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Der Beginn des schleichenden Todes

 

 

Pestmond über Sulgen

 

Kapitel 1: Der Beginn des schleichenden Todes

Es war das gottverdammte Jahr 1611, welches über Sulgen und somit auch über Gerold hereinbrach. Aber davon ahnte er an diesem Markttag nichts. Markttag bedeutete für Gerold, dass er am frühen Morgen, wenn die Bauern mit Ihren Karren in die Stadt fuhren, vor das Stadttor von Sulgen ging und seine Hilfe anbot. Er suchte sich von den vier Stadttoren immer das Obertor aus. Hier fuhren die meisten Bauern in die Stadt auf den Markt. Die Straße war denkbar schlecht und so musste Hand angelegt werden, damit die Wagen die kleine aber steile Durchfahrt durchqueren konnten. Damit verdiente er sich an solchen Tagen sein Essen. Manch einer von den anderen Handlangern versuchte auch, etwas von den Wagen zu stehlen. Doch das kam für Gerold nicht in Frage. Er mochte nicht riskieren, erwischt zu werden. Denn derjenige den man dabei ertappte, dass er stahl, kam vor den Stadtrichter, und der nahm schon mal eine Hand dafür. Damit war man für jede Arbeit unbrauchbar und gezwungen, sein ganzes restliches Leben zu betteln, auch zu stehlen. Dass man dabei früher oder später erwischt wurde, war jedem klar genauso dass man dann am Galgen landete. Da Gerold verständlicher Weise noch etwas leben wollte, auch wenn sein Dasein für die Gutbürgerlichen mit Leben so gut wie nichts zu tun hatte, versuchte er ehrlich durch die Tage zu kommen. Als Tagelöhner und Bettler schlug er sich deshalb nun schon seit Monaten hier durch. Die Bürger der Stadt Sulgen sind schon großzügig, schließlich galt es als Nächstenliebe wenn man die Armen und Bedürftigen unterstützte. So langsam verstand er sich auch darauf, mit bestimmten Bemerkungen oder Gesten das ein oder andere aus den Leuten heraus zu locken. Doch hatte Gerold immer ein schlechtes Gefühl dabei, denn unter den sauberen Herren der Stadt gab es manchen, der sein Betteln als Aufdringlichkeit verstand und gerne zur Gerte griff um ihn los zu werden. Das Schämen für seine Bettelei hatte er abgelegt, dazu war der Hunger an manchen Tagen einfach zu groß.

 

Zu Hause, als sein Vater noch lebte, da hatte sein Tagesablauf Sinn. Er half auf dem Hof, versorgte die Tiere und ging seinem Vater bei der Feldarbeit zur Hand. Er leistete weit mehr als es ein Knecht je könnte und sein Vater war stolz auf ihn. Doch das Unglück, das seinen Vater in diesem verdammten Jahr ereilte, bedeutete für seinen Vater ein jähes Ende und für Gerold der Beginn der Hölle auf Erden. Er hatte das Gefühl, dass er seither einen Begleiter namens Unglück hatte.

 

Sie waren an dem Unglückstag, ein kalter Dezembermorgen, im Holz, wie schon die ganze Woche. Heute sollten die letzten Bäume gefällt und dann bearbeitet werden, damit ihr Lehnsherr die Stämme im Frühjahr über die Alpen nach Italien liefern konnte. Italien, das war für Gerold das andere Ende der Welt. Mit seinen 15 Jahren war er noch nie über die heimatlichen Grenzen hinausgekommen. Für ihn war es schon ein Ereignis nach Sulgen auf den Jahrmarkt zu fahren.

Einer der Bäume, den sie am Vortag umsägten, hatte sich beim Fallen in den daneben stehenden Baum verfangen. Es war aber bereits zu dunkel, um nach Möglichkeiten zu suchen, den Stamm trotzdem auf den Boden zu bekommen. An diesem Morgen sollte es die erste Arbeit sein. Mit Ihrem Arbeitspferd und den Werkzeugen machten sie sich auf den Weg. Sein Vater begutachtete das Gewirr aus Stämmen, Ästen und Zweigen. " Ich werde hier an diesem Knick sägen. Du musst sofort rufen, wenn der Stamm ins Rutschen gerät." Gerold nickte und stellte sich Abseits, damit er das Ganze im Blick hatte. Sein Vater begann zu sägen. In dem Augenblick, als er sich kurz zu seinem Vater umsah, vernahm er ein Bersten und Krachen. Die Stelle, an der sein Vater die Säge ansetzte, musste unter hoher Spannung gestanden haben. Er sah nur noch wie der Stamm regelrecht explodierte, sein Vater einen Schlag vom zerberstenden Stamm abbekam, und nach hinten geschleudert wurde. Beim Aufprall auf den Boden, fiel er auf herumliegende Äste, von denen sich einer durch seinen Körper in Höhe der Brust bohrte. Gerold starrte wie gelähmt auf die Stelle, wo sein Vater lag. Langsam ging er zur Unglückstelle. Der Weg dahinschien unendlich weit. Als er rüber ihm stand, sah er Blut aus der Wunde hervor quellen und hörte das Röcheln seines Vaters. Unfähig sich zu bewegen, starrte und starrte er auf seinen verunglückten Vater. Nur mit Mühe löste er sich und kniete nieder. Der hatte die Augen geschlossen und war nicht ansprechbar. "Vater, Vater, hörst du mich?". Doch es kam keine Reaktion. Was sollte er tun? Ihn alleine hier lassen, in der Kälte? Sein Vater, kräftig gebaut, mit starken Armen die sehr feinfühlig sein konnten, wenn Gerold oder auch seine Mutter eine Schulter brauchten um sich anzulehnen. Ein Mann, der in der Lage war, sich gegen Diebe und sonstiges Gesindel zu wehren. Jetzt lag er hilflos da, und alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Bewegen wollte und konnte er ihn nicht. Er hatte Angst, ihn noch schwerer zu verletzen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als das Pferd zu nehmen und Hilfe zu holen. Er schwang sich auf das ungesattelte Pferd und galoppierte in Richtung Hof. Als er sich in Sichtweite befand, fing er an, um Hilfe zu rufen. Seine Mutter und sein Onkel, der seit einem Brand vor einen Jahr , bei dem er Hof und Familie verlor, bei Ihnen arbeitete, kamen aus der Scheune gelaufen und erwarteten ihn. Er versuchte ihnen unter Gestammel von dem Unglück zu berichten, doch brachte er kein vernünftiges Wort heraus. Erst die schallende Ohrfeige des Onkels brachte ihn wieder zur Vernunft. Schnell berichtete er, was passiert war. Sein Onkel schnappte sich das Pferd, rief Gerolds Mutter zu, sie solle Verbandszeug zusammenpacken und mit dem anderen Pferd nachkommen. Seine Mutter verschwand im Haus und lies Gerold mitten im Hof stehen. Kurz darauf kam sie wieder heraus, lief zum Stall um das zweite Pferd zu holen und ritt dann Richtung Wald davon. Alleine gelassen, und sich schuldig fühlend, brach das ganze Elend über Ihn herein und er fing an, wie ein kleines Kind zu heulen. Er konnte nicht mehr aufhören, Schüttelfrost überfiel ihn und er sank zu Boden. So fand Ihn seine Mutter am späten Vormittag, als sie und der Onkel von der Unglücksstelle zurückkamen. Den Vater und Ehemann hatten sie auf eines der Pferde gebunden. Er war tot. Die nächsten Tage waren ein Albtraum für Gerold. Sein Vater wurde auf dem Friedhof am Stadtrand beerdigt. Die Trauerfeier war kurz, nur wenige Verwandte waren da. Doch das Leben auf dem Hof musste weitergehen. Sein Onkel kümmerte sich nun um alles. Er nahm die Zügel in die eine Hand und die Gerte in die andere. Das Leben wurde zu Hölle. Gerold musste nicht nur arbeiten, sondern sich schinden um den Onkel zufrieden zu stellen. Seine Mutter war ihm keine Hilfe. Sie verkroch sich in Ihrer Trauer im Haus. "Wenn du schon deinem Vater nicht beigestanden und das Unglück zugelassen hast, musst du auch die Arbeit von Ihm übernehmen" Das war der Kommentar, wenn Gerold nicht mehr konnte und um eine Pause flehte.

