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Copyright:
Renate Kronberg, 2002
Alle Rechte liegen bei der Autorin.

Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 3-8311-4633-0


L e s e p r o b e


(Das vollständige Buch kann erworben werden bei Amazon, Books on Demand oder im Buchhandel zum
Preis von 22,00 Euro)





WIDMUNG


Dieses Buch ist meinem Ehemann Herbert gewidmet und allen Katzenliebhabern, die einen Hang zur Antike haben.


V o r w o r t .


Als der Big Boss sah, wie seine Geschöpfe litten, weil er sie mit Feuer und Schwert aus dem Garten Eden hatte vertreiben lassen, nur weil Eva einen unwiderstehlichen Appetit auf einen saftigen Paradiesapfel verspürt hatte, denn wahrscheinlich war sie schwanger gewesen und welcher Mann hatte schon eine Ahnung von den Appetitorgien einer schwangeren Frau; als er also sah, wie Adam mit hängender Zunge hinter dem schnellen Wisent herhechelte und Eva verstaubt und zerknittert mit schmerzendem Rücken in der Ackerfurche hockte, um mit abgebrochenen Fingernägeln eßbare Wurzeln aus der steinigen Erde zu kratzen, mit bloßen Händen Disteln und Brennesseln zu sammeln, damit sie am Tag des Herrn Beef Wellington 'medium' mit Gemüse umlegt auf den Tisch bringen konnte, die unstillbare Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies im selbstgebrauten Schlehenlikör ertränkend, da dauerten dem Herrn seine Geschöpfe und er rief die Katze zu sich und sprach also:
"Felidae, geh' zum Homo sapiens, diesem Trauerkloß, und bringe Freude in sein müdes Herz.
Sei der unaufdringliche Begleiter des Menschen, bringe ihn zum Lachen mit deinen Schnurrereien und zeige ihm, daß in der besinnlichen Ruhe die Kraft liegt.
Bewache seine Kinder und spiele mit ihnen, damit die Eltern unbesorgt auf Nahrungssuche gehen können.
Sie werden dir dafür einen Platz an ihrem Feuer anbieten und ihre Mahlzeiten mit dir teilen. Du wirst ihr Freund sein, frei und ungebunden, aber niemals ihr knechtischer Diener.
Sie werden dich lieben für deine Schönheit, Anmut und Grazie, deine Anschmiegsamkeit, Zärtlichkeit und Verspieltheit, für deine tiefsinnige Nachdenklichkeit, stolze Zurückhaltung und Gelassenheit, für deine Unbestechlichkeit und deinen Freiheitsdrang. Halte die Mäuse von ihren Vorräten fern und bringe ihnen ein paar lebendfrische Exemplare als Morgengabe dar. Eva wird zwar die Krise kriegen und schreiend auf den nächsten Schemel hüpfen, aber Adam wird dein Geschenk zu würdigen wissen.
Sie werden dir Tempel erbauen, Statuen für dich errichten und sie werden dich anbeten wie eine Göttin und deinen toten Körper wie Pharao einbalsamieren und in Pyramiden beisetzen. Ich könnte direkt neidisch werden, denn eigentlich sind das ja meine Privilegien.
Da der Mensch aber von Natur aus dumm und töricht ist, ich muß bei seiner Erschaffung leider irgend etwas übersehen haben, wirst du auch ihre finstersten Zeiten mit ihnen durchleiden und zusammen mit ihren angeblichen Hexen auf dem Scheiterhaufen landen, sofern sie dich denn erwischen, weil sie dich wegen deiner Hintergründigkeit für ein falsches Luder und eine Ausgeburt der Hölle halten werden, vor allem, wenn du ganz in schwarz daherkommst.
Aber auch diese Verwirrung der menschlichen Seele wird vorübergehen und du wirst dann wieder die unangefochtene Königin ihrer Herzen sein.
So gehe mit meinem Segen und tue, wie ich dir geheißen!"
“Dein Wille geschehe, Boss!”


