, der nur zwischendurch zum Kaffee eingeladen wird, um das schlechte Gewissen zu besänftigen. So eine ähnliche Geschichte kenne ich jedenfalls von Franzi, die ihren Vater nur einmal im Monat auf ihrem Kontoauszug sieht und zu Feierlichkeiten.

„Aber das ist doch keine Grundlage für eine Beziehung! Sie wird irgendwann auseinander brechen!“ Erwidere ich und fluche innerlich, da sich meine Stimme in ein wehleidiges Jammern verwandelt hat. Der gute alte Adrian ist zurückgekehrt, doch schert euch nicht um ein jämmerliches Häufchen.

„Es tut mir leid, aber ich muss es versuchen.“ Lächelt er traurig und blickt mir dabei tief in die Augen, sodass sich viele kleine Ameisen auf Erkundungstour auf meiner Haut begeben. Seine großen Augen lassen nicht von meinen ab, mit aller Kraft löse ich mich von ihnen und starre seinen kleinen Schreibtisch an. Mich durchzuckt ein unangenehmes Ziepen, am liebsten würde ich sofort anfangen zu weinen, daher stehe ich auf und flüchte aus seinem Zimmer. Ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er muss es versuchen. Und irgendwo kann ich ihn sogar verstehen.
Ich verlasse sein Grundstück und renne die Straße mit den wunderschönen Reihenhäusern entlang. Von den Seiten drängen sich Geräusche an meine Ohren, die ich in meiner Wohngegend für gewöhnlich nicht zu hören bekomme. Rauschende Bäume, Frieden und sogar ein paar Vögel singen ihr letztes Lied für diesen Abend. Aber meine Umgebung lässt mich vollkommen kalt. Ich will einfach nur hier weg.Schon nach wenigen Metern überquere ich eine Kreuzung und bleibe schließlich gleich an der nächsten Ecke stehen.
Verrückt. Ich fühle mich hin und hergezogen. Meine Gefühle sind richtig,
oder falsch,
oder beides?
Ich darf ihn nicht lieben, weil er sich um meine Schwester und ihr Kind kümmern muss. Auf der anderen Seite hat sie ihn gar nicht verdient!
Ich wische mir meine Tränen aus dem Gesicht und werfe einem alten Mann böse Blicke zu, der mit seinem Spazierstock an mir vorbei stolziert und mich fragend ansieht.
Wutentbrannt trete ich eine Dose nach ihm und bin dennoch erleichtert dass ich ihn nicht getroffen habe.
Ich muss an die Nachmittage auf dem Spielplatz denken, als meine Schwester mit ihren damaligen Grundschulfreundinnen auf dem Boden saß und sich über die allesamt ekelhaften Jungen beschwert hat. Ich bin die einzige Ausnahme gewesen, denn ich war ja süß. Und schließlich riss meine Schwester doch die Blätter von Gänseblümchen ab, weil es immer einen kleinen Scheißer gab, der ihr heimlich selbstgepflückte Blumen schenkte und sich danach die Hände von der Mädchenpest abwischte. Und sie musste natürlich unbedingt anhand eines Gänseblümchens erfahren ob er sie denn „liebte“ oder nicht. Er liebt mich, er liebt mich nicht. Er liebt mich, er tut es wiederrum nicht. So ging es den ganzen Nachmittag und etliche kahle Stängel lagen um die Clique verstreut.
Er will mich,
Er will mich nicht. Summt es nun in meinem Kopf.
Sollte ich vielleicht auch mal ein Gänseblümchen befragen, oder wäre das zu albern? Vermutlich.
Aber irgendetwas wird er von mir gewollt haben, sonst hätte er mich nicht geküsst und er hat sogar gesagt er hätte für mich mit ihr Schluss gemacht!
Doch sein Kind ist ihm wichtiger, was ich verstehen kann. Leider. Andersherum wäre es einfacher gewesen, ich könnte ihn einfach für diese Entscheidung als Arschloch bezeichnen und das würde einiges einfacher machen. Aber nun sehe ich mich gezwungen ihm Verständnis entgegenzubringen. Verdammt.

Ich streife noch eine ganze Weile genervt durch unbekannte Straßen, aus dem einfachen Grunde dass ich nicht nach Hause kann, um dort möglicherweise Lynn unter die Augen zu treten. Es ist bereits stockdunkel und dunkle Wolken schieben sich langsam über die Sterne. Sie wirken bedrohlich und einnehmend, als würden sie den Himmel nie wieder freigeben wollen. Schon im nächsten Moment landen dicke Regentropfen auf meinem Haar, sodass ich mich murrend auf den Rückweg begebe.

Als ich durch unseren schmalen Flur trete, der dringend mal wieder gestrichen werden sollte, gewinnt das zuvor verdrängte mulmige Gefühl wieder Vorrang und breitet sich in meinem gesamten Körper aus. Innerlich bete ich meine Schwester würde abwesend sein, doch als ich an ihrem Zimmer vorbeilaufe vernehme ich Stimmen. Sie ist da, und sie ist nicht alleine.
Zu meinem eigenen Entsetzen erkenne ich Ivans Stimme, ich bleibe ruckartig stehen und lausche an ihrer Tür.

„In welchem Monat bist du überhaupt?“ Vernehme ich seine einfühlsame Stimme, sie scheinen sich wirklich wieder versöhnt zu haben.

„Weiß ich nicht! Das werde ich dann von meiner Frauenärztin erfahren.“ Das genervte Schnaufen dringt deutlich durch die Tür und ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie ihre Augen verdreht.

„Oh, macht die dann schon Bilder?“

„Woher soll ich das wissen? Ich war noch nie schwanger!“ Entgegnet sie mit zickiger Stimme. „Es tut mir leid, ich sollte dich nicht so anzicken. Ich bin wirklich froh, dass du bei mir bleibst.“ Fügt sie dann mit sanfter Stimme hinzu. „Aber ich bin immer noch sauer! Wir reden hier von meinem Bruder! So etwas darf nicht nochmal vorkommen, versprochen?“

„In Ordnung.“ Murmelt er, nach einigen gespannten Sekunden. Wieder einmal durchfährt mich dieses seltsame Ziepen, es beginnt im Magen und endet hinter meinen Augen, aus denen neue Tränen fließen. Ich stoße mich von ihrem Türrahmen ab und wanke leicht benommen in mein Zimmer. Ich mache mir  erst gar nicht die Mühe das Licht einzuschalten und mich umzuziehen, ich stürze mich direkt in mein Bett. Schlaf finde ich jedoch keinen.

Am nächsten Morgen schleife ich mich schwermütig zum Frühstück, die einzigen Gedanken die mich voran treiben sind das Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme und wie schön es ist dass Schulen an Wochenenden geschlossen haben. Dennoch lasse ich mich trotzig auf meinem Stuhl fallen und blicke misstrauisch in die Runde. Aha, Ivan ist nicht anwesend. Also hat er die Nacht wohl nicht bei Lynn verbracht. Interessant. Der Punkt geht an mich, oder?!
Lynn hingegen ist anwesend und sie funkelt mich finster an. Dann nimmt sie einen Schluck Kaffee, ohne mich aus den Augen zu verlieren.

„Ach, Ivans Mutter Velana hat vorhin angerufen!“ Wirft meine Mutter plötzlich ein. „Velana und Ivan, wirklich interessante Namen…was für Landsleute sind das eigentlich?“

„Sie kommen aus Serbien.“ Erklärt meine Schwester, während sie auf ihrem Brötchen herum kaut.

Serbien?! Moment Mal, Ivan hat nie etwas von Serbien erwähnt!

„Kroatien.“ Murmele ich daraufhin säuerlich und werfe meiner Schwester einen Seitenblick zu.

„Wie bitte?“ Ein wenig überrascht sieht mein Vater mich an.

„Seine Mutter ist gebürtige Kroatin und ihre Eltern sind als Gastarbeiter in den 60ern hierhergekommen, als sie noch ein kleines Kind war. Hmm aber sein Vater ist deutscher, daher auch der Name Seligmann.“ Zähle ich die Fakten auf, die ich mir so gut gemerkt habe und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich merke wie meine Schwester sich verkrampft. Erwischt, wieder ein Punkt für Adrian!

„Oh.“ Murmelt meine Mutter und wirft Lynn einen vorwurfsvollen Blick zu. Doch meine zuckersüße Schwester kennt keine Reue, nur wie man seinen Bruder am effektivsten unter dem Tisch tritt! Hundsgemein.

„Sag mal, was wollte Lana eigentlich?“ Ich glaube nicht wirklich dass Velana so genannt wird, ich vermute eher dass Lynn zeigen wollte wer hier Ivan und seine Verwandtschaft besser kennt. Und Ivans Mutter bei einem Spitznamen zu nennen ist ja wirklich eindrucksvoll.

„Das habe ich mich auch gefragt! Sie klang sehr aufgeregt und wollte unbedingt mit uns persönlich sprechen. Ich konnte sie kaum zurückhalten hier nicht in allerfrühe auf der Matte zu stehen! “ Meine Schwester verschluckt sich augenblicklich an ihrem Frühstück und rennt aufgeregt auf ihr Zimmer. Meine Eltern schauen ihr verdutzt hinterher, auch mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Und dann sind zwei Augenpaare auf mich gerichtet, sie beäugen mich misstrauisch und in voller Erwartungshaltung. Verständlich dass sie sich an den Ivan-Fachmann wenden, jedoch fehlt mir der Mumm ihnen von ihrem Zukunftsenkel mitzuteilen.
Warum bleibt sowas immer an mir hängen? Wobei ich mich im selben Moment wieder über die mir selbst gestellte Frage aufrege, immerhin bin ich derjenige der ohne die Hilfe anderer komplett aufgeschmissen wäre. Mich selbst mit Problemen konfrontieren oder sogar lösen?! Ein absolutes No-Go, dafür habe ich eigentlich immer meine Schwester gehabt. Nur dumm, dass die sich bald um ein echtes Baby kümmern muss.

21. Flucht nach hinten

 Meine Eltern starren mich auffordernd an, während ich immer wieder in den angrenzenden Flur schiele, in der Hoffnung Lynn heraufbeschwören zu können ihr Zimmer zu verlassen. Sie soll das klären, verdammt nochmal! Ich bin schließlich nicht schwanger, wäre auch schräg.

„Hast du irgendetwas ausgefressen?“ Wirft meine Mutter die völlig unpassende Frage in den Raum.
Wie kommt sie denn nun auf den Trichter? Immerhin war Lynn diejenige die so stürmisch den sparsam gedeckten Frühstückstisch verlassen hat!
Sie bemerkt meinen fragenden Gesichtsausdruck und rümpft ihre Nase. Mit einem wissenden Blick betrachtet sie mich eingehend und lässt mich zunehmend nervöser werden. So als würde sie alleine durchs Starren erkennen, wie es in mir aussieht. Dass ich völlig verwirrt bin, weil meine ehemalig geliebte Schwester mit MEINEM Ivan zusammen ist und von ihm nun ein Kind erwartet und ich mich schon auf die kommenden Familienfeiern freuen darf.

Ich sehe Lynn vor mir, wie sie im Garten eines schicken Einfamilienhauses auf einer Liege entspannt und von ihrer Kinderfachzeitschrift aufschaut, als ich durch das Gartentor schreite und versuche nicht in die Einfahrt zu kotzen. Sie schaut mich zerknirscht, doch bemüht freundlich an und begibt sich schließlich in eine stehende Position, während der Wind mit ihren naturbraunen Haaren spielt. Eigentlich sieht sie wunderschön aus, so wie sich ihr Sommerkleid perfekt an ihren Körper schmiegt und sie mich aus den von langen Wimpern umrandeten Augen missbilligend betrachtet. Dennoch lässt sie sich dazu hinab mir die Hand zu schütteln und mir hämisch grinsend ihren kleinen Sohn herbeizurufen. Welcher der eigentliche Grund meines unfreiwilligen Besuches in meiner persönlichen Hölle ist. Sein vierter Geburtstag und der Onkel, mit dem er nicht besonders viel anfangen kann, ist natürlich Ehrengast in dieser unwirklichen Welt. Nun schreitet auch Ivan aus der Terassentür, die in ein großes Wohnzimmer führt und grinst mich an.

„Schatz, da bist du ja! Dann können wir den Grill endlich anschmeißen.“ Freut sich meine Schwester und fällt ihm überschwänglich in die Arme, wobei mir ihr Ehering auffällt. Ich verkrampfe meine Hände um das in Geschenkpapier gehüllte Knetgummi und wünsche mich an einen fernen Ort. Wo einem weniger diese kitschige Perfektion eines jeden Mädchentraumes entgegenspringt.

„Adrian?!“ Faucht meine Mutter wütend und ich muss tatsächlich laut auf keuchen als ich in die Realität zurückfinde. Nur ein böser Tagtraum, flüstere ich mir leise zu und wische mir einige Schweißperlen von der Stirn. Mein Herz macht einen weiteren unangenehmen Satz, denn mir fällt auf wie viel Wahrheit in dieser bösen Vision lag. Vielleicht würde ich eines Tages tatsächlich Knetgummi für meinen Neffen kaufen müssen, der möglicherweise dieselben graublauen Augen wie Ivan trägt. Könnte man diesem Jungen überhaupt böse sein, wenn er Ähnlichkeiten mit solch einem Mann hegt? Vielleicht würde es auch ein Mädchen werden, eine weibliche Version von Ivan oder eine Imitation von meiner Schwester? Oder Beiden? Ich spüre wie sich in mir die Neugierde breit macht, wie ein Kind Ivans wohl aussehen würde.

„Ja?“ Mir wird zunehmend bewusst dass mir noch immer zwei wütende Augenpaare entgegen stieren. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz in dieser Familie zu sein, dass für Schaden aller Art, ganz gleich in welche Richtung er sich verläuft, meine Wenigkeit sofort als Hauptverdächtiger betrachtet wird. Ganz egal wie unrealistisch mein tatsächlicher Einfluss auf die Gegebenheiten auch ist. In diesem Fall scheine ich aber keine strahlend weiße Weste zutragen, zumindest fühle ich mich mindestens Mitschuldig für diese Miserie. Schon alleine, da ich meiner Schwester gerade alles erdenklich Schlechte wünsche, wobei mein schlechtes Gewissen  zunehmend deutlicher wird.

„Ich würde gerne erfahren warum sich meine Tochter so ungewöhnlich verhält, und die Mutter ihres Freundes unbedingt das Gespräch mit mir sucht! Und ich glaube, dass kannst du uns verraten, immerhin scheinst du da tief mit drin zu stecken.“ Erklärt mir meine Mutter angespannt und massiert sich die Schläfen, als würde sich eine heftige Migräne ankündigen.

„Ich…gar nichts! Die haben sich halt gestritten und nun ist Holland in Not oder so.“ Die besten Lügen sind die, an denen noch ein Fünkchen Wahrheit ist.

„Aha.“ Verzieht sie das Gesicht, nicht den Eindruck erweckend als würde sie mir glauben.



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„Lynn?“ Krächze ich und schließe vorsichtig die Tür ihres Zimmers hinter mir. Im Radio kam eine Durchsage über eine Großdemonstration in der Innenstadt, nicht weit entfernt unserer beschaulichen Wohnung. Sie schien meine Eltern für einen kleinen Moment abzulenken, den ich nutzte um mich elegant vom Acker zu machen. Und nun stehe ich vor dem nächsten unangenehmen Gespräch.

„WAS?!“ Zischt sie und sieht wütend in meine Richtung. Ihr Handy presst sie dabei fest gegen ihre Brust, so als würde sie ihre Privatsphäre schützen wollen.

„Rede du mit unseren Eltern…“ Flüstere ich, um nicht ausfallend zu wirken. In mir brodelt es, dennoch versuche ich meine Wut herunter zu schlucken. Ich will unser Verhältnis schließlich nicht komplett ruinieren. Als Dankeschön für meine Fassung erhalte ich allerdings nur ein abfälliges Schnauben. Ich zähle innerlich bis fünf, will weitere Wellen aus Wut und Eifersucht bändigen, da ich mir noch nicht über ihre Rechtmäßigkeiten im Klaren bin. Niemand will rückblickend betrachtet der eigentliche Böse sein. Doch als ich nach weiteren zerreißenden fünf Sekunden immer noch keine weiterbringende Antwort bekommen habe, sondern nur giftige Blicke platzt auch mir die Hutschnur. „Ich bin doch nicht dein Blitzableiter, den du gegen unsere Eltern verwenden kannst. Nur weil du mal ein Problem hast. Rede selbst mit ihnen, die glauben schon wieder ich hätte Scheiße gebaut! Außerdem kannst du Ivan nicht so für dich beanspruchen!“ Erst nachdem sich meine Stimme in den letzten Worten überschlägt, bemerke ich wie laut ich sie angeschrien haben muss. Unwillkürlich steigt ein schlechtes Gewissen in mir auf.
Scheiße, sie ist Schwanger!
Natürlich will sie den Vater ihres Kindes für sich gewinnen, sie weiß sich vermutlich selbst nicht anders zu helfen. Ich stöhne genervt auf und fühle mich zunehmend armseliger.
„Sorry…“ Murmele ich. „Nur du bist unseren Eltern eine Erklärung schuldig.“ Flüstere ich leise und will mich gerade umdrehen, als sich ihr Gesicht langsam entkrampft.

„Sie dürfen es nicht erfahren!“ Jammert meine Schwester aufgelöst und beginnt zu schluchzen.

„Aber wie stellst du dir dass den vor?“ Hake ich verwirrt nach. Sicherlich kann ich sie verstehen, so blöd ist nicht mal Adrian höchstpersönlich, doch sie kann doch nicht ihr Kind vor ihren Eltern verstecken!

„Keine Ahnung, aber erzähle ihnen bitte nichts! Ich habe gerade Velana geschrieben, sie solle mir noch ein wenig Zeit geben.“ Sie lockert den Griff um ihr Handy und sieht traurig zu mir herüber. „Ich frage mich nur, wie du mir so etwas antun kannst. Meinen Freund zu küssen!“ Ihre Wut und Enttäuschung schwingt in jedem einzelnen Wort mit und plötzlich wird mir ganz kalt. Die Angst sie für immer verloren zu haben, trotz meiner Wut auf sie, wird zunehmend stärker und realistischer.

„Das habe ich dir schon erklärt und es war nur kurz.“ Brumme ich unsicher.

„Ich glaube dir aber nicht! Klar bist du scharf auf meinen Freund, du äffst mich doch immer nach!“ Zischt sie und steht sprungartig auf. Einen kurzen Moment stehen wir uns einfach nur gegenüber, vollkommen überfordert mit der Situation. Schließlich ergreife ich die Flucht nach hinten, wie es typisch für mich ist. In schwierigen Situationen macht man lieber die Biege, das ist angeborenes Verhalten von mir.



-.-.-.-.-.-



Drei Tage vergrabe ich mich nun schon in meinem Zimmer. Offiziell wurde ich von einem fiesen Magendarmvirus heimgesucht, inoffiziell geht es mir einfach nur beschissen.
Lynn hat selbstverständlich nur ausweichend mit unseren Eltern gesprochen, weshalb ich mich bei jedem Verlassen meines Zimmers kritischen Musterungen unterziehen muss. Denn irgendetwas muss ich angestellt haben, immerhin steht hier alles Kopf.
Ivan ist nun Dauergast bei uns, eine Tatsache die mich nicht besonders erfreut, denn um mich macht er einen großen Bogen. Ich weiß dass er jede freie Minute bei Lynn verbringt, dennoch sind wir uns nur einmal begegnet. Als er gerade aus dem Badezimmer kam und ich den besagten Raum betrat. Kein Wortwechsel, nur sein krampfhafter Versuch keinen Augenkontakt herzustellen, während ich ihn nur verwirrt beobachtete wie er gerade zu fluchtartig in Lynns Zimmer stürmte. Wie in diesen Szenen aus Hollywoodstreifen, bei denen sich die Verfolgten in ihr Versteck retten, um sich mit ausgestreckten Armen und nach Luft ringend gegen die Tür zu lehnen, die sie von ihrem Verfolger abgrenzen. Die Augen wandern dabei apathisch in alle medizinisch möglichen Richtungen, während sie langsam bemerken dass ihr wahrer Feind ihnen gegenüber steht. Wird Ivan es auch merken?
Hoffentlich, denn lange werde ich sein abweisendes Verhalten nicht aushalten. Es wirkt beinahe so als hätte er Angst vor einer weiteren Konfrontation mit mir.
Ist das seine Vorstellung von unserer Zukunft? Mich soweit aus seinem Leben zu drängen wie möglich? Dabei wirkte er immer so liebevoll und vernünftig und nun benimmt er sich wie ein albernes Kind.

„Es tut mir leid, aber ich muss es versuchen.“

Ich wusste von Anfang an, was dieser Satz bedeuten würde. Ivan würde mit Lynn zusammen bleiben, während ich wieder zum fünften Rad am Wagen werde. Doch dass er mich so behandeln würde? Als wäre das alles meine Schuld?

22. Köstliches Familienessen

 „Hast du etwa Ärger mit deiner Freundin?“ Fragt meine Mutter vorsichtig und streicht mit den Händen meinen Bettbezug glatt. Unweigerlich seufze ich auf, diesen Teil des Lügengerüsts habe ich schon beinahe verdrängt. Meine „Freundin“ von der ich meiner Familie erzählt habe, damit Lynn meinen Gefühlen für Ivan nicht auf die Spur kommt und meine Eltern mich endlich mit diesem Thema in Ruhe lassen. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Meine Mutter sitzt auf meinem Bett und schaut mir besorgt entgegen. Scheinbar schien sie mein zurückgezogenes Verhalten zu beunruhigen. Schon lange warte ich auf ein Mutter-Sohn Gespräch, indem ich ihr von den blöden Idioten in der Schule erzählen kann und sie mir dazu weise pädagogische Ratschläge erteilt, die nur in Ratgebern funktionieren aber in der Realität vollkommen nutzlos wirken. Lang ersehnt und dafür umso ernüchternder, denn über ein nicht existierendes Mädchen wollte ich garantiert nie reden.

„Nein, geht schon.“ Brumme ich daher nur unsicher.

„Wir durften sie noch nicht einmal kennen lernen! Deine Schwester bringt ihren Freund jeden Tag mit nach Hause.“ Der Vorwurfsvolle Blick meiner Mutter überfordert mich ein weiteres Mal. Die ist ja auch schwanger! Hätte ich ihr am liebsten entgegen gebrüllt aber ich belasse es bei einem unverfänglichen Augenverdrehen. Dass Lynn Ivan jeden Tag anschleppt ist wahr, ich frage mich schon lange ob sein Zuhause wundersamer Weise vom Erdboden verschluckt wurde. Sie könnten schließlich auch zu ihm, sein Zimmer ist viel größer und schöner als unsere spärliche Wohnung. Aber wahrscheinlich geht es Lynn ohnehin nur darum zu demonstrieren wer hier mit Ivan zusammen ist. Gut, die Nachricht ist angekommen.

„Sie möchte es nun mal langsam angehen.“ Ich fühle mich mit jedem Wort schäbiger, lasse mich immer tiefer in diese Lüge hineinfallen. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass es dieses Mädchen gar nicht gibt und Lynn schwanger ist.

„Das ist auch schön, habt ihr denn schon Sex?“ Fragt meine Mutter vorsichtig, während ich mich an meiner eigenen Spucke verschlucke und gequält aufstöhne. Nein, bitte nicht. Keine weiteren Aufklärungsgespräche.

„Ehm…geht dich nichts an?!“ Fiepe ich und schlage mir ein großes Kissen vor mein Gesicht. Zu spät, denn ich vernehme gerade noch wie meine Mutter vorsichtig zu Grinsen beginnt. Oh nein. Sie glaubt doch jetzt nicht intuitiv als Mutter spüren zu können ob ihr Sohn Sex hat? Zumal ich ansonsten ganz sicher in eine Klapse gehören würde, da „Luisa“ nach wie vor fiktional bleibt.

„Ich freu mich ja für euch, aber es ist nicht nur die Aufgabe der Frau an Verhütung zu denken, okay? Ich möchte wirklich noch nicht Oma werden.“ Hahahaha. Nicht witzig. Unterhalte dich über solche Befürchtungen lieber mit deinem Töchterchen.

„Sicher doch.“ Murmele ich peinlich berührt und zwinge mich zu einem Lächeln. P.S.: Ich hasse mein Leben. „Können wir dieses Thema jetzt abhaken?“

„Natürlich, wenn du mir versprichst auf alles zu achten was ihr im Sexualkundeunterricht gelernt habt.“ Erklärt meine Mutter fachmännisch und sieht auf mich herab, ihr Blick lässt mich kaum los.

„Jaaha.“ Maule ich gequält, woraufhin sie endlich mein Zimmer verlässt.



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„Ich habe eine super Idee!“ Flötet meine Schwester als sie ins Wohnzimmer tänzelt. Ihr Verhalten lässt mich erahnen wie ich ihre Idee finden werde: Qualvoll. Warum nimmt dieser Tag kein Ende?

„Achja?“ Überrascht hebt meine Mutter ihre Augenbrauen und sieht von ihrer Frauenzeitschrift auf, mein Vater sagt mal wieder gar nichts und brummt nur vor sich hin.

„Mein Schatz und ich kaufen frische Lebensmittel ein und dann könnten wir gemeinsam ein richtig schönes Abendessen zaubern!“ Erklärt sie aufgeregt und zieht ihren Freund näher an sich heran. Mir dreht sich augenblicklich der Magen um, ich ahnte dass sie sich rächen wird, doch so? Ein Familienessen mit Ivan an ihrer Seite? Oh bitte, nicht in meiner aktuellen Verfassung, ich habe noch nicht mal das Mutter-Sohn Gespräch vor knapp zwei Stunden verdaut.

„Eine wirklich schöne Idee.“ Grinst meine Mutter und blickt kurz zu meinem Vater, der zustimmend nickt. „Warum rufst du nicht deine Luisa an, Adrian? Sie ist herzlich eingeladen!“ Mit strahlenden Augen schaut sie mir auffordernd entgegen, erwartend ich würde mich sofort in Bewegung setzen.
Hilfesuchend findet mein Augenpaar direkt meine Schwester und schaut sie flehend an, welche unbeeindruckt meinen Blick erwidert. Viel auffälliger hingegen ist Ivans Blick. Er starrt verwirrt einen mir unbekannten Punkt an der Decke an, während er scheinbar die Information sacken lässt. Er glaubt doch nicht tatsächlich ich hätte eine Freundinn, oder? Ist das nun gut oder schlecht?
Dennoch zwinge ich meine Augen von ihm abzulassen, leise fluchend verlasse ich unser Wohnzimmer.
Nur um zwei Minuten später meinen Kopf durch den Türspalt zum zu stecken.

„Ehm, Luisa muss für eine Arbeit lernen.“ Erkläre ich meinen Eltern monoton und wedele mit meinem Handy, so als müsse ich ihnen demonstrieren dass ich tatsächlich mit ihr gesprochen habe.

„Oh nein, wie schade!“ Jammert meine Mutter enttäuscht und schüttelt den Kopf.