 

Eines Tages kam der Pfarrer in Begleitung des Büttels aus der Stadt auf den Hof. Der Onkel empfing beide und sie sprachen kurz miteinander. Was gesprochen wurde, konnte Gerold nicht verstehen. Doch als der Onkel mit ängstlicher Stimme nach seiner Mutter rief, überkam ihn ein mulmiges Gefühl. Nun gingen sein Onkel und der Pfarrer ins Haus, der Büttel blieb draußen und schaute sich um. Als er Gerold entdeckte, ging er auf ihn zu. Ein Büttel konnte nicht mieser aussehen als dieser. Groß und kräftig gebaut, in einer schmutzigen Uniform steckend, unrasiert und mit etlichen Zahnlücken behaftet ging er auf Gerold zu und beugte sich zu ihm herab. Fauliger stinkender Atem wehte Gerold entgegen. "Na Kleiner, deiner Mutter geht es an den Kragen. Man hat sie nachts gesehen, wie sie ums Feuer tanzte und Zaubersäfte braute." Sein dreckiges Lachen unterstrich die grausame Situation. Schon als kleines Kind hörte man von Hexen, Zauberern und dunklen Gestalten, die man unbedingt meiden musste. Aber seine Mutter konnte damit doch nicht gemeint sein. "Das kann nicht sein, du lügst", schrie Gerold. Ein Faustschlag holte ihn von den Beinen. Der Büttel hatte ohne Mühe mit einem kurzen aber kräftigen Schlag in die Bauchgegend seine Autorität hergestellt. Gerold rang nach Atem und hielt sich vor Schmerzen den Bauch. Das Lachen des Büttels hallte über den Hof. Gerold schlich zur Scheune und verkroch sich im Heu. Kurz vor Sonnenuntergang kam der Pfarrer aus dem Haus, rief dem Büttel etwas zu und beide verschwanden vom Hof. Gerold lief ins Haus um nach seiner Mutter zu sehen. Er fand sie in der Stube, völlig aufgelöst mit rot geweinten Augen. Der Onkel war nicht zu sehen. "Komm her Gerold, ich muss dir was sagen". Nun erzählte sie ihm den ganzen Vorfall. Jemand aus der Gegend, wer genau war nicht zu erfahren, hatte sie der Hexerei und Hurerei angeklagt. Da sie mit dem Onkel unter einem Dach lebte, war der Fantasie der Mitmenschen keine Grenzen gesetzt. Ein gefundenes Fressen für Ratsch und Tratsch. Auch Selbstschutz konnte dahinter verborgen sein. Wenn es die als Hexe erwischt, bleibe ich verschont. Gib den Oberen Hexenfutter und sie geben Ruhe. Der Pfarrer der Stadt war kein Unmensch, mit einem teuer erkauften Sündenerlass und der Hochzeit mit dem Onkel konnte er die Anklage als nichtig abtun. Gerold war wie vor den Kopf geschlagen. Sein Onkel sollte an die Stelle des Vaters treten. Das konnte nicht sein. Was hatte er nur verbrochen, dass er so hart bestraft wurde. Der Preis für die erkaufte Freiheit, wenn es den eine war, war hoch, sehr hoch. Beide Pferde wurden beschlagnahmt und in den nächsten 5 Jahren war nicht nur der übliche Zehnte fällig, sondern darüber hinaus, nochmals ein Ernteanteil von einem Zehnten. Eine Unmöglichkeit, das bedeutete den Ruin für den Hof, welcher der Vater und dessen Vater aufgebaut hatten. In diesem Augenblick kam der Onkel zur Tür herein. "Du bist schuld an dem Unglück, ich sollte dich als Unfreier nach Burg Waldburg schicken". Seine Mutter stieß einen Schrei aus. "Ich habe eingewilligt dich zu ehelichen, aber das mache ich nur, wenn du ihn in Frieden lässt", stammelte sie. " Er ist am Unglück schuld, er wird dafür bezahlen. Auf dem Hof kannst du nicht bleiben, der wirft nicht mehr genug für uns alle ab. Du hat dein Anrecht darauf verspielt." Gerold wollte etwas erwidern, aber der eisige Blick seines Onkels lies ihn schweigen. Was sollte nun aus ihm werden. Als Unfreier würde er kein eigenes Leben mehr führen, Sklave bis zum Tod. Sein Onkel riss ihn aus seinen Gedanken. "Verschwinde in die Stadt. Vielleicht findest du dort als Tagelöhner ein Auskommen und lass dich hier nie wieder blicken." Gerold suchte den Blick seiner Mutter, doch die starrte auf den Boden. Sie konnte ihm wohl nicht helfen. Auch sie hatte Angst vor dem Onkel. Er hält ihr Leben in der Hand. Wenn Sie sich ihm verweigerte, brauchte er sie nur dem Pfarrer zu melden, und schon war sie wieder als Hexe angeklagt. War das die gerechte Welt Gottes?

 

So kam er hier in die Stadt Sulgen. Heute am Markttag hatte er keine Möglichkeit vor die Stadttore zu gehen, um den Bauern zu helfen um das ein oder andere Gemüse zu erhalten. Er war bereits auf dem Weg zum Marktplatz. Er war hungrig, aber die Aussicht auf Arbeit beflügelte ihn und mit gehobener Stimmung ging er seinen Weg. Mit der Gewissheit, an diesem Tag so viel zu verdienen, dass er am Abend gesättigt zu seiner Schlafstätte kam, lies den Tag angenehm erscheinen. Überhaupt schien es ein schöner Herbsttag zu werden. Es war trocken, er hatte ein Versprechen auf eine Tagesarbeit beim Zimmermann und somit den heutigen Tage überlebt. Das ist mehr als der Alte am Bach unten hatte. Seine Lebenskerze war heute Nacht erloschen. Kein Kampf mehr ums Überleben, kein Betteln um ein Stück Brot, keine Prügel von den Bütteln, keine Nächte mehr in der feuchten dunklen kalten von Ratten bewohnten Arrestzelle im Stadtturm. So gesehen hatte der Alte es dann vielleicht doch besser getroffen als Gerold. Doch auch für Gerold ergab sich ein Vorteil wenn der Alte nun nicht mehr da war. Einen besseren Schlafplatz, der meist trocken war, und nicht mehr so zugig. Er hatte sich mit dem Alten einen Platz unten an der alten Mühle geteilt. Jetzt hatte er den Platz für sich allein. Und die Stadt hatte einen Bettler weniger, weniger Almosensammler. Es galt zwar als gute Tat den Bettlern der Stadt etwas Gutes zukommen zu lassen, aber all zu viele von dem Pack wollte man auch hier nicht durchfüttern. Schließlich war Sulgen eine ehrbare Donaustadt, da passten die Bettler nicht in das anschauliche Bild einer aufblühenden Stadt mit ihrer stolzen aber so langsam baufälligen Kirche mit dem dahinter liegenden Gottesacker mitten in der Stadt und dem großen Marktplatz. Das Kloster, welches an die Stadtmauer im Norden grenzte und vor kurzem noch von den Beginen bewohnt wurde bevor sie Hals über Kopf aus der Stadt verschwanden, ist nun von Franziskanerinnen bewohnt. Die Beginen waren nett zu ihm. Dort bekam er immer was zu essen. Zwar nicht umsonst, er musste im Garten helfen, beim Schlachten oder kleinere handwerkliche Tätigkeiten ausführen, aber dort fand er sich gut aufgehoben. Bei den Franziskanerinnen hatte er kein Glück, sie brauchten seine Arbeitskraft nicht. Sie hatten selbst genügend helfende Hände die beschäftigt werden mussten. So war hier seine Quelle des Überlebens versiegt.

 

