Cover

Die Geschichte des Phönix

Janine p.o.v

Als ich noch ein Kind war erzählt mir meine Mutter eine Legende über den mystischen Vogel mit Namen „Phönix". Der Phönix soll ein wunderschöner Vogel gewesen sein, mit Federn, die, wie die Sonne, in rot und gold Tönen strahlten. Seine Augen glitzerten wie Edelsteine, in einen warmen Braunton. Sein Schnabel sah aus wie ein Diamant, er reflektierte das Licht in tausenden von Farben. Die Legende besagt das der Phönix das Symbol des ewigen Lebens sei. Es wird überliefert, dass er bis zu 500 Jahre alt werden kann. Sobald es für den Phönix an der Zeit war zu sterben, entzündet er sich am Abend seines letzten Tages selbst. Von den ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages erweckt, steigt er aus seiner eigenen Asche empor, jung wiedergeboren. Falls jemand den Phönix jemals erblickt, oder sogar eine Feder von ihm findet, demjenigen wird ein langes und glückliches Leben prophezeit. Deswegen ist er auch das Symbol „des Lichtes und des Lebens".
Doch das ist nur die Hälfte der Geschichte. Denn die Legende beschreibt den Phönix nur am Tage. Wie es in der Nacht ist, kennt nur der „Orden des Phönix".
Der Phönix verändert sich, wenn die letzten Sonnenstrahlen den Horizont verlassen. Sein strahlend rot-goldenes Gefieder wird zu einen tiefen blau-silber, es wirkt schon fast wie mattes schwarz. Sein glitzernder Schnabel verändert sich zu einem pechschwarz und der Glanz ist verflogen. Seine Augen sind nicht mehr warm und freundlich. Es starren einen kalte Augen in blau und schwarz an und es fühlt sich an, als würde die Dunkelheit einen verschlingen. Falls man das Pech hat, diesem Phönix zu begegnen, oder eine Feder zu finden, so wird einem ein kurzes und qualvolles Leben prophezeit. Daher gilt er beim Orden auch als Symbol „der Dunkelheit und des Todes". Wenn der Phönix bei Nacht stirbt, geht er nicht in Flammen auf, er fällt einfach tot um. Und bei den ersten Mondstrahlen der nächsten Nacht erwacht er in seinem eigenen Leichnam. Um sich zu befreien, muss er sich aus dem toten Körper befreien. Dafür muss er sich mit seinem Schnabel und Krallen den Weg nach draußen bahnen, muss Knochen brechen und Muskeln reißen.

Da der Phönix den Menschen nur helfen möchte und es nicht ertragen könnte, ihnen Unheil zu bringen, verabscheut er diese Seite an ihm. Daher versteckt er sich kurz vor Sonnenaufgang in einer tiefen und dunklen Höhle, weit weg von den menschlichen Siedlungen.

Eines Tages als der Phönix an einem für ihn erbauten Tempel ankam, bekannt auch unter „Tempel der Phönix Feder", bemerkte er zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Der Phönix zeigte sich ihnen jedoch noch nicht, er wollte erst wissen, was ihr Begehren sei. Doch was er hörte, ließ ihn erschaudern. Sie erzählten ihm von ihrem Leben und ihrem Leid. Sie seien Sklaven, verkauft von ihrer Mutter an den „Orden des Phönix". Die Geschwister werden vom Orden misshandelt und missbraucht. Sie müssen harte Arbeit leisten für wenig Essen und keinen Lohn. Der Phönix war schockiert und hatte Mitleid mit den Kindern, daher zeigte er sich ihnen und fragte, was sie wünschen. Der Junge sprach zum Phönix, er und seine Schwester hätten Geschenke für ihn. Sie haben den Dolch des „Phönix Flügels" und den Kristall „Phönix Auge" für ihn gestohlen. Sie hoffen so seine Gunst zu gewinnen, dass er ihnen einen Wunsch erfüllt. Sie bitten ihn darum, von ihm getötet zu werden. Da Selbstmord in ihrer Religion eine Todsünde ist und sie gerne ins himmlische Reich aufsteigen wollen, ist er ihre einzige Hoffnung.
Der Phönix war erschrocken, bis ins Mark erschüttert. Keiner bisher hatte eine solche Bitte an ihn gerichtet. Der Phönix wollte diesen Kindern helfen und sprach zu ihnen, er würde ihnen helfen. Er würde ihre Bitte erfüllen, aber nicht so wie sie es erwarten. Daher fragte er nach, ob es wirklich ihr Wille sei zu sterben. Die Kinder stimmten zu obwohl, ohne zu wissen, dass sie es für immer bereuen werden. Der Phönix stieg empor und fing an, sich das Herz herauszureißen. Er ging in Flammen auf und seine brennenden Überreste stürzten auf die Kinder hinab. Die zwei fingen auch an zu brennen und starben einen qualvollen Tod.

Seit diesem Tag ist der Phönix für immer verschwunden, zusammen mit dem Dolch und den Kristall. Keiner weiß mehr, wie die beiden Reliquien ausgesehen haben und doch weiß man das sie existieren. Mit den Jahren ist der „Tempel des Phönix" in Vergessenheit geraten, selbst die Mitglieder des Ordens wissen nicht mehr, wo er sich befindet.

Als der Phönix damals starb, zusammen mit den Kindern, verschmolz er mit ihnen. Die zwei erwachten neu zum Leben, genau wie der Phönix vor ihnen es tat. Das Mädchen stieg aus der Asche empor, jedoch nicht als Vogel, sondern als Mensch mit rot-goldenen Flügeln und braunem Haar. Die Flügel konnte sie verbergen, wann immer sie es wollte. Sie war nun der „Phönix des Lichts". Doch sie konnte sich nicht mehr erinnern nicht an ihren Bruder, nicht daran was geschehen war. Sie ist dazu verdammt, alle fünf Jahre zu sterben und aus ihrer Asche wiedergeboren zu werden. Sie verschwand noch in derselben Minute und drehte sich nicht mehr um.
Als der Junge erwachte, stieg er empor aus seinen verwesenden Leichnam. Er hatte schwarze Haare und blau-silberne Flügel, die er genau wie seine Schwester verstecken konnte. Er war nun der „Phönix der Dunkelheit". Alle Sieben Jahre muss er nun aufs Neue sterben. Doch er vergaß sie nie, er vergaß nie seine kleine Schwester. Als er erwachte, war seine Schwester schon lange fort. Wohin sie gegangen ist, fand er nie heraus.

