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01: Wendepunkt Paris

Chuck -- Charles Irwing Bartowski, Codename Charles Carmichael -- der vermutlich ungewöhnlichste und eigenwilligste Special Agent der Central Intelligence Agency, starrte hinab auf die dunklen nächtlichen Wasser der Seine. Er hielt mit letzter Kraft die Frau fest, die er von ganzem Herzen liebte, und zog sie in Sicherheit, während die Leiche seines Gegners und Mentors, den er geschätzt und respektiert hatte, in den Fluten versank.

Vor wenigen Augenblicken hatte er seinen Kollegen und direkten Vorgesetzten, CIA-Special Agent Daniel Shaw, mit drei Kugeln Kaliber 9mm P.A. in die Brust töten müssen, als dieser versuchte, Agent Sarah Walker zu ermorden. Aber Chuck hatte keine Zeit, sich wegen seiner ersten echten Tötung schlecht zu fühlen...

Shaw hatte im Todeskampf noch Sarahs Hand gepackt und sie über die Brüstung der Brücke mit sich gezogen. Chuck hatte Sarah im letzten Moment noch zu fassen bekommen, und so verhindert, dass Shaw sie mit sich in den Tod reißt.

Chuck hielt die bewusstlose Sarah in seinen Armen und all seine Ausbildung, all seine Fähigkeiten -- ja selbst der „Intersect 2.0", eine hoch geheime Datenbank, die sowohl sämtliche Informationen, Daten und Erkenntnisse der westlichen Geheimdienste, als auch Handbücher und Anleitungen zu den verschiedensten Bereichen wie Kampfkunst, Computertechnik oder Naturwissenschaften, Wörterbücher und andere Daten enthielt, und die Chuck mehr als einmal, teils durch Zufall, teils durch Absicht, in den Kopf geladen wurde -- konnten seine Angst nicht bändigen.

Shaw hatte Sarah kurz zuvor mit einem Nervengift betäubt, um sie dann in Ruhe töten zu können, nachdem sie Zeugin wurde, wie er die Geheimnisse des „Intersect" verriet und dann endgültig dem RING -- einer internationalen und sehr geheimen Verbrecherorganisation, deren Ziel letztlich die Weltherrschaft war -- beitrat, und Chuck hatte Angst, sie würde in seinen Armen sterben -- und genau solche Ängste hatten es ihm bisher immer erschwert, zu „flashen", also auf die Daten in seinem Kopf zuzugreifen.

Eine tiefe Taubheit hatte ihn befallen, als er sie über die Brüstung stürzen sah, und doch vibrierten seine Muskeln in diesem Moment von einer Kraft durchströmt, die er noch nie erlebt hatte. Die Erinnerungen an die Momente zwischen Sarahs Sturz und dem Augenblick, als er sie in die Sicherheit seiner Umarmung gezogen hatte, waren verschwommen und wie in einen dichten Nebel gehüllt. Einzig das Brennen und Ziehen in seiner Seele und der Schmerz in seinem Herzen beim Gedanken, Sarah zu verlieren, waren klar und deutlich, und nur das Verlangen, sie zu retten war real für Chuck... nichts anderes war von Bedeutung.

Er strich ihr das blonde Haar aus der Stirn und küsste ihr Gesicht, atmete ihren Duft ein -- ganz leicht duftete sie immer nach den verschiedenen Geschmacksrichtungen von Frozen Yoghurt, dessen Verkauf seit fast zwei Jahren ihre Tarnidentität darstellte, und von dem sie gerne mal ein klein wenig naschte. Chuck küsste ihre zarten Augenlider, hinter denen ihre wunderschönen grauen Augen lagen. Er hüllte sie in seine Umarmung wie in ein Schutzschild ein, und seine dunkelbraunen Augen schwammen in Tränen. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und wie selbstverständlich legten sich seine Lippen sanft auf ihre und er schmeckte ihren Atem... süß, aber schwach, als wäre sie nicht wirklich da... als hätte er sie schon verloren.

Halb unbewusst tastete er nach ihrem Puls, und fand ihn auch, schwach, schnell und so fragil wie der Duft einer Rose im Sturm. Sollte Shaw letztlich mit seinem Vorhaben Erfolg gehabt haben, und Chuck das Kostbarste genommen haben, dass ihm je widerfahren ist?

Seine zitternden Lippen berührten fast ihr Ohr. „Sarah, Jenny, Sam... wie auch immer dein wirklicher Name lauten mag... ich kann nicht ohne dich sein. Ohne dich wäre ich nicht der Spion, der ich bin, und auch nicht der Mann, der ich bin." flüsterte er, fest davon überzeugt, dass sie ihn hören konnte. „Du hast mich so oft gerettet, in den letzten drei Jahren, und jetzt wo du mich brauchst, kann ich nichts tun..." - „Special Agent Bartowski? Sind sie und Agent Walker verletzt?" Die Stimme war plötzlich hinter ihm erklungen und instinktiv, ohne nachzudenken war Chuck aufgesprungen und hatte seine Waffe in Anschlag gebracht, bereit zum nächsten tödlichen Schuss, wenn es nötig war, um Sarah zu beschützen.

Ein junger Marine der US-Botschaft in Paris stand vor ihm und hatte die Hände abwehrend erhoben. Er sah Chuck erschrocken an. „Sir, wir haben die Umgebung gesichert, und Colonel Casey schickt mich, um ihnen zu sagen, dass er weiß, womit Agent Walker vergiftet wurde. Er ist schon mit einem unserer Ärzte auf dem Weg hierher, und Agent Walker wird wieder gesund." beeilte er sich zu sagen, und sah Chuck wachsam an, die Hand an seiner eigenen Waffe. Auch wenn sie auf der gleichen Seite standen, behielt der Marine den 1,93m großen Spezialagenten genau im Auge, bereit zu schießen, wenn es die Lage erforderte.

Als die Worte zu Chuck vordrangen, senkte er sofort die Waffe und sah den jungen Mann an. „Es tut mir Leid, Marine." nuschelte Chuck in seine Richtung. „Schon ok, Sir." antwortete dieser nachsichtig, nahm die Hand von der Waffe und entspannte sich merklich.

Natürlich, während er Sarah über die Brüstung in Sicherheit gezogen hatte, war sein Ohrknopf raus gefallen, er hatte es nur nicht bemerkt. Vermutlich war Casey schon auf der Suche nach ihnen. Jetzt konnte er auch das Stimmengewirr hören, dass sich näherte. Die Rückendeckung, die auf ihn acht geben sollte. Und eine Stimme war besonders deutlich zu vernehmen und zu erkennen.

„Bartowski!!! Wo ist Walker?" Caseys Stimme klang wie Donnergrollen, und wer ihn nicht kannte, hätte es bei seinem Anblick, gepaart mit diesem Tonfall mit der Angst zu tun bekommen, aber Chuck wusste, dass Casey nunmal so war, wenn er sich um jemanden sorgte, aber seine guten Seiten hatte. Irgendwo in seinem Innersten hatte Casey sicher auch einen weichen Kern. Sie drei, Sarah, Casey und Chuck waren seit fast drei Jahren ein herausragendes Team, dessen Mitglieder sich blind auf einander verlassen konnten. Und nur darum ließ Chuck den sichtlich erschütterten und besorgten NSA-Agenten und den Arzt in die Nähe von Sarah, hielt seine Waffe aber griffbereit und verfolgte jede Bewegung und Handlung des Arztes aufmerksam. Falls Casey das bemerkte -- was sehr wahrscheinlich war -- so ließ er sich nichts anmerken. Casey konnte Chuck nur zu gut verstehen.

Colonel John Casey, Agent der National Security Agency, hatte in den vergangenen fast drei Jahren aus nächster Nähe miterlebt, welch steinigen Weg Chuck und Sarah zurückgelegt hatten, um zu einander zu finden -- und dass, obwohl sie sich im ersten Moment in einander verliebten. Die meiste Zeit wollte er die beiden deswegen am Liebsten umbringen, denn das Hin und Her ging ihm gehörig auf die Nerven. Seiner Meinung nach war es nicht so gefährlich, dass sie sich liebten, dieses ewige Hin und Her stellte ein viel größeres Sicherheitsrisiko dar. Was nicht hieß, dass ihre Beziehung nicht trotzdem ein Sicherheitsproblem bedeutete, wie Casey aus eigener, leidvoller und auch schmerzlicher Erfahrung wusste. Mit der Zeit hatte Casey schließlich begriffen, was Chuck antrieb -- und was ihn wirklich zu Höchstleistungen beflügelte. Sein großes Herz, sein Sinn für Anstand... und seine Liebe zu Agent Walker. Und das galt auch für Sarah Walker. Sie war gut, eine hervorragend ausgebildete und erfahrene Topagentin, aber wenn es um den tolpatschigen Nerd Herder Chuck Bartowski ging, wuchs Agent Walker wirklich über sich hinaus. Widerwillig hatte Casey schon vor langer Zeit eingestehen müssen, dass Chucks und Sarahs Verhältnis zu einander ein enormes Risiko war, jedoch auf keine andere Art hätte funktionieren können. So unorthodox und manchmal protokollwidrig ihre Vorgehensweise war, so erfolgreich und effektiv war sie.

„Agent Walker befindet sich schon wieder auf dem Weg der Besserung, Gentlemen. Das Gift sollte sie nur bewegungsunfähig machen, und wird in Kürze abgebaut sein, aber sie braucht jetzt Ruhe und Schlaf" beruhigte der Arzt die beiden. Caseys Stimme klang fast sanft. „Du solltest sie ins Hotel bringen, Bartowski, ich bleibe noch hier und räume den Dreck weg. Wir können später reden." Mit diesen Worten klopfte Casey Chuck auf die Schulter -- was schon fast an ein Wunder grenzte, denn Casey war nicht sehr emotional oder auch nur zugänglich, und insbesondere Chuck gegenüber nicht -- machte auf dem Absatz kehrt und wandte sich dem kleinen Black Ops Team zu, das sich unbürokratisch und ohne offiziellen Befehl aus Washington von Casey hatte aktivieren lassen und Chuck und Casey auf der Suche nach Sarah und der Jagd nach Shaw und dem RING-Direktor unterstützt hatte.

Casey mochte den „Jungen", wie er Chuck in freundlichen Augenblicken im Geiste nannte, und war auch sehr beeindruckt, wie sich der Knabe gemacht hatte -- vom versponnenen und unsicheren Nerd zu einem der besten und gefährlichsten Topagenten, den die US-Bundesbehörden überhaupt hatten. Chuck war nicht nur der „Intersect 2.0" sondern auch ein Mann, für den Casey sogar aufrichtigen Respekt empfand, auch wenn er es ihm vermutlich nie sagen würde. Er drehte sich wieder zu Chuck um, als ihm etwas einfiel.

„Chuck..." sagte Casey leise und zögernd, nicht sicher, ob er nicht vielleicht einen Fehler machte. Chuck sah ihn an, und konnte sich nicht erinnern, dass Casey ihn jemals so genannt hatte. „Ist alles in Ordnung mit dir, Chuck?" Caseys Blick wanderte zur Pistole in Chucks Händen. Offiziell hatte Chuck schon seinen „Red Test" -- die Liquidierung einer zugewiesenen Zielperson -- bestanden, aber nur Sarah, Casey und Chuck wussten, dass nicht Chuck die Zielperson, einen Maulwurf, der geheime Informationen und Dokumente an den RING verkaufte, getötet hatte sondern Casey selbst -- Chuck war ein Topagent, aber er war kein Killer.

„Es war nötig, Casey. Er... Er hätte dem RING alles verraten können, und das konnte ich nicht zulassen." versuchte Chuck zu erklären. Casey nickte nur... und glaubte ihm kein Wort. Nichts in der Welt hätte Chuck dazu gebracht, jemanden willentlich und vorsätzlich zu ermorden, nicht der Selbsterhaltungstrieb, nicht die Treue zur Demokratie oder die anderen Dinge, die Casey persönlich so wichtig waren... Chuck hat Shaw in erster Linie erschossen, weil er Sarah retten wollte, und es keine andere Möglichkeit gab, als Shaw die Waffe hob. Casey seufzte leise, und hoffte, dem Jungen würde es gut gehen, „Ich weiß, Chuck... glaub mir, das weiß ich." sagte er leise, klopfte Chuck noch einmal unbeholfen auf die Schulter, dann ging er zurück zum Black Ops Team und ließ Chuck und Sarah in Ruhe.

So zärtlich und vorsichtig, als sei Sarah aus Porzellan, hob Chuck die 176cm große „blonde Amazone" -- so hatte Morgan, Chucks ältester und bester Freund, Sarah einmal bewundernd bezeichnet -- auf seine Arme und trug sie zum Wagen, der sie ins Hotel bringen sollte. Die ganze Fahrt über, hielt er sie in seinen Armen, streichelte sie, flüsterte ihr beruhigende Worte ins Ohr, wärmte sie und hielt sie in seiner Umarmung geborgen.

Als sie schließlich vor dem Hotel eintrafen, erbot sich der Fahrer, Chuck zu helfen, aber Chuck hörte garnicht hin, sondern trug Sarah sicher auf seinen Armen, ihren Kopf an seine Brust gebettet, durch die Türen des Hotels und die, zu dieser Zeit zum Glück nahezu menschenleere Lobby und setzte sie erst ab, als sie die Schwelle des Hotelzimmers überquert hatten und er sie auf das Bett sinken lassen konnte. Dann erst spürte er die tiefe Erschöpfung und sank vor dem Bett auf den Boden -- am ganzen Körper zitternd und nur mit Mühe die Tränen zurückhaltend. Zwei Erkenntnisse trafen ihn zeitgleich. Um ein Haar hätte er Sarah verloren -- und er hatte einen Menschen getötet... willentlich.

Die einzigen beiden anderen „Tötungen", die auf seine Kappe gingen -- wenn auch nicht durch sein Verschulden -- waren der Herztod eines massiv übergewichtigen FULCRUM-Killers und der unglückliche Fenstersturz eines für FULCRUM -- eine Unterabteilung des RING, die als erste damit befasst war, einen eigenen „Intersect" zu bauen -- tätigen Psychologen... beide innerhalb von 24 Stunden. Der Killer hatte Chucks Ex Jill und Chuck die Treppen hinauf gejagt, und wollte die beiden gerade töten, als ihn sein Herz im Stich ließ. Der Psychologe rutschte auf Glasscherben aus, als er Chuck aus dem Fenster stoßen wollte, und fiel vor Chucks Augen von einer Fensterputzerplattform 15 Stockwerke in die Tiefe, ohne dass ihn Chuck noch hätte retten können.

Aber mit Shaw war es anders. Sie hatten sich in die Augen gesehen, und beiden war klar gewesen, dass nur einer von ihnen überleben kann... und Chuck hatte schneller reagiert.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte er es, sich aufzurichten und holte sich aus der Hotelbar einen doppelten Bourbon -- Johnny Walker Black Lable, eine Empfehlung, die er von Casey hatte -- den er in einem Zug leerte. Sein Kopf schwirrte und fühlte sich heiß an, und ihm war klar, dass er sich eigentlich nicht betrinken durfte -- und eigentlich auch keinen Grund dazu hatte... Sarah war am Leben und unverletzt, aber sie brauchte ihn. Aber in diesem Moment war Chuck kein Superspion, sondern nur ein Mann... ein Mann, der um ein Haar seine große -- seine einzig wahre -- Liebe verloren hätte. Ein Mann der Angst hatte.

Weil er Sarah nah sein wollte, hatte sich Chuck auf alles eingelassen, was die Geheimdienste von ihm gefordert hatten, hatte sein Leben riskiert, und letztlich seine Freiheit geopfert, als er den „Intersect 2.0" in sein Gehirn geladen hatte, damit der RING ihn nicht in seine Finger bekam.

Weil er wollte, dass Sarah in ihm einen ebenbürtigen Partner sah, der seine Fähigkeiten in den Dienst derer stellte, die er liebte, wurde er einer der besten Agenten, den die US-Geheimdienste je hatten, stellte das Wohl der ganzen Welt vor seines, und wäre lieber gestorben, als in Sarahs Augen zu versagen. Sarah selbst hatte ihn gelehrt, sich in den Dienst einer höheren Sache zu stellen, und dafür Opfer zu bringen... Er war bereit, sich selbst zu opfern, wenn es nicht anders ging, aber er hatte nicht vor, Sarah zu opfern...

Nicht noch einmal, nicht nach den, was in Prag geschehen war! Er würde sich nie wieder falsch entscheiden.

Für ein paar Momente lehnte er seinen Kopf müde und erschöpft an das Bett, in dem Sarah jetzt friedlich schlief. Ihre Hand lag am Rand der Matratze und berührte seinen Kopf, und als Chuck die Augen schloss, konnte er fast spüren, wie ihre Finger durch sein Haar strichen. Sie trug noch immer das Bettelarmband seiner Mutter, dass er Sarah zu ihrem zweiten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt hatte. Am selben Tag, an dem er Zeuge wurde, wie sie einen FULCRUM-Agenten exekutiert hatte, um sein -- Chucks -- Leben zu beschützen, da der Agent wusste, dass Chuck der „Intersect" ist.

Er war damals geschockt gewesen, doch nach seinen eigenen Erfahrungen und den Entscheidungen, die er selbst in den letzten drei Jahren hatte treffen müssen -- zuletzt erst vor wenigen Stunden -- verstand er sie viel besser. Sie hätte alles getan, um ihn zu schützen.

Er atmete tief durch, dann stand er auf, schloss die Türen ab und sicherte jeden Ein- und Ausgang, wie er es in der Ausbildung gelernt hatte. All sein Denken war jetzt auf Sarahs Sicherheit ausgerichtet, und nun würde er mit all seinem Wissen und Können auf sie acht geben, genauso, wie sie auf ihn acht gegeben hat.

Chuck begann anschließend damit, Sarahs zum Teil verschmutzte, zum Teil zerfetzte Kleidung abzustreifen: Den zerrissenen und verdreckten roten Mantel, die zerschrammten schwarzen Heels, die schwarzen, engen Hosen, die ihren sinnlichen und festen Po betonten, den schwarzen Pullover, der ihre perfekt trainierte Figur hervorhob, die zerschlissenen schwarzen Strümpfe, die ihren schlanken, langen und starken Beinen schmeichelten...

Schließlich hatte sie nur noch ein zartes burgunderrotes Spitzenhöschen und ihren BH an, und Chuck errötete heftig, als ihm klar wurde, wer da vor ihm lag, und wie sehr ihn der Anblick seiner Partnerin, Beschützerin, Freundin und Traumfrau zugleich, erregte. Wie schutzlos sie dalag... Dieses verletzliche Mädchen, dass jahrelang mit ihrem Vater herum zog und statt väterlicher Ratschläge eine Ausbildung zur Trickbetrügerin erhielt, das verängstige Mädchen, dass mit 18 Jahren vor der Wahl stand, wegen Betruges ins Gefängnis zu kommen oder in die CIA einzutreten, die sanfte Frau, die erst im Angesicht des sicheren Todes ihre Maske fallen lassen konnte, der liebevolle Mensch, der zugleich so tödlich war, das Mädchen, dass seine Pizza vegetarisch und ohne Oliven mochte... Es erschreckte ihn, sie so hilflos zu sehen, denn in seinen Augen war immer sie es gewesen, die seinen Arsch aus der Schusslinie gehalten hatte. Er beugte sich über sie und küsste sie ganz zart auf die Schulter, genau an die Stelle, an der sie der Pfeil mit dem Gift getroffen hatte. „Ich liebe dich, auch wenn du mir deinen wirklichen Namen nie verraten hast... Sarah... Jenny... Sam..." seufzte er, und betonte jeden Namen mit einem weiteren Kuss.

Shaw zu erschießen war ihm nicht leicht gefallen, und er wusste, dass er sehr lange brauchen würde, um damit zurecht zu kommen, dass er jemanden getötet hatte, aber obwohl er Daniel Shaws Beweggründe bis zu einem gewissen Maße verstehen konnte, und er darunter litt, ihn getötet zu haben, würde er es wieder tun... ohne zu zögern. Er konnte und wollte Sarah nicht wieder verlieren.

Shaw hatte im Kampf gegen den RING damals seine eigene Frau verloren -- getötet von Agent Sarah Walker, die von einem, von der CIA unbemerkt, abtrünnig gewordenen CIA-Agenten zu ihrem „Red Test" geschickt wurde. Als Shaw die Wahrheit erfuhr, verlor er den Verstand, und lebte nur noch für seine Rache -- um jeden Preis. Chuck konnte ihn nur zu gut verstehen, denn er wusste, dass es ihm ganz genau so ergehen würde, wenn er Sarah verlöre.

Sarahs Betäubung hatte endgültig einem tiefen, traumlosen Schlaf Platz gemacht, und im Schlaf waren ihre Züge vollkommen entspannt. „Ich werde nie wieder zulassen, dass du in solche Gefahr gerätst, Sarah. Es wird Zeit, dass ich der Spion werde, den du immer in mir gesehen hast -- und der Partner, den du verdienst." hauchte er in ihr schlafendes Ohr. Während er sie schüchtern, und ohne ihre Intimsphäre zu verletzen -- denn er wollte ihr auf keinen Fall zu nahe treten, oder sie in Verlegenheit bringen, wenn sie erwachte -- in einen hoteleigenen Pyjama hüllte, küsste er ganz zärtlich ihr Gesicht, deckte sie zu und setzte sich dann an den Couchtisch, um den Bericht für General Beckman -- seine Vorgesetzte von der NSA -- zu verfassen. Er würde eine ganze Menge zu erklären haben, denn der Einsatz in Paris war weder von ihr genehmigt worden, noch wusste sie überhaupt, dass ein Einsatz stattfand. Chuck und Morgan hatten zwar versucht, sie zu informieren, aber sie hatte beiden nicht geglaubt, vor allem nicht, nach dem sie die Rechnung gesehen hatte, die Chucks letzte „Rettungsmission" für Sarah hatte auflaufen lassen -- die mit dem Panzer.

Im Geiste verfasste er jedoch einen anderen Bericht.

Während er immer wieder die schlafende Sarah betrachtete, ließ er die letzten drei Jahre Revue passieren. Wie sehr sie seine Welt erschüttert hatte, seit sie an jenem Morgen ins Buy More -- seinem damaligen Arbeitsplatz und jetziger Tarnung -- kam, an sein Pult bei der „Nerd Herd" trat und ihn bat, ihr Handy zu reparieren.

Wie er jetzt wusste, war das natürlich nur ein Trick gewesen, um ihn kennen zu lernen, nachdem Bryce -- Bryce Larkin, ehemals bester Freund, Kommilitone in Stanford, vermeintlicher Verräter und vom Weg abgekommener CIA-Agent -- ihm Tags zuvor den Inhalt der Geheimdienstdatenbank „Intersect" gemailt, und Chuck sich sämtliche Daten, über die die Regierung verfügte, versehentlich beim Öffnen der Mail selbst direkt ins Gehirn geladen hatte.

Selbst als er später mit Sarah -- die ihn ursprünglich im Auftrag der CIA zu einer geheimen Haftanstalt bringen sollte, falls sich herausstellte, dass er wirklich der „Intersect" war, und in der Chuck dann den Rest seines Lebens verbringen sollte -- auf dem Hubschrauberlandeplatz dieses Hochhauses stand, in den Visierlinien von sowohl Caseys -- der von der NSA den selben Auftrag hatte -- als auch Sarahs Waffe. Während die beiden sich gegenseitig und Chuck bedrohten... als ihn jeder der beiden einkassieren und einsperren sollte... hatte er seine Augen nicht von ihr nehmen können, und wünschte sich nur, mit ihr zusammen sein zu können.

Als dann Casey und Sarah von NSA und CIA zu seinen „Aufpassern" gemacht wurden, war er glücklich darüber, dass Sarahs und seine Tarnung beinhaltete, dass sie ein glücklich verliebtes Pärchen spielen sollten -- zumindest von seiner Seite war das kein Problem, da er nicht großartig spielen musste, denn er hatte sich fast im ersten Moment schon in sie verliebt. Inzwischen wusste er auch, dass es Sarah genauso ging, auch wenn sie sich sehr schwer damit tat, es sich und ihm einzugestehen. Noch viel zu sehr hatte sie das Gefühl, ihn beschützen zu müssen und sich um ihn Sorgen machen zu müssen.

Alles, was danach kam, die Missionen, in denen sie zu dritt, mit ihm und seinen „flashs" der Intersectdaten als Informationsquelle, die Welt retteten, gegen FULCRUM und später gegen den RING kämpften, er mal kurz Atombomben mit Computerviren entschärfte oder alleine in einem mit biologischem Kampfstoff verseuchten Konferenzsaal versuchte, ein Gegengift herzustellen... alles das hätte Chuck nicht überstanden, wenn er es nicht auch gleichzeitig bedeutet hätte, Sarah -- naja, hin und wieder auch Casey -- zu helfen oder zumindest zu beeindrucken. Und Chuck hatte wirklich viel zu überstehen.

Angefangen damit, dass er nicht nur einmal, sondern dreimal den „Intersect" in sein Gehirn geladen bekam, er den „FULCRUM-Intersect" assimilierte und er, um zu verhindern, dass der RING ihn in die Finger bekam, den „Intersect 2.0" in seinen Kopf runter lud, bevor er dann sämtliche externen Datenträger zerstörte, und damit wieder zu einem der meist gesuchten und meist gejagten Menschen der Welt wurde. Ohne es zu wirklich zu wollen, hatte Chuck sich damit zur größten Datenbank der Welt gemacht, und auch wenn ihm dieses Wissen enorme Kräfte, Fähigkeiten und Kenntnisse einbrachte, bedeutete es auf der anderen Seite auch, dass er niemals ein normales Leben würde führen können. Aber er konnte es nicht aufrichtig bedauern, denn er hatte keine Wahl...

Bryce, der ohne sein Wissen von FULCRUM manipuliert worden war, hatte die ursprüngliche „Intersect-Datenbank" zerstört, und die Daten, die er zuvor heruntergeladen und gesichert hatte, an Chuck geschickt, weil er wusste, dass sie bei diesem sicher wären. Zu diesem Zeitpunkt wussten nur die Entwickler, dass der „Intersect" auch in einen Menschen heruntergeladen werden konnte -- zumindest theoretisch. Später hat Bryce Chuck durch einen Trick dazu gebracht, sich die Updates für den aktualisierten „Intersect" ins Gehirn zu laden. Als Chuck dann von FULCRUM-Agenten gefangen genommen wurde -- die seine wahre Identität aber nicht kannten, sondern nur wussten, dass er für die CIA arbeitet -- wollten sie ihre eigene Version des „Intersect" an ihm testen... und luden einige der wichtigsten Daten, die FULCRUM gesammelt hatte in Chucks Kopf. Der „Intersect 2.0" schließlich sollte ursprünglich in den Kopf von Bryce Larkin geladen werden, der als erfahrener und gut ausgebildeter Agent das volle Potential erkunden sollte. Als er mit Chuck einen Angriff von RING-Agenten abwehrte, wurde Bryce jedoch tödlich verwundet, und da Chuck als einziger dazu in der Lage war, nahm er die Last auf sich, der „Intersect 2.0" zu werden.

Dann waren da die katastrophalen Beziehungen, die er einging, um die regelmäßigen, aus Angst und falscher Zurückhaltung geborenen, Zurückweisungen seitens Sarahs zu verkraften, die überzeugt war, die Beziehung zwischen ihnen rein professionell halten zu müssen:

Lou, eine junge Deli-Inhaberin in der Mall, in der auch das Buy More lag, die sich als Schmugglerin herausstellte, die zu nah an sein Geheimnis kam, und die er, auch um sie zu schützen, fallen ließ, nachdem ihn Sarah zum ersten Mal geküsst hatte. Jill, seine große Liebe vom College, die ihn verriet, als sie sich als Agentin von FULCRUM herausstellte, und die Chuck selbst verhaftete, nachdem sie versucht hatte, Sarah zu ermorden. Später ermöglichte er ihr die Flucht, nachdem sie ihm geholfen hatte, seinen Vater ausfindig zumachen, und sie plötzlich auch auf der Flucht vor FULCRUM war. Hannah, eine junge und bezaubernde Computerexpertin, die sich in ihn verliebte und eine Zeit lang mit Chuck im Buy More arbeitete -- und deren einziger Fehler war: Sie war nicht Sarah Walker. Er trennte sich von ihr, weil er ihr nichts vormachen wollte, weder privat noch beruflich.

Auch sein Sozial- und Familienleben litt sehr unter den Lügen und seiner Tätigkeit für den Geheimdienst. Weder seinem besten Freund -- Morgan Grimes, lebenslanger Freund und Kollege im Buy More -- noch seiner Schwester Elli und ihrem Freund -- später Ehemann -- Devon „Captain Awesome" Woodcomb gegenüber durfte er etwas preisgeben. Später wurde Devon durch einen unglücklichen Zufall für kurze Zeit unfreiwillig Agent für die CIA, was ihm eine leichte Paranoia einbrachte, und als der RING das Buy More auf der Suche nach Shaws Operationsbasis besetzte, mußte Chuck sein Geheimnis letztlich mit Morgan teilen -- was dieser erstaunlich gut verkraftete -- nachdem er selbst auch zu einem Teil des Teams wurde.

Sein lang verschollener Vater, der die Familie vor Jahren verließ, um sie zu schützen, entpuppte sich als „Orion", Entwickler genau der Datenbanken, die Chuck in seinem Kopf hatte -- des „Intersect" und des „Intersect 2.0" und vermeintlich erster menschlicher „Intersect", da er sich einen unfertigen und fehlerhaften Prototypen ins eigene Gehirn geladen hatte.

Zu allem Überfluss erfuhr er, dass Bryce Larkin, Chucks vermeintlicher Todfeind, dem Chuck vorwarf, ihm bei seinem Rauswurf aus Stanford in den Rücken gefallen zu sein, und ihm seine Freundin ausgespannt zu haben, mit einem für die CIA tätigen Professor die Beweise, die zu seinem Rauswurf führten, fingiert hatte, um Chuck davor zu bewahren, schon während des Studiums in Stanford von der CIA rekrutiert zu werden.

Während Chuck also mit Sarah und Casey, und hin und wieder mit der nicht ganz freiwilligen Hilfe von Morgan und „Captain Awesome", die Welt retten mußte, ein mehr als gespanntes Verhältnis zu Bryce hatte, der mit Sarah eine gemeinsame romantische Vergangenheit hatte, und sein Bestes gab, nicht getötet oder entführt zu werden, mussten sie alle auch sicherstellen, dass Elli keinen Verdacht schöpfte und auch nicht mit hineingezogen wurde.

Chuck sah Sarah lange an, und seufzte leise: „Das ist es wert... Du bist es wert, Sarah Walker."

* * *

Über dem Erstellen des Berichts und dem Nachdenken hatte Chuck den Fluss der Zeit nicht gespürt, und war plötzlich überrascht, als draußen vor dem Fenster die Welt an einem neuen Tag zum Leben erwachte und die Sonne aufging. Und genau in diesem Moment, als ein einzelner Sonnenstrahl sich durch das Fenster stehlend auf Sarahs Gesicht legte, begann sie sich zu regen, als wäre der Sonnenstrahl ein Kuss.