So ging er also heute Morgen Richtung Marktplatz, dort sollte er sich mit dem Zimmermann Godeck treffen. Für Ihn konnte er an diesem Morgen arbeiten. Im Sägewerk in der Grube, oben stand der Geselle und unten in der Grube meist ein Tagelöhner. Über der Grube lag der zu durchsägende Baumstamm, und mit der großen Bandsäge musste nun der Baumstamm mit gleichmäßigen Zügen durchtrennt werden. Unten in der Grube war nun der denkbar schlechteste Platz, hier schluckte man den ganzen Tag Sägemehl, so dass einem am Abend die Lungen schmerzten. Aber immerhin reichte das Geld, das er hierfür bekommen konnte für 2 Tage aus. Und vielleicht konnte er auch noch die darauf folgenden Tage hier arbeiten, wenn der krank gewordene Arbeiter noch nicht wieder fähig war, seine Arbeit aufzunehmen. "Gerold", hörte er plötzlich rufen. Auch wenn er genau wusste, wem diese Stimme gehörte, schaute er sich vorsichtig um, er könnte ja Glück haben und sich täuschen. Aber die Stimme trog ihn nicht, er sah schon den Büttel Weiland auf sich zukommen. Dieser brutale riesige Kerl, der, wie er inzwischen wusste, so richtig Spaß an seiner Arbeit hatte. Gerne holte er für die Gerichte die Angeklagten von zu Hause ab, wenn diese noch nichts von Ihrem Unheil wussten. Er ergötzte sich am Schrecken derer, die wegen Ketzerei, Hexerei oder Schwarzmagie angeklagt wurden. Er war sich für keinen Dienst zu schade und es wurde gemunkelt, dass er sich auch an peinlichen Verhören, das heißt an Foltersitzungen der Inquisition, beteiligt hatte. Das konnte für Ihn nur Ärger bedeuten, aber davon rennen war zwecklos, der Büttel würde ihn mühelos einholen und dann setzte es Hiebe. So blieb er stehen und wartete kurz bis der Büttel ihn erreicht hatte. "Was willst du unnützes Stück hier in der Stadt und auf dem Markt? Bist du unter die Beutelschneider gegangen?". Der Büttel lachte über seinen eigenen Witz, aber auch nur er. Gerold verzog nur sein Gesicht zu einer Grimasse, von der man nicht erahnen konnte, ob er grinste, heulte oder was sonst auch immer. "Ich treffe mich hier mit dem Zimmerermeister Godeck. Er hat Arbeit für mich", sagte Gerold nicht ohne ein bisschen Stolz. Der Büttel musterte Ihn von oben bis unten und setzte dann sein teuflisches Grinsen auf."Wir warten gemeinsam auf den Zimmerer. und wenn du mich angelogen hast, setzt´s was." In freudiger Erwartung rieb er sich schon die Hände. Nun konnte Gerold nicht mehr verbergen, dass er am ganzen Leib zitterte. Wenn der Zimmermann es sich nun anders überlegt hatte und doch nicht erscheinen würde, war ihm die schlimmste Tracht Prügel seines Lebens sicher. Er suchte bereits nach einem Fluchtweg, doch, als ob es der Büttel ahnte, legte der nun seine rechte Pranke auf seine Schulter. Es war Gerold, als werde er ein ganzes Stück in den Boden gedrückt. In diesem Augenblick erschien Meister Godeck."Mensch Weiland, hast du wieder ein Opfer gefunden. Lass ihn los, ich brauch den Bengel heute. Morgen kannst du ihn dann wieder zerbrechen". Der Büttel erschrak, und machte einen Bückling vor Meister Godeck. Dieser Zunftobermeister hatte eine Menge Macht in der Stadt, und er wollte es mit Ihm nicht verscherzen."Ich versuche nur die Stadt vor Strolchen und Halunken zu schützen. Bei solchem Gesindel weiß man nie", antwortete er kleinlaut. So kann aus einen Bär schnell eine kleine speichelleckende Ratte werden, dachte Gerold. „Ja du hast recht, der sieht gefährlich aus,“ meinte lakonisch der Zunftmeister und gab Gerold ein Zeichen ihm zu folgen. Zum Abschluss erhielt er noch einen Fußtritt vom Büttel als der Zimmerer schon wieder Richtung seiner Werkstatt lief. Gerold folgte im schnell, nicht nur um aus der Reichweite des Büttel zu kommen, sondern auch, um einen guten Eindruck beim Meister zu hinterlassen. Schließlich war schon mancher fest angelernt worden, wenn er sich nicht zu dumm angestellt hatte. Auf dem Weg zur Werkstatt hatte Gerold Gelegenheit, den Zunftmeister genauer zu betrachten. Er schätzte ihn auf runde 40 Jahre, kräftig gebaut, vornehm angezogen, einen Kopf größer als er selbst. In seinem Gesicht,welches wettergegerbt war, zogen sich viele Falten durch, wobei eine gewisse Schläue und eine Brise Humor sich nicht verleugnen ließen. Doch der Gesamteindruck im Augenblick war eher nachdenklich. Er wirkte abwesend und mit seinen Gedenken weit weg. Ruckartig blieb er stehen, sodass Gerold fast auf Ihn aufgelaufen wäre. „ Geh in die Werkstatt und melde dich beim Franz. Das ist mein erster Geselle. Er wird dich in der Grube einweisen.Sag ihm, dass ich noch ins Rathaus zum Amann bin." Kaum zu Ende gesprochen, setzte er seinen Weg Richtung Rathaus fort. Gerold schaute ihm kurz nach und machte sich dann auch auf den Weg zur Werkstatt. Er lief die Hauptstraße entlang bis zur Bachstraße, dort weiter bis zur Seelengasse. An deren Ende lag die Werkstatt. Auf dem Weg dorthin kam er beim Kaufmann Winterer vorbei, dessen Tochter vor der Ladentür die Waren in den Straßenständen herrichtete. Gerold konnte sich an diesem Mädchen nicht genug satt sehen. Das erste Mal, als er sie sah, blieb ihm vor lauter Stauen der Mund offen. So stellte er sich eine Prinzessin vor, mit Ihren roten Pausbacken, Ihrer Lockenpracht und Ihrem verschmitzten Lächeln, das aber nie ihm gilt. Wenn man es genau betrachtete, nahm sie ihn nicht einmal war. Aber das war ihm egal. Bei jeder möglichen Gelegenheit, versuchte er einen Blick auf Sie zu erhaschen. Das hatte ihm schon einige Prügel von ihren größeren Brüdern eingebracht. Doch was waren die Schmerzen gegen einen Blick auf sie. Auch heute war es nicht anders. Er ging an ihr vorbei und sah sie bewundernd an, und sie übte sich in Missachtung seiner. Egal, für ihn war es ein Glücksgefühl, welches in fast bis zur Werkstatt fliegen ließ. Dort angekommen erwachte er schnell wieder aus seiner Träumerei. Der Geselle erwartete ihn bereits und schickte ihn nach kurzer Einweisung in die Grube.

 

 

Zunftmeister Godeck hatte es plötzlich eilig zum Stadtamann zu kommen. Sein Anliegen drängte, denn der Hexenprozess sollte in ein paar Tagen stattfinden, doch die Hexe,welche zur Verfügung stand, war in seinen Augen die Falsche. Es konnte ja nicht angehen, dass seine Gespielin eine Hexe war. Natürlich, sie war die Gespielin mehrerer Herren der Stadt, aber er hatte immer das

Gefühl, das er etwas Besonderes für Sie darstellte. Und schließlich gab es im Hinterzimmer vom Badehaus noch genug Weiber, die man als Hexe verbrennen konnte. So war der Klerus

zufrieden gestellt und man hatte in der Stadt seine Ruhe. Der Pfarrer gab sich mit seinen kleinen Gaunereien zufrieden, welche ihm ein einträgliches Leben bescherten. Erst kürzlich hatte er wieder 2 Pferde auf dem Viehmarkt verkaufen können. Weiß der Teufel, wie er da wieder dazugekommen war.

 

Er traf den Amann in seinem Amtszimmer, wo er wie erwartet in wichtiger Haltung, heraus geputzt wie ein Gockel, seinen Schreiber einen Brief diktierte, welcher sehr wahrscheinlich völlig unwichtig war .Johann Strebel wurde vor gut einem halben Jahr zum Amann gewählt. Der Rat der Stadt versprach sich einen ruhigen und lenkbaren Amann. Schließlich war Strebel ein nicht sehr erfolgreicher Steinmetzmeister, der diesen Zusatzlohn gut gebrauchen konnte. Doch so ganz ging die Rechnung nicht auf. Der Amann ließ sich wohl lenken, aber dafür auch gerne beschenken. Im anstehenden Fall aber war er ein wichtiger Knotenpunkt. Mit seiner Position konnte er besser auf die Kirche vor Ort einwirken, da man aufeinander angewiesen war. "Johann, ich grüße dich. Wichtige Geschäfte?" , begrüßte er den Amann, mit einem Nicken zum Schreiber hin." Immer, guten Morgen Wilhelm. Schön dich schon wieder zu sehen. Gestern im Badhaus wurde es recht spät."" Ein Grinsen verriet, dass der Abend einen angenehmen Verlauf hatte. "Das kannst du laut sagen. Meine Frau hat mich empfangen und meinte,die Zunftzusammenkünfte gehen auch immer länger" Beide lachten über die Leichtgläubigkeit der Frauen. "Was kann ich für dich tun?"."Können wir uns in Ruhe unterhalten?" Ein Blick auf den Schreiber gab zu verstehen,,dass er lieber alleine mit ihm sprechen wollte. "Natürlich. Du kannst gehen. Ich lasse dich rufen, wenn ich dich brauche,"sagte er, an den Schreiber gewandt. Nachdem die Tür ins Schloss fiel , begann der Zunftmeister mit seinem Anliegen:"Gestern im Badhaus habe ich meine Lieblingsgespielin vermisst, und als ich nachfragte, hieß es, sie sitze im Kerker, angeklagt als Hexe " „ Du meinst die schöne Maria?Ja,eine richtige Hexe soll sie sein. Der Prozess soll in den nächsten Tagen stattfinden. Je nachdem, wenn der Inquisitor aus Ravensburg uns über sein Eintreffen informiert. Wird bestimmt ein tolles Ereignis." „Kann schon sein. Aber es ist die Falsche." „Was soll das heißen? Eine ist wie die andere. Man muss Opfer bringen wenn man seine Ruhe will." „Ich weiß schon, aber hier liegt der Fall anders. Wir müssen eine Möglichkeit suchen, sie frei zu bekommen." „Wie stellst du dir das vor? Soll ich zum Pfarrer gehen und sagen, er hat die falsche verhaftet, such dir eine andere. Er ist zwar nicht derjenige der auf Hexenprozesse pocht, aber auch er muss seinen Anteil dazu beitragen, dass genügend Hexen in der Hölle schmoren." „Nicht diese, lass uns eine Möglichkeit suchen",antwortete der Zimmermann fast verzweifelt. "Mensch Wilhelm, was hat die mit dir getan? Verhext?", er lachte vergnügt über seinen Witz." Sie ist einfach unschuldig, und ja sie gefällt mir besonders", gab nun der Zunftmeister zu. Der Amann sah tatsächlich einen geknickten traurigen Mann vor sich. "Gut, ich werde mir überlegen, was wir tun können. Aber einfach mit einem anderen Weib aus dem Badhaus tauschen, das geht nicht. Das würde zu viel Unruhe rein bringen, und wir wollen doch nicht auf unser Vergnügen verzichten." So leicht zu lenken wie der Zunftmeister sich gedacht hatte, war dieser Amann eben halt nicht. Dieser dachte mit, was ja kein Fehler sein musste . Sie verabschiedeten sich, nicht aber ohne dass der Amann sein Wort darauf geben musste, sich schnellst möglichst der Sache anzunehmen.

