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© CEGL, 2021

Lorichsstraße 28A

22307 Hamburg

 

Umschlagentwurf: TheaDelphia

 

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Kapitel 1

»Hat euch irgendjemand erlaubt, an meine Vorräte zu gehen?«

Ich musste lachen, als ich am Ostermontag abends in den Würfelwinkel zurückkehrte und gleich als erstes Helges Gezeter hörte. Der ständig schlecht gelaunte Zwerg hatte mir schon beinahe gefehlt.

»Dein Essen? Tut mir leid, keine Ahnung. Ich war nicht hier.«

»Ah, Mellia«, sagte er, und sein Ton wurde milder. »Ja, ich weiß. Du hast sozusagen ein Alibi. Wie war es zu Hause?«

»Ganz schön«, sagte ich und beschloss, ihn mit dem Rest später zu belästigen. »Im übrigen bin ich jetzt hier zu Hause. Ehrlich, ich hatte schon ein bisschen Heimweh nach euch.«

Helge blickte mich misstrauisch von unten herauf an.

»Du willst doch was von mir?«

»Ich? Aber nein, von dir doch nicht.«

»Sehr gut«, sagte er. »Der Gebührenzähler ist angekommen.«

Ich verbiss mir ein Grinsen über diesen herzlichen Empfang.

»Wunderbar«, sagte ich. »Dann zähl mal schön.«

»Machen die Ameisen«, brummte er und kramte weiter in den Regalen — den unteren, denn an die Hängeschränke kam er ja nicht heran.

»Was fehlt denn?« erkundigte ich mich freundlich.

»Meine Hirse. Heute Morgen stand sie hier. Hier drin!«

Erbost stach er seinen dicken Zeigefinger in ein Fach neben dem Trockenregal.

»Und jetzt?« fragte ich.

Helge zog die Augenbrauen hoch.

»Tja, und jetzt, wer kann es sagen?«

»Was willst du jetzt mit Hirse?« wollte ich wissen. »Isst du die nicht immer zum Frühstück?«

»Ich muss den Brei abends ansetzen«, erklärte er.

»Ach so.«

Helge machte sich morgens immer einen süßen Hirsebrei — oder jedenfalls behauptete er das. In Wahrheit war es wohl einfach die graue Grütze, die Zwerge immer essen.

»Also … Vielleicht willst du einmal so gut sein …?«

Er blickte mich beinahe bittend an.

Natürlich waren die oberen Schränke absolute Tabuzone, sogar für unsere eigenen Sachen, die Helge gar nicht benutzte. Wer auch immer aus Schabernack Helges Essen versteckt hatte, musste doch damit rechnen, dass sein Zwergengenörgel davon nur schlimmer wurde.

»Na schön, ich kann ja mal oben nachsehen.«

Wirklich stand der Topf mit den grauen Krümeln ganz hinten im obersten Regal. Mal ehrlich, das war nie im Leben Hirse. Egal. Ich reichte ihm das Gewünschte herunter, dann nahm ich meinen kleinen Koffer auf und steuerte auf das Zimmer zu, das ich hier mit Viola teilte.

»Ach ja«, fügte ich im Weggehen an, »meine beiden Tanten wollen demnächst zu Besuch kommen.«

»Oho«, hörte ich Helge hinter mir. »Welch hohe Ehre.«

»Höher, als du denkst«, murmelte ich und überließ ihn seiner Zwergengrütze, um in Ruhe auszupacken.

Als ich ins Zimmer kam, saß Viola auf ihrem Bett und studierte einige Zettel.

»He, Waldpilz«, rief sie fröhlich. »Wie war es im heimischen Boskett?«

»Boskett, du Spinnerin. Da wohnst ja du vielleicht. Im übrigen bin ich am Überlegen, ob ich jetzt diese Frage beantworten will oder lieber warten sollte, bis sie noch zweimal gestellt wird. Helge war schon dran, aber Peter und Jürgen werden dasselbe wissen wollen.«

Viola zuckte die Achseln.