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Die aktuelle Situation sieht folgender Maßen aus: Ich kann dem Drang kaum widerstehen mein Schwesterlein zu erwürgen. Ich rechne es ihr alleine an, dass wir nun gemeinsam dieses fabelhafte Familienessen abhalten, welches natürlich nicht Ivan ausschließen darf. Letztendlich ist er zu einem wichtigen Teil der Familie geworden, wie meine Mutter vor ein paar Minuten glücklich verkündete und das traumhafte Paar angrinste.
Ich erkenne jedoch dass es Ivan nicht gut geht. Er sieht müde und genervt aus, und zwingt sich bei jeder Ansprache seiner Freundin zu einem Lächeln. Dieses Abendessen ist wirklich anstrengend und ermüdend. Lynn spricht in einer Tour wie toll ihre Beziehung läuft, wie schön sie doch gestern spazieren waren und dass Ivan ja ganz anders sei, als ihre Ex-Freunde. Ein Punkt in dem ich ihr ausnahmsweise Recht geben muss. Meine Mutter schmilzt bei den Geschichten ihrer Tochter, die so romantisch sind dass sie Würge Reiz auslösen, beinahe dahin. Ivan hingegen scheint die Situation reichlich peinlich zu sein, auch er hat dieses Essen nicht herbeigesehnt und wünscht sich nun an einen fernen Ort. Vielleicht könnten wir uns ja an den gleichen wünschen? Eine einsame Insel wäre ganz nett, fern ab von all dem Stress. Wir könnten gemeinsam in der Sonne liegen und Cocktails schlürfen, uns näher kommen. Ich versuche vergeblich Ivans Blick zu finden, jedoch scheint er meine Gedanken nicht zu verstehen. Gedankenübertragung ist scheinbar noch nicht unser Ding.
Er zuckt bei jedem meiner Blicke leicht zusammen, ähnlich wie bei den regelmäßigen Schulter Klopfern meines Vaters, die voller Stolz geschwellt sind und ihn immer wieder leicht aufschrecken lassen. Armer Idiot.

„Ein wirklich schöner Abend.“ Schwärmt meine Mutter. „Nur zu schade dass Luisa heute wieder fehlt.“ Nun bekomme auch ich die Schulter von meinem Vater geklopft, stolz nickt er mir zu, als seine Ehefrau wieder über meine Imaginäre Freundin spricht.

„Oh ja, ein wirklich nettes Mädchen!“ Kommt es prompt von Lynn, welche mir schräg gegenüber sitzt. „Ihr solltet sie wirklich mal kennen lernen, die Beiden sind schon ein süßes Paar.“ Lächelt sie verträumt und zwinkert mir heimtückisch zu. Dieses Biest! Nun beginnt mein Vater kurz zu prusten.

„Soso, mein Sohn sieht also Herzchen. Ich in deinem Alter war zwar eher der Frauenheld, aber jedem das seine.“ Grinst er, seine kurze Anekdote über seine aufregende Vergangenheit nehme ich ihm natürlich sofort ab, in Erinnerungen an Fotos aus seiner Jugend schwelgend. Er hatte schon immer Übergewicht und war mit der Kleiderwahl anscheinend schon vom Kindesalter an überfordert. Gut dass meine Mutter ihm jeden Morgen etwas Frisches zum Anziehen aufs Bett legt. Sonst würde er wahrscheinlich in einem dreckigen Unterhemd und einer kaputten Jeans herumrennen, ohne dass es ihn stören würde.

„Ja Adrian ist total in sie verliebt, nech Ivan?“ Hastig rüttelt sie an der Schulter ihres Freundes, welcher nur überfordert zu mir starrt. Bilde ich es mir ein, oder erkenne ich in seinem Blick tatsächlich Traurigkeit?

„Und warum bringst du sie dann nie nach Hause? Willst du deine Alten so auf die Folter spannen?“ Warum werde ich nun wieder angezickt? Ist die nun beleidigt?

„Genau Adrian!“ Pflichtet Lynn umgehend bei. „Ruf sie sofort an, die kann ruhig herkommen!“
So langsam reißt mir echt der Geduldsfaden. Wütend lasse ich mich zurück in den Stuhl fallen und stampfe mit den Füßen auf.

„Wisst ihr was?! Es gibt überhaupt keine Luisa und ich habe auch keine Lust weiter darüber zu reden!“ Meiner Mutter fallen fast die Augen vor Überraschung aus. „Wisst ihr was viel interessanter ist? Das Lynn euch ganz offensichtlich etwas zu sagen hat!“ Kochend vor Wut verkrampfe ich meine Finger um die Gabel in meiner Hand. Die sollen mal lieber ihr Fräulein Tochter interviewen, anstatt immer nur mich mit ätzenden Elterngesprächen zu belagern, weil sie irgendwie eine falsche Interpretation von Pflichtgefühl haben.

„Was gibt es denn Schatz?“ Fragt meine Mutter nun sanft, dennoch verwirrt über meine jüngsten Informationen, und sucht den Blick ihrer Tochter, welcher wütende Funken sprühend auf meinem liegt. Mich überrascht es dabei kaum noch, dass sich ihr Tonfall so schlagartig geändert hat, kaum dass sie den Gesprächspartner wechselte.

„Adrian du Ratte!“ Zischt meine Schwester leise, ohne jedoch an einem bedrohlichen Unterton zu sparen.

„Was geht hier eigentlich vor sich?“ Meldet sich nun Ivan zu Wort und blickt verwirrt zwischen uns her. Zuerst starrt er seine angebliche Herzensdame an, bis schließlich sein Blick endlich zu mir wandert. Da meldet sich genau der Richtige zu Wort.

„Nichts!“ Keift Lynn und will schon wieder aufstehen, doch meine Mutter hält sie am Arm zurück, deutet ihr sich wieder zu setzten. Richtig so! Und nun soll sie auch mal durch die Mangel genommen werden. Eine solche Wut hat sich mittlerweile in mir angestaut, ich würde am liebsten quer über den Tisch steigen und ihre Haare ausreißen. Doch meine Mutter nickt nur verständnisvoll.

„Hast du ein Problem? Wir sind doch immer für dich da.“ Bla bla bla.

„Oh.“ Keucht Ivan nun überrascht auf, als er zu erkennen scheint, dass seine Freundinn noch nicht den Mumm hatte über den kommenden Nachwuchs zu sprechen.

„Ja ich habe tatsächlich ein Problem!“ Lynn steht auf und schaut mir hämisch grinsend in die Augen. Oh oh. „Und zwar damit, dass MEIN Freund ständig von Adrian angegrabbelt wird. Der soll seine Pfoten gefälligst bei sich behalten!“ Schreit sie nun lauthals und als ihre Stimme verklungen ist, wird es still. Ganz still. Mir hingegen wird schwindelig und schlecht zugleich. Wie ein Fisch an Land fühle ich mich jeglichen Sauerstoff beraubt. Mein Mund klappt auf und wieder zu, während ich mit einem Klotz im Magen in die Runde schaue.

„Bitte was?!“ Japst meine Mutter und wischt sich hastig eine braune Haarsträhne aus der schweißnassen Stirn. Ihre Hände zittern deutlich. Zu meinem Vater traue ich mich nicht zu blicken, er gibt seltsame knurrende Geräusche von sich.
Verletzt wandert mein Blick automatisch zu Lynn, die mit sich zu ringen scheint. In ihr kämpfen mir nur allzu bekannte Gefühle. Wut und Gewissen.
Ivan hingegen schüttelt nur genervt den Kopf.

„Ja…“ Die Stimme meiner Schwester ist ungewohnt dünn. „Adrian hat sich…an Ivan rangemacht.“ Ihre Hand legt sie auf Ivans Schulter, welche umgehend weggewischt wird.

„Um Gottes Willen. Sag mal bist du denn von allen guten Geistern verlassen, Kind?! Und diese Luisa? Alles nur eine Lüge?!“ Hechelt meine Mutter und lässt ihren Blick entschuldigend zu Ivan gleiten. Oh ja, haltet euch fern vom perversen Adrian, er hat schon wieder zugeschlagen! Ich versteh‘ schon.
Am meisten verletzt mich der Blick meines Vaters, welcher mir nun dennoch aufgefallen ist, er fixiert nun angeekelt und überfordert sein Essen. Schnitzel mit Kartoffeln und Jägersoße.

„Ich…“ Stammele ich und breche den Satz umgehend wieder ab, da ich mir nicht im Klaren war, wie ich ihn hätte weiter führen wollen.

„Du! Was fällt dir ein? Warum tust du uns sowas an?!“ Brüllt die aufgebrachte Frau und sieht durch ihre Wut gezeichnet mindestens zehn Jahre älter aus.
Tränen steigen in meine Augen, ich glaube ich sollte hier weg. Ganz schnell.

23. Rache vs. Geschwisterliebe

 Es scheint langsam zur Familientradition zu werden. Ich Blödmann renne aufgebracht in mein Zimmer und schotte mich mit einem lauten Knall meiner Zimmertür von der Familie ab. Doch es wird mir nur einen kurzen Moment meine Ruhe gegönnt, denn kaum habe ich mich auf mein Bett gefläzt, stürmt meine Mutter aufgebracht in mein unordentliches Zimmer. Dieses Mal scheint sie sich allerdings nicht für das herrschende Chaos zu interessieren und mustert mich stattdessen mit wütenden Augen.

„Adrian, so kannst du uns doch nicht einfach in der Luft hängen lassen! Zuerst möchte ich wissen was genau hier vor sich geht!“ Zischt meine Mutter und versucht deutlich die Fassung zu bewahren, was unter anderem deutlich an ihren Händen zu erkennen ist. Immer wieder verkrampfen sie sich zu Fäusten, und werden wieder in eine lockerere Haltung gezwungen.

„Lynn spinnt!“ Eindringlich sehe ich meine Mutter an, betend sie würde mir glauben. Ich spüre deutlich dass diese unangenehme Spannung, die sich seit Lynns Offenbarung, zwischen uns aufgetan hat, niemals wirklich wieder verschwinden wird. Sie wird nun immer im Hinterkopf haben, ich sei schwul, und es gibt deutlich tolerantere Menschen auf der Welt als meine Mutter. Sie ist zwar in keinem Anti-Schwulen Vorstand und auch auf keiner Demonstration gegen Homo-Ehen gewesen, dennoch verzieht sie gerne mal das Gesicht, wenn sie einem homosexuellen Paar im Supermarkt entgegen kommt. Sie wünscht ihnen zwar nicht sie sollen in der Hölle schmoren, dennoch vertritt sie die deutliche Ansicht es sei unnatürlich das eigene Geschlecht zu lieben. Es ist zum Haare raufen.
Ich spüre mein Herz überlaut in meiner Brust pochen, als ich auf irgendeine andere Reaktion warte, als die sie mir nun liefert. Sie steht mir gegenüber, die Arme gegen die Hüften gestemmt und schaut mit abschätzend an. Versucht irgendwo eine Lüge in meinen Worten zu finden und ist ebenso erzürnt über meine Wortwahl Lynn gegenüber.

„Achja? Du musst mir das alles Mal genau erklären. Ich verstehe nur noch Bahnhof.“ Seufzt sie schließlich und setzt sich auf meinen Schreibtischstuhl. Deutlich die Distanz wahrend, vor ein paar Stunden saß sie noch neben mir auf meinem Bett. Ein Stich ins Herz.
Plötzlich werde ich unsicher. Soll ich sie weiter anlügen oder eine andere Version der Wahrheit erzählen? Die vollständige Sachlage kann ich ihr wohl kaum erklären, damit würde ich mir endgültig mein Grab schaufeln. Mensch Adrian, produktives Nachdenken! Noch nie meine Stärke gewesen…

„Ehm…“ Nuschele ich und entscheide mich spontan für eine Wahrheitsenthaltene Version der Dinge. „Ivan hat mich mal geküsst…aus Spaß. Er wollte ausprobieren wie es mit einem Jungen ist. Allerdings fanden wir es Beide nicht besonders toll. Er hat tatsächlich Lynn davon erzählt und sie hat es falsch aufgegriffen…“ Klingt doch halbwegs logisch, oder?! Manchmal wünsche ich mir einen kleinen Berater, der in meinem Kopf sitzt und mir Antworten bereit legt oder mir meine Glaubhaftigkeit bestätigt. Mich an passenden Stellen darauf hinweist noch eine Kleinigkeit zu ergänzen oder lieber sofort die Klappe zu halten. Ja so etwas wäre durchaus praktisch.

„Natürlich ist sie sauer! Man hat niemanden anderes zu küssen wenn man eine Freundin hat, nicht aus Spaß und vor allem keinen jungen Mann!“ Empört sie sich, gleichzeitig entspannen sich ihre Gesichtszüge ein wenig. Wenigstens etwas. Komme wohl auch ohne kleine Berater aus.
Für einen kurzen Moment überlege ich ob ich nun auch Lynns Geheimnis heraus posaunen sollte, Rache ist schließlich verdammt süß. Dennoch finde ich, sie sollte selbst ihren Eltern von ihrer Schwangerschaft berichten, es ist schließlich eine große Sache. Am besten noch vor unserem Geburtstag, damit sie gleich mit kleinen Strampelanzügen beschenkt werden kann. Meine Gedanken werden immer missmutiger.

„Ist ja gut, war ne saudämliche Aktion.“ Murmele ich stattdessen.

„Dann möchte ich gerne noch wissen, was jetzt mit Luisa ist!“ Streng sucht sie meinen Blick.

„MAMA! Jetzt lass mich endlich in Ruhe!“ Meine Stimme kreischt ihr aufgebracht entgegen und ich schäme mich im selben Moment für mein ausfallendes Verhalten. Selbstverständlich möchte sie nun endlich die Wahrheit erfahren. Dennoch folgen meine Augen ihr überrascht als sie einfach den Raum verlässt, mit hängenden Schultern und enttäuschter Haltung.



-.-.-.-.-



Stumm starre ich die Decke an und versuche Bilder in dem Tapetenmuster zu erkennen. Ich fühle mich als hätte ich die letzten Wochen hart gearbeitet und würde endlich eine Pause genießen können, bevor es unerbittlich weiter gehen wird. Die Ruhe vor dem Sturm.
Ich muss mit meiner Schwester reden, das Verlangen sie zur Rede zu stellen ist überwältigend. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so wütend auf sie gewesen zu sein, dabei hatte ich in letzter Zeit schon oft den Wunsch ihr den Kopf abzureißen. Plötzlich wünsche ich mir unsere Kindertage zurück, in denen wir uns bestens verstanden haben. Unsere Streitigkeiten basierten auf Kinderkram, wie am Tag unserer Einschulung. Lynn hatte die schönste Einschulungstüte von allen, jedenfalls empfand ich es damals so. Sie glitzerte in der Sonne und roch nach Blumen. Am besten gefiel mir allerdings der Inhalt, voller Süßigkeiten, Glitzerstiften und Malbüchern. Dementsprechend gespannt war ich, wie meine Tüte wohl aussehen würde. Unruhig saß ich am Frühstückstisch und flehte meinen Vater an, sie endlich herauszuholen, er spannte mich gerne auf die Folter. Nachdem meine Mutter ihn neckisch ermahnt hat, den armen Jungen nicht zu ärgern an seinem ersten Schultag, holte er sie aus einem Schrank. Es war eine Fußball-Tüte. Zunächst war ich enttäuscht dass meine nicht so schön glitzern konnte und stattdessen mit diesen verhassten Fußbällen verziert war. Allerdings sah ich darüber hinweg, der Inhalt zählt schließlich, welcher mir beinahe die Tränen in die Augen trieb. Stadium Karten für ein Fußballspiel, zudem mein Vater mich mitnehmen wollte, noch nicht einmal Süßigkeiten waren enthalten, da die Karte so teuer war. Mein Vater war nun mal der Meinung ein richtiger Junge müsse sich freuen und so spielte ich mit. Ich habe damals einen Plan geschmiedet, wie ich Lynns Tüte heimlich zerschneiden könnte, da ich als sechsjähriger so neidisch war und diesen Anblick kaum ertragen konnte. Doch am Nachmittag waren schon wieder alle Sorgen vergessen. Wir lagen gemeinsam auf dem Fußboden ihres Zimmers und aßen all die bunten Bonbons, während wir ihr Malbuch künstlerisch gestalteten. Sicherlich einer der schönsten Tage meiner Kindheit. Mit Ivan hingegen wird das kaum funktionieren.
Es kribbelt mir förmlich unter der Haut, meine Kopfhaut ziept und diese innere Anspannung kriecht in jedes Glied meines Körpers. Doch würde ich in meiner jetzigen Verfassung Lynn zur Rede stellen, ich würde ihr die Augen auskratzen. So warte ich lieber und versuche mich zu beruhigen. Schon beinahe lächerlich wie ich an meiner Schwester hänge, aber sie ist immer für mich dagewesen, bevor Ivan in unser Leben kam. Ich habe mal gehört man soll tolle Freundschaften, über Typen stellen. Eine sicherlich weise Sichtweise, dennoch halten wir uns Beide nicht gerade daran.

Nach zwei Stunden, in denen ich fieberhaft versucht habe, die letzten Stunden sacken zu lassen, höre ich laut die Haustür knallen.
Einen kurzen Moment später kommt Lynn in mein Zimmer gestürmt. Sie scheint sich mit Ivan gestritten zu haben, denn noch jetzt ist ihr Gesicht rot verfärbt. Ein Anblick der mich für kurze Zeit mit Schadenfreude erfüllt.

„Ich wollte nur nochmal klar stellen, dass du deine Klappe halten wirst!“ Zischt sie mir entgegen und spielt damit deutlich auf ihre geheime Schwangerschaft an.

„Du hast kein Druckmittel mehr, schon vergessen? Du wolltest diese Sache zwischen mir und Ivan für dich behalten und dafür schweige ich über deine Schwangerschaft. Aber hast du unsere Abmachung ja zu Nichte gemacht.“ Erkläre ich genervt.

„Achja? Du hast doch damit angefangen!“

„Du hast mich in eine beschissene Lage gebracht, indem du das Thema „Luisa“ unbedingt noch weiter vertiefen musstest! Was zur Hölle sollte das?!“ Langsam werde ich doch lauter, als gewollt.

„Selbst Schuld und wehe du Giftschlange verlierst nur ein Wort über mich! Dann werde ich ihnen das Ganze noch wesentlich ausführlicher erzählen, sogar dass er mit mir Schluss machen wollte.“

„Weißt du, ich hätte Mama schon fast davon erzählt, schließlich hast du mich auch verpetzt. Aber ich habe es gelassen, weil ich nicht wollte dass noch mehr kaputt geht. Aber mach doch was du willst.“ Enttäuscht wende ich meinen Blick ab, während ich vernehmen kann dass meine Schwester laut aufseufzt.

„Danke.“ Flüstert sie und ist aus der Tür verschwunden.
Seltsamerweise fühle ich mich nun tatsächlich etwas besser.


Am nächsten Morgen werde ich plötzlich von raschelnden und stolpernden Geräuschen geweckt, leisem Gefluchte. Verschlafen öffne ich die Augen und erblicke direkt den Digitalwecker, welcher auf meinem Nachtschrank steht.

13:29

So lange habe ich selten nicht mehr geschlafen, verwirrt sehe ich mich um, als die Geräusche nicht nachlassen.

„Ivan?!“ Fiepe ich erschrocken und wische mir über die Augen. Tatsächlich habe ich keine Halluzinationen. Er stolpert gerade unbeholfen durch mein Gerümpel und sieht mich schüchtern an, als er mein Bett erreicht hat. Überfordert setze ich mich auf und starre ihm entgegen.

„Hey…“ Murmelt er. „Ich…“

„Ja?!“ Habe ich ihn gerade tatsächlich angefaucht und bin sogar stolz darauf?

„Also…“ Seine Stimme klingt leicht kratzig, bis er schließlich tief durchatmet und mir schließlich völlig unerwartet sein Herz ausschüttet, seltsamer Vogel eben. Das Thema hatten wir ja schon. „Ich brauch einfach mal eine Pause von ihr, diese Situation macht mich wahnsinnig. Wir passen einfach nicht zusammen, aber was soll ich denn machen? Sie will ja dass ich bei ihr bleibe, schon alleine wegen dem Baby und dieses Argument zieht natürlich. Nur irgendwie mache ich gerade einen bösen Fehler, denn sie hat auch jemanden verdient der sie liebt und mit dem sie sich besser versteht. Aber ich will auch nicht dass mein Kind ohne Vater aufwächst, meiner hat mich schließlich verlassen um sich in Barcelona eine schöne Zeit zu machen.“ Platzt es aus ihm heraus. Die Erschöpfung ist ihm deutlich anzusehen, als er sich auf mein Bett sacken lässt und seinen hübschen Kopf in den Händen abstützt. „Es tut mir wirklich leid, besonders wie ich mich in den letzten Tagen verhalten habe.“ Murmelt er, um die Stille ein weiteres Mal zu brechen. Ich fühle mich irgendwie nicht im Stande viel zu sagen, da ich viel zu verwirrt bin.
„Wollen wir raus gehen? Ich lade dich in eine Pizzeria ein…“

„Erst verhältst du dich mir gegenüber als sei ich giftig und nun willst du mit mir Pizza essen?! Wie darf ich das denn verstehen?!“

„Ich dachte wir wären vielleicht noch Freunde…“ Flüstert er und sieht bittend zu mir herüber. Ich will mich weiter von ihm abwenden, doch dann entscheide ich mich um. Es klingt wie ein einmaliges Angebot, wenn ich ihn jetzt wegschicke habe ich ihn vielleicht für immer verloren. Auch wenn mir seine deutliche Betonung des Wortes „Freunde“ nicht gefallen will, sage ich dennoch sachte nickend zu.

„Super, deine Schwester wird mir wahrscheinlich den Kopf abreißen, aber daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen.“ Grinst er plötzlich. Leicht verwirrt folge ich ihm, nicht wirklich seine Worte nachvollziehen können. Dieser Mann ist wirklich hochgradig verwirrend.

24. Im Dschungel

 „Sag mal…du wolltest doch wegen mir mit Lynn Schluss machen, oder?“ Wir haben es uns in einer mir noch völlig unbekannten Pizzeria gemütlich gemacht und sitzen uns in einem Ecktisch schräg gegenüber. Nach Minuten des belanglosen Smalltalks, dem ich nur angestrengt folgen konnte, platzt es nun endlich aus mir heraus. Ich muss wissen was da eigentlich hinter steckt, kann es nicht einfach so stehen lassen.
Ivan verschluckt sich beinahe an seiner Schinken Pizza und schaut mich erschrocken an. „Ja…“ Nuschelt er dennoch, nachdem er sich den Mund mit einer Servierte betont langsam abgeputzt hat.

„Warum? Ich meine…was genau war da zwischen uns?“ Natürlich ahne ich es. Seine Worte habe ich nicht vergessen. „Ja, in letzter Zeit musste ich irgendwie…mehr an dich denken als an deine Schwester…“

„Das weißt du doch!“ Zischt Ivan schließlich. Mag sein, dass ich mich gerade tatsächlich blöd anstelle, doch ich brauche eindeutige Antworten, die man nicht falsch interpretieren kann, die Gefahr sich zum Affen zu machen ist mir zu groß.

„Und wie wäre es weiter gegangen…meinst du wir wären vielleicht…?“ Flüstere ich, traue mich aber dennoch nicht weiter zu sprechen. Die Luft scheint elektrisch geladen zu sein, zumindest kann ich die Spannung bis in die kleinen Zehn fühlen.
Ivan überlegt kurz, nickt dann jedoch vorsichtig. „Vielleicht, ich denke schon. Jedenfalls so in der Art.“ Bestätigt er meine Gedanken. Ich keuche auf und kratze mich am Kopf.

„Du meinst, wenn das Baby nicht wäre.“ Füge ich sarkastisch klingend hinzu, starre ihn leicht verärgert an.

„Genau.“ Die Pizza schmeckt mir plötzlich nicht mehr und ich nehme stattdessen lieber einen Schluck Limonade, während ich plötzlich Zweifel hege ob dieses Essen eine gute Idee war. Freunde bleiben, sowas funktioniert doch nur in Filmen.

„Was hast du eigentlich deinen Eltern erzählt? Immerhin musste Lynn ihnen ja unbedingt von uns erzählen.“ Seine Augen schauen mir leicht besorgt und entschuldigend entgegen. Ein weiteres unangenehmes Thema kommt also auf den Tisch. Wobei sich mein Mund mittlerweile Staubtrocken anfühlt, trotz der Limonade, und ich kaum noch schlucken kann. Meine Beine spannen sich an und machen mir begreiflich, es sei der richtige Zeitpunkt gekommen um einfach wegzurennen. Dieses Gespräch führt durch einen Dschungel von unangenehmen Fragen und noch viel gefürchteteren Antworten.

„Ja, aus einem völlig falschen Blickwinkel!“ Empöre ich mich daher, doch Ivan weiß es sofort einzuordnen. Immerhin stellte sie mich als perversen Stalker dar. „Ich habe ihr erzählt wir hätten uns aus Spaß geküsst, aus Neugierde wie es mit einem Kerl ist, aber war scheiße.“ Erklärte ich ihm mit hochrotem Gesicht, versuche meine Beine zu beruhigen. Nur nicht durchdrehen.

„So, war es das?“ Fragt Ivan erstaunt. Seine Augen funkeln, als würde er mich gerade auf den Arm nehmen wollen und dabei verdammt viel Spaß hätte. Ich keuche, so ein Idiot.

„Ehm…das habe ich ihr halt gesagt...“ Nuschel ich unsicher, in meinen imaginären Bart. „Was hätte ich ihr denn sonst sagen sollen? War super, oder wie?“ Abschätzend grinst er mich an und schüttelt schließlich nur belustigt den Kopf. Interessant wie schnell man ihn wieder zum Lachen bringen kann, nachdem er sich tagelang versucht hat vor mir zu verstecken.

„Nein, das hätte sie sicherlich nicht gerne gehört. Auch wenn es nicht mal gelogen wäre…“ Seinen letzten Satz hätte ich beinahe nicht verstanden, so leise hat er ihn gesprochen. Traurig schaut er mich an und widmet sich schließlich hochkonzentriert seiner Cola. Es ist wirklich auffällig wie schnell er von einem Gefühlszustand zum nächsten wechselt, ohne dabei Kompromisse oder Übergänge einzugehen. So langsam verliere ich jedoch den roten Faden. Zunächst küsst er mich, will es dann jedoch wieder vergessen, faselt danach irgendetwas von uns und er müsse an mich denken, nur um sich schließlich wie ein ängstliches Kind vor mir zu verstecken und nun erzählt er mir wieder Grims Märchen. Kann der Kerl sich irgendwann mal entscheiden was er will? Oder ist er immer so…impulsiv?
Ich wäre nun wirklich gerne wütend aus dem Restaurant gestürmt und hätte ihm eine Szene geboten, er solle auch auf meine Gefühle Rücksicht nehmen. Allerdings fehlt mir dazu der Mut, stattdessen schlucke ich meinen Ärger hinunter und versuche das Beste daraus zu machen.

„Und wie stellt ihr euch eure Zukunft nun vor? Werdet ihr bald brav heiraten und einen Bausparvertrag abschließen?“ Hämisch grinse ich ihn an, gewillt auf Rache. Ich wusste zwar nicht dass ich so gemein und dennoch taktvoll sein kann, doch ich störe mich nicht weiter daran. Stattdessen warte ich Interessiert und mit einem flauen Gefühl im Magen auf eine Antwort. Beobachte ihn dabei, wie er nervös seine Pizza in immer kleinere Stücke zerschneidet und angestrengt über die Frage nachdenkt, welche nicht mal allzu weit daher gegriffen ist.

„Darüber möchte ich noch gar nicht nachdenken.“ Grunzt er schließlich genervt und balanciert einen Pizzafetzen in seinen Mund.

„Wirst du aber müssen.“ Ich bemühe mich tatsächlich nicht wie ein Beratungslehrer zu klingen. Mein Gegenüber hingegen sagt nichts mehr und schaufelt sich seine Pizza in einem Tempo in den Mund, man könnte meinen er hätte seit Wochen nichts mehr gegessen. Während die Stimmung immer peinlicher wird.

„Können wir…“ Stammelt Ivan und holt tief Luft bevor er weiter spricht. „Vielleicht das Thema wechseln und ein wenig den Alltag vergessen?“

„Gut, erzähl mir was.“

„Ich hasse diese Aufforderung, was denn?“

„Du wolltest dich doch unterhalten…“

„Nun gut…wie geht es dir?“ Unglaube macht sich in mir breit, nach alldem fragt er mich wie es mir geht?!

„Du bist ein riesen Idiot!“ Fauche ich und muss schließlich doch schmunzeln, als ich seine beleidigte Miene sehe. Er stimmt kurz mit ein und muss tatsächlich ein wenig lachen.