 

Johann Strebel grinste breit vor sich hin. Ihm war bewusst, warum er zum Amann gewählt wurde. Die meisten der Wahlbürger dachten, mit ihm leichtes Spiel zu haben. Mit seinem Aussehen, kleinwüchsig und vielleicht etwas zu dick, lichtem Haar und unreiner Haut machte er nicht unbedingt einen selbstbewussten starken Eindruck.Doch so etwas konnte einem auch zu Nutze kommen. Er wurde oft unterschätzt und mancher plauderte in vertrauter Runde Dinge aus, die man bei der ein oder anderen Gelegenheit durchaus zum Vorteil einsetzen konnte. In der Regel hatte er immer einen Nutzen aus den Gefälligkeiten, die er den anderen zukommen ließ. Und in diesem besonders heiklen Fall schien eine Menge möglich. Er musste nur eine Möglichkeit finden,diese Maria aus dem Kerker zu bekommen. So ergaben sich zwei Probleme, einmal einen Ersatz und zum zweiten das Überzeugen des Pfarrers. Oder doch nur ein einfacher Austausch? Hatte der Pfaffe Maria überhaupt gesehen, oder wurde nur der Büttel beauftragt sie abzuholen? Befragt wurde sie noch nicht, da dies ja dem Geistlichen aus Ravensburg überlassen werden sollte. Das war auch noch ein Dorn in seinem Auge. Warum brauchten wir hier in Sulgen Hilfe aus Ravensburg. Die sollen vor Ihrer eigenen Türe kehren. Schließlich haben wir unsere eigene Gerichtsbarkeit, auch wenn die kirchlichen Instanzen hier eine andere Ordnung hatten. Vor einem Weltlichen Gericht würde so ein Prozess nicht stattfinden. Nur für die Urteilsvollstreckung griff man auf den städtischen Scharfrichter zurück und der der Sulgemer war weit über die Stadt hinaus bekannt. Schließlich hatte er schon in Memmingen ausgeholfen, als dort die Stadt von einer größeren Anzahl von Hexen befreit werden musste. Es wäre tatsächlich schade um Maria. Sie war eine dralle Hübschlerin, die es verstand einem schöne Augen zu machen. Wenn er sie befreien konnte, schuldete nicht nur der Zimmerer ihm etwas, sondern auch Maria, und die könnte ja in Naturalien bezahlen. Sein Grinsen wurde bei dem Gedanken noch breiter. Eine Lösung musste her, die Aussicht auf den Lohn war viel versprechend. Doch zuerst galt es, alles für die Ankunft der Gaukler vorzubereiten. Er hatte von den Herren von Sulgen, auf dessen Burg er vor Tagen zu Gast sein durfte, die Erlaubnis erhalten, Spielleute in der Stadt aufspielen zu lassen. Diese hatten angefragt, da sie in Buchau zur Zeit Gast waren und gerne auf dem Weg nach Freiburg in den dazwischen liegenden Städten und Burgen ein paar Vorstellungen geben wollten . Der Schreiber den er vorher hinaus geschickt hatte, verfasste gerade das Schreiben mit der Erlaubnis. Allerdings mit der Auflage, am Samstag in der Burg zu spielen. Das war die Voraussetzung mit der Wilhelm von Sulgen die Erlaubnis erteilt hatte. Es war in der Stadt bekannt dass am Wochenende eine edle Frau zu Gast auf der Burg sein soll. Es wurde auch gemunkelt, dass es sich hierbei um die Tochter von Albert von Wolfegg handelte, um deren Hand sich Wilhelm von Sulgen seit längerer Zeit bemühte. Die Vorführung der Gaukler auf der Burg war auch so eine kleine Gefälligkeit, die er den Herren von Sulgen bescherte und die sich bestimmt nicht lumpen ließen ihn ausreichend zu entschädigen.Er rief erneut nach dem Schreiber.

 

 

Lohn der Arbeit

 

 

Kapitel 2: Lohn der Arbeit

 

Es war Mittagszeit als Gerold eine erste Pause erhielt. Er stieg aus der Grube, klopfte seine Kleidung, oder wie man die Sachen die er am Leibe trug, nennen wollte, aus und ging zum Brunnen, der mitten auf dem Hof stand.. Mit dem bereitliegenden Becher schöpfte er sich aus dem Eimer Wasser und trank gierig.“Nicht so hastig,sonst verschluckt du dich noch“. Mit dieser Bemerkung klopfte der Geselle ihm auf die Schulter, so dass er prompt das tat, wovor er gerade gewarnt wurde. Doch es war gut gemeint, denn Franz klopfte nun wiederholt auf seinen Rücken, damit sich der Husten löste. „Bei uns gibt es vom Meister mittags eine kräftige Suppe mit Brot. Du kannst dich auch bedienen.Du hast gute Arbeit geleistet“, lobte ihn Franz und wies ihm den Weg zur Küche, damit er sich seine Ration abholten konnte.. Mit erhobenen Haupt ging Gerold zur Küche, stolz darauf, dass er gute Arbeit leistete und froh, dass es auch noch eine kostenlose Mahlzeit gab. Er nahm sich einen gefüllten Teller und einen Kanten Brot und setzte sich im Hof auf einem Balken in die Sonne. Er war zufrieden. So konnte man es aushalten, dachte er. Wenn man hier regelmäßige Arbeit und sei Auskommen hatte, was konnte man vom Leben noch mehr erwarten. Klar, seinen Hof, den er einmal erben sollte, lag außer Reichweite, er hatte niemanden mit dem er sein Leben verbringen konnte, doch war es mehr, als mancher hier in der Stadt hatte. Seine Gedanken schweiften zu seiner Mutter ab, die er vermisste. Was sie wohl jetzt gerade tat? Vermutlich sind sie bei der Ernte. Es war an der Zeit, das Getreide zu dreschen. Doch zu zweit war das harte Arbeit. Als sie noch eine Familie bildeten, waren sie immer zu dritt, oft auch zu viert, wenn seine Mutter noch mit half. Nun war seine Mutter mit dem Onkel allein bei der Hofarbeit. Der Gedanke an seinen Onkel holte in zurück. Grade rechtzeitig, den der Geselle winkte ihm zu, dass es mit der Arbeit weiter ging. Also ab in die Grube und weiter Sägemehl schlucken. Es gab schlimmeres, aber auch viel schöneres. Durch das monotone Auf und Ab der Säge verfiel er schnell wieder in seine Tagträume. Zuerst begegnete er des Kaufmanns Tochter, die im dieses Mal schöne Augen machte, und zusammen mit Ihr besuchte er seine Mutter auf dem Hof. Beim gemeinsamen Mittagsessen teilte ihm dann seine Mutter mit, dass der Hof auf ihn überschrieben war und er sofort seine Arbeit hier aufnehmen konnte. Plötzlich verdunkelte sich er Himmel und etwas traf ihn am Kopf. Es handelte sich um einen Holzscheit, den der Geselle nach ihm warf, um ihn aus seinen Gedanken zu holen.“Kannst du nicht aufpassen. Der Stamm ist fasst durch und wenn du dort stehen bleibst, fällt dir das abgesägte Stück auf den Schädel. Vielleicht bist du ja dann bei der Sache“. Gerold schaute überrascht nach oben und stellte fest, dass der Baum tatsächlich schon fast durch war. Er entschuldigte sich, stellte sich seitlich der Säge, damit er dann sofort ausweichen konnte und sie sägten das letzte Stück durch, so dass die untere Stammhälfte in die Grube fiel.

 

 