»Du könntest auch einfach sagen: Herrlich! oder: Entsetzlich! und es dabei belassen. Oder gab es was Besonderes?«

»Wie man es nimmt. Meine Tanten wollen herkommen.«

»Ach, Besuch aus dem Kuhdorf?«

»Nicht aus dem Kuhdorf«, entgegnete ich. »Das sind die Weiselhaintanten von der mütterlichen Seite. Imkerinnen, halbe Hexen und bis oben hin voll mit Dünkel.«

Viola machte große Augen.

»Du kommst aus einer Honigfamilie? Mellia! Und das sagst du mir jetzt?«

»Nichts, womit ich hausieren gehe«, sagte ich gleichmütig.

»Aha? Um mich nicht zu beschämen oder was?« Viola war geradezu bestürzt. »Also wirklich. Da denke ich die ganze Zeit, ich hätte es mit einem Waldpilzchen vom Milchhof zu tun …«

»Hast du ja auch. Reg dich nur nicht auf. Diese Tanten sind eine Randerscheinung in unserer Familie, und ich habe sie in meinem Leben kaum je gesehen. Die haben schon vor langer Zeit mit meiner Mutter gebrochen.«

Viola schlug sich an die Stirn.

»Meine Zeit, ja! Weiselhain. Ich hätte drauf kommen können. Also hat deine Mutter unter ihrem Stand geheiratet?«

»Das ist milde ausgedrückt.«

Viola lachte. »So was. Dabei passen Milch und Honig ja eigentlich gut zusammen! Und jetzt wollen dich die Tanten zurückholen in die angestammte Bienensuprematie?«

»So in etwa.«

»Aha, ich beginne zu begreifen. Deshalb haben sie dir das hier eingeredet?«

»Wenn du mit das hier die Akademie meinst, dann ja. Von der Wohngemeinschaft waren sie nicht so begeistert.«

»Na hör mal! Du hast ihnen doch wohl gesagt, dass ich aus allerbestem Hause komme?«

»Darauf darfst du wetten. Dich habe ich sofort ins Feld geführt, und natürlich den seriösen Jürgen. Hat sie aber alles nicht beeindruckt.«

»Sind die nicht froh, dass du überhaupt aus deinem Kuhdorf raus und hier in der Stadt bist?«

»Das allerdings. Und immerhin bezahlen die mir ein Stipendium, aber das können sie mir auch ganz schnell streichen.«

»Weh, ich ahne deine Lage. Aber zeig mal, was hast du denn da für herrliche Sachen mitgebracht? Deine Leute meinen es ja gut mit dir!«

»Na aber. Einen Koffer extra hätte ich gebraucht, wenn ich nicht im Zug schon die Hälfte selber gegessen hätte. So habe ich alles in kleinen Extratüten gehabt und nach und nach weggeputzt.«

»Na, du bist mir ja eine Freundin.«

»Keine Sorge, für dich ist noch genug dabei.«

Ich packte meinen Koffer aus und warf alles Essbare, das die Reise überdauert hatte, aufs Bett zu Viola, die emsig daran ging, die Sachen vor sich auszulegen und erste Kostproben zu entnehmen.

»Mmh, so wunderbare Sachen«, seufzte sie glücklich. »Ich dachte, bei euch gibt es nichts.«

»Doch, gibt es. Jede Menge Milch und Käse. Und Heidelbeeren. Heidelbeeren natürlich nicht jetzt. Hier ist noch Honig von den Tanten. Ein Osterzopf, warte … Und hier, das ganze Gebäck haben sie mir auch noch mitgegeben.«

»Oh, zeig mal den Honig. Schicki.«

Natürlich, die Tanten hatten ihre eigenen Etiketten, sehr stilvoll und teuer sah das aus. Dann machten wir uns über die Reste vom Proviant her, Viola steuerte von ihrer eigenen Urlaubsbeute bei, und ich fühlte mich rundum wohl.

»Ich habe das hier wirklich schon ein bisschen vermisst! Helge dachte bestimmt, ich will ihm Honig um den Bart schmieren, aber ist gar nicht so.«

 Viola grinste.

»Hättest du aber können. 1a Weiselhain-Honig, oh ja. Dem fallen morgen die Augen aus dem Kopf.«

»Wenigstens fallen die nach unten, wo er sie wiederfindet. Der war eben schon wieder auf Zeter und Mordio wegen der Regale. Hast du ihm die Hirse versteckt?«

Viola brach in ein helles Lachen aus.