Chuck erhob sich aus seinem Sessel, den CIA-Laptop, auf dem er den Bericht getippt hatte, noch in der Hand und ging zum Bett hinüber.

Er sah sie besorgt an „He... wie fühlst du dich?" - „Was ist passiert?" fragte sie verwirrt. „Es ist jetzt alles in Ordnung." beruhigte er sie, noch immer besorgt wegen ihrer Reaktion, wenn er ihr sagte, was geschehen war. „Was ist mit Shaw?" wollte sie prompt auch von ihm wissen. „Er ist tot..." er räusperte sich nervös „Es tut mir Leid." Sie sah ihn an, noch immer etwas desorientiert. „Mein Gott... wir... da war ein... da war ein Café und Shaw wollte mich töten... OH MEIN GOTT... du hast ihn erschossen!" - „Ich konnte nicht zulassen, dass er dir wehtut, Sarah... glaub mir... ich habe getan, was ich tun musste... aber ich bin immernoch der gleiche Kerl... ich bin immernoch Chuck. Das verspreche ich dir."

Chuck hatte Angst. Nach seinem „Red Test" hatte sich Sarah massiv von ihm distanziert, weil sie glaubte, er hätte sich verändert. Sie glaubte, dass er kaltblütig einen Menschen erschossen hatte, und nicht mehr „ihr" Chuck war. Doch jetzt sah sie ihn nur mit ihren großen grauen Augen an, und was er sah, war Staunen... und Dankbarkeit. „Du hast mich gerettet..."

Sie zog ihn an sich und küsste ihn tief und innig, voller Leidenschaft und Dankbarkeit, und als sich ihre Lippen lösten, hatte er kaum Zeit, Atem zu schöpfen, bevor sie seine Lippen wieder mit ihren versiegelte.

Ein lang gezogenes, dreimaliges elektronisches Piepsen unterbrach ihren Kuss, und sie trennten sich genau in dem Moment, in dem General Beckmans Gesicht auf dem Display des Laptops erschien.

„Chuck... Sarah... hervorragende Arbeit. Ich habe mich mit Colonel Casey beraten, und er brachte mich auf den neuesten Stand. Ich erwarte einen vollständigen Bericht, wenn sie wieder in Burbank sind." - „Tatsächlich denke ich, dass wir noch ein paar Tage in Paris brauchen werden, General." war Chucks Antwort. „Nein! Ich will sie beide so bald wie möglich wieder zurück. Wir haben eine neue Mission. Gestern Nacht brach ein Team von Attentätern in die..." Chuck nickte kaum merklich zum Laptop hin, und Sarah verstand und drehte den Laptop um.

„Agent Bartowski, Agent Walker...Die Verbindung ist abgebrochen, schaffen sie sie mir wieder ran!" General Beckmans Stimme verklang in ihren Ohren, als sich Sarah und Chuck ansahen und die Last unzähliger Ängste von ihnen abfiel. Geistesabwesend schloss Sarah den Laptop. „Ich weiß nicht ob wir..." wollte Chuck sagen, aber sie schnitt ihm das Wort ab. „Halt die Klappe und küss mich!"

Wundervolle Erinnerungen schossen ihm für einen Moment durch den Kopf.

Ihr erster Kuss, damals, in diesem Lagerhaus am Hafen, als keine zwei Meter neben ihnen das Zählwerk einer vermeintlichen Bombe die letzten Sekunden zählte, und ihn Sarah mit ungeahnter Leidenschaft und Inbrunst küsste. Als sie beide noch nicht wussten, dass es keine Bombe war, sondern eine spezielle Regenerationskapsel, in der der schwer verletzte Bryce Larkin seine Schussverletzungen auskurierte, die ihm Casey beigebracht hatte. Der Kuss, der Chuck so aus der Bahn geworfen hatte, dass er lange Zeit keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Monate später dann, in einem Motel in der kalifornischen Wüste bei Barstow, als sie versuchten, seinen Vater zu retten, und sich damit beinahe des Hochverrats schuldig gemacht hatten. Als Sarah ihre Befehle missachtet hatte, und auf eigene Faust mit Chuck losgezogen war, alles hinter sich lassend und nur ihren Herzen folgend. Dieser Morgen, als sie aneinander geschmiegt erwachten, die Hand in die Hand des jeweils anderen verschlungen. Wie sie da Trost und Halt in des anderen Umarmung gesucht hatten... doch dieses Mal war es ganz anders. Sie waren in Paris, in einem eleganten und noblen Hotel in Montparnasse, beide sehr erfolgreiche und geschätzte Agenten und nicht im Angesicht des sicheren Todes oder auf der Flucht...

Und dann waren diese Gedanken verschwunden, denn nur noch eines zählte -- der jeweils andere, und doch Teil des eigenen Selbst... Jetzt... In DIESEM Moment!

Die Küsse wurde immer sehnsüchtiger und inniger, als sie beide unter der Bettdecke verschwanden, und Sarahs Hände wanderten über seine Brust, bemüht, sein Hemd zu öffnen. Seine Hände waren im Gegenzug damit beschäftigt, ihre Pyjamajacke zu öffnen. Seine Fingerspitzen strichen über die zarte Haut und winzige Funken sprangen zwischen Haut und Fingerkuppen hin und her. Ein ganz leises Seufzen glitt über Sarahs Lippen, noch immer im Kuss mit denen von Chuck vereint, und mit einem Ruck riss Sarah sein Hemd auf.

„Es tut mir Leid, dass ich dich immer wieder zurückgestoßen habe, Chuck, aber..." wollte sie sich bei ihm entschuldigen, aber seine Lippen verschlossen ihren Mund wieder und ein Blick in seine Augen sagte ihr alles, was sie zu wissen hatte: „Das ist nicht mehr wichtig, Sarah... Das ist Vergangenheit, und wir haben das Jetzt für uns, und niemand kann es uns wegnehmen... nie wieder!" Diese Botschaft verstand sie, auch ohne dass er ein Wort sagte, nur aus seinem Blick und aus der Intensität seiner Küsse und für einen kurzen, albernen Moment fragte sie sich, ob er in der Intersectdatenbank auch eine Anleitung hatte, wie er sie verführen sollte. Aber ihr war klar, dass er hierfür keinen „flash" brauchte... Um einander zu lieben, würden beide niemals eine Anleitung brauchen... Dieses Verlangen und die Sehnsucht hatte sich bei beiden in den letzten drei Jahren angestaut, und jetzt konnten beide nur hoffen, der Gewalt stand zuhalten, mit der sich diese Gefühle Bahn brechen würden.

Er hatte ihr inzwischen den Pyjama abgestreift und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals, sie liebevoll aber zugleich hungrig küssend und an ihrem Ohr knabbernd. Sie sah ihn zärtlich an, seinen Kopf an ihrer Brust lehnend und sich ihr ausliefernd, ebenso wie sie sich ihm auslieferte -- einander blind und absolut vertrauend -- und sie küsste liebevoll seinen Kopf, während seine Lippen zärtlich begannen, die Haut ihrer Brüste zu erkunden.

Sie kannte ihn besser als irgendjemand auf der Welt, nicht nur, weil sie ihn die letzten drei Jahre beschützt und studiert hatte, sondern weil er sich ihr immer geöffnet hatte, seine Gefühle nie verborgen hatte -- auch wenn ihn genau das fast als Spion disqualifiziert hatte und ihr genau das auch lange Zeit Angst gemacht hatte -- und auch weil sie schon zu einer Zeit Seite an Seite gekämpft hatten, als Chuck nichts anderes hatte als ein großes, tapferes Herz und einen starken Willen. Und sehr oft war es Chuck, der letztlich dafür sorgte, dass sie die Missionen erfolgreich abschlossen.

Sie wusste seinen besorgen Blick genau zu deuten, mit dem er sie angesehen hatte, als sie erwacht war. Die Angst um sie, aber auch die Sorge, ob sie ihn noch so lieben könnte -- jetzt, wo er vorsätzlich einen anderen Menschen getötet hat.

Damals, nach seinem „Red Test" war sie verunsichert gewesen, ob er noch der Selbe war, doch nun wusste sie genau, dass egal was passieren würde, egal, was er tun musste, welche Aufgaben er zu erfüllen hätte -- er würde immer ihr Chuck bleiben, ihr Nerd Herder, der Mann, der ein komplettes Black Op-Team der CIA, Luftunterstützung von der NAVY und selbst einen Panzer der ARMY hatte auffahren lassen, als er dachte, sie sei in Gefahr, der Knabe, der den ersten Gefallen, den ihm die CIA schuldig war, dazu nutzte, seinem Schwager zu ermöglichen, seiner Schwester den schönsten Heiratsantrag zu machen... der seine Abfindung von der CIA -- und ein Special Ops Team der MARINES -- genutzt hatte, um seiner Schwester Elli und ihrem Verlobten Devon die Hochzeitszeremonie zu ermöglichen, von der sie immer geträumt hatten, nachdem ein komplettes FULCRUM-Killerkommando die Hochzeit gesprengt hatte...

„HEIRAT"... Ein wohliger und zugleich eisiger Schauder durchfuhr sie bei diesem Wort -- und der Erinnerung an die Zeremonie, sie als Brautjungfer und Chuck als Brautführer von Elli - und sie schob den Gedanken hastig von sich -- noch war er zu erschreckend, und die Möglichkeit zu weit entfernt... aber auch ein schöner Gedanke... Fast bereute sie es, bei der Hochzeitsfeier nach der Zeremonie den Brautstrauß nicht gefangen, sondern abgewehrt zu haben.

Ein zweiter Schauder durchfuhr sie, als Chuck mit den Lippen durch ihren BH hindurch ihren Nippel berührte, und der Seufzer, der ihr jetzt entschlüpfte, war deutlich lauter als der vorherige. Er hob den Kopf und seine dunkelbraunen Augen trafen den Blick ihrer grauen Augen, sein Blick eine einzige Frage. „Ja, Chuck, es ist schön, bitte hör nicht auf." lächelte sie ihn an. „Soviel zur Frage, ob er flashen würde..." ging ihr durch den Kopf, und ihr Lächeln wurde noch etwas breiter. Bei all seinen Fähigkeiten und dem Wissen, das ihm der Intersect eröffnete, war er doch noch immer der etwas schrullige, liebenswert unsichere und sensible Nerd, in den sie sich verliebt hatte.

Doch schon im nächsten Moment spürte sie, wie sich ihr BH wie von selbst öffnete und äußerst geschickt weggezogen wurde. Als nächstes fiel Chucks Hemd und dann folgten seinen Hosen. "Ok... mangelnde Zielstrebigkeit kann man ihm weiß Gott nicht nachsagen." ging ihr durch den Kopf. Dann schloss sie für einen Moment die Augen und genoss es, dass Chuck die Führung übernahm. Sie bezweifelte, dass sie nach den ganzen Ereignissen der Nacht in der Lage gewesen wäre, besonders dominant das Liebesspiel in die Hand zu nehmen... zumal Chuck offensichtlich genau wusste, was er tat, und sich Sarah voll und ganz darauf konzentrieren konnte, ihre Konzentration von Chucks zärtlichen Liebkosungen in pure Glückseligkeit auflösen zu lassen.

Er legte sich wieder zu ihr aufs Bett und mit einer (un?)geschickten Bewegung flog der Laptop vollends vom Bett, was beide mit einem Grinsen quittierten. Als er sie in seine Arme schloss, konnte sie nicht nur seine Erregung spüren -- aber die war auch deutlich zu spüren -- sondern auch die Anspannung und genau die liebenswerte Unsicherheit und Schüchternheit, in die sie sich verliebt hatte, als sie ihm im Buy More zum ersten Mal in die sensiblen dunkelbraunen Augen gesehen hatte.

Sie schob alle bewussten Gedanken von sich und genoss die Zärtlichkeit, mit der sie Chuck überschüttete, als er ihre Haut erkundete, jeden Quadratzentimeter mit Küssen, Liebkosungen und zarten Bissen bedeckend. Jede seiner Berührungen schrie förmlich „Ich liebe dich!", und als seine Lippen ihren Schoß durch den dünnen Stoff ihres Höschens hindurch berührten, drängte sie sich ihm sehnsüchtig stöhnend entgegen. Ihre Finger krallten sich in sein lockiges Haar, und sie zog ihn noch enger an ihren vor Sehnsucht feuchten und glühenden Schoß. Heiß und in seinem Hunger schon fast sengend strich sein Atem über die zarte Haut ihrer Scham und weckte in ihr das Verlangen nach mehr... viel mehr.

Ein lang gezogener Seufzer verließ ihre Lippen in einem wohligen Stöhnen, als er sanft mit der Zungenspitze die Konturen ihrer Lippen nachzog und einen Moment kreisend auf ihrer empfindlichsten Stelle verharrte. Dann flatterte die Zungenspitze über ihren Kitzler und sie konnte seine Lippen ganz intensiv auf ihren spüren... saugend und massierend.

Im nächsten Moment überraschte sie dann das Gefühl von kühler, frischer Luft an ihrer feuchten Haut, als ihr Chuck vorsichtig das Höschen abstreifte, und seine Zunge sofort wieder die Liebkosungen fortsetzte.

Chuck atmete ihren Duft tief ein, versuchte sich jede Nuance ihres Geruchs einzuprägen, jedes einzelne Molekül ihres Aromas und Geschmacks... er wollte nichts, nicht eine Einzelheit vergessen... keine Einzelheit ihres gemeinsamen ersten Mals. Er erkundete sie von den Füßen bis zum Kopf, küsste jede Stelle und streichelte ihren ganzen Körper mit seinen Lippen.

Schon so lange verzehrte er sich nach ihr, träumte davon, wie sanft und zart ihre Lippen auf seinen liegen würden, wie sich ihre Haut anfühlen würde, wie sich ihr Körper verlangend und heiß an seinen drängen würde, wie sie duften würde, wenn er sie immer weiter erregte und liebkoste und er träumte davon, ihr in die Augen zu sehen, wenn er in sie eindrang und ihre Augen sich vor Sehnsucht und Lust weiten würden.

Sarah konnte genau spüren, dass Chuck Angst hatte, sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie zu stützen, und dabei wollte sie genau das... ihn voll und ganz fühlen, mit allen ihren Sinnen in sich aufnehmen, und überall berühren. Mit einer fordernden Bewegung zog sie ihn auf sich und umschlang ihn mit den Armen. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, zu duschen oder sich zu rasieren, die leichten Stoppeln kratzten aufreizend über ihre Haut und sein Geruch erregte sie mehr als sie es sich hätte vorstellen können. Erst jetzt erkannte sie, dass sie Chucks Attribute unbewusst immer falsch eingeschätzt hatte. Sie hatte zwar seine Größe und seinen Körperbau zur Kenntnis genommen, aber aus einem seltsamen Grund nicht den Schluss gezogen, dass der große, und durch seine Arbeit und den Sport trainierte Mann, dessen Freundin sie die letzten drei Jahre zu sein vorgegeben hatte, auch wirklich groß und stark war, und auch sehr wohl in der Lage war, sich seiner Haut zu wehren -- und auch in der Lage war, sie wirklich zu halten... und zu nehmen.

Er hob sie sanft auf seinen Schoß und zog sie hoch an seine Brust, bis sie auf seinem Schoß saß, ohne seine Lippen von ihrem Mund zu nehmen. In einem scheinbar ewig währenden Kuss strich und kratzte er über ihren Rücken und steigerte ihre Erregung ins Unermessliche, bevor er sie ganz langsam und vorsichtig nach hinten sinken ließ, und mit seinen Lippen, seiner Zunge und seinen Zähnen von ihren Lippen über ihren Hals zu ihren Brüsten wanderte. Erst nahm er die eine Brust in den Mund, abwechselnd zärtlich und fordernd-frech mit der Zungenspitze über die Nippel streichend und an der Brust knabbernd und saugend. Dann nahm er die andere Brust und wiederholte mit ihr das gleiche, ebenso zärtlich und verlangend, ohne Müde zu werden. Eine süße Ewigkeit lang wechselte Chuck immer wieder von der einen Brust zur anderen, während seine Hände sinnlich und reizend über Sarahs Rücken und Po strichen. Sarahs Atem wurde immer heftiger und die Blicke, die sie ihm zuwarf waren so glühend wie die Sonne.

Ein langes Stöhnen begleitete das sehnsüchtige Seufzen, als sich dann Chucks Lippen von Sarahs Brüsten lösten, und er langsam küssend und knabbernd von ihren Brüsten aus ihren flachen und trainierten Bauch erkundete und seine kleinen, zarten Küsse die Haut und Sarah insgesamt reizten und erregten. Seine Zähne fuhren über die Haut und Sarahs Körper überzog sich vollständig mit einer merklichen Gänsehaut, was Sarah mit einem lauten Seufzer und einem tiefen, genüsslichen Stöhnen quittierte.

Chuck war wie berauscht von Sarahs Duft und dem Gefühl ihrer Haut unter seinen Lippen, Zähnen und Zunge. So sanft war ihre Haut, dass er sich nur mit Mühe beherrschen konnte, nicht zu zubeißen, und Sarah mit Haut und Haar zu verschlingen, so sehr begehrte er sie. Doch dann hob er den Blick, und ihre Augen trafen sich. Auch wenn sie es ihm nie gesagt hatte, konnte Chuck ganz deutlich die Liebe in ihrem Blick sehen. Statt zu beißen, küsste er unsagbar zärtlich die Haut um ihren Bauchnabel, und Sarahs Atem wurde schneller, als er seine Küsse langsam tiefer wandern ließ. Mit winzigen Bissen neckte er ihren Unterbauch und knabberte sich dann auch küssend und sanft leckend über ihren Venushügel hinab. Er lächelte in sich hinein, und sah ihr lange und tief in die Augen, bevor er dann ganz langsam und zärtlich wieder ihren Kitzler küssend berührte.

In diesem Moment widerfuhr Sarah das, was die Amerikaner als „going ballistic" bezeichneten. Sarah ging buchstäblich hoch wie eine Silvesterrakete, explodierte vor Lust laut schreiend, und krallte sich fast schon schmerzhaft in Chucks Nacken. Chuck umfasste die zarte Perle mit den Lippen und saugte ganz sanft daran, während Sarah langsam wieder zu sich kam. Ganz sanft streichelte er sie mit der Zungenspitze und genoss, wie ihre Lust in seinen Mund strömte, während sie wieder zu Atem kam und sich ihre Züge entspannten.

Sarah war einfach nur platt. Sie konnte nicht fassen, wie geschickt und sicher Chuck genau die Punkte und Stellen fand, die sie so erregten. Als wüsste er genau, was er wann wo tun sollte... als hätte er ihren Körper und dessen Reaktionen genauestens studiert... oder als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als sie zu verwöhnen.

Ihre Reaktion und ihr lautes Stöhnen waren ihr für einen Moment fast peinlich, aber als sie in seine Augen sah, wusste sie, dass er nichts anderes hätte haben wollen. Chuck wollte sie verwöhnen und glücklich machen. Und das gelang ihm fast schon beängstigend gut.

Als sich ihr Atem wieder beruhigt hatte, und ihr Puls wieder im zweistelligen Bereich angekommen war, zog sie Chuck wieder an sich und sie küssten sich mit intensiver Zärtlichkeit und einem warmen, intimen Verlangen, während sie sich umarmten und festhielten. Ganz langsam drängte sie ihren Schoß immer fester gegen seine Erregung, bis diese dann wie von selbst in sie glitt.

Ein gemeinsamer Seufzer entfuhr ihnen, als sie spürten, wie seine doch beachtliche Erregung der Enge ihrer Lust begegnete und sie -- endlich -- verschmolzen, und sich der warmen Glut der Liebe hingaben.

Von ihnen unbemerkt hatte die Sonne ihre Bahn am Himmel gezogen und der Morgen war dem Vormittag, und der Vormittag schon dem Mittag gewichen, als sich ihre Vereinigung vollzog. Das warme Sonnenlicht fiel, von den Gardinen und Vorhängen gefiltert, in das Zimmer und über die Liebenden im Bett, ließ ihre Haut leuchten und den Schweiß auf ihrer Haut schimmern und glänzen.

Sie liebten sich mit der leidenschaftlichen Ausdauer von Teenagern und der geduldigen Hingabe eines Paares, das sich schon sehr lange kannte, das jede Facette des anderen ganz genau verstand und sich im anderen wiederfand, vollkommen im gegenwärtigen Moment weilend, ohne Vergangenheit oder Zukunft in ihren Gedanken, und als sich Chuck schließlich nach einer süßen Ewigkeit in Sarahs Schoß ergoss, schlossen sie sich einfach nur in die Arme, blieben aneinander geschmiegt und mit einander verbunden liegen, und küssten sich immer wieder liebevoll, während der Schlaf die beiden mit sich nahm.

Das Licht der nachmittäglichen Sonne stahl sich durch Gardinen und Vorhänge und legte sich wie die Decke einer wohlmeinenden Fee auf die beiden Menschen, die sich auch im Schlaf zugewandt und lächelnd da lagen. Die Hände, die im Schlaf auf einander zuwanderten erstrahlten im Licht der Sonne, und durch eine Laune der Natur oder einen Zufall fielen zwei ganz schmale Schatten auf die Ringfinger der beiden, als sich ihre Hände berührten, und erweckten den Eindruck, die beiden trügen Eheringe.

Beide lagen glücklich und traumlos da, während die Sonne ihre Bahn weiter zog, und ein zufälliger Beobachter hätte nur ein verliebtes und glückliches Paar gesehen. Selig lächelnd, frei von Sorgen und Ängsten und ganz entspannt.

* * *

Als Sarah schließlich wieder erwachte, befand sich die Sonne schon lange auf dem Weg zum westlichen Horizont und ihr Licht färbte alles in einem leuchtenden Orange, und wie an jenem Morgen in Barstow, lag Chuck hinter ihr, hielt sie in seinen Armen, sein Gesicht an ihren Hals gedrückt und küsste selbst im Schlaf murmelnd noch immer ihren Nacken. Ihrer beider Finger hatten sich gefunden und waren in einander verschränkt, als wollten sie den anderen nie wieder gehen lassen.

Sie war schon öfter in den Armen eines Mannes aufgewacht, sowohl privat -- wenn man bei ihrem Beruf überhaupt von privat sprechen konnte -- als auch beruflich, aber sie konnte sich nicht erinnern, jemals dieses Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit verspürt zu haben, wie in der Umarmung dieses großen Jungen, in dessen Innersten ein starker und gütiger Mann schlummerte.

Sarah versuchte, sich nicht zu bewegen, um ihn nicht aufzuwecken, aber als hätte er nur darauf gewartet, dass sie erwachte, erwachte auch er, küsste ihren Nacken noch einmal und flüsterte in ihr Ohr: „Wenn ich nur träume, dich in meinen Armen zu halten, dann wage es bloß nicht, mich zu wecken... Wenn das ein Traum ist, dann will ich nie wieder wach sein."

Er atmete ihren Duft tief ein und sagte dann: „Nein, kein Traum kann je so schön, zart und sinnlich sein wie du in meinen Armen. Ich muss wach sein, und das bedeutet, die letzten Stunden waren auch kein Traum."

Zärtlich zog er sie zu sich und drehte sie auf den Rücken. „Kein Traum, Chuck... aber traumhaft" lächelte sie ihn an und schmiegte sich eng an ihn. Glücklich gab sie sich der Wärme seiner Umarmung hin und fragte sich, warum sie jemals solche Angst davor hatte, sich fallen zu lassen. Warum sie Chuck nicht schon viel früher an sich heran gelassen hatte. Hätte sie doch nur schon früher gewusst, dass ihre Ängste in seiner Nähe unbegründet waren... Sie küssten sich und ihre Hände erkundeten wieder jeden Zentimeter des anderen. Sarah genoss das Gefühl, in Chucks Armen zu liegen, und erkannte erst jetzt zu ihrem Erstaunen, dass ihr nie aufgefallen war, wie kräftig und durchtrainiert Chuck wirklich war. Nichts an ihm rechtfertigte es, ihn als schutzbedürftig, schwach oder nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, anzusehen. Dann küsste sie ihn zärtlich, rückte etwas ab und sah ihm tief in die Augen.

„Ich verhungere..." flüsterte sie und sah ihn zärtlich an. „Ich hatte kein Frühstück, und es ist schon fast Zeit für das Abendessen... und wir haben wirklich nicht mit unseren Kräften gespart." schmunzelte sie. „Willst du zuerst unter die Dusche, oder soll ich?" fragte sie. „Zusammen" war alles, was er sagte, bevor er sie an sich zog, mit ihr aus dem Bett glitt, und sie auf seine Arme hob.

Sie zappelte und strampelte lachend und versuchte sich zu befreien. „Charles Irwing Bartowski... wir sollten wirklich was essen, und wenn wir jetzt zusammen unter die Dusche gehen, werden wir das Zimmer wohl nie wieder verlassen..." tadelte sie ihn zärtlich -- auch wenn ihr der Gedanke, den Rest ihres Lebens mit ihm in diesem Zimmer zu verbringen und sich vom Zimmerservice versorgen zu lassen nicht zu wider war. Ein verträumtes Grinsen stahl sich in ihr Gesicht.

Er setzte sie ab, küsste sie lange und verlangend und hauchte dann: „Dann geh du zuerst. Ich kümmere mich dann um das Abendessen." Lächelnd setzte er sich auf das Bett und sah ihr nach, als sie nackt ins Bad ging -- oder besser gesagt, hüpfend ins Bad schwebte. Als sich die Tür hinter ihr schloss, griff er zum Telefon, ließ sich mit dem Concierge verbinden und reservierte mit einem verschlagenen Lächeln einen Tisch im besten Restaurant, das ihm der Concierge empfehlen konnte.

Es sprach für Sarahs natürliche Schönheit, dass sie keine Dreiviertelstunde später aus dem Badezimmer kam, ein Handtuch um den Körper gewickelt und eines um den Kopf geschlungen, so verlockend duftend, dass es kein Parfüm und keine Körperlotion mit ihrem eigenen Duft aufnehmen konnte und so frisch und erholt wirkend, als hätte sie Stunden in einem Spa verbracht, nur mit einer leichten Gänsehaut an sich, die scheinbar von Kopf bis Fuß ging. „War das Wasser so kalt?" fragte er sie frech, doch sie ging nicht drauf ein, lächelte nur ihrerseits katzenhaft. „So, Agent Bartowski, jetzt sind sie dran" grinste sie, ließ sich auf das Bett sinken, schlug die Beine unter und begann, in einem von Chucks Comics zu lesen.

Das ließ sich Chuck nicht zweimal sagen, und als er das Badezimmer betrat, verriet ihm der „Intersect" anhand der Spuren -- die gezackte Ecke eines rechteckigen Stücks Leinen im Papierkorb, der Duft in der Luft und ein kleiner Holzspatel, der hinter dem Papierkorb gelandet war -- dass sich Sarah mit Wachs Haare entfernt hatte. Da ihre Beine -- wie er schon genauestens festgestellt hatte -- makellos glatt waren, konnte seine Phantasie den Rest problemlos ergänzen. Auch war das Badezimmer nicht so voll gedampft, wie man(n) annehmen könnte, wenn eine Frau duscht -- es sei denn, die Dusche war nicht warm. Auch dazu dachte sich Chuck seinen Teil. „Vielleicht hätten wir doch beim Zimmerservice bestellen sollen..."

Allein der Gedanke daran erregte ihn, und als er unter die Dusche stieg, war seine Erregung nicht zu übersehen. Chuck drehte die Dusche auf eiskalt, und ertrug den harten Strahl tapfer mehrere Minuten lang, bevor er die richtige Temperatur einstellte, sich einseifte und gründlich wusch. Anschließend rasierte er sich ganz gewissenhaft, und überprüfte die Rasur ganz genau im Spiegel. Ihm war zwar die anregende Wirkung seiner Stoppel auf ihrer Haut nicht entgangen, aber er wollte ihrer zarten Haut keinen Schaden zufügen. Außerdem war er sicher, dass sie ihn noch viel lieber küssen würde, wenn er glatt rasiert war. Zum Abschluss nahm er noch etwas vom Aftershave, das Devon ihm empfohlen hatte, und von dem er wusste, dass es Sarah sehr gefiel.

Als er das Bad verließ, war Sarah nirgendwo zu sehen -- etwas, was Chuck doch ein kleines Bisschen nervös werden ließ, denn noch immer waren RING-Agenten hinter ihnen beiden her. „Sarah! Bist du hier?" rief er, und sah sich im Zimmer um. Aber ein Blick auf die Kissen ließ ihn ruhiger werden, denn dort lag ein Zettel von Sarah.

„Chuck! Alles ist ok. Ich wollte dich nicht stören, habe nur nichts Passendes anzuziehen, da ich heute mit dir feiern will -- und hey... wir sind doch schließlich in Paris!! Triff mich um 20.30Uhr in der Lobby -- und zieh dir was Schickes an. XOXOXOX Sarah."

Augenscheinlich war sie sehr aufgekratzt, und wollte den Abend mit ihm zu etwas Besonderen machen, und dieses aufgeregt Aufgedrehte gefiel ihm an ihr. Scheinbar fühlte sie sich sehr wohl. Und wie es schien, war das sein Verdienst.

Chuck war von Natur aus neugierig, und war darum auch schon sehr gespannt, wie Sarah aussehen würde -- auch wenn er sie selbst in einem Kartoffelsack und mit Asche im Gesicht begehren und lieben würde. Zumal er sie auch schon mit Blut, Asche, Ruß und weit schlimmerem im Gesicht erlebt, und auch schon in den schlimmsten Verkleidungen gesehen hatte. Alleine beim Gedanken an die Mission, als er, Casey und Sarah sich als Klempner ausgeben mussten, schüttelte es ihn, obwohl Sarah es selbst da schaffte, attraktiv zu bleiben -- auch wenn nach dem Einsatz Dinge und Substanzen an ihr klebten, über die er lieber nicht nachdachte.

Am liebsten erinnerte er sich jedoch daran, wie Casey und Sarah damals versucht hatten, sich bei Roark Industries einzuschleichen. Wie süß sie als Nerd aussah, mit Pullunder, Pferdeschwanz und Hornbrille, obwohl er auch sehr gerne an ihre Aufmachung als Nerd Herder dachte, mit der sie für so große Ablenkung sorgte, dass Chuck und Casey vermutlich auch mit einer Marschkapelle hätten auflaufen können, statt sich heimlich einzuschleichen... den kurzen schwarzen Rock, die knappe weiße Bluse und die schwarzen Heels... und noch viele andere Outfits.

„Reiß dich zusammen, Bartowski, sonst musst du wieder kalt duschen!" schalt er sich selbst, musste aber auch lächeln. Selbst wenn er es gewollt hätte, er hätte Sarah nicht aus deinem Kopf bekommen können -- aber hey... das wollte er ja auch auf keinen Fall.

