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© CEGL, 2021

Lorichsstraße 28A

22307 Hamburg

 

Umschlagentwurf: TheaDelphia

 

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Kapitel 1

In der Reichsstadt Demiawiburg gab es drei Hochschulen: die ganz normale Universität, wo die Ministerialen ausgebildet wurden, die Musikhochschule für Gaukler und Spielleute und die Akademie für Feen- und Waldwesen. Wesen wie in Fernmeldewesen, nicht wie in Lebewesen, das hatten sie allen Ernstes in der Aufnahmeprüfung abgefragt. Das und noch manches andere, wovon bei uns zu Hause niemand eine Ahnung hatte. Ich hatte nicht alles gewusst und auch nicht alles gekonnt, aber egal. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich dennoch bestanden und würde ab April hier Fee studieren. Falls ich ein bezahlbares Zimmer fand.

Am Bahnhof hatte ich mir einen kleinen Touristenplan besorgt, auf dem die wichtigsten Dinge der Stadt zu finden waren. Es gab sicher eine Menge Möglichkeiten, an ein Zimmer zu kommen, Zeitungen natürlich oder die öffentliche Schandsäule, die es in jeder größeren Ortschaft geben sollte und an der wichtige Dinge bekanntgegeben wurden. Aber wo die hier war (und wie so ein Ding überhaupt aussah), das hatte ich noch nicht herausgefunden.

Also war die Akademie meine erste Anlaufstelle. Dass hier Wohnungsanzeigen hingen, hatte ich schon am Tag der Aufnahmeprüfungen gesehen. In der letzten Viertelstunde war ich aber schon so oft vor dem Brett hin und her geschlichen, dass ich die Texte bald auswendig kannte. Es war einiges da, aber das wenigste davon brauchbar. Helles, großes Zimmer mit Südbalkon, große Gemeinschaftsküche, keine Haustiere. 115 DSg. Demiawiburger Silbergulden also, umgerechnet 95 Reichstaler. Das war weit über meinem Budget, und die meisten Zimmerpreise lagen noch darüber.

Am Ende würde es dies hier werden: Gemütliches, möbliertes Dachstübchen bei alleinstehender Dame, für 70 Silbergulden plus Mithilfe im Haushalt. Ja, warum nicht. Davon würde ich nicht umkommen, ans Arbeiten war ich schließlich gewöhnt. Zwar hätte ich lieber zusammen mit anderen Studenten gewohnt, aber es musste ja nicht für immer sein. Nur erst einmal hier eine Bleibe haben.

Mal sehen, wenn ich Glück hatte … Es fehlte auch erst einer der kleinen Abrisse. Gerade wollte ich die Hand ausstrecken, da schnellte hinter mir ein Arm vor und riss den ganzen Zettel von der Korkwand.

»He, was …?«

Ich wandte mich um und blickte in ein Paar hellblauer Augen unter einer violetten Hochsteckfrisur. Ich erinnerte mich sofort.

»Du warst doch auch bei den Aufnahmeprüfungen«, sagte ich. »Viola, oder?«

»Stimmt. Viola Mangold.«

Klar, das hatte ich mir gemerkt: Lila Haare, lila Name.

»Und du?« fragte sie.

»Was, ich?«

»Ich meine, wie du heißt. Ich kann mich nicht an dich erinnern.«

»Ach so. Mellia Weiselhain, wir waren zusammen in der Rätselgruppe.«

Tatsächlich?« Sie blies mir einen lavendelfarbenen Kaugummiballon entgegen. »Ja, kann sein.«

Mein Blick fiel auf die abgerissene Anzeige, die sie noch in der Hand hielt.

»Böse Hexen«, sagte sie und grinste. »Die versuchen es doch immer wieder. Als würde man bei solchen Mietpreisen nicht misstrauisch werden.«

Damit knuffte sie das Blatt zusammen und ließ es in ihrer Tasche verschwinden.

Mich durchlief ein Schauder und ich hoffte, das blieb unbemerkt. Das brauchte nun nicht jeder zu wissen, dass ich naives Landei, kaum in der Stadt, fast auf die erstbeste Hexe hereingefallen wäre.