»Sag es nicht weiter. Jürgen und ich waren das heute Nachmittag. Der Zwerg ist uns derart auf den Wecker gefallen mit seinem Ameisenkasten, dass wir uns revanchieren mussten.«

»Ach ja, der Gebührenzähler. Was ist jetzt damit?«

»Nichts«, sagte sie. »Also ja, das ist so ein Kasten, ich zeige es dir morgen. Wenn du telefonieren willst, musst du einen Hebel betätigen, und die Ameisen zählen deine Zeit ab. Ganz entsetzlich simpel zu bedienen, aber Helge hat zwanzig Minuten lang damit auf uns eingeredet. Wirklich, wir konnten nicht mehr.«

»Das klingt lustig.«

»War es nicht. Glaube mir.«

»Ich glaube es dir.«

Aber ich lachte bei der Vorstellung, ich kannte ja Helge. Und ich war ein bisschen neidisch, weil ich es verpasst hatte.

»Viola?«

»Ja, Waldpilz?«

»Ihr habt mir wirklich gefehlt, ganz komisch. Dabei war ich doch nur ein paar Tage in Erichshof. Irgendwie kommt es mir vor, als gehörte ich da nicht mehr so recht hin.«

»Das nennt man Fortkommen, meine Liebe. Das ist gut und ganz normal.«

»Ja, vielleicht.«

»Ganz sicher sogar.«

Dass ich mich bei meinen Eltern nicht mehr ganz so wohl fühlte, lag nicht zuletzt auch an den Tanten, die mir seit neuestem mit ihren Ermahnungen in den Ohren lagen, nachdem sie sich all die Jahre nicht gekümmert hatten. Vor allem meiner Mutter passte das nicht in den Kram, aber sie konnte ihre Schwestern nicht gut hinauswerfen. Meine Eltern wussten beide, dass ich auf dem Milchhof nicht glücklich werden würde, und hatten deswegen den Plänen der Tanten zugestimmt. Und weil die sich erboten hatten, mich auf die Prüfung vorzubereiten und meinen Aufenthalt hier zu finanzieren, hatten sie natürlich auch ein Mitspracherecht.

»Wir wollen doch wissen, wie du da zurechtkommst. Und dann diese Wohngemeinschaft«, hatte Tante Debora missbilligend hinzugefügt. »Zwerge, also Imke, wenigstens das hättest du verhindern müssen.«

Meine Mutter war unbeeindruckt geblieben.

»Ich hörte, das seien alles sehr nette und gediegene Leute. Nicht wahr, Mellia?«

»Ich würde gewiss nicht mit den falschen Leuten zusammen wohnen«, hatte ich versichert.

Aber Tante Debora hatte energisch den Kopf geschüttelt.

»Wildfremde Herren sind schon von vornherein die falschen Leute. Und dann, ich bitte dich. Man weiß doch, worauf Zwerge so aus sind.«

Diese Bemerkung hatte sie mit einer bedeutsamen Geste für Goldbarren und Zinnbecher begleitet. Ja, diese Tanten kannten Gesten, da flog einem der Hut vom Kopf.

»Außerdem ist Mellia noch nicht einmal volljährig«, hatte sich Tante Melissa eingemischt.

Nein, war ich nicht. Aber dieses eine Jahr, meine Güte. In fünf Wochen wurde ich immerhin schon 20.

»Und wann sollte sie eurer Meinung nach mit dem Studium anfangen?«

»Das ist doch nicht der Punkt. Es geht um die Schicklichkeit.«

»Überhaupt ist es nur ein einziger Zwerg«, hatte ich zu vermitteln versucht. »Außerdem ein fleißiger Holzfäller und ein sehr solider Ministerialenanwärter.«

»Ja, ach ja. Ein Ministerialer. Den würde ich auch gerne mal unter die Lupe nehmen, da gibt es ja sone und solche.«

»Und Viola ist immerhin die Tochter des Schlossgärtners von Carcambria«, hatte ich meine Trumpfkarte ausgespielt.

Aber nicht einmal das hatte die Tanten überzeugt.

