O S T E R N
Zwischen
Aufbruch und Untergang
Autobiografie von Renate Kronberg
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Wir schreiben das Jahr 1938. Wirtschaftswunder und Aufstieg waren in vollem Gange. Sechs Millionen Arbeitslose im Handumdrehen in Vollbeschäftigung gebracht, eine Meisterleistung von Hjalmar Schacht. „Freie Bahn dem Tüchtigen“ hieß es, endlich Reisen können mit „Kraft durch Freude“. Schönheit der Arbeit, das waren jetzt gängige Parolen. Die Moorsoldaten legten Moore trocken für die Adolf-Hitler-Siedlungen, später als Reichsheimstätten sozusagen entnazifiziert, kleine Einfamilienhäuser mit Gemüsegarten und angebautem Wirtschaftsgebäude, wonach sich jeder die Finger leckte, so ein Juwel beziehen zu dürfen.
Enno hatte zwar nicht das Glück, nach Voslapp in so ein Einfamilienhaus zu ziehen, aber dafür hatte man ihm eine Neubauwohnung in der Werftstraße zugewiesen, zwei Zimmer mit Küche, Duschbad und einer geräumigen Diele, wir waren überglücklich. Vor noch nicht langer Zeit hatte Elsie noch mit mir im Hinterhaus meiner Tante Leni in der Waschküche gehaust, kalt, ungemütlich, feucht und Schwindsucht fördernd. Am Tag hielten wir uns natürlich bei meiner Tante in der Wohnung auf, um Wärme zu tanken, aber für weitere Übernachtungsgäste hatte sie auch keinen Platz mehr.
So zogen wir hochzufrieden in die Werftstraße. Jetzt ging es uns gut. Mein Vater hatte wieder Arbeit und musste nicht mehr auf der Straße Glückslose verkaufen, außerdem hatte er als Frischvermählter einen Anspruch auf ein zinsgünstiges Ehestandsdarlehen, das uns in die Lage versetzt hatte, unser neues Heim mit allem Nötigen auszustatten. Aber der einzige Luxus, den meine Mutter sich leistete, war ein großes Bild über dem Bett im Elternschlafzimmer „Stillende Mutter unter einem Baum mit einem röhrenden Hirsch im Hintergrund“. Was das wohl zu bedeuten hatte? Auf jeden Fall, machte die zweite Entscheidung Hitlers, dass die Väter ihre Kuckuckskinder mit einem Federstrich legalisieren konnten, ohne sie vorher umständlich adoptieren zu müssen, Elsie über die Maßen glücklich. Sie war jetzt kein schief angesehenes Fräulein Mutter mehr, Freiwild für das jagende Männervolk, sie war jetzt ehrbar, trug einen Ehering am Finger und konnte jeden, der sie anbaggern wollte, kühl in seine Schranken verweisen.
Und Enno fand, das bevorstehende Osterfest sei nun die Gelegenheit, einmal richtig aus dem Vollen zu schöpfen. Er wollte zu seinen Verwandten in Ostfriesland fahren, um sich dort mit Eiern, Speck, und was man sonst noch so abstauben konnte, zu versorgen.
Um Fahrgeld zu sparen, hat er sein altes Stahlross auf Hochglanz poliert, an der Lenkstange einen Kindersitz für mich befestigt, und dann ging
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: b/Renate Kronberg
Tag der Veröffentlichung: 25.03.2013
ISBN: 978-3-7309-2062-6
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