Chuck suchte dann sehr gewissenhaft den elegantesten Anzug aus, den er im Schrank hatte, und wie es der Zufall so wollte, war es genau der Anzug, den auszusuchen ihm damals seine Schwester Elli geholfen hatte -- der Anzug, in dem Chuck Sarah immer schon mal zum Essen ausführen wollte. Eleonore hatte ihm lange gut zugeredet und letztlich genau das Argument gebracht, das immer stach:

„Chuck... Brüderchen... Du willst doch, dass dir Sarah mit Haut und Haaren verfällt, oder etwa nicht? Und glaub mir, wenn ich es dir als Frau sage: Eine Frau wie Sarah will von einem eleganten Mann zum Essen ausgeführt werden, nicht von einem Converse tragenden Jungen." Chuck hatte da auf einmal Bryce Larkin und Daniel Shaw -- beide waren ernsthafte Konkurrenten um die Zuneigung von Sarah gewesen, und sahen so aus, wie Spione auszusehen hatten -- vor Augen und stimmte ihr schnell zu.

Seine Schwester hatte voll und ganz Recht gehabt, die schlanke, leicht taillierte Form des schlichten, schwarzen Anzugs betonte seine Figur und ließ sowohl seine Größe, als auch seinen Körperbau vorteilhaft erscheinen. Zum klassischen weißen Hemd wählte er dann schließlich noch die mattsilberne Krawatte, die Sarah ihm zum Geburtstag geschenkt hatte -- und konnte sich im letzten Moment noch zusammenreißen, nicht wieder in seine geliebten Chucks zu schlüpfen, sondern die eleganteren italienischen Budapester anzuziehen, die ihm Sarah mit der Begründung „Es wird Zeit für dich, dich wie ein echter Topspion zu kleiden" zur Aufnahme seiner Ausbildung gekauft hatte.

* * *

Er war etwas zu früh in der Lobby, und vertrieb sich etwas die Zeit damit, die Menschen zu beobachten und sein Auge für Gesichter zu trainieren, bei denen sein „Intersect" ihn nicht „flashen" lassen würde. Schließlich war auch der „Intersect" nicht allwissend, und eine gute Beobachtungsgabe war in ihrem Metier Gold wert. Und so kam es, dass er an den winzigen Reaktionen in den Gesichtern der Männer, die in Richtung Eingang blickten, erkannte, dass sich hinter seinem Rücken augenscheinlich etwas Interessantes abspielte.

Ganz langsam drehte er sich zur Eingangstür, und sofort war ihm klar, was die Aufmerksamkeit der Männer erregt hatte:

Sarah war zwar schon vorher das eine oder andere Mal in Paris gewesen, aber heute hatte sie diesem Umstand zum ersten Mal wirklich Rechnung getragen. Vom Kopf -- eine elegante Hochsteckfrisur, die ihren schlanken und zarten Nacken frei ließ, mit eingeflochtenen Perlen, die ihr blondes Haar zusätzlich noch erstrahlen ließen, und einzelnen Strähnen, die strategisch platziert ihr Gesicht umrahmten -- über den Körper, den ein weich fallendes, reizvoll dekolletiertes, schneeweißes, bis zum Knie reichendes und schulterfreies Cocktailkleid mit goldenen Applikationen und weit schwingendem Rock -- das ohne Zweifel einer Diana oder Venus würdig gewesen wäre -- mehr betonte als verhüllte, bis zu den Füßen, die in hochhackigen goldenen Riemchensandaletten steckten, deren Riemchen sich über die Knöchel gleitend und sich immer wieder überkreuzend ihre schlanken Waden hinauf bis fast zu den Knien schlangen, hatte Sarah das Beste, was Paris zu bieten hatte, genutzt, um ihre eigene, von der Natur überreichlich gewährte Schönheit noch zu unterstreichen.

Chuck war schlicht sprachlos und konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. „Mein Gott, sie sieht aus wie ein Engel!" schoss ihm durch den Kopf. Selbst als sie vor ihm stand, mit einer zärtlichen Geste seinen offen stehenden Mund zuklappte, und ihn küsste, konnte er keine Worte finden, noch konnte er schlucken. Chuck spürte, wie sich zahlreiche Blicke neidvoll in seinen Rücken brannten, als ersichtlich wurde, dass Sarah zu Chuck gehörte. „Ich denke mal, das heißt, dass ich gut aussehe." lächelte sie unschuldig. „Du siehst übrigens auch umwerfend aus, Chuck... fast so elegant wie der reife Sean Connery. Wie ein richtiger Spion." neckte sie ihn.

Sie wusste selbst nicht, warum es sie so überraschte, ihn so zu sehen. Schon damals in Prag, als er sie zurückweisen musste, hatte er umwerfend ausgesehen, und sie hatte ihn in ihrer gemeinsamen Zeit schon oft im Anzug oder Smoking gesehen. Aber, das wurde ihr erst jetzt klar, sie hatte ihn noch nie mit diesen Augen gesehen, mit denen sie ihn jetzt sah... mit den Augen einer verliebten Frau, deren Hoffnung auf Liebe sich erfüllt hatte. Das, was sie jetzt sah, war wirklich „ihr Chuck".

Schließlich fand Chuck seine Sprache doch wieder. „Du... du siehst einfach... Wow!! Du siehst unglaublich aus, Sarah." stammelte er, bevor er sich wieder fing, und sie seinerseits küsste. „Du siehst einfach wunderschön aus, Liebling." Er wollte sagen: „Du siehst verändert aus..." als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Sie sah wirklich verändert aus, denn sie war entspannt... und vollkommen zufrieden. Wie lange mag es her sein, dass es ihr so zumute gewesen war? Chuck nahm er ihre Hand und hakte sie bei sich ein. „Noch hungrig?" fragte er sie lächelnd.

Sarah hatte nicht mit der Wimper gezuckt, als er sie „Liebling" genannt hatte, aber das Wort hallte in ihrem Kopf nach wie eine Glocke... Ihr wurde bewusst, dass ihre Beziehung unwiderruflich eine neue Stufe erreicht hatte, und dass das, was sie anfangs nur vorzugeben geglaubt hatten, nämlich, ein Paar zu sein, eindeutig keine Tarnung mehr war, wenn es denn je wirklich so war, sondern die Wahrheit. Sie wusste noch nicht, was sie denken sollte... gefiel es ihr, oder machte es ihr Angst. Sie ließ sich nichts anmerken und lächelte ihn nur an. „Wie ein Wolf... es war ein anstrengender Tag, und es war auch kein Zuckerschlecken, mich für dich hübsch zu machen." war ihre Antwort, als Chuck sie aus dem Hotel führte. „Du bist nicht hübsch, Sarah, du bist schön, und ich liebe dich." sagte er ernst, lächelte sie dann an und nahm ihre Hand in seine, als sie die Treppen zur Straße hinabschritten.

Vom Straßenrand aus winkte Chuck ein Taxi heran, das sie ins Restaurant bringen sollte. Er nannte dem Fahrer die Adresse. Der Fahrer ließ Sarah im Rückspiegel nicht mehr aus den Augen und stieß beim Anfahren einen anerkennenden und respektvollen Pfiff aus, während er einen anderen Autofahrer höchst riskant schnitt und schlingernd in den Verkehrsstrom einfädelte.

Im Taxi betrachtete Sarah Chuck, und versuchte sich einen Reim darauf zu machen, was sich verändert hatte. Hatte sich denn irgendetwas verändert, oder sah sie jetzt etwas, vor dem sie die letzten Jahre einfach nur die Augen verschlossen hatte? War Chuck denn jemals wirklich unsicher und schutzbedürftig gewesen, oder hatte er einfach nur nie die Möglichkeit gehabt, sich zu beweisen? „Bleib im Wagen. Bleib im Haus. Bleib in Deckung." Sarah und Casey hatten ihm das immer gesagt, und er hat nie auf sie gehört.

Wenn er in Gefahr geriet, geschah das meistens, weil sie ihn nicht eingebunden hatten, und er auf eigene Faust, und ohne sich mit ihnen absprechen zu können, gehandelt hatte. War es denn nicht so, dass sein Eingreifen mit dem Taktischen Kommando damals ihre Rettung bedeutet hätte, wenn Shaw damals schon versucht hätte, sie zu töten? Chuck war rechtzeitig da, hatte ausreichend Rückendeckung dabei und war vorbereitet... genauso, wie letzte Nacht. War es möglich, dass sie ihn alle unterschätzten? „Bist du vielleicht wirklich schon ein Topspion, Charles Bartowski? Und außer Shaw haben wir anderen es einfach nur noch nicht erkannt?" fragte sich Sarah mit einem Schmunzeln, dann beugte sie sich zu ihm und küsste ihn, als das Taxi vor dem Restaurant hielt.

Der Maitre D' streckte ihnen im Restaurant schon die Hände entgegen, als sie zur Tür hereinkamen. „Sie sind uns schon von meinem guten Freund Jean-Pierre angekündigt worden. Ein Tisch für zwei Personen für M. et Mme. Carmichael. Intim und diskret, hat man mir gesagt. Der Champagner ist eine kleine Aufmerksamkeit von uns. Nehmen sie Platz, und wir sind gleich bei ihnen." Dann entzündete er persönlich die Kerzen und öffnete den Champagner für sie. Anschließend warf er den Kellnern einen vielsagenden Blick zu, der den Inhalt hatte: „Das sind VIPs! Wehe, ihr benehmt euch nicht perfekt." Und das Personal wusste, dass das ein Befehl war.

Für Sarah war es offensichtlich, dass Chuck mehr als nur ein kleines Trinkgeld beim Concierge Jean-Pierre gelassen hatte, um diesen Abend möglich werden zu lassen. Ihr war auch klar, dass Chuck das immer schon mal tun wollte: Sarah im ganz großen Stil ausführen und vollkommen beeindrucken. Ihr zeigen, dass er es ohne Weiteres mit Bryce oder Daniel Shaw aufnehmen konnte. „Aber keiner von den beiden hat so ein großes Herz und ist so liebevoll wie du, Chuck..." wollte sie ihm sagen, und ihn wissen lassen, dass sich die beiden nie mit IHM hätten messen können.

„Monsieur und Madame Carmichael? Wir benutzen schon Decknamen?" Sarah sah Chuck amüsiert an, und er schmunzelte. „Wäre dir Mr. und Mrs. Bartowski lieber gewesen?" Chuck grinste sie vollkommen liebenswürdig und ohne Hintergedanken an. Sarah ließ es sich nicht anmerken, aber zum zweiten Mal in weniger als 14 Stunden erschreckte und faszinierte sie dieser Gedanke. „Eine interessante Idee, Chuck." antwortete sie schlicht, lächelte ihn liebevoll an, ergriff seine Hand und sah ihm in die Augen, ließ dabei aber offen, ob sie die Decknamen meinte, oder den Gedanken, irgendwann einmal Mrs. Charles Bartowski zu sein.

„Weißt du schon, was du willst?" fragte Chuck, als sich ihnen der Kellner näherte. Sarahs Blick hätte ihm die Antwort gegeben, wenn er seinen Blick nicht in diesem Moment dem Kellner zugewandt hätte. Ihre Augen waren auf ihn geheftet und das Lächeln auf ihren Lippen spiegelte sich in ihren Augen wieder. Ihr Blick war sanft und man konnte ihr ansehen, dass der Gedanke, der ihr durch den Kopf ging, schön war.

„Du weißt, was ich will, Chuck... dich... für immer" Aber das sagte sie nicht laut. Dafür fehlte ihr noch immer der Mut. Stattdessen verschanzte sie sich hinter der Speisekarte, um für einen Moment seinem Blick zu entgehen -- und ihren Wangen die Gelegenheit zu geben, die verräterische Röte verschwinden zu lassen. „Reiß dich zusammen Sam!! Du bist kein kleines errötendes Schulmädchen mehr, du bist eine knallharte und eiskalte Spionin!" rief sie sich zur Ordnung, aber ein beträchtlicher Teil von ihr wollte erröten, wollte es genießen, dass ein liebevoller und gut aussehender Mann ihr den Hof machte -- als wäre sie eine normale Frau. Es war der selbe Teil ihrer Selbst, der um ein Haar den Brautstrauß gefangen hätte... und der gerne „Ja" sagen wollte. Chuck bestellte dann für sie beide, da er zu wissen glaubte, was Sarah essen wollen würde. Er kannte sie tatsächlich so gut, dass er genau das bestellte, was ihr schmeckte.

Während sie auf das Essen warteten, hielten sie Händchen, wie jedes verliebte Pärchen es auch tat. Sie sahen sich tief in die Augen und den ganzen Abend trugen beide ein Lächeln im Gesicht, das alles andere überstrahlte. Sie waren zusammen, endlich... keine Waffen, keine GPS-Uhren, keine Messer, außer denen, die am Tisch eingedeckt waren, kein zwei Meter großer, schwarzer FULCRUM-Agent, der sie störte, als sie sich über den Tisch hinweg küssten, kein Morgan, der sie mit seinen Beziehungsproblemen störte, als sie anstießen, kein Casey, der sie über eine neue Mission informierte, wenn sie Händchen hielten... nur Chuck und Sarah...

Als das Essen kam, hätten sie es um ein Haar nicht bemerkt, denn sie hatten an diesem Abend nur Augen für einander. Im Licht der Kerzen schimmerten Sarahs Augen fast schon blau, und die Glanzlichter der Perlen in ihrem Haar spiegelten den warmen Schein wieder. Sarah genoss den warmen Glanz, den Chucks Augen hatten, auch wenn das weniger an den Kerzen lag, als daran, dass er sie ständig ansah und sie seinen Blick wie eine Liebkosung auf der Haut spüren konnte.

Sie lachten viel, strahlten sich an, küssten sich, fütterten sich gegenseitig, hielten Händchen und redeten über alles mögliche und unmögliche. So entspannt waren sie seit ihrem ersten „echten" Date nicht mehr gewesen, das damals leider schon sehr schnell von einem FULCRUM-Team unterbrochen wurde, dass eine wichtige Komponente des zweiten „Intersect" stehlen wollte, von der Chuck und Sarah wussten, wo sie war. Dieser Abend damals endete damit, dass Casey gezwungen war, seinen geliebten1985 Ford Crown Victoria in das Restaurant zu steuern, in dem Chuck und Sarah ihr Date hatten, um die beiden zu retten, denn Sarah hatte zu diesem echten Date -- ebenso wie auch am heutigen Abend -- keine Waffe mitgenommen.

Dieser Abend nun gehörte voll und ganz ihnen und sie genossen ihn in vollen Zügen. Keine Hektik, kein Gedanke an Arbeit, Geheimdienste, den RING oder das Buy More, oder auch nur an die Familie. Nur Sarah und Chuck zählten. Beim köstlichen Dessert und Kaffee entschlossen sie sich, diesen wundervollen Abend noch nicht so früh ausklingen zu lassen, sondern das nächtliche Paris etwas zu erkunden.

Mit dem Taxi fuhren sie zum Eiffelturm und genossen die laue Aprilnacht unter dem leuchtenden Stahlkoloss, der zur Weltausstellung 1889 erbaut wurde, während Chuck Sarah mit Hilfe des „Intersect" allerhand interessanter und wissenswerter Anekdoten und Fakten über den Eiffelturm, seine Erbauung, den Erbauer und das Paris jener Zeit erzählen konnte, atmeten den Duft der Blumen ein, die auch in der Nacht noch ihren Zauber verströmten. Sie spazierten Hand in Hand unter dem Neumond durch den nächtlichen Parc du Champs de Mars an Fuße des Turms, saßen knutschend auf einer Bank, bis sie ein nachsichtiger Flic halbherzig vertrieben wollte und ihnen schließlich riet, sich ein Zimmer zu nehmen. Chuck bedankte sich für den Vorschlag in vollendetem Französisch „Merci. Nous avons déjà un chambre, mais c'est Paris, n'est pas? La ville d' amour!", sie verbeugten sich, und er und Sarah rannten kichernd und Händchen haltend davon.

Immer wieder zog Sarah Chuck in ein Gebüsch, oder ließ sich von Chuck an einen Baum drücken und sie küssten sich mal zärtlich, mal leidenschaftlich und dann wieder ganz scheu, wenn sie nicht gerade über lustige Momente, schräge Erlebnisse -- alleine schon mal die Auftritte von „Jeffster", der Band von Chucks Kollegen Jeff und Lester aus dem Buy More, bei Elis Verlobungsparty und Hochzeit -- und kleine Peinlichkeiten lachten und scherzten. Schließlich schlenderten sie Hand in Hand verliebt turtelnd und sich immer wieder küssend und umarmend den Boulevard Garibaldi und den Boulevard Pasteur entlang zu ihrem Hotel in der Rue de Cotentin.

Der Nachtportier sah von seiner Zeitschrift auf und überreichte Chuck eine Nachricht, als sie Arm in Arm das Hotel betraten. „Dies ist heute Abend gegen 21.00Uhr für sie abgegeben worden, Monsieur. Es scheint sehr wichtig zu sein, es trägt das Siegel der Amerikanischen Botschaft" Der Mann wirkte etwas nervös, aber auch sehr neugierig. „Merci... jetzt habe ich die Nachricht ja." versicherte ihm Chuck, und ging zur wartenden Sarah zurück.

Die Nachricht war von Casey, der ihnen mitteilte, er sei wieder in seinen alten Posten eingesetzt worden, auf dem Weg nach Burbank und würde sich dann nach ihrer Rückkehr aus Paris am übernächsten Tag um 08.00Uhr mit ihnen in der Einsatzzentrale unter dem Yoghurt-Shop zur Nachbesprechung mit General Beckman treffen. Sarah und Chuck begriffen, dass sie gegenwärtig alleine und ohne Überwachung in Paris waren, und die Freude darüber war an ihren Gesichtern abzulesen. Sie hatten nur nicht viel Zeit, da sie übermorgen früh wieder in Burbank zurück erwartet wurden, und somit spätestens die Mittagsmaschine am nächsten Tag würden nehmen müssen.

Sie konnten aus der Hotelbar leise Musik hören, und plötzlich fühlte sich Sarah ganz sanft, aber doch unmissverständlich von Chuck in Richtung Bar gezogen, wo er mit ihr dann auch sehr zielstrebig die Tanzfläche ansteuerte. Zum Klang des leisen, sanften Jazz schmiegte sich Sarah an Chuck, legte ihren Kopf an seine Schulter, und sie tanzten langsam und fern der Welt. Chuck streichelte zärtlich Sarahs Nacken und küsste ihr Gesicht, während sie sich im Takt der Musik wiegten und eng an einander drückten, oder bei lebhafteren Liedern über die Tanzfläche -- die sie völlig für sich alleine hatten -- wirbelten. Alles fiel von ihnen ab, und sie waren nicht mehr Geheimagenten im Einsatz, sondern nur noch normale Verliebte auf Urlaub oder Flitterwochen in Paris, glücklich in der Gegenwart das anderen und nur für einander da.

Chucks Fingerspitzen wanderten von ihrem Nacken über die nackte Haut ihres Rückens, den das Kleid so großzügig frei ließ und liebkosten sie sanft. Mit leichtem Druck ließ er ganz sanft seine Nägel ihr Rückgrat entlangwandern und küsste die Gänsehaut, die sich in ihrem Nacken und auf ihren Schultern bildete. Sarahs leises, wohliges Schnurren war Musik in seinen Ohren und die Wärme, die sie ausstrahlte raubte Chuck fast den Atem, denn der Duft ihrer Haut und das Aroma ihrer Erregung stiegen ihn sinnlich in die Nase. Sie tanzten und streichelten sich auf der Tanzfläche, im gedimmten Licht der nächtlichen Bar, bis der Barkeeper sie letztlich freundlich darauf hinwies, dass die Bar leider schließen müsste, damit sauber gemacht werden könne. Schließlich sei es auch schon halb vier am Morgen, wie der Barkeeper freundlich und mit echtem Bedauern und Verstehen in der Stimme mitteilte.

Als sich die Fahrstuhltür schließlich hinter ihnen schloss, und der Portier dem Concierge einen vielsagenden Blick zuwarf -- Paris war zwar die Stadt der Liebenden, und beide hatten viele Pärchen kommen und gehen gesehen, aber diese beiden waren allein schon wegen der Art, wie Chuck sie in der Nacht zuvor auf Händen hereingetragen hatte, außergewöhnlich, und es lag nahe, das ihre Liebe nicht alltäglich war, mal ganz abgesehen von den Nachrichten, die sie bekamen -- lagen sich Chuck und Sarah in den Armen und küssten sich den ganzen Weg bis zu ihrer Etage, ohne Luft zu holen. Sarah fing an, seine Krawatte zu lockern, sein Hemd aufzuknöpfen, und knabberte frech an seinem Hals als sie den Flur zu ihrem Zimmer entlang gingen. Sie biss ihn verlangend in die Schulter, als er die Tür öffnete, und drängte sich ganz eng an ihn. „Ich dachte, du hättest genug gegessen, Liebling." schnurrte er genüsslich, während ihre Zähne über seine Haut fuhren. „Ja, aber ich will noch mehr von diesem leckeren Dessert." gurrte sie ihn sein Ohr, bevor sie dann frech in sein Ohrläppchen biss.

Als sie Chuck schwungvoll auf seine Arme hob, und schon wieder über die Schwelle trug, als seien sie wirklich in ihren Flitterwochen, ging ihr durch den Kopf, dass der Name „Sarah Bartowski" in ihren Ohren doch einen sehr schönen Klang hatte...

Fast sofort verdrängte sie den Gedanken wieder, aber sie erkannte auch, dass ihr dieser Gedanke jetzt schon zum dritten Mal in weniger als 24 Stunden gekommen war. Und mit jedem weiteren Mal verspürte sie weniger Angst bei dem Gedanken. Auch das „Liebling" aus seinem Mund klang immer besser und verlockender.

Diese Gedanken verblassten allerdings schnell, als sich die Tür hinter ihnen beiden schloss, und Sarah fast ungeduldig an Chucks Jackett zerrte, um es ihm abzustreifen. Augenblicke später folgte die Krawatte -- einer flugfähigen Schlange gleich -- dem Jackett, und Chucks Hemd war weg. Sarah küsste seine Brust und sah zu ihm hoch, während sie an seiner Brustwarze knabberte. „Von diesem Dessert will ich noch viel mehr. Das will ich jetzt immer." Sie grinste ihn schalkhaft an. „Meinst du, der Zimmerservice kann uns um diese Zeit geschmolzene Schokolade aufs Zimmer bringen?" - „Für dich würde ich die Schokolade sogar aus der Schweiz holen gehen, Liebling." hauchte er ihr zu und küsste sie. „Liebling" Dieses Wort ging ihr wieder wohlig und sehr erregend durch Mark und Bein, und bei der Erwähnung der Schweiz schien etwas in ihr aufzumerken. Doch schon im nächsten Moment war sie von Chucks Kuss so gefangen, dass ihr der Gedanke, der sich eben erst bilden wollte, schon wieder entfallen war.

Denken war im Moment ohnehin das letzte, was sie wollte. Sarahs Leidenschaft kochte über, sie wollte Chuck, sie wollte ihn jetzt, und sie wusste, dass es ihm auch so ging, aber sie den ersten Schritt machen musste. Sie drückte ihn gegen die Tür und drängte sich verlangend an ihn. Fast schon aggressiv presste sie ihre Lippen auf seine und krallte sich in seine Locken, aber Chuck war auch nicht untätig, als er sie mit seinen Armen umschlang und sie mit der Hand, die er in ihren Nacken gelegt hatte noch fester an sich zog, seinerseits ihren Mund mit der Zunge erkundete und sich ihre Zungen in einem Ringkampf der Lust verschlangen. Das Seufzen und Stöhnen der beiden klang fast wie das Knurren zweier Raubtiere, die mit einander kämpften, und tatsächlich fochten die beiden einen Kampf aus. Jeder wollte den anderen verwöhnen und in sich aufnehmen. Sie wollten einander, mit aller Kraft, die sie hatten.

Die blonde Amazone und der toughe CIA-Agent küssten und reizten sich, bereit dem Verlangen und der Begierde nachzugeben die in ihnen loderte, und gewillt, einander nicht nur zu lieben, sondern auf ewig vereint zu sein.

Chuck hob Sarah hoch und trug sie unter heißen und gierigen Küssen zum Bett und warf sie schon fast drauf. Als er ihr den Slip heruntergerissen hatte, drückte sie ihn zurück und öffnete seine Hose, riss sie ihm fast vom Leib wie sie auch alles andere heruntergerissen hatte. Chuck konnte selbst im Halbdunkel des von außen einfallenden Lichts erkennen, dass Sarahs Augen brannten, vor Verlangen glühten und vor Sehnsucht strahlten. Sie sah ihn tief in die Augen und machte mit einem Finger eine lockende Geste. „Na... sind sie bereit für diesen Auftrag, Agent Bartowski?" gurrte sie verführerisch, während sie den Saum ihres Kleides sinnlich und langsam ihre Schenkel hinauf gleiten ließ. Chuck ließ sich auf das Bett sinken und kroch langsam auf allen Vieren auf Sarah zu, aus dieser Position konnte er genau sehen, wo sich Sarah mit dem Wachs behandelt hatte -- sie hatte nur einen schmalen Streifen stehen lassen, alles andere war absolut glatt.

Er glitt in einer flüssigen Bewegung zu ihr und schob das Kleid hoch, sich wie ein Verhungernder auf sein Ziel stürzend und fing an, Sarahs Schenkel zu küssen und an ihren zu knabbern. Sarah wand sich genießend unter seinem Ansturm und stöhnte heftig, als seine Zunge wieder ihren Schoß in Angriff nahm. Sehr viel verlangender und gieriger als am Vormittag, fiel er über ihre Lippen und ihren Kitzler her und veranlasste Sarah sehr bald schon dazu, laut und animalisch zu stöhnen und zu schreien, während er sie mit seiner Zunge, seinen Lippen und Zähnen und mit seinen Fingern in den Wahnsinn trieb.

Mit einer schnellen Bewegung schlang sie ihm die Schenkel um den Nacken und zog ihn zu sich hoch. Ein sinnliches Gerangel brach auf dem Bett aus, als beide versuchten, die Oberhand zu gewinnen, und mal lag Chuck unten und Sarah auf seiner Brust, das Kleid so verrutscht, dass ihre Brüste frei lagen, mal lag sie unter ihm, und Chucks erregtes Fleisch drückte Einlass gebietend an ihrem Schoß, oder sie lagen beide auf der Seite und versuchten den jeweils anderen umzustoßen.

Was wie eine Mischung aus Ringkampf, Kissenschlacht und sehr heftigem Petting aussah, gipfelte dann schließlich darin, dass der nackte Chuck ausgestreckt auf seinem Rücken lag, Sarah auf seinem Schoß saß und seine Hände über seinem Kopf festhielt. „Na... wer ist jetzt oben, Chuck?" schnurrte sie ihm entgegen. Sein Grinsen hätte ihr eigentlich eine Warnung sein müssen, doch sie war zu erhitzt und erregt. „Du, Sarah... und gleich bist du noch weiter oben, Liebling..." und mit diesen Worten spannte Chuck seine Bauchmuskeln und stieß zu Sarahs Überraschung einmal hart und stark mit dem Becken nach oben.

Wegen Sarahs und seiner eigenen Erregung war Sarah sehr nass, und Chuck sehr hart, und als er sie gleichsam pfählte, entfuhr ihr ein sehr lautes, teils schon fast ungläubiges, teils sehr wollüstiges „Ooooohhhh Chuuuuuuuuucccckkkk!!!!" - auch wenn es fast wie „Ooooohhh Fuuuuuucccckkk!!!" klang.

Trotzdem hatte Sarah die Geistesgegenwart, Chucks Hände nicht los zulassen, sondern beugte sich nur über ihn, als die erste Wucht der Lust nachließ, und küsste ihn heftig auf den Mund. Beide bewegten sich und reizten sich gegenseitig mit frechen Worten und gespielt grausamen Kniffen und Berührungen. Und während ihre Erregung stetig anwuchs, und ihr Tempo immer schneller wurde sahen sie sich fast ununterbrochen in die Augen, wenn die Lust ihrer Höhepunkte ihnen nicht gerade fast das Bewusstsein raubte.

Der Dammbruch am Vormittag, als sie sich zum ersten Mal wirklich ihrer Lust und ihrem Verlangen nach einander hingegeben hatten, war nur ein Vorbote der Kraft gewesen, mit der sie von einander angezogen wurden. Wenn das ein Dammbruch war, dann war dies jetzt die Sintflut.

Im Laufe der langen Nacht hatte Chuck Sarah das Kleid und die Schuhe abgestreift, und nun lag er wieder auf dem Rücken, Schultern und Kopf an Kissen am Kopfende des Bettes gelehnt, während ihn Sarah ritt und sah sie an. Die Lichter der französischen Hauptstadt, die durch das Fenster drangen und ihre schweißfeuchte Haut schimmern ließen, fingen sich auch in den Perlen ihrer Hochsteckfrisur -- nun... in den wenigen Perlen die noch darin waren -- und er reichte zu ihr hoch, um ihr Haar zu lösen.

Ihr blondes Haar fiel in Kaskaden über ihre Schulter, während sie in ihren Bewegungen nicht langsamer wurde, und Chuck zog sie sanft an sich, ohne das Tempo zu ändern. Sie in seinen Armen haltend, stieß er weiter in sie und küsste sie mit all der Sehnsucht und all der Liebe, die er ihr so oft gestanden hatte, die sie aber jetzt zum ersten Mal ausleben konnten. Er küsste jede Stelle ihrer Haut, die er erreichen konnte und verwöhnte knetend und streichelnd ihr Brüste, wann immer sie seiner Umarmung entkam und sich aufrichtete. Seine Fingerspitzen erkundeten jeden Zentimeter ihrer Haut und strichen sinnlich reizend ihre Seiten hinauf und hinab. Dann fühlte er, wie seine Erregung den Punkt ohne Wiederkehr überschritt, packte Sarahs Hüften und zog sie fest und rhythmisch auf sich hinab.

Sarah spürte ihren Höhepunkt nahen, als sich Chucks Hände fest um ihre Hüften legten und sie einen schnellen, leidenschaftlichen Rhythmus fanden, der sie letztlich beide im selben Augenblick über die Klippe in ein Meer aus Lust, Genuss und Leidenschaft stieß. Ihre Lippen versiegelten jeden Laut, den sie von sich gaben, und mit verlangenden Küssen teilten sie den Augenblick höchster Ekstase mit einander. Zitternd brach Sarah in seiner Umarmung zusammen und fühlte, wie er sie in seinen Armen hielt, ihr Halt und Sicherheit gebend und genoss, wie sein Herz an ihrem schlug, wie seine Wärme ihren Körper durchströmte und seine Hände ihre Haut liebkosten.