Jeder der Kinder hat eine Hälfte des Phönixes bekommen. Mit den Jahren wurden sie vergessen, als hätten sie nie existiert. Die Geschwister sahen sich nie wieder. Keiner weiß, was passieren würde, wenn sie erneut auf einander treffen.
Das ist die Geschichte die meine Mutter mir erzählt hat.

Ich bin ein Teil des Ordens und es ist meine Aufgabe die Reliquien zu finden und sie dem Orden zurück zugeben.

1. De salute animae

 

Die Sicherheit von...


Ishizu p.o.v

Erneut stehe ich vor dieser Tür. Es ist eine antike, schöne Flügeltür aus Holz, welche so verwittert aussieht, als könnte sie jeden Moment zusammenbrechen. Die beiden Türen sind mit schönen Schnitzereien geschmückt, die aussehen wie Phönix Flügel.  Trotz des hohen Alters der Tür und des schlechten Zustandes des Holzes, wird sie nie verfallen, da die Türen mit der Rune longaevitate diasentit geschützt werden. Sie verlängert das Leben von jeglichen Gegenstand. Diese Rune ist tief im Inneren eingearbeitet, daher weiß auch keiner genau wie sie aussieht. Sie ist sehr selten und nur schwer zu erschaffen, weswegen nur die Obersten des Ordens diese Rune kennen und sie erzeugen können.
Langsam drücke ich die Klinke der Tür runter und versuche vorsichtig die Tür zu öffnen, ohne dass sie wieder quietscht, wie sonst auch. Leider schaffe ich es auch dieses Mal nicht und sie gibt erneut ihr ohrenbetäubendes Geräusche von sich, das sich anhört, wie Fingernägel die über eine Tafel kratzen. Es jagt mir einen Schauer über den ganzen Körper, inklusive Gänsehaut. Leise gehe ich in den Raum hinein und schließe die Tür wieder hinter mir. Wieder jagt mir ein Schauer über den ganzen Körper durch das Quietschen der Tür.
Es fühlt sich so falsch an in diesen Raum zu sein. Es ist ein internes Krankenzimmer des Ordens, in dem nur Komapatienten liegen. Er wurde in einem schlichten Braunton gestrichen und ist nur spärlich eingerichtet. An der einen Seite des Zimmers stehen zwei Betten, von denen zurzeit nur eins belegt ist. Zwischen den Betten stehen zwei schwarze Leder Sessel für Besucher. Auf der anderen Seite sind zwei große Bildschirme angebracht, auf denen die Vitalzeichen der Person überwacht werden. Dazwischen wurde ein Bücher Regal mit vielen Büchern platziert, um sich die Zeit zu vertreiben oder den Patienten etwas vorlesen zu können. Auf der gegenüber liegende Seite der Tür ist ein Fenster eingebaut. Mit dem Schmerz, der mir bei jeder Bewegung durch den Körper fährt, kann ich mich nicht schnell bewegen. Denn im Alter von achtundsiebzig Jahren kann man leider nicht mehr so schnell, wie man es gerne hätte. Nachdem ich mich endlich mal hingesetzt habe, beobachte ich den Körper der vor mir auf dem Bett liegt. Diese Person ist erst achtundzwanzig Jahre alt. Sie hat wunderschöne braun-rote Haare, auch wenn ihre Augen nicht geöffnet sind, weiß ich dennoch ihrer Augenfarbe: es ist ein warmes Braun. Außerdem hat sie einen schlanken, aber dennoch kraftvollen Körper. Auf ihrem gesamten Körper verteilt sind große oder kleine Narben verstreut. Vorsichtig streiche ich mit meiner von Gicht gezeichneten Hand über ihren Arm und spüre jede Narbe genau. Ich weiß wie jede einzelne davon entstanden ist, bis auf zwei. Diese zwei Narben befinden sich auf dem ihrem Rücken, unterhalb der Schulter und parallel zur Wirbelsäule. Sie sind genau gleich lang und im Grunde sind sie identisch, doch woher sie stammen kann ich nicht sagen.
Woher ich das alles weiß? Genau genommen ist das ganz einfach. Der Körper, der dort vor mir liegt, ist meiner. Vor mehr als zwei Jahren hatte ich einen sehr schweren Unfall. An den genauen Hergang kann ich mich jedoch nicht erinnern. Durch den Unfall zog ich mir einen schweren Wirbelkörperbruch zu und hatte dabei großes Glück. Wäre der Körper gesplittert oder hätte sich verschoben, wäre ich wohl gelähmt. Außerdem hatte es mich schwer am Kopf getroffen und dabei wurde mein Gehirngewebe schwer geschädigt. Meine Hirnaktivitäten sind radikal gesunken und man hätte mich fast für klinisch tot erklärt. Aber man hat mich nicht aufgegeben und mich erst mal ins künstliche Koma versetzt. Nach kurzer Zeit konnte dann wieder Aktivität verzeichnet werden, das hat wohl mein Leben gerettet. Mein Körper brauchte Zeit zum Regenerieren, jedoch wurde ich natürlich nicht vorher gefragt, ob ich das alles überhaupt möchte. Zum Glück gab es Leute im Orden die mich kannten und die ich meine Freunde nenne. Sie wussten was zu tun ist, sie wussten dass ich mir was anderes wünschen würde. Aus diesem Grund stellten sie den Trank transmigratione her und verabreichten ihn meinen geschundenen Körper. Der Trank bewirkt, dass die Seele, der Verstand und die Erinnerungen in einen anderen Körper absorbiert werden. Aber nur in einen Körper, der in der Lage ist, die Last der darauffolgenden einprasselnden Erinnerungen und die Aufnahme einer fremden Seele standhalten können. Es gibt einen großen Nachteil an der Sache, man kann sich den Körper nicht aussuchen. Es hängt alles davon ab, ob die andere Person oder besser gesagt, das menschliche Gefäß auch stark genug ist. Die ursprüngliche Seele, die zu dem Gefäß gehört, lebt weiterhin in diesem Körper hat aber keine Kontrolle mehr über ihn. Aber die beiden Seelen können ihre Gedanken hören und sich miteinander verständigen.

Als ich dann endlich aufwachte, merkte ich schon, dass etwas anders ist. Mein Körper fühlte sich so schwer und gebrechlich an. Als ich dann an mir hinunter schaute, wusste ich was meine Freunde für mich getan hatten. Doch ich habe ihn nie erzählt, dass ich im Körper von Astrit Leiken stecke. Sie gehört zu den Obersten und kennt die Geheimnisse des Ordens. Durch sie erhielt ich eine Chance, die ich nie zu träumen gewagt hätte.