»Nun, wie gesagt. Wir werden uns die Sache ansehen. Vielleicht ist ja noch nicht alles verloren.«

Das war also der Stand der Dinge, und ich hoffte inständig, dass sie mich hier wohnen lassen würden. Ganz abgesehen davon, dass ich mich im Würfelwinkel wohl fühlte, hatte ich auch einfach keine Lust, mir schon wieder etwas Neues zu suchen.

Ich langte nach den Zetteln, die Viola vorhin gelesen hatte.

»Lass mal sehen, was ist das?«

»Der Wahlbogen mit unseren Studienfächern.«

»Ah ja.« Ich sah mir die Liste durch. »Märchenanalyse, das muss wohl sein. Alternative Lebensformen, Wassermagie — meinst du, die haben da Nixen als Dozenten?«

»Wer weiß. Hier, guck mal: Wetterzauber. Und Etikette.«

»Natürlich. Es ist ja nicht jeder wie du daran gewöhnt, mit Majestäten zu sprechen.«

»Sehr richtig. Wobei man sich als Fee bestimmt einiges herausnehmen darf, was sich ein hergelaufener Wald- und Wiesenwohin nicht erlauben würde.«

»Hör mir auf mit dem Wiesenwohin«, seufzte ich. »Weißt du, dass ich immer noch Alpträume habe von diesen Leutchen?«

Ich hatte Viola inzwischen die Geschichte erzählt, wie ich bei dem seltsamen Ehepaar vorstellig geworden und ums Haar einkassiert worden wäre. »Und dieses Mädchen, die kleine Brigitte … Da läuft es mir jetzt noch den Rücken runter, und zwar eiskalt.«

»Wo du es sagst: Hier, Pflichtfach Mathematik. Das finde ich fast noch gruseliger als deine anhängliche Brigitte.«

»Kannst dir ja von Jürgen helfen lassen«, sagte ich grinsend. »Oder kann der nur Zwergenmathematik? Oh, sieh mal: Tiersprachen, das ist ja schön.«

»Dachte ich mir schon, dass dir das gefallen würde. Wie wäre es mit Löweneckerchengepiep?«

»Wird das angeboten?«

»Hm, glaube nicht. Taubensprache kannst du nehmen, Wolfsgeheul … na ja. Zwei Pflichteinheiten im Ganzen, also vielleicht haben die ja im Hauptstudium noch anderes im Angebot.«

»Rabensprache zum Beispiel?«

»Ganz bestimmt. Aber das ist wohl eher was für unseren Ministerialen.«

Bei Jürgen war, seit wir hier wohnten, immer mal wieder ein Rabe aufgetaucht, der durch das Fenster hereinkam und zuweilen auf seinem Schreibtisch saß, wenn er an seinen staubigen Relationen arbeitete — oder was immer er da machte, ich verstand ja rein gar nichts davon. Aber der Rabe war ein lustiger Geselle, und besonders Viola hatte geradezu einen Narren an ihm gefressen.

»Tja, Rabensprache gibt es anscheinend nicht. Dafür Drachenzunge, na mal sehen. Kommt ja auch immer auf den Dozenten an. Man darf doch wohl davon ausgehen, dass da Muttersprachler unterrichten.«

»Oh. Du meinst, da sitzt dann ein Drache da vorne …? Hm, tja. Das darfst du dir dann gerne wählen. Ich würde eine Taube als Lehrer vorziehen.«

»Dachte ich mir. Außerdem ist Drache wahrscheinlich weit komplexer und auch schwieriger als das bisschen Taubengegurre. Ich meine, was sagen die denn schon groß? Da hast du ruckzuck und ruckediguh deinen Schein.«

Ich lachte.

»Na, vielleicht versteht ja dein Rabe auch Taubensprache.«

»So romantisch«, sagte Viola und verdrehte die Augen. »Falls ich je einen Raben angurre, darfst du mich in ein Stück Käse verwandeln.«

»Wird gemacht. Wo ist denn Jürgen überhaupt?« fragte ich dann. »Den habe ich noch gar nicht gesehen.«

Viola machte eine unbestimmte Geste.

»Ach, wo wird der sein. Hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen. Nach dem endlosen Sermon mit den Telefonameisen brauchte er wahrscheinlich eine Erfrischung und schmökert jetzt seit Stunden in der Demiawiburger Stadtverfassung.«

Ich musste lachen.