Später, als sie erschöpft, aber hellwach und glücklich nebeneinander lagen, sah er sie an, und in seinem Blick lag so viel Liebe und Glückseligkeit, dass sie das Gefühl hatte, noch nie so geborgen und sicher gewesen zu sein. Sarah fühlte sich so unendlich wohl in seiner Gegenwart, und wusste ganz genau, dass er alles tun würde, damit sie glücklich ist.

„Laß uns abhauen... durchbrennen... nur wir beide. Oder wenigstens für ein paar Tage Urlaub machen, wo uns niemand finden kann. Ich will noch nicht nach Burbank zurück." schlug Chuck überraschend vor. Sarah sah ihn verwirrt an und in ihrem Hinterkopf läutete wieder eine Glocke. „Ja, Chuck... genau das sollten wir tun."

Sie dachte an die letzten Wochen zurück, die Ängste, die sie ausstehen mussten, die Irrungen und Wirrungen, die sie überstanden hatten und wie unsagbar anstrengend alles gewesen war, wie nervenaufreibend und stressig. Sie hatten sich beide eine Auszeit redlich verdient, aber General Beckman würde sie ihnen nicht gewähren, dass hatte sie am Vormittag zuvor deutlich gemacht. Nun, damit würden sie sich dann später befassen. „Das sollten wir nicht nur tun, das werden wir auch tun, Liebling." kam es von Chuck.

„Liebling" Wieder war da dieses Wort, dass ihr eine -- inzwischen ausschließlich wohlige -- Gänsehaut machte. Sie konnte sich daran nicht satt hören. „Hast du irgendwelche Vorschläge? Wo möchtest du hin, Sarah?" Das Läuten der Glocke in ihrem Kopf nahm konkrete Formen an, und sie antwortete: „Ja... lass uns in die Schweiz fahren... da wollte ich schon immer mal hin, und ich denke, für einen schönen Urlaub, ist das ein tolles Ziel... Zumal du die Landessprache perfekt beherrscht." neckte sie ihn, ihn an das Abenteuer mit ihrem Vater erinnernd, als sich Chuck spontan als schweizer Multimilliardär ausgegeben hatte, um Sarahs Vater vor dem Zorn islamistischer Terroristen zu bewahren, die von diesem aufs Kreuz gelegt worden waren. Chuck selbst war am meisten davon überrascht, wie überzeugend er gewirkt hatte, und wie gut er das Schwizerdütsch beherrscht hatte.

Chuck warf sich auf sie und kitzelte sie, sie wegen ihrer Frechheiten abknutschend. „Du Frechdachs! Ich habe mir nur Mühe gegeben, die Mission so gut wie möglich über die Bühne zu bringen." raunte er ihr ins Ohr, und sie antwortete, indem sie ihm frech die Zunge rausstreckte. Er gab ihr einen spielerischen Klapps auf den Po, küsste sie zärtlich und erhob sich grinsend.

Gespielt schmollend wickelte sie sich in die Bettdecke ein, wobei sie einfach nur süß aussah, als Chuck lachend ins Bad ging. Chuck konnte sie immer wieder erstaunen und zum Lachen bringen, das liebte sie an ihm vermutlich am Meisten. Sie dachte nach und lächelte. Es stimmte, Chuck gab sich wirklich immer Mühe. Er wollte es ihr immer Recht machen, selbst wenn sie es selbst nicht immer erkannte -- „So wie damals in Prag..." schoss es ihr durch den Kopf, und sie fühlte einen Anflug von Schuld, weil sie es ihm damals so schwer gemacht hatte.

Als Chuck seine Ausbildung bei der CIA anfing, kurz nachdem er den „Intersect 2.0" heruntergeladen hatte, wollte Sarah ihn vor dem Schicksal bewahren, dass sie durchmachen musste. Er sollte kein Agent werden, der sein Leben jeden Tag aufs Neue aufs Spiel setzte, der sich niemals ein echtes Leben aufbauen konnte, der sich wegen der Entscheidungen, die er treffen musste, verändern würde und vielleicht nie wieder der liebenswerte Mann sein, in den sie sich verliebt hatte. Sarah wollte alles hinter sich lassen, und mit Chuck durchbrennen. Sie verabredeten, sich am Bahnhof in Prag zu treffen, um dann gemeinsam ein neues Leben zu beginnen... fern vom Geheimdienst, von der Familie und von allem, was sie trennen könnte. Als Chuck am Bahnhof auftauchte, war er jedoch nicht im Stande, alles hinter sich zu lassen, denn er hatte erkannt, dass er mit den Fähigkeiten, die er erlangt hatte, auch eine große Verantwortung übernommen hatte. Er musste den „Intersect" zum Wohle der Allgemeinheit -- und auch zum Wohle Sarahs und seiner Freunde und Familie -- nutzen und einsetzen. Und die Ausbildung zum Agenten erschien ihm der richtige Weg... schließlich hatten Sarah und Casey ihm genau das auch vorgelebt. Erst sehr viel später begriff Sarah, was in ihm vorgegangen war... und erkannte, dass er sie nicht zurückgewiesen hatte, sondern das Richtige tun wollte... wollte, dass sie ihn als gleichwertigen Partner sah. Als IHREN Partner.

Als Chuck wenig später mit seinem Kulturbeutel wieder aus dem Badezimmer kam, frisch geduscht und rasiert, und nur mit einem Handtuch um die Hüften, musste sich Sarah sehr zusammenreißen, ihn nicht wieder ins Bett zu zerren, und über ihn her zu fallen. Sie sprang statt dessen schnell unter die Dusche, und konnte gerade noch verstehen als ihr Chuck zurief, dass er sich schon mal um die Zugtickets kümmern würde, wenn er seine Tasche gepackt hatte. Sie hörte ihn noch eine Weile im Zimmer rumoren, dann hörte sie die Tür und sein „Ich liebe dich! Bin gleich zurück!".

* * *

Sarah wartete geduscht, angezogen und abmarschbereit auf Chucks Rückkehr, von wo immer er auch war, wog unschlüssig die Tasche in der Hand und überlegte kurz, ob es klug war, die Waffen und die ganze Überwachungsausrüstung zurück zu lassen. Andererseits würden sie die Sachen in ihrem Urlaub sicher nicht brauchen.

Als Chuck zur Tür herein kam, atmete Sarah auf -- ihr war garnicht bewusst gewesen, dass sie ängstlich auf seine Rückkehr gewartet hatte -- und sah ihn fragend an. „Wo warst du denn?" - „Ich habe uns nur eine Zugverbindung rausgesucht." antwortete er ganz selbstverständlich. „Hättest du das nicht auch von hier..." wollte Sarah fragen und sah zum Laptop auf dem Couchtisch, als sie begriff. „Oh... klar..." Sie lächelte Chuck an, der nur jungenhaft grinste. „Klar... du wolltest keine Spuren hinterlassen..." Chuck nickte. Sarah hatte natürlich verstanden, dass die NSA jeden Klick auf dem Laptop würde nachverfolgen können, und auch den Verlauf der Internetterminals des Hotels überprüfen könnte. Ihr geheimer Urlaub wäre nicht lange geheim geblieben. Es war interessant, dass Chuck inzwischen auch schon in solchen Bahnen dachte.

„Ich war in einem großen Internetcafé gegenüber vom Bahnhof, etwa 15 Minuten von hier. Da konnte ich alles in Erfahrung bringen. Ein Jammer, dass mir der „Intersect" da nicht auch helfen kann." erklärte er. „Und, was hast du im Angebot, mein kluger Spion?" fragte sie mehr stolz als neckend. „Die TGV-Strecke vom Gare d'Est nach Zürich ist im Moment wegen Sturmschäden nicht passierbar, aber ich habe eine Verbindung gefunden, direkt hier vom Gare Montparnasse nach Zürich mit längeren Aufenthalten in Lyon, Genf und Lausanne. Wenn wir heute Nachmittag losfahren, sind wir dann übermorgen Mittag in Zürich..." als er ihren Blick bemerkte, lächelte er. „Es ist ein Bummelzug, der viele Umwege und lange Pausen machen muss... aber wir haben es ja auch nicht eilig, oder? Ein paar Tage in einem Schlafwagenabteil haben doch auch ihren Reiz."

Sie hatten es jedoch relativ eilig, aus dem Hotel zu verschwinden, denn spätestens am nächsten Morgen würden sich entweder Casey oder Beckman bei ihnen melden, um sie zu fragen, warum sie noch nicht in Burbank waren. Um nicht aufzufallen, schlichen sie sich zur Hintertür hinaus, die meisten ihrer Sachen auf dem Zimmer lassend, und nur leichtes Gepäck mitnehmend. Dann gingen sie ein paar Straßen weiter, wo sie dann unabhängig von einander je ein Taxi für jeden anhielten, das sie getrennt zum Bahnhof fahren sollte. So würde man sie nicht mit den beiden „verschollenen" Gästen des Hotels in Verbindung bringen, da sich jeder Taxifahrer nur an einen einzelnen Fahrgast erinnern würde.

In einer ruhigeren Ecke der Bahnhofshalle trafen sie sich dann wieder, und hielten sich umarmt, während sie automatisch überprüften, ob sie Aufmerksam auf sich gelenkt hatten. Sarah hatte sich bewusst unauffällig gekleidet, um das Interesse, dass man(n) ihr vielleicht entgegenbringen könnte, auf ein Mindestmaß zu reduzieren. „Wir müssen nur noch die Karten am Schalter holen und in den Zug steigen... und unser erster Urlaub kann beginnen. Dieses Mal wird uns wirklich ein Zug in die Freiheit bringen." Bei seinen Worten durchfuhr Sarah ein leichter Stich, aber sie war ihm nicht mehr böse, dass er sie damals in Prag nicht begleitet hatte. Sie verstand seine Beweggründe inzwischen, und wusste, dass sie an seiner Stelle vermutlich auch nicht anders gehandelt hätte.

Wegen der frühen Stunde, und weil es mitten in der Woche war, mussten sie am Schalter nicht lange warten, und hatten bald schon die Tickets in der Hand. „So, der Zug fährt in 135 Minuten, und wir haben reichlich Zeit, ihn zu erwischen und vorher noch eine Kleinigkeit zu frühstücken." meinte Sarah, während sie auf die Uhr in der Bahnhofshalle sah. „Ich bin am Verhungern." Dann fiel ihr Blick auf einen Zeitungsstand, an dem auch ausländische Zeitungen und Zeitschriften verkauft wurden... und auch Comics. „Ist das nicht der neueste Justice League Comic da drüben?" Sie lächelte Chuck an, innerlich schmunzelnd, weil der Mann den sie liebte, im Herzen noch immer ein Kind war, und sich noch so für alles begeistern konnte. Sie betete, dass sich das nie ändern würde. „Na geh schon, und hol ihn dir, während ich uns Croissants und Café au Lait holen gehe."

Chuck sah ihr nach, wie sie wegging und konnte nicht anders, als ihren festen, knackigen Po in den engen Jeans zu bewundern, die sie für die Reise angezogen hatte. An den Füßen hatte sie, wohl auch um ihn zu necken, schwarze Chucks, genauso wie seine. Er liebte sie. Er liebte sie, weil sie nicht nur einfach seine Gewohnheiten studiert hatte, wie es ihr Auftrag erfordert hätte, sondern sich auch wirklich bemüht hatte, ihn kennen zu lernen und zu verstehen. Er liebte sie, weil es mit ihr nie langweilig wurde, und sie immer eine Kleinigkeit an sich hatte, die aus dem Raster fiel. Sie wollten nicht auffallen, aber die schwarzen Chucks waren ein Zeichen -- ein Zeichen der Verbundenheit. Chuck überlegte kurz, was es wohl aussagen mochte, dass sie -- ob nun bewusst oder unbewusst -- ein solches Zeichen der Zusammengehörigkeit wollte. „Sie hätten den Brautstrauß fangen sollen..." ging ihm durch den Kopf, und er seufzte ganz leise.

Dann stellte er sich an den Zeitungsstand und nahm den Comic aus dem Ständer, um erst etwas darin zu blättern und sich umzusehen, ob ihm irgendetwas oder irgendjemand auffallen würde, bevor er den Comic bezahlte und vor dem Kiosk stehen blieb, um auf Sarah zu warten. Dass er dabei direkt im Aufnahmebereich der Überwachungskamera stand, fiel ihm jedoch nicht auf.

Einige Minuten später kam Sarah mit Croissants, großen Café au Lait und anderem Gebäck beladen zurück, und sie setzten sich zum Frühstücken auf eine Bank an ihrem Bahnsteig, um auf den Zug zu warten. Den Zug, der für sie ein kleines Stück Freiheit symbolisierte.

Sarah genoss es, Chuck mit Stücken der Croissants zu füttern, die sie in den Café au Lait gedippt hatte... und ihm dann die fehl gegangenen Tropfen von den Lippen und vom Kinn zu küssen und zu lecken. Dass es ihm auch gefiel, merkte sie alleine schon daran, dass er immer wieder versuchte, ihre Zunge mit seinen Lippen zu fangen, und ihr seinerseits die Krümel von den Lippen knabberte.

Die beiden genossen die träge verstreichende Zeit, ohne Hetze, ohne Missionen und Lebensgefahr, nur mit einander und der Freiheit, zu sein, wer sie sein wollten. Sarah fühlte sich wohl, auf dieser Bank, an Chuck gelehnt, in seiner Umarmung, erfüllt vom Gefühl seiner Liebe und der Erinnerung an die Zärtlichkeit und Leidenschaft, die sie in den rund 28 Stunden zuvor geteilt hatten. Sie kuschelte sich enger an ihn und schnurrte fast wie ein Kätzchen, so wohlig und geborgen fühlte sie sich bei ihm. Chuck schnupperte an ihrem Haar und schloss die Augen, ließ sich vom Augenblick gefangen nehmen, vom Sonnenlicht, dass durch die Fenster fiel und sie beide wärmend bestrahlte, vom Duft ihres Haares, das ihn sanft in der Nase kitzelte und auch vom Gefühl, Sarah in seinen Armen zu halten. Genau in diesem Moment war Chuck wunschlos glücklich.

* * *

Als der Zug rund eine Stunde später einfuhr, griff sich Chuck die Taschen und half Sarah beim Einsteigen... nicht, ohne ihr frech, aber zärtlich, über den Po zu streichen, und ihre Hand fest in seiner zu halten. Sarah quittierte seine kleine Unverfrorenheit mit einem Lächeln und warf ihm einen Blick zu, der aussagte: „Na warte... dafür werde ich mich noch revanchieren... und du wirst es genießen." Ganz leicht streichelte sie seine Hand und warf ihm einen kleinen Luftkuss zu.

Sie suchten ihr Schlafwagenabteil in diesem rustikalen Zug, den die SNCF -- die staatliche französische Bahngesellschaft -- für Ausflüge und Rundfahrten nutzte, wenn Touristen das Land erkunden wollten, und sich mehrere Tage Zeit lassen konnten, machten es sich darin gleich gemütlich, und orderten schließlich beim Zugbegleiter, der zugleich auch Zugkellner war, ein leichtes Frühstück. Für die nächsten Stunden würden sie ihr Abteil sicher nicht verlassen, und sich das Essen lieber bringen lassen.

Chuck und Sarah wollten jetzt nur noch ausspannen, sich erholen, Spaß haben -- und vor allem wollten sie einander. Während Chuck ihr Gepäck verstaute, und sich im Bad frisch machte, schloss Sarah die Tür ab, deckte das Bett auf, zog ihre Kleidung bis auf ihr Top und ihr Höschen aus, und legte sich dann auf das Bett, als Chuck das Bad ebenfalls leichter bekleidet verließ.

„Na, Reisender... bereit, dir die Reisezeit zu versüßen?" schnurrte sie und sah ihn lange und verlockend an...

Chucks Antwort bestand nur einem vieldeutigen Grinsen, als er das „Bitte-nicht-stören"-Schild von außen an die Tür hängte, und sich dann zu ihr umdrehte.

Ihr inoffizieller Urlaub hatte offiziell begonnen.

02: Unter der Sonne Cos

 

Ein schwacher ablandiger Wind, der träge über Wellen strich und den Duft der Vegetation und der heißen, kahlen Felsen mit sich trug, transportierte das entspannende Zirpen der Zikaden, und wehte federleicht über einen kargen, menschenleeren Strand, der im Licht der Mittagssonne keinen Schatten bot.

Eine Eidechse döste zu dieser Stunde träge auf einem Felsen am Strand, der über das Wasser hinausragte, und genoss die heißen Sonnenstrahlen auf dem Stein, der ihren Körper aufheizte. Es war zweifellos ein schönes Gefühl, zu spüren, wie von der Sonne erwärmtes Blut durch den wechselwarmen Körper pulsierte und der Echse zu einer agilen Beweglichkeit und sehr schnellen Reaktionen verhalf. Diese Beweglichkeit war der Garant dafür, dass die Echse immer ihre Beute fand, und tatsächlich war, seit die Eidechse aus ihrem Ei gebrochen war, jede Jagd erfolgreich gewesen, und das Reptil war daran gewöhnt, zu bekommen was es wollte. Und da es ein sehr heißer und sonniger Tag war, und ihr Schatten direkt unter ihr lag, sprach auch alles dafür, dass die heutige Jagd der Echse auch unter Garantie von Erfolg gekrönt sein würde.

Direkt vor ihr setzte nun eine dicke, fette und zweifellos schmackhafte Libelle zum Landeanflug auf eine der kargen Blumen an, die unter dem Felsen wuchsen. Was die Eidechse beim Anblick dieses schmackhaften Leckerbissens als nächstes tun wollte, würde wohl auf Ewig ihr Geheimnis bleiben, denn im nächsten Augenblick stürzten etliche Steine auf den Felsen hinab und verschüttete die Echse, bevor sie etwas unternehmen konnte...

Die Libelle erhob sich mit etwas, das wie ein triumphierendes Brummen klang, wieder in die Luft und flog die Klippe hinauf, an einer Gruppe von Menschen vorbei und dann weiter ins Landesinnere.

 

* * *

 

„He Morgan!! Meine Güte! Pass doch auf!! Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht so nah an den Abgrund gehen!!" Devon, genannt „Captain Awesome" oder auch nur „Awesome" zog Morgan am Kragen wieder auf den Wanderpfad, fort vom abbröckelnden Rand der Klippen, während seine Frau Elenore -- kurz Elli -- die Feldflasche aufschraubte, und sich einen Schluck kühlenden Wassers genehmigte, um den Staub aus ihrem Mund zu spülen. „Morgan... Was ist denn nur so interessant dort unten, dass du ständig riskierst, die Felsen hinabzustürzen?" wollte Elli wissen.

Devon wusste es, und er konnte Morgan irgendwo verstehen, und wenn seine Frau nicht direkt neben ihm gestanden hätte, hätte er selbst -- zwar aus anderen Gründen -- sicher auch den einen oder anderen interessierten und neugierigen Blick riskiert. In der Bucht am Fuße der Klippen lag ein hochmodernes und sehr teures Speedboat mit den Farben der Küstenwache von Costa Gravas vor Anker, und darauf genossen in diesem Moment zwei sehr besondere Menschen die Sonne. Für Devon war das Boot der Grund, für Morgan das Pärchen auf dem luxuriösen Speedboat.

Unten in der Bucht, an Bord der „Renovación", dem neuesten Spielzeug des amtierenden Premierministers, lagen Chuck und Sarah auf der gepolsterten Fläche im Heck, und ließen sich die Sonne buchstäblich auf die Haut brennen. Sarahs Körper, den der knappe Bikini mehr ent- als verhüllte, war der Grund, warum Morgan seit einiger Zeit gefährlich nah am Abgrund wandelte -- sowohl im wörtlichen, als auch im übertragenen Sinne.

Morgan, etwas klein und sehr bärtig, war wieder Single, seit er den Versuch seiner Ex-Freundin Anna höflich aber bestimmt abgeschmettert hatte, ihn zurückzugewinnen, nachdem sie ihn zuvor fallen gelassen hatte, wie eine heiße Kartoffel. Und auch wenn er es nie zugegeben hätte, war er etwas neidisch auf das Glück, dass Chuck mit Frauen hatte -- und insbesondere mit Sarah. Er hatte eine längere Zeit mit Chuck und Sarah zusammen gewohnt, und so ließ es sich auch nicht vermeiden, dass ihm die, zum Teil nur leicht bekleidete, Blondine oft über den Weg lief, und nicht nur Morgan fand, dass Sarah umwerfend aussah.

Morgan sah aber auch die andere Seite.

Zwar hatte Chuck innerhalb kürzester Zeit vier atemberaubend schöne und kluge Freundinnen gehabt, aber zum einen zählte Jill nicht, denn sie hatte Chuck nur ausgenutzt und manipuliert, um an seine Geheimnisse zu kommen, und zum anderen waren sowohl Lou als auch Hannah nur Chucks verzweifelter Versuch gewesen, die Ablehnung durch Sarah, die anfangs einfach zuviel Angst hatte, sich in Chuck zu verlieben, zu verkraften. Chuck und Sarah taten einander schlicht gut, und waren für einander geschaffen.

Das änderte aber nichts daran, dass sich Morgan trotz aller Hoffnung, die in Gestalt von Alex langsam an seinem Horizont aufzog, oft sehr alleine fühlte, wenn er sich in der Gesellschaft dieser beiden, fast schon widerwärtig verliebten, Pärchen befand.

„Ich wollte mir nur das Boot ansehen, dass der Premierminister unseren beiden Turteltäubchen zur Verfügung gestellt hat." erklärte er. „Und frage mich, warum ich hier mit euch über Felsen klettere, statt in die kühlen Fluten der Karibik einzutauchen." - „Wir wollten den beiden doch etwas mehr Freiraum lassen, schon vergessen? Nach all dem, was wir alle überstanden haben, und vor allem die beiden, sollten sie endlich mal die Gelegenheit haben, Zeit mit einander zu verbringen, meinst du nicht auch?" Elli fasste Morgan scharf ins Auge. „Wir wollen ja nicht vergessen, wer die beiden beim letzten Mal gestört hat..."

Elli hatte natürlich Recht, und ja, es war Morgan gewesen, der den Liebesurlaub der beiden gestört hatte, und sie mit Caseys Hilfe in diesem Zug auf dem Weg nach Zürich aufgespürt hatte. Aber zu seiner Verteidigung musste auch gesagt werden, dass sich Chuck und Sarah in Paris unerlaubt vom Dienst entfernt hatten, und weder die CIA -- ihrer beider Arbeitgeber -- noch ihre Freunde und Angehörigen wussten, wo sie waren. Also hatte Casey im Auftrag von General Beckman Morgan dazu gebracht, Chuck und Sarah ausfindig zu machen.

Und es musste noch angemerkt werden, dass, als Casey und Morgan die beiden gefunden hatten, diese bereits irrtümlich ein Team von INTERPOL außer Gefecht gesetzt hatten, das einen hochrangiges ETA-Mitglied ins Zeugenschutzprogramm eskortieren sollte, also de facto nicht mehr wirklich im Urlaub waren. Aber Morgan begriff, worauf Eli hinaus wollte.

„Du hast ja Recht, Elli..." gab er zerknirscht zu. „Aber ich beneide die beiden eben auch. Du kannst mich doch verstehen, oder?" Elli nahm ihn in die Arme und drückte ihn freundschaftlich. „Morgan, du bist ein sehr netter und liebenswürdiger Kerl. Mach dir keine Sorgen. Bald schon wirst du eine Frau finden, die dich zu schätzen weiß, und dir gut tut. Wer weiß, vielleicht hast du sie ja auch schon gefunden..." tröstete sie ihn, und konnte nicht glauben, dass sie das wirklich zu ihm sagte... und auch aufrichtig so meinte. Aber in letzter Zeit hatte Elli ihre Meinung über Morgan beträchtlich revidieren müssen.

Letzten Endes war Morgan nicht nur Chucks bester Freund, sondern war ihm auch seit dem Verlust ihrer Eltern eine unersetzliche Stütze gewesen, und so seltsam es auch klang -- und für Elli klang es nicht nur seltsam, sondern fast unvorstellbar -- wenn man darüber nachdachte, hatte sich Morgan als Spion und Geheimnisträger sogar besser geschlagen als Devon, der coole, gut aussehende und durchtrainierte Surferdude und überragende Chirurg. Morgan war allen Erwartungen zum Trotz doch ein zuverlässiger und beherzter Mann... Wenn er es nur wollte.

Als sich Devon dann auch noch an der Umarmung beteiligte, seufzte Elli auf, und schmiegte sich unbewusst an ihrem Ehemann. Devons Umarmung gab ihr immer ein Gefühl der Sicherheit, und gab ihr die Geborgenheit, die sie seit den Ereignissen der letzten Zeit fast schon schmerzlich vermisste. Zu erleben, wie ihr Vater vor ihren Augen ermordet wurde, zu erfahren, dass ihr Bruder Chuck, seine Freundin Sarah und ihr Nachbar John Casey Spione waren... Das war fast zuviel gewesen für die sensible Elli. Halt fand sie jedoch in den Armen ihres Mannes, den sie liebte und begehrte. So war es, seit sie sich an ihrem ersten Tag an der medizinischen Fakultät kennen und lieben gelernt hatten -- und zusammen in der Besenkammer landeten, noch bevor sie sich einander hatten vorstellen können.

Morgan zog sich sehr schnell und diskret aus der Umarmung zurück, und überließ Devon den Platz, schnappte sich die Karte und den Kompass und trieb sie dann zur Eile an. „Na los... Dann wollen wir mal rauf zu dieser Kapelle." rief er. Eigentlich war er auch sehr froh für Chuck und Sarah und für Elli und „Awesome"... Aber wenn er auch eine Freundin hätte, die ihm Halt geben könnte und mit der er sein Leben teilen dürfte, wäre er noch viel froher.

Nachdem sich Elli und Devon nach einer Weile endlich wieder von einander gelöst hatten -- ein Zeitraum, der ausreichte, damit Morgan die Augen verdrehen und im Geiste rufen konnte „Nehmt euch doch bitte ein Zimmer!" -- nahmen sie die nächste Etappe des Aufstiegs zur Kapelle Santa Rosa in Angriff. Devon und Morgan hofften, die Kapelle zeitig genug zu erreichen, um später geduscht, erholt und festlich gekleidet pünktlich zum Galadinner mit Premierminister Allejandro Goya zu erscheinen. Elli hoffte, dass nicht alle Legenden nur Legenden sind.

 

* * *

 

Chuck genoss die kühlende Brise, die auf dem Wasser deutlich intensiver war als an Land, und die, wie ein sanfter Balsam, die Hitze der glühenden Sonne auf seiner Haut linderte. Er schlug die Augen auf, und drehte sich auf die Seite, um Sarah anzusehen, die, ihr Gesicht ihm zugewandt, mit geschlossenen Augen auf dem Bauch lag, und, um störenden Streifen vorzubeugen, ihr Bikinioberteil aufgeschnürt hatte. „Schläfst du, Liebling?" fragte Chuck flüsternd. Die entspannten Züge und das völlige Fehlen von Reaktionen waren für ihn ein klares Zeichen, dass sie wirklich eingedöst zu sein schien, und jetzt ganz selig in der Sonne Kraft tankte.

Da er in Südkalifornien aufgewachsen war, brauchte er keinen „Intersect" um zu wissen, dass seine Freundin mit ihren blonden Haaren, ihren grauen Augen und der hellen Haut vorsichtig sein musste, keinen Sonnenbrand zu riskieren. Darum erhob er sich, und hockte sich über sie, goss sich großzügig Sonnenöl in die Hand, wärmte das Öl, dass im kühlen Schatten gelegen hatte, in seinen Handflächen vor und verteilte es auf ihrer Haut. Zuerst widmete er sich ihren Armen, Schultern und ihrem Nacken, dann, als er eine zweite, etwas größere, Ladung vorgewärmt hatte, massierte er diese in die Haut ihres Rückens ein, um dann mit einer dritten und vierten Handvoll erst ihr rechtes, dann ihr linkes Bein einzuölen. Dabei massierte und streichelte er ihre Haut weit mehr, als es erforderlich gewesen wäre, um sie nur vor den UV-Strahlen zu schützen.

Chuck genoss es, Sarah zu berühren und zu streicheln, und nach und nach wurde aus dem Einölen ein Liebkosen und Streicheln. Ihr Haut nahm das schützende Öl schnell auf und so verteilte Chuck noch eine großzügige Menge auf ihrer Haut und massierte weiter, jetzt eindeutig ihre Muskeln massierend und lockernd. Das Öl verlieh ihrer leicht gebräunten Haut einen sinnlichen und seidigen Schimmer, und zum wiederholten Male war Chuck fasziniert von den kräftigen und geschmeidigen Muskeln unter der zarten Haut, die jedoch nichts an ihrer schlanken und biegsamen Gestalt änderten. Mit zartem Druck ließ er nun seine Fingerspitzen über ihren Körper wandern und lächelte, als sich Sarah wie ein Kätzchen unter seinen Berührungen räkelte.

Was Chuck nicht wusste, war, dass Sarah keineswegs eingeschlafen war -- im Gegenteil. Mit fast geschlossenen Augen hatte sie die wärmende Sonne auf ihrer Haut genossen und ihrerseits Chuck betrachtet. Noch immer konnte sie nicht fassen, wie sehr sie sich in ihrer Einschätzung seiner körperlichen Eigenschaften getäuscht hatte. Sie hatte sich von seiner vermeintlichen Schwäche dazu verleiten lassen, zu übersehen, dass Chuck mit seinen 1,93m keineswegs schwächlich und unbeholfen war, sondern einen gut trainierten Körper hatte, der nicht nur über Kraft verfügte, sondern auch sehr geschickt und schlagkräftig sein konnte -- mal ganz abgesehen davon, wie geschickt und ausdauernd er sein konnte, wenn er sie verführte.

Als sie dann sah, dass er die Augen öffnete und sich zu ihr drehte, schloss sie schnell die Augen und stellte sich schlafend. Sie war sich selbst nicht darüber im Klaren, warum sie das tat, aber irgendwie war sie neugierig, was Chuck wohl tun würde, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Da ihre Augen geschlossen waren, konnte sie sich nur auf ihre anderen Sinne verlassen, und sie konnte genau spüren, wie er sich ihr näherte, und dann über sie hockte und sich nach einer kurzen Weile seine Hände ihrer Haut näherten. Der vertraute Duft des Sonnenöls stieg ihr in die Nase und sie erkannte, was er vor hatte.

„Wie süß von ihm... Er macht sich Sorgen, dass ich einen Sonnenbrand bekommen könnte..." Sie lächelte in sich hinein, und genoss die Aufmerksamkeit und Fürsorge, mit der er sie bedachte. Als seine Berührungen dann immer intensiver und intimer wurden, konnte sie sich nur mit Mühe ein Seufzen oder ein Stöhnen verkneifen, und nur ihre gute Ausbildung und Erfahrung im Widerstehen jeglicher physischen Folter verhinderte, dass sie sich verriet, als er schließlich damit anfing, sie gezielt zu verwöhnen, zu reizen und zu erregen. Sie hatte sich vollkommen im Griff... Wenn man einmal davon absah, dass sie immer erregter wurde, und ihr Puls inzwischen nicht einmal mehr dann als ruhig hätte gelten können, wenn man die Maßstäbe für Kolibris angelegt hätte.