„Sehr witzig…und taktvoll.“ Grummele ich, klaue mir dabei ein Stück seiner Pizza, da ich spontan wieder Hunger bekommen habe. Allerdings auf Schinken Pizza, meine Käsepizza ignoriere ich getrost.

„Hey! Das ist ja wohl eine Frechheit!“ Empört er sich gespielt und grinst mich an. So plötzlich wieder guter Dinge, mir soll es Recht sein, auch mir hängt dieses Thema langsam aus den Ohren raus. Glaubt es oder nicht, aber wir verbringen dennoch einen halbwegs angenehmen Nachmittag. Trotzdem bin ich erleichtert als wir uns vor dem Restaurant verabschieden und wieder getrennte Wege gehen.


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Mit quälend langsamen Schritten trotte ich gegen Abend zur Haustür, um diesen schrillen Klingelgeräuschen zu entgehen.

„Hey Adrian!“ Begrüßt Franzi mich freundlich, nachdem ich ihr die Tür geöffnet habe. Ein wenig überrascht erwidere ich ihre Umarmung, hat Lynn ihr gar nichts von dem Kuss zwischen mir und Ivan erzählt? Ich bin mir sicher, sie würde mir den Hals umdrehen wüsste sie davon.

„Hallo Franzi…Lynn ist auf ihrem Zimmer, allerdings schlecht gelaunt…ich glaube ihre Hormone gehen mit ihr durch.“ Witzele ich und lasse sie zunächst einmal den Flur betreten.

„Oder hat sie Streit mit Ivan, es läuft ja nicht gerade perfekt.“ Nicht gerade perfekt ist auch eine schöne Umschreibung.

„Weiß nicht…vielleicht liegt es auch an der Schwangerschaft, dann werden Frauen ja komisch.“ Habe ich jedenfalls mal in irgendeiner Zeitschrift gelesen und musste anfangen zu lachen, ich finde Frauen sind immer komisch. Aus diesem Grunde plante ich eigentlich schwangeren Frauen für immer aus dem Weg zu gehen, man sieht ja was man davon hat.
Franzi kommt plötzlich ins Stocken und starrt mich entgeistert an. „Sie ist bitte was?!“ Hakt sie erschrocken nach.
Nun bin ich wirklich baff, hat sie das Gedächtnis einer Fliege? Lynn hat doch die Tests bei ihr Zuhause gemacht!

„Ich bitte dich Franzi, nun spiele nicht die Unwissende! Lynn hat es mir schon erzählt und Ivan weiß mittlerweile auch von seinem Glück.“

„Und warum erfahre ich das bitte als Letzte?“ Schluchzt sie dramatisch, kämmt sich mit den lackierten Fingern einige blonde Ponysträhnen aus der Stirn.

„Sie hat den Test doch bei dir gemacht! Drei Stück an der Zahl!“

„Davon weiß ich ehrlich nichts.“ Deutlich verwirrt dreht sie sich um und verschwindet rasch in Lynns Zimmer. So langsam steige ich wirklich nicht mehr durch, habe ich wieder etwas falsch mitbekommen? Dennoch kann ich meine Neugierde kaum zurück halten und nähere mich Lynns Zimmertür. Mit gespitzten Ohren versuche ich eine Unterhaltung zwischen den beiden Freundinnen aufzuschnappen, doch ich kann nur leises Getuschel vernehmen, bis ich plötzlich erschrocken zusammen zucke.

„Spinnst du jetzt komplett?!“ Franzis laute wütende Stimme ist wahrscheinlich noch zwei Kontinente weiter zu hören und macht auch dort den Menschen Angst. Sie kann manchmal zu einer regelrechten Furie werden, daher entschließe ich mich ein wenig Sicherheitsabstand zwischen mich und die Tür zu bringen, so dass ich später immer behaupten könnte ich sei zufällig vorbei gekommen.

„Was ist denn nun schon wieder los?“ Meine Mutter steht mit Ivan im Schlepptau genervt in der Tür und mustert mich abschätzend, ihre Wut auf mich scheint noch nicht ganz verflogen zu sein. Doch ich kann es ihr nicht verdenken, immerhin habe ich sie angelogen, indem ich ihr ein Märchen aufgetischt habe. Ivan hat sich derweil hinter ihr aufgebaut und grinst schief. Meine Mutter hat ihn gebeten ihr die schweren Einkaufstüten ins Haus zu tragen, da mein Vater mit seinen Kumpels umher lungert und selbst unsere achtzigjährige Nachbarin Elfride über eine ausgeprägtere Armmuskulatur verfügt als ich.

„Lynn und Franzi streiten sich ein wenig.“ Den eigentlichen Grund kann ich ihr schlecht unter die Nase reiben, auch wenn ich nicht wirklich weiß worüber Franzi so erbost ist. Wahrscheinlich ärgert sie sich tierisch dass Lynn ihr nicht von diesen spektakulären Nachrichten erzählt hat, auch wenn ich hätte schwören können, dass Franzi die erste war die davon wusste. Frauen halt, unerforschte Mysterien.

„Kann ich bei dir Asyl beantragen? Keine Lust zwischen die Fronten zu geraten.“ Beinahe ängstlich schaut Ivan mich an, wenn zwei Frauen sich streiten sollte man nicht dazwischen gehen, so weit bin ich auch schon.

„Klar.“ Lächele ich deshalb freundlich. Meine Mutter beäugt es hingegen kritisch wie Ivan mir auf mein Zimmer folgt, als ob wir gleich hinter der Tür übereinander herfallen würden, ein Gedanke bei dem mir ganz warm wird.
Schweigend setzen wir uns auf mein Bett, jedoch herrscht keine unangenehme Stille, da wir angestrengt dem lautstarken Gekreische der Mädels lauschen, jedoch kein Wort verstehen. Zwischendurch schauen wir uns schmunzelnd an, zu gerne würde ich wissen worum es in dieser lärmenden Auseinandersetzung geht. Jedoch ist sie kein Einzelfall, Franzis Temperament passt einfach nicht mit Lynns sorglosen Lebensgeist zusammen, sie prallen häufig aneinander.

„Ivan, sehr schön! Lynn muss dringend mit dir reden.“ Erklärt Franzi mit verschränkten Armen. Sie steht so plötzlich in meinem Türrahmen, dass ich mich verwirrt umschaue. Ihre feinen Gesichtszüge sind geprägt von einem gehetzten Blick, der deutlich macht es sei allerhöchste Eisenbahn. Wortlos schiebt sie die völlig verheulte Lynn in mein Zimmer und sieht sie auffordernd an.

25. Parkgespräche

Lynn wird zitternd in mein Zimmer gezogen, zurechtgewiesen von Franzi. Meine Schwester gibt ein Bild ab, welches mich tatsächlich besorgt. Ihre Schminke ist von den vielen Tränen quer über ihren Wangen verlaufen und ihre Augen sind leicht zugeschwollen.

„Ich…ich kann das nicht!“ Keucht sie schließlich und versucht sich ihren Weg aus meinem Zimmer zu bahnen, jedoch zieht Franzi sie direkt zurück. Hier muss irgendwas Ernsthaftes vorgefallen sein, anders kann ich mir das Verhalten der Mädchen nicht erklären.

„Jetzt mal in Ruhe…was ist hier los?!“ Perplex starrt Ivan seine Freundin an, anscheinend ist er auch nicht im Bilde.

„Nichts, lasst mich einfach in Ruhe!“ Brüllt sie plötzlich aufgebracht und starrt Ivan und mich wütend an. Wir sitzen noch immer auf meinem Bett, allerdings mit einem unerträglichen Abstand, unmöglich es falsch zu interpretieren. „Macht was ihr wollt! Mir egal!“ Fährt sie fort und scheint sich weiter in ihrer Wut zu steigern.

„Wie jetzt?!“ Hakt Ivan nach, sich ruckartig in eine stehende Position bringend. Franzi hält sich noch im Hintergrund und schüttelt genervt den Kopf. Kann mir irgendjemand erklären warum sich alle in meinem Zimmer versammeln, um zu streiten und ich scheinbar eine vollkommen überflüssige Rolle habe?

„Na, ich mach Schluss! Bleib doch wo der Pfeffer wächst.“ Heult sie und deutet schließlich auf mich.

„Aber lass die Flossen von meinem Bruder!“ Sie macht Schluss?! Ich glaube, dass ist einer dieser Momente, wo man sich fühlt als sei man im falschen Film. Diese Szene hat sich in eine komplett andere Richtung entwickelt, als ich jemals erwartet hätte.

„Ach ja? Wer schwang hier bitte große Reden über die Notwendigkeit des Zusammenbleibens, da wir ein Kind erwarten? Findest du das gerade wirklich fair?“ Ivans Blick hat mittlerweile an Strenge gewonnen, er kommt auf Lynn zu und sieht ihr scharf in die Augen.

„Es war eine Scheißidee mit dir zusammen zu bleiben, jedoch hätten wir das anders klären können, oder?!“ Ich habe ihn ehrlich gesagt noch nie so wütend erlebt, und auch Lynn scheint deutlich überrascht über seine harten Worte zu sein. Sie schnieft ein weiteres Mal auf und will fluchtartig den Raum verlassen, allerdings scheint das Gespräch für Franzi noch nicht zu Ende zu sein.

„Nein, schon gut. Wir unterhalten uns ein anderes Mal über das Kind.“ Presst Ivan hervor und lässt sich mit düsterem Blick wieder auf mein Bett fallen.

„Lynn…komm schon…“ Sanfter als zuvor zieht sie ihre beste Freundinn zurück, um weitere Worte zu verlieren.

„Das geht ihn gar nichts mehr an.“ Ihre Stimme gleicht einem animalischen Brüllen, jedoch fängt sie sich im nächsten Augenblick wieder. „Ich bin gar nicht schwanger, was wohl daran liegt dass du ein impotenter Mistkerl bist!“ Erklärt uns Lynn bevor sie eingeschnappt aus der Tür verschwindet, mit einer zufriedenen Franzi im Schlepptau.
Mir wird schwindelig, beinahe verliere ich den Halt, als eine riesige Welle an Erleichterung mich überkommt, die letzten Puzzleteile fügen sich zu einem klaren Bild. Ich erkenne den Sinn warum Lynn beispielsweise partout nicht wollte, dass unsere Eltern von ihrem zukünftigen Enkel erfahren.
Viel zu viele wirre Gedanken rasen durch meinen Kopf, die sich nicht alle einordnen wollen.
Vielleicht eröffnet uns die neue Situation doch eine kleine Chance? Immerhin wollte er ja mit ihr Schluss machen, schaffte es allerdings nicht wegen dem Baby, welches es nie gegeben hat.
Ivan hingegen starrt mit weitaufgerissenen Augen meine Zimmertür an, die soeben lautstark geschlossen wurde.

„Alles in Ordnung?“ Frage ich kleinlaut, könnte mich jedoch im selben Moment für diese dämliche Frage Ohrfreigen. Dementsprechend wundere ich mich auch nicht über das Ausbleiben einer Antwort.

„Ich ruf dich an.“ Mit diesen Worten verlässt Ivan mein Zimmer, kurze Zeit später bezeugt der Knall unserer Haustür, dass Ivan gegangen ist. Nur schwer kann ich mich davon abhalten ihm zu folgen, er sah so verletzt und wütend aus. Ich würde ihn am liebsten in dem Arm nehmen und versprechen dass alles gut wird. Doch irgendwas sagt mir er wäre gerade lieber allein. Schließlich muss er über einiges nachdenken und sein Leben wieder neu ordnen.
Ich hoffe jedoch er meint es ernst und wird mich wirklich anrufen, sind das nicht die Worte die einen eigentlich vertrösten sollen, da es sie nie in die Tat umgesetzt werden? Oder bediene ich mich jetzt wieder an Hollywood Klischees? Ein weiterer Punkt lässt mich jedoch an diesem durchsichtigen Satz unruhig werden, er hat mit keinem Wort erwähnt wann er mich anrufen wird. Es könnte gleich sein oder in einer Woche.
Erschöpft strecke ich alle Viere von mir. Mein Bett ist wirklich mein Lieblingsmöbelstück, so schön weich und warm, perfekt zum nachdenken. Und so geschieht es tatsächlich dass ich leicht wegdämmere, die Anspannung ist geblichen, auch wenn ich eine solche Hinterhältigkeit nicht von Lynn erwartet hätte. Ich steigere mich in wirre Halbträume hinein, bis ein lautes Dudeln sich in meine schwammige Traumwelt drängt. Eiskalt holt der Nerv tötende Ton  mich zurück in die Realität, die mich ausnahmsweise freudig begrüßt.

„Ivan hier…Ich will dich sehen, alleine werde ich noch verrückt.“ Empfängt mich die Stimme am anderen Ende der Leitung, lässt mein Herz aufgeregt hüpfen. So früh hätte ich noch nicht mit einem Anruf gerechnet, frühestens morgen!

„Klar, wo bist du?“

„Im Park, in der Nähe vom Supermarkt…“ Auch wenn es mehrere Supermärkte in dieser Stadt gibt, weiß ich dennoch genau welchen er meint. Schließlich hätte er sich genauer ausgedrückt, wenn er einen anderen Park gemeint hätte, der zufällig direkt hinterm Supermarkt in meiner Wohngegend liegt.
Ich verspreche ihm mich zu beeilen, lege auf und stolpere vor Aufregung beinahe im Treppenhaus. Die Tatsache, dass er ausgerechnet mich sehen will macht mich gerade unheimlich glücklich. Ein wohltuendes Gefühl nach alldem Kummer der letzten Tage, auch wenn ich mir nicht zu viele Hoffnungen machen sollte, immerhin sitzt ihm der Schock sicherlich noch tief in den Knochen, wie mir auch. Jedoch ist es ein Anfang.



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Vorsichtig lächelnd setze ich mich neben ihn, auf die kalte Parkbank.

„Danke dass du mich angerufen hast, ich habe mir Sorgen gemacht. Wie geht es dir?“

„Ich schwanke irgendwo zwischen Erleichterung und Enttäuschung.“ Er lacht, jedoch ist ihm seine Anspannung deutlich anzusehen.

„Wärst du denn gerne Vater geworden?“

„Darum geht es nicht. Sicherlich wäre es viel zu früh gewesen und vielleicht nicht unbedingt das Beste für das Kind. Es geht mir eher um Kathleen, sie hat mich eiskalt angelogen.“

„Stimmt…wie hat eigentlich deine Mutter auf die Neuigkeiten reagiert sie würde bald Oma werden?“ Ich glaube ein Themenwechsel wäre angenehmer für uns Beide. Weg von meiner Schwester.

„Ich glaube ich werde ihr Herz brechen, wenn sie erfährt dass ich gar nicht Vater werde.“ Ein schmales Grinsen schleicht sich über Ivans Lippen, als er meinen überraschten Gesichtsausdruck sieht.

„Zunächst war sie voller Sorge, doch dann konnte niemand ihre Euphorie mehr stoppen. Sie hat schon genau geplant welches Zimmer wir als Kinderzimmer benutzen können und welche Namen in Frage kommen würden.“

„Na toll, deine Mutter ist echt verrückt!“ Lache ich, so hätten meine Eltern sicherlich nicht reagiert. Eher wären sie vollkommen überfordert gewesen, da es nun dieses Mal unmöglich gewesen wäre die Schuld bei mir zu suchen. Ich kichere kurz, verziehe jedoch relativ schnell wieder das Gesicht.

„Ja ist sie! Vor allem ihr Geschmack was Vornamen angeht. Ich habe mir schon Sorgen um die schulische Zukunft meines Kindes gemacht. Ich habe meinem Vater nicht viel zu verdanken, außer dass er sich bei der Namensgebung durchgesetzt hat. Ansonsten würde ich nun Igor oder Bruno heißen.“ Erklärt er schief grinsend, was mich hysterisch aufkreischen lässt.

„Igor!!!“ Keuche ich und halte mir den Bauch vor Lachen, der Name ist okay, allerdings kann ich mir Ivan nicht wirklich als Igor vorstellen. „Bruno!!“ Ergänze ich mir weiterhin den Bauch haltend, auch dieser Name erscheint mir völlig unpassend für diesen Mann.

„Jaja, mach dich nur lustig.“ Kichert Igor…Entschuldigt, ich meine natürlich Ivan.

„Tut mir leid, Adrian ist ja auch nicht gerade der Hammer.“ Adrian ist eine Zumutung! Der Name wäre selbst für einen Neunzigjährigen zu altmodisch.

„Finde ich schon.“ Schlagartig werde ich rot und schaue ihn unsicher an. Er findet meinen Namen schön? Liegt sicher an den Genen.

„Du…was ist eigentlich jetzt mit uns?“ Frage ich vorsichtig, erzwinge mit meiner Frage eine längere Schweigepause, in der Ivan mich nur ansieht und mich damit total nervös macht.

„Gib mir Zeit, ich weiß gerade nicht wo mir der Kopf steht.“

„Tut mir Leid…Ich wollte dich nicht drängen.“ Ich habe es tatsächlich mal wieder geschafft ein Gespräch unangenehm enden zulassen und so sitzen wir noch eine ganze Weile nebeneinander, bis jeder seine Wege geht und ich mich verfluche für meinen Drang immer alles in Frage zu stellen, anstatt einfach mal den Moment zu genießen.

26. So ein Familienausflug, der ist lustig!

 Heute ist ein ganz fantastischer Tag. Die Sonne scheint, die Vöglein zwitschern und meine Eltern haben das Bedürfnis etwas nachzuholen, ein wenig auf Familie zu machen. Und so haben sie meine Schwester und mich schon in den frühen Morgenstunden aus dem Bett geschmissen und uns eröffnet sie hätten eine spannende Überraschung für uns, schließlich müssten wir die Ferien gemeinsam nutzen. Ein Tagesausflug, nur wir vier vereint. Ausgezeichnet. Ironie, dass wir so etwas eigentlich nie gemacht haben und plötzlich wo uns eine Familienkrise freudig zuwinkt, kommen sie auf solch grandiose Ideen. Vor nicht allzu langer Zeit hätten wir uns sicherlich einen Spaß daraus gemacht oder tapfer als Leidensgenossen durchgehalten, je nach dem was unsere Eltern geplant haben. Doch heute stinken mir solche Ideen gewaltig, vielleicht sollte ich ein wenig kränkeln?

„Beeil dich Adrian! Das wird super, versprochen!“ Jubelt meine Mutter, ich habe sie selten so guter Dinge erlebt und bin ehrlich gesagt verwundert, wo ihre distanzierte Art geblieben ist. Sie bewahrte stets Kühle zwischen uns, seit dem ich ihr eröffnete dass es keine Freundin in meinem Leben gibt und ihr Sohn sie belogen hat. Doch heute scheint sie wie ausgewechselt, gut gelaunt und voller Tatendrang. So langsam verstehe ich worum es hier geht. Meine Eltern sind keinesfalls blind, sie haben die Krise zwischen ihren Kindern bestimmt schon längst gewittert. Da die Familie momentan nicht unter einem guten Stern steht, wollen sie nun gute Miene zum bösen Spiel machen, um zu Retten was zu Retten ist.

„Sicher doch!“ Rufe ich genervt und trete ins Wohnzimmer. Meine Eltern haben sich gepackte Rucksäcke um die Schultern geschwungen, welchen ihren Inhalt nicht erahnen lassen. Während meine Schwester genervt neben ihnen steht und scheinbar versucht ihre rot lackierten Fingernägel zu hypnotisieren, vielleicht verspricht sie sich geschwungenere Formen oder einfach eine andere Farbe davon.

„Wir dachten uns: Lynn bräuchte sicherlich ein wenig Ablenkung, eine Trennung ist schließlich harter Tobak und Ivan war so ein netter junger Mann. Na wenn das mal keine gute Gelegenheit ist einen Familienausflug zu machen!“ Erklärt Mama und strahlt mir freundlich entgegen, auch wenn ich glaube Nervosität in ihren Augen zu erkennen, sie zucken angestrengt hin und her. Mein Vater trägt seine übliche undurchsichtige Maske, starr blickt er mir entgegen. Ich habe noch nie wirklich verstanden was er eigentlich mit solchen Blicken bezwecken will.

Wir machen uns zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof, während ich hoffe es würde kein langer Ausflug werden, doch dafür hätten Lynn und ich ja auch einen Koffer packen müssen.
Ich habe meinen MP3 Player ausgepackt und höre mir angestrengt My Chemical Romance an, da ich nur ungern riskieren möchte mit Lynn ins Gespräch zu kommen. Sie schaut nur ab und zu kritisch zu mir herüber, irgendwann werden wir uns unterhalten müssen, doch in Abwesenheit unserer
Eltern.



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Nach einer quälend unangenehmen Zugfahrt dürfen wir endlich den Zug verlassen. Meine Mutter hat mich während der gesamten Fahrt derartig missbilligend gemustert, dass ich schließlich meinen MP3 Player brav wieder in meine Jackentasche verstaute. Schließlich unterhält sich eine Familie auf solch einer spannenden Tour und so lausche ich mit halbem Ohr den Geschichten meiner Mutter aus ihrer Kindheit. Wie sie als blutjunges Ding mit ihren Freundinnen die Gegend unsicher machte und scheinbar die verrücktesten Dinge erlebte, die mir aus einigen ihrer Lieblingsfilme seltsam bekannt vorkommen.

„Papa, was wollen wir hier?!“ Fragt Lynn entsetzt und schaut sich um, zwei Menschen ein Gedanke, auch ich wundere mich ernsthaft über das Ziel unserer Zugreise. Wir stehen auf dem Gleis eines Bahnhofes, der nur über einen Ticketautomaten einen besprühten Fahrplan, zwei Gleisen und einem heruntergekommenen Toilettenhäuschen besteht. Ernste Bedenken breiten sich in meinem Kopf aus. Was wenn dieser Ausflug gar nicht zur Familienzusammenführung diene soll, sondern sie mich aussetzten wollen? Hier mitten im Nirgendwo?

„Wandern gehen!“ Erklärt mein Vater entgegen meiner Bedenken stolz und grinst seine Tochter versonnen an. Ich wäre lieber ausgesetzt worden, als wandern zu gehen! Bitte lass das ein blöder Witz sein. Jedoch ist keine Ironie in seinem Blick zu erkennen.
Und so begeben wir uns in einen nahe gelegenen Wald, dem schnellen Tempo unserer Eltern kaum folgen können. Ich dachte wir gehen Wandern? Von Joggen war nie die Rede.



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„Feuerholz? Wir können hier doch kein Lagerfeuer machen, wir werden den ganzen Wald in Brand setzten!“ Belehrt Lynn meinen Vater erschrocken. Ich habe mich gerade geschafft auf einen Baumstumpf gesetzt. Mich über eine langersehnte Pause freuend, nachdem wir stumm nebeneinander hergewatschelt sind, als mein Vater uns mit dieser Nachricht die erhoffte Rast raubt. Er möchte dass seine Kinder nach Holz suchen, um ein ordentliches Lagerfeuer zu veranstalten. Man könnte bei diesem atmosphärischen Licht prima Geschichten erzählen und sich über den Alltag auslassen, so meine Mutter. Doch sie hätte noch eine weitere Überraschung für uns. Stockbrot, wie sie uns leise zuflüstert. Langsam wird es mir wirklich zu bunt, wir sind schließlich keine acht Jahre mehr alt.

„Ach Unsinn, als ich in deinem Alter war haben wir uns so warmgehalten.“ Mit diesen Worten schickt er uns tatsächlich in den Wald, um dämliche Äste zu sammeln. Ich komme mir vor wie ein Idiot. Allmählich kann ich die Geschichten meines Vaters nicht mehr hören, sie klingen immer so als hätte er im Mittelalter gelebt. Damals als nur jeder fünfte den harten Winter überlebte und man in der Schule noch Leistungen bringen musste, wenn man nichts hinter die Ohren bekommen wollte. Er spricht immer, als ob man darum betteln müsste über seine außergewöhnlichen Kindertage ein Buch schreiben zu dürfen.

Genervt stolpern wir durch den Wald, in einer Sache sind wir uns einig: Unsere Eltern spinnen.

„Adrian, wir müssen Reden.“ Wir haben mittlerweile einen erträglichen Abstand zu unseren Eltern aufgebaut. Lynn bleibt abrupt stehen und lehnt sich gespielt lässig an einen Baum und beißt nervös auf ihrer Unterlippe herum. Zwei Gesten die im Widerspruch zueinander stehen.

„Willst du mich etwa wieder zum Schweigen bringen?“ Mein sarkastischer Unterton ist sicherlich kaum zu überhören.

„So ungefähr, ich habe unseren Eltern erzählt Ivan und ich hätten uns getrennt, weil wir uns zu oft gestritten haben und dabei sollte es auch bleiben.“ Erklärt Lynn, scheint aber tatsächlich ein schlechtes Gewissen zu haben, da sie mir meine Vermutung bestätigen konnte. Ehrlich gesagt überrascht sie mich, nach allem was passiert ist, erwartete ich abenteuerliche Geschichten über den bösen Ivan, welcher ihr nur weh tat.

„Ich hatte nicht vor über deine Lügengeschichten zu sprechen.“

„Danke.“ Lächelt sie. „Aber…da ist doch nichts zwischen euch, oder?“ Ihre Stimme ist beinahe flehend und versetzt mir umgehend einen tiefen Stich ins Herz. Ich fühle mich schuldig und ungerecht, jedoch das erste Mal nach langer Zeit am längeren Hebel.

„Keine Ahnung.“ Antworte ich daher wahrheitsgemäß, ich denke wir haben nun alle gelernt wohin Lügenmärchen führen können.

„Das darf nicht…“ Keucht sie ungläubig. Ich kann sie sogar verstehen, ich würde es andersrum auch nicht wollen. „Ich glaube es ist besser, wenn wir unseren Geburtstag getrennt feiern, nicht?“

„Ja, ich glaube schon.“ Den habe ich mittlerweile ganz vergesse, nächste Woche werden wir siebzehn! Ich empfinde es als durchaus beruhigend keine gemeinsame Feier zu schmeißen, wie gewöhnlich. Ansonsten gäbe es definitiv einen Streit über die Gästeliste, schließlich möchte ich mit Ivan feiern.

„Lass uns zurück…wir haben genug Holz gesammelt.“ Ich halte ein paar Äste hoch, wir wollen das Feuer schließlich so klein wie möglich halten, ich bezweifle dass unser Vater wirklich Ahnung von Lagerfeuern hat. Um ehrlich zu sein höre ich bereits die Sirene der Feuerwehr gespenstisch in meinem Kopf hallen, welche mich auf dem gesamten Rückweg begleitet.
Unser Mutter winkt uns bereits erfreut zu und macht schließlich auch ein paar weitere Fotos, wie wir mit den Ästen anmarschiert kommen. Ich befürchte dass es bald ein Familienalbum von diesem Tag geben wird, so viele hat sie bereits geschossen. Es kam mir stückweise so vor als müsse sie uns vor jedem einzelnen Baum fotografieren.
Wortlos reichen wir unserem Vater die Stöcke und lassen uns genervt auf den Boden fallen, ich will einfach nur noch nach Hause, am liebsten zu Ivan. Was er wohl gerade macht? Ich habe ihm bereits vor ein paar Stunden geschrieben, dass ich heute nicht zu erreichen bin. In einer langen SMS klagte ich ihm mein Leid über den albernden Wanderausflug, der von Minute zu Minute lächerlicher wurde. Die SMS brauchte drei Anläufe, bis sie endlich abgeschickt war, mittlerweile befinden wir uns in einem absoluten Funkloch. Die Antwort war ein ausgedehntes „hahahahaha :D :D :D“, schadenfroher Mistkerl.
Unser Vater betrachtet derweil konzentriert die Stöcker, bis er schließlich zufrieden nickt und sie in einen Steinkreis legt, den er während unserer Abwesenheit errichtet haben muss.
Während mich zunehmend die Frage beschäftigt, ob ich nicht einfach wegrennen sollte, bereitet meine Mutter das Stockbrot zu und Lynn schaut immer wieder zu mir herüber. Einmal grinst sie mich sogar belustigt an und deutet auf unseren Vater.
Immer wieder reibt er einen Ast auf einem Stück Rinde, jedoch ohne sichtbaren Erfolg. Zunehmend die Geduld verlierend, und sich den abschätzenden Blicken seiner Kinder bewusst.