Die Begegnung mit der Antike


Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie kam auf schmalen zarten Füßen und hohen schlanken Beinen auf ihn zu und sah ihn neugierig aus unergründlichen, schrägstehenden Augen an.
Nachdem sie ihre Prüfung offenbar positiv beendet hatte, strich sie schnurrend um seine Beine und stellte schließlich ihren kleinen weißen Fuß wie zum Gruß auf seinen Schuh. Bert reichte ihr ein mundgerechtes Stückchen Fleisch von seinem Teller, das sie mit Grazie entgegennahm und auf den Hinterpfoten sitzend genüßlich mit seitlich schräg gehaltenem Köpfchen verspeiste. Er war entzückt von ihren eleganten Bewegungen und fütterte sie mit seinem restlichen Fleisch, nur um ihr beim Essen zuschauen zu können.
Nachdem sie satt war, putzte sie ausgiebig ihr grauweiß gestromtes Fell, das sich wie feingesponnene Seide um ihren mageren Körper schloß. Ihr Schwänzchen war halb so dünn wie sein kleiner Finger und als sie ihr Fell sträubte, weil der Gasthofhund bedrohlich in ihre Nähe kam, um ebenfalls ein paar Happen zu erhaschen, standen die zarten Haare in alle Himmelsrichtungen von ihrem Körper ab; mehr eine symbolische Geste als ein bedrohlicher Anblick. Bert mußte lachen über diesen tapferen Zwerg, nahm sie aber vorsichtshalber auf seinen Schoß, um Schlimmeres zu verhüten. Der Hund verzog sich und sie rollte sich zufrieden auf seinem Schoß zusammen, putzte sich noch ein wenig ihr Fell und machte dann ein kleines Nickerchen.
Damit war ihre Freundschaft besiegelt. Er hatte seine Hände auf ihren kleinen warmen Körper gelegt und spürte unter seinen Fingern das leichte Vibrieren, das ihm ihr Schnurren und Wohlbehagen anzeigte.
Nach einer Weile erhob sie sich, machte einen Buckel, streckte die Hinterbeine und gähnte herzhaft, wobei sie ihre schmale rosarote Zunge, vorne leicht eingerollt, und kleine spitze Zähne zeigte. Dann sprang sie leichtfüßig von seinem Schoß und verschwand grußlos auf der gegenüberliegenden Straßenseite im hohen Gras.
Am nächsten Tag war eine Führung auf der Ausgrabungsstätte Troja vorgesehen. Diese befand sich in der Nähe des Gasthauses, in dem er tags zuvor im Garten gegessen hatte. Die Führung interessierte Bert wenig. Er konnte keine Beziehung herstellen zwischen den heutigen Steinfragmenten und der ehemaligen stolzen Trutzburg Troja, die zehn Jahre lang den von See heranstürmenden Griechen widerstanden hatte und nur durch einen hinterhältigen Trick zu Fall gebracht worden war.
Weit und breit war keine Meeresbucht mehr zu sehen, in der Agamemnon und seine Krieger geankert hatten, kein grünschäumender Skamander, an dessen Ufern einst die Mägde Hekabes das Linnen wuschen und bleichten. Keine saftigen Wiesen an den Hängen des Ida, auf denen Paris die heiligen Herden des Priamos gehütet hatte, und wo ihm die stutenbissigen Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera erschienen waren und ihm schmeichelnd das Blaue vom Himmel versprochen hatten, wenn er die, die seinem Ohr gerade am nächsten war, zur Schönsten und damit zur Miß Olympia küren würde.
Aphrodite wollte ihm zum Lohn die schönste sterbliche Frau der Welt in die Arme legen, wenn Paris ihr den Preis zuerkannte. Und da er ein junger Heißsporn war, begierig auf Liebesabenteuer, und ihm Weisheit und Macht, die ihm die beiden anderen eitlen Weiber versprochen hatten, völlig schnurzpiepe waren, warf er Aphrodite den Apfel zu und machte sich damit die abgeblitzten Göttinnen zu unversöhnlichen Feindinnen und setzte in seiner Torheit ahnungslos ein Schicksal in Gang, das ihn, seine Familie und ganz Troja vernichten sollte. Cherchez la femme!
Ein paar verstreut herumliegende Gesteinsbrocken und ein nachgebautes überlebensgroßes Holzpferd versuchten ziemlich kläglich, Zeugnis von der dramatischen Vergangenheit abzulegen.
Unvorstellbar, daß Hektor hier von dem wutschnaubenden Achill hinter dessen Streitwagen zu Tode geschleift wurde, bis auch der angeblich unverwundbare Achilles seiner Ferse zum Opfer fiel. Der hölzerne Zossen zwischen den Gesteinsbrocken konnte der Phantasie da auch nicht mehr aufhelfen. Die Bucht war verlandet. Das Meer hatte sich weit zurückgezogen. Troja lag jetzt im Landesinneren und in Trümmern.
Auch hatte Bert so seine Zweifel, daß der gehörnte Menelaos nur deshalb vor den Toren Trojas herumgetobt war, um seine ungetreue Gattin Helena in’s eheliche Bett zurückzuschleifen; da waren wohl eher die gepfefferten Zölle der hochnäsigen Trojaner der Grund, die diese den handeltreibenden Griechen abpreßten, wenn sie mit ihren Schiffen in’s Schwarze Meer oder zurück wollten. Bert konnte sich auch nicht vorstellen, daß Agamemnon seine Tochter Iphigenie dem Gott des Windes für eine frische Brise opferte und sie damit dem Tod überantwortete, nur um seine ehrvergessene Schwägerin wieder auf den Pfad der Tugend zurückzuholen. Und dieser ganze Troß von Aasgeiern in seinem Schlepptau, von Achilles bis Odysseus, hatte doch wohl auch nur eines im Schädel, das sie zehn Jahre vor Troja ausharren ließ, nämlich den gierigen Gedanken an unermeßliche Beute, Gold und willige Sklavinnen.
Die schöne Helena hatte ihnen lediglich einen willkommenen Anlaß geliefert, endlich mit diesen aristokratischen Pfeffersäcken in Troja einmal ordentlich Schlitten zu fahren und ihnen zu zeigen, wer der wahre Herr zwischen Ägäis und Schwarzem Meer ist.
Andererseits reagierten die Männer aber auch äußerst empfindlich, wenn ihnen die teure Gattin Hörner aufsetzte. Das schreit nach Rache und Vergeltung. Den vermutlich schmerbäuchigen und kahlköpfigen Menelaos mag es um so ärger getroffen haben, daß seine von den Göttern höchstpersönlich zur schönsten Frau der Antike gekürte Helena ausgerechnet mit diesem Rotzlöffel Paris, diesem hergelaufenen Milchbubi aus Troja, der den Weibern mit seinen sanften Kuhaugen, pomadigen Schmachtlocken und schmalzigen Gesängen reihenweise die Köpfe verdrehte, durchgebrannt war.
Der konnte ihm doch nicht das Wasser reichen. Den würde er von der Platte putzen. Diesem schnöseligen Schönling würde er schon zeigen, wer hier der Herr im Hause ist.
Kommt scheinheilig daher und sucht angeblich nach seiner Tante, die bei einem der früheren Raubzüge der Griechen mitgeschleppt worden war, weil man ihren Bruder Priamos nicht erwischt hatte und dann läßt er die liebe Tante Tante sein und haut mit Helena ab, daß die Hacken nur so qualmen.
Das hat man nun davon, wenn man als Ehemann arglos auf Geschäftsreise geht, die schöne Gattin in der Obhut eines jungen und charmanten Gastes zurückläßt und auf die Unantastbarkeit der Gastfreundschaft vertraut.
Um das Gesicht zu wahren, wurde dann behauptet, Paris habe Helena gewaltsam entführt. Daran hat natürlich kein Mensch geglaubt, der die schmachtenden Blicke und geheimen Zeichen zwischen den beiden Liebenden aufgefangen hatte.
Paris jedenfalls hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen wegen dieses Ehebruchs, denn schließlich hatte Aphrodite ihm die schönste Frau der Welt versprochen, wenn er ihr helfen würde, Athene und Hera auszutricksen. Was konnte er dafür, daß sein Preis schon mit dem alten Trottel Menelaos verheiratet war. Die Göttin hatte es schließlich so beschlossen. Äh Basta!
Und Helena hatte natürlich auch keine Gewissensbisse. Stand sie doch noch mit einem Fuß in der Tradition des Matriarchats, das es ihr als herrschender Fürstin von Sparta noch vor gar nicht langer Zeit erlaubt hätte, sich ihre Gatten oder Liebhaber selbst zu wählen und wieder abzuservieren, ganz nach Laune. Doch mit dieser schönen, wie praktischen Sitte, vor allem wegen der Kinder, die, egal, von welchen Vätern sie abstammten, immer nur die mütterliche Linie repräsentierten und beerbten, hatten die Männer nun ein für alle Mal aufgeräumt.
Der letzten noch matriarchalisch herrschenden Amazonenkönigin Penthesilea hatte Achill auf dem Schlachtfeld vor Troja den Garaus gemacht. Jetzt herrschte das Patriarchat und das setzte unbedingte eheliche Treue voraus, damit die Herren der Schöpfung auch sicher sein konnten, daß ihre eigene Brut ihnen auf den Thron folgte und nicht wohlmöglich irgend so ein Kuckucksei von irgend so einem hergelaufenen Lümmel. Diese Angst der sich meistens auf den diversen Schlachtfeldern herumtreibenden Herren trieb denn auch bunte Blüten bis hin zum Keuschheitsgürtel in späteren Zeiten.