»Ja, wirklich«, sagte ich. »So blöd muss einer sein, sich da zu melden.«

Viola sah mich prüfend und ein wenig amüsiert an.

»Wohl ein Waldpilz, wie?«

»Waldpilz?«

»Kommst nicht aus der Stadt, meine ich. Sieht man gleich.«

»Jedenfalls komme ich nicht aus dem Wald«, gab ich etwas gnulzig zurück.

»Jetzt guck nicht so, das ist doch nur ein Spruch. Ist ja nicht schlimm. Also du bist auch aufgenommen, ja?«

»Ja.«

»Und suchst jetzt hier eine Bleibe?«

Ich nickte.

»Und was gibt es hier so?« Viola ließ ihre Blicke über die Anzeigen schweifen. »Ich hatte ohnehin überlegt, ob ich mir nicht lieber eine eigene Wohnung nehme.«

»Ganz alleine wohnen?« fragte ich. »Aber das ist doch langweilig.«

»Mir gefällt’s, wenn mir keiner dreinredet. Hier, was ist damit?«

Sie zeigte auf ein Blatt, das ich auch schon sehnsüchtig betrachtet hatte.

»Uninähe mit Garten, das klingt doch ganz nett.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Da kostet das Zimmer 150 Silbergulden.«

»Na und? Das sind ja auch sechs Quadratklafter.«

»Vor allem sind das 125 Reichstaler.«

»Ach, du rechnest noch alles in Reichstaler um. Na gut. Ist in jedem Fall nicht viel für sechs Quadrate.«

»Na ja, geht so.«

»Was gedachtest du denn so anzulegen?«

»Für die Unterkunft hatte ich so 50 bis 80 Silbergulden gerechnet.«

»Das ist allerdings wenig«, stellte sie fest.

»Was soll ich machen? 120 im Monat sind ist das absolute Maximum, das meine Eltern für mich aufbringen können.«

Das war leider ein bisschen gelogen. Aber auch wenn das Wort Waldpilz anscheinend quer über meine Stirn geschrieben stand: Dass meine Eltern überhaupt kein Geld übrig hatten, das sie mir geben konnten, würde ich einer ganz Fremden sicher nicht unter die Nase reiben.

»Halten dich ja ziemlich kurz, wie?« Viola schüttelte den Kopf. »Nee, dann werden wir wohl nicht zusammenkommen. Zum Glück gibt mir mein Vater soviel, wie ich brauche. Der arbeitet für den König und hat sowieso mehr Geld, als er ausgeben kann.«

»Dein Vater arbeitet für den König?« fragte ich verwundert. »Hier in Demiawiburg?«

Ich hatte angenommen, anders als bei uns auf den Fronhöfen arbeiteten in einer freien Reichsstadt alle für sich selbst.

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Doch nicht hier. In Carcambria, in der Residenzstadt von Eskellem. Er plant und verwaltet die königlichen Schlossgärten.«

»Oh, dann kommst du also aus Eskellem? Wie ich auch!«

Natürlich, die Reichsstadt lag ja sozusagen am Rande unseres Königreiches, wenngleich sie nicht dazugehörte. Demiawiburg gehörte überhaupt niemandem und verwaltete sich selbst.

»Und kennst du etwa auch den König?« wollte ich wissen.

»Klar, die ganze Familie.«

Ich staunte. Die Residenzstadt, das war für mich so weit weg wie das Schlaraffenland. Gerade, dass ich die ungefähre Richtung wusste. Da, wo ich herkam, wusste man vom König nicht viel mehr, als dass es ihn gab.

»Wir wohnen in einem Pavillon in den Schlossgärten«, erklärte Viola. »Und wenn ich Pavillon sage, dann meine ich nicht so ein sechseckiges Parkbüdchen. Eher eine Art Lustschloss, wenn du verstehst, was ich meine. Nur hatte dann die, für die es gebaut war, keine Lust mehr darauf. Oder umgekehrt der König auf sie nicht mehr, ich weiß es nicht. Ist auch ewig her. Vielleicht verstarb sie auch ganz angemessen. Jedenfalls wurde dann der Pavillon anderweitig verwendet, nämlich als standesgemäße Wohnung für den berühmten Schlossgärtner.«

»Ach.«

Ich war wirklich beeindruckt.