„Die Rinde ist wohl noch zu Feucht, wegen dem Tau.“ Erklärt er fachmännisch und holt ein Feuerzeug hervor, um die aufeinander gelegten Äste zu entfachen, mir ist immer noch nicht ganz Wohl bei dem Gedanken, jedoch gibt der Kreis aus Steinen einen guten Schutz ab.
Und so essen wir trockenes Stockbrot, husten uns beinahe zu Tode durch den intensiven Rauch unseres Lagerfeuers, während es langsam anfängt zu Regnen.

27. Let's Talk I

 Geschafft trotte ich aus dem Badezimmer auf direktem Weg in mein Bett. Noch immer zittere ich am ganzen Körper, letztendlich mussten wir uns bei strömenden Regen wieder auf den Rückweg machen, die ganze Wanderstrecke zurück. Meine Füße wurden durch die Überschwemmung in meinen Schuhen bei jedem Schritt schwerer und gaben schmatzende Geräusche von sich. Ein wirklich gelungener Tag, und so darf man seine Ferien genießen. Ich finde das nicht richtig, so sollte man keine hart-arbeitenden Schüler quälen.

Als ich am nächsten Morgen mit dem Muskelkater meines Lebens aufwache, rieche ich bereits den Kaffee aus der Küche in mein Zimmer steigen. Irgendjemand hat meine Zimmertür sperrangelweit offen stehen gelassen und das Licht angeschaltet, wahrscheinlich hat meine Mutter aufgeben mich wach zu kriegen und mich meinen wirren Träumen überlassen. Ich setze mich gequält auf und versuche mich zu strecken, zucke jedoch immer wieder zurück. Ich bin total verspannt, wahrscheinlich habe ich falsch gelegen, als ich die bescheuertsten Sachen träumte. Ivan hat mich doch tatsächlich durch einen Wald verfolgt, mit einem Baby auf dem Arm. Ich rannte, obwohl ich nicht wusste warum man vor ihm wegrennen sollte, jedoch schrie das Baby so laut, dass ich Kopfschmerzen davon bekam und nur noch das Weite suchen wollte.
Der Küchentisch ist beinahe abgeräumt, nur noch mein Teller, ein bisschen Brot und Käse stehen auf dem Tisch. Meine Mutter lehnt lässig am Kühlschrank und trinkt ihren Kaffee, während mein Vater die Zeitung liest, mich keines Blickes würdigt. Die Abenteuerlust meiner Eltern ist verflogen und hat sie wieder im kalten Alltag ausgesetzt, wie ich erleichtert feststelle. Diese Distanz ist mir momentan lieber als Käfer in meiner Kapuze zu finden.
Ich genehmige mir eine Scheibe Käsebrot und ein Glas Saft, bevor ich mich schnell wieder in mein Zimmer verdrücke. So froh ich auch bin, heute nicht schon wieder in die Wildnis zu müssen, diese karge Stimmung ist kaum auszuhalten. Gleichzeitig fühle ich mich schuldig, zu Recht. Sie nagen sehr an meinem Lügengespinst. Mein Vater ist sicherlich zu tief enttäuscht, hätte doch gerne meine Freundin mal kennen gelernt.

Seit einer geschlagenen Stunde starre ich hilflos mein Handy an, wäge ab ob es eine gute Idee wäre Ivan anzurufen und hoffe zeitgleich dass er mir voraus kommt. Doch mein kleines Telefon bleibt stumm.
Warum sollte nur er sich melden dürfen, wenn er Ablenkung braucht. Genau in diesem Moment wünsche ich mir halt seine Nähe, auf andere Gedanken gebracht zu werde. Und so wähle ich mit klopfendem Herzen seine Nummer, schon nach dem dritten Klingeln nimmt er gut gelaunt den Hörer ab.

„Adrian, was gibt’s?“

„Ehm, hast du Zeit…?“

„Hmm…ja. Magst du vorbei kommen?“ Das lasse ich mir kein zweites Mal sagen, und so verabreden wir uns in zwei Stunden, schließlich muss ich mir zuvor noch genau überlegen was ich anziehen könnte. Ein alberndes Verhalten, darüber bin ich mir bewusst. Immerhin erwarte ich nicht besonders viel von diesem Treffen, nur ein wenig Ablenkung und ein paar nette Unterhaltungen. Schließlich ist alles noch ziemlich frisch, erst seit ein paar Tagen ist Ivan wieder Single. Dennoch möchte ich ihm gefallen, gut aussehen.
Ich entscheide mich schließlich für einen frisch gewaschenen Kapuzenpullover und meine Lieblingsjeans. Bereue es jedoch sobald ich auf der Straße stehe, vielleicht hätte ich mir doch ein Hemd anziehen sollen? Immerhin habe ich noch irgendwo eins, ich glaube meine Eltern haben es mir mal zu Weinachten geschenkt, statt dem langersehnten Computerspiel. Die Freude war dementsprechend groß und so habe ich es irgendwo im tiefsten Fach meines Schrankes verbarrikadiert.
Ich bin schon lange nicht mehr bei ihm Zuhause gewesen, seit unserem Kuss nicht mehr. Und so bahnt sich Nervosität in meinem Magen an, als ich an seiner Haustür klingele. Umso größer ist die Freude als er mir gegenübersteht und lächelnd auf mich hinab sieht.

„Na.“ Ivan bittet mich freundlich in sein Haus.

„Adrian, schön dich zu sehen!“ Ruft Velana aus der Küche und drückt Ivan schließlich ein Tablett in die Hand, welches sie zuvor mit Limonade und Süßigkeiten gedeckt hat. Sie ist wirklich eine schöne Frau mit ihren vollen dunklen Haaren und den bunten Kleidern, die sie immer trägt. Ich mag sie sehr, zumal ich es jedes Mal lustig mit anzusehen finde, wie sie ihren Sohn bemuttert. Immer wieder tätschelt sie ihn und fragt ihn ob er auch warm genug angezogen sei oder noch Hunger hätte. Ich verfolge das ganze grinsend, während Ivan mir deutlich macht, es sei die Zeit gekommen für eine Flucht auf sein Zimmer. Ihm scheinen solche  Momente unangenehm zu sein.

„Dann macht euch einen schönen Nachmittag, Kinder! Aber esst nicht zu viel Süßkram, sonst wird euch noch übel!“ Ruft Velana uns noch hinterher, während wir das Tablett die Treppe hoch balancieren.

„Entschuldige, meine Mutter meint es nur gut.“ Er stellt das Tablett auf seinem Nachttisch ab und setzt sich auf seinen Schlafplatz, sofort lasse ich mich neben ihn fallen und grinse ihn an.

„Ich finde es süß.“ Die Röte steigt mir zeitgleich ins Gesicht. „Also deine Mutter…wie sie dich immer bemuttert. Nicht…“

„Mich findest du nicht süß?“

„Nein!“ Kreische ich und sehe ihn erschrocken an, er hingegen scheint sich köstlich zu amüsieren.

„Schade. Wie war euer Wander-Ausflug?“ Beginnt er nun tatsächlich zu lachen. Wahrscheinlich stellt er sich gerade vor wie ich grimmig durch den Wald stapfte, mit einer vollkommen hysterischen Lynn im Schlepptau, die hinter jedem Stein eine Schlange vermutete. Idiot, ich habe wirklich gelitten.

„Es war fürchterlich! Ich bin froh, dass ich mir nicht den Tod geholt habe!“ Empöre ich mich daher und ziehe gespielt erkältet die Nase hoch.

„Ach stell dich nicht so an, es ist doch schön mit der Familie etwas zu unternehmen.“

„Ja, aber nicht mit denen.“ Ivan kann darüber lachen, ich nicht. Dieser Mann steckt voller Überraschungen, so langsam kann ich seinen Launen kaum noch folgen. Erst vor ein paar Tagen war er noch total niedergeschlagen und nun lacht er sich halbtot, während ich ihn nur stumm beobachte. Er hat wirklich ein schönes Lachen, so schön melodisch. Bei mir klingt es eher als hätte eine Robbe Schluckauf.

„Entschuldige…“ Keucht er, als er meinen Blick bemerkt.

„Schon gut.“ Murmele ich und kann dem Drang einfach nicht mehr widerstehen, meinen Kopf leicht an seiner Schulter zu lehnen. Er fühlt sich einfach zu gut an. Ich wünschte ich könnte dieses Gefühl einfach genießen, schließlich sträubt er sich nicht und legt sogar seinen Arm um meine Schulter, streicht kurz über sie und zieht sie wieder zurück. Doch ich kann es kaum, denn in meinem Kopf schwirren lauter Fragen umher.

“Ivan…wie geht es jetzt weiter?“ Frage ich schließlich schüchtern.

„Lass es uns langsam angehen, ja?" Murmelt er bittend.

„Natürlich.“ Mir kommt es nur zu Gute, immerhin sollte sich Lynn erst mal daran gewöhnen, bevor wir ein richtiges Paar abgeben. Ivan lächelt mich sachte an und streichelt durch meine Haare, ein weiteres Mal fühle ich dieses total kitschige Kribbeln im Bauch und möchte nur noch seine Berührungen genießen. Er gibt mir sogar einen kurzen Kuss auf den Mund, so kurz und überraschend, dass ich ihn erst im nächsten Moment registriere und übers ganze Gesicht zu strahlen beginne. Ein Gefühl, welches im nächsten Moment wieder überschattet wird, er hat auch meine Schwester geküsst. Ein Gedanke der mir gar nicht passt.

28. Let's Talk II

 Ich liege schon seit geraumer Zeit in seinem Arm und genieße die Stille, böse Gedanken wurden zunächst in den hintersten Teil meines Gehirnes verschoben. Unglaublich wie angenehm Schweigen sein kann, eigentlich empfand ich es immer als unpassend und bedrückend. Doch nun bin ich die Ruhe selbst, wenn nicht gleich etwas passiert schlafe ich sicherlich ein.

„Hm, ich bin mal gespannt wie meine Mutter reagieren wird.“ Lacht Ivan. Schockiert schaue ich ihn an.
Er will es ihr erzählen? Jetzt schon?
Er scheint meinen Blick richtig zu deuten, denn schon wieder beginnt er zu lachen.

„Keine Sorgen, sie ist es gewöhnt von mir geschockt zu werden. Die kann nichts mehr umhauen.“ Erklärt Ivan fröhlich mit einem resignierten Unterton. „Ich bin halt immer für eine Überraschung gut.“ Witzelt er, um die Stimmung wieder anzuheben. Ihm scheint es nicht entgangen zu sein, dass ich seine wahren Gefühle bemerkt habe.

„Irgendwie bist du voll das Muttersöhnchen.“ Stelle ich jedoch kichernd fest.

„Ich weiß.“ Grinst er unbehelligt.

„Ich mag es meinen Eltern aber nicht erzählen.“ Mit großen Hundeaugen starre ich ihn an, in der Hoffnung seine verständnisvolle Ader zu treffen. Ich bin ein Feigling und meine Eltern würden mich ganz sicher dafür hassen, ganz zu schweigen von Lynn.

„Schon in Ordnung, irgendwann vielleicht.“ Sein Lächeln ist warm und gibt mir Hoffnung, doch gleichzeitig machen mir seine Worte auch Angst. Sicherlich, wenn es zwischen uns ernst sein sollte, muss ich ihnen irgendwann davon erzählen. Wie gut das irgendwann noch so weit weg ist, als würde es gar nicht mehr in diesem Leben stattfinden. Irgendwann, nicht heute, nicht morgen und auch nicht nächste Woche.
Nach alldem Stress der letzten Wochen möchte ich einfach das jetzt genießen, auch wenn mir noch nicht ganz klar ist was das bedeutet. Sind wir jetzt zusammen oder fühlt es sich nur so an?

„Lass uns runter gehen, ich rieche heiße Schokolade.“ Kichert Ivan schließlich und holt mich aus meinen Gedanken. Tatsächlich hat Ivan den Geruch richtig erfasst, Velana hat gerade frischen Kakao aufgesetzt und strahlt uns entgegen. Drei Tassen stehen bereits auf dem Küchentisch.

„Freust du dich schon auf deinen Geburtstag?“ Interessiert liegt Velanas Blick auf mir, als sie unsere Tassen fühlt, während mir die Gesichtszüge entgleisen. Ich war die letzten Tage so bemüht den morgigen Tag zu verdrängen, dass es beinahe funktioniert hätte.

„Sicher.“ Murmele ich unsicher und schaue Ivan an, welcher ebenso überrascht scheint. Auch vor Velana bleibt sein verdutztes Gesicht nicht unbemerkt.

„Ivan Seligmann! Das darf doch wohl nicht wahr sein, du hast ein Gedächtnis wie ein Sieb! Adrian ist dein bester Freund und seine Zwillingsschwester war vor kurzem noch deine Freundin, da musst du dieses Datum im Schlaf wissen! Entschuldige dich sofort bei dem Jungen!“ Wettert sie und schüttelt ungläubig den Kopf, um ihrer Wut Nachdruck zu verleihen wirft sie mit einem Geschirrtuch nach ihm.

„Ja Mam.“ Flüstert Ivan mit geduckten Kopf und grunzt ein „Entschuldigung…“ in meine Richtung, während ich mich auf die Toilette entschuldige, da ich mein Lachen kaum noch zurück halten kann. Ja, er ist wirklich ein Muttersöhnchen und wird behandelt wie im Kindergarten.
Als ich mich wieder erholt habe und die helle Küche der Seligmanns betrete sitzen beide am Küchentisch, Velana scheint wieder guter Dinge und stellt ihrem Sohn einen weiteren Kakao vor die Nase.
Ich setze mich schweigend und trinke ein paar Schlucke der cremigen Schokolade.

„Was ist denn los? Du siehst so traurig aus, Junge.“ Dieser Frau entgeht auch nichts.

„Es ist wegen meiner Schwester, wir feiern eigentlich immer zusammen aber dieses Jahr haben wir uns gestritten.“ Erkläre ich kleinlaut.

„Du kannst gerne hier feiern.“ Lächelt Ivan mir entgegen, bringt mein Herz zum rasen. Über diese Option habe ich noch gar nicht nachgedacht. Strahlend grinse ich ihn an und nicke hastig mit dem Kopf, das würde so viel einfacher machen. Nur Lynn wäre sicherlich nicht begeistert, aber sie hat es schließlich herausgefordert.

„Natürlich kann der Junge das! Ich backe dir auch einen schönen Kuchen!“ Erklingt Velanas Stimme beinahe entrüstet.

„Mama…nenne ihn nicht immer „den Jungen“. Ich mag das gar nicht.“ Wenn sie von dem Gefühlschaos zwischen ihrem Sohn und dem Jungen wüsste…wäre sie dann auch so freundlich? Oder macht sie sich nichts aus Etikette?

„Entschuldige, was für einen Kuchen möchtest du denn? Nusskuchen oder lieber was fruchtiges? Vanille? Schokolade? Bunt gemischt?“ Überfordert durch die vielen Optionen schaue ich zu Ivan herüber, welcher mich nicht zu beachten scheint und stattdessen gierig seinen Kakao trinkt. Wieder etwas dazu gelernt, mit Kakao kann man ihn also glücklich machen. Sicherlich gut zu wissen.

„Ehm…Schokolade wäre super.“

„Fein!“ Strahlt sie. Als würde ich ihr einen Gefallen tun, indem sie mir einen Kuchen backen darf.



-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-.-



Nachdem Ivan seine vierte Tasse gelehrt hat, sitzen wir nun nebeneinander auf seinem Bett und schauen zu Boden.
Mir geht diese Geschichte mit Lynn einfach nicht aus dem Kopf, die Beiden schienen zu Beginn glücklich miteinander zu sein. So wie ich es gerne mit ihm wäre, doch zwischen uns gibt es noch zu viele Baustellen.

„Was ist denn los?“ Nach zähen Minuten fragt er schließlich nach und ergreift behutsam meine Hand, entspannt die Atmosphäre ein wenig.

„Ich…hast du meine Schwester sehr geliebt?“ Die Mission meine Stimme nicht verzweifelt klingen zu lassen ist gründlich nach hinten los gegangen.

„Nein.“

„Und warum warst du dann mit ihr zusammen?“ Hake ich beinahe empört nach.

„Sie hat eine sehr einnehmende Persönlichkeit.“ Witzelt Ivan und will mich in den Arm nehmen, doch ich schlage seinen Arm weg. Dieses Gespräch ist mir wichtig.

„Ernsthaft jetzt.“

„Kannst du dir das nicht denken? Sie schaut gut aus und von den Jungs aus meiner Stufe wusste ich, dass ihre Beziehungen nie lange halten würden, nichts Ernstes also. Dachte ich.“

„Du bist irgendwie ein Arsch.“ Statt einer Antwort bekomme ich nur ein Grinsen und schließlich liegt wieder sein Arm auf meiner Schulter, er bewegt sich nicht. Er liegt einfach nur da.

„Aber sie hat dich geliebt.“

„Das habe ich dann auch bemerkt.“

„Aber wenn man mit jemandem zusammen ist muss man doch damit rechnen! Dass man verliebt ist…“ Auf einmal überkommen mich Zweifel wie ernst ich Ivan eigentlich nehmen darf. Möglicherweise bin ich ja nur ein Experiment? Mein Magen zieht sich schmerzlich zusammen, eine harte Erkenntnis, die man dennoch in Betracht ziehen muss.

„Mag sein.“

„Also muss ich befürchten dass du mich gar nicht liebst, wenn wir zusammen sind?“ Meine Stimme ist gespeist von Wut und Unsicherheit.

„Sind wir das?“ Lacht Ivan plötzlich, eignet sich allerdings einen ernsteren Gesichtsausdruck an, als er meinen funkelten Blick sieht. Am liebsten würde ich ihn manchmal erdolchen, er scheint alles immer auf die leichte Schulter zu nehmen und ist nicht wirklich berechenbar in seinen Handlungen. „Hör zu, wenn ich keine ernsten Gefühle für dich hätte, könnte ich mich wahrscheinlich nicht dazu durchringen etwas mit einem Kerl anzufangen. Ich dachte immer ich sei sowas von hetero.“ Jammert er theatralisch und schmeißt sich mir in die Arme.
Er klammert sich an meinen Oberkörper und schluchzt gespielt auf, dann blickt er grinsend zu mir nach oben. Irgendetwas in seinen grau-blauen Augen hat sich verändert, sie funkeln mir förmlich entgegen und lassen ein seltsames Gefühl durch meinen Körper fahren. Es beginnt überall zu kribbeln. Meine puterrote Gesichtsfarbe entgeht ihm nicht, es scheint ihn unheimlich zu freuen. Verstehe einer diese Stimmungsschwankungen, innerlich habe ich es bereits aufgegeben Ivans seltsames sprunghaftes Verhalten zu verstehen, sondern es einfach hinzunehmen.
Sein Geruch steigt mir in die Nase, herb und dennoch mit einer leicht süßlichen Note. Ich sauge ihn ein und beschließe ihn später nach seinem Aftershave zu fragen.
Schließlich ergreift er mein Gesicht und legt sachte seine Lippen auf die Meinigen. Für einen Moment liegen sie einfach nur aufeinander und ich muss anfangen zu Grinsen, doch dann bewegt er sie. Das Kribbeln, welches sich in meinem Magen breit macht ist kaum auszuhalten und so rutsche ich hibbelig hin und her, während er seinen Mund öffnet und versucht seine Zunge zwischen meine Lippen zu schieben. Ich genehmige es und so versinken wir in einen unheimlich leidenschaftlichen Kuss, bei dem mir scheinbar heiße und kalte Schauer gleichzeitig über den Rücken laufen. Ja, ich liebe ihn.
Ich registriere kaum dass er mich mit einem leichten Schubs in eine liegende Position bringt, nur dass sich plötzlich sein gesamtes Gewicht auf mich verlagert hat. Er löst sich keuchend von dem Kuss, grinsend schaut er mir in die Augen. Sein von Schalk erfüllter Blick wird immer weicher und liebevoller, fegt meinen gesamten Kopf leer. Ich sehe nur ihn, alles andere um mich herum verschwimmt, seine Hand legt sich auf meine Wange und ich fühle nur ihn. Will nur ihn, ich habe mich noch nie so gleichgültig allem anderen gegenüber gefühlt.
Langsam schiebt er mein T-Shirt nach oben und blickt auf meinen entblößten Bauch, fährt mit seinem Finger zwei Mal meinen Bauch entlang.

„Fühlst dich gut an.“ Grinst Ivan mir entgegen.

„Ehm…Danke.“ Meine Gesichtsfarbe ist sicherlich um einige Nuancen roter geworden und so langsam frage ich mich ob ein Kopf vor Schamgefühlen explodieren kann, soviel Blut wie sich in meinem Kopf gesammelt haben muss.

„Keine Sorge, wir gehen es langsam an. Aber anfassen darf ich doch?“

„Klar…wenn ich auch darf.“ Als Antwort zieht sich Ivan seinen Pullover über den Kopf und wirft ihn achtlos neben sein Bett. Er ist kein Muskelprotz, dennoch zeichnen sich deutlich seine Bauchmuskeln ab, sachte streiche ich über sie und stelle fest dass mein Blut endlich meinen Kopf verlässt und scheinbar Richtung Süden wandert. Beschämt lege ich meine Hand wieder auf die Bettdecke und bete innerlich das Blut würde sich wieder auf den Rückweg machen, jedoch scheint es sich ganz wohl dort unten zu fühlen. Mist.
Ivan scheint es jedoch nicht zu bemerken, oder zu ignorieren. Unbeirrt küsst er mich ein weiteres Mal und lässt seine Hand wieder unter meinem Shirt verschwinden. Streicht mir über den Bauch, den Rücken, meine Seiten. Ich liebe dieses Gefühl, seine Hände auf mir zu fühlen und so ziehe ich ihn noch ein Stück weiter zu mir.
Den ganzen Abend verbringen wir in seinem Bett, küssen uns, kuscheln oder unterhalten uns einfach nur, bis wir schließlich beide eingeschlafen sind.

29. Ein verhängnisvolles Geburtstagsgeschenk

 „Aufwachen! Du kannst doch nicht deinen Geburtstag verschlafen!“ Verwirrt öffne ich die Augen, kuschele mich tiefer in die Decke und starre schließlich in grau-blaue Augen.

„Nur noch fünf Minuten.“ Murmele ich und will mir die Decke weiter übers Gesicht ziehen.

„Nichts da! Es ist bereits nachmittags, der Kuchen steht schon auf dem Tisch.“ Erst jetzt begreife ich wo ich überhaupt bin. Bei Ivan!
Mit einem Mal bin ich gut gelaunt und rappele mich Energie geladen auf. Kaum stehe ich gibt mir Ivan auch schon einen Kuss und haucht mir Geburtstagsglückwünsche entgegen. Schöner hätte ich mir meinen Geburtstag nicht vorstellen können, im Prinzip könnte ich mich wieder schlafen legen und trotzdem behaupten können dass ich nie einen besseren Geburtstag gefeiert zu habe. Ganz schön kitschig, ich weiß.
Doch Velana möchte ich nicht enttäusche, die sicherlich seit geraumer Zeit mit ihrem Kuchen in der Küche sitzt und auf mich wartet. Ich beschließe später duschen zu gehen und frage mich was ich nun anziehen soll. In meinen Klamotten von gestern bin ich eingeschlafen und frische Kleidung habe ich nicht mitgenommen.

„Hast du vielleicht etwas zum anziehen?“ Frage ich und deute auf meine Kleidung, die sicherlich leicht verschlafen riecht.

„Klar.“ Ivan verschwindet hinter der Tür seines Kleiderschrankes und taucht kurze Zeit später wieder mit einem dunkelblauen T-Shirt und einer Jeans, die ihm angeblich zu klein wäre, auf.
Ich wechsele unter Ivans genauer Beobachtung meine Kleidung und stelle fest dass die Jeans mir trotzdem viel zu groß ist und so lege ich lieber einen Gürtel an. Jedoch fühle ich mich in Ivans T-Shirt pudel wohl, bilde mir sogar ein es würde nach ihm riechen, obwohl es frisch gewaschen ist.

„Warte mal.“ Ivan greift nach meiner Hand und zieht mich zurück. „Ich habe ihr von uns erzählt, das ist doch in Ordnung oder?“ Ehrlich gesagt ist es kein Wunder dass Ivan seine Mutter ständig in ein Gefühlschaos versetzt, wenn er ihr alles immer sofort zu den dämlichsten Zeitpunkten erzählen muss. Mir hätte es auch gereicht, wenn sie ein anderes Mal davon erfahren hätte. Vielleicht wenn wir nicht fünf Minuten später gemeinsam am Tisch sitzen und meinen Geburtstag feiern.

"Passt." Murmele ich daher, und versuche mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

„Na, ihr zwei.“ Kommt es vorsichtig von Velana, die scheinbar Ivans T-Shirt an mir wieder erkennt. Ihre langen schwarzen Haare wurden zu einem Zopf gebunden und hängen nun leicht gewellt über ihre linke Schulter. „Herzlichen Glückwunsch zum siebzehnten mein Junge!“ Sie kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Aus dem Jungen wurde mein Junge, sie scheint es also ganz gut verkraftet zu haben. Velana als Mutter zu haben muss wirklich ein Segen sein. „Ein bisschen wachsen wirst du sicher auch noch!“ Lacht sie schließlich und lässt mich wieder frei. Danke für die Anspielung, ich wäre gerne größer, aber irgendwie scheint mein Körper andere Pläne mit mir zu haben.
Auf dem Küchentisch thront bereits ein lecker aussehender Schokoladenkuchen mit Schokoguss und vielen brennenden Kerzen. Gerührt lächele ich die Bäckerin an und würde sie am liebsten ein zweites Mal umarmen.

„Genau siebzehn!“ Grinst Velana mich an und wirkt ziemlich stolz, als sie mein erfreutes Strahlen registriert.
Ich lasse mich neben Ivan auf einen Stuhl sinken und bedanke mich herzlichst bei Velana, sie ist so eine nette Frau.

„Ich hab übrigens ein Geschenk für dich.“ Ivan zaubert aus seiner Hosentasche einen verpackten Umschlag herbei und lächelt mich an. Verwundert nehme ich das Geschenk entgegen und packe den kleinen Umschlag aus. Er wurde mit geblümten Geschenkpapier und vielen Schleifen versehen, eindeutig Velanas Werk. Kaum fallen die Verzierungen vom eigentlichen Geschenk ab, kann ich es bereits erkennen. Ein Kinogutschein, für zwei Personen. Ein leichtes Lächeln deutet sich in meinem Gesicht an, eine wirklich schöne Idee.
Schüchtern, unter den Blicken seiner Mutter, nehme ich ihn in den Arm, jedoch wird mir schlagartig eiskalt.
Ich erinnere mich an das gestrige Gespräch beim Kakao-Marathon, er hat meinen Geburtstag komplett vergessen, anschließend haben wir den restlichen Tag in seinem Zimmer verbracht. Er ist nicht mehr weggewesen. Ich löse mich schlagartig aus der Umarmung und starre auf den Gutschein.
Dieser sollte ursprünglich für Lynn sein, das spüre ich.
Unsicher wandert mein Blick wieder zu ihm, welcher mir irritiert entgegen kommt. Kann er tatsächlich so gewissenlos und unsensibel sein?

Nein, unmöglich oder doch?

Auch Velana scheint den Gutschein als Lynns Geschenk zu identifizieren und starrt ihren Sohn verwundert an, ihr Blick wird immer giftiger und ich fühle mich bestätigt. Er kann es.