Bert ging ein Vers aus der Ilias durch den Kopf.

"Und Hektor floh dem mut'gen Renner und also kreiseten sie dreimal um Priamos Feste und alle Götter schaueten zu."
(Ceram: Gräber, Götter und Gelehrte).

Homer war also davon ausgegangen, daß Hektor und Achilles mit ihren Streitwagen rund um die Festung Troja herumgedonnert waren.
Bert glaubte das nicht. Denn wenn die Griechen die Festung problemlos hätten umzingeln können, hätten sie doch sämtliche Nachschublöcher zustopfen, die Trojaner mit Mann und Maus aushungern und damit den Krieg in kürzester Zeit für sich entscheiden können. Die Trojaner hatten schließlich zehn Jahre lang ihren Nachschub aus dem Hinterland bezogen.
Na ja, wahrscheinlich ging es hier mehr um die Schönheit der Verse.
Es wäre auch interessant zu wissen, wie die Griechen ihrerseits zehn Jahre lang die Versorgung ihres riesigen Heerlagers sichergestellt hatten. Ihre Campingausrüstung hatten sie ja wohl von zu Hause mitgebracht, aber für das leibliche Wohl mußten sie dann doch allwöchentlich ein paar Beiboote klarmachen, um in einem Supermarkt auf neutralem Boden das Nötigste für Leib und Seele zu requirieren, denn die Trojaner werden ihnen wohl kaum die knusprigen Frühstücksbrötchen von der Burgzinne herabgeworfen haben.
Es soll ja auch damals schon den einträglichen Beruf des Kriegsgewinnlers gegeben haben, wo gewiefte Spitzbuben sich in den wohlgefüllten Vorratskammern des Priamos bedient und ihr Diebesgut zu Wucherpreisen an die Griechen verhökert hatten. Es blühte ein einträglicher Schwarzmarkthandel auf der Ebene unterhalb der Mauern von Troja, wo ein buntes Treiben herrschte, wenn nicht gerade Kampftag war.
Da wechselten junge knackige Sklavinnen ihre Besitzer und weiche Teppiche, damit das Feldlager nicht gar zu hart war und natürlich floß der Schnaps in Strömen.
Es ging gemütlich zu in den Kampfpausen fernab der Heimat, der ehelichen Pflichten und der meistens nörgelnden Eheweibern. Die Helden waren vom Blut- und Schnapsrausch ständig benebelt, hatten in jedem Arm eine willige Sklavin, die keine Ansprüche stellte und nicht meckerte. Herz, was willst du mehr.
Gerade hatten sie ein fürchterliches Siegesbesäufnis veranstaltet, denn der tollkühne Achilles hatte den alten Haudegen Hektor in den Hades befördert. Dessen Leichnam hatte Achill vor den Augen der entsetzten Familie, die es sich nicht hatte nehmen lassen, den Kämpfen von der Burgzinne aus zuzusehen, im Triumph hinter seinem Streitwagen hergeschleift und eine dreifache Ehrenrunde um den Kampfplatz gedreht, während seine Kampf- und Saufgenossen begeistert ihre Pfeile in den Himmel schossen und “für Zeus und Achilleus” johlten.
Und dann erst der Bittgang des gramgebeugten Priamos, der mit seiner Tochter Kassandra im Lager des Agamemnon erschien, um den geschändeten Leichnam seines Sohnes gegen viel Geld auszulösen und zur würdigen Bestattung heimzuholen.
Das gab doch der ganzen Sache erst den richtigen Kick. Ein König, der sich im Staub windet und stundenlang in der Gluthitze darauf wartet, daß man ihn endlich vorläßt und seiner Bitte gnädigst stattgibt. Da fühlte sich noch selbst der popeligste Sandalenflicker über den König erhoben.
Außerdem hatte Hektor sein Schicksal selbst besiegelt. Hätte er nicht den Waffengefährten und Busenfreund des Achill, den Patroklos getötet, hätte Achill sich wahrscheinlich nicht wie eine rächende Furie auf ihn gestürzt. Denn Achill saß bis dato schmollend und tatenlos in seinem Zelt, weil Agamemnon ihm seine bildschöne Lieblingssklavin Briseis ausgespannt und ihm dafür einen Ersatz zugeschustert hatte, der vielleicht gerade noch gut genug war, sein Bett vorzuwärmen, mit dem er es aber auf keinen Fall zu teilen gedachte.
Die Trojaner lachten sich kaputt über den liebeskranken Achilles und freuten sich, daß einer ihrer stärksten und wegen seiner Unverwundbarkeit gefürchtesten Gegner von seiner Libido mattgesetzt war.
Doch ihre Freude war nicht von langer Dauer. Patroklos, der seinen Freund nicht aufrütteln konnte, zog schließlich dessen Rüstung an und ging als Achilles verkleidet auf’s Schlachtfeld, wo ihn Hektor tödlich niederstreckte im irrtümlichen Glauben, Achill erwischt zu haben.
Nun verging den Trojanern das Grinsen, denn Achilles war rasend in seinem Schmerz und Zorn. Er nahm sich gerade noch Zeit, seinen Freund Patroklos würdig zu bestatten und seinen Leichnam dem Feuer zu übergeben, bevor er sich wutentbrannt auf Hektor stürzte, um blutige Rache zu nehmen. Cherchez la femme!

"Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus, ihn, der entbrannt, den Achaiern unnennbaren Jammer erregte und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Ais sendete, aber sie selbst darstellte den Hunden und dem Gevögel umher. So ward Zeus' Wille vollendet"!

So beginnt die Ilias, das berühmte Epos Homers, das 51 Tage im 10. Jahr des Trojanischen Krieges besingt.


Bert setzte sich auf einen bequemen Stein und ließ die Wissensdurstigen mit ihrem Fremdenführer weiter wandern. In seiner Blickrichtung befand sich eine Art steinerne Abflußrinne, die in Sitzhöhe einen bankartigen Abschluß hatte mit Öffnungen nach unten. Der Fremdenführer hatte ihnen erklärt, daß es sich um die Aborte der Trojaner gehandelt habe. Durch die Abflußrinne floß ständig Wasser und führte das weniger Edle der edlen Trojaner in’s Meer.
Amüsiert stellte Bert sich vor, wie Hektor, Aeneas, Paris und Troilos in trauter Gemeinsamkeit beieinander saßen, sich hinterwärts erleichternd Zoten und Witze erzählten, wie zum Beispiel Paris das Weichei Menelaos über den Kampfplatz zu seinen Schiffen zurückgescheucht hatte, so daß dieser zu der Schmach der Hörner, die Paris ihm verpaßt hatte, auch noch die Schande der Niederlage auf dem Schlachtfeld ertragen mußte.
Das Gerangel dauerte zwar schon zehn Jahre und im Moment hatten sie mal wieder ein Patt, da sie aber immer noch ausreichend aus dem Hinterland mit allem Nötigen versorgt wurden, fühlten sich die Herren auf dem Abtritt ziemlich sicher trotz der ewigen Unkerei ihrer teuren Schwester Kassandra. Schließlich hatten die Weiber grundsätzlich keine Ahnung und schon gar nicht vom edlen Kriegshandwerk. Sie fanden das ewige hysterische Geschrei ihrer Schwester vom nahen Untergang mit Feuer und Schwert höchstens lästig, aber keinesfalls beachtenswert.
Als Kassandras Prophezeiungen sich dann mit der vollen Wucht des unbarmherzig zuschlagenden Schicksals erfüllten, hatte keiner mehr Zeit, sich bei ihr zu entschuldigen, da sie sich inzwischen unfreiwillig in den Hades verabschiedet hatten bis auf ihren Schwager Aeneas, der nach dem Motto, man weiß ja nie, ob nicht doch was Wahres dran ist, vorsorglich seine Frau Kreusa mit ihrem gemeinsamen Sohn schon vor Monaten aus der Stadt hatte bringen und sich auch nicht von dem riesigen Holzpferd vor den Toren Trojas hatte beeindrucken lassen.
Er war daher in der Nacht des urbanen Siegesbesäufnisses der Trojaner, die irrtümlich glaubten, die Griechen hätten sich auf ihren Schiffen unter Hinterlassung des monströsen Gastgeschenkes von einem hölzernen Gaul aus dem Staub gemacht, auf der Hut. Und als die Griechen bis an die Zähne bewaffnet aus ihrem riesigen Zossen schlüpften, den die bekloppten Trojaner auch noch eigenhändig im Schweiße ihres Angesichts in die Stadt gezerrt hatten, unbemerkt die Tore der Stadt öffneten und ihr blutiges und brennendes Inferno begannen, schlüpfte Aeneas einsehend, daß hier nichts mehr zu retten war, seinen blinden Vater Anchises schulternd, mit seinen Getreuen durch ein kleines von den Griechen noch nicht entdecktes Stadttor, das in das Hinterland führte, und entschwand in Richtung Italien, wo er nach jahrelangen Irrfahrten auftauchte, um auf Geheiß der Götter das Reich der Etrusker zu gründen.
Beinahe wäre er ja schon in Karthago bei der schönen Königin Dido hängen geblieben, aber die Götter hatten etwas gegen diese Liebe und scheuchten Aeneas und die Seinen weiter über die unwirtlichen Meere, bis er endlich nach der Durchfahrt der Meerenge von Messina zwischen den teuflischen Ungeheuern Skylla und Charibdis als letzte Prüfung am Stiefel von Italien landete, wo er Latium gründete.
Dido nahm sich vor Kummer das Leben, in dem sie sich eine Giftschlange zur Brust nahm.