Nach mehr als zwei Jahren ist es nun soweit, dass ich wieder zurück in meinem Körper muss. Es gibt zwar immer noch Sachen, die ich lüften muss, doch das kann ich hier nicht, nicht in diesem Körper. Ich muss herausfinden, ob die Legende wahr ist. Sollte sie wirklich wahr sein, muss ich die Geschwister finden. Ich muss mit ihrer Hilfe den Orden zerstören.

Langsam, aber sicher greife ich zwischen Matratze und Bettgestell und hole meinen geliebten Dolch aus seinem Versteck. Ich hatte ihn dort versteckt, gleich nachdem ich in diesem Körper aufgewacht bin. Der Dolch ist aus Obsidian und ist wie eine Spirale geformt. Diese Spirale besteht aus drei scharfen Seiten, in den drei Hohlkehlen sind Löcher eingearbeitet. Diese führen innerhalb des Dolches zu einem Kanal, der bis zum Griff führt. Der Griff besteht aus Titan, ist hohl und hat am Ende einen Dreh-Verschluss. Dieser spezielle Dolch wurde einzig und allein dazu entwickelt, sein Opfer schnell aus bluten zu lassen. Man ersticht es damit, die Wunde ist so geformt, dass kein Chirurg sie je nähen könnte. Die Löcher sind dafür gedacht, das Blut des Opfers abfließen zu lassen, daher der Deckel am unteren Ende. Wenn man diesen öffnet, strömt das Blut in Maßen aus dem Opfer heraus.

Wo ich den Dolch so in der Hand halte, wird mir erst so richtig bewusst, was ich tun muss, um in meinem Körper zurück zu kehren. Mit festem Griff um den Schaft richte ich die Klinge auf meinen jetzigen Körper. Noch einmal tief ein- und ausatmen und im nächsten Moment ramme ich mir die Spitze in dem Bauch. Ich merke wie die Klinge tief in mich eindringt, wie sie meine Haut durchstößt, ohne große Mühe, wie sie durch Fett- und Muskelschicht dringt und ganz tief in mir Organe verletzt. Der Schmerz der mich nun durchfährt ist kaum auszuhalten, ich höre in meinem Kopf die Schmerzensschreie von Astrit Leiken. Ich reiße mich zusammen und schaffe es, keinen Ton von mir zugeben. Mit einer schnellen Handbewegung drehe ich den Verschluss des Dolches ab, damit das Blut schneller rausfließt. Denn ich wollte es so schnell wie möglich hinter mich bringen. Mir wird schwindelig und ich lasse mich auf die Knie sinken. Dabei höre ich die alten gebrechlichen Knie knacken. Ich stütze mich mit einer Hand auf den Boden ab und lass mich langsam sinken. Nun liege ich ausgestreckt auf dem Boden und starre die Decke an. Ich merke wie das Leben langsam aus mir strömt, mit jedem Schlag meines Herzens mehr. Mein Blickfeld wird kleiner und verschwommen. In meinem Kopf höre ich die alte Frau wimmern, sie wusste zwar, dass das passieren muss und war damit einverstanden. Aber sie kann den Tod genau spüren und fürchtet sich vor dem Ende. Ich höre die Maschinen piepen, die meinen richtigen Körper am Leben erhalten. Ich spüre und höre mein Herz in der Brust klopfen, es ist so ohrenbetäubend.  Ich merke Pausen zwischen den Schlägen, mein Herz verliert den Kampf. Ich schließe meine Augen und lausche auf die Geräusche um mich. Auf das unregelmäßige Schlagen meines Herzens, mein Atem und auf das Piepen. Jetzt verschwinden auch die langsam, das Letzte was ich höre, ist das elendige Quietschen dieser uralten Tür.

Jetzt ist es vorbei.

 

2. obliviscatur...

 Vergessen...

 

Jule p.o.v

Langsam drehe ich mich um und schaue auf die Uhr. Es ist 3:49 Uhr, also noch mitten in der Nacht. Mit einem Seufzer lasse ich mich zurück auf meine Matratze fallen und starre meine Zimmerdecke an, obwohl man bei dieser Dunkelheit nicht wirklich viel erkennen kann. Was ist denn heute bloß los bei mir? Sonst kann ich doch immer schlafen, aber heute Nacht will das irgendwie nicht funktionieren.

Irgendwas hält mich wach, ich fühle mich schon die ganze Zeit so merkwürdig, als würde jemand nach mir rufen. Irgendwas stimmt nicht, dass kann ich spüren. Ich würde nur zu gerne wissen was. Ist es vielleicht Ishizu? Nein, das kann nicht sein Wir haben ihr damals die Möglichkeit gegeben, dass sie in einen anderen Körper weiter leben kann. Uns war es egal, ob es verboten war oder nicht. Wir alle hatten gehofft, dass sie uns ein Zeichen gibt, das es geklappt hat und in welchen Körper sie Unterschlupf gefunden hat. Nach Monaten gaben wir die Hoffnungen auf.

Wir alle verstanden nicht wieso, sie sich still verhalten hat. Aber ich glaube, ich will es auch gar nicht mehr wissen. Ich habe mir Monate lang den Kopf darüber zerbrochen, nicht nur ich sondern auch der Rest von unserem Team. Wir vier haben uns damit abgefunden. Unser Team ist zwar nicht mehr das Selbe, seitdem sie den Unfall hatte und es wird auch nie wieder so sein, wie es zuvor war. Dennoch haben wir dazugelernt, wir haben gelernt, ohne sie zurechtzukommen, denn wir mussten es. Sie war unsere Auftragskillerin, sie war die Person, die auch Undercover ging, weil sie es sehr gut konnte. Sie konnte ihr Wesen und ihr Aussehnen so verändern, wie sie wollte. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum wir sie nie gefunden haben. Aber genauso gut könnte es auch sein, dass sie nie einen Körper gefunden hat, der in der Lage, war ihre Last zu tragen.
Aber was wäre wenn, sie sich gegen uns gewandt hat?