Es kostete sie unendlich viel Konzentration und Selbstbeherrschung, sich nicht zu verraten, als sich Chuck über sie beugte, und seine Lippen fast ihr Ohr berührten.

„Das mit dem schlafend stellen sollten sie aber noch einmal üben, Agent Walker." flüsterte ihr Chuck ins Ohr und küsste dann frech ihren Nacken. „Oder dachten sie, ich würde es nicht merken?"

Chuck hatte ein sehr feines Gespür, wenn es um Sarah ging, und ihm war nicht entgangen, dass sie wohl doch nicht döste, sondern einfach nur genoss, und sich verwöhnen lassen wollte. Das war eine -- wenngleich auch nicht laut ausgesprochene -- Bitte, die er einfach nicht abschlagen konnte und wollte.

Während er ihren Nacken küsste, ließ er seinen Körper auf ihren sinken und begann damit, das Öl auf ihrer Haut mit seinem Körper zu verreiben, seinen Schoß an ihrem Po zu reiben und sie mit zahllosen Küssen zu überschütten.

„Woran hast du es erkannt, Chuck?" fragte Sarah, vor Genuss schnurrend, und wand sich etwas unter ihm. „Was hat mich verraten? Sags mir, Liebling" flüsterte sie. „Kurz bevor ich dich berührt habe, hast du für einen winzigen Moment die Luft angehalten. Außerdem haben deine Mundwinkel gezuckt, und da wusste ich, dass du dir ein zufriedenes Lächeln verkneifen wolltest." erklärte er, ihr seine Worte zärtlich ins Ohr hauchend. Dann grinste er, knabberte an ihrem Ohrläppchen und flüsterte, sie plötzlich an den Handgelenken festhaltend: „Und dann habe ich auch ein wenig geblufft. Ich hätte mich ja irren können, aber als du mir dann geantwortet hast, war alles völlig klar."

Sarah versuchte sich aufzurichten, und stemmte sich gegen Chuck. „Das ist jetzt nicht wahr, oder?!" Sie wand sich unter Chuck wie ein Aal. „Sag mir jetzt nicht, du hast mich mit diesem alten Trick aufs Kreuz gelegt, Charles Irwing Bartowski!" rief sie erregt und schaffte es letztlich, sich unter ihm umzudrehen und ihm in die Augen zu sehen. Ihr bezauberndes Lächeln, das Chuck wie ein Pfeil ins Herz traf, strafte ihre gespielt zornigen Worte Lügen, und Chuck konnte sowohl das Zwinkern, als auch die Faszination, die sie für ihn empfand, in ihren Augen sehen.

Sie beide genossen dieses Spiel, seit sie es zum ersten Mal in Paris gespielt hatten. Obwohl sie sich in ihren Fähigkeiten und Kenntnissen unterschieden, waren sie sich ebenbürtig, sowohl was Kraft, als auch Geschicklichkeit anging, und sie liebten es beide, sich mit einander zu messen, wenn sie sich einander hingaben. Es lag beiden nicht wirklich im Blut, sich unterzuordnen, was ihre Beziehung nicht nur im Bett zu einem andauernden Tauziehen machte, andererseits aber auch dafür sorgte, dass sie immer in Höchstform waren.

Mit einer schnellen Bewegung entwand Sarah ihre Handgelenke Chucks Griff und umschlang ihn ihrerseits mit ihren Beinen, ihn mit einer kurzen Bewegung ihrer Hüfte umreißend und sich dann mit Schwung auf seine Brust setzend. „Soviel zum Thema „Aufs Kreuz legen", mein Schatz." gurrte sie, und dann fiel ihr erst wieder ein, dass sie ihr Bikinitop -- zu Gunsten einer nahtlosen Bräune -- aufgemacht hatte. Sie sahen es beide auf der Liegefläche neben Chucks Kopf liegen, und beide grinsten sich an. „Oups... Hast du vielleicht was verloren, Liebling?"

Egal wie oft sie Chuck „Liebling" nannte, dieses Wort machte ihr eine wohlige Gänsehaut, und auch jetzt fühlte sie einen Schauer ihren Rücken hinabwandern. „Chuck ist so gänzlich anders als Bryce..." ging ihr durch den Kopf. Ihre Beziehung zu Bryce Larkin, ihrem einstigen Partner, war romantisch und sinnlich, aber in dieser Beziehung waren beide in erster Linie Spione und Agenten, und erst in zweiter Linie Liebende, aber bei Chuck und ihr war es vollkommen anders. Sarah hatte sich in Chuck verliebt, lange bevor er ein Spion und Agent war, und auch wenn sie als Team nahezu unschlagbar waren, war es ihre Liebe zu einander, die sie zu diesen Höchstleistungen befähigte. Sie waren zu allererst ein Liebespaar, und dann kam erst die Tatsache, dass sie zufällig auch noch Spione waren. Doch egal ob als Liebende oder als Kollegen und Mitglieder eines Teams... Sie lagen immer auf einer Wellenlänge, und ergänzten sich in jeder Hinsicht.

„Stimmt... und es wäre nicht fair, wenn ich als Einzige etwas verlieren würde..." schnurrte sie, ihre Lippen über sein Ohr streichen lassend -- und zog ihm mit einem schnellen Ruck die Badeshorts runter. „Das hier scheint dir aber sehr zu gefallen." schmunzelte sie, als sie spürte, wie seine Erregung frech und neugierig gegen ihren Po klopfte. Der anfängliche Schauer wurde zu einem Prickeln, das sich langsam ihren Bauch hinab und in ihren Schoß ausbreitete. Sie streifte ihm die Badehose zur Gänze ab und sah auf ihn herunter. Sein Lächeln ließ ihr Herz schneller schlagen, und sie war versucht, sich zu ihm hinabzubeugen und ihrem Verlangen nach ihm nachzugeben, aber dann kam ihr ein Gedanke.

Mit seinen Shorts in der Hand sprang sie auf, und stürzte sich mit den Worten „Fang mich, wenn du kannst, dann bekommst du deine Hose vielleicht zurück." vom Boot ins erfrischende Wasser der Karibik. „Na warte, wenn ich dich erwische, bekommst du auch was... Und zwar eine Abreibung!" lachte er, als er hinter ihr her rannte und pfeilschnell in die Fluten eintauchte.

„Sie ist wirklich wunderschön!" entfuhr es Eleonore spontan, als sie die kleine Kapelle der Heiligen Rose am äußersten Rand einer Klippe entdeckte. „Devon, Morgan, beeilt euch, das müsst ihr sehen!"

Die beiden Männer warfen einander einen Blick zu, der zu sagen schien: „Frauen haben alle wirklich einen Knall. Warum tun wir uns das eigentlich an?"

Natürlich wussten beide ganz genau, warum sie drei diesen beschwerlichen Aufstieg auf sich genommen hatten. Zum einen wollten sie das Land, dessen Gäste sie waren, erkunden, zum anderen hatte der Premierminister Elli von einer Tradition seines Landes erzählt, die ihre Augen zum Leuchten und ihren Sinn für Romantik zum Träumen gebracht hatte. Die Kapelle Santa Rosa war in ganz Costa Gravas berühmt für ihre wunderschönen Rosen und die Legende besagt, dass jede Frau, die sich mit einer Rose aus dem Garten der Kapelle für ihren Liebsten schmückte, ein Leben voller Liebe, Leidenschaft und Glück führen würde. Auch wenn Devon und Morgan mit den Augen rollten, waren sie doch im Grunde ihrer Herzen ebenfalls Romantiker, und außerdem war es nicht leicht, Elli zu widersprechen.

Die Kapelle Santa Rosa war ein relativ kleines Sandsteingebäude, das, so wie es jetzt im Licht der Sonne stand, passend zu den Blumen in einem verwaschenen Rosé erstrahlte. Höchstens eine Handvoll Personen hätte in ihr Platz gefunden, aber sie lag inmitten eines prächtigen Gartens, und selbst Morgan musste einräumen, dass er in seinem Leben noch nie schönere Rosen gesehen hatte. Der Duft der Rosen war so intensiv, dass ihnen allen drei leicht schwindlig wurde, und sie waren von so strahlendem Purpurrot, dass man fast der Legende glauben konnte, die besagte, die Rosen wären das Herzblut der Heiligen Rosa, die die Schutzpatronin der Insel war.

Berauscht vom Duft der Rosen und atemlos vom anstrengenden Aufstieg, rasteten sie im Schatten einiger Bäume am Rand der Klippen, und entspannten sich bei einer kleinen Stärkung und dem belebenden Ausblick über das Meer und die Landzungen, die die Bucht unter ihnen links und rechts einrahmten.

„Hier ist es wunderschön. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich so gut gefühlt habe." meinte Morgan, als er die Reste des Picknicks in seinem Rucksack verstaute und dann an den Baum gelehnt über das Meer blickte.

„Sagt mal... Meint ihr, Casey macht seine Drohung war, und bringt mich um, wenn ich Alex um eine Verabredung bitte?" fragte er, und sah Elli und Devon an. Es war für alle drei eine ziemliche Überraschung gewesen, zu erfahren, dass Colonel John Casey, ein patriotischer Soldat und notorischer Einzelgänger, wie er im Buche stand, eine Tochter hatte, die die Schönheit ihrer Mutter und den Kampfgeist ihres Vaters geerbt hatte. Und es war fast schon unvermeidlich, dass Morgan auch Gefallen an ihr fand. Leider konnte er nicht sicher sein, ob es ihr auch so ging -- dass Casey davon nicht besonders angetan war, war hingegen so sicher wie das Amen in der Kirche. „Würde es dich denn abhalten, wenn es so wäre, Morgan?" wollte Devon wissen, und Elli meinte nur: „Du musst dir überlegen, ob sie es denn wert wäre." Dabei lächelte sie ihn an. „Nur weil du mit Anna auf die Nase gefallen bist, muss das nicht für Alex gelten. Und ich denke nicht, dass dich John gleich umbringen würde... Auch wenn er es selbst immer wieder gesagt hat."

Morgan blieb mit seinen Gedanken alleine unter dem Baum stehen, während Elli und Devon zur Kapelle gingen. „Sie ist süß, sexy und hat die Schlagfertigkeit von ihrem Vater geerbt..." grübelte Morgan, und meinte mit Schlagfertigkeit die wortwörtliche. „... sie lacht über meine Witze und findet mich nett... Das ist doch schon ein guter Anfang..." Ganz in Gedanken verloren blickte er über das Meer zum Horizont und spielte mit einem Zweig, den er zwischen den Fingern hin und her wandern ließ, während in der Ferne die Schiffe der Küstenwache und der Marine ihre Patrouille fortsetzten, um die Sicherheit der bei der Party anwesenden Ehrengäste zu gewährleisten. Dann richtete er sich mit einem Mal auf wie jemand der einen Einfall hat, den er sofort umsetzen will.

Elli und Devon waren schon tief in den Garten vorgedrungen, und Elli zog ihren Mann immer weiter zum abrupten Gefälle der Klippe. Hier war eine besonders schöne Rose... Die weit über den Abhang hinausragte. „Elli, Liebling... Diese Rose hier ist fast genauso schön wie die am Abgrund..." - „Aber ich will diese eine da, denn sie ist die schönste Rose... oder bin ich nicht die schönste Frau für dich?" fragte sie ihn herausfordernd. Devon lächelte sie liebevoll an und versteckte das leicht genervte Seufzen. Er wusste ja auch, wie sinnlos der Protest sein würde. Gegen Elli kam er nicht an, das wussten sie beide. „Awesome" beugte sich in sein Schicksal und hangelte sich vorsichtig zu dem Rosenstock hinüber, an dem die eine Rose hing, die seine Liebste von ihm forderte. Wie ein Ritter in mittelalterlicher Dichtung oder ein Held in der Antike, erfüllte Devon die Aufgabe, die seine Liebste ihm auftrug, um ihr seine Liebe zu beweisen. „Wenigstens lässt sie keinen Handschuh in eine Arena voller Tiger fallen." dachte er, als er die Rose pflückte.

Auf dem Rückweg sah er Elli dann vor dem Strauch stehen, den er gemeint hatte, und sich sehr genau zwei Rosen ansehen, die der einen Rose, die er soeben gepflückt hatte, weder in Schönheit, noch in Farbe oder Duft nachstanden, und Elli fragte ihn: „Welche der beiden ist schöner?" - „Elli, hier hast du doch schon eine wunderschöne Rose, wofür brauchst du denn zwei?"

Elli sah ihn mit der Art von Blick an, die Frauen ausschließlich dann aufsetzten, wenn sie der Ansicht waren, ihr Partner hätte etwas selten Dämliches gesagt, oder wäre erschreckend schwer von Begriff. „Diese Rose ist natürlich für Sarah, eine Art vorgezogenes Verlobungsgeschenk." - „Chuck und Sarah wollen sich verloben? Warum weiß ICH nichts davon?" war auf einmal Morgans Stimme zu vernehmen, und Chucks bester Freund sah sehr angefressen aus, als er bei ihnen ankam.

Morgan hatte schon einmal angenommen, dass Chuck Sarah einen Heiratsantrag machen wollte. Damals wusste er noch nichts von deren Doppelleben, und auch nichts davon, dass der Ring, den er in Chucks Spind gefunden hatte, eigentlich Devon gehörte, und dieser Elli einen Antrag machen wollte. Damals hatte Morgan Angst gehabt, seinen besten Freund an Sarah zu verlieren, dieses Mal jedoch war er nur beleidigt, weil er scheinbar nicht eingeweiht war. Auch Devon sah etwas ratlos aus und vermittelte den Eindruck etwas Wesentliches verpasst zu haben.

Während Elli eine der beiden Rosen vom Strauch schnitt erklärte sie den Männern ganz geduldig:

„Stellt euch doch nicht so dumm. Ihr beide wisst so gut wie ich, dass sich die beiden über alles lieben und am liebsten nie wieder auch nur einen Tag ohne den anderen verbringen würden. Als Sarah bei der Hochzeit den Brautstrauß abgewehrt hat, war das aus Angst, nicht, weil sie Chuck nicht liebt. Und ihr „Durchbrennen" in die Schweiz war auch eine Art vorgezogener Flitterwochen. Die beiden haben einfach noch nicht die Zeit, um auf diesen Gedanken zu kommen... Jedenfalls würden sie den Gedanken noch nicht laut äußern. Aber glaubt mir: Es ist nur eine Frage der Zeit."

Morgan und Devon sahen sich an, und Ellis Worte hallten in ihren Köpfen nach. Natürlich hatte Elli Recht, und sowohl Morgan als auch Devon wussten es genau. Sie hatten nur noch nie wirklich darüber nachgedacht.

Das Sarah und Chuck zusammen waren, war für Morgan und Devon genau so natürlich, wie dass die Sonne im Osten aufging und Wasser bergab floss. Es war wirklich nur eine Frage der Zeit, bis Chuck und Sarah mehr sein würden als nur ein Liebespaar. Morgan und Devon hatten daran genauso wenig einen Gedanken verschwendet wie auf die Frage, ob die Sonne am nächsten Morgen wieder über den Bergen im Osten aufgehen würde. „Deine Frau hat..." - „...wie immer Recht." beendete Devon den Satz von Morgan, und sie klatschten sich lachend ab.

„Die werden euch sicher wundervoll stehen." meinte Devon und küsste seine Frau zärtlich auf die Wange. Während Elli die Rosen in einem stabilen Gefäß in ihrem Rucksack verstaute, damit sie auf dem Rückweg keinen Schaden nahmen, schulterte Devon seinen Rucksack wieder und sie machten sich auf den Weg.

„Geht schon mal vor, ich hole euch ein, ich brauch noch einen Moment." rief ihnen Morgan hinterher, als er zu seinem Rucksack ging, der noch unter dem Baum stand.

 

* * *

 

Sarah lag an Chucks Brust geschmiegt am Strand. Die Sonne trocknete den Schweiß auf ihrer Haut, und die selige Müdigkeit, die beide umfing, fühlte sich sehr angenehm an. Als Chuck Sarah eingeholt und mit ihr an den Strand geschwommen war, hatten sie einfach ihrer Leidenschaft nachgegeben und sich zwischen den Felsen auf einem Stück des Strandes geliebt, der von feinem Sand bedeckt war. Jetzt genossen sie einfach die Nähe des anderen und schwiegen, da keine Worte nötig waren. Chuck küsste ihr Haar und streichelte liebevoll ihren Nacken, als sie ein leises Klappern und Poltern aufschreckte. Sofort wandten sie sich der Quelle der Geräusche zu.

Wenige Schritte neben ihren Köpfen bewegten sich ein paar kleinere Steine, und eine etwa handgroße Eidechse schlängelte sich hektisch und mühsam unter einem Steinhaufen hervor. Die Echse sauste dann ein paar Schritte auf sie zu. Jetzt erst nahm sie die beiden Menschen wahr, verharrte bewegungslos und schien sie eine Weile sehr aufmerksam zu beobachten. Dann machte das Reptil abrupt kehrt und verschwand in einer engen Felsspalte einige Meter weiter weg. Einen Augenblick später lugte sie wieder aus der Spalte, als wollte sie nachsehen ob die Luft rein war, sah, dass die beiden noch immer da waren und zog sich dann so schnell wieder zurück, dass ein kleines Steinchen vor die Öffnung fiel, wie eine zufallende Tür.

Sarah und Chuck sahen sich an, und prusteten dann gleichzeitig vor Lachen los. „Da hat wohl jemand was gegen Gesellschaft." lachte Sarah. „Ich auf jeden Fall nicht. Ich könnte den Rest meines Lebens mit dir in meinen Armen verbringen." versicherte ihr Chuck und Sarahs Gesichtsausdruck konnte man entnehmen, dass ihr dieser Gedanke sehr gefiel. Sie kuschelte sich an seine Brust und kraulte zärtlich die Haut an seinem Bauch. „Das klingt sehr schön, Chuck... Den Rest unseres Lebens... Ich habe mir so etwas früher nicht vorstellen können..."

Sarah hatte sich früher nie große Gedanken über Beziehungen gemacht, oder für die Zukunft geplant. Bei ihrem Beruf war sie letztlich froh, wenn sie den kommenden Tag erlebte, und Pläne machte sie nur für ihre Missionen, nicht jedoch für ihr Leben. Doch seit sie Chuck kannte, ging das nicht mehr. Sie spürte ein Verlangen... Ein Verlangen, mehr zu haben... Mehr als nur den nächsten Tag. Chuck küsste sie liebevoll auf die Stirn und sah ihr lange in die Augen. „Du bist auch nicht mehr die Selbe, die du früher warst, Sarah... So vieles hat sich in deinem Leben verändert."

Sarah richtete sich auf und sah ernst auf Chuck hinab. „Findest du wirklich, dass ich mich so sehr verändert habe?" - „Ich finde ja, Sarah... Du wirkst sicherer und gefestigter. Und du lächelst viel mehr als in der ersten Zeit. Es scheint, als sei eine schwere Last von dir genommen worden. Vielleicht liegt es daran, dass du mich nicht mehr beschützen musst, und keine Angst mehr um mich haben musst." Sarah schüttelte den Kopf, überrascht, wie naiv Chuck sein konnte. „Nein Chuck... Das ist es nicht... Ich habe noch immer Angst um dich, und möchte dich beschützen, so gut ich kann... Aber ich habe keine Angst mehr, jemanden zu lieben. Ich weiß jetzt, dass ich mich auf jemand anderen verlassen kann, und dass es jemanden gibt, der sich um mich sorgt." - „Stimmt... Casey mag dich und sorgt sich auch sehr um dich, schließlich sind wir ja alle ein Team." Als ihn Sarah in die Rippen boxte, grinste Chuck und umarmte sie liebevoll. „Natürlich sorge ich mich um dich, du kampfwütige Amazone. Schließlich liebe ich dich von ganzem Herzen, und will nicht, dass dir was passiert. Ich denke, da sind wir uns ähnlich, oder?"

Da war es wieder, dieses jungenhafte Lächeln, das sie immer wieder entwaffnete. Sarah liebte Chuck. Sie liebte seine Macken und Marotten... Sie liebte ihn dafür, dass er sich auf Anhieb gemerkt hatte, dass sie ihre Pizza vegetarisch und ohne Oliven mochte. Sie liebte ihn dafür, dass er sie nie mit Fragen über ihre Vergangenheit bedrängt hatte, sondern geduldig wartete, bis sie sich ihm öffnete... Sie liebte ihn, weil er sie liebte, wie sie jetzt war und sie nie aufgegeben hatte, egal, wie schwer sie es ihm gemacht hatte. Im Grunde ihres Herzens war sie sich immer schon der Tatsache bewusst gewesen, dass sie in Chuck jemand besonderen gefunden hatte, jemanden, der sich nicht von ihrer harten Schale und ihrem kühlen Gebaren abschrecken lassen würde. Auf seine Art war Chuck das Gefährlichste gewesen, was Sarah passieren konnte. Sein fast schon tollkühner Mut, seine entschlossene Zielstrebigkeit alles richtig zu machen, sein Einfallsreichtum und seine absolute Offenheit waren Eigenschaften, gegen die sie sich nicht hatte wehren können. Sie selbst hatte ihm doch schon gestanden, dass sie sich irgendwann zwischen dem Moment, in dem er ihr Handy repariert und dem Moment, in dem er eine Bombe mit einem Virus von einer obskuren Pornoseite außer Gefecht gesetzt hatte, in ihn verliebt hatte.

Statt ihm nun seine Frage mit Worten zu beantworten, küsste sie ihn einfach nur lange und voller Sehnsucht. Natürlich waren sie sich in dieser Hinsicht ähnlich, und nicht nur in dieser. Jeder der beiden hätte gern für den anderen sein Leben gegeben, jeder der beiden hatte schon mehr als einmal für den anderen sein Leben aufs Spiel gesetzt. „Ich liebe dich, Chuck." hauchte sie ihm auf die Lippen, als sie sich wieder an ihn schmiegte, und ihren Kopf auf seine Brust legte. „Ich liebe dich, Sarah" flüsterte er. Wie beruhigend sein Herzschlag auf sie wirkte... Wie sie unbewusst seinen Atemrhythmus übernahm und seine Wärme genoss...

„Liebling... Wir sollten uns auf den Rückweg machen. Wir wollen uns doch noch frisch machen, bevor wir zum Dinner gehen." Ein sanfter Kuss traf ihre Lippen und als sie die Augen öffnete, hatte sich die Sonne ein gutes Stück weiterbewegt. Sie war an seine Brust geschmiegt eingeschlafen. Sarah blinzelte gegen das Licht an und erwiderte seinen Kuss lächelnd. „Eine gute Idee... Ich könnte was zu essen vertragen. Dich zu unterhalten ist ziemlich kräftezehrend." neckte sie ihn, und er revanchierte sich dafür, indem er sie zärtlich in den Nacken biss. „Hee... Langsam, mein Lieber... Den Nachtisch gibt es erst nach dem Essen."

Sie erhoben sich und wollten sich auf den Weg ins Wasser machen, als Sarah etwas auffiel. „Chuck... Du hast nicht zufällig mein Bikinihöschen gesehen? Ich hatte es zum Trocknen auf den Felsen dort drüben gelegt." - „Meinst du diesen Felsen hier, der von der Flut überspült wurde?" fragte Chuck mit einem Lächeln auf den Lippen. „Oh nein... Sag mir nicht, dass es weg ist..." stieß sie leicht verzweifelt vor. Chuck zuckte die Achseln und nahm ihre Hand. „Komm... Wir sollten uns wirklich beeilen... Mach dir keine Sorgen, es sieht dich keiner, und auf dem Boot liegt ja noch dein Pareo, den kannst du dir ja umbinden." Sarah ließ sich von ihm mitziehen und maulte ganz leise: „Ja, aber er ist nicht gerade blickdicht..."

 

* * *

 

Als das Geräusch des Bootsmotors verklang, wagte sich die Eidechse wieder aus ihrem Schlupfloch und nahm einen neuen Logenplatz auf einem heißen Felsen ein, erleichtert, dass sie wieder alleine war, und diese lärmenden zweibeinigen Wesen ihr Revier endlich verlassen hatten. Eine herumsummende Libelle, die nicht vorsichtig genug war, brachte der Echse das gewohnte Jagdglück zurück, und während sie das Insekt genüsslich verspeiste, trieb unter ihr Sarahs Bikinihöschen träge in der Dünung, nur ganz leicht auf den Wellen schaukelnd, nachdem die Bugwelle des Bootes es aus seinem Versteck unter einem Felsen einen knappen Meter von seinem ursprünglichen Lageort entfernt gespült hatte.

Hätte die Echse zur anderen Seite der Bucht geblickt, und nicht nur erleichtert dem davonbrausenden Speedboat nachgesehen, wäre ihr ein kleines hölzernes Fischerboot aufgefallen, dass langsam mit gedrosseltem Motor Richtung Norden unterwegs war -- in Richtung des Palastes. Aber auch wenn sie hingesehen hätte, wäre es ihr egal gewesen. In den letzten Tagen waren jede Menge Boote gekommen und wieder abgefahren, die Lebensmittel, Personal und Material für das Fest brachten... Welchen Unterschied sollte da ein weiteres Boot machen?

 

* * *

 

In der Bibliothek des ehemaligen Präsidentenpalastes und jetzigen Gästehauses des Premierministers saßen zwei Männer zusammen, nahmen einen Drink und rauchten exquisite Zigarren aus der Privatreserve des Premiers, die sich gegenseitig noch vor kurzer Zeit lieber ein Messer zwischen die Rippen gerammt hätten. Bei unzähligen Attentatsversuchen in den vergangenen drei Jahrzehnten hatte Colonel John Casey -- in Costa Grava auch berüchtigt als „Ángel de la Muerte" -- versucht, den Premierminister Allejandro Goya zu töten. Doch seit kurzer Zeit waren die beiden Männer durch gegenseitigen Respekt -- und infolge der gleichen Blutgruppe, eines Killers des RING und, nach einer Verkettung ungewöhnlicher Umstände, auch durch eine kleine Menge Blutes -- mit einander verbunden.

Der knurrige NSA-Agent und der playboyhafte und etwas arrogante Premierminister waren noch immer keine engen Freunde, aber nachdem ein Attentäter des RING versucht hatte, Goya zu töten, und von Casey daran gehindert wurde, und Caseys Blut die einzige Möglichkeit war, den Premier zu retten, verband die beiden inzwischen eine gewisse Art von Respekt -- und die Vorliebe für Zigarren.

„Colonel, es freut mich, dass sie mir die Ehre erweisen, mit ihrer bildschönen Tochter mein herrliches Land zu besuchen. Ich hatte auch noch keine Gelegenheit gehabt, mich persönlich bei ihnen für meine Rettung und ihr damit verbundenes Opfer zu bedanken." - „Exzellenz..." Bei dem Wort verschluckte sich Casey fast, denn es fiel ihm noch immer etwas schwer, den Ex-Diktator von Costa Gravas so anzureden -- auch wenn er erstmals freie und demokratische Wahlen abgehalten hatte, die ihn zum gewählten Premierminister gemacht hatten, konnte Casey ihn aus schlichter Gewohnheit noch nicht anders betrachten.

„Exzellenz, ich habe mir angesehen, wie die Demokratisierungsbestrebungen in ihrem Land voranschreiten. Es ist beeindruckend, dass sie ihr Wort halten und aus Costa Gravas ein freies und demokratisches Land machen wollen, aber mir stellt sich die Frage, warum ich... Warum wir alle hier sind." - „Colonel... Ach... Darf ich sie John nennen? Colonel ist so förmlich..." Goya schenkte Casey seine Version eines gewinnenden Lächelns, und Casey musste sich einen mentalen Tritt versetzen, um freundlich, wenn auch ganz leicht ironisch zu antworten: „Es wäre mir eine Ehre, wenn sie mich so nennen würden, Allejandro... Schließlich sind wir ja so etwas wie Blutsbrüder."

Der Premierminister sah ihn einen Moment verblüfft an, und lachte dann laut auf, scheinbar taub für Caseys Ironie. „Ganz genau das wollte ich, John! Wir teilen das gleiche Blut, und lieben beide gute Zigarren. Und wenn ich mir ihre zauberhafte Tochter ansehe und auf ihre Mutter schließen darf, denke ich, dass wir beide auch den Geschmack bei Frauen teilen, Schön, stark und mutig. Frauen wie meine leider verstorbene Frau, wie Señora Woodcomb oder wie Señorita Walker." Goya nahm sein Glas in die Hand. „Sehen sie her, John. Das ist unser einheimischer Rum. Sie trinken ihn auch gerade. Er ist sehr süß und mild, nicht wahr?" Casey nickte und fragte sich, worauf der Premier hinauswollte. Goya zog stark an seiner Zigarre, bis die Spitze hellrot glühte, dann hielt er die Glut über den Rum. Zu Caseys Überraschung schlug eine hellblaue Flamme aus dem Glas. „Verstehen sie, was ich meine? So wie unser Rum, sind auch diese Frauen. Süß, sinnlich, aber auch überaus explosiv."

Der Premierminister paffte leicht versonnen an seiner Zigarre und fuhr dann nach einer Weile wieder fort: „Charles und Devon sind sehr glückliche Männer, das sieht man ihnen an. Sind es nicht letztlich die schönen Frauen, die uns Männer zu unseren besten Leistungen anspornen? Sehen sie sich nur den Jungen an, wie war sein Name? Ach ja... Morgan Grimes..." - „Was ist mit Grimes?" Casey zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, aber seit er entdeckt hatte, dass seine Tochter Alex Morgan ihre Nummer gegeben hatte, und es sich gezeigt hatte, dass die beiden sich anfreundeten, war Casey etwas schlecht auf Morgan zu sprechen. „Señor Grimes scheint ein sehr integerer und ernsthafter junger Mann zu sein, der nur auf die richtige Frau wartet, die ihm hilft sein Potential auszuschöpfen."

Einerseits erfüllte das Thema des Gesprächs Casey mit einer Form von mildem Terror -- der Gedanke an Grimes und seine Tochter war für Casey blanker Horror -- andererseits offenbarte Goya mit seinen Worten auch, dass er sich sehr genau über alle Mitglieder dieser kleinen, eigenwilligen Gemeinschaft, die sie darstellten, informiert hatte... Jedenfalls, soweit Informationen verfügbar waren.

„Aber muss diese Frau ausgerechnet meine kleine Tochter sein?" murmelte Casey geistesabwesend vor sich hin. „Warum sollte sie es nicht sein?" Augenscheinlich hatte der Premier ein sehr gutes Gehör, wie Casey etwas verlegen zur Kenntnis nehmen musste. „Soweit ich es beurteilen kann, ist Alex sehr selbständig und zielstrebig. Und es scheint, dass sie in diesem Grimes etwas sieht, das ihr gefällt. Warum mögen sie den jungen Mann nicht, John?"