Wilhelm Godeck erreichte seine Werkstatt in schlechter Stimmung. Zwar hatte er zumindest den Versuch unternommen seine Maria zu retten, aber Aussicht auf Erfolg konnte ihm niemand garantieren. Jetzt lag es in Gottes und Amanns Hand das Schicksal der Hexe zu ändern. Wenn nur nicht der verflixte Mönch aus Ravensburg kommen würde.Mit dem hiesigen Priester war eine Einigung schon machbar. Er erreichte die Grube, als sein Geselle und der Tagelöhner gerade einen neuen Balken auflegten.“Wie macht sich der Bursche?“, fragte er seinen Gesellen. „Ganz gut ,Meister. Er hat Kraft und mault nicht. Bloß träumen tut er allzu gern,“erwiderte grinsend Franz. „Gut. Also Bursche, ich schaue nach meinen kranken Arbeiter. Wenn dieser immer noch nicht arbeiten kann, kommst du morgen wieder.“ Er lies die beiden stehen und ging ins Haus. Da er seit seinem Frühstück bei Sonnenaufgang nichts mehr gegessen hatte, knurrte ihm der Magen. Auch wenn die Mittagszeit schon vorüber war, ging er davon aus, dass seine Frau ihm sein Essen warm gehalten hatte. Wenigstens darauf konnte er sich verlassen. Er öffnete die Küchentür und traf dieselbe dort. „Du kommst spät. Dein Essen ist im Ofen. Setz dich, ich hole es dir. Da ist übrigens ein Brief den ein Bote abgegeben hat.“ Er setzte sich an den Tisch und griff nach dem Brief, brach das Siegel und las. Mit einem Mal schlug er auf den Tisch und fluchte. Seine Frau die ihm gerade das Essen brachte, stellte es erbost auf den Tisch.“Musst du so fluchen. Wenn das die Leute mitbekommen, droht uns Ärger.“ „Der droht uns auch so. Hier steht, dass wir unser Holz schon nächste Woche abzuliefern haben, da die Fuhrleute das gute Wetter ausnützen wollen. Noch liegt kein Schnee auf den Bergen Richtung Italien und wer seine Ware dorthin bringen will, muss sich beeilen. Es werden nicht mehr viele Fuhren vor dem Winter möglich sein. Ich soll Bescheid geben, ob ich mich beteiligen will.“ „Und?“ „und was?“ „ja willst du?“ „Von wollen kann keine Rede sein.Ich muss. Der ganze Hof ist voller Holz. Das muss verkauft werden. Und wenn sonst keine Fuhre mehr fährt, bleibt das Holz den ganzen Winter über liegen, und ich kann kein neues kaufen, da ich keine Lagermöglichkeit habe.“ Wütend machte er sich über sein Essen her, als ob das Stück Fleisch schuld an der ganzen Sache wäre. Es klappte aber auch gar nichts, dachte er bei sich. Nachdem er sein Essen hinunter geschlungen hatte, schnappte er sich seinen Mantel und verließ wieder das Haus. Er wollte seinen kranken Arbeiter besuchen um ihn aufscheuchen. Egal was den Mann nicht auf die Beine brachte, er musste alle verfügbaren Arbeitskräfte einsetzen, damit er bis Anfang nächste Woche mit dem Transport des Holzes nach Ravensburg beginnen konnte. Es gab kaum eine andere Gelegenheit, seine Ware sicher nach Italien zu bringen, als mit diesen Halsabschneidern von der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft und diesem Humpis. Ein Vermögen wollte dieser für den Transport. Aber in Italien zahlten sie gut für sein Holz. Also blieb ihm nichts anderes übrig als sich zu beeilen. Er kam am Gasthof Ochsen vorbei und warf einen Blick in die Schankstube. Wenn er den Boten dort traf, konnte er sich einen eigenen sparen. Doch er hatte mal wieder Pech. Außer den üblichen und üblen Anwesenden war niemand da. Nur Gesindel und Reiche konnten es sich leisten, tagsüber im Wirtshaus zu sitzen. Jetzt musste er sich auch noch einen Boten besorgen. Doch heute war es nicht mehr möglich, jemanden zu finden, den er nach Ravensburg schicken konnte. So musste die Angelegenheit bis morgen warten.

 

Er kam bei dem kleinen Haus seines Arbeiters in der Scheuergasse an und klopfte. Nach kurzer Zeit wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Heraus schaute die Frau seines Arbeiters. Als sie erkannte, wer vor der Tür stand, erschrak sie und stammelte einen Willkommensgruß. Doch die Tür ging nicht weiter auf.“Ich wollte mich nach Hannes erkundigen. Geht es ihm besser?“ „Nein, tut mir Leid. Das Fieber ist gestiegen und er schläft nur.“ „War denn der Bader schon hier? Was sagt der?“ „Der Bader? Das geht nicht. Den brauchen wir hier nicht“, erwiderte verunsichert die Frau, „so schlimm wird es schon nicht sein. Er ist bald wieder gesund und kann arbeiten.“ „Bald nützt mir nichts. Ich brauche ihn. Wir haben viel Arbeit. Lass mich mit ihm sprechen.“ Mit dieser Bemerkung wollte er sich Zutritt verschaffen, aber so verunsichert wie die Frau auch aussah, so energisch verwehrte sie ihm den Zugang zum

Haus. „Was soll das? Lass mich hinein. Du willst doch, dass dein Mann weiterhin bei mir arbeiten kann?“ „Ob das in eurer Hand liegt, Herr, weiß ich nicht. Im Augenblick wäre ich froh, wenn er überhaupt aufstehen könnte.“Mit diesem Satz brach sie fast zusammen. Tränen liefen über ihre Wangen und sie gab den Widerstand auf. Sie lies die Türe nach innen fallen und ermöglichte so den Zutritt zum Haus. Godeck ging langsam ins Innere und schaute sich um. So viel Elend hatte er nicht erwartet. Das Haus machte einen verwahrlosten Eindruck. Im hinteren Teil sah er etwas davon huschen, was aussah wie ein größerer Hund, sich dann aber als schmutziges Kind entpuppte.Wie konnte man nur so hausen. Schließlich bezahlte er seine Arbeiter nicht so schlecht. Er hielt sich sogar für großzügig. Auch bekamen seine Arbeiter immer wieder mal einen halben Tag frei, damit sie sich um ihre Angelegenheiten kümmern konnten.Das Essen am Mittag war eine gute Tat, von der er hoffte dass sie ihm eines Tages, wenn er den letzten Gang antrat, zugute kommen würde. Aber was kümmerte es ihn wirklich, wie seine Arbeiter lebten? Das konnte ihm doch eigentlich egal sein, solange sie ihre Arbeit zu seiner Zufriedenheit erledigten. „Wo finde ich Ihn?“, fragte er sie, vielleicht eine Spur zu barsch. Mit der gebückten Haltung eines eingeschüchterten und verängstigten Menschen, ging sie an ihm vorbei und auf eine verschlossene Tür im hinteren Bereich zu. Sie öffnete diese vorsichtig, und ein Schwall stinkender Luft wehte ihm entgegen. Überhaupt, bemerkte er nun, dass das ganze Haus irgendwie krank roch, ja geradezu stank. Vorsichtig steckte er seinen Kopf durch die Türöffnung und sah ihn liegen, seinen Arbeiter, der seit unzähligen Jahren seinen Dienst zuverlässig bei ihm verrichtete.Ein starker Mann, mit Händen so groß wie Mühlräder, und Beine so stark wie die eines Ochsen. Dort wo er hin langte, blieb nichts mehr stehen. Und bei mancher Wirtshausschlägerei war er mitten drin. Überhaupt war er in jungen Jahren ein rechter Raufbold. Doch mit der Zeit hatte sich sein Gemüt abgekühlt. So mancher Tag im Karzerturm half da und dort halt doch. Aber was Godeck hier vor sich sah, hatte nicht mehr viel Ähnlichkeit mit seinem Mann. Sein Gesicht,völlig eingefallen und die Narbe, die er eben bei einer solchen Keilerei sich im Gesicht zugezogen hatte, stach als rotes Band quer über seine Wangen, heraus. Bleich und völlig in sich gesunken lag er auf dem Bett. Man sah ihm an, dass er hohes Fieber hatte. Immer wieder zuckten seine Hände unkontrolliert hin und her. Nachdem nun Godeck einen Blick auf den Kranken geworfen hatte, verließ er schnell das Zimmer. „Warum rufst du nicht den Bader? Dein Mann ist schwer krank, siehst du das nicht?“ „Und ob ich das sehe. Aber wir können den Bader nicht bezahlen. Es ist kein Geld im Haus“, schluchzte die Frau. „Was soll das heißen, dein Mann erhält von mir wöchentlich seinen Lohn und ich bezahle gut.“ empörte er sich. Nun war es an der Frau, fast die Beherrschung zu verlieren.. „Ob ihr gut bezahlt, kann ich nicht sagen. Ich weiß bloß , was der Saufkopf nach Hause bringt. Und das ist nicht viel. Wir haben nicht mal genug zu essen. Geschweige denn, dass wir den Bader bezahlen könnten, wenn er sich überhaupt herablässt uns zu behandeln.“ Godeck war wie vor den Kopf geschlagen. Mit so was hatte er nicht gerechnet. Er ging davon aus, dass seine Leute ehrbare und hart arbeitende gottesfürchtige Menschen waren, die ihren Lohn zusammen hielten und ihn für die wichtigen Dinge des Lebens ausgaben. Er merkte, dass er eigentlich gar nichts von seinen Arbeitern wusste. „Was hat er ? Weißt du das“?, fragte er die Frau. „Nein. Woher soll ich das auch wissen. Er redet nicht mehr, isst nichts, kann nicht aufstehen, er glüht und phantasiert. Ich habe Angst“, jetzt war sie wieder die kleine verstörte Frau. „ Ich lasse den Bader kommen.Keine Angst, ich werde dafür bezahlen“, bemerkte er, als er ihren flehenden Blick spürte. Er verabschiedete sich und verlies das Haus. Vor der Tür musste er erst einmal durch atmen. Hier draußen an der klaren frischen Luft merkte man erst, was für ein Gestank im Inneren des Hauses herrschte. Der Weg zum Badhaus ging er in Gedanken versunken. Es lief aber auch alles schief. Ist das die Strafe Gottes? Führte er ein zu sündiges Leben? Er hielt nichts von diesen scheinheiligen Gottesfürchtigen, die ständig in die Kirche sprangen und mehr beteten als arbeiteten. Natürlich glaubte er an seinen Herrgott, doch er war nur ein Mensch mir Fehlern, von denen er manche gerne machte, z.B. mit seiner Maria, aber es gibt auch Fehltritte die sich so eingeschlichen hatten. Er ging regelmäßig zu den Gottesdiensten und spendete auch Almosen. Mehr konnte man doch nicht verlangen.