Aber den Siegern über Troja ging es auch nicht viel besser. Odysseus irrte schließlich zwanzig Jahre auf dem Mittelmeer herum, bis er endlich seinen Fuß wieder auf Ithaka setzen und die unliebsamen Freier seiner treuen Strohwitwe Penelope verscheuchen konnte. Diese war inzwischen gezwungenermaßen Weltmeisterin im Beruf des Teppich knüpfens und wieder aufdröselns ge- worden, weil sie die ständig um sie herumscharwenzelnden und sich als potentielle Nachfolger des angeblich abgesoffenen Odysseus anbiedernden jungen Schnösel in Schach halten mußte mit dem Versprechen, einen von ihnen als Odysseus Nachfolger auszuwählen, sobald sie die Matte für das neue Ehebett fertig hätte.
Jedem seine Penelope! Das hätte sich wohl jeder Grieche zu gerne auf sein Banner geschrieben. Aber es gab ja auch noch die anderen, die ihre Zeit nicht mit Teppich knüpfen vertrödelten, sondern die Abwesenheit ihrer Eheknochen dazu benutzt hatten, sich anderweitig zu orientieren, wie zum Beispiel Klytämnestra, die mit ihrem Vetter Ägisth ein Bratkartoffelverhältnis eingegangen war, Regierung und Bett mit ihm teilte, drei Kinder von ihm bekam und schon fleißig die Messer wetzte, als sie hörte, daß der teure Gatte Agamemnon im Anmarsch war. Mit dem hatte sie nämlich noch eine Rechnung offen wegen ihrer vom Winde verwehten Tochter Iphigenie und überhaupt war der Kerl ja auch kein Kind von Traurigkeit, wie man ihr zugetragen hatte. Schließlich befand sich in seiner Begleitung die trojanische Prinzessin Kassandra als Beutegut - man gönnt sich ja sonst nichts -, die kurz vor ihrer Ankunft in Mykene noch einen Sohn geboren hatte, woraus zu schließen war, daß auch Agamemnon mehr als neun Monate von einem wütenden Windsgott über die Meere gescheucht worden war, bis er endlich heimatlichen Boden betreten durfte.
Aber vielleicht war er ja auch absichtlich von Hafen zu Hafen getrödelt, um seiner zürnenden Gemahlin noch nicht unter die Augen treten zu müssen.
Kriegshelden pflegen am häuslichen Herd schnell ihren Glanz zu verlieren, wenn der nüchterne Alltag sie erst einmal wieder eingeholt hat.
Ob Agamemnon der Kindesvater von Kassandras Sohn war, war auch nicht sicher, denn vor ihm war schon Ajax, ‘der weiße Wirbelwind’, in der Nacht der langen Messer im Siegesrausch über Kassandra hergefallen und hatte sie unter dem Standbild der Göttin Athene vergewaltigt, an deren Füße Kassandra sich verzweifelt und hilfesuchend geklammert hatte.
Die Göttin soll über diese Schandtat empört ihre Augen gen Himmel verdreht und Ajax in ihrem Zorn vernichtet haben. Dies hatte sie vermutlich aber nicht aus Abscheu über die Vergewaltigung selbst getan, sondern eher darüber, daß dieser Frevel vor ihren göttlichen Augen stattgefunden hatte. Das hätte er doch wenigstens etwas diskreter tun können. Sie war not amused. Einfach geschmacklos!
Agamemnon hatte dann den wilden Ajax schon vor der Göttin Athene halbtot geprügelt, als er ihn auf Kassandra erwischte, denn schließlich war Kassandra ihm als Sklavin zugesprochen worden, was hieß: ‘Dem Herrn dienen und vor allem seinen Beischlaf erdulden.’ Und dabei duldete Agamemnon wiederum keine Mitschläfer.
Die Auswahl unter den Damen der High Society war sowieso nicht mehr besonders groß. Die bereits in Ehren ergraute Königin Hekabe hatte man dem ollen Odysseus zugeschustert. Der konnte schließlich bei seiner ehrpusseligen Penelope nicht mit einer aufgedonnerten und knackigen Sklavin in ihrer Jugend Maienblüte aufkreuzen, ohne ein Eifersuchtsdrama heraufzubeschwören.
Die einzige für Agamemnon noch akzeptable Dame der Hocharistokratie wäre Andromache, die Witwe des tapferen Hektor, und neben Penelope die zweite Säule weiblicher Tugenden, gewesen. Aber auf sie hatte schon der Sohn des Achilleus ein Auge geworfen, sozusagen als Erbmasse. Schließlich hatte Achilleus seinen Widersacher Hektor in den Hades geschickt und damit einen Anspruch auf dessen Witwe erworben, wenn er diesen Krieg denn überlebt hätte.
So blieb für Agamemnon nur noch Kassandra als lebende Kriegsbeute übrig, egal wie lädiert sie bereits war, wollte er sich nicht unter sein gesellschaftliches Niveau begeben. Die Sache mit Ajax war ein Schönheitsfehler, der im allgemeinen Siegesrausch unterging. Schließlich war Kassandra nur eine Sklavin und Agamemnon holte sich ebenfalls ohne zu fragen seinen Teil.
Auf der Heimreise hatte Kassandra sich dann an Agamemnon auf subtile Weise gerächt, indem sie ihm mit ihren blutrünstigen Prophezeiungen von seinem baldigen Ende kräftig einheizte, falls er es wagen würde, seine Burg in Mykene zu betreten.
"Weibergewäsch" grummelte Agamemnon, wenn auch ein wenig unsicher, denn seine Tochter Iphigenie lag ihm doch schwer im Magen, da Klytemnästra ihm dieses in seinen Augen notwendige Opfer sicher nicht verziehen hatte.
Daß die tot geglaubte Tochter als glückliche Hirschkuh auf den Weiden von Aulis graste und dann von der Göttin Artemis nach Tauris entrückt worden war, um ihr als Priesterin zu dienen, wußten weder Agamemnon noch ihre auf Rache sinnende Mutter, die ihren Zorn zehn Jahre lang auf kleiner Flamme hatte köcheln lassen. Und daß der Erfolg die Mittel heiligt, damit brauchte er ihr gar nicht erst zu kommen. Klytemnästra würde ihm sofort mit dem Nudelholz die kostbaren Brustplatten glatt walzen.
So schritt denn der große Feldherr Agamemnon mit ziemlich gemischten Gefühlen auf das Tor von Mykene zu, wo seine Gemahlin Klytemnästra mit ihren Hofschranzen bereit stand, den Sieger von Troja würdig zu empfangen.
Doppelzüngig erklärte sie ihm mit süßen Worten, daß zu seinem Empfang ein Fest bereitet sei und er möge doch zuvor ein Bad nehmen, um den Reisestaub von seinen Sandalen zu schütteln wohl wissend, daß ihr Bratkartoffelverhälnis Ägisth bereits mit dem Messer hinter dem Duschvorhang lauerte.
(Hätte Agamemnon den Film ‘Psycho’ gesehen, wäre ihm dieser faux pas wohl nicht passiert.)
Blöd, wie er war, latschte er daher ahnungslos in sein Verderben. Er freute sich auf ein warmes Bad und verschob die unausweichliche eheliche Auseinandersetzung, typisch Mann, auf später. Nach einem feuchtfröhlichen Gelage mit etlichen Humpen Bier und Met würde sich alles von selber regeln, dachte er.
Und Klytemnästra verkündete nach vollbrachter Tat: Der teure Agamemnon, Sieger von Troja, sei im Bad auf einem Stück Seife ausgerutscht und habe sich das Genick gebrochen.
"So rächen die Götter Iphigenie", setzte sie noch schlau hinzu, denn wen die Götter strafen, den kann der Mensch nicht mehr retten. Und keiner würde es jetzt noch wagen, Klytämnestra des Gattenmordes zu bezichtigen.
Allerdings hatte sie die Rechnung ohne Elektra gemacht, die ihre pubertären Schwierigkeiten damit kompensierte, daß sie ihren fernen Vater, je länger er fort war, auf ein immer höheres Piedestal stellte und ihn in schwärmerischer Liebe zum moralisch unantastbaren Idol erhob, und ihrer ehebrecherischen Mutter nebst Onkel Ägisth die Pest an den Hals wünschte und drohte, sie würde es Papa schon flüstern, was sich in seiner Abwesenheit in der ehelichen Kemenate und anderswo abgespielt hatte.
Dazu war sie nun nicht mehr gekommen und ihr Haß und Schmerz darüber, daß sie ihren Vater, kaum, daß er wohlbehalten an den heimatlichen Gestaden gelandet war, sie ihn auch schon wieder verloren hatte, wuchs in’s Unermeßliche.
Sie beharkte ihren labilen Bruder Orest so lange, bis sie ihn endlich weich geklopft hatte und er nun eigentlich gegen seinen Willen seinen verhaßten Vater Agamemnon rächte, indem er Onkel Ägisth und seine über alles geliebte Mutter ins Jenseits beförderte, worauf er in tiefe Depressionen verfiel, weil ihn die Erinnyen im Würgegriff hatten.
Aber schließlich bestieg er den Löwenthron und wurde Herr über Mykene. Das tröstet über so manches hinweg. Und Elektra, die Gute, leckte sich zufrieden die Lippen und mußte doch enttäuscht feststellen, daß genossene Rache auch nur einen schalen Nachgeschmack zurück- läßt. Und dann verschwand sie für immer und spurlos in der Versenkung der Geschichte.
Aber soweit waren wir ja noch nicht, denn Kassandra stand immer noch voll düsterer Ahnungen im ersten Streitwagen vor dem mächtigen Tor und wartete auf ein Zeichen ihres Gebieters.
Als sich dann aber Unruhe unter den Gefährten Agamemnons breit machte, klemmte Kassandra sich kurz entschlossen ihren Sohn unter den Arm, raffte mit der anderen Hand das restliche Familiensilber zusammen, das Agamemnon in Troja hatte mitgehen lassen, und schlug sich mit ihrer Dienerin seitwärts in die Büsche.
Ein bezahlter Grenzgänger brachte sie über die grüne Grenze und dann nahmen sie mal ein Schiff, mal einen Esel und mal gingen sie per Pedes immer nach Osten, bis sie nach fast zwei Jahren bei Kassandras Tante, der Königin Imandra und Mutter von Andromache, Hektors Witwe, in Kolchis am Schwarzen Meer eintrafen.