„Ich war gestern noch mal los und habe es in Ivans Namen besorgt.“ Versucht sie eilig die Situation zu retten. Natürlich glaube ich ihr nicht, ebenso wie ich hätte wissen müssen dass Lynn mich in dieser Beziehung noch lange verfolgen wird. Sie hat ihn nun mal zuerst gesehen.
Ich lege den Gutschein auf den Tisch, mit der festen Überzeugung ihn niemals einlösen zu werden und lächele ihn unsicher an. Darüber reden wir noch, Freundchen.
Velana schüttelt nur ein weiteres Mal über ihren Sohn den Kopf, während er sich intuitiv duckt, ein weiteres fliegendes Geschirrtuch erwartend. Jedoch herrscht nun Schweigen, während ich mir nicht sicher bin ob Ivan verstanden hat wo das Problem liegt.

„Los, die Kerzen!“ Ruft Velana gespielt gut gelaunt, ich folge ihrem Wunsch und meine Laune bessert sich um einiges. Einen solchen Geburtstagskuchen hatte ich noch nie, zumindest nicht mit so vielen Kerzen, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist dass man nicht jünger wird.

„Hast du dir was gewünscht?“ Fragt Velana aufgeregt.

„Nein!“ Rufe ich erschrocken aus, das habe ich ganz vergessen.

„Dann mach es doch jetzt.“ Wirft Ivan bestens gelaunt ein, bekommt jedoch nur böse Blicke von Velana und mir zu geworfen und igelt sich verwirrt in seinem Stuhl ein.
Nun gut, ich wünsche mir eines Tages bei meinem Freund durchzublicken. Für einen kurzen Moment wird mir warm, als ich einen Teil meines Wunsches wiederhole, wir sind jetzt tatsächlich zusammen. Zumindest gehe ich davon aus.

Plötzlich blinkt mein Handy auf. Der Name Lynn steht auf meinem Display und lässt mich nervös aufschnappen, ein Anruf von ihr heißt sicherlich nichts Gutes. Ich habe meinen Eltern gestern geschrieben ich würde wahrscheinlich erst abends nach Hause kommen, da ich bei einem Kumpel bleibe. Ich habe extra das Wort Kumpel gewählt, damit es so unverfänglich wie möglich klingt. Schließlich sollen sie den Braten nicht riechen, jedoch bezweifele ich, dass Lynn nicht weiter denken kann.
Ich entschuldige mich bei meinen Gastgebern und verlasse die Küche.

Mit zittrigen Fingern nehme ich das Gespräch an und halte mein kühles Telefon an mein Ohr, welches ich zuvor noch eingesteckt habe. Man geht schließlich nicht ohne sein Handy auf eine Geburtstagsfeier.

„Hey…Ich wollte dir alles Gute zum Geburtstag wünschen.“ Haucht sie unsicher ins Telefon. Schlagartig wird mir bewusst, dass ich nicht auf die Idee gekommen wäre ihr zu gratulieren. Ein weiteres Mal fühle ich mich schlecht, dennoch wird mir warm ums Herz.

„Danke! Dir auch.“ Ich versuche mein Lächeln auch in meine Stimmlage mit einfließen zu lassen.

„Danke. Du bist bei Ivan oder?“ Vorsichtig, beinahe ängstlich kommen diese Worte von ihr, schweren Herzens bejahe ich die Frage, während sie laut aufseufzt.

„Egal, er interessiert mich nicht mehr. Ich suche mir was Neues, jemand der mich so nimmt wie ich bin.“

„Du wirst bestimmt Jemanden finden, die Jungs an der Schule freuen sich sicher. Die sind doch alle hinter dir her.“ Erkläre ich ihr aufbauend. Kurz vernehme ich ein leichtes lächeln, jedoch bleibt sie ernst.

„Er hat mir übrigens einen Kinogutschein geschenkt, welcher für dich bestimmt war.“ Beschwere ich mich empört bei ihr, in der Hoffnung die Stimmung ein wenig zu retten. Sie verschlingt immer geradezu alles worüber man lästern könnte.

„Pfft behalte ihn.“  Murrt sie angesäuert, jedoch kann ich einen kleinen Funken von Belustigung in ihrer Stimme erkennen. Trotzdem eröffnet sie mir nicht wen sie meint. Ivan oder den Kinogutschein. „Kommst du heute Abend nach Hause?“

„Ja…“

„Okay. Bis dann.“ Ohne weitere Worte hat sie aufgelegt. Dennoch freue ich mich über diesen Anruf, sie hat sich überwunden um einen Schritt auf mich zuzukommen.  
Vielleicht sollte ich den Gutschein doch einlösen, um mit ihr ins Kino zu gehen? Ein Ivan-freier Abend sozusagen, vielleicht auch besser nicht.

30. Dunkle Wolken

 Mit klopfendem Herzen begebe ich mich zurück in die Küche, nachdem mein kurzes Telefon mit Lynn beendet ist. Die Feierlaune ist mir eindeutig vergangen.

„Lass nur, ich regele das.“ Sanft bedeuten Velanas blaue Augen ihr das Feld zu überlassen. Kaum wendet sie ihren weichen Blick von mir ab, trifft er streng auf ihren Sohn. Ein ungewöhnliches Bild entsteht direkt vor meinen Augen: Ivan zieht unsicher seine Schultern an, als ob seine Instinkte ihm sagen er müsse seinen Leib schützen, während seine Augen verwirrt umher zucken.

Er hat es immer noch nicht geschnallt.

Bemüht mein schadenfrohes Gesicht zu verstecken, welches mir in den Mundwinkeln sitzt, rausche ich davon. Den Kinogutschein lasse ich getrost liegen, er soll schließlich keine falschen Schlüsse aus meinem Verhalten ziehen.
Mit sachten Schritten erklimme ich die Holzstufen, Ivans Zimmer ansteuernd. Aus der Küche vernehme ich mahnende Worte Velanas, welche ich aus der Distanz leider nicht identifizieren kann, dennoch sorge ich mich nicht um ihre Wirksamkeit. Velana scheint eine sowohl gutmütige und liebenswürdige, als auch strenge Mutter zu sein, die ihren Sohn bestens im Griff hat. Letztendlich berichtete er mir bei unserer ersten Unterhalten wie sehr ihm seine Mutter geholfen hat, sogar vor dem Absturz rettete.
Nachdenklich lasse ich mich auf sein Bett fallen, welches zugleich tagsüber als Sofa fungiert. Meine Gedanken finden beinahe täglich zu dieser Unterhaltung zurück, ich sehe sie als unser Kennenlernen an. An den Ivan auf dem Volleyballfeld, dem ich am liebsten seine strahlend weißen Zähne zerschmettert hätte, erinnere ich mich nur ungern. Mr. Mystic, kaum zu fassen dass ich mich in solch einen Idioten verliebt habe.
Ein hämisches Grinsen befällt mich, Velanas mahnende Stimme dringt durch die Decke in sein Zimmer und hinterlässt einen kleinen Schall, während Ivan stumm bleibt.  
Ich wälze mich gedankenverloren auf Ivans Bett, genieße die Show welche meinen Ohren geboten wird, steigere mich weiter in meiner Wut auf Ivans ignorantes Geschenk, als die wohltuende Darbietung beendet wird und es plötzlich ganz still im Haus wird. Schon einen kurzen Moment später kann ich ein leises Geräusch vernehmen. Ivan steht im Türrahmen und blickt mich entschuldigend, gar bittend an.
Der Herr scheint seinen Fehler eingesehen zu haben?
Ich glaube nicht daran, scheinbar kann er sich nicht in meine Gefühlslage hineinversetzten.

„Es tut mir leid, darf ich dich zum Eis essen einladen?“ Verärgert schnaufe ich, das System erkennend, welches hinter seinem Verhalten steckt. Sobald er mit seinen Charmen nicht weiter kommt und es eindeutig verbockt hat, meine Gefühle kränkt, lädt er mich halt ein. Zum Pizza essen oder in diesem Fall zum Eis essen. Dennoch schenke ich ihm ein Lächeln, ohne dass ich es in Auftrag gegeben habe. Es breitet sich schonungslos in meinem Gesicht aus und lässt ihn erleichtert ausatmen. Während ich versuche wütend zu sein, treibt mich mein Körper beinahe fremdkontrolliert in seine Arme, als er sich neben mich setzt und mir eine Strähne aus dem Gesicht streicht. Anscheinend will mein Körper nicht böse auf ihn sein, sicherlich ein Problem an dem ich zukünftig arbeiten muss, schließlich wird er nicht sensibler wenn ich immer wieder auf seine Maschen eingehe.

"Sei bitte nicht mehr böse, der Wille zählt doch." Haucht Ivan an mein Ohr, ich versteife mich und starre ihn ungläubig an. Wiederhole seine Worte im Kopf, sagte er gerade der Wille würde allein zählen?!

"Der Wille?!"

"Naja, dass ich dir etwas schenken wollte." Erklärt er mir seelenruhig. Ich löse mich hastig aus seiner Umarmung und schnaufe genervt aus.
Das darf doch echt nicht wahr sein, er versteht wirklich gar nichts.
In meinem Magen bahnt sich die Wut zu einem dicken Knoten an, seit Wochen renne ich durch dieses Gefühlschaos, ich will doch einfach nur glücklich sein. Er trägt meine gesamte Gefühlswelt in seinen Händen, so als wären meine Hormone Marionetten und er zieht die Fäden. Doch darüber scheint er sich nicht bewusst zu sein.

"Welchen Willen genau meinst du? Mir vorzuhalten wie ersetzbar ich bin?" Blaffe ich ihn schließlich an und stehe von seiner Decke auf. Weiche seiner Nähe aus.

"Bitte?!"

"Du vergisst meinen Geburtstag und dann schenkst du mir diesen blöden Gutschein, der eigentlich für meine Schwester war?! Spinnst du?! Da hättest du mir lieber nichts schenken können, ich glaube dann wäre ich nicht mal böse gewesen!" Wütend presse ich meine Hände zu Fäusten zusammen, jedoch überkommt mich auch eine kleine Welle Stolz. Ich habe ihm gerade wirklich meine Meinung gesagt!
Ivan starrt mich nachdenklich an, schließlich begibt er sich ebenfalls auf seine Füße und atmet laut aus. Beinahe so als hätte ihn gerade eine Erkenntnis getroffen, sehr schön!

"Ich glaube so langsam erkenne ich die Verwandtschaft zwischen dir und Lynn." Mit runzelnder Stirn schütteln mein Freund den Kopf, seine Worte treffen mich direkt ins Herz. Einer Schnappatmung gleichzusetzend atme ich ein und aus. Doch seine Worte wollen ihre verletzende Wirkung nicht verlieren.

"Wie bitte...?" Meine Stimme gleicht einem gepressten Zischen. Ohne weiter darüber nachzudenken mache ich auf dem Absatz kehrt und stürme aus seinem Zimmer. Ein heißes Brennen hinter meinen Augen kündigt erste Tränen an. Ich rase die steile Treppe hinunter, kann mich nur beinahe vor dem Fall retten und bleibe schließlich vollkommen ungläubig im Flur stehen. Beinahe mein ganzes Leben eifere ich meiner Schwester nach, beneide und verehre sie. Versuche nur einmal so sein zu können wie sie. Die meisten bezweifeln oft eine Verwandtschaft zwischen uns, wenn man unsere äußerlichen Merkmale übersieht. Nach diesen Worten ich sei ihr Ähnlich, vielleicht sogar wie sie, habe ich mich immer gesehnt und nun kommen sie aus Ivans Mund. Allerdings bezogen auf ihre mögliche einzige Schwachstelle, ist das Ironie? Wenn ja bitterböse!

"Adrian...was ist denn schon wieder los?!" Wie durch einen dichten Vorhang vernehme ich dumpf seine Worte, er scheint mir gefolgt zu sein. Ich schüttele den Kopf und begebe mich stocksteif zur Tür.

"Denke lieber mal über deine Worte nach und darüber wie du zu mir stehst!" Diesen kleinen Hinweis hinterlasse ich ihm, letztendlich wurde mir nur allzu bewusst, dass er emotional nicht gerade der hellste Kopf sein kann. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen verlasse ich sein Haus, an einer verwirrten Velana vorbeistürmend. Am liebsten hätte ich den Ärger über ihn aus meinem Kopf verbannt, wieder in seine Arme gerannt, jedoch dominieren Seine Worte meine Gedankenwelt. Ziehen sich wie ein unheimliches Mantra durch meinen Kopf und treffen dort wo es am meisten weh tut.
Ohne großartig über mein Ziel nachzudenken laufe ich den gesamten Weg nach Hause, mein Blick ist starr auf den Boden gerichtet und mir fällt erst nach einiger Zeit auf dass ich beinahe renne.

Vielleicht renne ich ja sogar weg?

Vor Ivans selbstherrlichem Verhalten, geradeaus auf die nächste Baustelle zu.

Kurz vor unserem Wohnblock bleibe ich erschöpft stehen und starre auf meine Finger, die sich in die Ärmel von Ivans Pullover krallen. Erst hier wird mir bewusst, dass ich wirklich nicht mit Ivans Klamotten nach Hause kommen sollte. Lynn wird sie sicherlich erkennen und ich möchte nicht wissen was meine Eltern daraufhin schlussfolgern werden.

Scheiße.

Ein wenig panisch drehe ich mich im Kreis, der Gedanke meine Kleidung zu holen stimmt mich erneut wütend, alleine der Gedanke an Ivan macht mich rasend.
Langsam keimt ein ekelhafter Gedanke in mir auf, sein Verhalten lässt mich beinahe darauf schließen er könnte mich gar nicht mögen und wolle mich nur verletzen. Dennoch versuche ich den Gedanken wieder zu verjagen, jedoch ist der hartnäckig wie eine Fliege. Es ist mir völlig suspekt welchen Nutzen Ivan daraus ziehen würde auf meinen Gefühlen herum zu trampeln. Jedoch gibt er mir auch nicht das Gefühl ehrlich von ihm gemocht zu werden.
Das Zittern meines Oberkörpers weist mich ungeduldig auf die kühlen Temperaturen hin, in unserer Wohnung wäre ich vielleicht besser aufgehoben als hier draußen. Aber auch nur vielleicht.
Mürrisch setze ich einen Fuß vor den anderen, werde nervöser, je größer unser Wohnblock aufgrund der schwindenden Entfernung wird.
Vorsichtig und leise schleiche ich durch unsere Wohnungstür. Ivans Kleidung stimmt mich nervös, doch ein kurzes Lauschen eröffnet mir eine scheinbar leerstehende Wohnung.
Freie Bahn zu meinem Kleiderschrank.
Sofort steuere ich mein Zimmer an, jedoch hält mich die laute Stimme meiner Mutter auf.

"Herzlichen Glückwunsch!" Ruft sie, den Kopf auf der Küche gesteckt. Mit rasendem Herzen drehe ich mich zu ihr um, sie hätte mich beinahe zu Tode erschrocken. Prüfend scannt sie mit ihren Augen meine Gestalt, ihr freundliches Gesicht verfällt in einen kritischen Ausdruck, bei dem sie die Stirn in die Falten legt. Beinahe hypnotisierend starrt sie "meinen" Pullover an, scheinbar auf eine Erklärung wartend.
Ich räuspere mich verlegen, vielleicht hätte ich mir eine Ausrede einfallen lassen sollen. Dieser Gedanke ist mir erst jetzt in den Sinn gekommen, Ivan hat mich wirklich aus dem Konzept gebracht.
Mit Nachdruck räuspere ich mich auch ein weiteres Mal, während die rechte Augenbraue meiner Mutter in die Höhe schnellt. Erst nach einem dritten Räuspern, ein kläglicher Versuch die Stille zu überbrücken, setze ich zu einer Erklärung an. Zumindest versuche ich mir etwas zusammen zu reimen.

"Ähm." Das war doch schon mal ein Anfang, jedenfalls ein erfolgversprechenderer als meine Räusper Anfälle. "Ja..." Ich räuspere mich ein viertel Mal, traue mich kaum meiner Mutter in die Augen zu schauen, die mittlerweile die Arme vor der Brust verschränkt hat. "Also...Kakao!" Wenn man einen Strohhalm findet, der haltversprechend ist, sollte man ihn ergreifen.

"Kakao?"

"Ja...! Ich...habe mir welchen übergeschüttet." Erkläre ich und betone dabei jedes einzelne Wort, als dürfe sie keine Silbe überhören.

"Soso. Sind das Ivans Klamotten?"

"Ähm..." Sollte ich mir nun einen Kumpel ausdenken, sowie ich Luisa erfunden habe? Ich schüttele kaum wahrnehmbar den Kopf und zwinge mich zu ein paar wahren Worten. "Schon...Aber wir sind nur Freunde!" Die letzten Worte kommen dennoch quietschend über meine Lippen.

"Natürlich Adrian." Kopfschüttelnd verschwindet sie wieder in der Küche, der Gedanke zwischen mir und Ivan könnte mehr als Freundschaft bestehen scheint für sie tatsächlich unerreichbar zu sein, trotz der Geschehnisse.
Die Kakao Geschichte hingegen ließ sie skeptisch wirken, vielleicht hätte ich besser bei der Wahrheit bleiben sollen. Schließlich ist es nichts Besonderes von seinem Kumpel Klamotten ausgeliehen zu kriegen, nachdem man in seinen eigenen geschlafen hat. Oder?
Ich will mich gerade in mein Zimmer aufmachen, da erscheint meine Mutter wieder im Wohnzimmer mit einem großen Geschenk in der Hand und lächelt mich unsicher an.

"Du sollst natürlich auch etwas bekommen." Ich muss feststellen dass das Geschenk ziemlich schwer ist, als sie es mir überreicht. Sofort baut sich Neugierde in mir auf.

"Danke Mama." Ich nehme sie halb in den Arm, so gut es mit dem riesigen Paket eben möglich ist. In blauem einfarbigen Papier eingepackt stelle ich mein Geschenk auf den Wohnzimmertisch und beginne eilig die Verpackung abzureißen, als würde mein Leben davon abhängen. Innerlich betend es handele sich dabei nicht um Lernbücher oder andere Enttäuschungen. Doch die Aufschrift des großen Kartons, welche nun freigelegt ist, offenbart mir den Inhalt.

Ein großes Zeichen Paket!

Wenn man der Verpackung glauben schenken darf, enthält es Skizzierblöcke, verschiedene Papiere und alle möglichen Stifte.
Vor Freude strahlend lese ich mir die Einzelheiten durch und bin überrascht über die Vielfalt, die hier angeboten wird.
Zeichnen.
Seit einer gefühlten Ewigkeit habe ich keine Bilder mehr zu Papier gebracht, eigentlich seit dem ich mir wirklich über das Chaos in meinem Kopf bewusst geworden bin.
Plötzlich steht Lynn vor mir und mustert mich kritisch.

„Hey.“ Haucht sie und schaut mir vorsichtig in die Augen, einen Kontakt den ich sofort abbreche und beschämt zu Boden schaue.

„Mensch Kinderchen! Was ist hier denn wieder für eine Stimmung?“

"Halt dich da bitte raus." Weist sie freundlich meine Mutter an. Jedoch starrt meine Schwester wie gebannt auf meine Kleidung und schüttelt immer wieder den Kopf.

"Steht dir." Murrt sie schließlich angesäuert und läuft an mir vorbei. Was möchte sie bitte mit diesem Kommentar ausdrücken?

"Mama, ich bin morgen früh wieder da." Ihre Stimme ertönt im Hausflur, kurze Zeit später schließt sich die Tür.

"Wo geht sie hin?"

"Sie hat einen Klamottengutschein bekommen und geht jetzt mit Franzi shoppen, geht sie doch jedes Jahr zu ihrem Geburtstag!" Ihre freundlich gesprochenen Worte hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack. Ja, gingen WIR jedes Jahr, doch dass sie mich nicht dabei haben will verstehe ich. Ich wüsste nicht einmal worüber wir uns unterhalten sollten.

In meinem Zimmer wälze ich mich von einer Seite des Bettes zur Nächsten, der große Karton mit den Zeichenutensilien thront auf meinem Schreibtisch, jedoch fehlt mir gerade die Freude daran. Vor einiger Zeit hätte ich mich sicherlich auf ihn gestürzt und voller Elan die einzelnen Extras ausprobiert. Zeiten ändern sich.
Ivan hat sich immer noch nicht bei mir gemeldet. Sollte er mich nicht eigentlich anrufen, um sich zu entschuldigen?
Oder glaubt er wirklich ich hätte überreagiert?
Ob meine Reaktion als übertrieben durchgehen würde, frage ich mich tatsächlich. Jedoch bin ich trotzdem sauer, ist er wirklich solch ein Idiot?
Vielleicht ist die Funkstille auch ein gutes Zeichen, ein Nachweis er würde tatsächlich über uns nachdenken?

Die Nervosität in mir erreicht schließlich einen Höhepunkt als mein Telefon tatsächlich auf meinem Bettlaken tanzt, ein gedämpftes Summen von sich gebend.

"Ja?" Das Display hat mir bereits verraten dass Ivan sich am anderen Ende der Leitung versteckt.

"Hey...Können wir reden?"

"Schieß los." Grummele ich, versuche meine Erleichterung über seinen Vorschlag zu verbergen, schließlich will ich ihm die kalte Schulter zeigen.

"Persönlich? Ich möchte es wieder gut machen!" Klingt seine Stimme tatsächlich ein wenig flehend? Mein Herz hüpft jedenfalls.

"Wo?"

"Naja, zu dir könnte ich schlecht kommen. Scheinbar habe ich bei der Familie Gerdes verschissen." Witzelt Ivan und entlockt mir tatsächlich ein Grinsen. Recht hat er. "...Und ich darf erst wieder nach Hause, wenn ich mich bei dir entschuldigt habe..." Nun muss ich wirklich lachen, Velana hat ihn wirklich vor die Tür gesetzt? Die Frau wird mir immer sympathischer. "Was hältst du von einem Spaziergang, wir könnten uns in einer halben Stunde wieder in dem Park treffen."

"Darüber muss ich erst mal nachdenken."

"Also dann in einer halben Stunde." Ivans Grinsen dringt bis zu mir hindurch, bis urplötzlich nur noch ein Tuten zu vernehmen ist.

Glaubt er wirklich mich so sehr in der Hand zu haben?

Insgeheim stelle ich mir vor wie er dort wie ein begossener Pudel steht und auf mich wartet.

Dennoch stehe ich zu meiner eigenen Verwunderung auf und betrachte mich im Spiegel, lege mir einige Strähnen nach. Nicht, dass ich auf Ivans Angebot eingehen würde, allerdings kann man nie sicher sein wer einen gleich noch zu Gesicht bekommt.

31. Endlich

 Unsicher stehe ich in meiner Zimmertür. Meine Haare sind bereits frisiert, die leicht gefütterte Jacke halte ich in der Hand, bald wird es kälter werden. Der Winter naht, schleichend senkt er die Temperaturen und lässt auch die letzten Blätter von den Bäumen fallen.

Ich hadere mit mir, am liebsten würde ich ihn ein wenig schmorren lassen, vielleicht sogar ein wenig Angst um seinen Stand bei mir machen. Allerdings sehne ich mich nach seiner Nähe, will der eisigen Stimmung entfliehen, die momentan Zuhause herrscht. Ich brauche Wärme, seine Wärme!
Lynn drängt mich zunehmend aus ihrem Leben und meinen Eltern entferne ich mich täglich mehr. Als würden sie mit jeder Lüge weiter in die Unerreichbarkeit rücken.

Letztendlich erliege ich meinem Drang nach Geborgenheit, Ivans Stärke und begebe mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Ein kleiner Park gleich in der Nähe meiner Siedlung.

Seine Gestalt erkenne ich bereits von Weitem, eingerahmt in dunklen Bäumen, welche durch den Untergang der Sonne immer mehr ihre Farbe verlieren.
Langsam begebe ich mich auf ihn zu, unter meinen Füßen knartschen kleine Kieselsteine.

"Da bist du ja." Grinst Ivan, als ich direkt vor ihm zum stehen komme. Sein Gesicht wird von dem matten Licht einer Straßenlaterne beleuchtet, dezent in Szene gesetzt. Seine grau-blauen Augen glitzern mir sanft entgegen. Mit einer aufgesetzt grimmigen Miene starre ich zu ihm hoch. Eilig blickt er sich um, kontrolliert ob wir unbeobachtet sind und fährt schließlich mit seinen Händen über meine Hüften, zieht mich zu sich.
"Na, schmollen wir noch?" Haucht Ivan in mein Ohr, seine rechte Hand fährt unsichtbare Linien auf meinem Rücken entlang. "Brauchst du nicht mehr, bin jetzt wieder ganz brav." Krampfhaft bemühe ich mich weiterhin böse zu sein, es ihm nicht so einfach zu mache. Jedoch gewinnt das Grinsen auf meinen Lippen, welches sich ungefragt in mein Gesicht geschlichen hat. Ich bette meinen Kopf auf seinen Schultern und vergrabe meine kalten Hände in seiner Jackentaschen.

"Tu mir nicht nochmal so weh!" Flüstere ich und schaue zu ihm hinauf und verenge meine Augen zu Schlitzen, da meine Stimme nicht sonderlich bedrohlich wirkte.

"Ich versuche jetzt...feinfühliger zu sein."

"Wirklich?" Ich lege viel Hoffnung in seine Worte, jedoch hält mich eine unsichtbare Kraft davon ab ihm meinen ganzen Glauben zu schenken. Dennoch erfüllt mich so etwas wie Erleichterung, er scheint das Problem erfasst zu haben. Es ist ein Anfang, mit dem wir arbeiten können.

"Ja, ich könnte dich bekochen!" Zwangsläufig muss ich ein weiteres Mal Grinsen, er klingt so stolz von seiner eigenen Idee, sodass ich sie ihm nicht abschlagen kann.

"Du kannst kochen?"

"Aber sicher doch, ich bin ein Meister in der Küche." Belustigt schüttele ich den Kopf, an Selbstzweifeln bezüglich seiner Fähigkeiten scheint der werte Herr nicht zu leiden.

"Davon musst du mich erst mal überzeugen." Grinse ich ihm mit gerunzelter Stirn entgegen. "Allerdings ohne die Hilfe deiner Mutter!"

"Abgemacht." Murmelt er ein wenig unsicher und gibt mir einen kurzen Kuss, bevor er von mir ablässt und einen Schritt voraus geht. "Na komm! Es ist zu kalt um hier ewig herumzustehen!" Grinsend folge ich ihm zur örtlichen S-Bahn Station.
Für einen kurzen Moment enttäuscht Ivan's distanziertes Verhalten mich, nur zu gerne hätte ich seine Hand genommen, um der ganzen Welt zu zeigen dass wir ein Paar sind. Jedoch schleicht sich ein mulmiges Gefühl in meine Magengegend. Die Vorstellung meine Klassenkameraden könnten von meiner sexuellen Orientierung erfahren gefällt mir nicht, sie lässt mich sogar kurz panisch die Augen schließen. Nein, ich kann Ivan verstehen, letztendlich habe ich noch nicht einmal vor meinen Eltern reinen Tisch gemacht, während er bei seiner Mutter direkt mit der Tür ins Haus gefallen ist.

Wir nehmen direkt die nächste Bahn und kaufen noch in einem nahegelegenen Supermarkt ein paar Zutaten ein, die dem Meisterkoch angeblich fehlen würden. Er will Nudeln mit Tomatensoße kochen, ein sehr schwieriges Unterfangen, vor allem wenn die Soße aus einer Tüte stammt.