"So jetzt reicht es aber mal langsam!" Unterbrach ich die Stille, die im Raum herrschte. Diese Gedanken machen mich ja sonst noch krank. Ishizu würde sich nie gegen uns wenden. Sie ist ein Teil von uns und wir sind ein Teil von ihr. Wir sind nicht einfach nur ein Team, nein wir sind eine Familie.
Als ich noch ein Kind war, lebte ich auf der Straße. Ohne Familie, ohne Freunde, ohne regelmäßiges Essen und Trinken und ohne ein Dach über meinem Kopf. Ich war auf mich allein gestellt. Jeden Tag kämpfte ich erneut ums Überleben, auch wenn man meine damalige Situation nicht mehr als lebenswürdig bezeichnen könnte. Doch eines Tages kam eine Frau zu mir und bot mir Hilfe an. Ihr Name lautete Astrid Laiken. Sie gab mir alles, was ich zuvor nicht hatte. Sie lehrte mich und weihte mich nach und nach in die Geheimnisse des Ordens ein. Sie lehrte mich, meine Kraft zu kontrollieren, gezielt und strategisch einzusetzen. Das war nicht nur bei mir so, erfuhr ich nach vielen Jahren. Daher teilen wir alle eine ähnliche Vergangenheit, manche hatten es schwerer und andere leichter. Doch wenn ich so drüber nachdenke, enthält die Vergangenheit von Ishizu viele Lücken. Aber ich glaube, sie hat die schlimmste Vergangenheit hinter sich und will einfach nicht drüber reden. Nach Beendigung unsere Lehre als geweihte des Ordens, müssen wir eine Prüfung absolvieren, die im Alter von zwanzig Jahren stattfindet. Hat man diese Prüfung absolviert, werden wir in ein Team zugeordnet. Zuerst waren es nur Alec, Paul und Ishizu. Dann kam ich dazu und zum Schluss Dean. Wir wurden Freunde und später eine Familie. Diese Personen und der Orden wurden zu meinem sicheren Hafen, auf den ich mich verlassen kann. Wir würden für einander sterben.
Erneut drehe ich mich zur Uhr. 4:33 Uhr zeigt sie dieses Mal an. Ich habe mir gerade fast eine Stunde Gedanken gemacht. Noch ein kräftiger Seufzer entwich meiner Kehle. Mit Schwung setzte ich mich hin und hieve mich kurz danach aus dem Bett. So geht das nicht weiter, ich will jetzt wissen, was los ist. Es dauert noch ungefähr zwei Stunden, bevor die Ersten aufstehen. Bis dahin sollte ich es ja wohl herausgefunden haben.

Langsam bahnte ich mir den Weg durch mein Zimmer, um das Licht anzuschalten. Als ich den Lichtschalter endlich gefunden habe und das Licht angeschaltete, musste ich erstmal öfters blinzeln. Das Licht ist einfach viel zu grell. Mit gezielten Schritten ging ich auf meinen Kleiderschrank zu. Ich nehme mir einen schwarzen Hoddy und eine schwarze Jogger raus. In Windeseile ziehe ich mir die Klamotten an. Außerdem noch meine Schuhe und schon war ich bereit diesem merkwürdigen Gefühl nachzugehen, was mich jetzt schon viel zu lange wach hält. Ich will gerade den Raum verlassen, als irgendetwas mich zurück hält. Ohne es wirklich beeinflussen zu können, gehe ich wieder Richtung Bett und knie mich davor hin. Unter meinem Bett ziehe ich einen komplett mit Staub überzogenen und schwarzen Rucksack raus und lege ihn auf meinen Schoß.

Jetzt wo ich hier so knie, mit dem Rucksack auf meinem Schoß, erinnere ich mich daran, was Ishizu einst zu mir sagte. Sie sagte mir, ich solle gut darauf achtgeben, denn eines Tages wird dieser Rucksack, beziehungsweise der Inhalt darin, ihr Leben retten. Als sie ins Koma versetzt wurde, hatte ich versucht, ihn zu öffnen. Doch ohne jeglichen Erfolg. Ich hatte gehofft, ich finde da drin, etwas das sie retten könnte. Wir alle haben versucht, ihn zu öffnen, doch uns wurde gesagt, dass nur sie dazu imstande ist. Schlussendlich weiß nur sie, was da drin ist. Doch seit diesem Tag fragte ich mich immer wieder aufs Neue, vor was versucht sie sich zu schützen. Mein Blick, der zuvor ganze Zeit auf dem Rucksack lag, wanderte langsam nach oben.

Es ist soweit!
Ihr müsst vergessen, dass…

Was war das? Diese Stimme, die kenne ich irgendwoher, ich habe sie schon mal gehört. Doch wem gehört sie? Und was will sie mir sagen? Wieder und wieder wiederholt sich die Stimme, doch den letzten Satz beendet sie nie. Die Stimme ist leise. Es hört sich so an, als würde die Stimme zu mir flüstern. Wie in Trance erhebe ich mich zusammen mit dem Rucksack. In einer schnellen Bewegung werfe ich mir den Rucksack über eine Schulter und gehe währenddessen zur Tür.

Nachdem ich mein Zimmer verlassen habe, laufe ich auch schon los. Ich weiß zwar nicht wohin mich diese Stimme führt, aber ich lasse mich von ihr leiten. Ich vertraue dieser stimme. Mit jedem Schritt den ich bewältige, wird die Stimme lauter. Ich fange an langsamer zu werden, weil ich auf eine Gabelung zusteuere. Als ich endlich zum Stehen komme, schließe ich meine Augen. Die Stimme, sie fängt an zu verblassen, sie ist kaum noch wahrzunehmen. Doch was ich jetzt langsam wahrnehme, sind Schritte, die lauter werden.

Doch es sind nicht nur Schritte von einer Person, sondern von mehreren. Ich öffne meine Augen und lenke meinen Blick in die Richtung, aus der ich die Schritte wahrnehme. Tatsächlich haben mich meine Ohren nicht getäuscht. Ich sehe, wie drei Gestalten auf mich zu gelaufen kommen. Ich kann sie nicht wirklich erkennen, denn die Flure werden nur durch das schwache Licht der aufgehenden Sonne beleuchtet. Die Personen werden langsamer. Kurz bevor sie bei mir angelangt sind und zum Stehen kommen, erkenne ich sie ganz schwach. " Alec? Paul? Dean? was macht ihr den hier?" "Genau dasselbe könnten wir auch dich fragen Jule", hallte die genervte Stimme von Dean durch den Flur. Eine Weile herrscht ein eisiges Schweigen, weil keiner sich traut, dass auszusprechen, was gerade mit uns passiert ist. Wir versuchen den Blickkontakt zu meiden. "Ihr habt die Stimme auch gehört, habe ich Recht?", unterbreche ich die Stille im Flur. Alle drei fangen zögerlich an zu nicken. "Zu wem gehört diese Stimme? Und wieso ruft sie nach uns?" Ich weiß zwar nicht, woher ich wusste, dass wir alle diese Stimme gehört haben, aber für mich gab es keine andere Erklärung. Wieso sollten wir sonst mitten in der Nacht gemiensam auf dem Flur stehen? Doch ich wollte jetzt langsam echt wissen, zu wem diese Stimme gehört und warum wir ihr folgen.