»Und noch eins, Waldpilz. Diese Stadt heißt Demiawiburg, mit Betonung auf dem Wi. Wenn du das falsch sagst, hast du hier sofort verloren.«

»Oh, ich verstehe, danke.«

»Also du willst es nicht, sehe ich das richtig?«

»Was denn?«

»Die sechs uninahen Quadrate.«

»Tja, es klingt schon schön. Und wenn wir es uns teilen? Da hätte jeder drei.«

Viola sah entrüstet aus.

»Na, erlaube mal. Ein Zimmer mit drei Quadraten schaue ich mir gar nicht erst an. Eines mit sechs allerdings kommt in die nächste Runde.«

»Oder du bekommst vier und ich zwei, wir können es ja so teilen«, hakte ich zaghaft nach.

»Was hast du denn jetzt plötzlich mit dem Zimmer? Entweder du willst es, dann gehen wir es beide ansehen, oder du willst es nicht. Dann kann ich es mir immer noch ansehen. Wahrscheinlich ist es ohnehin schon weg.«

»Ich dachte ja nur. Weil es auch so schön klingt mit der Terrasse und den Tieren und so.«

»Mit Tieren?«

»Die haben eine Löweneckerchenzucht, steht doch da.«

»Wirklich? Ach ja, na besten Dank. Den ganzen Tag das Geflatter, und dauernd liegen dann Federn im Essen.«

»Also doch nicht?«

»Was soll’s. Ich nehme es erstmal mit«, entschied sie und nahm den Zettel ab.

»Du steckst den ganzen Zettel ein?« rief ich. »Da sind doch extra kleine Abschnitte dran mit der Telefonnummer zum Abreißen.«

»Damit jemand anders schneller ist? Waldpilzchen, du musst noch eine Menge lernen. Also, was weiter?«

»Hier, das ist ganz schön«, sagte ich und deutete auf eine der Anzeigen.

»Im Waldwiesenwohin, soso«, sagte Viola. »Bei einem verwaisten Ehepaar, dessen Tochter in Eskellem studiert. Na, darauf wäre ich auch scharf. Weg von daheim und gleich ins nächste Elternhaus, wie?«

Ich zuckte die Achseln. So wählerisch zu sein, war mir noch gar nicht eingefallen. Ich war schon froh, wenn irgendwo die Zahlen stimmten.

»Soviel Auswahl ist hier ja nun auch nicht. Wenn ich was Besseres finde, kann ich immer noch umziehen.«

»Sicher wahr«, sagte Viola, »und das solltest du auch tun. Man wohnt als Student nicht im Waldwiesenwohin, das ist das piefigste Viertel in der ganzen Gegend.«

»Du kennst dich hier aus, wie?« fragte ich.

»Schon ein wenig. Aber das weiß hier jeder, dass im Waldwiesenwohin nur Spießer wohnen.«

»Ich würde es gern mitnehmen«, sagte ich.

»Wie du meinst.«

Viola riss auch dieses Blatt von der Pinnwand und steckte es ein.

»Hier, was ist damit: Vier Quadratklafter, Südseite, Bad- und Küchenmitbenutzung, bei sauberem Spinnmädchen. Ja, sauber. Mietpreis auf Anfrage. Hm.«

»Ich habe eins mitgenommen«, sagte ich. »Anfragen kann man ja mal.«

Viola schüttelte mitleidig den Kopf.

»Vergiss es. Sieh mal die Adresse: Jupdideideich, das kannst du dir nie leisten. Also jetzt jedenfalls nicht. Später vielleicht, mit einem guten … Aber hier, das klingt doch nett. Vierer-Wohngemeinschaft im Geodreieck

»Geodreieck?«

»Ist ein ganz hübsches Viertel, auch gar nicht weit weg von hier. Und wenn man Lust auf drei fremde Trottel in der Bude hat … Moment, es gibt sogar zwei Zimmer. Das heißt, mit Glück kannst du den dritten Trottel noch selbst mit aussuchen. Obwohl, warte. Nein, der Bursche heißt Helge, das geht ja nun gar nicht.«

»Wieso, was ist da nun wieder mit?« Langsam war ich ein bisschen genervt von ihrem ständigen Genörgel.