Unter äußerst kritischen Blicken beobachte ich sein Treiben. Seine Mutter sitzt derweil im Wohnzimmer und wünschte "uns Kinderchen" noch einen schönen Abend, wobei der Hinweis die Küche sei frisch gewischt nicht verloren ging.
Ivan kichert leise vor sich hin. Während er angestrengt mit überkochendem Wasser und den vielen Herdreglern kämpft, habe ich es mir auf der Küchenzeile gemütlich gemacht und angefangen ihm alle möglichen Dinge zu erzählen, die mir so in den Kopf kommen. Wie ich als Kind im Schulchor von meiner Lehrerin gezwungen wurde ein Solo zu singen, da ich angeblich eine glockenhelle Stimme hätte, welche die Schule niemals zu hören bekam. Meine Lehrerin suchte überall nach mir, traute sich scheinbar aber nicht auf dem Jungenklo zu suchen.
Mir geht beinahe die Luft aus, dennoch ist der Drang Ivan jedes Detail von meinem bisherigen Leben mitzuteilen größer. Und so gehe ich Übergangslos zur nächsten Geschichte, als Lynn und ich vor Jahren beinahe unsere Wohnung in Brand gesetzt haben. Wir waren alleine Zuhause, wollten einen kuscheligen Abend machen und so eine blöde Packung Taschentücher schrie gerade zu danach immer wieder durch die Kerzenflamme gezogen zu werden. Als meine Eltern nach Hause kamen standen sie geschockt im Türrahmen und schnupperten die verkohlte Luft.
Mit einem klatschenden Geräusch landen die Nudeln im Sieb und Ivan dreht sich grinsend um, ich glaube er hat mir nur mit halben Ohr zugehört.
Er zündet sogar eine Kerze an, als er den Tisch für uns Beide deckt. Den Stuhl rückt er mir Gott sei Dank nicht zurück, ansonsten wäre ich mir wahrscheinlich wirklich noch wie ein Mädchen vorgekommen.

"Guten Appetit, du kleine Quasselstrippe!" Auf seinem Gesicht lässt sich zwar ein liebevolles Lächeln erkennen, dennoch blicke ich ihm Finster entgegen. Allerdings eher gespielt.

"Ich bin keine Quasselstrippe!" Ein weiteres Grinsen, dieses Mal ein belustigtes und ein Griff nach meiner Hand. Ein kurzer Waffenstillstand.
Die Nudeln schmecken okay, er ist sicherlich kein Meister in der Küche, jedoch das Talent  für viel Show ums Aufreißen einer Tüte besitzt er allemal. Ich lasse mich mit schwerem Magen zurück in den Stuhl fallen und schließe kurz die Augen.

"Möchtest du noch einen Film gucken?" Mein Freund beginnt langsam das Geschirr abzuräumen und bedeutet mir mit einer Handbewegung sitzen zu bleiben. Soll er ruhig alleine spülen.

"Aber keinen Horror! Ich mag keine Kettensägen." Murmele ich und erinnere mich an unseren ersten DVD Abend. Er hat mich geküsst, aus heiterem Himmel. Ein Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus.

"Ich will dich ja nicht verschrecken, was guckst du denn gerne?"

"Ich weiß auch nicht..." Ich möchte ihm jetzt nicht wirklich von meinen ganzen Live-DVD's erzählen. Ob er wohl eifersüchtig wäre, wüsste er wie sehr ich einige männliche Sänger angebetet habe? Ich muss grinsen.

"Ansonsten kuscheln wir einfach." Zwinkert Ivan mir grinsend zu, während er das Radio ausstellt und an mir vorbei ins Treppenhaus läuft. Mit einem Lächeln auf den Lippen folge ich ihm und bleibe plötzlich abrupt im Flur stehen. Plötzlich breitet sich meiner Magenregion eine ganz seltsame Nervosität aus, Ivan bleibt auf der ersten Stufe stehen und schaut mich fragend an.

"Kommst du?"

"Wohin?" Frage ich verwirrt und versuche nach Anzeichen zu suchen, dass es ihm heute nicht nur ums Kuscheln geht. Irgendwie kam es mir noch nicht in den Kopf dass wir Sex haben werden, zumindest nicht seit dem wir zusammen sind und es eine reale Option ist. Über die sonstigen nächtlichen Besuche meiner Fantasie, als er noch mit Lynn zusammen war, sehen wir mal hinweg...

Ob ich es verdrängt habe, weil ich Angst davor habe? Vor eventuellen Schmerzen oder davor, noch mehr für Ivan zu empfinden?

Warum ist gefühlsmäßig alles so kompliziert mit ihm?

Ich will mich einfach fallen lassen und Sex mit ihm haben, schließlich bin ich noch Jungfrau und habe nich vor, diesen Status ewig beizubehalten!

"Auf mein Zimmer?" Ein Lachen. Lacht er mich aus?

"Lachst du über mich?" Eine große Welle von Unsicherheit überkommt mich, ich möchte auf keinen Fall prüde wirken oder mich in irgendeiner Weise vor ihm blamieren. Nicht vor ihm.

"Hä?" Ivan kehrt auf halbem Wege um und kommt direkt vor mir zum Stehen. Seine Hand legt sich auf meine Wange und streichelt sie kurz, während er mir einen kleinen Kuss gibt. "Bist du okay?" Ich nicke eilig, versuche ein Lächeln aufzusetzen, mit dem er sich scheinbar zufrieden gibt und bleibe trotzdem auf der Stelle stehen, als er meine Hand nimmt und versucht seine Reise fortzusetzen. Irgendwie kann ich mich nicht bewegen, also doch prüde!

Ich bleib jetzt hier stehen, wie eine dämliche Statue, als wäre ich ein riesen Idiot!

"Adrian was ist dein Problem?" Dieses Mal schaut er mir kritisch in die Augen und fängt plötzlich an zu Grinsen. "Aha. Daher weht der Wind." Amüsiere ich ihn?
Warum muss er mich immer wütend machen? "Du musst doch nichts machen, was du nicht willst." Sagt er mit sanfter Stimme, nicht sehr beruhigend, ich weiß nämlich gar nicht was ich will! Ich bin ja schließlich nicht aus Holz, das auf seine Berührungen nicht reagiert, nein so ist das ganz und gar nicht!

"Wenn Sie mir dann bitte folgen würden?" Mit einer übertriebenen Handbewegung deutet er mir den Weg. Als würde das Lachen meinen Körper lockern, gelingt es mir mich aus der Starre zu lösen. Kopfschüttelnd folge ich ihm.

"Soso, du glaubst also ich würde rücksichtslos über dich herfallen, sobald diese Tür ins Schloss gefallen ist?" Mit einem kleinen Fußtritt hilft er schließlich nach und seine Tür schließt sich tatsächlich. Aus seinen Augen ist noch immer nicht der Schalk verschwunden, der soll mich nicht immer so verarschen! Ohne ihm zu antworten setze ich mich auf sein Bett und starre ihn böse an.

"Adrian, wir müssen nicht heute miteinander schlafen, wenn du dich unwohl fühlst..." Seine Lippen formen ein mildes Lächeln,  er kommt auf mich zu und setzt sich dicht neben mich.

"Darum geht es nicht, ich weiß nicht ob ich will." Kichere ich nervös und laufe zeitgleich rot an. Warum müssen solche Gespräche nur so peinlich sein, kann man nicht ganz locker über sowas sprechen? Ivan grinst mich schon wieder an und rückt noch ein Stück näher an mich heran.

"Vielleicht sollten wir das herausfinden." Zwinkert er mir zu und verteilt kleine Küsschen auf meinem Hals. "Sag einfach stopp, wenn du nicht weiter willst." Sachte drückt er mich auf seine Matratze und versucht umständlich uns Beide in die Waagerechte zu bekommen. Vor Nervosität schaffe ich es nicht mit dem Kichern aufzuhören, während Ivan nun auch endlich seine Sitzposition verändert hat und nun halb auf mir zum liegen kommt. Mit seiner rechten Hand streicht er immer wieder über meinen Bauch und lächelt mich an. Irgendwie ein schöner Moment, wäre da nicht dieses wirre Gefühl in meinem Magen.

Gott, bin ich aufgekratzt!

In seinem Zimmer ist es beinahe dunkel, nur seine Nachttischlampe spendet ein bisschen Licht.

Unsere Küsse sind wirklich schön, so intensiv. Sie fegen meinen Kopf leer und befreien mich tatsächlich von einem großen Teil meiner Nervosität. Ich beschließe mich einfach treiben zu lassen, mir kann ja schließlich nicht viel passieren. Ivan hat mir immerhin versprochen aufzuhören, falls ich mich plötzlich unwohl fühlen sollte.

Und ich fühle mich alles andere als unwohl!

Seine Hände auf meiner nackten Haut fühlen sich toll an und bescheren mir eine sachte Gänsehaut, auch wenn ich der Meinung bin einen fetten Bauch zu haben. Allerdings scheint Ivan das anders zu sehen, immer wieder fährt er mit seinen Fingern über meinen Körper, während ich ihn von seinem dunkel grünen Hemd befreie. Seine Berührungen tun unheimlich gut, ich fühle mich plötzlich attraktiv und gewollt.

Nachdem ich ihn erfolgreich von seinem Hemd befreit habe, schmeißt er es einfach in die nächste Ecke. Keine Ahnung wo es landet, ist mir auch egal!
Sämtliche Gehirnzellen sind damit beschäftigt den Anblick seines Oberkörpers erneut zu verarbeiten und schicken die Informationen direkt Richtung Süden.
Nein, er hat kein Six Pack und ist auch kein Muskelprotz, dennoch hat er einen wunderschönen Körper. Sein Bauch ist flach, feine Härchen zeichnen sich auf seiner Brust ab und die Haut seines Rückens fühlt sich warm an. An meinem Oberschenkel kann ich schon deutlich seine Erregung spüren. Wenn er so weiter macht, kann ich mich wirklich nicht mehr beherrschen, aber vielleicht sollte ich das auch gar nicht. All das ist so neu und aufregend. Vor allem ist es real und findet nicht nur in meiner Fantasie statt.

"Willst du mehr?" Langsam zieht er mir die Hose von den Beinen und sieht mich fragend an. Ich spare mir lange Überlegungen und nicke. Mein Kopf ist ohnehin leer und nicht fähig irgendwelche tiefgründigen Denkprozesse zu starten. Ich weiß nur, dass ich mich unheimlich gut fühle und tasächlich mehr will. Viel mehr!

Sofort spüre ich den nächsten Kuss und seine Hand in meiner Boxershorts. Ich zucke etwas erschrocken zusammen, entspanne mich jedoch sofort wieder, als ich seine Finger auf meinem Penis spüre. Ivan scheint mich ganz genau zu beobachten, während ich versuche nicht laut zu stöhnen. Die Röte schießt mir direkt ins Gesicht, wofür ich mich kurz verfluche. Vielleicht sollte ich ihn etwas ablenken, von meiner roten Birne. Seine Hose öffnet sich nicht leicht, wer hat bitteschön so komplizierte Reißverschlüsse erfunden, sollen die einen vom Sex abhalten?

"Ganz ruhig." Lacht Ivan und nimmt meine zittrige Hand von sich, schlüpft schnell aus seiner Hose, samt Boxershorts und kommt wieder auf mir zu liegen. Bemüht unauffällig schiele ich auf seine Erektion, die ich im nächsten Moment auf meinem Bauch spüre. Er scheint vollkommen erregt zu sein, was mein Herz zum hüpfen bringt! Überflüssigerweise stelle ich fest, dass ich ihm gefalle!
Hoffentlich sind wir jetzt nicht an dem Punkt angelangt, an dem ich mich blamieren werde. Allerdings ist sein Körper kein völlig fremdes Territorium für mich, gehöre ja schließlich selbst der männlichen Gattung an.
Neugierig lasse ich meine Hand nach unten gleiten und nehme seinen Penis in die Hand. Er fühlt sich hart und sehr warm an. Die Haut hingegen ist weich.
Tatsächlich scheint meine Hand nicht ganz untalentiert zu sein, Ivans wohliges Keuchen ist ein eindeutiges Indiz dafür.

"Ich will mit dir schlafen." Flüstert Ivan mit rauer Stimme an mein Ohr und beißt kurz in das Ohrläppchen. Dann schaut er mir direkt in die Augen. Ich bin so erregt wie noch nie zuvor, alles in mir schreit nach ihm und keine nervigen Stimmen in meinem Kopf sind laut genug um mich aufzuhalten. Keine Eltern, keine Lynn und vor allem keine Angst. Es fühlt sich richtig an.
Grinsend nicke ich, ohne Scham und spreize sogar leicht meine Beine und schlinge sie um Ivan, um ihm zu signalisieren, dass ich es ernst meine. Ivan beginnt sofort eilig die Schublade seines Nachtschrankes zu durchwühlen und zaubert Kondome und eine Tube Gleitgel hervor. Nun beginnt sich doch wieder Nervosität in mir aufzubauen, dennoch würde ich ihn jetzt nicht von mir drängen, ich würde es schon in zwei Sekunden wieder bereuen.

“Ich bereite dich erstmal etwas vor, okay?” Schlägt Ivan vor und ich nicke erneut. Dann beginnt er seine Finger mit Gleitgel zu benetzen und sie langsam nacheinander in mich einzuführen.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, laut und fast schon brutal. Es fühlt sich ungewohnt an, etwas in sich stecken zu haben, doch irgendwie auch...geil. Zumindest nachdem man sich an das Gefühl gewöhnt hat.
Ich schließe die Augen und versuche mich bestmöglichst zu entspannen, während Ivan geduldig versucht mich mit seinen Fingern zu weiten.

Doch wie soll man sich bei seinem ersten Mal entspannen? Ich bin tierisch aufgeregt!

Als Ivan schließlich seine Finger aus mir zurückzieht und sich ein Kondom überstreift erleide ich beinahe einen Herzinfarkt, weil mein Herz plötzlich zu Hochtouren aufläuft, zumindest habe ich es noch nie so heftig schlagen gehört.
Trotz aller Zuversicht und Erregung würde ich gerade am liebsten wegrennen. Ivan kniet zwischen meinen Beinen und sieht mich kritisch an. Seine Augen wirken vernebelt, dennoch erkenne ich die Sorge in ihnen.

“Geht es dir gut?” Haucht er unsicher. Ich nicke, da mir die Stimme plötzlich fehlt. “Sicher? Wir müssen das nicht machen!”

“Ich will aber!” Huste ich beinahe, so gebrochen klingt meine Stimme.
Trotz der gegensätzlichen Gefühle will ich das! Mich überkommt nur eine Welle von Angst und das ist doch normal, oder? Schließlich ist das mein erstes Mal!
Ich zwinge mich zu einem Lächeln, welches Ivan scheinbar überzeugt.
Es tut weh, zieht und es schmerzt. Mit aller Kraft versuche ich die Tränen zurück zu halten, die sich gerade in meinen Augen sammeln. Er ist zwar sehr vorsichtig in mich eingedrungen, dennoch habe ich das Gefühl etwas würde mich von Innen zerreißen.

"Shh. Soll ich lieber wieder raus?" Liebevoll nimmt er mein Gesicht in seine Hand, dennoch schüttele ich den Kopf und warte darauf dass der Schmerz nachlässt.
Tatsächlich wird der Schmerz weniger und wird von einem viel besseren Gefühl ersetzt.

"Es geht jetzt." Keuche ich und kralle mich in seinen Rücken. Ivan gibt mir einen kurzen Kuss, bevor er schließlich anfängt sich zu bewegen. Zunächst sehr langsam, sodass ich mich mit jedem Stoß an das neue Gefühl gewöhnen kann.
Und dann schwebe ich auf Wolke sieben.

Der Schmerz hat nachgelassen, sodass sich immer mehr Erregung in meiner Körpermitte anstaut, die nach mehr Stimulation schreit.
Sein Tempo ist liebevoll, sachte und vorsichtig. Viel zu liebevoll!

Ich will mehr, sonst drehe ich noch durch!

Um ihm aufzuzeigen, dass ich keine Schmerzen mehr habe, dränge ich meinen Hintern dichter an ihn und vergrabe meine Fingernägel in seinen Schulterblättern.
Ivan scheint den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, lacht leise und greift nach meinem Kinn, sodass ich ihn ansehen muss.

Seine schwarzen Haarsträhnen hängen ihm im Gesicht, er grinst mich an und beginnt fester in mich zu stoßen. Sein Tempo nimmt deutlich an Fahrt auf, sodass mir ein lautes Stöhnen entfährt. Immer schneller stößt er in mich. Ich verliere beinahe den Verstand, beginne mich unter ihm zu winden und halte meine Erregung schließlich nicht mehr aus. Ich komme heftig. Dieser Orgasmus ist ganz anders, als die Orgasmen, die ich bis jetzt erlebt habe, wenn ich mir einen runterhole.
Er bleibt noch einige Zeit hektisch atmend auf mir liegen, bevor er sich wieder aus mir heraus zieht. Unsere Körper sind verschwitzt und klebrig, durch mein Sperma, welches nun auf unseren Bäuchen klebt.

"Adrian?"

"Ja?" Sollte man nicht eigentlich in solchen Momenten die Klappe halten, um die Stimmung nicht kaputt zu machen? Zumindest habe ich das mal in einer von Lynns Frauenzeitschriften gelesen.

"Ich liebe dich." Mein Herz macht einen gewaltigen Satz und fängt wie wild an zu klopfen. Frauenzeit haben überhaupt keine Ahnung!

"Ich dich auch!" Flüstere ich überwältigt und rutsche näher an ihn heran, plötzlich ist mir wirklich alles egal. Wir werden sicherlich noch Probleme wegen unserer Beziehung haben, aber solange wir uns lieben wird alles gut werden.

32. Der Morgen danach

 Als ich am nächsten Morgen aufwache, wollen sich meine Lider nur schwer öffnen, sie sind verklebt und betonschwer. Mein Hals fühlt sich trocken an und ich habe Durst. Nur schwer kann ich mich orientieren, leichte Panik steigt in mir auf, doch als ich Ivans noch schlafenden Körper an meinen Rücken gepresst fühle, atme ich erleichtert auf. Ich muss gestern sofort eingeschlafen sein, selten habe ich mich so schwerelos gefühlt.

Meine Nase verrät mir, dass eine Dusche angebracht wäre, der Geruch von vermischtem Schweiß liegt in der Luft. Mein Körper fühlt sich unter meinen tastenden Händen klebrig an. Allerdings würde ich Ivan nur ungern wecken. Vorsichtig drehe ich mich zu ihm um, er sieht so entspannt aus. Seine dunklen Haare fallen ihm wüst in die Stirn, ein Anblick der nicht jeder zu Gesicht bekommt.

"Hmm?" Knurrt der eigentlich Schlafende.

"Oh, hab ich dich geweckt?"

"Wenn du hier so herumzappelst." Murrend kneift er die Augen zusammen und klammert sich an mich.

"Ich zappele nicht! Ich wollte dich nur ansehen..." Zische ich beleidgt und befreie mich aus seiner Umarmung, um mich aufzusetzen. Ein heißes Ziepen fährt mir durch den Hintern. Na toll.

"Wo willst du hin?" Wieder greift sein Arm nach mir.

"Duschen?" Ich entwinde mich vorsichtig und versuche eine stehende Position zu finden, in der sich Ivans Zimmer nicht im Kreis dreht. Trotz meiner leichten Kopfschmerzen bin ich unheimlich glücklich, irgendwie im siebten Himmel.

"Achso. Ich dachte schon du bist so ein Kerl, der einen nach dem Sex einfach sitzen lässt und sich nie wieder meldet." Nuschelt Ivan verschlafen in sein Kissen.

"Spinner!" Kichere ich und verschwinde schließlich ins Badezimmer, natürlich nicht ohne mir meine Boxershorts überzuziehen. Nur ungern möchte ich Ivans Mutter nackt im Flur begegnen.

Das Badezimmer gefiel mir schon immer gut, überall stehen kleine Duftkerzen, Blumen oder andere dekorative Gegenstände herum, ohne das der Raum überladen wirkt. Velana weiß wirklich wie man eine entspannte Atmosphäre schafft.

Gestern Abend war so schön, so befreiend. Ich habe mir überhaupt keine Sorgen oder Gedanken mehr gemacht. Böse Geister die nun zurück kommen, ohne Ivans schützende Anwesendheit. Trotz des warmen Wassers wird mir plötzlich kalt, in diesem Bett hat auch Lynn schon gelegen. Ein Vorwurf den ich niemandem machen kann, außer vielleicht demjenigen der am Hebel sitzt und arme Menschen auf der Erde quält. In meiner Magenregion bildet sich ein dicker Knoten, ich muss dringend aufhören mir mit der Vergangenheit das Leben schwer zu machen, wenn das Hier und Jetzt so schön sein kann.

Aber würde ich dann nicht meine Skrupel verlieren?

Ich kann doch nicht ohne schlechtes Gewissen mit Ivan glücklich sein, während meine Schwester wegen uns Liebeskummer hat.

Nur halb so glücklich, wie ich das Badezimmer betreten habe, verlasse ich es wieder. Ivan schläft wieder tief und fest, und so schlüpfe ich lautlos in irgendwelche Kleidung von ihm und versuche ihn schließlich zu wecken. Vielleicht mit einem Kuss? Oder wäre das zu kitschig? Ich versuch es mal, indem ich ihm die Nase zu halte. Erschrocken reißt er die Augen auf und starrt mich verwirrt an.

"Aufstehen!" Grinse ich und fahre durch seine struppigen Haare.

"Hmmpf, ich komme gleich." Gequält versucht er sich die Decke über den Kopf zu ziehen, in welcher er sich irgendwie verheddert hat.  "Geh doch schon mal runter, Mama hat bestimmt schon Kaffee und Kakao aufgesetzt."

"Trinkst du gar keinen Kaffee?" Ivan schüttelt nur den Kopf und vergräbt sich weiter in seiner Decke. Süß, Kaffee ist ihm wohl zu bitter.
Seine Mutter ist tatsächlich schon wach und backt frische Brötchen auf.

"Guten Morgen Adrian!" Freudestrahlend lächelt sie mich an und eilt gleich zu einem der vielen Schränke. "Kaffee oder Kakao?"

"Kaffee bitte, mit Milch." Antworte ich artig.

"Schön, dass ihr endlich wach seit. Wurde aber auch langsam mal Zeit." Sie gießt mir eine frische Tasse ein und gibt noch die gewünschte Milch hinzu. Selbst so früh am Morgen, wobei elf Uhr nicht wirklich früh ist, sieht sie wunderschön aus. Die langen schwarzen Haare hat sie zu einem hohen Dutt verknotet und hält sich mit Hilfe eines knallgelben schmalen Tuches weitere Strähnen aus dem Gesicht, welches mit eines ihrer geblümten Kleider gut harmoniert. Ihre Haut sieht weich und frisch aus, sie ist wirklich eine schöne Frau. Ich frage mich für wen Ivans Vater sie verlassen hat. Die meisten Männer müssten sich doch fühlen wie ein Lottogewinner. Mit einer Frau an ihrer Seite, die zehn Jahre jünger aussieht als sie eigentlich ist und sich so lieb um ihre Mitmenschen kümmert. Unvorstellbar, dass Ivans Vater sich mit seiner neuen Frau verbessert hat!

"Wo ist Ivan?"

"Der schläft noch." Lächele ich und nehme die überdeminsionale Tasse Kaffe mit buntem Blümchendruck entgegen. Ich frage mich plötzlich, ob sie uns letzte Nacht gehört hat, das wäre mir wirklich sehr sehr peinlich.

"Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Wütend starrt Velana an die Decke, als könnte sie durch den Beton ihren noch selig ruhenden Sohn sehen.

"Na los, geh rauf und schmeiß diesen Faulpelz aus dem Bett! Aber so dass es weh tut!" Lachend nicke ich, stelle meine schwere Tasse auf dem Tisch ab und verlasse die Küche, während Velana noch weiter über die Manieren ihres Sohnes wettert. Die Möglichkeit einen total verpennten Ivan aus dem Bett zu schmeißen, lasse ich mir natürlich nicht entgehen, zumal ich unschuldigerweise einen Auftrag nachkomme. Ich bin also nur ein Auftrags-aus-dem-Bett-Schmeißer. Velana hat irgendwie eine erfrischende Energie, die einen die Sorgen schnell vergessen lässt.
Leise betrete ich sein Zimmer, er scheint tatsächlich wieder zu schlafen.

"Ivan?" Rufe ich und rüttele sanft an seiner Schulter. Keine Reaktion, bis auf ein genervtes Grummeln. Okay, er hat es nicht anders gewollt.

"Aua! Spinnst du?!" Jault Ivan auf, als er unsanft auf dem Boden landet.

"Deine Mutter hat gesagt, ich soll dich aus dem Bett schubsen!" Kichere ich und kann es nicht verhindern, dass mein Blick zwischen seinen Beinen hängen bleibt. Er ist immernoch nackt und sieht wirklich unheimlich sexy aus, selbst früh und noch verknittert am Morgen.

"Du musst nicht immer gleich alles machen, was diese Sklaventreiberin dir sagt!"

"Stimmt, dass ist ja schon dein Job."

"Sehr witzig."  Hm, da ist wirklich jemand mit dem falschen Bein aufgestanden. Wütend funkelt er mir entgegen, während er seine Decke zurück ins Bett schmeißt und schließlich nackt vor mir zum stehen kommt. Wow, am liebsten würde ich ihn an mich ziehen und dort weiter machen, wo wir gestern aufgehört haben. Allerdings brennt mein Hintern bei jedem Schritt, weshalb eine Pause angebracht wäre.

"Du solltest vielleicht Duschen gehen." Ein nackter Ivan gehört definitv zu den Dingen, die mich vollkommen aus dem Konzept bringen. Abwechselnd starre ich den Boden an und mustere verstohlen seinen Körper. Die Röte steigt mir deutlich ins Gesicht, zumindest fühlen sich meine Wangen heiß an. Ivan beobachtet mich währenddessen amüsiert und spannt spielerisch seine Muskeln an, als wäre er ein Bodybuilder im Fotoshooting. Sehr witzig.

"Ach was." Im vorbei gehen gibt er mir einen Kuss auf die Wange und kneift mir in die Seite, was wirklich weh tut!

Immer werde ich von ihm geärgert.

Mit aufgesetzter Wut über den baldigen blauen Fleck und einem leichten Grinsen im Gesicht, betrete ich wieder die Küche.

Velana dreht sich sofort fragend nach mir um. Ihr Blick sagt eindeutig >Ich hoffe für deinen Freund, dass er seinen faulen Arsch erhoben hat<

"Er ist duschen." Velana nickt meine Erklärungen über den Verbleib ihres Sohnes zufrieden ab und deutet auf einen der freien Stühle.  "Deine Mutter hat übrigens eben angerufen, sie macht sich große Sorgen..."

"Was?"

"Sie wusste anscheinend nicht wo du bist, sie will dass du jetzt nach Hause kommst. Du kannst ihr doch nicht solchen Kummer machen!" Oh verdammt. Ich habe meiner Mutter nur erzählt, ich würde noch mal kurz raus gehen und das blöde Handy habe ich natürlich Zuhause vergessen. Ich möchte aber noch nicht nach Hause. Heute ist der letzte Tag der Herbstferien, den würde ich gerne bei Ivan verbringen.

"Darf ich euer Telefon mal benutzen?" Ein ziemlich schlechtes Gewissen baut sich in mir auf, ich hätte ihr wirklich Bescheid sagen sollen. Obwohl es irgendwie schön zu hören ist, dass man vermisst wurde. Bei der eisigen Stimmung zu Hause fühlt es sich wie Balsam für die Seele an.

Velana reicht mir ein unauffälliges Exemplar und ich wähle beinahe automatisch die mir so vertraute Nummer.

Es dutet nur ein einziges Mal, da ertönt schon die aufgeregte Stimme meiner Mutter im schnurlosen Telefon.

"Mama, es tut mir Leid!" Krächze ich und sehe zu Boden, mein schlechtes Gewissen steigt exponentionel zu dem Klang ihrer Stimme.

"Adrian! Du meine Güte! Ich bin wirklich froh dass du nicht verlassen in irgendeinem Wald liegst, aber du kannst mir doch keinen derartigen Schrecken einjagen!" Sie ist wirklich wütend, zu Recht. Ich hasse es wenn jemand sauer auf mich ist, ohne dass ich mich ungerecht behandelt fühlen kann. "Du kommst jetzt sofort nach Hause, ohne Umwege!"