 

Beim Badhaus ankommen, ging Godeck geradewegs zum Bader.“Ich habe einen Auftrag für dich. Beim Hannes meinen zweiten Gesellen kannst du vorbei gehen. In der Scheuergasse. Das dritte Haus auf der rechten Seite. Bezahlt wirst du von mir,“ sprach er den Bader an. „Auch einen schönen Tag, Meister Godeck. Gerne gehe ich dort vorbei, wenn ich bei den anderen Kranken alle war, die auch bezahlen.“ „Was soll das heißen? So viel zu tun?Oder willst du den Preis nach oben treiben?“ „Aber nicht doch. Nur, heute morgen kamen schon sieben Kranke und zu dreien muss ich noch gehen. Ein lukrativer Tag. Aber ich muss mich zuerst etwas ausruhen. Der Tag ist ja noch lang.“ „ich kann nicht warten. Ich brauche den Mann. Habe selbst viel Arbeit. Also bitte mach dich auf den Weg.“ „Wenn du mich so schön darum bittest. Lass mich noch etwas ruhen, dann gehe ich zuerst zu deinem Hannes. Kannst du mir sagen was ihm fehlt?“, fragte der Bader. „Er sieht aus wie eine Leiche. Ganz blass, scheint auch hohes Fieber zu haben. Genauer wollt ich ihn mir nicht anschauen. Er roch auch stark.“ „Hat er auch Schüttelfrost?“ „Was weiß ich? Er ist halt krank. Schau, das er morgen wieder zur Arbeit kann. Lass ihn ordentlich zur Ader, das wird helfen.“ „ Ich möchte dich ja nicht enttäuschen, aber so wie du mir ihn beschrieben hast, kann ich wahrscheinlich nicht viel für ihn tun.“ Der Bader grübelte vor sich ihn. „Was hast du?“, wollte Godeck wissen. „Ach ich weiß nicht, alle die heute bei mir waren und auch gestern schon mehrere Kranke, klagen über die gleichen Anzeichen, hohes Fieber, Schüttelfrost und Schwäche. Das kann kein Zufall sein“ „Was willst du damit sagen?“ fragte mit einer leichten Spur von Angst in der Stimme der Zimmerer. „Noch nichts. Aber wenn es noch mehr Kranke gibt,muss ich das dem Amann melden.“ „Das wirst du nicht. Der ist in der Lage und lässt die Tore schließen. Dann kann ich meine Ware nicht mehr rechtzeitig nach Ravensburg bringen und verliere einen Haufen Geld.“ „Ich geh ja nicht gleich zu ihm. Aber du weißt so gut wie ich, dass man so was melden muss. Wir wollen doch nicht, dass das Gleiche passiert, vor dem uns unsere Großeltern immer erzählt haben. Das große Sterben, Aussatz. Das muss so ungefähr 60 Jahre her sein.“ „ Mal den Teufel nicht an die Wand. Gestorben ist noch keiner. Und von ein bisschen Fieber wird auch kein gesunder Mann sterben..“ „Warten wir es ab. Ich kümmere mich um deinen Arbeiter“. Erleichtert verließ Godeck den Bader. Dieser wollte ihm nur Angst machen mit seiner alten Geschichte. Fieber konnte jeder mal bekommen, und wenn es mehrere sind, dann ist das Zufall. In dieser Stadt leben halt viele Menschen auf einem Haufen. Da passierte es schon mal, das mehrere die gleiche Krankheit haben, versuchte er sich zu beruhigen. Doch wie sein Geselle da lag, glaubte er auch nicht daran, dass dieser morgen zur Arbeit erschien. So wie es aussah, musste er morgen selbst die Ärmel hochkrempeln und mitarbeiten. Er musste fertig werden.

 

 

 

Der Schreiber war bereits mit seinem Auftrag für die Spielleute gegangen. Nun war es für Johann Strebel an der Zeit sich um sein nächstes Problem kümmern, Maria. Wie sollte er es anstellen, dass sie frei kam. Umso länger er darüber nachdachte, um so schwerer kam es ihm vor. Wichtig war , dass er Zeit gewann. Wenn er nur den Ravensburger Geistlichen aufhalten könnte. Doch dazu konnte er sich im Augenblick keine Gedanken machen. Er musste sich um sein Tagesgeschäft kümmern. Heute war Markt, da galt es, die Stände abzuklappern und Marktgeld kassieren, prüfen ob alles mir rechten Dingen zuging, jeder eine ordentliche Waage hatte, mit der er seine Waren abwog und verkaufte. Hier und da ein bisschen kassieren, wenn ein Auge zugedrückt werden musste. Gemächlich schlenderte er über den Markt. Es fiel ihm auf, das nicht so viele Leute unterwegs waren. Etwas verwundert wendete er sich an den nächstbesten Marktbetreiber. „Wie läuft´s denn? Nicht viel los, was?“ „Ja Herr, kann man sagen. Es ist doch ziemlich ruhig“. „Woran liegt´s“ „Weiß nicht Herr, was meint ihr?“ Verwundert schaute der Amann den Mann an. Woher sollte er denn wissen, wenn es auf dem Markt nicht läuft. „Zu teure Ware, was?“ der Marktbetreiber kniff die Augen zusammen und erwiderte etwas barsch „ ich habe die Preise nicht erhöht, obwohl das Marktgeld gestiegen ist. Auch die anderen haben nichts dergleichen getan.“ „Schon gut, vielleicht haben die Leute genug eingelagert“, versuchte Strebel den Mann zu beruhigen. Um nicht noch weiter Kritik einstecken zu müssen schlenderte er weiter Richtung Kirche. Bei diesem Anblick dachte er wieder mal an das Gespräch mir dem Pfarrer, der dringend eine neue Kirche benötigte. Diese hier war im schlechten Zustand auch wenn es die einzige Kirche mit einer Uhr im Turm in der Umgebung war. In Planung war eine neue schon länger, doch fehlten die Geldmittel. Als Aushängeschild war es einfach unumgänglich eine stolze Kirche in der Stadt zu haben, zumal man zu den fünf Donaustädten gehörte. Mit dieser Zugehörigkeit und dem Handel mit Tuch, Leinen und Holz war Sulgen ein wichtiger Handelspartner. Da konnte Ravensburg noch so reich sein und eine große Handelsgesellschaft vorweisen, ohne Waren aus Sulgen konnte kein Handel existieren. So in Gedanken sprach ihn der Priester der Stadt an. „Grüß Gott Johann, willst du zu mir?“ „Gott zum Gruße Heinrich. Wenn du gerade Zeit hast. Ich habe ein paar Fragen auf dem Herzen.“ Hier musste er wieder den etwas dümmlichen Amann spielen. Dem Pfarrer etwas Honig ums Maul schmieren und schon war man seinem Ziel ein Stück näher. „Wann kommt den dein Mitbruder aus Ravensburg genau? Ein solches Ereignis gehört schließlich vorbereitet. Weißt du schon wer es ist?“ „Treibt dich die Neugier oder steckt was anderes dahinter. Tu nicht immer so , als wenn du kein Wasser trüben könntest. Ich durchschaue dich.“ „Aber, aber, Heinrich, warum so aufgebracht? Ich will nur nicht dass Ravensburg einen schlechten Eindruck von uns hat,“ erwiderte Strebel mit ehrlicher Entrüstung in der Stimme, „du weißt doch, das die sich für was besseres halten.“ „So spricht man nicht von meinen Mitbrüdern. Es kommt nicht Ravensburg zu uns, sondern ein Bruder im Herrn, der die Sünde aus Sulgen treiben wird,“ erwiderte der Pfarrer mit fast ängstlicher Stimme. „Selbstverständlich, und aus diesem Grund muss der Mann mit allen Ehren empfangen werden. Wann kommt er nun?“, versuchte Strebel es nochmal. „Also gut. In ca. vier Tagen wird er hier sein. Bis dahin bleibt die Hexe in Gewahrsam und darf auch keinen Besuch empfangen,“ fügte der Kirchenmann spitzbübisch hinzu. Er wusste schließlich, was er da eingefangen hatte. Und um den Amann nochmals etwas zu zusetzen fügte er hinzu:“ Der Bruder aus Ravensburg ist ein wahrer Fachmann in dieser Angelegenheit. Auch wenn ich mich selbst nicht so viel um das Aufspüren von Hexen kümmere, gehe ich davon aus, dass dieser Mann noch mehrere solcher abartiger Menschen in Sulgen aufspüren wird.“ Mit unterdrückter Freude nahm er wahr, dass der Amann an dieser Nachricht schwer schluckte. Geschieht im recht, dachte sich der Pfarrer, ein bisschen mehr Gottesfurcht kann hier niemand schaden. Er selbst war zwar auch nicht unbedingt das, was man sich unter einem guten Vorbild vorstellte. Aber was nicht bekannt war.....

