Der Bildungsreisende
Renate Kronberg
Der Bildungsreisende
Troja und andere Merkwürdigkeiten
Renate Kronberg
Es war eine Führung auf der Ausgrabungsstätte Troja vorgesehen, die unseren Bildungsreisenden eigentlich nicht sonderlich interessierte. Seine Phantasie reichte nicht aus, um eine Beziehung zwischen den restlichen Steinfragmenten und der ehemaligen stolzen Trutzburg Troja herzustellen, die zehn Jahre lang den von See heranstürmenden Griechen widerstanden hatten und nur durch einen Trick des hinterhältigen Odysseus zu Fall gebracht werden konnte.
Weit und breit war keine Meeresbucht mehr zu sehen, in der einst Agamemnon und seine Spießgesellen geankert hatten, kein grünschäumende Skamander, an dessen Ufern die Mägde Hekabes das Linnen wuschen und bleichten. Keine saftigen Wiesen an den Hängen des Ida, auf denen Paris die heiligen Herden des Priamos gehütet hatte und wo ihm die stutenbissigen Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera erschienen waren und ihm schmeichelnd das Blaue vom Himmel versprochen hatten, wenn er die, die seinem Ohr gerade am nächsten war, zur Schönsten und damit zur Miss Olympia küren würde.
Aphrodite wollte ihm zum Lohn die schönste sterbliche Frau der Welt in die Arme legen, wenn Paris ihr den Apfel zuerkannte. Und da er ein junger Heißsporn war, begierig auf Liebesabenteuer, und ihm Weisheit und Macht, die ihm die beiden anderen eitlen Weiber versprochen hatten, völlig schnurzpiepe waren, warf er Aphrodite den Apfel zu und machte sich damit die abgeblitzten Göttinnen zu unversöhnlichen Feindinnen und setzte in seiner Torheit ahnungslos ein Schicksal in Gang, das ihn, seine Familie und ganz Troja vernichten sollte. Cherchez la femme!
Ein paar verstreut herumliegende Gesteinsbrocken und ein nachgebautes überlebensgroßes Holzpferd versuchte ziemlich kläglich, Zeugnis von der dramatischen Vergangenheit abzulegen.
Unvorstellbar, dass Hektor hier von dem wutschnaubenden Achill hinter dessen Streitwagen zu Tode geschleift wurde, bis auch der angeblich unverwundbare Achilles seiner Ferse zum Opfer fiel. Der hölzerne Zossen zwischen den Gesteinsbrocken konnte der Phantasie da auch nicht mehr auf die Beine helfen. Die Bucht war verlandet. Das Meer hatte sich weit zurückgezogen und Troja lag jetzt im Landesinneren und in Trümmern. Die meisten kleineren Steine hatten die Touristen wahrscheinlich schon als Andenken mit nach Hause geschleppt.
Unser Bildungsreisender hatte da auch so seine Zweifel, seine letzten schon längst verschütteten Schulkenntnisse wiederbelebend, dass der gehörnte Menelaos nur deshalb vor den Toren Trojas herumgetobt war, um seine ungetreue Gattin Helena ins eheliche Bett zurück zu schleifen; da waren wohl eher die gepfefferten Zölle der hochnäsigen Trojaner der Grund, die diese den handeltreibenden Griechen abgepresst hatten, wenn die mit ihren Schiffen und den dazugehörigen Ladungen ins Schwarze Meer oder zurück wollten. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Agamemnon seine Tochter Iphigenie dem Gott des Windes für eine frische Brise opferte, und das Töchterlein damit dem Tod überantwortete, nur um seine ehrvergessene Schwägerin Helena wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuholen. Und dieser ganze Tross von Aasgeiern in seinem Schlepptau, von Achilles bis Odysseus, hatte wohl doch auch nur eines im Schädel, das sie zehn Jahre vor Troja ausharren ließ, nämlich den gierigen Gedanken an unermessliche Beute, Gold und willige Sklavinnen, und natürlich zollfreie Handelswege.
Die schöne Helena hatte ihnen lediglich einen willkommenen Anlass geliefert, endlich mit diesen aristokratischen Pfeffersäcken in Troja einmal ordentlich Schlitten zu fahren und ihnen zu zeigen, wer der wahre Herr zwischen Ägäis und Schwarzem Meer ist.
Andererseits reagierten die Männer aber auch äußerst empfindlich, wenn ihnen die teure Gattin Hörner aufsetzte. Das schreit nach Rache und Vergeltung. Den vermutlich schmerbäuchigen Menelaos muss es umso ärger getroffen haben, dass seine von den Göttern höchstpersönlich zur schönsten Frau der Antike gekürte Helena ausgerechnet mit diesem Rotzlöffel Paris, diesem hergelaufenen Milchbubi aus Troja, der den Weibern mit seinen sanften Kuhaugen, pomadigen Schmachtlocken und schmalzigen Gesängen, begleitet von den sehnsüchtigen Klängen, die er seiner Leier entlockte, reihenweise die Köpfe verdrehte, durchgebrannt war. Auf ihrem Lager lediglich einen Zettel zurücklassend mit der trockenen Bemerkung: „Ich bin dann mal weg!“
Der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Tag der Veröffentlichung: 26.07.2013 Alle Rechte vorbehalten Widmung:Impressum
ISBN: 978-3-7309-4067-9
Ich widme diese Reisebeschreibung allen Interessenten der antiken Geschichte und denen, die sich dafür vielleicht noch interessieren wollen. Schließlich sind wir alle das Ergebnis unserer geschichtlichen Vergangenheit und sollten soviel wie möglich davon lernen um zu wissen, wohin wir gehen müssen.