Alec schaut mich geknickt an und verwundert sich. "Du weißt wirklich nicht, zu wem diese Stimme gehört?" Ich kann sehen, dass ihn diese Frage verletzt und verstehe nicht ganz warum. Ich richte meinen Blick auf Alec, er guckt uns alle langsam nach einander an. "Ey das kann doch nicht euer Ernst sein!" fing er an lauter zu werden. Im nächsten Moment kramt er aus seiner Hosentasche sein Handy heraus und schaltet es an. Wodurch sein Gesicht besser zu sehen ist. Ich muss meinen Kopf weit nach hinten fallen lassen, um ihn genauer betrachten zu können. Da sehe ich, dass er nicht mehr derselbe Alec ist, wie vor dem Unfall. Seine einst so strahlend grünen Augen haben den Glanz verloren. Seine Mimik ist stumpf geworden. Er hat schon lange nicht mehr gelächelt. Seine schwarzen Haare sind noch durcheinander, er hat sich wohl noch nicht die Haare gekämmt. Ich weiß auch, wenn ich es nicht wirklich erkennen kann, dass er einen durchtrainierten Körper hat. Ich zucke zusammen, als er mir plötzlich das Handy vors Gesicht hält. Auf dem Handy ist nicht wirklich viel zu erkennen, bis auf einen schwarzen Hintergrund mit einem Playzeichen. Zögerlich nehme ich das Handy in die Hand und gucke ihn fragen an. "Nun drück schon auf Play", befiehlt er in einem barschen Ton. Gesagt, getan. Doch was ich da sehe, lässt meine Kinnlade runterklappen. Es ist Ishizu, die lächelnd in die Kamera winkt. "Hey Alec, ich weiß wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Ich wäre heute gerne bei dir, doch das geht leider nicht. Aber ich wollte dir dennoch einen schönen Geburtstag wünschen. Hab dich lieb und pass auf dich auf." Da kommt die Stimme von Ishizu aus den Lautsprecher. Es ist ein und dieselbe Stimme. Die Stimme, die gerade zu uns allen geflüstert hat. Wieso ist mir das nicht vorher schon aufgefallen? "Das war nicht ihre Stimme die zu uns gesprochen hat. Wie soll das denn gehen, sie liegt doch im Koma. Das ist doch alles ein schlechter Scherz. Ihr verarscht mich doch gerade, oder?" sprudelt es aus mir heraus. Ich schließe für einen kurzen Moment meine Augen und versuche meine Panik zu unterdrücken. Nach mehreren tiefen Atemzügen habe ich mich wieder gefangen und schaue meine Kameraden nacheinander in die Augen. Doch keiner von ihnen traut sich, mich anzusehen. Im nächsten Moment drücke ich Alec sein Handy wieder in die Hand. Endlich schaut er mich an. Mit einem verblüfften Gesichtsausdruck erwidert er meinen harten Blick. "Wir müssen los!" sage ich und im nächsten Moment drehe ich mich zu der entgegengesetzten Richtung um und laufe los. Ich achte nicht darauf, ob die Männer mir folgen oder nicht. Denn es ist mir egal, ich muss zu ihr. Ich muss sichergehen, dass es ihr gut geht. Wir alle würden es nicht ertragen, wenn ihr was passieren würde. Je weiter ich komme, desto langsamer werde ich. Bis ich schlussendlich vor dieser Tür stehen bleibe. Diese besondere Tür, die wie Flügel geformt ist. Ich merke hinter mir die Präsenz der drei Männer, die langsam auch zum Stehen kommen. Mit au einmal merke ich, wie eine Hand sich auf meine linken Schulter legt. "Die größte Kraft wächst aus der Asche alten Leids", versucht Paul mir Mut zu machen. Diesen Satz hat Ishizu immer zu uns gesagt, bevor einer von uns einen Auftrag angenommen hat oder wir gemeinsam einen zu einem aufgebrochen sind. Kaum merklich nicke ich, langsam lasse ich meine Hand zur Türklinge gleiten. Vorsichtig öffne ich die Tür, doch was ich da sehe, hätte ich niemals zu glauben vermocht.

Blut hat mich schon in jungen Jahren fasziniert und mit dem Alter hat die Faszination zugenommen. Nicht weil es einer der größten und wichtigsten Substanzen des menschlichen Körper ist und vieles über den Gesundheitsstatus des Menschen aussagt. Sondern vielmehr ihre Farbe, dieser besonders starke Rotton hat mich immer förmlich angezogen. Doch diesmal ist es anders, obwohl das Blut freudig funkelt, Dank der Sonnenstrahlen die durch das Fenster scheinen. Trotzdem bin ich gerade eher abgeneigt von dem Blut, was sich nicht weit von meinen Füßen erstreckt. Dieser sonst so besonders intensiver, metallische Geruch der von frischem Blut aus geht und die Nase erfüllt, der mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert, lässt gerade mein Atem stocken. Ich versuche mich aus meiner Starre zu befreien, um den Ursprung der Quelle zu finden. Das Blut bahnt sich Stück für Stück seinen Weg über die Fliesen durch den ganzen Raum. Es liegt so viel Blut auf dem Boden, dass es nicht mehr mit dem Leben vereinbar ist. Wessen Blut auch immer das ist, er oder sie ist mit Sicherheit tot.

Mit jeden Schritt den ich gehe, gelange ich näher an mein Ziel. Ich fühle mich immer noch wie in Trance, benebelt und benommen zugleich. Meine Sinne geschwächt, fast schon betäubt. Ich nehme mein Umfeld nur noch eingeschränkt wahr, ich nehme die Stimmen von Paul, Alec und Dean wahr, die mit einander reden. Doch ich vernehme nur einen Bruchteil dessen, was sie sprechen. Abrupt bleibe ich stehen und senke meinen Blick, der zuvor stur auf den im Koma liegenden Körper von Ishizu gerichtet war. In meiner Trance habe ich nicht bemerkt, dass ich im noch warmen Blut stehe. Ich bekomme ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht, es ist so ruhig hier. Das monotone Piepsen der Maschinen hat nachgelassen. Die Stimmen die ich vorher kaum wahrnahm sind verstummt. Ruckartig drehe ich mich um und blicke zu Boden. Was ich da sehe, raubt mir den Atem. Alle drei Männer liegen reglos auf den Boden. Eine halbe Ewigkeit stehe ich einfach nur regungslos da, bevor ich mich mit schnellen Schritten auf den Weg mache, um sicherzustellen, dass es ihnen gut geht. Nachdem ich den ersten Schritt getan habe, werde ich am Handgelenk ruckartig zurückgezogen und herum gerissen. Das Erste was ich sehe, sind warme braune Augen. Es sind die Augen von Ishizu. "Ishizu..." Noch bevor ich weiter reden konnte, wurde ich von hinten überwältigt. Ich bekam nicht mit, wie sich jemand an mich heranschlich. Ich versuche mich mit meiner ganzen Kraft zu wehren. Doch mir wird ein weißes, feuchtes Tuch auf Mund und Nase gedrückt, sodass ich gezwungen bin, durch dieses Tuch zu atmen. Mir steigt beim Einatmen ein süßlicher Geruch in die Nase, ich erkenne den ihn, es ist Chloroform. Mein Sichtfeld fängt an zu verschwimmen. Mit weit aufgerissen Augen versuche ich noch Ishizu um Hilfe zu bitten. Ich bin kurz davor mein Bewusstsein zu verlieren. Bevor mich die schwarze Leere überwältigt, gucke ich ein letztes Mal in Ishizu Gesicht und er kenne ein teuflisches Lächeln, welches ihre Lippen ziert. Das ist nicht mehr sie... Ist der letzte Gedanke, den ich noch fassen kann, bevor ich das Bewusstsein verliere. Langsam gleite ich zu Boden und lasse mich von der Dunkelheit umfangen.