Diese Frage hatte sich Casey schon öfter gestellt, und war noch immer zu keiner für ihn befriedigenden Antwort gekommen, wenn man davon absah, dass er fest davon überzeugt war, dass Grimes ein Trottel und Punk sei, der sich nicht an Regeln und Vorschriften halte, und alles um sich herum ins Chaos stürzte. Nur glücklichen Zufällen sei es zu verdanken, dass er Missionen nicht ruiniere oder ums Leben käme. Er formulierte seine Antwort für Goya zwar etwas freundlicher, aber das war im Großen und Ganzen die Kernaussage seiner Antwort.

„John... Ich weiß, dass sie es mir nicht sagen können, aber wenn ich bedenke, dass sie, Agent Walker und Agent Bartowski Spione sind, Dr. Woodcomb zumindest kurzzeitig auch für den Geheimdienst tätig war, als er zwei Mal mein Leben rettete, und ich mir sehr gut vorstellen kann, dass Señora Woodcomb auch nicht ganz unbeteiligt an den Aktionen und Missionen ist, die sie drei zu erfüllen haben... Scheint es mir sehr unwahrscheinlich zu sein, dass Señor Grimes als Einziger nicht daran beteiligt, oder gar selbst ein Spion ist." Man muss Casey zugute halten, dass er nicht vor Lachen los prustete, auch wenn der Gedanke, in Morgan einen waschechten Spion zu sehen in seinen Augen ein sehr guter Witz war. Nichts desto trotz dachte Casey auch daran zurück, als er Morgan zu genau so einem Spion „ausbilden" sollte. Morgan war der Typ Mensch, der mit mehr Enthusiasmus und Mut als mit Vernunft und Sachverstand an eine Sache heranging -- etwas, was Casey wahnsinnig machte.

„Allejandro..." - „Antworten sie nicht, John. Ich weiß, dass sie darüber nicht reden dürfen, und das respektiere ich. Sie sollten sich nur selbst fragen, ob das wirklich die Gründe sind, aus denen sie nicht wollen, dass sich ihre Tochter mit Señor Grimes trifft.

Casey wollte sich diese Frage nicht stellen, denn im tiefsten Inneren fürchtete er die Antwort. „Du willst nicht, dass sie was mit einander anfangen, denn trotz -- oder vielleicht gerade wegen -- seiner Fehler hat dieser verdammte Morgan Guillermo Grimes Eigenschaften und Fähigkeiten die ihn als guten Spion qualifizieren. Und damit setzt er sich Gefahren aus, und das könnte Auswirkungen auf Alex haben."

Allejandro Goya war ein kluger Mann, auch wenn er es sehr geschickt hinter einer perfekten Fassade aus Großspurigkeit und Arroganz verbergen konnte, und stets den Eindruck erweckte, nicht genau zu wissen, was sich in seiner Umgebung abspielte. Das war der Grund, warum er jetzt nur an seiner Zigarre paffte, und Casey die Möglichkeit gab, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

„Allejandro, nehmen wir für einen Moment mal an, sie hätten Recht, rein hypothetisch... Würden sie denn ihrer Tochter erlauben, sich mit jemandem einzulassen, der so einer Tätigkeit nachginge? Würde denn überhaupt ein Mann gut genug für sie sein?" Goya nickte langsam und sah Casey lange an. „Ich verstehe, was sie meinen, mir geht es mit meiner Tochter auch nicht anders, ich will sie auch beschützen. Aber ich denke doch, ihre Tochter weiß genau, wer und was Señor Grimes ist, und letztlich ist es ihre Entscheidung. Und vergessen sie nicht, dass ihre Tochter auch genau weiß, was sie wirklich von ihm halten -- vielleicht sogar besser, als sie selbst. Unsere Töchter sind keine naiven kleinen Mädchen mehr, so ungern wir uns das auch eingestehen."

Goya erhob sein Glas und prostete Casey zu. „Vertrauen sie ihrer Tochter, und versuchen sie nicht, sich zwischen die Beiden zu stellen. Wenn sie ihnen vertraut, wird sie ihnen nichts verheimlichen. Sie ist eine Frau mit Ehre, und bei Señor Grimes können sie vom Selben ausgehen. Er ist ein Ehrenmann und wird nichts ohne ihren Segen versuchen."

Hätte sich Casey einen Moment Zeit genommen, zurückzudenken und ganz ehrlich zu sich zu sein, wäre ihm bereits jetzt klar gewesen, dass Grimes ihn sehr respektierte, und auch bewunderte, und dass Goya voll und ganz Recht hatte. Aber Casey war im Moment noch zu verwirrt, und musste auch erst damit klar kommen, dass er eine Tochter hatte. Eine Tochter die ihre eigenen Entscheidungen traf, und auch wusste, was sie tat -- selbst ohne ihn.

„Sie wollten von mir wissen, warum ich vor sie alle hierher eingeladen habe, John..." Casey merkte auf, denn offenkundig wollte der Premierminister endlich zum Wesentlichen kommen. „Ich wollte mich wirklich bei ihnen allen bedanken. Ganz besonders bei ihnen.

Sie haben mir zu denken gegeben. Obwohl sie selbst in Lebensgefahr gewesen sind, haben sie nichts unversucht gelassen, mein Leben zu retten -- das Leben ihres erklärten Feindes." Casey verzichtete darauf, den Premierminister darüber aufzuklären, dass er selbst bewusstlos war, als ihm Devon, Sarah und Chuck Blut abgenommen hatten, um dem Gift im Organismus des Premiers entgegenzuwirken. Es war nicht seine Entscheidung gewesen.

„Ihnen ist es vermutlich nicht einmal bewusst, aber das hat in mir eine Veränderung bewirkt, John." Zum ersten Mal sah Casey in Goyas Gesicht echte Offenheit. „Sehen sie uns doch an, John... Wir haben uns bekämpft, fühlten uns obskuren Regeln und Bündnissen verpflichtet. Sie waren ein kaltblütiger Killer, und ich ein selbstherrlicher Despot, und wohin hat es uns geführt? Jetzt haben sie eine Familie und Freunde -- und wir beide wissen, dass das vorher nicht so war, denn sie waren ein Einzelgänger -- und ich genieße es endlich, von meinem Volk geliebt zu werden, und ihm das zu geben, was es braucht."

Goya lehnte sich in seinem Sessel vor und sah Casey tief in die Augen. „Sehen sie es ein, John. Wir beide sind schon lange nicht mehr die, für die wir uns gehalten haben. Lassen wir diese positive Veränderung in uns zu. Unsere Freundschaft kann eine echte sein." Er streckte Casey die Hand hin... Und nach einem sehr kurzen Zögern schlug Casey ein. „Sie haben Recht, Allejandro."

 

* * *

 

Devon stand in der Tür des luxuriösen Badezimmers und sah Elli beim Duschen zu. Auch nach gut zehn Jahren Beziehung und rund einem Jahr Ehe hatte sich nichts geändert. Er begehrte sie wie am ersten Tag. Jenem ersten Tag vor zehn Jahren, als die beiden in einem Abstellraum über einander hergefallen sind, statt zu ihrer ersten Lehrveranstaltung des Medizinstudiums zu erscheinen. Als sie sich einander noch nicht einmal vorgestellt hatten, bevor sie zum ersten Mal mit einander geschlafen haben.

„Ich liebe diese Frau schon seit zehn Jahren!" ging ihm durch den Kopf. Es war eine Liebe, die über die Jahre gewachsen war, und dank derer er auch über sich selbst hinauswachsen konnte. Der ehemalige Sonnyboy und klassische Surferdude, Extremsportler, Topchirurg und Adrenalinjunkie hatte dank Ellis Liebe gelernt, worauf es im Leben ankam. Es war für ihn sehr beeindruckend gewesen, zu sehen, wie sehr sich Elli bemüht hatte, alle ihre Pflichten unter einen Hut zu bekommen; ihr Medizinstudium, die Beziehung zu ihm, und auch ihre aufopfernde Fürsorge für Chuck.

Devon wusste genau, was für ein Opfer es für Elli bedeutet hatte, Chuck großzuziehen, für sie beide zu sorgen und dabei auch noch ein mehr oder weniger normales Leben zu führen. Für Chuck hatte sie ihr eigenes Leben hintan gestellt, und auf ihn aufgepasst, wie sie es ihrem Vater versprochen hatte, bevor er verschwunden war. Devon wusste selbstverständlich auch, wie sehr sich Chuck bemüht hatte, Elli nicht zur Last zu fallen, und seine Kämpfe selbst auszufechten. Zehn Jahre lang hatte er beobachten können, wie Elli und Chuck versuchten, erwachsen zu werden und ihren Weg im Leben zu finden. Aus diesem Grund respektierte er seinen Schwager, und liebte seine Frau von Herzen.

Als Steven, Ellis und Chucks Vater, vor ihrer beider Augen ermordet wurde, zeigte sich einmal mehr, dass ihr Zusammenhalt stärker war als alle Gefahren, die ihnen begegnen konnten, und auch wenn Elli und Chuck eigene Leben führten, würden sie immer für einander da sein, und für den jeweils anderen einstehen.

Lächelnd und auch voller Stolz betrachtete er seine Frau und lehnte sich an den Türrahmen.

„Du siehst so verlockend aus, Elli... Ich würde am Liebsten..." murmelte er, während sein Blick ihren Körper liebkoste und er zusah, wie sie sich einseifte und unter dem warmen und massierenden Strahl der Dusche bewegte. Dann wurde ihm bewusst, dass sie beide auf einer traumhaften Insel in der Karibik waren, und die nächsten Stunden ihnen gehörten, ohne Störungen oder Notrufe aus dem Krankenhaus. Und doch stand er nur an der Tür und sah sie an. „Bin ich eigentlich bescheuert?" schoss ihm durch den Kopf.

Seine Kleidungsstücke fielen in schneller Folge zu Boden, während er auf die Dusche zuging, und als er den Vorhang zur Seite schob, um sich zu Elli zu stellen, war er schon vollkommen nackt und erregt. Elli hatte kaum Zeit zu reagieren, da hatte sich Devon schon hinter sie gestellt und massierte ihre Brüste mit seinen Händen, während er seine Erregung gegen ihren Rücken presste. „Dreh dich um." hauchte er in ihr Ohr, und schon trafen sich ihre Lippen, als Elli der Aufforderung nachkam, noch bevor sie ganz seine Lippen verlassen hatte. Ihr Verlangen stand dem seinen in nichts nach. Als sich ihre Arm um seinen Hals schlang, waren ihrer beider Zungen schon in einander verschlungen und plötzlich war es Elli, die Devon gegen die Wand drängte, und dann eine Hand über seinen Bauch hinabwandern ließ. „Hallo Herr Doktor... Sind sie bereit für eine gründliche Untersuchung?"

 

* * *

 

Auf der anderen Seite des Korridors, in der Suite, die Sarah und Chuck zusammen bewohnten, hatte Sarah das Bettelarmband in der Hand, das ihr Chuck geschenkt hatte, und ließ die Glieder durch ihre Finger gleiten. Bei jedem Glied, das über ihre Fingerspitzen strich, dachte sie lächelnd an einen Moment der letzten rund drei Jahre zurück. Wie oft sie sich über Chucks Art aufgeregt hatte, oder sich bei seinen Alleingängen Sorgen um ihn gemacht hatte. Aber das war es nicht, was ihr hauptsächlich durch den Kopf ging. Das Armband als Ganzes war bedeutsam, denn Chuck hatte es ihr damals geschenkt, weil er wollte, dass sie etwas hatte, was sie mit ihm verband. Chuck sehnte sich nach jemandem, zu dem er gehören konnte, und der zu ihm gehörte.

Manchmal hatte Sarah noch immer ein schlechtes Gewissen, weil sie anfangs seine Einsamkeit ausgenutzt hatte, um ihm zu lenken und zu manipulieren. Erst mit der Zeit hatte sie angefangen, in sein Innerstes zu blicken, und was sie sah, schien ihr so vertraut, dass sie es in ihrer Furcht hatte ausblenden wollen:

Wie sie selbst, war Chuck alleine gewesen, ohne echten Halt.

Sie konnte Elli wirklich keinen Vorwurf machen, denn Elli war selbst noch ein Kind gewesen, als sie die Verantwortung für Chuck hatte übernehmen müssen. Und beiden waren die Eltern genommen worden. Elli hat Chuck so gut behütet, wie sie konnte, aber sie hat Chucks sensible Seite nie wirklich verstehen können, denn dafür war sie selbst zu pragmatisch.

Sarah war selbst verloren gewesen, als sie ein Kind war. Ihr Vater war ein Trickbetrüger, der nicht wirklich in der Lage war, ein kleines Mädchen zu verstehen, und dessen Bedürfnisse zu erfüllen. Jack war weniger ein Vater, als ein Spielgefährte, Komplize und Freund gewesen. Mit achtzehn stand sie dann vor der Wahl, ihrem Vater im Gefängnis Gesellschaft zu leisten, oder das Angebot der CIA anzunehmen, und sich zur Spionin ausbilden zu lassen. Lange Zeit war sie überzeugt, einen Ort gefunden zu haben, an den sie gehörte, eine Gemeinschaft gefunden zu haben, in der sie sie selbst sein konnte. Stattdessen hatte sie sich selbst verloren, und über ihrer Arbeit vergessen, wer sie wirklich war -- bis sie Chuck kennen- und lieben lernte, und er sie dazu brachte, sich wieder daran zu erinnern, wer sie war, was sie wollte, und wonach sie sich sehnte. Auf seine Art hatte Chuck sie ebenso gerettet, wie sie ihn.

Sie legte das Armband vorsichtig auf den Nachttisch, und ging ins Badezimmer, in dem Chuck gerade unter der Dusche stand. Ganz leise schob sie den Duschvorhang zur Seite, und stellte sich hinter Chuck, strich mit den Fingerspitzen sein Haar aus dem Nacken und hauchte einen Kuss auf seine Haut.

„Sarah..." - „Shhhtt... Sag jetzt bitte nichts." flüsterte sie und legte ihre Arme um ihn. „Halt mich einfach fest."

Chuck sah sie etwas besorgt an, und umarmte sie liebevoll, bettete ihren Kopf an seiner Brust und versuchte, ihr Sicherheit zu schenken -- Sicherheit, die sie, wie auch er, dringend brauchte, nach all dem, was sie durchgestanden hatten.

Unter dem prasselnden Wasser der Dusche hob sie den Kopf und küsste ihn ganz leicht auf den Mund, während ihre Hände sanft den Seifenschaum auf seiner Haut verteilten. „Habe ich dir eigentlich je gesagt, wie glücklich ich bin, dass du Teil meines Lebens bist?" fragte sie fast schon schüchtern. Chuck sah ihr in die Augen. „Das musst du mir nicht sagen, du zeigst es mir jeden Moment, den wir zusammen sind. Ich bin es, der wirklich Glück hat, denn du liebst mich, Sarah."

Es überraschte Chuck nicht mehr, dass Sarah diese melancholischen Momente hatte, denn er hatte schon vor längerer Zeit begriffen, dass sich Sarah erst jetzt von ihrer harten Schale lösen konnte. Erst seit Kurzem konnte sie sich fallen lassen, denn erst jetzt gab es jemanden in ihrem Leben, der sie auffangen konnte -- genauso, wie es erst jetzt jemanden in seinem Leben gab, dem er sich vorbehaltlos anvertrauen konnte, ohne sich Sorgen machen zu müssen, diesem Jemand zur Last zu fallen. Sie hatten beide ihr ganzes Leben lang auf jemanden gewartet, der sie so nahm wie sie waren, und bei den sie einfach sie selbst sein konnten.

Chuck drehte die Dusche ab und nahm Sarah in seine Arme. „Du bist mein Leben." flüsterte er ihr ins Ohr, als er sie sanft streichelte. Er nahm ihre Hand in seine, seine Finger mit ihren verschränkt, und sah ihr lächelnd in die Augen. „Komm..." wisperte er, und zog sie sanft mit sich auf den Balkon, der über die Klippe ragte, und eine unverstellte Sicht auf das Meer eröffnete. Sich auf eine der Liegen setzend, zog er sie auf seinen Schoß und küsste sie liebevoll. „Wir sind zusammen... Wir gehören zusammen... Und so wird es bleiben." hauchte er ihr mit einer Bestimmtheit ins Ohr, die vollkommen unerschütterlich war.

An einander geschmiegt genossen sie die Aussicht, und den kühlenden Wind auf der Haut, während sie sich einfach nur festhielten, liebkosten und küssten. Es war eine perfekte Idylle. Federleichte Wolken an einem Azurblauen Himmel, tiefblaues Meer, von weiß schäumenden Wellenkämmen gekrönt und ein einzelnes Fischerboot, dass in Küstennähe durch die Wellen glitt.

Eine ganze Weile später lösten sie sich etwas widerstrebend von einander, da es an der Zeit war, sich für das Dinner anzuziehen.

 

* * *

 

Morgan hatte nach seiner Rückkehr schnell geduscht, sich in seinen Smoking geworfen, und besah sich seine Erscheinung gerade im Spiegel, als er aus dem Lüftungsgitter über sich die Stimmen von Elli und Devon vernahm.

„... habe in letzter Zeit viel nachgedacht, Schatz. Dich zu heiraten, war das klügste und beste, was ich je getan habe, und ich bin der glücklichste Mann auf der Welt. Was ich mich aber frage, ist..."

Morgan versuchte sich abzulenken, indem er seine Manschettenknöpfe zu richten versuchte, und die Stimmen zu ignorieren, aber der neugierige, bärtige Troll in ihm konnte nicht anders, als zu lauschen.

„... genügend Rückhalt und Unterstützung gegeben habe?" - „Devon... Ohne dich und deine Kraft hätte ich die letzten Jahre sicher nicht überstanden. Du warst mir eine Stütze und du warst auch immer für Chuck da, und hast ihm geholfen, wo ich es nicht konnte. Wie kommst du denn überhaupt darauf?" - „Ich weiß nicht... Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich dir den gleichen Halt geben kann, den ich dir früher gegeben habe, nicht nach all dem, was passiert ist..."

Morgan hörte ein Geräusch, das wie ein Kuss klang.

„Sei nicht albern, Devon... Du bist mein Halt. Alleine, wenn ich daran denke, was du schon alles riskiert hast, um mir und Chuck beizustehen und zu helfen. Diese Sydney hätte dich damals töten können, und nur dir ist es zu verdanken, dass Chuck damals Casey das Leben retten konnte, während du Goya versorgen musstest. Wenn mir das früher bewusst gewesen wäre, wenn ich das nur früher bemerkt hätte... dann hätte der RING nie an mich herantreten können... Und mein Vater wäre vielleicht noch am Leben..."

Ihr Schluchzen rief Morgan in Erinnerung, was er da eigentlich tat. Er belauschte seine Freunde, und es war ihm mit einem Mal sehr unangenehm. Seine Neugier war ihm peinlich, und er wandte sich schnell ab.

Devon war gut für Elli, das war Morgan schon lange klar, auch wenn er es anfangs nicht wahrhaben wollte, und die beiden liebten sich sehr. Tief in seinem Herzen wünschte sich Morgan auch eine Partnerin, der er gut tun konnte. Trotz der beiden Fehlschläge mit Anna und Carina -- einer Kollegin von Sarah, die für die DEA tätig war, und niemals ihre Arbeit zugunsten der Liebe aufgeben würde -- glaubte Morgan jetzt mehr denn je an sich.

„Jemand mit dem ich gemeinsam glücklich sein kann..." dieser Gedanke gefiel ihm. Dann fiel sein Blick auf die Rose in der Schale, die er gepflückt hatte, nachdem sich Elli und Devon auf den Rückweg gemacht hatten. Elli und Devon hatten Recht, diese Rose stand den beiden die Elli für sich und Sarah gewählt hatte, in nichts nach, und aus dem Grund wollte er sie auch Alex schenken -- wenn er es lebend an Casey vorbei schaffen konnte.

In Gedanken versunken war er im Zimmer herumgewandert, und ohne es zu merken war er wieder unter dem Lüftungsgitter angekommen, und Ellis Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. „Wir sollten uns jetzt aber fertig machen. Ich geh nochmal ins Bad, und versuche den Schaden zu beheben, den ich mit meiner Heulerei angerichtet habe, dann sammle ich Sarah und Alex ein, und ihr Jungs könnt ja unten auf uns warten. Du kannst ja mit Chuck und Casey tun, was ihr Jungs so macht -- und wenn du Morgan findest, kannst du ihn ja davon abhalten, Unsinn zu machen." Morgan hörte, wie ihr Lachen zurück kam, als sie ihn -- in seiner Abwesenheit -- aufzog.

Da kam Morgan eine Idee. Er schnappte sich die Rose vom Tisch, schrieb schnell noch eine kurze Nachricht, warf einen Blick in den Spiegel und war schon aus der Tür. Im nächsten Moment klopfte er an Ellis und Devons Tür.

„Morgan... Was können wir für dich tun?" Devon war immer noch leicht argwöhnisch, was Morgan anging, aber er mochte ihn von Herzen, und sie hatten Gemeinsamkeiten entdeckt, als sie zusammen mit Elli Chuck, Casey und Sarah aus der Gewalt des wiederauferstandenen Shaw befreit hatten. „Ich wollte euch um einen Gefallen bitten..." Als Morgan den misstrauischen Blick von Devon sah, fuhr er schnell fort, „Ich will Alex diese Rose und diese Nachricht zukommen lassen, aber ich will dabei John nicht in die Arme laufen."

Jetzt hatte Devons Gesicht den komplizenhaften Ausdruck, den Morgan sehen wollte. „Elli will ohnehin kurz zu Alex, bevor sie sich fertig macht, dann kann sie es mitnehmen. Ich bin fast fertig. Treffen wir uns gleich unten an der Bar?" - „Ich werde mir noch etwas die Beine vertreten, aber ich stoße noch zu euch. Den Auftritt der Damen darf ich doch nicht verpassen." Er reichte Devon die Rose und die Nachricht, dann sah er ihn an. „Danke... Du weißt... Ich mag Alex sehr..." Devon lächelte ihn an. „Ich denke, sie mag dich auch, und um John solltest du dir keine Sorgen machen, ich weiß, dass er dich schätzt, und irgendwann wird er auch einsehen, dass du Alex glücklich machen kannst." Und in Gedanken fügte er halb scherzhaft hinzu: „Solange du meine Frau in Ruhe lässt, tue ich alles."

Als Devon die Tür schloss, war Morgan erleichtert, und er zweifelte keinen Moment daran, dass Elli Alex die Rose geben würde, und auch ein gutes Wort für ihn einlegen würde. Und was John Casey anging, den großen, bösen NSA-Agenten und ausgebildeten Killer... Nun, darum würde sich Morgan Sorgen machen, wenn die Zeit gekommen war. Jetzt wollte er auf jeden Fall erst einmal seine Gedanken sortieren und seine Angst davor überwinden, Alex später beim Dinner kein aufmerksamer und kultivierter Tischnachbar zu sein.

An der Bar im Atrium des Palastes sah Morgan dann mäßig interessiert zu, wie das Personal die Bühne aufbaute, den Tisch deckte, die Elektrik überprüfte, und insgesamt alles tat, um das Dinner vorzubereiten, während er darauf wartete, dass der schlanke und etwas gestresste, aber freundliche Barmann ihn bemerkte. „Dieser Premierminister weiß wirklich, wie man eine Party schmeißt." ging ihm durch den Kopf, und er freute sich schon auf das Dinner.

Morgan genoss es sehr, endlich nicht mehr im Buy More festzuhängen und sich statt dessen mit Sarah, Chuck und Casey ins pralle Leben stürzen zu können, von dem er immer nur geträumt hatte. Ihm gefiel es auch, wie jetzt gerade, elegant im Smoking an einer Bar zu stehen und wie ein Mann von Welt einen Drink zu bestellen. An einer Bar die im Atrium eines Präsidentenpalastes stand -- als Ehrengast eines Staatsmannes, der ihn persönlich eingeladen hatte.

Er atmete den Duft ein. Für ihn war es der Geruch des Erfolges. Endlich war er, Morgan Guillermo Grimes, ein Jemand. Er war jetzt jemand der in einem Saal voller schöner Frauen und eleganter Männer seine Drinks von den Tabletts der umhergehenden Kellner angelte. Es war nur etwas seltsam, dass einige Kellner eher wie Soldaten oder Rausschmeißer aussahen. „Hmm... Vermutlich sind das getarnte Sicherheitsleute." dachte er.

Morgan zuckte mit den Achseln und wandte sich ab. Der Barkeeper sah ihn fragend an. „Haben sie auch importiertes Bier?" fragte Morgan. Er war zwar stolz darauf, als eleganter und weltgewandter Mann durchgehen zu können, aber ein Bier war schließlich ein Bier -- und Morgan liebte ein gutes Bier. „Sicher, aber wir haben es noch nicht hier oben. Wenn sie warten wollen, ich wollte es ohnehin aus dem Lager am Strand heraufholen." Morgan konsultierte seine Uhr und schüttelte dann kurz den Kopf. „Nein, danke. Ich habe es mit überlegt, ich werde noch etwas frische Luft schnappen, bevor es hier richtig los geht."

Er machte sich auf den Weg nach draußen, wandelte ziellos und müßig über den makellosen Rasen, und spazierte dann nach einer Weile durch den Garten die breite, geschwungene Marmortreppe hinab zum Bootsanlegesteg des Präsidentenpalastes. In Gedanken und Träumen versunken vertrieb er sich die Zeit, bis es Zeit war, sich zum Dinner zu begeben.

 

* * *

 

Alex lächelte, als sie vom Balkon aus nach unten sah, und Morgan beobachtete, wie er durch die Gärten wanderte und dabei so süß aussah. Süß war ja auch seine Nachricht gewesen, die er ihr mit der Rose geschickt hatte.

 

Diese zarte rote Rose hier,

 

kann deine Schönheit nur unterstreichen,

trage sie doch bitte mir zuliebe,

wenn du heute Abend mit mir tanzt.

Dein Morgan

Wenn Alex glauben konnte, was ihr Elli erzählt hatte, während sie ihr die Rose zwischen Tür und Angel anvertraut hatte, war Morgan nicht nur an einer reinen, platonischen Freundschaft interessiert, sondern hatte echten Gefallen an ihr gefunden. Sie selbst mochte ihn auch... Vielleicht gerade, weil ihr Vater nicht begeistert von ihm schien.

Die ganze Situation kam Alex so unwirklich vor.

Noch vor wenigen Monaten hatte sie ein langweiliges und stinknormales Leben geführt, fest überzeugt davon, dass ihr Vater Alexander Coburn vor über zwanzig Jahren im Einsatz gefallen sei. Plötzlich stand John Casey vor ihr, schlug vor ihren Augen einen CIA-Agenten nieder, kidnappte sie fast schon, warnte sie dann vor einer Gefahr, in der sie sei, weil sie ihn kenne und offenbarte ihr schließlich, dass er Alex Coburn sei -- ihr Vater.

Kurz darauf lernte sie, als sie Caseys Geschichte überprüfen wollte, Morgan Grimes kennen. Ein kleiner, bärtiger und leicht seltsamer Kerl, aus dem sie nicht so richtig schlau wurde, in dessen Gesellschaft sie sich aber aus irgendeinem Grund wohl fühlte. Wohl genug, um ihm ihre Telefonnummer zu geben.

Inzwischen wusste sie mehr. Sie wusste, dass ihr Vater -- noch immer war es für sie ungewohnt, ihn als solchen zu sehen -- Chuck, Sarah, und selbst der scheinbar so schusselige Morgan Spione waren, wobei Morgans Status noch etwas unklar war. John hielt Morgan ja nicht für einen Spion, sondern für eine öffentliche Gefahr, aber etwas sagte Alex, dass sich ihr Vater das eigentlich nur einreden wollte. Schließlich hatten sie beide hervorragend zusammen gearbeitet, als Chuck und Sarah in ihren „Flitterwochen" waren. Inzwischen kannte sie ihn auch gut genug, um die verräterischen Anzeichen zu sehen, die besagten, dass er Morgan zumindest genug mochte, um sich um ihn zu sorgen.

Alex konnte sich das Gesicht ihres Vaters vorstellen, als ihm Morgan damals innerhalb weniger Minuten den Aufenthaltsort von Chuck und Sarah verraten konnte -- eine Aufgabe, an der die besten Analysten der CIA gescheitert waren. Morgan war auch maßgeblich daran beteiligt gewesen, den abtrünnigen Spion Daniel Shaw nach dessen vermeintlicher „Wiederauferstehung" festzunehmen und die führenden Köpfe des RING in Haft zu nehmen, und hatte sich, damit er die Fesseln, die Shaw ihm angelegt hatte, abstreifen konnte, beide Daumen gebrochen, um dann den Alarm auszulösen, der das Buy More evakuiert hätte, das Shaw vermint hatte.

Ihrem Vater war selbstverständlich nur im Gedächtnis geblieben, dass Morgan den Zünder der Minen hatte fallen lassen, nachdem er ihn gefunden hatte -- mit seinen beiden gebrochenen Daumen hatte er ihn einfach nicht mehr halten können -- aber dass bei der Explosion niemand verletzt wurde, zählte für ihn irgendwie nicht.

Seufzend sah sie wieder vom Balkon, aber Morgan war schon außer Sicht. Sie lächelte beim Gedanken, dass er den ganzen Abend neben ihr sitzen würde, und sie vielleicht auch mit einander tanzen würden. Aus irgendeinem Grund wollte Alex für Morgan möglichst gut aussehen, und selbstverständlich würde sie auch die Rose tragen. Sie mochte Morgan, und würde sich ihre eigene Meinung über den kleinen, bärtigen und liebenswürdigen Mann bilden. John Casey konnte toben und sagen, was er wollte, aber sie würde sich von ihm in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen lassen -- oder auch in irgendeiner anderen Hinsicht.

Als sie sich im Spiegel betrachtete, war sie etwas unsicher, ob sie mit der rassigen Elli und der eleganten Sarah mithalten konnte. Die eine war Ärztin, die andere eine knallharte Geheimagentin, und beides war nicht wirklich geeignet, Alex' Unsicherheit einzudämmen, doch dann ermahnte sie sich, daran zu denken, dass sie mit den beiden auch nicht im Wettbewerb stand, denn Elli hatte ihren Mann und Sarah hatte Chuck. Die beiden waren zwar nicht verheiratet, aber selbst Alex, die die beiden erst wenige Wochen kannte, zweifelte nicht einen Moment daran, dass es nur eine Frage der Zeit war.

Als sie in ihr Zimmer ging, sah sie die Waffe ihres Vaters auf der Kommode liegen, und ihr wurde wieder bewusst, dass sie sich hier in der Gesellschaft von drei -- wenn man Morgan hinzuzählte sogar vier -- Regierungsagenten auf einem Galadinner eines ausländischen Regierungschefs in der Karibik befand. „Und bis vor Kurzem habe ich noch Kaffee und Kuchen in einem Diner serviert." überlegte sie.