 

 

 

 

Es dämmerte bereits als Gerold Feierabend bekam. Der Geselle half ihm aus der Grube und gab ihn seinen Lohn “Du hast gute Arbeit geleistet. Komm morgen früh wieder. Ich werde mit dem Meister reden, damit du vielleicht bis Ende der Woche hier Lohn findest. Wo wohnst du?“ Etwas verschämt starrte Gerold auf den Boden „Ich übernachte in der alten Mühle, gleich vor dem oberen Tor. Ich kann mir in der Stadt keine Unterkunft leisten.“, fügte er entschuldigend an. „Vor der Stadt? Hast du keine Angst vor Dieben und sonstigen Strolchen?“, fragte Friedrich. Nun musste Gerold verwundert und lächelnd an Friedrich hoch schauen. „Du hältst mich nicht für einen Halunken? Weißt du, das ist das erste Mal, dass mich jemand fragt wo ich eigentlich lebe. In der Stadt interessiert sich normalerweise keiner dafür.“ „Na hör mal, so wie du arbeitest bist du mit Sicherheit kein Strolch und Herumtreiber. Wahrscheinlich hast du nur Pech gehabt.“ Fragend schaute in der Geselle an. „Pech? Ja, so kann man das nennen. Aber ich will mich nicht beschweren. Mich freut es, dass du zufrieden bist, und ich morgen wieder arbeiten kann.“ Er verabschiedete sich und machte sich auf den Weg. Trotz des schweren Arbeitstages war Gerold guter Laune. Vor sich hin pfeifend kam er wieder beim Kaufmann Winterer vorbei. Doch diesmal erblickte er nicht seine Angebetete, sondern nur dessen Bruder, der provozierend zu ihm hinüber schaute.“Na du Taugenichts, willst du wieder meine Schwester begaffen?“, und stellte sich drohend vor die Tür des Ladens. Seine Körperstatur war zwar nicht sehr beeindruckend, er war nicht größer als Gerold selbst, aber Gerold konnte es sich nicht leisten sich mit ihm anzulegen. So einer bekam immer Recht und einer wie Gerold war immer schuldig. Seine gute Laune verlierend machte er sich weiter auf den Weg. Beim Bäcker kaufte er im vorbeigehen noch ein Brot, so dass er für heute Abend und morgen Früh was zu essen hatte. Da es bereist dämmerte begab es sich auf den direkten Weg zur alten Mühle. Er hoffte, dass den Alten inzwischen jemand gefunden und zum Armenfriedhof vor die Stadt gebracht hatte.Nur die Bürger der Stadt wurden direkt bei der Kirche beerdigt.Die anderen erhielten ihre letzte Heimstatt vor der Stadt. Er hatte heute Morgen ganz vergessen den Toten beim Büttel zu melden. Das hätte sowieso nur Scherereien gebracht. Es ist besser, wenn der Tote beim Kontrollgang der Büttel entdeckt wurde. Dann hatte er damit nichts zu tun. Die Büttel kontrollierten fast täglich die üblichen Schlafstellen der Bettler und Herumtreiber. Da gab es immer was zu kassieren, einzusperren oder ein bisschen seine sadistische Ader freien Lauf zu lassen. Wehren tat sich kaum einer. Sonst besuchte man schneller den Karzer, als einem lieb war. Gerold hatte Glück. Als er bei der Mühle ankam, war der Alter weg. So eignete er sich nun den trockenen Platz an. Im Augenblick zumindest war niemand da, der ihm den Platz streitig machte. Einen Schluck noch aus dem angeschlagenen Wasserkrug dann machte er es sich bequem, wickelte sich in seine zerrissene Decke und versuchte, Schlaf zu finden.

Sie kommt

 

 

Kapitel3: Sie kommt

 

Als am anderen Morgen Gerold zur Arbeit erschien, war auf dem Hof schon eine Menge los. Selbst der Zimmermeister stand mit Arbeitskleidung da. Schnell wurden die Aufgaben verteilt und jeder ging an seine Arbeit. Gerold erhielt wieder die gleiche Tätigkeit wie gestern. Ab in die Grube und sägen. In den angrenzenden Schuppen verarbeiteten der dritte Geselle sowie ein anderer Tagelöhner die gesägten Holzstämme zu Bretter. Der Meister selbst legte heute hier Hand an. Bald lies das monotone Sägen die Gedanken von Gerold wieder abschweifen. Doch immer rechtzeitig, bevor der Balken durch war, war er bei der Sache. So verging die Zeit wie im Flug, und schon nahte der Mittag. In freudiger Erwartung auf eine warme Suppe konnte er es kaum erwarten, dass der Geselle das Zeichen zur Pause gab. Doch diesmal kam der Meister vorbei um die Arbeit zu unterbrechen. „Gut gearbeitet ihr zwei, es ist Mittag. Kommt essen,“ mit diesen Worten winkte er die beiden zur Küche. Trotz schmerzender Muskeln am ganzen Oberkörper und den Armen verspürte Gerold wieder stolz. Ein Lob vom Meister, das hieß schon was. So ließ er sich die Suppe schmecken, welche heute aus einer Fleischbrühe mit Knödel bestand. In diesem Augenblick kam der Bader auf den Hof. Sein Gesicht war verschlossen und grimmig. Er nickte kurz zur Begrüßung und wendete sich an Godeck. „Kann ich euch alleine sprechen?“. Seine Stimme klang irgendwie belegt. Godeck stand auf, gab dem Bader ein Zeichen ihm zu folgen und ging ins Haus. In seiner Stube setzte er sich an den Tisch und wies dem Bader einen Stuhl zu. „Was gibt es so dringendes und geheimnisvolles, dass es nicht bis heute Abend, wenn ich sowieso im Badhaus vorbeikomme, warten kann und nur für meine Ohren bestimmt ist?“ fragte er halb belustigt. „Es geht um euren Gesellen“. Der Tonfall des Baders verhieß nichts Gutes. Godeck blieb das Lachen im Halse stecken. Er ahnte, dass hier keine guten Nachrichten mitgeteilt wurden. „Dein Geselle ist tot. Und der Frau mit Ihrem Kind geht es auch nicht gut. Hier stimmt was nicht.“ Den ersten Satz konnte der Bader noch kraftvoll und deutlich mitteilen. Doch dann versagte beinahe seine Stimme. Auch Godeck war nicht mehr er selbst. Ganz weiß im Gesicht ,krallte er seine Hände regelrecht in den Tisch. „Was willst du damit sagen?“, fragte er beinahe so leise, dass man ihn kaum verstehen konnte. „Es ist nicht der erste Tote. Innerhalb von den letzten 3 Tagen gibt es 11 Tote. Das ist nicht normal. Ich habe mich umgehört. Die meisten hatten sehr hohes Fieber und dunkle Knoten. Meister Godeck, ich habe das noch nie gesehen, aber schon oft gehört. Das ist die Pest“, raunte der Bader. Mit einem Ruck hatte sich der Meister wieder im Griff. „Quatsch. Erzähl bloß so was nicht herum. Die Pest. Die gibt es bei uns nicht. Die haben nur die aus dem Ausland und die Juden. Hier gibt es aber keine Mameluken, und die paar Juden, wo hier sind, sind schon lange da. Das ist was anderes“, bestimmte Godeck. „Ich muss das auf jeden Fall melden. Das sind zu viele Tote. Man muss was unternehmen. Auch heute gibt es wieder viele Kranke. Die Frau und das Mädchen ihres Gesellen sind nicht die einzigen, denen es schlecht geht.“ Auch der Bader hatte sich wieder im Griff. Er wusste, dass er eine Seuche sofort zu melden hatte. Als Bader stand er dafür in der Verantwortung. Er durfte sich von Godeck nicht davon abbringen lassen. „Ich werde gleich zum Amann gehen. Zumindest müssen wir prüfen, wie viele betroffen sind, oder ob es nur vereinzelte sind“. „Mensch Bader, das bringt hier alles durcheinander. Lass uns doch vernünftig darüber reden,“ versuchte Godeck den Bader zu beschwichtigen. Wenn es jetzt hier in der Stadt eine Seuche gab, konnte er das mit seinem Holztransport nach Ravensburg vergessen. Keiner durfte dann die Stadt verlassen oder betreten. Er konnte es sich aber nicht leisten, diesen Gewinn zu verlieren, es stand seine Existenz auf dem Spiel. „Bedenke doch, was bei einer Seuche los ist?“, versuchte es der Bader noch mal. „Was für eine Seuche? Von was redet ihr?“ Des Zimmermanns