 

3. Erinnerungen der Vergangenheit

 

Alec p.o.v

Langsam gehe ich in die Hocke und lege die schwarze Rose auf den noch mit Morgentau übersäten Rasen. Es ist ein einfaches Steinkreuz ohne Inschrift, das Einzige, was drauf zusehen ist, sind zwei gekreuzte Federn, die eine schwarz die andere rot, das Symbol des Ordens. Es ist ein anonymes, leeres Grab. Doch ich weiß, für wen es ist.
Ich erinnere mich noch, als sei es gestern gewesen. Als ich in ein Krankenhaus, nicht weit entfernt vom Orden, aufgewacht bin. Damals erzählte man uns, dass es einen schlimmen Brand gegeben habe, im ehemaligen Krankenzimmer vom Hauptsitz des Ordens. Wir waren damals in dem Zimmer, um nach Ishizu zu sehen, so wie wir es jeden Tag getan haben. Doch das Zimmer fing plötzlich an zu brennen, aber wieso ist bis heute noch unklar. Die Polizei vermutet, dass die Elektronik einen Kurzschluss verursacht hatte, wodurch es zum Feuer kam. Doch der Orden hat seine eigene Vermutung und zwar, dass es ein vorsätzlicher Mord war.
Jule, Dean, Paul und mich konnte man noch in letzter Sekunde aus den lodernden Flammen retten. Doch für Astrid und Ishizu kam jede Hilfe zu spät, sie starben in der Nacht. Das war heute vor genau drei Jahren im Oktober 2021.
Dieses Grab, auf das ich blicke, gehört ihr, Ishizu. Da es durch den Feuer damals keine verwendbaren Überreste von ihr gab, ist das Grab leer. Daher gilt es eher als Gedenkstätte für sie. Aus Sicherheitsgründen wird jeder, der dem Orden angehört, anonym begraben. Bis heute wünsche ich mir, wir hätten ihre Seele doch übertragen, vielleicht wäre sie dann noch am Leben. Sie wäre zwar in einem anderen Körper, aber sie würde noch leben.
Langsam erhebe ich mich wieder. Locker lege ich eine Hand auf ihren Grabstein, dabei schweift mein Blick über die Landschaft, die hinter ihrem Grabstein liegt. Ich beobachte wie die Sonne ihre ersten Sonnenstrahlen auf die weiten Wiesen, die sich vor mir erstrecken, wirft. Für einen Moment genieße ich die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht. Ich schließe meine Augen und lausche den Geräuschen um mich herum. Ich höre den Wind, wie er durch die Blätter der umstehenden Bäume saust und das Zwitschern der Vögel. Doch ich nehme auch Geräusche wahr, die nicht so zur Umgebung passen. Es sind Schritte, Schritte die von hinten auf mich zukommen. Vorsichtig öffne ich meine Augen und kann erneut die Landschaft vor mir betrachten.
"Wie lang ist es jetzt her?" Ich erkenne diese Stimme. Ich drehe mich zu ihr um, doch die Person, die ich da sehe, passt nicht zu der Erinnerung, die ich noch im Kopf habe.
Ich mustere ihn von unten nach oben. Ich merke, dass Paul mich von oben bis unten mustert, während ich ihm antworte: "Lange." Paul hat sich sehr verändert, den Mann, den ich einst kannte, sah anders aus. Dieser Mann von damals war nicht so trainiert, wie der Mann vor mir. Die Größe ist gleich geblieben, es sind immer noch ein paar Zentimeter die uns unterscheiden. Ich richte meinen Blick auf sein Gesicht, seine blauen Augen haben den Glanz von damals verloren. Wie wir alle, hat ihn das Leben gezeichnet. Die letzten Jahre waren anscheinend für uns alle nicht leicht.
"Du siehst noch beschissener aus als damals, aber dein Bart pflegste und hegste ja immer noch. Willst du dir das Unkraut nicht mal aus deinem Gesicht machen lassen?" Ich kann mir das Schmunzeln nicht verkneifen, was am Ende über meine Lippen huscht. Auch Paul kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er das hört.
"Das sagt, der mit dem komischen Dreitagebart und das ist nicht einfach nur ein Bart, das nennt sich Schifferkrause." Während Paul das mit viel Hingabe betont, fährt er sich dabei genüsslich durch seinen schwarzen Bart. Es ist genau dieselbe Farbe, die auch seine kurzen und ungestylten Haare haben.
Doch seine Mine verblasst wieder, als er seinen Blick auf den Grabstein richtet. "Alec, wir müssen reden, aber nicht hier. Ich will ihre Ruhe nicht stören."
Erst am Ende seines Satzes, blickt er mir wieder in die Augen, bevor er dann weiter spricht: "Komm, wir fahren zum Bunker." Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, dreht er sich um und geht. Ich folge Paul ohne Widerworte, denn er hat Recht. Wir müssen wirklich reden. Doch ich bleibe noch einen kurzen Moment stehen und drehe mich zu dem Grab hinter mir um. "Ich komme wieder, sobald ich dich gerächt habe. Ishizu, ich verspreche es dir."
Erneut drehe ich mich um und gehe zum Ausgang des Friedhofes.