"Ja, Mama." Ohne weitere Verabschiedungen legt sie auf und ich atme tief durch. "Ich sollte mich auf den Heimweg machen, sobald Ivan aus der Dusche ist." Flüstere ich an Velana gewannt, die nur mitfühlen nickt und sich dann wieder ihrem Gemüse zuwendet. Auch hier besteht der Brauch jeden Sonntag eine schöne Mahlzeit zu sich zu nehmen.

Mit einem dicken Knoten im Magen lasse ich mich wieder auf einen Küchenstuhl fallen und starre die Tischplatte an. Hoffentlich beeilt Ivan sich. Ohne darum gebeten zu haben bekomme ich von Ivan's Mutter einen Kaffee und einen Teller mit zwei liebevoll zubereiteten Käsebrötchen. Unter den Käsescheibchen luken Salatblätter und Gurkenstücke hervor.

"Na los, du musst etwas essen!" In ihrer Stimme schwingt viel Wärme mit, allerdings lässt ihre Aufforderung keinen Protest zu. Eigentlich sollte ich sofort nach Hause kommen, allerdings möchte ich nicht einfach verschwinden, ohne mich von Ivan zu verabschieden.

Schon nach wenigen Bissen steht tatsächlich Ivan in der Tür. Er trägt eine unauffällige Jenas und ein giftgrünes T-Shirt.

"Guten Morgen ihr Zwei!" Ruft er außergewöhnlich gut gelaunt in den Raum und setzt sich auf seinen Platz, direkt mir Gegenüber.
Velana stellt ihm eine große Tasse Kakao hin und einen Teller mit zwei ebenso liebevoll zubereiteten Brötchen. Seine Mutter schmiert ihm wirklich noch die Brote und er sieht es als ganz selbst verständlich an. Auweia...

"Ivan, ich muss jetzt los...Meine Mutter hat grad angerufen." Murmele ich in meine Tasse Kaffee hinein, beiße noch einmal schnell von meinem Brötchen ab und erhebe mich.

"Danke Velana." Sie wünscht mir einen schönen Tag und rät mir meiner Mutter Blumen mitzubringen, um ihre Wut zu lindern. Ich habe meiner Mutter noch nie Blumen geschenkt, daher halte ich die Idee zunächst für abwegig. Doch als ich meinen Kopf schieflege und Ivans Mutter ein weiteres Mal betrachte, kommt mir die Idee gar nicht mehr so schlecht vor. Ich beneide die Beiden um ihr enges Mutter - Sohn Verhältnis, vielleicht könnte ich meinem mit ein paar schönen Tulpen auf die Sprünge helfen. Es klingt naiv, aber ich habe die letzten Jahre damit verbracht wütend auf meine Mutter zu sein, weil ich mich von ihr unbeachtet fühle, während ich hinter verschlossener Zimmertür hockte. Vielleicht ist sie im Umgang mit mir genauso unsicher, wie ich selbst, weil ich nie einen Schritt auf sie zu gehe.

"Warte, ich bringe dich noch zur Tür." Ivan steht gelassen auf und folgt mir in den Flur. "Vielleicht solltest du dich umziehen." Flüstert er mir ins Ohr. Seine schlanken Finger fahren leicht unter einer seiner vielen T-Shirts, welches ich mir heute Morgen einfach übergezogen habe. Ein leichter Schauer fährt mir den Rücken hinunter. Oh Mist, das hätte ich fast vergessen. Ich wäre wirklich in Erklärungsnot gekommen, wenn ich ein zweites Mal mit Ivans Kleidung Zuhause einmarschiert wäre. "Wir müssen uns sowieso noch unterhalten." Mit diesen Worten greift er nach meiner Hand und zieht mich die Treppenstufen hoch. Irgendetwas an seinem Ton gefällt mir nicht, das gefürchtete Wort "unterhalten", wurde durch diesen gefürchteten Unterton unterstrichen, der Ärger einläutet.
Nervös setze ich mich auf sein Bett. Ich muss aussehen wie ein angeschossendes Reh, wie ich vorsichtig in seinem Gesicht nach Hinweisen suche, während er sich neben mich setzt und meine Hand nimmt.

"Adrian, schau mich bitte nicht so an..." Diese Unsicherheit steht Ivan irgendwie überhaupt nicht. Dieser Mann ist die Sorglosigkeit in Person, außer durch Lynns erlogendes Geständnis, habe ihn noch nie wirklich verunsichert erlebt. Ich werde zunehmend nervöser. "Hör zu, was ich gestern gesagt habe meinte ich ernst. Ich liebe dich, aber ich bin nicht sonderlich interessiert daran es morgen an die große Glocke zu hängen, wenn die Schule wieder beginnt." Erklärt er mir ruhig und mit prüfenden Augen, welche versuchen meinen Gesichtsausdruck zu deuten. Als ich zunächst nicht antworte, fährt er hastig fort. "Ich will mit dir zusammen sein, wirklich, nur...es geht doch keinen etwas an, oder? Wenn wir mit der Schule fertig sind, können wir uns immer noch outen." Ehrlich gesagt bin ich ziemlich überrascht, eine leichte Welle von Erleichterung strömt sogar durch meinen Körper. Ich hielt es für selbstverständlich, dass wir erstmal keinem davon erzählen, und ehrlich gesagt nicht nur zu Ivans Gunsten. Die Vorstellung gefällt mir gar nicht, dass meine Klassenkameraden von meiner Sexualität erfahren.

"Musst du mir so einen Schrecken einjagen? Ich dachte du wärst vielleicht todkrank oder willst doch keine Beziehung! Oder wärst dieser Celine versprochen... Natürlich behalten wir die Sache zunächst für uns, oder glaubst du ich kenne unseren Jahrgang nicht?" Wettere ich mit halb ernster Stimme und ziehe ihn in eine Umarmung. Ivan atmet deutlich entspannter und fängt schließlich an zu lachen.

"Celina versprochen? Wie kommst du denn auf solch einen Mist?"

"Keine Ahnung, die kommt doch auch aus deiner Ecke."

"Als meine Ecke würde ich Deutschland bezeichnen, immerhin bin ich hier aufgewachsen und Celina's Vater ist glaube ich Ungare. Und selbst wenn sie Kroatin wäre, müssten wir noch lange nicht heiraten!" Schmunzelnd gibt Ivan mir einen Kuss und fährt mir durch meine Haare, ich genieße diese Berührungen nur zu sehr, am liebsten würde ich mich einfach wieder zu ihm ins Bett legen. "Und jetzt zieh dich um und geh nach Hause, ansonsten steht hier gleich die Polizei vor dem Haus, wegen Verführung Minderjähriger."

Gutgelaunt verlasse ich Ivans Haus. Es fühlt sich beinahe so an, als würde mich eine unsichtbare Kraft die Straßen entlang tragen, so unbeschwerlich kommt mir alles vor.

33. Dahlien

 Den Weg zur S-Bahn renne ich beinahe, so aufgepunscht fühle ich mich, obwohl mir mein Hintern deutliche Probleme macht.

Ivans Worte hallen in meinem Kopf nach und versetzen mich zunehmend in Aufregung. Er liebt mich und will nach der Schule unsere Beziehung öffentlich machen. Vor allem letzteres macht mich glücklich. Immerhin haben ich noch über 1,5 Jahre Schule zu bewältigen. Plant er tatsächlich so etwas langfristiges? Die Schmetterlinge in meinem Magen beginnen zu tanzen, halten aber gleich wieder inne.

Oder ließ er bis jetzt alle meine Vorgängerinnen im Glauben, sie würden sich in einer ernsthaften Beziehung befinden?

Sagte er diese weltberühmten drei Worte schon häufiger?

Meine Glückshormone haben mit Ivan wirklich ein schweres Los gezogen, sie wissen nie wirklich wie sie sich zu verhalten haben. Schmetterlinge tanzen lassen, oder vorrübergehend in den Urlaub schicken?

In der Nähe unserer Wohnsiedlung fällt mir plötzlich ein unscheinbarer Blumenladen namens "Floras Welt" auf, der mich endlich zum stehen bringt. Ein Bild von Velana und Ivan am Frühstückstisch taucht vor meinem inneren Auge auf und so beschließe ich meiner Mutter tatsächlich Blumen zu kaufen.
Ehrlich gesagt war ich noch nie in einem Blumenladen und fühle mich leicht bedrängt durch die vielen Düfte, die sich mit der feuchten Luft vermischt haben und die erstaunlichen Preise, für solches Gestrüpp. Dennoch habe ich einen hübschen kleinen Strauß gefunden, der in mein Budget passt. Die ältere Verkäuferin mit der Raucherstimme rät mir zu Dahlien, sie seien die Königinnen unter den Herbstblumen und wären daher Ideal um die Wogen zu meiner Mutter zu glätten. Ich kann dem nichts weiter entgegnen, da mein Wissen um die Pflanzenwelt auf Löwenzahn und Gänseblümchen begrenzt ist und bezahle die geforderten zehn Euro. Eine hohe Summe für einen armen Schüler wie mich, jedoch glaube ich mein Geld gut investiert zu haben.

Mit einem in bunten Farben blühenden Strauß stehe ich im Wohnzimmer und sehe meine Mutter vorsichtig an, entschuldigend und dennoch mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

Tatsächlich lohnt sich jeder Euro. Velana's Idee meiner Mutter Blumen zu kaufen ist ein absoluter Volltreffer. Ungläubig nimmt meine Mutter den Strauß entgegen und scheint sich nach versteckten Kameras umzugucken.

"Für dich, weil du dir solche Sorgen gemacht hast. Es tut mir Leid." Nuschele ich und werde in eine feste Umarmung gezogen. Der Ärger scheint sich in Luft aufgelöst zu haben und ich darf das Gefühl genießen, dass sich meine Mutter wahnsinnig über mich freut. Ihr hätte wohl schon seit über zehn Jahren niemand mehr Blumen geschenkt und ist jetzt völlig aus dem Häuschen.
Irgendwie faszinierend wie man Frauen mit Blumen manipulieren kann.
Schade, dass ein solcher Strauß bei meiner Schwester nicht helfen würde, ich könnte ihr die teuersten Sträucher kaufen und es würde nichts ändern.

"Setz dich Schatz, ich muss dich etwas Fragen." Ihr Blick ist immer noch auf die Dahlien gerichtet, welche mittlerweile auf dem Küchentisch ihren Platz gefunden haben. "Schatz" hat sie mich schon seit Jahren nicht mehr genannt, dennoch hasse ich es wenn meine Mutter mich etwas Fragen muss. Würde es sich nicht um eine unangenehme Angelegenheit handeln, müsste ich mich nicht hinsetzen und sie würde die Frage frei heraus stellen.

Mit mulmigen Gefühl setze ich mich und versuche das unangenehme Ziepen in meinem Hinterteil zu ignorieren. Erinnerungen an die letzte Nacht kommen auf, zum falschen Zeitpunkt und lasse mich leicht erröten.

"Du und Ivan, ihr seit doch gute Freunde, oder?"

"Ja?" Nicht so recht wissend worauf sie hinaus will, bildet sich langsam ein dünner Schweißfilm auf meiner Stirn.

"Deiner Schwester geht es so schlecht wegen Ivan. Ich kann immer noch nicht begreifen, dass er mein Mädchen einfach so hängen gelassen hat. Du kennst ihn doch sicherlich gut, weißt du warum er sie verlassen hat?" Meine Mutter macht sich wirklich Sorgen um Lynn, dass sieht man ihr direkt an, wenn sie anfängt über dieses Thema zu sprechen. Tatsächlich ist Lynn seit der Trennung irgendwie anders, ruhiger und weniger Zuhause. Bis jetzt dachte ich es wäre nur meine eigene Wahrnehmung, aber anscheinend habe ich mich getäuscht.

"Weil er sie nicht liebte...Er wollte ihr nichts vormachen." Über meine Antwort muss ich nicht großartig nachdenken. Sie kommt automatisch, da sie größtenteils der Wahrheit entspricht, nur ein winziges Detail wurde ausgelassen. Dennoch breitet sich ein schlechtes Gewissen über mir aus, wie dunkle Wolken, die in meinem Leben scheinbar zum Dauergast werden.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass dort nichts mehr zu machen ist. Ich habe doch seine Blicke gesehen, mit denen er Lynn angesehen hat. Kannst du vielleicht noch mal mit ihm reden? Du sollst ja nicht gleich den Verkuppler spielen, aber ihm vielleicht deutlich machen was er verpasst, wenn er sich nicht bald bei Lynn meldet!" Wütend haut meine Mutter auf den Tisch und schüttelt den Kopf, wie jede Mutter dessen Tochter das Herz gebrochen wurde. Sollte sie nicht eigentlich wollen, dass dieser Mann Lynn in Ruhe lässt, anstatt sie eventuell erneut zu verletzen?
Nur weiß sie den wahren Grund nicht, warum Lynns erste richtige Liebe so schmerzhaft enden musste und dass ihr Sohn sicherlich nicht als Verkuppler geeignet ist. So Leid mir Lynn tut, ich werde einen Teufel tun und Ivan auf ihre Fährte locken. Ehrlich gesagt habe ich wirklich Angst, dass er schnell anbeißen würde. Letzte Nacht hat er mir gezeigt, dass er mich liebt und es sogar noch in Worte gefasst, dennoch bin ich misstrauisch. Trotz all der Glücksgefühle, die mich gestern wie eine Lawine überrollt haben, als er "Ich liebe dich." sagte. Ivan hat mir noch nie das Gefühl gegeben, als würde er zu der Kategorie Mensch gehören, denen man blind vertrauen kann. Irgendetwas an ihm lässt mich immer zweifeln, er wirkt beinahe ein wenig unseriös. Ihm fehlen entscheidende Charaktereigenschaften um eine wirkliche Beziehung zu führen, er ist viel zu sprunghaft und Impulsiv. Dennoch werde ich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens wie ein Vollidiot hinter ihm her rennen.

"Ich könnte mit ihm reden, allerdings erhoffe ich mir nicht viel davon. Wenn er Lynn nicht liebt, sollte er auch nicht mit ihr zusammen sein, sonst wird er ihr doch immer wieder weh tun..." Murmele ich, tatsächlich nickt meine Mutter resigniert und schenkt mir ein vorsichtiges Lächeln, dann wird es still. Stille, die zum Zerreißen gespannt ist. Solchen Situationen bin ich schon immer hilflos ausgeliefert gewesen. Ich bin kein Rhetoriker, wenn die Kommunikation angespannt ist, weiß ich nicht wohin, außer die Flucht zu ergreifen. Ich nicke meiner Mutter flüchtig zu und eile auf meine Zimmertür zu. Aus Lynns Zimmer dringt laute Musik.

Aus dem kleinen Paradies herausgerissen, erwarten mich nun Unterrichtsmaterialien, welche wild auf meinem Schreibtisch herumfliegen. Vielleicht war es strategisch nur von Vorteil einen eilenden Grund zu haben Ivans Haus zu verlassen, ansonsten würde ich morgen mit ungeordneten Heften in der Schule auftauchen. Ich hasse den letzten Tag vor dem endgültigen Ferienende. Aufgeschobene Arbeit stürzt über einem zusammen und die Sehnsucht nach der Freiheit breitet sich aus.

Meine Tür öffnet sich, ohne Vorwarnung. Lynn steht im Türrahmen und starrt mich mit einem undefinierbaren Blick an.

"Du warst bei Ivan, oder?" Mit vorsichtigen Schritten tritt meine Schwester in mein Zimmer ein, wie ein Jagdtier, das neues Terrarium betritt. Sie schnappt sich meinen Schreibtischstuhl und fixiert mich mit ihren Augen. Auf meinem Schreibtischstuhl wollte ich eigentlich gerade Platz nehmen, jetzt stehe ich ein wenig haltlos in meinem Zimmer und rudere mit den Armen herum.

"Ja, wieso?"

"Seid ihr zusammen?" Ihre Frage ist eher als eine Forderung nach der Wahrheit zu verstehen, sie blickt mich ernst an und ihr Blick duldet keine Ausreden.

"Ja, es tut mir Leid..." Murmele ich betreten, den Blick auf meine Hände gesenkt. Ich versuche erst gar nicht ihren Blick zu finden, zu sehr fürchte ich mich vor dem Ausdruck in ihren Augen. Aus dem Augenwinkel erkenne ich allerdings wie ihre Hand eine dicke braune Haarsträhne zwirbelt. Mit den Jahren fallen einem all diese kleinen Gesten auf und man lernt sie zu verstehen. Lynn denkt gerade sehr angestrengt nach, hoffentlich nicht über verschiedene Varianten mich zu ermorden. Gründe genug hätte sie dazu.

"Macht er dich glücklich?"

"Ja?"

"Wenigstens etwas, obwohl ich mich an eure Beziehung wahrscheinlich nie wirklich gewöhnen werde." Wir weichen weiteren Blickkontakten aus und starren zu Boden. Plötzlich zucke ich zusammen und mir fällt siedenheiß auf, dass ich Lynn Krankheiten an den Hals gewünscht habe, als sie noch mit Ivan zusammen war. Sie hingegen hat mir praktisch gerade den Segen für unsere Beziehung gegeben hat, weil ich glücklich bin. Sie muss wahrlich einen Kampf mit sich ausgefochten haben, um sich zu dieser Entscheidung durch zu ringen, und dennoch hat sie ihn gewonnen und sitzt hier. Am liebsten würde ich sie umarmen, aber ich befürchte das würde zu weit gehen.

"Weißt du, unter normalen Umständen hätte ich es total aufregend gefunden, dass mein Bruder schwul ist." Schmunzelt sie für einen kurzen Moment, bevor sie wieder ernst wird und ohne ein weiteres Wort mein Zimmer verlässt, ich meine sogar die Tür knallen zu hören.

Mit einem schweren Druck auf der Brust lehne ich mich zurück in mein Bett und starre die Decke an. Würde es meiner Mutter jetzt sehr komisch vorkommen, wenn ich wieder bei Ivan schlafen wollen würde? Darf ich überhaupt in der Woche bei Freunden übernachten? Bis jetzt haben solche Fragen noch nie eine wirkliche Rolle für mich gehabt, da sich mein Freundeskreis auf meine Schwester und ihre komischen Freundinnen beschränkt hatte.

34. Die geliebte Schule und ich

 Der erste Schultag nach den Herbstferien wird von der schrillen Klingel eingeläutet. Die Flure sind überfüllt von tobenden Kindern, die überhaupt keine Rücksicht mehr auf ihre älteren Mitschüler nehmen. Es riecht nach Schweiß, Staub und abgestandenem Kaffee.

Träge schlurfe ich durch die Aula, der Schlaf sitzt mir noch tief in den Knochen. Vor dem heutigen Schultag graut es mir besonders, ich bin ehrlich gesagt vollkommen ahnungslos wo ich meine Pausen verbringen soll. Ich bin noch nie der Star im Mittelpunkt gewesen, der sich vor Freunden kaum retten konnte, aber ich fürchte von nun an muss ich meine Pausen alleine verbringen. Vielleicht mit einem Kaffee in der hintersten Cafetaria Ecke oder ich sträune ein wenig über den Schulhof. Ich klinge jetzt sicherlich überdramatisch, allerdings ist meine Schwester keine gute Anlaufsstelle mehr, ihre Freundinnen mit eingeschlossen. Ivan hingegen wird sich wieder seinen Kumpels widmen und mit ihnen durch die Hallen geistern, da gehöre ich einfach nicht zu.

Ich bin heute Morgen extra mit dem Fahrrad gefahren, anstatt wie so häufig den Bus zu nehmen, um Kontakt zu meinen Mitschülern zu vermeiden, insbesondere zu Lynn und Franzi.

Die gelblichen Wände des Schulgebäudes intensivieren meinen Fluchtinstinkt, selbst nach all den Jahren gewöhnt man nicht sich an die triste Atmosphäre, die eine Schule zu bieten hat. Nach den Ferien oder einer langen Krankheitsphase fühlt man sich beim ersten Betreten seiner Schule erschlagen von der Ödness. Selbst das Treppenhaus unseres Wohnblockes mit über sechzig Mietparteien ist liebevoller gestaltet, als dieser Kasten. Ich habe mich schon immer gewundert was für Architekten Schulen entwerfen, denn sie sehen überall gleich aus. Vielleicht haben sie unterschiedliche Größen und Formen, doch das Ambiente ist immer das Gleiche. Vielleicht gibt es einen Musterentwurf an den man sich aufgrund irgendeines Paragraphen halten muss, damit Schüler sich nicht wohl fühlen. Oder es gibt spezielle Schul-Architekten, die genau für solche Projekte ausgebildet wurden. Einziges Einstellungskritirium: Ziehe einen moosgrünen Pullunder an und eine Hornbrille. Schließlich ist von diesen Menschen nicht zu erwarten, dass sie inspirierende Bauten hinzaubern.

Als ich allerdings die Gaderobe mit dem geübten Tunnelblick anpeile, stehe ich plötzlich einer Lynn gegenüber, die ihre Augen soweit aufgerissen hat, dass sie Tellern gleichen! Kleine panische Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn, denn jeder weiß dass gedehnte Nasenflügel in Kombination mit immer größer werdenen Augen nichts Gutes bedeuten. Mittlerweile haben sie Serviertellergröße angenommen; ich bin dann mal weg!

Schleunigst drehe ich mich um, werde allerdings am Kragen gepackt und die sonnengelb lackierten Fingernägel meiner Schwester schleppen mich in die nächste Ecke. Blöde Kaputzenpullover! Ich sollte auf Polohemden umsteigen, ich bin es leid ständig weggetragen zu werden!

"Adrian! Was fällt dir ein?!" Durch ihren zusammengepressten Kiefer hört sich ihre Stimme echt gruselig an.

"Was habe ich denn getan?" Der erste Schultag fängt ja klasse an.
Ohne dass sie mir antworten kann, hastet auf einmal Ivan auf uns zu. Seine Augen sind zu zwei schmalen Schlitzen geformt, dennoch ist sein Blick auf uns gerichtet. Seine Augenbrauen verleihen seinem Gesichtsausdruck eine angsteinflössende Form. Warum sind heute alle so wütend?!

"Hey!" Seine Stimme ist ungewohnt rau, viel mehr fürchte ich mich allerdings vor seinem Gesicht. Diese wunderschönen grau blauen Augen sprühen Funken, anstatt beruhigend auf einen zu wirken.

"Ihr Beide," er brauch nicht auf uns zu zeigen, Lynn und ich wissen ohnehin wer angesprochen ist. "Mitkommen!" Ohne ein weiteres Wort zu verlieren dreht er sich um und läuft vorraus. ich folge ihm beinahe automatisch, so als ob ich ferngesteuert wäre. Wahrscheinlich würde ich alles tun, solange er es in der richtigen Tonart sagt, um ihn für mich behalten zu können.
Lynn hingegen folgt uns nur zögerlich und wahrscheinlich nur aus Neugierde, was Ivans unverschämter Auftritt zu bedeuten hat. Sie würde schließlich nie jemanden aus heiterem Himmel angreifen oder Leute am Kragen durch Schulen zerren...
Beinahe hätten wir Ivan in dem Getummel verloren, letzendlich bleibt er in einer ruhigeren Ecke stehen und starrt uns beide herausfordernd an. "Ich möchte jetzt genau wissen wer von euch Beiden herumgetratscht hat!" Mein Magen zieht sich zusammen, er sieht wirklich böse aus, was mich wiederrum zu tiefst verletzt. Seine Worte sind eindeutige Beweise für sein fehlendes Vertrauen in mich. Mit wem hätte ich mich denn zum Kaffeeklatsch treffen sollen, um über mein derzeitiges Liebesleben herzuziehen? Torben, dem Idioten der immer über dicke Titten und Knackärsche spricht? Sicherlich nicht.

"Du glaubst wirklich ich hätte nichts besseres zu tun, als an die Schülerzeitung zu schreiben?" Der ironische Unterton verliert trotz meiner gepressten Stimme nicht seine Wirkung. Ivans Blick wird noch um einige Nuancen finsterer und wandert schließlich zu Lynn. Während ich gegen die Wuttränen erfolgreich ankämpfe, hebt Lynn nur spöttisch die Augenbrauen. Eben war sie noch stinksauer. Frauen können wirklich gut mit Gesichtsausdrücken jonglieren.

"Du hättest jeden Grund gehabt, um unsere Beziehung öffentlich zu machen, schließlich hasst du uns!" Keift Ivan und ringt deutlich mit der Fassung, die ihm Wort für Wort abhanden geht.

"Warum sollte ich jedem erzählen, dass mein Exfreund jetzt mit meinem Bruder zusammen ist?! Glaubst du nicht, ich würde mich damit selbst lächerlich machen, da es kein besonders gutes Licht auf mich wirft?!" Lynn schüttelt noch einmal energisch mit dem Kopf, möglicherweise um ihre Aussage zu unterstreichen, vielleicht aber auch aus Fassungslosigkeit. Jedoch ist ihr wütendes Gesicht zurück, und ihre weit aufgerissenden Augen. Ich glaube ihr dennoch, sie hat mir gestern schließlich einen Waffenstillstand angeboten. Lynns Verflossende wurden alle von ihr abgeschossen, zumindest behauptet sie das immer. Sie ist kein Mensch der sich bei allen Mädchen auf dem Schulhof ausheult, weil ihr Freund mit ihr Schluss gemacht hat. Ihr Stolz steht ihr im Weg, sie möchte nicht diejenige sein die verlassen wurde.

Ivans blick wandert wieder zu mir und bohrt sich in meine Augen.

"Ich habe niemandem etwas erzählt." Flüstere ich, allerdings mit Nachdruck. Ich hab mir nichts zu schulden kommen lassen, dennoch möchte ich mich erklären.

"Und woher weiß es dann die halbe Schule?!"

"Ivan, ich habe keine Ahnung! Aber ich bin auch nicht besonders glücklich darüber die Schwuchtel meines Jahrgangs zu sein! Aber vielleicht hat uns jemand gesehen?" Wir sind zwar nicht Händchenhaltend über den Schulhof spaziert, aber wir gehen uns auch nicht aus dem Weg, vielleicht sieht man die Vertrautheit zwischen uns einfach?

"Klärt das unter euch Jungs, aber ich will damit nichts zu tun haben!" Damit dreht sich Lynn auf dem Absatz um und verschwindet im Gedränge des Schulflures. Mein Blick versucht ihr zu folgen, allerdings kann ich schon nach kurzer Zeit ihren braunen Haarschopf in der Menge nicht mehr erkennen. Sie kommt nicht zurück. Irgendwas in mir hat gehofft sie würde mir beistehen, allerdings würde ich an ihrer Stelle auch das Weite suchen. Ein Waffenstillstand ist schließlich nicht mit einer Versöhnung gleichzusetzen.

"Weißt du wie scheiße ich jetzt vor meinen Freunden dastehe?" Faucht Ivan und versetzt mir einen weiteren Stich in die Brust, der mir wahrscheinlich das Herz zerreißen wird.

"Weil du mit mir zusammen bist?!" Genau im richtigen Moment bekommt meine Stimme mehr Stärke. Ich flüstere nicht wie noch vor wenigen Sekunden, sondern schreie ihn fast an. Sein Verhalten macht mich so wütend, er benimmt sich, als wäre er nicht freiwillig mein Freund. Dabei hat er mich genauso gewollt! Er ist immer zu mir zurückgekommen, aus freiem Willen!

"Gewissermaßen ja." Ivans Stimme ist zwar ruhiger geworden, sogar einfühlsammer, dennoch besänftigt mich das nicht. Er schämt sich für mich, das treibt mir die Tränen in die Augen. Obwohl ich ihn verstehen kann, ein so plötzliches Outing, dass durch irgendeine Tratschtante ausgelöst wurde ist natürlich unangenehm.

Aber sitzen wir nicht im selben Boot?

Mich überrascht die Situation genauso, immerhin habe ich nicht damit gerechnet, dass wir so früh in der Öffentlichkeit stehen würden. Ich hätte gehofft wir könnten zusammenhalten und gemeinsam herausfinden wer für dieses Fiasko verantwortlich ist, anstatt uns zu streiten.