Frau war unbemerkt von den beiden in das Zimmer getreten. Mit einer scharfen Geste brachte Godeck den Bader zum Schweigen, der gerade zu einer Erwiderung ansetzte. „ Weib, was platzt du hier so rein. Wir haben was wichtiges zu besprechen“, herrschte der Zimmermann seine Frau an. „Ich habe geklopft, aber ihr habt es nicht gehört“, erwiderte seine Frau, in keinster Weise eingeschüchtert. Wenn man jahrelang mit einen Mann zusammen lebte, der sich immer wieder mal nicht im Griff hatte, prallte so manches an einem ab.“Von was redet ihr da? Ich habe das Wort Seuche gehört“, versuchte sie es noch einmal. Doch anstatt einer Antwort, schob sie ihr Mann mit sanfter Gewalt zu Tür hinaus.“Ich erklär es dir nachher. Aber lass uns jetzt bitte allein“. Er schloss entschlossen die Tür. „Siehst du was du anrichtest, wenn das bekannt wird? Jeder wird versuchen, aus der Stadt zu kommen und dann ist niemand mehr hier, der arbeitet“, blaffte Godeck den Bader an. Doch dieser lies sich nicht einschüchtern.“ Wenn hier eine Seuche ausbricht, ist tatsächlich bald niemand mehr hier um zu arbeiten, weil er dann tot ist.“, war seine Antwort. „Ich warte bis heute Abend. Wenn ich noch mehr Tote habe, gehe ich zum Amann. Das ist mein letztes Wort.“ Mit diesen Worten lies er den Zimmermeister stehen und ging. Godeck fiel schwer in seinen Sessel. Das konnte doch alles nicht war sein. Nichts lief so, wir er es geplant hatte. Nun musste er sich auch noch um eine Beerdigung kümmern. Was das wieder kostete. Als Meister und Vorsitzender der Zunft oblag ihm die Verantwortung für ein ordentliches Begräbnis der Mitglieder. Nicht dass die Zunft am Hungertuch nagte, aber bei vielen Toten gab es viele Begräbnisse, das ging an das Ersparte. Er konnte nur hoffen, dass der Bader unrecht hatte, und es sich nur um Zufall handelte. Aber so recht glaubte er nicht daran. Er musste vor dem Bader mit dem Amann reden, damit dieser vorbereitet war und wusste, wem er verpflichtet war. Godeck ging hinaus zu seinen Arbeitern. „Ich muss schnell weg zum Amann. Ihr wisst was ihr zu tun habt. Trödelt nicht rum, wir müssen so schnell wie möglich fertig werden!“ Godeck drehte sich rum und ging. Fritz und Gerold schauten sich kurz an, und man sah ihnen an was sie dachten, was sollten wir sonst tun, außer unsere Arbeit. Fritz war es gewohnt zuverlässig zu arbeiten und Gerold wollte sich die Chance nicht nehmen lassen, sich hier ein längeres Auskommen zu sichern. Routiniert arbeiteten sie weiter.

 

 

 

Amann Strebel befand auf dem Weg zur Burg. Er freute sich, Wilhelm von Sulgen die gute Nachricht selbst zu überbringen. Die Gaukler würden auf der Burg spielen und versuchen den Gast des Burgherren zu beeindrucken. So glaubte Strebel sich die Gunst der Burgherren zu sichern. Es war immer von Vorteil wichtigen Leuten einen Gefallen zu tun. Und schließlich verdiente auch die Stadt am Auftritt der Gaukler. Diese mussten die Spielgebühr bezahlen, und den Leuten saß der Gulden lockerer, den sie dann in der Stadt in Wein und Essen investierten. So hatte jeder was davon. Am Tor der Burg angekommen, wurde Strebel von den Wachen angehalten. „Was ist dein Begehr?“, fragte die Wache.“Ich möchte zu Wilhelm von Sulgen. Er erwartet mich,“ erwiderte er mit erhobenem Haupt. Schließlich konnten nicht viele aus der Stadt behaupten, dass der Burgherr sie erwartet. Normalerweise wurden die Bürger her befohlen. So blickte auch die Wache skeptisch auf ihn herab. „Warte hier, ich melde dich. Dein Name?“. Als Strebel seinen Namen genannt hatte, machte sich der Soldat auf den Weg. Kurze Zeit später erschien dieser wieder und führte den Amann in den Gesinderaum der Burg, gleich neben der Küche. Hier war er auch das letzte Mal mit Wilhelm von Sulgen zusammen gekommen. Ein hoher kahler Raum, der aufgrund der Hitze aus der Küche, angenehm warm war. Ein großer Tisch mit mindestens 20 Stühlen stand mitten im Raum. Hier wurde gegessen, zusammengesessen und viele Abende gemeinsam verbracht. Für das Gesinde einer Burg war es wichtig zusammen zu halten. Nur so konnte man ein friedliches Leben und nach Möglichkeit ohne viel Strafen seitens der Burgherren, auf der Burg ermöglichen. Kleine Reibereien und Streitigkeiten wurden untereinander gelöst. Nur wenn es sonst keine Möglichkeit zur Einigung gab, wurde der Burgherr eingeschaltet. Doch dieser entschied nicht immer gerecht, sondern häufig nach Wichtigkeit und Stellung der Person.

 

Als Strebel sich weiter im Raum umschaute, öffnete sich die Tür und Wilhelm von Sulgen betrat

den Raum, gefolgt von seinen 2 riesigen Hunden, die sich sofort mit lauten Gebell auf ihn stürzten. Erstarrt vor Schrecken, konnte Strebel sich nicht bewegen. Der Burgherr lacht laute auf, und pfiff dann die Hunde zu sich. Diese 2 Bestien folgten auch sofort und liefen schwanzwedelnd zu ihrem Herren. Solche Hunde waren ein Statussymbol der hohen Herren. Die Rasse der Wolfshunde hatte sich bei den Adligen einen festen Platz im wahrsten Sinne des Wortes erkämpft. Sie wurden bewundert für Ihre Größe und Unerschrockenheit. Mutig und mit roher Gewalt stürzten sie sich auf alles was Ihnen befohlen wurde, anzufallen. Das ging vom Wolf über Bären bis zu Menschen. Doch diese 2 waren wenigsten folgsam ihrem Herrn gegenüber und sie legten sich seitlich des Stuhls auf dem Wilhelm von Sulgen gerade Platz nahm. Strebel löste sich aus seiner Starre und ging auf Wilhelm zu. Sofort hoben die beiden Hunde ihre Köpfe und fingen an zu knurren. Abrupt blieb Strebel wieder stehen. Ein Grinsen erschien auf Wilhelms Gesicht, was ihm eine Ähnlichkeit mit seinen Hunden verlieh. So animalisch sah dieser große und kräftige Mann mit seinem wilden Vollbart aus, dass Strebel eine Gänsehaus bekam. Da konnte auch das edle Gewand, mit dem er sich eingekleidet hatte, nicht darüber hinweg täuschen. Hier war ein Mann, der gewohnt war, zu kämpfen, seinen Willen durchzusetzen, und allein durch sein Erscheinen Respekt einflößend war. Strebel schluckte und setzte zu einer Begrüßung an. Doch der Burgherr unterbrach ihn. „Spar dir deinen Atem. Ich will nur wissen ob du dein Versprechen einhältst?“ Ein Versprechen schoss es Strebel durch den Kopf. Ein Versprechen hatte er ihm nicht gegeben, so wahnsinnig war er sicher nicht. Was wollte Wilhelm damit sagen, ging es wirklich um die Gaukler oder wurde Strebel verwechselt? „Herr, ich weiß nicht so genau was ihr meint. Ich komme wegen den Gaukler“, versuchte der Amann eine Erklärung.“ Genau um das geht es . Du hast mir versprochen, dass ich am Wochenende Gaukler hier auf der Burg habe. Ich erwarte Besuch und du hast versprochen, dass hier Gaukler auftreten. Willst du mir etwa widersprechen?“Der Burgherr sprach leise aber umso eindringlicher. Seine Stimme verstärkte die Gänsehaut auf Strebels Körper. Was hatte er sich da nur eingebrockt. Er konnte nur hoffen, dass nichts schief lief. Kleinlaut antwortete er:“ Nein,ja, also, sicher, die Spielleute treten natürlich bei euch auf. Das wollte ich euch nur mitteilen. Deswegen bin ich extra gekommen.“ „Du störst mich mit einer Antwort, die du mir bereits zugesagt hast. Was soll das? Glaubst du, ich habe nichts besseres zu tun, als dein Gequake anzuhören. Ich erwarte die Spielleute pünktlich am Samstag gegen Abend im Innenhof der Burg.“ Mit diesen Worten stand Wilhelm auf, und mit ihm seine Hunde. Wie Wachen standen sie links und rechts von ihm. „Jawohl Herr;“ erwiderte Strebel gerade noch , bevor ihm seine Stimme den Dienst versagte. Mit gebückter Haltung lief er rückwärts Richtung Tür. „Hier,“rief der Burgherr mit einem Mal und warf ein Geldstück Richtung Strebel. So eingeschüchtert wie der Amann auch war, bei Geld schaltete sich die Angst aus. Blitzschnell griff seine Hand noch dem heran fliegenden Geldstück und fing es geschickt auf. Wieder lachte der Burgherr:“Also ein bisschen Leben ist in dir ja noch, und jetzt verschwinde, und sorge dafür dass alles klappt.“ Strebel erreichte die Tür , drehte sich und kam fast in die Versuchung los zu rennen, so froh war er, aus dieser Hölle entkommen zu sein. Doch er beherrschte sich und versuchte einigermaßen würdevoll an den beiden Wachen vorbei zu gehen. Diese grinsten nur und ließen ihn passieren. Wieder einmal hatte Ihr Herr gezeigt, wer was zu sagen hatte, und sie freuten sich, dass nicht immer nur sie hier auf der Burg die Launen der Herren ertragen mussten, sondern auch mal einer aus der Stadt, der sich sogar für was Besseres hielt.

 

Strebel machte sich zügig auf den Weg zum Amtshaus. Auch wenn er gerade eben noch fast vor Angst gestorben wäre, jetzt fühlte er sich gut. Was sollte schon passieren. Er hatte die Zusage der Gaukler, einen Extraverdienst erhalten und so konnte er zuversichtlich auf den Samstag warten. Kaum in seiner Amtstube angekommen erwartete ihn ein aufgeregter Godeck. „Was ist den mit dir los? Du siehst aus, als ob die Inquisition hinter dir her wäre.“

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Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 14.04.2016
ISBN: 978-3-7396-4847-7

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