"Was machst du da?", will ich von Paul wissen. Ich sehe ihn nicht weit vom Friedhofstor auf dm Parkplatz stehen, wie er am Telefonieren ist.
"Nach was sieht es wohl aus, ich bestelle ein Taxi." Amüsiert schüttelt Paul den Kopf.
"Ach komm lass stecken, ich nehme dich mit", sage ich zu ihm. Am Ende des Satzes kann ich mir mein kleines, aber dennoch fieses Lächeln nicht verkneifen. Zögerlich nickt er und legt direkt auf. Ohne ein weiteres Wort folgt er mir, anscheinend hat er mein teuflisches fieses Lächeln nicht gesehen, weil sonst würde er mir nicht folgen. Ich steuere direkt auf mein neon-grünes Auto zu, auch genannt "The Viper". Paul hat nur Augen für mein Auto hat, was ich auch verstehen kann. Es ist das einzige Auto was von der Marke Araschar hergestellt wurde, bevor sie sich auf Waffen-Technologie spezialisiert haben. Es ist das schnellste und gefährlichste Auto der Welt.
"Ist es wirklich das, für was ich es halte. Das Araschar Auto benannt nach dem göttlichen Schwert, was seit tausenden von Jahren spurlos verschwunden ist?", fragt er mich voller Begeisterung. Ich bleibe stehen und richte meinen Blick auf Paul, dessen Augen strahlen bei dem Anblick.
"Ja das ist es mein ganzer Stolz. Habe ich in Ägypten beim Pokern gewonnen." Amüsiert muss ich schmunzeln. Ruckartig bleibe ich stehen. Ich habe ein komisches Gefühl in der Magengrube. Paul merkt nach ein paar Metern, dass ich nicht mehr hinterher komme "Was ist los? Wieso bleibst du stehen?", fragt er mich verwundert.
"Hier stimmt was nicht Paul. Wir müssen wieder zurück zum Tor." Mein Blick wandert währenddessen immer hin und her und erkundet die Umgebung, um herauszufinden, was hier nicht stimmt.
"Wieso? Magst du mir mal erklären, was los ist?" Paul kommt langsam auf mich zu und beobachtet mich aufmerksam.
"Mein Auto, der Motor ist an. Hörst du es nicht? Die Anlage läuft." Ich gucke Paul direkt in die Augen und versuche zu entziffern, was für Geräusche aus der Anlage meines Autos kommen. Es wird immer lauter und lauter ich müsste es bald verstehen. Es hört sich verzerrt an, wie ein Rauschen. Paul dreht sich langsam um und beobachtet nun auch das Auto und die Umgebung.
Die Anlage meines Autos wird auf volle Lautstärke gebracht und es ertönt eine Stimme aus den Lautsprechern, die man endlich verstehen kann.
"Ich habe dich gewarnt Alec. Ich habe es dir gesagt, dass ich nicht hinter euch her bin. Aber du hörst einfach nicht auf mich zu jagen. Wieso jagst du mich immer noch, Alec? Bist du es nicht langsam leid, immer wieder zu versagen!" Als ich diese verzerrte Stimme höre, weiß ich, wer es ist. Alle Muskeln in meinem Körper spannen sich an. "Gahiji...!"
Paul guckt mich erschrocken an, als er den Namen hört. Doch ich ignoriere seinen fragenden Blick und spreche einfach weiter
" ...du weißt warum."
" Du hast Recht Alec, ich weiß warum, doch weiß es auch Paul? Weiß er, warum du die letzten drei Jahre nicht mehr da warst? Weiß er, dass du das Versprechen, was ihr euch bei der Beerdigung gegeben habt, gebrochen hast? Weiß er, dass du die Jahre alleine die Mörderin von Ishizu gejagt hast? Das du mich die letzten Jahre gejagt hast? Alec, das ist meine letzte Warnung an dich. Hhör auf mich zu jagen oder ich bringe euch alle um. Angefangen mit Dean und vielleicht nehme ich mir dann die liebe Jule vor. Auch du Paul wirst dran glauben müssen und du Alec, du wirst all die Toten mit ansehen, bis du sterben wirst. Solange wirst du mit der Last leben müssen, die Schuld an all diesen Toden zu haben. Die Guten sterben Alec... Und die Bösen töten, genauso wie du es einst getan hast." Die verzerrte Stimme von Gahiji verstummt. Das Einzige was man noch hört, ist ein bösartiges Lachen, welches aus den Boxen meiner Anlage ertönt. In meinem Blickwinkel bewegt sich etwas. Ich sehe wie Paul mit langsamen und bedachten Schritten voranschreitet. Das Lachen aus den Boxen ist erloschen und es herrscht nun Stille. Gespannt warte ich darauf, ob erneut eine Stimme ertönt.Was bezweckt Gahiji bloß damit?
Ich beobachte Paul, wie er immer dem Auto immer näher kommt. Mein Blick wandert zum Wagen. Wie angewurzelt stehe ich hier und kann mich nicht bewegen. Reflexartig greife ich nach dem Anzugkragen von Paul und schleudere ihn mit ganzer Kraft nach hinten. Das Leben meiner Familie ist mir wichtiger als mein eigenes. Ich beobachte wie Paul nach Richtung Mauer fliegt und gegen die glatten, kalten Stein prallt. Er schafft es nicht, sein Gleichgewicht zu halten, weswegen er zu Boden sinkt. Mit hasserfüllten Augen schaut Paul mir in die meinen.