Von ihrer Tante erfuhr Kassandra dann, daß Odysseus seit drei Jahren verschollen war, ihre Mutter Hekabe aber bereits vor Auslaufen seines Schiffes an gebrochenem Herzen gestorben sei.
Kassandra konnte jetzt endlich mit ihrer Tante um ihre Familie trauern, die in der Mordbrennernacht von Troja ein so grausames Ende gefunden hatte.
Am Schlimmsten hatte der Sohn des Achilleus gewütet. Er hatte der schönen Polyxena, Kassandras jüngerer Schwester, die Kehle durchgeschnitten, weil sie seinen Vater mit eindeutigen Angeboten in eine Falle gelockt hatte, damit Paris ihn dann mit einem vergifteten Pfeil in den Hades befördern konnte, den er ihm in die verwundbare Achillesferse geschossen hatte.
Kurz zuvor aber hatte Achilles den jüngsten Sohn des Priamos, den liebenswerten Troilos, vor den Augen seiner Schwester Polyxena im Apollontempel besonders grausam getötet.
Diese Untat schrie nach Rache und die schöne Polyxena wurde dazu verdonnert, Achilles mit ihren Reizen zu ködern, um den liebestollen Hengst in das Visier des Paris zu bugsieren, wofür der Sohn des nunmehr mausetoten Achilleus natürlich kein Verständnis aufbringen konnte.
Er erschlug dann noch den alten König Priamos und schleuderte Astyanax, den kleinen Sohn Hektors, von der Stadtmauer und erkor sich dessen Mutter Andromache zur Lieblingssklavin, die er mit in seine Heimat nahm. Eine Lieblingssklavin als Kriegstrophäe schätzte wiederum seine Verlobte, die wunderschöne Hermione und Tochter der ebenso schönen Helena, überhaupt nicht. Sie hetzte wutentbrannt die Einwohner von Delphi gegen ihn auf und ließ ihn steinigen.
Offenbar war den Siegern von Troja das Glück genauso wenig hold, wie den Besiegten.
Lediglich Menelaos, der alte Zausel, schaffte es, den Sieg unbeschadet zu überstehen.
Als er in Troja endlich seine Frau fand, war Deiphobos bei ihr, ein Bruder des Paris, der nach Paris' Tod die Heirat mit Helena erzwungen hatte. Schließlich gierte er schon lange danach, in die Fußstapfen und das Ehebett seines berühmten Bruders zu steigen.
Nun traf ihn stellvertretend für Paris die jahrelang aufgestaute Wut des Menelaos, der Deiphobos genüßlich in seine Einzelteile zerlegte, bis nur noch der Rumpf übrig blieb, und der ihm dann zum krönenden Abschluß noch die Nase abschlug. Hätte er dieselbe doch nur nicht in Dinge gesteckt, die ihn nichts angingen. Nun konnte er Paris im Hades Gesellschaft leisten.
In seinem Blutrausch wollte Menelaos sich dann auch noch auf Helena stürzen. Doch die öffnete völlig ungerührt ihr Mieder und zeigte Menelaos ihren immer noch makellosen Busen, so daß ihm das Schwert aus der Hand und das Herz in die Hose rutschte und der alte Trottel wieder ihrer Schönheit erlag. Ein typischer Fall von Hörigkeit. Er bedeckte mit seinem Mantel ihre Blöße, sah sie mit treuherzigen Dackelaugen an und sagte: "Kommt Herrin, das Frühstück wartet auf Euch!" Und sie stieg vorsichtig über Deiphobos' Torso hinweg, um sich nicht ihr teures Modellkleid zu besudeln und kehrte in das kalte eheliche Bett zurück, als sei nichts geschehen.
Oh Helena, oh Helena, was hast du nur angerichtet.
Oder hast du geahnt, daß du nur Mittel zum Zweck warst? Der Joker im Spiel um Macht und Geld?
Paris hatte das Gemetzel um Troja schon nicht mehr erlebt, denn er weilte bereits im Hades. Ein Giftpfeil hatte seinen Arm gestreift und das Gift hatte seinen schönen Körper unaufhaltsam verwüstet und in eine bestialisch stinkende Masse verwandelt.
Oinone, seine erste Gemahlin, hätte ihn retten können, aber sie lehnte beleidigt ab, denn sie nahm immer noch übel, daß Paris aus ihrem warmen Bett in die weichen zärtlichen Arme einer älteren, wenn auch angeblich schöneren Frau geflattert war und sie wußte natürlich genau, hätte sie ihm geholfen, wäre er nach seiner Genesung mit charmantem Lächeln, Kußhändchen und der Bitte, "laß uns Freunde bleiben", wieder zu der alten Schlampe zurückgeeilt.
So nahm denn das Schicksal seinen Lauf. Paris konnte sich selbst nicht mehr riechen, verbot seiner Gattin, seine Gemächer zu betreten und diktierte seinem Sekretär, der sich mit der freien Hand mit einem in Rosenwasser getränkten Tuch die Nase zuhielt, seine Memoiren, um sich vor der Nachwelt zu rechtfertigen.
Nach seinem Ableben wurde er in ziemlicher Hast verbrannt und ein Kammerjäger bestellt, um seine Gemächer auszuräuchern. Sein Sekretär machte bald darauf auch seinen Abgang und konnte Paris' Memoiren erst nach etlichen Seelenwanderungen tausende Jahre später als Rudolf Hagelstange unter dem Titel ‘Spielball der Götter, Aufzeichnungen eines trojanischen Prinzen’, der Nachwelt übermitteln.