"Warum tust du mir immer so weh?!" Meine Stimme hat kaum Volumen, dafür kann ich die Tränen vorerst zurückhalten, um mich nicht wie einen lächerlichen Waschlappen darzustellen. Er hat mich bereits genug gedemütigt.
Das Outing geht mir auch gegen den Strich, allerdings sind wir gemeinsam stärker, als wenn wir  uns Vorwürfe zumachen!
Seine Reaktion ist mal wieder der Beweis, dass ich zu naiv war. Ich habe Ivan mal wieder vertraut und dachte unsere Liebe sei stark genug, auch wenn irgendwelche Deppen Bemerkungen machen!

Ich könnte mich dafür Ohrfeigen!

Warum fresse ich ihm immer wieder aus der Hand?

Obwohl er schonmal Erfahrungen mit Gruppenzwang gemacht hat, sind ihm seine Kumpels wichtiger.

"Adrian, wir sollten uns vielleicht erst mal nicht sehen. Aber ich melde mich, wenn sich alles etwas beruhigt hat." Erklärt Ivan mir. Meine Auffassungsgabe ist stark beeinträchtigt durch den Versuch die Tränen zurückzuhalten. Dennoch kann ich den Inhalt seiner Aussage mit viel Mühe verstehen.

"Du spinnst Ivan, echt!" Am liebsten würde ich ihm den Kopf abreißen, oder ihn durchschütteln. Hätte ich seine Worte auf Band, würde ich sie ihm Vorspielen, bis sie ihm genauso sinnlos vorkommen.

Wenn ich nur einen kleines Fünkchen Stolz habe, drehe ich mich jetzt um und rede nie wieder ein Wort mit ihm. Eine unfassbar schwere Aufgabe, doch alles andere würde sich nicht gut anfühlen, daher renne ich den Korridor entlang, die Treppen runter und sehe nicht einmal zurück. Die Tränen kommen sobald ich im Erdgeschoss bin, zwei sechstklässlerinnen schauen mich mitleidig an, was mir sogar für einen kurzen Moment Trost spendet. Gefolgt von dem Gefühl alles würde über mir zusammenbrechen, während immer mehr Tränen über meine Wangen fließen.
Bevor ich endgültig in der Schule zusammenbreche, steuere ich im Eilschritt die große Eingangstür an und hoffe den nächsten Bus zu erwischen.

"Adrian!" Die Stimme meiner Schwester lässt mich kurz inne halten, dennoch laufe ich weiter. Ich will hier raus.. Mir fehlt die Kraft für einen weiteren Streit.
Dennoch holt Lynn mich auf dem Schulhof ein, sagen tut sie jedoch nichts. Stumm läuft sie schnellen Schrittes neben mir zur Bushaltestelle.
Ich kann nicht wirklich erklären was in mir vorgeht, in mir tobt ein riesiges Chaos aus Wut und Enttäuschung, dass sicherlich in einem Schlaganfall enden wird. Lynns Verhalten irritiert mich ebenfalls. Jedoch mangelt es mir an Energie, um mich nach ihrem Vorhaben zu erkundigen, da mein Mund zittert und der Kehlkopf sicherlich gleich komplett zu geschwollen ist.
Der Drang wächst meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ich reiße mich dennoch zusammen.
Schließlich kann ich mich nicht einfach auf den Boden werfen und schreien, dass muss warten, bis ich mir ein Kissen vors Gesicht halten kann.

Sobald wir geschützt hinter Bäumen die ersehnte Bushaltestelle erreicht haben, nimmt Lynn mich überraschend in den Arm. Nun bin ich vollkommen verwirrt, was dazu führt dass ich hemmungslos anfange zu weinen. Als ich merke dass sie überhaupt keine Jacke trägt, sondern mich in einem ärmelfreien T-Shirt im Arm hält, bin ich vollkommen erschöpft.

Ich habe nicht einmal bemerkt, dass ich mich an sie gekrallt habe. Leicht löse ich mich aus der Umarmung und stelle fest dass sie zittert. Ihr muss kalt sein.

"Komm wir setzen uns, der Bus ist bestimmt gleich da." Ihre Stimme ist liebevoll, ich habe sie ewig nicht mehr so sprechen gehört. Sie dirigiert mich zu Bank und kuschelt sich eng an mich.

"Wo ist deine Jacke?" Stottere ich, während sie mir einige Tränen aus dem Gesicht wischt.

"Ich wollte vor dem Unterricht noch einmal auf Toilette gehen, doch da bist du an mir vorbei geschossen und ich habe dich noch nie so unglücklich gesehen! Da habe ich nicht mehr nachgedacht und bin dir gleich hinter her." Sie lächelt und plötzlich wird mir klar, dass ich so eine liebe Schwester gar nicht verdient habe. Ich ziehe meine Jacke aus und reiche sie ihr, schließlich trage ich noch einen Kaputzenpullover, an dem sie noch vor wenigen Minuten herumgezerrt hat.

35. Schokoladeneis und Versprechen

 Die Busfahrt verläuft weites gehend schweigend. Die Landschaft aus hohen Mietshäusern, Parks und Supermärkten rauscht an mir vorbei, ohne dass ich ihr viel Beachtung schenke. Ich blicke starr aus dem Fenster und hoffe bald endlich die Haltestelle zu erreichen, an der wir diesen stinkenden Bus verlassen können. Lynn sitzt ebenfalls still neben mir, sie tippt auf ihrem Handy herum, vermutlich teilt sie Franzi mit dass sie nicht zum Unterricht kommt. Eigentlich bin ich dankbar für diese Stille, ich wüsste ohnehin gerade nicht wie ich mich erklären sollte, doch allein dass Lynn mitgekommen ist hilft mir ungemein. Ich fühle mich stärker, als noch vor einigen Minuten, wo ich vor Ivan stand und er mir erklärte dass wir uns nicht mehr sehen können. Vorerst.
Doch alles  in mir sträubt sich dagegen zu warten, bis er sich wieder beruhigt hat. Sein Verhalten wiederholt sich immer wieder, und es fällt mir schwer mir vorzustellen, dass es das letzte Mal sein würde.

Er ist so egoistisch, dass ich beinahe nicht fassen kann.

Macht er sich die Illusion, er wäre der einzige dem es schwer fällt?

Als allseits beliebtes Einzelkind liegt diese Annahme sicherlich nicht fern.

Ich hätte mir auch ein anderes Outing gewünscht, auch wenn ich noch nicht wirklich viel davon mitbekommen habe, dass unsere Mitschüler sich über uns lustig machen. Immerhin habe ich die Schule gerade erst betreten und wurde direkt abgefangen. Aber sicherlich werden nicht alle gelacht haben, heutzutage ist doch nicht jeder so intolerant. Wir hätten das mit Sicherheit irgendwie hinbekommen. Genau hier liegt mein Problem, er denkt nie einen Schritt weiter, er rastet immer sofort aus und zieht alle Register, anstatt die Situation einen Moment auf sich wirken zu lassen. Ivan hat nicht aus seinen Fehlern gelernt.

Mir entflieht ein frustriertes Seufzen, gefolgt von einigen schweren Atemzügen, die mir Lynns Aufmerksamkeit einbringen. Ein schüchternes Lächeln ziert ihr hübsches Gesicht.

"Wir müssen gleich aussteigen. Geh du zuhause mal duschen, dass hilft mir immer wenn ich viel weinen muss. Ich geh gleich noch schnell zum Supermarkt und kauf' Schokoladeneis, okay?" Ein weiteres Lächeln, dass mir unglaublich viel Wärme schenkt.
Wir müssen sicherlich viel an unser Geschwisterbeziehung arbeiten aber ihr Verhalten gibt mir Kraft, auch wenn ich nicht weiß wie es mit Mr. Vollpfosten weiter geht.
Lynn und ich werden noch viele Gespräche führen müssen, bis wir erneut Vertrauen schöpfen können. Dennoch tut es so gut, dass sie in solchen Notsituationen zu mir steht, trotz allem was gewesen ist und eventuell noch kommen wird.

Hätte ich das gekonnt?

Ich habe mich immer gefreut, wenn sie Streit hatten. Wenn sie unglücklich war, hatte ich ein schlechtes Gewissen, jedoch habe ich keinen Schritt auf sie zu gewagt. Langsam verstehe ich, warum Lynn so beliebt bei allen ist. Sie ist ein wundervoller Mensch, deshalb mögen sie auch alle so gerne. Diese Erkenntnis gibt mir die nötige Kraft aufzustehen, als der Bus unsere Haltestelle anfährt. Ich werfe meiner Schwester ein ehrliches nicht gequältes Lächeln zu und folge ihr aus dem Bus.

Unsere Eltern sind zum Glück nicht zu Hause, nur ungern hätte ich mich jetzt unangenehmen Fragen gestellt warum ich nicht in der Schule bin. Aber vermutlich wäre ich sogar gimpflich davon gekommen, weil Lynn ebenfalls den Unterricht schwänzt.

Tränen vermischen sich mit heißem Wasser und Schaum. Dennoch bleiben weitere Heulkrämpfe aus, eine warme Dusche ist wirklich ein gutes Heilmittel. In der kleinen Kabine fühlt man sich beschützt, als wäre man gerade in einer Blase fern ab der Realität. Das plätschernde Wasser, der wärmende Strahl, der einem die Tränen aus dem Gesicht wäscht und der Wasserdunst mit dem die Sicht verschwimmt. Ich mag das, es tröstet.

Meine Fingerkuppen sind schon ganz schrumpelig, als ich aus der Duschkabine steige und mich in ein riesiges Handtuch hülle.

Mit tropfnassen Haare tapse ich durch den Flur in mein Zimmer, wo bereits Lynn auf dem Bett sitzt und Schokoladeneis isst. Eine weitere gute Medizin, die Frau ist echt Expertin in der Liebeskummerbekämpfung.
Sie reicht mir einen riesen großen Löffel, der vermutlich eher zum servieren von Salaten gedacht ist, als ich mich neben sie setze.

"Wenn ich das ganze Eis esse, werde ich nicht nur single sein, sondern auch noch fett!" Dennoch tauche ich den Löffel in die Eispackung ein und sprühe sogar noch Sahne auf ihn.

"Also seit ihr jetzt wirklich getrennt? Was hat er überhaupt gesagt?" Vorsichtig streichelt sie über meine Schulter, entfernt ihre Hand jedoch gleich wieder weg. Eine Unsicherheit herrscht zwischen uns.
Ihre Frage macht mich unheimlich wütend, nicht wegen ihrer Neugier, vermutlich möchte sie mir nur helfen, sondern wegen der Umstände.
Vor Kurzem habe ich ihr von meiner Beziehung mit Ivan gebeichtet, bin von ihm entjungfert worden und glücklich singend durch mein Zimmer getanzt. Jetzt esse ich Schokoladeneis von einem Riesenlöffel und leide unter Frosthirn.

Ich habe so viel für Ivan ertragen, jede Laune habe ich ausgehalten und dann
macht er mich in der Schule so zur Sau.

"Adrian? Du sagst ja gar nichts?" Meine Hände ballen sich zu Fäusten und ich bin beinahe erleichtert, als das Gefühl der Wut erneut über mich einbricht. Wut ist leichter zu ertragen als Trauer, sie gibt einem das Gefühl im Recht zu sein.

"Er ist ein riesen Arschloch!" Wie von einer Hornisse gestochen springe ich auf und laufe aufgeregt in meinem Zimmer auf und ab.

"Mir brauchst du das nicht zu sagen." Flüstert Lynn, im Augenwinkel erkenne ich, wie sie sich einen weiteren Löffel Eis genehmigt.
Selten bin ich in meinem Leben so wütend gewesen, nicht einmal auf Lynn. Am liebsten würde ich meine gesamte Einrichtung aus dem Fenster schmeißen, nur weil ich den Drang habe irgendwas kaputt zu machen. Meine Schwester wirft mir ein Kissen zu, welches ich mit voller Wucht gegen die Wand schmeiße. Die getroffene Wanduhr fällt klirrend zu Boden und hat mich Sicherheit das Zeitliche gesegnet.

Warum kommt dieser Ärger über ihn erst jetzt?

Warum habe ich mir alles gefallen lassen, nur damit er mich in der Schule abblitzen lässt?

Am meisten verletzt mich sein Geltungsbewustsein, wie können ihm die Idioten aus seiner Stufe wichtiger sein als ich? Sie haben mich schikaniert und er legt auf ihre Meinung so viel Wert, dass er mich nicht sehen will!

Ich hätte alles für ihn getan!

Würde ich das immernoch?

Die Frage lässt mich innehalten in meiner blinden Zerstörungswut.

"Lynn, du musst mir was versprechen!" Meine Stimme ist voller Aufregung, doch mein Anliegen ist wichtig.

"Was denn?" Sie sieht unsicher aus, schließlich habe ich sie lange nicht mehr um Versprechen gebeten. Ein Versprechen setzt Vertrauen voraus, dass wir uns in letzter Zeit verspielt haben, doch mit Lynns plötzlicher Fürsorge hätte ich nicht gerechnet. Vielleicht können Geschwister sich die Pest an den Hals wünschen, ohne sich wirklich schaden zu wollen, ich hoffe es jedenfalls. Plötzlich dringt das Gefühl zu mir durch völlig verkannt zu haben, was wirklich wichtig ist im Leben. Sagt man nicht Blut sei dicker, als Wasser?

"Sollte Ivan sich entschuldigen, darf ich nicht schwach werden, sonst werde ich immer sein dämlicher Spielball bleiben. Er kann mich gar nicht mehr ernst nehmen, so oft ich ihm schon verziehen hab! Ich muss stark bleiben, hilf mir dabei!" Mit jedem Wort bin ich lauter geworden, sodass ich mich erschöpft auf mein Bett fallen lasse.

"Ich soll dich also darin unterstützen ihm keine weitere Chance mehr zu geben?" Fasst Lynn mein Anliegen zusammen und schaut mich ein wenig überrascht an. Plötzlich erkenne ich die Ironie und weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll.
Dennoch nicke ich.

36. Happy End?

 Mein Bauch schmerzt höllisch, als ich mich zurück in die Kissen fallen lasse. Doch die leere Eispackung verrät den Grund für meine Schmerzen, ich hätte mich vielleicht etwas am Riemen reißen sollen.
Mittlerweile ist es Mittagszeit, meine Mutter wird sicherlich bald bester Laune durch die Haustür schweben, seitdem sie ihren neuen Job in einer kleinen Drogerie hat ist sie wirklich guter Dinge.

Ivan hat sich noch nicht gemeldet, immer wieder habe ich auf mein Handy geschaut. In mir summt noch eine kleine Hoffnung, er hätte die Situation reflektiert und ist zu dem Entschluss gekommen falsch gehandelt zu haben. Dabei würde ein Schuldeingeständnis seinerseits alles noch viel schlimmer machen. Mittlerweile kenn ich den Verlauf, den unsere kleine Liebesgeschichte immer wieder fortführt. Wahrscheinlich will er mich erneut zum Essen einladen, nachdem seine Mutter ihm Druck machte und bei der nächsten Gelegenheit kommt ihm wieder irgendein Gedanke, warum wir nicht zusammen sein können.
Ich werde von einer weiteren Welle Wut erfasst und stoße mich von meinem Bett ab, Lynn schaut mich erschrocken an. Sie hat sich auf den Boden gesetzt, verfolgt halbherzig das Fernsehprogramm.

"Ich kann es immer noch nicht fassen! Er hat versprochen mir nicht mehr weh zu tun! Wir haben uns gerade erst wieder vertragen!"  Am liebsten würde ich laut schreien, auf dem Boden herumtrampeln und alle Bilder zerreißen, die ich von ihm gezeichnet habe. Lynn hingegen bleibt vollkommen still, ihre Stirn ist in Falten gelegt.

"Wäre es möglich, dass er sich da gar nicht so viele Gedanken drüber macht?" Ihre Frage ist vorsichtig gestellt und lässt vermuten, dass sie mir noch weitaus mehr sagen möchte.

"Über mich oder sein Verhalten?" Hake ich nach.

"Naja...Ivan ist doch sehr spontan und sprunghaft, wer weiß wie ernst er seine Bettparnter nimmt..."Lynns Unterkiefer verspannt sich merklich, sie ist ebenfalls wütend. "Mich eingeschlossen."
Dennoch erwischt mich ihre Aussage eiskalt. Diese fiese Vermutung schlich sich schon häufiger in meine kleine Welt, dennoch konnte ich sie immer abschütteln.
Der Traum mich an Ivan binden zu können wirkte immer unreal, doch mit der Zeit nahm er Gestalt an. Er entwickelte sich zu etwas Greifbaren, wir küssten uns zum ersten mal und fanden tatsächlich zueinander. Von diesem Moment an, wo ich bei ihm auf dem Sofa saß und seine Lippen an meinen fühlte, änderte sich meine Vorstellungskraft. Zuvor fühlte ich mich verirrt in einem Labyrinth aus Gefühlen, die niemals erwidert werden würden, doch plötzlich schöpfte ich Hoffnung. Ich habe mich verrannt und trank immer wieder von der Hoffung, die er mir schenkte.

Sollte all das unecht gewesen sein?

Habe ich mich tatsächlich so geirrt?

Sein Verhalten kann doch nicht gespielt gewesen sein! Nur aus Neugierde schläft man doch nicht mit einem Menschen, der einem verfallen ist. Ivan weiß wie sehr ich ihn anhimmele, er würde das nicht ausnutzen, oder?

"Das würde er mir nie antun!" Schreie ich beinahe wütend, meine Schwester zuckt zusammen, dabei habe ich gar nicht sie angeschrien.
Und dennoch stehe ich hier, mit Tränen im Gesicht und einem schokoladenverschmierten Pullover und sinke wieder zusammen auf meinem Bett.
Am Schlimmsten ist mein Kopf, der immer wieder neue Pläne schmiedet. Nun schreit er mich an, ich solle ihn anrufen. Doch will Ivan das, nachdem er mir deutlich machte mich vorerst nicht sehen zu wollen?
Nun bei einem Telefonat sieht man sich nicht und ich würde zu gern wissen was er denkt.

Ohne dass ich weiter über mein Vorhaben nachdenken kann, greife ich zu meinem Handy und suche seine Nummer heraus.

"Was machst du?" Der skeptische Blick meiner Schwester reflektiert deutlich mein Vorhaben. Ich sollte nicht den ersten Schritt wagen. Dabei verlangen meine verwirrten Hormone, die durch meinen Körper flattern und Wut- und Trauerzustände in irrationaler Reihenfolge auslösen, nach Gewissheit.

"Ich rufe ihn an." Beichtend, wäre das Wort, das meine Aussage am besten beschreiben könnte.

"Bist du verrückt? Nein!" Eiskalt reißt sie mir das Handy aus der Hand und entfernt den Akku aus seiner Halterung, um ihn in ihrer Hosentasche zu verstecken. " Tut mir Leid, aber ich weiß wie man sich in solch einer Situation fühlt und Anrufe wirst du nur bereuen. Glaub mir das!" Das klingt als hätte sie bereits Erfahrungen gemacht, obwohl Lynn doch sicher die toughe Frau ist, die ihrem Ex das Leben zur Hölle macht, anstatt ihn anzuwinseln. Ivan scheint uns beide verändert zu haben.

"Was glaubst du wie häufig ich Ivan angerufen habe, um ihn wieder für mich zu gewinnen?"

Würde sie von irgendeinem Mann erzählen, würde ich vermuten, sie hätte ihn kein einziges Mal angerufen. Sie spielte nie die verschmähte Exfreundin, doch sie hat Ivan geliebt. Ihre bisherigen Freunde waren kleine Liebeleien, mit denen man auf dem Schulhof angeben konnte, weil man aufregende Geschichten zu besprechen hatte. Doch Ivan war etwas besonderes für sie.

"Was hat dieser Mann nur an sich?" Dass er selbstbewussten Mädchen den Stolz nimmt und Geschwister in den Krieg gegeneinander schickt?

"Weißt du, ich glaube gar nicht, dass er uns bewusst weh tun wollte. Ich glaube er ist ein wenig egozentrisch und es fällt ihm schwer über die Folgen seines Handels für andere Menschen nachzudenken." Erklärt Lynn nachdenklich. Sie ist die letzten Tage so still gewesen, sicherlich lag sie jede Nacht wach und versuchte zu verstehen was um sie herum passiert. Möglicherweise kann Lynn sich über Ivans Absichten hinwegtrösten, die sicherlich nicht bösartig gewesen sind, aber mich macht es noch trauriger. Manchmal könnte ich vor Zuneigung kaputt gehen, wenn er mich anlächelt,  das muss ihm doch aufgefallen sein! Wie kann er mich so verletzen?

“Glaubst du...wir kriegen das wieder hin? Also unsere Beziehung, wenn wir beide Ivan komplett aus unserem Leben streichen?” Frage ich behutsam. Auf meiner Haut kribbelt es nervös. Die Antwort ist mir wichtig, denn meine Schwester werde ich für immer an meiner Seite haben, Ivan scheinbar nicht.

Lynn denkt eine ganze Weile nach, bevor sie ihre Lippen zu einem sachten, beinahe zärtlichen Lächeln, formt.

“Ich hoffe es sehr, Adri!” Grinst sie schließlich, steht auf und nimmt mich ganz kurz in dem Arm. Mir wird unheimlich warm und ich fühle mich glücklich. Wirklich glücklich und sicher.

Ivan ruft mich am selben Tag auf dem Festnetztelefon an, mehrmals, jedoch ignoriere ich sämtliche Anrufe und schalte sogar das Festnetztelefon ab, weil es mich nervös macht.

Auf Anraten meiner Schwester gehe ich am nächsten Tag zur Schule. Sie meint, ich solle mich so früh wie möglich meinen Problemen stellen. Überraschenderweise teile ich ihre Meinung und spiele am nächsten Morgen keine Grippe vor, obwohl ich kaum geschlafen habe. Lynn und ich habe noch sehr lange geredet und über Ivan gelästert...

Außerdem habe ich sehr viel über Lynns Leben erfahren, was ich noch gar nicht wusste, da wir in den letzten Wochen aneinander vorbei lebten.
Sie hat sich beispielsweise dazu entschieden Medizin zu studieren und sucht gerade nach einem Praktikumsplatz für die nächsten Ferien.

Gemeinsam steuern wir den Eingang der Schule an und sind gleichermaßen nervös. Trotzdem breitet sich in mir ein Gefühl von Stolz an. Es ist das erste Mal, dass ich mich einem Problem stelle, anstatt wegzurennen. Sonst habe ich mich immer in meinem Bett verkrochen, wenn etwas nicht funktioniert hat und jetzt stehe ich erhobenen Hauptes in der Aula, obwohl ich mir der neugierigen und belustigten Blicke bewusst bin. Ich verstecke mich nicht hinter Lynn, sondern stehe ebenbürtig neben ihr und grinse sie belustigt an, als ein Klassenkamerad mich angafft. Er hat scheinbar nicht mit meiner Anwesenheit gerechnet und vor allem nicht damit, dass ich nicht verschüchtert durch die Schule laufe, wie ein treuer Dackel meiner Schwester hinterher, die Schultern eingezogen.
Ich habe mich in den letzten Wochen so stark verändert, dass ich mich teilweise kaum wieder erkenne.

Souverän ignoriere ich das Getuschel meiner Klassenkameraden, als ich das Klassenzimmer betrete und mich setze. Niemand sagt jedoch etwas, stattdessen werde ich neugierig beäugt. Teils abgeneigt, teilweise jedoch wirklich überrascht.

“Ja, ich bin schwul! Hat jemand ein Problem damit?”, frage ich in den Raum hinein und blicke in die Runde. Der Unterricht hat noch nicht begonnen, dennoch ist unser Mathelehrer bereits anwesend und schaut kritisch von dem Klassenbuch auf.
Niemand sagt etwas, stattdessen herrscht Stille und das Getuschel ist verschwunden. Auch für die nächsten Wochen.

Ivan hingegen hat alles geleugnet, sich und unsere Beziehung. Er spricht kein Wort mehr mit mir und verhält sich, als wäre ich unsichtbar für ihn.

Da Lynn jedoch am längsten Hebel in der Gerüchteküche sitzt, habe ich erfahren, dass er momentan einen ganz schönen Frauenverschleiß hat. Er vögelt sich durch den Jahrgang und hat ständig Ärger mit irgendwelchen Mädels. Irgendwie tut er mir fast schon leid, aber nur fast...

Ich bin zwar nicht beliebter geworden durch mein Outing, jedoch hört das Mobbing auf, womit ich nicht gerechnet habe. Lynns Theorie dazu ist, dass ich meinem Jahrgang keine Angriffsfläche mehr biete, wenn ich zu mir stehe, anstatt mich hinter Lynn zu verstecken und den Kopf einzuziehen.

Offensichtlich ist es weniger reizvoll gewesen sich über mich lustig zu machen...

Es scheint sich schlichtweg niemand für mich zu interessieren, aber das ist in Ordnung. Ich möchte mit diesen Menschen ohnehin nicht befreundet sein. Mit Lynn hingegen verstehe ich mich täglich besser, auch wenn unsere Beziehung natürlich Anlaufprobleme hat.

Als sie mir Tim vorstellt, ihren neuen Freund, ist sie sichtlich nervös.
Scheinbar befürchtet sie tatsächlich, dass ich ein Lustmolch bin, der sich auf jeden Typen stürzt, der nicht bei drei auf dem Baum ist.

Ich nehme es mit Humor. Tim ist sehr attraktiv mit seinen vollen blonden Haaren, die ihm ständig in der Stirn hängen, außerdem ist er äußerst sympathisch! Aber das wars auch schon...

Gott sei dank!

Das hätte mir noch gefehlt, dass sich dieses Drama wiederholt.

Ich freue mich aufrichtig für sie, denn sie scheint sich wirklich verliebt zu haben.

Mit Hängen und Würgen schaffe ich die zehnte Klasse und entscheide mich für einen Abgang, auf ein Fachgymnasium mit künstlerischem Schwerpunkt. Zum Glück interessiert sich die Schule eher für meine Fähigkeiten und ich muss viele Bilder als Bewerbung einreichen, statt meiner miserablen Noten.

Meine Eltern begrüßen den Wechsel, da sie sich bessere Noten davon erhoffen und werden nicht enttäuscht! Auch wenn mein Vater es reichlich komisch findet, dass sein Sohn auf einer Kunstschule ist.

Doch meine Noten können sich tatsächlich sehen lassen, vor allem in den künstlerischen Fächern erziele ich sehr gute Ergebnisse!

Zunächst bin ich aufgeregt gewesen, ohne Lynn auf eine Schule zu wechseln, doch konnte ich mich schnell in die neue Klassengemeinschaft einfügen. Letztendlich sind wir alle neu auf dieser Schule und teilen die selben Interessen.

Nervös stehe ich vor meinem Spiegel und zupfe an meinem Shirt herum. Ich habe ein enges schwarzes T-Shirt gewählt und eine dunkle Jeans, die beinahe edel aussieht. Heute muss ich wirklich gut aussehen, denn ich besuche zum ersten Mal eine Diskothek für Schwule und Lesben! Lynn wollte unbedingt mal in einem solchen Etablissement feiern gehen und jetzt sind wir endlich achtzehn und dürfen einen solchen Laden besuchen.

Wahrscheinlich wird Lynn total aufgeregt um mich herum hopsen und auf jeden Typen zeigen, der halbwegs süß ist und meine Meinung dazu wissen wollen. Dann wird sie versuchen mich zu verkuppeln...

Ich blicke mich im Spiegel an und schüttele ungläubig den Kopf. So vieles hat sich verändert, sodass ich beinahe das Gefühl habe, dass mein vorheriges Leben ein ganz anderes war. Natürlich bin ich kein Klassenclown, der eine große Schar an Bewunderern hinter sich herzieht. Aber ich bin selbstbewusster geworden und fange an mich selbst zu lieben.

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Tag der Veröffentlichung: 12.03.2017

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