Um sie nicht noch zusätzlich in Gefahr zu bringen, war ihr verschwiegen worden, dass Chuck der „Intersect" war, doch abgesehen davon, war sie mit den meisten anderen Dingen vertraut. Zum wiederholten Male fragte sie sich, wie sie die Welt jemals wieder mit den gleichen Augen betrachten könnte, mit denen sie sie noch vor kurzer Zeit gesehen hatte.

Gleichzeitig ging ihr aber auch durch den Kopf, dass ihre bisherige Meinung über Agenten und Spione in den letzten Wochen stark verändert wurde. Es gab für sie eigentlich keinen Unterschied, ob sie mit ihrer Mutter, mit Elli oder mit Sarah shoppen war. „Naja... Ich denke nicht, dass Mom so leidenschaftlich shoppen gehen würde wie Elli oder dabei eine versteckte Waffe tragen würde wie Sarah." schmunzelte sie.

Etwas traurig hatte sie die Hoffnung aufgegeben, dass ihr Vater und ihre Mutter in absehbarer Zeit wieder zusammenkommen würden. Es war zuviel Zeit vergangen, und Johns Beruf würde ein zu großes Risiko für ihre Mutter darstellen. Sie selbst durfte ihn auch nur deswegen auf dieser Reise begleiten, weil der Premierminister im Vorfeld die größtmöglichen Anstrengungen unternommen hatte, für Sicherheit zu garantieren.

„Costa Gravas ist zwar jetzt eine Art von Demokratie, aber vergiss nie, dass noch vor sehr kurzer Zeit eine Militärjunta über dieses Land geherrscht hat. Das Land ist nicht so sicher, wie du denkst. Der Premier sorgt zwar für unsere Sicherheit, aber wir dürfen nicht so blauäugig wie Touristen sein." hatte ihr Vater gesagt.

„Naja Dad, solange ich das Gelände der Villa nicht verlasse, bin ich ja in Sicherheit. Und die bösen Menschen werden ja nicht gerade heute Abend den Präsidentenpalast stürmen, oder?" hatte sie ihm geantwortet, und hoffte, dass er seine Fürsorge nicht übertrieb. Sie war ja kein Kind mehr.

 

* * *

 

Der Anlegesteg des Palastes lag mitten auf einem breiten und menschenleeren Strand im Schatten der untergehenden Sonne an der Ostseite der Insel, die „Renovación" dümpelte träge auf den Wellen und Morgan konnte schon die verschiedenfarbig schillernden Luftschichten der nahenden Nacht ausmachen. Die Hitze des Tages war zum größten Teil einer sanften Brise gewichen und auch das Summen der Insekten, die den Tag akustisch dominierten, war verstummt. Nur gelegentliches Brummen der Aggregate in der Nähe der Villa und die Rufe des Personals waren zu hören, und in der Ferne sah er noch ein unbeleuchtetes Fischerboot schnell um die Landzunge biegen, dass vermutlich zusätzliches Personal, Vorräte oder weniger bedeutende Gäste zur Party gebracht hatte.

Morgan wusste, dass die Marine von Costa Gravas einen drei Meilen breiten Sicherheitskorridor um den Palast herum bewachte, und die Sicherheitsüberprüfungen, die er, Sarah, Elli, Alex, Casey, Devon und Chuck über sich hatten ergehen lassen, waren ihm noch immer bestens im Gedächtnis. Nur auf Wunsch von Premier Goya war es Casey, Sarah und Chuck erlaubt gewesen, eine Waffe mitzubringen. Er hatte das im Scherz damit begründet, dass er sich nicht vorstellen könne, wie echte Spione ohne Waffe aussähen.

Der Premierminister faszinierte Morgan. Auf der einen Seite schien er ein gedankenloser Playboy und Despot gewesen zu sein -- es musste ja Gründe gegeben haben, warum alleine Casey mehrere Male den Auftrag erhalten hatte, das Leben des Premiers zu beenden -- und auf der anderen Seite hatte Goya in den letzten Monaten alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sein Land zu demokratisieren. Es gab Säuberungen und Ermittlungen, von denen Goya selbst -- auf eigenen Wunsch -- nicht ausgespart worden war.

Gerade diese Haltung, alles aufzudecken und auch seine eigenen Verfehlungen einzugestehen, hatte Goya den Respekt seines Volkes eingebracht, und war der Grund, warum das Volk verlangt hatte, dass er an der Regierung bleibt, bis sich neue politische Strukturen etablieren können. Sie verziehen ihm auch seinen leichten Hang zum Luxus, wie zum Beispiel sein Speedboat oder seine Automobilsammlung, die er zwar zu seinem persönlichen Vergnügen angeschafft hatte, die aber auch der Allgemeinheit dienten... Die Automobilsammlung war zugleich auch das Herzstück des Museums für Technik in der Hauptstadt Costa Gravas'.

Morgan hatte sich sämtliche Akten und Daten angesehen, und wusste über Costa Gravas vermutlich mehr, als jeder Analyst oder Experte im Pentagon oder bei der CIA.

Morgan schmunzelte, als ihm einfiel, dass er seit dem Vorfall im Zug auf dem Weg nach Zürich auffallend oft mit seinem Wissen punkten konnte. Zwar hatte er keine Datenbank in seinem Schädel wie Chuck, und konnte auch nicht so kämpfen und schießen wie Sarah oder Casey, aber seine Fähigkeit, sich Informationen anzueignen und zu interpretieren war auf jeden Fall ein Grund dafür, dass er einen Platz in diesem Team verdient hatte.

Bei diesem Gedanken lächelnd sah er über das Meer hinaus. „Ob Alex die Rose tragen würde? Ob sie sich über meine Bitte zum Tanz gefreut hat?" Er sah auf die Uhr. Noch etwa zehn Minuten, dann würden die Damen ihren großen Auftritt des Abends haben, wenn sie alle elegant die Treppe hinabschreiten würden, um dann von ihrem Kavalier zu Tisch geleitet zu werden.

Ein Beobachter hätte gesehen, wie Morgan freudig erregt über den Bootssteg tänzelte, in die Luft schlug und es kaum erwarten konnte, mit Alex zu tanzen...

Und es gab einen Beobachter...

 

* * *

 

Die Eidechse war wieder auf der Jagd, und die Abenddämmerung bescherte ihr eine üppige Ausbeute an Glühwürmchen und Zikaden. Ihr Versagen vom Mittag war längst vergessen, und nur ihr voller Bauch war für sie von Bedeutung, als sie über die Planken des Anlegers huschte und dabei fast über die Füße eines dieser lästigen Zweibeiners rannte, der aus irgendeinem Grund in ihrem Weg rumhüpfte.

Ohne hinzusehen huschte sie weiter, glitt vom Steg und rannte, so schnell sie konnte über den Strand zu den Felsen, die den Strand einrahmten. Dort hatte sie eine Höhle, in der sie ruhen konnte, bis der Morgen graute, und sie sich auf die Suche nach einem leckeren Frühstück machen konnte. Sie konnte fast die Blicke des Zweibeiners auf ihrem Schwanz spüren, der ihr amüsiert nachsah, als sie um einen Felsen schoss und mit einem weichen, großen und unbeweglichen Hindernis zusammenstieß. Vor ihr lag ein weiterer Zweibeiner, umgeben von leckeren Fliegen, die für sie ein hübsches Betthupferl sein würden, und bewegte sich nicht -- ja, er atmete nicht einmal mehr. Wenige Meter weiter lag noch einer, doch der war uninteressant, denn da waren keine Fliegen zu holen.

Jetzt konnte sie den anderen Zweibeiner wieder hören, wie er über den Strand rannte -- in ihre Richtung. Vermutlich hatte er die Beine des einen Zweibeiners entdeckt, als er ihr hinterherblickte, und wollte jetzt nachsehen, was los war.

So schnell sie konnte, flüchtete sie unter die Felsen und dachte daran zurück, wie schon es am Strand gewesen war, bevor diese lauten und störenden Zweibeiner aufgetaucht sind. Als sie gerade vollständig im Loch verschwunden war, hörte sie den Zweibeiner etwas laut ausrufen, dass wie „Scheiße... Das ist nicht gut!!!" klang. Aus der Sicherheit seiner Höhle hörte das Reptil dann, wie sich die Schritte des Zweibeiners sehr schnell und unregelmäßig entfernten.

 

* * *

 

Devon hatte es schließlich doch geschafft, die Aufmerksamkeit des grimmig blickenden und sehr bulligen Barkeepers zu erlangen, und hatte drei Drinks bestellt -- und dem Barmann dann erklären müssen, wie sie zu machen waren. „Goya mag ja ein echter Partylöwe sein, aber was gutes Catering betrifft, braucht er wirklich Nachhilfe." dachte Devon finster, und nahm nach einer gefühlten Ewigkeit die drei Drinks in Empfang. Chuck und Casey, wie auch Devon waren beide stilvoll in schwarze Smokings mit schwarzer Fliege gekleidet, standen etwas abseits und unterhielten sich scheinbar angeregt -- schon für sich eine Seltenheit -- und offenkundig nicht über Belange der nationalen Sicherheit oder anderen Spionagekram -- definitiv ein Wunder -- während sie auf Devon und die Drinks warteten.

„Worum geht es denn, Jungs? Ihr scheint ja sehr energisch zu diskutieren." ließ sich Devon vernehmen, als er bei den beiden ankam. „Nicht im Geringsten, Awesome. Es hat sich nur herausgestellt, dass außer dem Architekten niemand so gut über diesen Palast Bescheid weiß, wie John hier." - „Ich habe schon vor zwanzig Jahren die Baupläne auswendig gelernt -- ihr wisst ja, warum." Chuck stieß ihn an. „Egal warum, Tatsache ist, dass mir John gerade einige sehr interessante Sachen über dieses Haus erzählt hat."

Und schon waren die drei in eine Unterhaltung über das alte Gemäuer und dessen Geheimnisse vertieft, nippten an ihren Drinks und genossen die Atmosphäre des Abends. Unabhängig von einander erkannten sowohl Casey als auch Chuck die verschiedensten Würdenträger, und sie drei wurden von einigen der engsten Vertrauten des Premiers begrüßt und auch für später zum einen oder anderen Drink eingeladen. Die drei galten seit dem Wandel im Land als eine Art Helden. So vertrieben sich die Gentlemen die Zeit, bevor ihre Begleiterinnen etwa eine halbe Stunde vor Beginn des Dinner mit ihrem Defilée begannen, und dann ihrem jeweiligen Tischherrn Gesellschaft leisten würden. Selbstverständlich waren Elli und Sarah Devons, beziehungsweise Chucks Tischdamen, und irgendwie hatte es Morgan geschafft, auch offiziell der Tischherr von Alex zu werden. Ein Umstand, der Casey keineswegs gefiel, auch wenn er selbst die reizende Tochter des Premiers zu Tisch führen würde.

„Sagt mal... Hat einer von euch Grimes schon gesehen, seit wir hier unten sind?" Casey sah sich um, etwas verwirrt, weil er es war, dem das Fehlen des „bärtigen Trottels" als erstem auffiel. „Also, mir hatte er vorhin gesagt, er wolle sich noch etwas die Beine vertreten, und würde pünktlich zum Auftritt der Damen zurück sein, um Alex in Empfang zu nehmen."

Das Läuten einer Glocke unterbrach die Unterhaltung. „Ok... Showtime Jungs. Zeigt euer strahlendstes Lächeln. Unsere Ladies verlassen sich darauf, von echten Gentlemen begrüßt zu werden." verkündete Devon. „Ich denke, Morgan wird auch gleich hier sein, er würde sich das nie entgehen lassen."

Die Männer nahmen am Fuß der langen, sich nach unten verbreiternden, Marmortreppe Aufstellung und warteten auf ihre Tischdamen. Als erste erschien die Familienministerin von Costa Gravas, deren Tischherr der Premierminister an diesem Abend sein würde, und dieser bot ihr auch gleich seinen Arm und geleitete sie in den Saal. Gleich dahinter erschien Theresa, die 26jährige Tochter des verwitweten Premierministers, und wurde von Casey mit einem Handkuss begrüßt -- was Devon zu einem erstaunten Blick und Chuck zu einer anerkennend gehobenen Augenbraue verleitete. In Caseys Arm gehakt, ließ sie sich von ihm zur Bar führen, wo sie sich bei einem Drink kennenlernen wollten.

Wenig später erschien erst Elli auf der Treppe, die ihrem Mann fast in die Arme fiel, als sie vor Nervosität über den Saum ihres bodenlangen Abendkleides stolperte. Das burgunderrot des Kleides betonte ihre Figur und passte wundervoll zum satten Rot der Rose in dem auf dieser Seite hochgesteckten Haar, während sie es auf der anderen Seite wie eine Welle über ihre Schulter hatte fließen lassen.

Sarah, die sich huldvoll in Chucks Umarmung schmiegte, sah in ihrem reizvoll ausgeschnittenen azurblauen Abendkleid und mit den locker fallenden Locken atemberaubend aus und die Rose, die sie geschickt über ihrer linken Brust nahe ihres Herzens befestigt hatte, war ein sehenswerter Kontrast. Ihre langen Beine wurden durch den asymmetrischen Schnitt des Kleides noch betont, und Chucks sehnsüchtiger Blick zeigte, dass es seine Wirkung nicht verfehlte.

Alex, die schon von der Treppe aus nach Morgan Ausschau hielt, hatte ein dunkelgrün schimmerndes, knöchellanges Seidenkleid gewählt, dass ihre grünen Augen und ihr rotes Haar unterstrich. Morgans Rose hatte sie mit den Stiel geschickt in ihrem Halstuch verwoben, so dass die Blüte direkt unter ihrer Kehle lag. Etwas nervös bemühte sie sich, ihre Haltung dem Anlass angemessen zu wahren, was ihr gut gelang, wenn man bedenkt, dass sie seit ihrem Abschlussball auf der High School kein Abendkleid mehr getragen hatte.

Gerade als sie fragen wollte, wo Morgan denn steckte, drängte sich seine drahtige und vorlaute Gestalt schon durch die vorderste Reihe, und er ergriff rechtzeitig ihre Hand, damit sie nicht warten musste, mit der anderen fast schon hastig und ungeduldig Chuck, Sarah und Casey heranwinkend.

Etwas gehetzt sah er sich um, fasste einige der Kellner ins Auge, betrachtete intensiv den Bartender und wandte sich dann mit einem gequälten Gesichtsausdruck an Alex. „Es tut mir Leid, Alex... Ich wollte, dass der Abend wunderschön wird." Er küsste sie, doch bevor Casey noch reagieren konnte, hatte sich Morgan zu ihm, Sarah und Chuck gewandt.

„Unten am Strand liegen die Leichen eines Sicherheitsmannes mit einer Kugel im Kopf und des echten Barkeepers mit gebrochenem Genick, fast ein halbes Dutzend der Kellner hier sind nicht, was sie zu sein scheinen, und ich vermute mal, keiner von euch ist bewaffnet." brachte er etwas atemlos hervor. „Ich weiß, wo deine Waffe liegt, Dad..." mit diesen Worten sprang Alex schon die Treppe hoch, bevor sie jemand zurückhalten konnte, schlängelte sich zwischen den nachkommenden Damen der Gesellschaft hindurch und war außer Sicht verschwunden.

„Sagt mir, dass ich mich irre, aber ich denke, wir sitzen verdammt tief in der Klemme, nicht wahr?"

Aus dem Augenwinkel sah Morgan, wie ein Kellner, der unter seinem Jackett eine Pistole hervorzog, nur wenige Schritte hinter Casey stand. Offensichtlich hatte er alles gehört, was Morgan gesagt hatte. Beherzt rempelte Morgan den überraschten Casey an, der gegen den vermeintlichen Kellner prallte. Binnen Sekunden hatte Sarah das Gemenge genutzt, den Mann entwaffnet und mit einem Schlag gegen die Schläfe kampfunfähig gemacht.

„Eine Armeewaffe! Mist!" Morgan sah Casey an. „Zumindest sieht das wie die Ausrüstung der Armee aus, wenn man unserer Aufklärung glauben will." Er nickte zum Bewusstlosen hin, dem Sarah gerade den Puls fühlte. „Und der Kerl trägt eine Hundemarke." Er sah sich um und reichte Casey die Waffe. „Wir haben den Vorteil auf unserer Seite. Noch weiß niemand, dass wir Bescheid wissen."

Er zog den Kragen des Angreifers etwas zur Seite und deutete auf die Tätowierung an der Seite des Halses. „Den Erkenntnissen von DEA und CIA zufolge ist dies das Symbol einer Armeeeinheit namens „Schwarze Wölfe", deren Mitglieder ausnahmslos nach dem Wandel unehrenhaft aus dem Dienst entlassen wurden. Goya hat die meisten ins Gefängnis werfen lassen, nachdem sich herausstellte, dass sie Drogen gegen Waffen eintauschen. Der hiesige Geheimdienst und Langley nehmen an, dass sie einen Umsturz planen -- wie es aussieht, wissen wir jetzt genau, dass es so ist. Sieh dir das Tattoo genau an, Chuck. Du müsstest die Dossiers auch haben." Chuck nickte nur. Auch er hielt seine Datenbanken auf dem Laufenden.

Casey sah Morgan für einen Moment sehr überrascht an, dann fing er sich und sah Elli und Devon an, die sich inzwischen zu ihnen gestellt hatten -- wie durch Zufall genau so, dass der bewusstlose Kellner aus keiner Richtung mehr entdeckt werden konnte.

„Elli, Devon... Ihr sucht und informiert den Leiter der Leibwache. Er soll Verstärkung anfordern, Goya in Sicherheit bringen -- möglichst unauffällig -- und dann seine Männer postieren. An der Rückwand des Saals gibt es eine als Spiegel getarnte Geheimtür, die ihr nehmen könnt. Bleibt bei ihm, dann seid ihr außer Gefahr. Mit etwas Glück, ist die Sache vorbei, bevor sie angefangen hat. Unser Vorteil ist auch, dass das Defilée noch andauert." Die beiden machten sich umgehend auf.

„Sarah... du nimmst Morgan mit und gehst sicher, dass Alex oben in Deckung bleibt. Pass bitte auf beide auf." Sarah verstand, was Casey sagen wollte, und nickte knapp, bevor sie bewusst langsam und unauffällig hinter Morgan die Treppe hinaufstieg. „Du gehst mit mir, Chuck. Wir versuchen schon mal für etwas mehr Gleichgewicht zu sorgen. Vielleicht können wir den einen oder anderen enttarnen und ausschalten."

Gerade als Sarah die Treppe hinauf außer Sicht war, fiel der erste Schuss.

 

* * *

 

Sarah wirbelte Morgan aus dessen Vorwärtsbewegung herum, als dieser reflexartig kehrt gemacht hatte und zur Treppe stürzen wollte. „Bleib hier! Casey und Chuck wissen, was sie tun." Sie lenkte Morgans Blick auf ihre Augen. „Wir müssen für Alex' Sicherheit sorgen. Sie ist keine von uns, und kann sich nicht selbst schützen. Außerdem haben Chuck und ich unsere Waffen in unserer Suite, und die ist in dieser Richtung." Sie deutete den Korridor hinab.

Nachdem sich Morgan nickend und mit einem flauen Gefühl in der Magengrube umwandte, riskierte Sarah selbst einen Blick zur Treppe. Auch ihr war mulmig und sie machte sich Gedanken um Chuck -- und auch um Casey. „Sie kommen schon klar." versuchte sie sich Mut zu machen und konzentrierte sich auf das, was jetzt zu tun war. Sie hatte inzwischen ihre goldfarbenen Sandaletten abgestreift, damit sie die hohen Absätze nicht behindern konnten und rannte hinter Morgan her. Nach wenigen Schritten kam ihnen schon Alex entgegen, mit Caseys TranqGun in der einen Hand und einem Kampfmesser in der anderen. „Ich hab das in Dads Gepäck gefunden, und dachte, wir könnten jede Waffe gebrauchen, die wir finden können." erklärte sie und wollte Sarah die TranqGun in die Hand drücken.

Wortlos reichte Sarah die Waffe an Morgan weiter. „Morgan, du kannst doch mit der Betäubungspistole umgehen, oder?" Sarah hatte mit Morgan und Chuck oft genug an Konsolen gespielt, um zu wissen, dass Morgan ein ausgezeichneter Schütze war... solange die Waffe keinen Rückstoß hatte. „Du behältst vorerst das Messer, Alex, wenn du damit was anfangen kannst..." Alex fasste das Messer fester und nickte. „Ich hab lange genug in der Küche gearbeitet, mit Messer kann ich umgehen." - „... und wir holen jetzt Chucks und meine Waffen aus unserer Suite."

Während Morgan vor der Tür Wache hielt, holte Sarah schnell ihre und Chucks TranqGuns aus dem Koffer, glücklich darüber, dass Chuck die „30-Fuß-Regel" endlich verinnerlicht hatte, die besagte, immer wenigstens eine einsatzbereite Waffe in Reichweite zu haben. Ein leises Reißen und Ratschen ließ sie auffahren, aber es war nur Alex, die mit dem Messer ihr Kleid kürzte, um mehr Bewegungsfreiheit für ihre schlanken Kellnerinnenbeine zu haben. Ihre High Heels lagen hinter ihr auf dem Boden. Mit einem Nicken zu Sarahs Wanderstiefeln hin sagte sie: „Ich hol schnell meine Stiefel aus meinem Zimmer, dann müssen wir nicht barfuß gehen."

Trotz der Situation musste Sarah schmunzeln. Die junge Frau war sehr anpassungsfähig und dachte mit. „Kein Wunder, dass Casey so stolz auf sie ist -- und Morgan verrückt nach ihr." Von der Tür her konnte sie Morgans und Alex' Stimmen hören, und dann begleitete Morgan Alex zu ihrem Zimmer, um ihr Deckung zu geben.

Sarah folgte schnell noch Alex Beispiel und riss ein gutes Stück vom Kleid ab -- Chuck wäre begeistert gewesen, zu sehen, wieviel von ihren schlanken, langen Beinen das Kleid jetzt seinen Blicken preisgeben würden -- , griff sich ihre Messerholster und befestigte sie an ihren Schenkeln, dann prüfte sie die TranqGuns, und als Morgan wieder mit Alex ins Zimmer kam, reichte sie ihm die Ersatzmunition. „Wir müssen vorsichtig sein. Konntest du erkennen, wie viele es sind?" - „Leider nicht genau, aber ich schätze mal noch rund ein halbes Dutzend, die ich bemerkt habe." Sarah fluchte leise, doch dann besann sie sich, wer bei ihr war. „Aber es ist schon mal positiv, dass wir keine weiteren Schüsse gehört haben."

Gerade als sie sich auf den Weg in den Korridor machen wollten -- noch ohne eine Idee, wie sie unbemerkt wieder nach unten gelangen sollten -- bemerkte Alex die Eidechse. Die Echse verschwand gerade in einem Spalt der scheinbar massiven Wand. Als Morgan an dem Spalt zog, öffnete er sich zu einer Tür.

„Hmm... Diese Haus hat wirklich seine Geheimnisse." murmelte er.

 

* * *

 

Es sagt viel über die Geistesgegenwart und das Vertrauen von Allejandro Goya aus, dass er, als er sah, dass sich ihm das Ärzteehepaar Woodcomb mit schnellem Schritt und ernstem Gesichtsausdruck näherte, freundlich seine Gesprächspartner verabschiedete, und schon seinen Sicherheitschef herangewunken hatte, als Devon und Elli ihn erreichten. Mit knappen, aber eindringlichen Worten erklärten sie dem Premier und dem Sicherheitschef die Situation, und Goya übernahm es, den Leiter seiner Sicherheitsabteilung davon zu überzeugen, dass diese beiden Personen absolutes Vertrauen genossen. Zum Glück war der ehemalige Potentat klug genug, nicht gegen seine Rettung protestieren zu wollen, wie es so mancher getan hätte, um seinen Heldenmut zu unterstreichen, vielmehr schien er sich im Moment den Empfehlungen seiner Sicherheitsberater -- zu denen auch Elli und Devon zählten -- zu beugen. Etwas erstaunt waren jedoch sowohl Sicherheitschef als auch Premierminister, von der Geheimtür zu erfahren, die dem Premier die sichere Flucht ermöglichen sollte. Beide hatten davon nichts gewusst, was dem pflichtbewussten und sonst so gründlichen Leiter der Security sauer aufstieß.

Unauffällig veranlasste Marquez, der Sicherheitschef, dass Devon, Elli und der Premier an der Geheimtür mit zwei Sicherheitsbeamten in Zivil zusammentrafen, die ihren Rückzug decken sollten. Er selbst und die restlichen neun Leibwächter, die, zusätzlich zu den zwei Dutzend Sicherheitskräften des Militärs, die das Grundstück sicherten, den Saal überwachen sollten, positionierte er dann strategisch im Raum, und fragte sich, wie er die Attentäter -- er hatte beschlossen sie genau als solche zu sehen -- identifizieren sollte. Er hatte zwar die Personalakten in Händen gehabt, aber er hatte sich nicht alle 142 Gesichter einprägen können, die mit der Instandhaltung, der Hauswirtschaft, dem Catering, der Musik und den anderen zivilen Bereichen der Party befasst waren.

Mit einem erleichterten Aufatmen sah er, wie sich die Geheimtür hinter dem Ärztepärchen, dem Premierminister und den beiden Sicherheitsagenten schloss, und nahm sich fest vor, alles über die Geheimtüren und Geheimgänge in diesem Gebäude herauszufinden. „Jetzt zu den Attentätern. Wer könnte es..."

Genau in diesem Augenblick brachte ein lauter Knall das Stimmengewirr der Party zu einem abrupten Verstummen.

 

* * *

 

Die beiden Sicherheitskräfte stellten sich im engen Gang hinter der Geheimtür sofort schützend vor den Premier und versuchten ihn vor den Gefahren abzuschirmen. Das Licht, dass durch den Einwegspiegel kam, und auf Ellis Gesicht fiel, zeigte ihre Sorge nach dem Schuss. „Elli... Wir sprechen hier von Chuck, Sarah und John... Die können definitiv auf sich aufpassen -- und auf uns andere noch dazu. Du kennst sie doch." Devon sah Ellis skeptischen Gesichtsausdruck.

Die Sicherheitsbeamten drängten sie weiter. „Du weißt selbst am besten, welchen Gefahren sie schon getrotzt haben. Wir müssen uns jetzt konzentrieren, damit wir nicht ins Kreuzfeuer geraten." Elli konnte weder seine Zuversicht teilen, noch die Panik übersehen, die sich auf dem Gesicht ihres Mannes breit machte. Auch wenn er versuchte, es zu überspielen: Devon war genauso besorgt wie sie.

Goyas Gesicht versteifte sich, als er den Mann, den er am meisten hasste und fürchtete, mit geschultertem Sturmgewehr eintreten sah, doch er konnte nichts tun, um die Situation zu ändern. Er konnte die Worte des Anführers sehr genau hören, und war schon versucht, alles auf Spiel zu setzen, und durch den Spiegel zu stürmen, um sich dem Gegner zu stellen, aber ihm war auch genauso klar, dass die Geiseln dann getötet würden, einschließlich seiner Tochter, die sich geistesgegenwärtig hinter die Bar hatte fallen lassen. Der Mistkerl wollte ihn, und solange er dachte, ihn mit den Geiseln hervorlocken zu können, wären die Geiseln in Sicherheit. Der Premierminister hätte vor Wut und Angst um seine Tochter schreien können, aber trotz allem, war er ein vernünftiger Mann, und riss sich zusammen.

„Los, wir müssen weiter. Der Premierminister muss in Sicherheit gebracht werden. Unsere Kollegen werden mit der Situation klarkommen." Der ältere der beiden Männer sah Goya an. „Machen sie sich keine Sorgen, Herr Premierminister. Ihre Tochter ist nicht in Gefahr, und da, wo sie ist, vielleicht sogar in Sicherheit, denn da wird sie vielleicht niemand vermuten." Goya warf ihm einen zweifelnden Blick zu, aber er erkannte, dass der Mann vermutlich Recht hatte.

Im Laufschritt folgten der Premier und die Woodcombs den beiden Sicherheitsleuten den schmalen Korridor entlang, bis sie zu einer steilen Treppe kamen, an deren Ende, dass den Blicken verborgen in der dunklen Tiefe lag, ein leises, rhythmisches Rauschen zu hören war. „Es scheint ein Zugang zum Meer zu sein." stellte Devon fest und begann schon mit dem Abstieg. „Wo werden wir denn da hinkommen, wenn wir jetzt diese Treppe hinabsteigen?" fragte der jüngere der beiden Sicherheitsmänner. „Wo immer es uns auch hinführt, es wird uns auf jeden Fall von denen da fortführen..." erklärte er geduldig, den Korridor hinab in Richtung des Ballsaales deutend. „... und das bedeutet auch, in Sicherheit."

Die aufwärts führende Treppe am anderen Ende des Korridors blieb, übersehen und im tiefen Schatten liegend, unbemerkt hinter ihnen zurück.

 

* * *

 

Durch den Schuss überrascht fuhr der falsche Barkeeper, der gerade widerwillig einen Gast bediente, hoch, und prallte, als er seine eigene Waffe zog gegen die vor dem großen Spiegel aufgestellten Flaschen mit Spirituosen. Ein klirrender Regen aus Glasscherben fiel vor dem Barregal zu Boden, als er hinter der Bar hervortrat -- gerade in dem Moment, in dem Theresa hinter ihr Schutz suchte, und es war wohl nur ein Wunder, dass er sie nicht sah.

In der Reflektion des Spiegels über der Bar sahen Chuck und Casey dann einen Mann in Uniform, der mit geschultertem AK 74 und einer Pistole in der Hand durch die Terrassentür eintrat, und mit einem fast freundlichen Ton forderte: „Mein Name ist General Ignaćio DeVilla, Oberkommandierender der Revolutionsstreitkräfte von Costa Gravas. Legen sie sich jetzt bitte alle auf den Boden, und ihnen wird nichts passieren. Ich will nur mit der imperialistischen Marionette sprechen, der sich widerrechtlich mit dem Titel Premierminister schmückt, und das Vermögen des Volkes verprasst."

Hinter ihm schleiften zwei Soldaten in Uniform einen der Militärpolizisten, die das Gelände sichern sollten, über den Boden, ließen ihn auf den Marmorboden fallen, salutierten zackig und stellten sich dann zu zwei weiteren Uniformierten links und rechts neben die Terrassentür. Die Bewegungen der gerafften Vorhänge an der Tür bemerkten sie dabei nicht.

Die Blutspur, die der Tote hinterließ, machte deutlich, wo der Schuss hingegangen war. Um effektiv die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, hatte General DeVilla den Militärpolizisten direkt vor der Tür des Atriums exekutiert, um ein Exempel zu statuieren. Er wollte durch den Anblick des blutigen Leichnams jeden Widerstand im Keim ersticken.

Chuck und Casey wechselten einen kurzen Blick, und sprachen sich mit knappen Gesten ab, dann legten sie sich wie alle anderen auf den Boden. Casey sah für einen kurzen Moment zu seiner Begleiterin hinüber und signalisierte ihr mit einem knappen Blick und einem stirnrunzelnden Nicken, dass sie bleiben solle, wo sie war.