Und die gelangweilten Götter, die diesen ganzen Schlamassel mit einem Fingerschnippsen angerichtet hatten, saßen auf dem Olymp bei Nektar und Ambrosia und grübelten darüber nach, welche neuen Streiche sie zu ihrer Unterhaltung nun wieder aushecken könnten.
Troja war total zerstört, ein Trümmerhaufen, auf dem das Feuer sich noch seine letzten Opfer suchte. Was soll's! Schwamm drüber!
Man würde demnächst einen Dichter, namens Homer, auf die Erde senden, damit er zur Erbauung der Götter und der Menschen den trojanischen Krieg in wohlgesetzten Worten besang, und noch eine gute Weile später einen Verrückten hinterher schicken, namens Heinrich Schliemann, der dann mit Homers ‘Illias’ unter dem Arm sich daran machen würde, wider alle Vernunft und gegen das hämische Grinsen der Fachwelt Troja wieder auszubuddeln und den unvergleichlichen Schatz des Priamos zutage zu fördern, den die beutegeilen Achaier seinerzeit nicht gefunden hatten, weshalb diese vermutlich noch heute in ihren Gräbern rotierten.
(Inzwischen behauptet die Fachwelt, daß es sich bei dem von Schliemann gefundenen Geschmeide nicht um die Preziosen der Königin Hekabe und ihrer Hofdamen handeln kann und damit auch nicht um die Burg des Priamos, aber was kratzt es den toten Schliemann, wenn sich ein paar Besserwisser an ihm wetzen. Er sitzt längst mit Priamos und Gefolge auf dem Olymp bei Met und Ambrosia und drischt Skat, mit dem er die gelangweilten Götter unterhält.)
Und man würde bildungshungrige Touristen an den Bosporus locken, damit sie hinter ihrem Fremdenführer herhechelten, zwischen geschichtsträchtigen Steinen herumstolperten, um den Schauplatz der Tragödie um eine schöne leichtsinnige Frau und einen sinnlosen Krieg zu besichtgen, einen überlebensgroßen, ständig erneuerten hölzernen Zossen zu bestaunen und vor allem ihr Geld im Lande zu lassen, so daß die Götter letztendlich doch noch etwas Gutes der staunenden Nachwelt hinterlassen hatten. Die seinerzeit von den Trojanern so ungeniert erhobenen Zölle, die ja die eigentliche Ursache des Krieges gewesen waren, flossen nunmehr reichlich als Devisen ins Land und keiner regte sich mehr darüber auf.