»Helge? Komm, das klingt wie einer dieser Gammler, die in selbstgesponnenen Schafssocken durch die Wohnung schlurfen, betörende Blumenmusik hören und Alles-wird-gut-Tee aus selbstgetöpferten Tassen trinken. Und in seiner Freizeit engagiert er sich wahrscheinlich im Elfenschutzbiotop.«

»Was für ein Biotop? Gibt es so was?«

»Was weiß ich.«

»Also, ich werde da anrufen. Außerdem kann man Socken nicht spinnen.«

»Na, du musst es ja wissen. Hier haben wir noch was Schönes: Sonniges Zimmer in Dreier-WG mit Terrasse und eigenem Bad. Keine Zweck-WG. Was soll das denn heißen? Eine zwecklose WG ist ja wohl auch nicht das Richtige. He, hörst du mir zu?«

»Warte mal. Wenn der Jupdideideich so eine teure Gegend ist, wie kann ein Spinnmädchen sich da eine Wohnung leisten?«

»Gute Frage. Vielleicht ist es eine Bruchbude? Du solltest da doch mal anrufen.«

Ich sah verunsichert auf Viola. Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, ob sie beleidigend sein wollte oder einen Witz machte oder einfach nur achtlos war.

»Ah, ich hab’s«, sagte sie dann. »Wahrscheinlich spinnt sie Stroh zu Gold. Oder nein, noch besser: Schmutz zu Gold, deswegen ist es bei ihr so sauber.«

Jetzt musste ich doch lachen. »Oder vielleicht spinnt sie wirklich und wohnt ganz woanders.«

Viola lachte auch.

»Sehr gut, das wird es sein. Aber interessieren täte es mich doch. Na gut, rufen wir an und anfragen den Preis. Oder wir fahren gleich hin, nur so aus Spaß.«

Ich zögerte. Eigentlich hatte ich nicht die Zeit, aus Spaß irgendwo hinzufahren. Ich suchte schließlich ein Zimmer, und wenn ich bis abends keines fand, würde ich mich in einer billigen Pension einmieten müssen. Die vier Zugstunden nach Hause konnte ich dann nämlich auch nicht mehr schaffen.

»Na komm, das wird lustig«, sagte Viola. »Du musst doch auch mal ein bisschen was von der Stadt sehen. Im übrigen können wir dann noch am Marktplatz die Schandsäule abklappern. Das hier kann ja nicht alles an Zimmern sein, was es in der Stadt gibt, und der Jupdideideich ist da ganz in der Nähe.«

»Tja, ich weiß nicht.«

Ich klappte meinen Stadtplan auf und versuchte mich zurechtzufinden. Wo sollte denn am Marktplatz ein Deich sein? Gut, da gab es den Altstadtwallring, aber der war nur ein kleiner Kanal, der sich durch die Stadt zog.

»Hier«, sagte Viola und tippte mit dem Finger in den Plan hinein. »Es gibt einen äußeren und einen inneren Wallgraben.«

»Soviel sehe ich auch. Und wo ist da ein Deich?«

»Am äußeren. Hier ist die Unendliche Hauptstraße, und da ist der Deich. Vom Marktplatz aus keine zwei Meilen.«

»Na, du bist gut. Zwei Meilen. Und was war jetzt mit der Dreier-WG in dem sonnigen Bad?«

»Ah, warte. Ja, das wäre dann hier. Allerdings vor der Mauer und leider nicht ganz deine Preislage. Ich könnte es mir ansehen, ist mir aber auch zu weit draußen. Wenn ich schon horrende Gegenden bezahle, dann will ich wenigstens nicht noch den halben Tag herumfahren müssen.«

»Na, von mir aus.«

Am Ende blieben drei Zimmer übrig, die ich mir ansehen wollte, und zwei, die Viola interessierten.

Auf dem Platz

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Cover: TheaDelphia
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2021
ISBN: 978-3-7487-7621-5

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