»Viola, du bist unmöglich!«

»Hach ja, ich weiß. Ich sage ja auch gar nicht, dass er ein schlechter Kerl ist. Aber doch sehr grau irgendwie.«

»Hast ja recht. Oder meinst du das in dem Sinne …?«

»Dass der ein Grauer ist? Hm, ich weiß nicht. Hatte ich auch schon überlegt, aber der erzählt so wenig von sich, wie soll ich es wissen? Außerdem kenne ich gar keine Grauen, ich kann das nicht beurteilen.«

»Ich ja auch nicht.«

»Dann frag ihn doch einfach.«

»Hm, tja. Aber wenn er nicht drüber redet, dann will er ja vielleicht nicht drüber reden?«

»Auch möglich. Dann frag ihn nicht.«

»Danke für diesen umfassenden Rat.«

»Immer gern zur Stelle«, sagte Viola. »Wann kommen nun die Honigbienchen?«

»Was, keine Ahnung. Ganz sicher aber werden sie sich nicht anmelden, damit wir nicht etwa vorbereitet sind. Die nehmen sich in der Stadt ein Hotelzimmer, und eines schönen Tages stehen sie hier in der Türe und holen ihre Lupen vor, um sich alles ganz genau anzusehen.«

Viola nickte nachdenklich.

»Wir sollten ihnen den Ameisenapparat zeigen. Da können sie mit ihren Lupen Tage zubringen, bis sie alles gesehen haben.«

Ich stieß sie an.

»Viola, das ist wirklich eine ernste Sache! Ich will hier nicht weg.«

»Weiß ich doch. Und sei versichert, ich werde meine allerbeste Kinderstube herauskramen. Deine Tanten sollen nicht denken, ich würde daheim nicht mit Prinzen reden!«

Kapitel 2

Lebte Viola daheim in Carcambria eigentlich in einem Schlossgarten oder doch eher in einer Backstube? Das fragte ich mich manchmal. Ich war ja wirklich frühes Aufstehen gewöhnt, aber sie war nicht nur immer vor mir wach, sondern hatte, wenn ich morgens blinzelnd in die Küche getappt kam, auch meistens schon die Milchflaschen heraufgeholt.

So auch am Dienstagmorgen.

»Und dabei ist Milch doch dein Fachgebiet«, sagte sie, um sich gleich darauf erschrocken zu unterbrechen. »Oh, Verzeihung, Fräulein Honigtöpfchen. So war es natürlich nicht gemeint, ich wollte Euer Durchlaucht nicht kränken.«

»Sei nicht blöd«, wies ich sie zurecht. »Außerdem ist Milchwirtschaft nichts Verwerfliches.«

»Hat ja keiner gesagt. Ich wundere mich nur, ob die Kühe in Erichshof auch jeden Morgen so geduldig auf dich warten.«

»Ich verschlafe hier permanent, weil einfach kein Hahn da ist, der nach mir kräht.«

»Na hör mal, ich krähe doch nach dir! Aber wenn es nützt, könnte ich dich morgens mit dem Wasserhahn wecken.«

»Danke, sehr hilfreich. Wie kommt es nur, dass du nicht nur vor allen anderen auf bist, sondern auch noch so gut gelaunt?«

»Tja, das ist meine angeborene Frohnatur.«

Unten klingelte der Bäcker mit seinem Fahrrad heran.

»Gehst du diesmal?« fragte Viola. »Ich mache unterdes den Tee.«

»Warum hast du mit der Milch nicht gewartet, bis der Bäcker kommt?« fragte ich missmutig. »Dann müsste man nur einmal gehen.«

»Ha. Du meinst, ich müsste dann nur einmal gehen. Ich weiß schon, du willst nicht zur Frau Birnenschein hoch. Ich habe nicht gewartet, weil ich meine Milch wollte, und wer weiß denn, wann dieser trottelige Bäcker angeradelt kommt? Aber keine Sorge, ich gehe gern noch mal, wenn du nicht magst.«

Frau Birnenschein war die seltsame Alte von oben, die wir an unserem ersten Tag hinter ihrer Gardine hatten

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 17.04.2021
ISBN: 978-3-7487-8056-4

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