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Bert wurde aus seinen Träumen gerissen, denn plötzlich tauchte im Gras vor ihm seine kleine Freundin wieder auf. Sie sprang ihm auf den Schoß, als sei er ein alter Bekannter, putzte sich und legte sich dann zu einem Schläfchen zurecht.
Er bemerkte, daß ihre Augen etwas entzündet und verkrustet waren und versuchte behutsam, ihre Augenwinkel zu säubern, was sie sich geduldig gefallen ließ. Er schob sie unter seinen ärmellosen Lederblouson, ließ Geschichte Geschichte sein und ging mit ihr in das Gasthaus, in dem er sie tags zuvor zum ersten Mal gesehen hatte.
Bert setzte sich unter einen schattigen Baum und be- stellte Fisch und Kaffee mit Milch.
Der größte Teil von dem gebratenen Fisch verschwand in ihrem kleinen rosigen Mäulchen und als Nachtisch bekam sie die Milch, die sie elegant von der Untertasse schleckte.
Als sie sich gesättigt von dannen trollte, nicht ohne ihm zuvor als Dankeschön flüchtig über die Finger zu lecken, war er ihr bereits rettungslos verfallen und er spielte schon in Gedanken die verschiedensten Möglichkeiten durch, wie er seine kleine Prinzessin nach Deutschland bringen könnte, denn für eine offizielle Ausreise mit den nötigen Papieren eines Tierarztes war keine Zeit mehr, da bereits am nächsten Tag die Rückreise nach Deutschland angetreten werden sollte.
Zunächst machte er sich den Fahrer des Reisebusses mit einem großzügigen Trinkgeld gewogen, damit dieser seinen blinden Passagier freundlicherweise übersehen würde, was der augenzwinkernd versprach.
Dann präparierte er seine Umhängetasche. Die Waschutensilien flogen raus und ein nach oben offener mit einem Handtuch ausgepolsteter kleiner Karton kam hinein. So ausgerüstet ging er kurz vor der Abreise nochmals zum Gasthaus und als er sie dort nicht entdeckte, ging er über die Straße zu seinem Stein, wo er sie am Vortage getroffen hatte, rief leise “Muschmusch” und dachte, sie würde reisefertig angetänzelt kommen. Aber, wie das bei Damen so ist, sie ließ sich Zeit mit ihrer Toilette. Sie hatte ihn wohlmöglich schon eine ganze Weile amüsiert beobachtet, wie er da, unverständliche Lockrufe ausstoßend, zwischen den Steinen herumstolzierte, denn gerade in dem Moment, als er schon enttäuscht wieder gehen wollte, sprang sie auf ihn zu und begrüßte ihn, indem sie sich an seinem Hosenbein rieb und schnurrte.
Erfreut nahm er sie auf den Arm, wischte ihr die Augen sauber und spielte mit ihr, wobei er ihr erzählte, daß sie nun mit ihm nach Deutschland reisen würde in ein schönes Heim mit einem wunderschönen Garten und wo zwei liebe Katzen als Spielkameraden auf sie warten würden.
Sie würde nie mehr bei hochnäsigen Touristen um ein paar Brosamen betteln und diese dann auch noch gegen räudige halbverhungerte Hofhunde verteidigen müssen. Und kein schlechtgelaunter Kellner würde ihr einen Fußtritt versetzen, wenn sie ihm zu nahe käme.
Für den Fall aber, daß sie die in Aussicht gestellten Wohltaten gar nicht zu schätzen wußte und lieber die harte aber ungemein verlockende Freiheit vorzog und sich auf und davon machen wollte, schob er sie in seine Umhängetasche, in der schon ein paar Käsebröckchen bereit lagen, zog den Reißverschluß so weit zu, daß er noch mit seiner Hand hineinfassen und sie streicheln konnte, um sie zu beruhigen. Das war aber gar nicht nötig, denn dieser Winzling hatte offenbar begriffen, daß es da jemand sehr gut mit ihm meinte und war wild entschlossen, mit seinem neuen Freund in das Land zu reisen, wo Milch und Honig flossen und gab keinen Mucks von sich, als er mit ihm den Reisebus bestieg und es sich auf einem der hinteren Sitzplätze bequem machte. Da der Bus nicht bis auf den letzten Platz besetzt war, konnte er seine süße Last bequem neben sich abstellen und die Odyssee der kleinen Prinzessin aus Troja begann.


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Tag der Veröffentlichung: 08.06.2010

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