Es ist eine sehr einsame und beängstigte Stille, die in der Luft steht, wenn man das Wissen hat, etwas Furchtbares wird geschehen. Plötzlich zerreißt ein ohrenbetäubender Knall diese. Ich spüre die immense Druckwelle, die sich Kreisförmig von der Detonationsstelle ausbreitet. Die Druckwelle ist so immens stark, dass sie mich mit einer unfassbaren Stärke gegen die Mauer schleudert, gegen die ich vor paar Sekunden noch Paul geworfen habe. Die Druckwelle zieht mir den Boden unter den Füßen weg, ich spüre wie beim Aufprall ein paar meiner Rippen brechen, wie sie sich durch mein Fleisch bohren und sofortige Schmerzen verursachen. Der Aufprall lässt die Luft aus meinen Lungen endweichen, ich habe das Gefühl, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Ein geschätzter Augenblick danach brannte die Luft. Die Explosion war derartig stark, dass ich mich orientierungslos fühle. Ich höre nichts, außer diesem dumpfen Pfeifen, welches sich tief und schmerzhaft in die Synapsen meines Gehirnes hinein gebrannt hat. Mein Kopf ist am Platzen. Während ich zu Boden sacke, erkenne ich die ungebremste Zerstörungswut, die mein explodiertes Auto hinterlassen hat. Ringsherum wurde das Erdreich mit einer unfassbaren Energie aufgewühlt. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen, ein tollwütiger Bauer hätte den Boden mit zu großem Enthusiasmus umgeackert und mitten drin mein zerstörtes Auto, was von lodernden Flammen umschlossen ist. Als ich mich weiter umsehe, bemerke ich wie das Gras einfach weggeblasen wurde. Selbst die Birke, die gut 10 Meter entfernt hinter meinem Auto auf der ehemaligen Wiese steht, wurde in Mitleidenschaft gezogen. Die Flammen der Detonation züngeln noch zwischen ihren Ästen. Sie strahlen Hitzewellen ab. Ich habe das Gefühl, als würde meine Haut Feuer fangen. Langsam lasse ich den Blick rüber zu Paul schweifen. Ich mustere ihn von oben bis unten. Ihm ist nichts Schwerwiegendes passiert. Durch die Detonation verursacht, flogen Metallstücke umher. Einige sind bei Paul stecken geblieben, aus den Schnitten quillt das Blut heraus.
Es dauert einen Moment, bevor ich wieder richtig zu Atem komme. Bei jedem Atemzug tut mir meine Lunge weh.
"Woher wusstest du das?", fragt mich Paul mit schmerzverzehrter Stimme.
"Das ist nicht das erste Mal, dass Gahiji mich auf diese Art und Weise warnt. Je näher ich ihr komme, desto gefährlicher wird es für mich. Das ist auch der Grund, warum ich euch nie was erzählt habe. Ich wollte es, doch nach der ihrer ersten Warnung habe ich es gelassen. Ich wollte euch in Sicherheit wissen." Ich lasse meinen Kopf sinken, nachdem ich Paul die ganze Zeit in die Augen geschaut habe.
"Erzählst du uns, was die letzten Jahre passiert ist?" Seine Frage klingt zögerlich, aber auch vorwurfsvolle.
"Ja, aber nicht hier, lass uns erstmal hier weg. Wir rufen alle nachher zusammen und treffen uns im Bunker." Ich schaue Paul direkt an und er nickt mir kaum merklich zu.
Von Sekunde zu Sekunde nehmen meine Schmerzen zu, mit jedem Atemzug tut meine Lunge mehr und mehr weh. Mein Körper gibt langsam auf, ich schaffe es nicht länger durchzuhalten, langsam umfängt mich die Schwärze, die ich bis dato fern halten konnte. Ich spüre wie etwas Warmes langsam meinen Hals hinunter läuft. Anscheinend habe ich mir beim Aufprall den Kopf aufgeschlagen. Ich sinke hinab in die Dunkelheit.

Nun stehe ich hier, in einer mir unbekannten Umgebung. Es gibt keine Wände, kein Dach, geschweige denn irgendetwas. Alles was ich sehe ist weiß. Bewegen ist unmöglich. Ich spüre, wie sich jemand gegen mein Rücken lehnt. Ich versuche meinen Kopf zu bewegen, doch es ist unmöglich. Nun stehe ich hier, unfähig mich zu bewegen, Rücken an Rücken mit einer mir schier unbekannten Person. Ich spüre nichts, nicht die Wärme, die von dem mir unbekannten Körper ausgeht, ich nehme die Berührung des anderen Rückens wahr, doch ich spüre sie nicht. Als würde zwischen uns eine Mauer sein, als würden wir nicht aneinander lehnen, sondern an einer Mauer, einer kalten Mauer. Diese Sphäre, die von der Person ausgeht, sie kommt mir bekannt vor. Sie fängt an mich zu umschließen und mich immer mehr in ihren Bann zu ziehen.
"Spürst du das Alec, dieses Gefühl, diese Leidenschaft, dieses drückende Gefühl in der Brust…?" Ich vernehme, wie die Person hinter mir anfängt zu reden.
"...All dies hast du eins gefühlt, du hast es sogar genossen. Nichts wolltest du je mehr als das, doch du hast es verloren, du hast zugelassen, dass man es dir raubt. Du kämpfst nicht darum, es wiederzubekommen, wieso? Wieso willst du niemanden mehr an dich ranlassen?" Diese Stimme, ich kenne sie.
"Du hast Recht, ich spüre dieses Gefühl jeden Tag aufs Neue, denn es ist Hass. Ich spüre auch diese Leidenschaft, die du meinst. Diese Leidenschaft an dieser Jagd, die beginnt, Leidenschaft ans Töten. Das drückende Gefühl vor Freude, wenn ich merke, dass ich ihr immer näher komme. Doch ich spüre noch so vieles mehr. Ich spüre auch jeden Tag die Trauer und die Wut, als ich sah, wie man dir unser ungeborenes Kind aus dem Leib schnitt. Ich musste mit ansehen, wie man uns unsere Tochter raubt. Ihre ersten Schreie werde ich nie vergessen. Ihr Anblick als man sie mir zeigte, werde ich nie vergessen. Ich werde auch nie vergessen, wie man mir sagte, dass ich sie nie wieder sehen werde. Der Anblick wie du da lagst, mit Tränen in den Augen am verbluten. Ich sah mit an, wie du deinen letzten Atemzug machtest, wie deine Augen den Glanz verloren und wie die Farbe deines Körpers verblich. Nie hatte ich zugelassen, dass man es mir raubt, doch ich hatte keine Wahl. Wie denn auch, ich war an Händen und Füßen an einen Stuhl gefesselt und musste bei allem zuschauen, ohne etwas dagegen unternehmen zu können." Meine Stimme klingt kühl und doch hört man die Trauer heraus.
Ich spüre das Beben an meinem Rücken, ich vernehme ein leises Schluchzen, sie ist am Weinen. Ich höre sie mehrmals tief ein und ausatmen und das Weinen verstummt. Danach beginnt sie wieder zu sprechen: "Hast du versucht unsere Tochter zu finden? Weißt du was mit ihr geschehen ist?"
Meine Augen schließe ich, doch mir laufen die schrecklichen Bilder von damals durch den Kopf. Wie sie auf diesem kühlen Metalltisch liegt, ihre Kräfte geschwächt durch unausstehliche Schmerzen. Die Ärzte lassen sie so liegen, machen sich nicht erst die Mühe sie zuzumachen, sie lassen sie verbluten.
"Ich habe sie gesucht, doch nie gefunden. Ihre Spur verläuft sich im Wind." Während ich ihr antworte, öffne ich meine Augen und verdränge diese scheußlichen Bilder aus meinem Kopf.
"Du musst sie finden Alec, sie braucht ihren Vater, ihren leiblichen Vater. Du musst jetzt erwachen Alec, unsere Freunde, besser gesagt, unsere Familie wartet auf dich. Erzähle es ihnen, sie müssen es erfahren. Ich liebe dich, bis zum nächsten Mal Alec."
"Ich werde dich immer lieben Jey-Jey", sind meine letzten Worte an sie.
Bevor ich in einem Krankenhausbett erwache.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 03.04.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Einer sehr sehr guten Freundin

Nächste Seite
Seite 1 /