Auf ein Zeichen des Generals hin, nahmen die Eindringlinge den verbliebenen neun Sicherheitsbeamten in Zivil die Waffen und Funkgeräte ab, und fesselten sie alle in einer Ecke des Raums, die gut im Auge zu behalten war. Hilflos lagen sie unter einem großen Bild, dass die Insel Costa Gravas darstellte -- der Wand gegenüber, durch die Goya, Devon, Elli und die beiden Sicherheitsbeamten verschwunden waren.

Die Angreifer verteilten sich dann im Raum. DeVilla fing wieder an zu reden: „Es ist schön, dass sie jetzt alle hier versammelt sind, dass erspart uns die Mühe, sie aus ihren Zimmern und Suiten zu holen. Trotzdem werde ich so frei sein, die Treppe zu versperren, wir wollen ja keine unliebsamen Überraschungen." Drei Männer postierten sich mit entsicherten Sturmgewehren am Fuß der Treppe und behielten die Menge und die Treppe im Auge.

„Wo ist Marquez?" formulierte Chuck lautlos mit den Lippen in Caseys Richtung. Sie hatten den Leiter der Security, seit der Angriff begonnen hatte, nirgendwo sehen können, und er war nicht mit den anderen Sicherheitsmännern gefangen genommen worden.

In diesem Moment hörte man die Funkgeräte der Sicherheitsbeamten knacken und eine munter-unbekümmerte Stimme ertönte:

„He Lobo, hier ist Marino!" Einer der Sicherheitsbeamten stöhnte leise auf, aber niemand achtete auf ihn. „Willst du mal lachen? Das kann ich außer dir echt keinem erzählen! Ich hab hier eine schwarz-grüne Schlange gesehen. Die musst du dir unbedingt ansehen! Sie misst mindestens 24 Zentimeter im Umfang und allein ihr Kopf ist neun oder zehn Zentimeter lang. Vermutlich ist sie hochgiftig, also solltest du dich beeilen, sonst bekommen wir sie nicht mehr aus dem Hühnerstall. Der Premier wird stinksauer sein, wenn dem Hahn was passiert! Noch rennt er mit zwei Junghähnen und zwei Hühnern irgendwo auf dem Grundstück rum, aber wer weiß, wann die Schlange ihn erwischt." Die Stimme fuhr etwas nüchterner fort: „ Außerdem kannst du der Hauswirtschaft sagen, dass hier draußen von den zwei Dutzend Zierfelsen zehn mit Schlingpflanzen bewachsen sind, fünf sind umgefallen, und die restlichen neun sind verkehrt herum aufgestellt und völlig verschimmelt. Das ist sogar für die vier professionelle Gärtner zuviel. Die hatten ja schon genug mit den Blumenarrangements im Saal zu tun. Das ist ein richtiges Chaos hier. Wenn wir so schlampig wären, würde uns der Premier sicher an den Rand der Welt versetzen, wo uns niemand mehr finden könnte. Hier muss dringend was gemacht werden."

Das Funkgerät verstummte, und der General winkte die vier Uniformierten zu sich. „Goya wird langsam wirklich nachlässig. Wenn wir früher so banalen Quatsch über Funk ausgetauscht hätten, wären wir einen Kopf kürzer gemacht worden. Ein klares Zeichen, dass er weich wird." Er zeigte nach draußen in die zunehmende Dunkelheit des Abends. „Bittet diese Plaudertasche doch mal, sich zu uns zu gesellen. Und beeilt euch, bevor er sich wundert, warum keine Antwort kommt."

Casey und Chuck sahen sich an, und trotz der Situation mussten sie leicht lächeln. Der Sicherheitschef war sein Pulver wert. Er hatte gerade der Küstenwache, die vor der Küste kreuzte, mitgeteilt, dass der Palast gestürmt wurde, sämtliche Kommunikation unterbunden war, und dringend Unterstützung gebraucht wurde. Darüber hinaus hatte er die Angreifer identifiziert, ihre Anzahl durchgegeben, über den Verbleib des Premiers und der Militärpolizisten auf dem Gelände Auskunft gegeben, klargestellt, dass alle Sicherheitskräfte im Inneren außer Gefecht sind, er also alleine dasteht, und auch die vier ausländischen Agenten erwähnt, die unterstützend eingreifen werden, wenn sie können.

„Sieht nicht so aus, als hätte DeVilla etwas bemerkt." ließ Chuck Casey wissen. Mit dem Kopf deutete er auf einige der Bewaffneten und dann auf die gefesselten Sicherheitsbeamten, von denen einer, scheinbar durch die Stimme seines Vorgesetzten angespornt, versuchte gegen seine Fesseln anzukämpfen, auch wenn das bei diesen Fesseln kaum Aussicht auf Erfolg haben würde. Die Angreifer waren in der Minderzahl, wenn man Casey, Chuck und Sarah -- und auch Morgan, denn genau das hatte Marquez schon getan -- einrechnete. Casey nickte, und sein Gesicht spiegelte nur eine Frage wieder: „Hast du ne Idee?"

Die beiden Sicherheitsbeamten drückten sich an die Felswand hinter dem Ausgang außerhalb der geräumigen Höhle die am Ende der Treppe lag, und sahen sich um. Sie hatten einzeln aus dem engen und niedrigen Loch kriechen müssen, denn der Ausgang maß höchstens einen Meter im Quadrat -- was den Eingang vom Strand aus nicht sichtbar sein ließ. Der ältere der beiden nahm sich vor, in einem Bericht anzuregen, sowohl sämtliche Geheimgänge, als auch alle Höhlungen und Aussparungen in der Umgebung der Villa kartographieren zu lassen, um die Sicherheit zu erhöhen.

Gemeinsam zogen sie Elli dann aus der Höhle, und nahmen den Premierminister in Empfang, der von Devon nach draußen bugsiert wurde. Schließlich war auch Devon draußen. Sie sahen sich gerade genauer um, und versuchten festzustellen, wo genau sie sich befanden, als sie eine Stimme hörten. Die Sicherheitsbeamten, die ihren Chef natürlich nur zu gut kannten, erkannten seine Stimme, und begriffen sofort, was der Funkspruch zu bedeuten hatte.

Etwas über 50 Meter weiter lagen zwei Leichen. Die eine Leiche, zu der auch das Funkgerät gehörte, über das die Stimme erklungen war, trug die Uniform der Militärpolizei, die andere trug eine Fliege und eine Schürze, und war mal der Barkeeper gewesen, mit dem sich Morgan unterhalten hatte. Goya nahm die Waffe des Toten an sich, und fühlte sich gleich etwas wohler, da er jetzt auch zu seinem - ihrem -- Schutz beitragen konnte.

„Alles in Ordnung, die Marine wird zweifellos den Funkspruch verstehen, und Verstärkung schicken." erklärten sie, nachdem sie den Zivilisten -- auch wenn der Premierminister selbst ein Militär war, bevor er an die Macht kam, war er für die Sicherheitsmänner in diesem Moment nur ein Zivilist, dessen Leben es zu beschützen galt -- den Inhalt des Funkspruchs erklärt hatten. „Gut, dann können sie beide ja wieder zurück, und ihre Kollegen unterstützen. Ich denke, dass uns dreien hier keine Gefahr droht." schlug Goya vor, und es klang fast wie ein Befehl. „Ich denke, sie werden da drin gebraucht." - „Bei allem zu Gebote stehenden Respekt, Herr Premierminister. Wir müssen ihr Anliegen zurückweisen, denn wir sind für ihre Sicherheit verantwortlich."

Goya wollte gerade auffahren, als ihm Elli die Hand auf den Arm legte. „Allejandro... Die Männer haben Recht. Wir haben nur notdürftigen Schutz gefunden und können nur hoffen, dass die Verstärkung bald eintrifft." Sie blickte unbehaglich zu den beiden Leichen hinüber, und sah Goya noch einmal tief in die Augen. „Sie dürfen sich jetzt nicht in Gefahr bringen. Es wäre dumm von ihnen jetzt den Helden spielen zu wollen. Ich verstehe, dass sie sich Sorgen um Theresa und die anderen da drin machen, aber da drin sind einige Leute damit beschäftigt, zu tun, was nötig ist, damit keiner von uns hier zum Helden oder Märtyrer werden muss. Lassen sie sie ihre Arbeit tun, Allejandro!"

Goya schmunzelte wider Willen, denn sie hatte Recht, und auch wenn sie alle in Gefahr waren, konnte er den Gedanken nicht unterdrücken, dass er gegenüber John Casey mit seiner Einschätzung der Frauen in der „erweiterten Familie Bartowski" voll und ganz Recht hatte.

„Sie haben Recht, meine Liebe." er wandte sich an die beiden Sicherheitsbeamten. „Und jetzt?"

 

* * *

 

Wenn man es genau nahm, war es kein Gang, sondern eine Treppe, die sich vor Sarah, Alex und Morgan auftat. Staubig, voller Spinnweben, aber offensichtlich nicht baufällig. Morgan betrat als erster den kurzen Absatz, der der Treppe vorgelagert war, und tastete an der Wand entlang nach einem Lichtschalter. Es gab tatsächlich einen Schalter -- einen alten Drehschalter, wie sie seit sicher dreißig Jahren keine Verwendung mehr fanden. Ein schwaches Licht glimmte die Treppe entlang auf, als er ihn betätigte. Schwach, aber doch hell genug, dass sie sehen konnten, dass die Treppe an ihrem Ende in einen sehr schmalen Gang überging, von dessen Ende ein leises Rauschen kam.

„Wir sollten es uns auf jeden Fall mal ansehen, dann wissen wir, ob es uns etwas nützt." meinte Sarah und hob ihre Waffe. „Ich gehe voraus, und du sicherst unseren Rücken. Du bleibst dicht bei mir, Alex, und sei vorsichtig, wir wissen nicht, wie stabil die Treppe ist."

Langsam schlichen sie die -- noch überraschend stabilen -- Stufen hinab, nachdem Morgan die Geheimtür soweit zugezogen hatte, dass sie von Außen -- hoffentlich -- nicht auffiel. „Es kommt mir vor, als sei hier seit Jahrzehnten niemand mehr gewesen." merkte Alex an, und Morgan antwortet ihr: „Soweit ich weiß, hat Goya diese Villa immer schon hauptsächlich für Besucher verwendet, und sich selbst hier nie großartig aufgehalten. Vermutlich wusste er nichts davon, und wenn sich niemand die Mühe gemacht hat, den Kasten auf den Kopf zu stellen, könnte es wirklich sein, dass die ganzen Geheimgänge hier drin längst vergessen sind." - „Ich hoffe, niemand von euch hat Angst vor Spinnen." ließ sich Sarah vernehmen, und deutete auf die Wände. „Das würde erklären, was die Eidechse hier wollte. Die hat hier mehr oder weniger ihre eigene Speisekammer." murmelte Morgan unbehaglich, denn er hatte zwar keine Angst vor Spinnen, aber ein Fan war er auch nicht. „Psst! Ich glaube, ich kann Stimmen hören." Alex glitt lautlos an Sarah vorbei und presste ihr Ohr an die Wand. „Ja, ich kann etwas hören, klingt wie aus einem Funkgerät." Sarah lehnte sich neben sie an die Wand und lauschte konzentriert dem Funkspruch, den Marquez an die Marine geschickt hatte.

Derweil war Morgan etwa zwei Meter neben den Beiden an die Wand getreten, und hatte etwas entdeckt, was ihn unter normalen Umständen sehr amüsiert hätte. „Hier sind Gucklöcher." flüsterte er. Er zog die Abdeckung zur Seite und sah hindurch.

Vor ihm lag das gesamte Atrium, der von drei Seiten von Wänden umschlossene Saal, dessen vierte Wand vollständig aus Fenstern und Terrassentüren bestand, die der großen Prunktreppe gegenüber lag. Auf der ihm entgegengesetzten Seite des Raums war der große Spiegel, durch den der Premier in Sicherheit gebracht worden war, und in ihm sah er, dass die „Wand" an der Alex und Sarah lauschten, vom Saal aus gesehen das riesengroßes Bild der Insel war, dass die Südwand des Saals dominierte. „Könnte es sein?" ging ihm durch den Kopf.

Er sah genauer hin. Alle Gäste und Bediensteten lagen regungslos auf dem Boden -- er konnte auch Chuck und Casey entdecken, die sich scheinbar mit winzigsten Gesten verständigten -- und wurden von den bewaffneten Soldaten der „Lobos Negres" bewacht. Dann sah er es. Ganz hinten in der Ecke saßen die neun verbliebenen Leibwächter gefesselt unter dem großen Bild... „Moment mal! Die sind nicht dort... Die sind HIER!!" Morgan hatte sich für einen Augenblick vom Spiegelbild verwirren lassen... Die gefesselten Bodyguards lagen weniger als einen halben Meter vor Sarahs und Alex' Knien!

Er sah sich nach Alex und Sarah um, und sah, dass Sarah wohl auch auf die gleiche Idee gekommen war. Sie suchte mit Alex die Wand vor sich nach einem Scharnier oder einer anderen Vorrichtung ab, mit der das riesenhafte Bild bewegt werden konnte. Wenn der Spiegel eine Geheimtür war, warum sollte das Bild nicht auch eine sein?

 

* * *

 

„Jago, Manuel, Enrico... hat einer von euch unser Plappermäulchen schon entdecken können?" Einer der vier Lobos, die DeVilla hinter „Plaudertasche" hergeschickt hatte, nicht wissend, dass es Marquez war, nahm für einen Moment auf einem Felsen Platz. „Negativ, noch nichts!" - „Hier auch nichts." - „Kein Zeichen von dem Kerl." - „Vermutlich sitzt der irgendwo und hat nichtmal mitbekommen, was los ist." ertönten die Antworten aus dem Funkgerät des Mannes, bevor er selbst antwortete: „Hier am Anlegesteg ist er auch nicht, ich werde mich noch etwas umsehen, aber ich wette, der sitzt irgendwo im Gebüsch und raucht. Wer ihn findet, kann ihn behalten."

Als er das Funkgerät wieder verstauen wollte, riss etwas seinen Kopf nach oben und zur Seite, und sein Genick brach mit einem trockenen Knacken.

Marquez zog die Leiche des Soldaten zwischen die Felsen, und nahm ihm Waffen und Funkgerät ab. „Einer weniger... schon ein Anfang." Er atmete tief durch und überprüfte die Waffe des Mannes, den er gerade getötet hatte, dann steckte er sie in seinen Hosenbund und überprüfte auch seine eigene Waffe noch einmal, froh, dass er keinen verräterischen Schuss hatte abgeben müssen.

In diesem Moment hörte er die Stimmen.

 

* * *

 

Der ältere der beiden Sicherheitsbeamten wollte gerade um einen Felsen biegen, als er plötzlich nach vorne gerissen wurde, und unvermittelt auf dem Boden lag -- verwirrt und benommen in das falsche Ende einer 9mm P.A. blickend. Er hörte, wie sein Partner seine Waffe zog und auf den Angreifer anlegte, den er nicht gut sehen konnte, da dieser größtenteils vom Felsen verdeckt wurde.

„Legen sie die Waffe weg, Ramirez, sie können mich von ihrem Standort aus nicht treffen, und der Schuss würde die Aufmerksamkeit der Falschen wecken. Das gleiche gilt auch für sie Premierminister."

Als die beiden die Stimme von Marquez erkannten, atmeten sie erleichtert auf. „Stehen sie auf, Garcia. Ist mit ihnen und den Woodcombs alles in Ordnung, Premierminister?" - „Ja, es ist alles in Ordnung. Wir sind gleich hier hinten."

Nachdem ihm von Marquez aufgeholfen wurde, führte Garcia ihn zu Ramirez und den Zivilisten, und erklärte kurz, wie sie es an den Strand geschafft hatten.

„Sie haben Recht, Garcia, wir müssen wirklich sämtliche Geheimgänge kartographieren." - „Ich würde empfehlen, dass sie sich dafür mit Colonel Casey kurzschließen, ich denke, er kennt die meisten, wenn nicht sogar alle." meinte Devon, und war froh, dass sie doch noch einen weiteren Verbündeten hatten. „Meinen sie, dass die Marine ihren Funkspruch verstanden hat, und was unternimmt?" wollte Elli wissen, während die drei Sicherheitsmänner die Munition aufteilten, die Marquez dem Toten abgenommen hatte.

„Ich war mit dem Kommandanten der Fregatte, der die Sicherheitsmaßnahmen koordiniert, auf der Schule, und ich denke, dass in diesem Moment schon einige Kampftaucher und andere Einheiten auf dem Weg hierher sind. Er und ich haben immer schon einen guten Draht zu einander gehabt, darum wird er es verstehen können. Außerdem ist „Marino" ein Codewort, das für die Marine den Befehl zum Eingreifen beinhaltet. Aber sie werden frühestens in zwanzig Minuten eintreffen, und werden hier draußen auf Widerstand treffen. Wir werden schon früher eingreifen müssen, denn DeVilla ist kein geduldiger Mann." Er zog die Gruppe näher an die Felsen und noch weiter außer Sicht.

„Fassen wir mal zusammen: Seit dem ersten Schuss wurden keine weiteren abgegeben, was gut ist. Colonel Casey und Agent Bartowski sind im Saal, und meines Wissens unbewaffnet. Die Agenten Walker und Grimes..." Elli musste wider Willen etwas schmunzeln, als sie hörte, wie Morgan als Agent bezeichnet wurde, so ungewohnt und seltsam -- aber auch richtig -- klang diese Bezeichnung in ihren Ohren. „... sind mit Señorita Coburn im ersten Stock, vermutlich in der Nähe oder in Agent Walkers Suite. Der Premierminister und sie beide sind hier sicher, und ein Teil von DeVillas Männern ist auf dem Gelände hinter mir her. Die Sicherheitskräfte im Saal sind erst einmal außer Gefecht, da kann ich nichts machen. Aber was ich machen kann, ist, zu versuchen, den Geheimgang zu nutzen, um ins Innere der Villa zu kommen, und dann die Lage zu peilen."

Marquez erhob sich und sah sich um. „Sie sind hier vorerst in Sicherheit, bis die Verstärkung eintrifft." Inzwischen war es gänzlich dunkel, und nur der Lichtschein des Palastes erlaubte es, irgendetwas zu sehen. Marquez ging nochmal zum toten Soldaten zurück und holte dessen Taschenlampe. „Ein Nachtsichtgerät wäre jetzt nicht schlecht." seufzte der oberste Leibwächter und durchsuchte wider besseres Wissen noch einmal die Leiche. Mit einem hoffnungsvollen Blick über das Meer kehrte er zu den vier Menschen, die sich auf ihn verließen, zurück.

„Die eintreffende Verstärkung wird sie in Sicherheit bringen, und wenn sie ihnen zeigen, wie sie in den Geheimgang kommen können, vergrößern sich unsere Chancen, dem ganzen Spuk schnell und ohne große Verluste ein Ende zu machen. Seien sie vorsichtig." Mit diesen Worten zwängte er sich durch den engen Eingang in die Höhle, und machte sich auf den Weg.

 

* * *

 

Chuck glaubte erst, er hätte sich geirrt, aber als er dann genauer hinsah, stellte er fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Das große Bild, vor dem die gefesselten Leibwächter lagen, hatte sich wirklich ein kleines Bisschen bewegt, und jetzt konnte er auch ganz kleine Bewegungen bei den Sicherheitsbeamten feststellen. Er sah sich um, aber scheinbar war er der Einzige, der es bemerkt hatte. „He... Psst... Casey..." zischte er, so laut er es wagen konnte, ohne die Aufmerksamkeit der Wachen zu erregen. Mit den Kopf deutete er auf das Bild und sah Casey an. Ein kurzes Aufblitzen und Nicken machte ihm klar, dass er es jetzt auch gesehen hatte. Wenn der Spiegel eine Geheimtür war, warum dann nicht auch das Bild. Er sah Casey kurz fragend an, und dieser nickte knapp.

Chuck war sich voll und ganz bewusst, dass ein Großteil dessen, was ihm jetzt durch den Kopf schoss, Wunschdenken war; nichts desto trotz kalkulierte er die Möglichkeit ein, dass in diesem Augenblick die neun Leibwächter befreit würden, und sich hinter diesem Bild sowohl Verstärkung, als auch eine Möglichkeit befand, die Geiseln in Sicherheit zu bringen. Fieberhaft überlegte er, was er und Casey tun konnten, um die Wachen, und insbesondere den General, der wie ein Tiger im Käfig umherwanderte und an seiner Zigarre paffte, abzulenken, um die Aktionen, die derjenige, der hinter dem Bild war, plante, zu decken. Ein Vorteil war, dass weder der General noch die Wachen einen Blick für die gefesselten Leibwächter übrig hatten, deren Gesichter inzwischen eine Mischung aus Anspannung und Wut zeigten. Vermutlich waren sie der Meinung, dass diese jetzt keine Gefahr mehr darstellten. Wenn Chuck mit seinen Überlegungen Recht behielt, würden sie eine faustdicke Überraschung erleben.

Chucks Gedanken wurden von der Stimme DeVillas unterbrochen, dem wohl etwas eingefallen war. „Ihr drei seht euch doch mal im oberen Stockwerk um, wir sollten sichergehen, dass wirklich niemand hier die Party schwänzt." Die drei Soldaten, die die Treppe besetzt hatten, machten sich auf den Weg hinauf, und soweit Chuck es jetzt überblicken konnte, waren einschließlich des Generals nur noch fünf Eindringlinge da -- leider waren alle fünf bis an die Zähne bewaffnet. Und weder er, noch Casey hatten etwas, was sich als Waffe eignen würde, oder eine Ablenkung darstellte... Oder doch? Chuck sah sich noch einmal um, und dann fiel sein Blick auf etwas, was er die ganze Zeit vor Augen gehabt hatte, aber er hatte den Nutzen einfach nicht erkannt.

 

* * *

 

Sarah hatte es geschafft, die Fesseln zweier Bodyguards durchzuschneiden und reichte den Beiden jeweils eines ihrer Messer, damit sie unauffällig die anderen Leibwächter befreiten, die sie nicht erreichen konnte. Jeder der Wachmänner bekam eines der Messer. Zwar war das keine beeindruckende Bewaffnung, aber wenigstens mussten die Männer nicht mit bloßen Händen kämpfen.

In diesem Moment kam Morgan die Treppe hinauf, die er entdeckt hatte und flüsterte leise: „Die Stufen führen in eine Höhle am Strand, und da ist auch eine Öffnung, durch die die Geiseln an den Strand fliehen können. Ich denke, wenn die Marine den Funkspruch aufgefangen hat, wird bald Hilfe eintreffen." Er sicherte seine Waffe und steckte sie wieder ein. „Wie sieht es im Saal aus, Alex?"

Alex hatte sich ans Guckloch gestellt und behielt die Geiseln und die Geiselnehmer im Auge. „Alles ist noch ruhig. Der Typ mit dem ganzen Lametta sieht zwar sehr angespannt aus, aber sie scheinen zu denken, dass von den Sicherheitsbeamten keine Gefahr ausgeht. Vor ein paar Minuten sind drei von denen nach oben gegangen, aber bis jetzt kam keiner zurück, und wenn du die Tür oben richtig geschlossen hast, sind wir hier noch in Sicherheit."

Obwohl die Situation äußerst ernst war, durchzuckte Morgan das brennende Verlangen, Alex zu küssen. Sie war wirklich die Tochter ihres Vaters, nur dass sie ihn nicht ent- sondern eher ermutigte. So unerschütterlich, wie sie sich gehalten hatte, seit die Geiselnahme begonnen hatte, hätte sie ohne weiteres auch ein Mitglied einer Spezialeinheit oder eine Agentin sein können. Morgan fühlte sich von ihr nicht nur angezogen, sondern auch motiviert und angespornt. Jetzt verstand er das Verhältnis von Chuck und Sarah aus der Anfangszeit besser.

Aber jetzt war nicht die Zeit und auch nicht der Ort, deswegen hielt sich Morgan zurück, ohne zu wissen, dass Alex seine Gefühle in seinem Gesicht ablesen konnte. Sie trat an ihn heran und küsste ihn ganz leicht auf die Wange. „Ich bin mir sicher, dass du die Tür richtig geschlossen hast, sonst wären sie doch schon längst hier." Dann wandte sie sich wieder ihrer Überwachung des Saals zu.

Morgan hätte nur zu gerne etwas gesagt, aber in diesem Augenblick ging die Schießerei los, und Sarah zog ihn mit sich durch die nun offene Geheimtür in den Saal -- in dem gerade die Hölle losbrach.

 

* * *

 

Marquez staunte nicht schlecht, als er die Treppe erklommen hatte, und durch den Einwegspiegel in den Saal blickte. Sämtliche Gäste und Bediensteten lagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, und General DeVilla tigerte durch den Raum wie ein gefangenes Raubtier. Offensichtlich hatte der General erwartet, den Premierminister auf dem Präsentierteller vorzufinden, um ihn dann vor allen Gästen und Würdenträgern zu demütigen. Zum Glück schien er Theresa hinter der Bar noch nicht entdeckt zu haben, sonst hätte er sie schon längst als stärkstes Druckmittel einsetzen können. Scheinbar fasste er sich noch in Geduld, weil er dachte, Goya noch mit irgendetwas hervorlocken, oder durch seine Männer finden zu können.

DeVilla hatte Goya nie verzeihen können, dass ihn dieser verhaften ließ und ihm den Prozess machte. Lange hatte der Premier die Augen davor verschlossen, dass einige seiner ehemaligen Kampfgefährten aus der alten Zeit schon lange nicht mehr an die Ideale glaubte, die sie einst dazu veranlasst hatten, die früheren Machthaber zu stürzen. Es war ein Mythos, dass ein Staatschef immer über alle Handlungen und Taten seiner Untergebenen und Mitstreiter informiert war -- besonders dann, wenn diejenigen, die ihn informieren sollten selbst diejenigen waren, die sich schuldig machten. Als Goya das ganze Ausmaß der Verbrechen erkannt hatte, war es für ihn eine Frage der Ehre und der Verpflichtung für sein Volk, dem ein Ende zu machen, und die Schuldigen zu bestrafen. DeVilla, der sich selbst als über dem Gesetz stehend wähnte, fasste das als persönlichen Angriff auf, und schwor Rache. Eigentlich hätte DeVilla zusammen mit fast seiner ganzen Einheit im Staatsgefängnis in der Hauptstadt sitzen sollen. Dass er jetzt hier war, würde etwas sein, was genauestens zu untersuchen war, wenn die Situation erst einmal geregelt war.

Marquez verschaffte sich einen Überblick über die Lage im Saal, und stieg dann die Treppe hinauf, die er zuvor im Licht seiner Taschenlampe entdeckt hatte. Wie es aussah, führte sie in den ersten Stock, wo sich seines Wissens auch die beiden Agenten Walker und Grimes mit der Zivilistin aufhalten mussten. Vielleicht konnte er mit ihnen eine Strategie entwickeln, um das Terrain für das Eingreifen der Marineeinheiten vorzubereiten.

Lautlos schlicht er die Treppe hinauf, und drückte vorsichtig die Tür am Ende der Treppe auf. Ein rascher Blick zeigte ihm, dass in diesem Teil des Korridors kein Mensch war. Direkt vor ihm war das Zimmer von Agent Grimes, und als er vorsichtig die Tür aufdrückte, war dahinter nichts als Stille und ein relativ aufgeräumtes Zimmer. Er zog sich zurück und glitt eine Tür weiter in das Zimmer des Ärztepaares Woodcomb. Auch das war menschenleer und vollkommen still.

Gerade als Marquez das Zimmer wieder verließ, traten DeVillas Männern aus der Suite, die Agent Casey mit seiner Tochter bewohnte, und eröffneten das Feuer aus ihren AK 47, als sie ihn sahen.

Er ließ sich zusammensacken und feuerte im Fallen drei Schüsse ab, von denen sich einer in die Wand unter dem Fenster bohrte, ein zweiter einem der Angreifer den Kiefer zertrümmerte, bevor er ins Gehirn drang und ihn tötete, und der dritte Schuss durchschlug die Lunge und die Hauptschlagader eines zweiten Angreifers.

Da der dritte Angreifer das Feuer nicht einstellte, musste sich Marquez in eine Nische drücken, um nicht getroffen zu werden. Als er hörte, dass das Magazin der Kalaschnikow leergeschossen war, wirbelte er aus seiner Deckung und tötete den letzten der drei Männer mit einem gezielten Kopfschuss, bevor der eine der Waffen seiner gefallenen Kameraden erreichen konnte.

Von draußen war jetzt das Knattern automatischer Waffen und gebrüllte Kommandos zu hören, was bedeutete, dass die Verstärkung eingetroffen war. Doch Marquez wollte nicht warten und riskieren, dass den Geiseln etwas zustieß. Er rannte den Flur entlang und wollte die Treppe hinabrennen, als sich ihm ein Anblick bot, der auch für ihn nicht alltäglich war.

 

* * *

 

Als Chuck den ersten Schuss hörte, sprang er auf, riss die Kamera mit sich, die er keinen Meter vor sich auf dem Boden hatte liegen sehen, betätigte den grellen Blitz und rammte dem geblendeten Geiselnehmer den Photoapparat gegen die Kehle, während er ihm gleichzeitig die Waffe entwand. Aus den Augenwinkeln sah er einerseits, dass Casey ebenfalls schon einen Mann entwaffnet hatte, und andererseits entdeckte er, dass das Bild jetzt völlig zur Seite geschoben war, und Alex die Geiseln bereits durch die getarnte Tür trieb, während ihr Morgan und Sarah Feuerschutz gaben und sich die befreiten Leibwächter nach Kräften bemühten, die anderen Angehörigen von DeVillas Privatarmee zu überwältigen und zu entwaffnen. Derweil waren im ersten Stock noch Schüsse zu hören, und auch von Außen war jetzt Kampflärm zu hören.

Seit dem ersten Schuss von oben waren höchstens 30 Sekunden vergangen, und es sah fast so aus, als hätten sie es geschafft, und die Lage unter Kontrolle, als etwas Unvorhersehbares geschah:

Völlig unvermutet packte einer der Bodyguards Morgan, entwand ihm die TranqGun und stieß ihn in Richtung des Generals, der ihn ergriff und ihm die Pistole an die Schläfe setzte.

„Aufhören!!! Lasst die Waffen fallen und geht von meinen Männern zurück!!! Sonst spritzt sein Gehirn an die Wand!!!" Alex wollte zu Morgan rennen, wurde aber von dem abtrünnigen Sicherheitsmann abgefangen und festgehalten, bis sie sich ihm mit Gewalt entziehen konnte. Man konnte es DeVillas Gesicht ansehen, dass er es todernst meinte, und Morgan töten würde, wenn sie nicht taten, was er sagte. Nach und nach hörte man, wie Waffen zu Boden fielen, und Chuck, Sarah und Casey konnten nur voller Wut zusehen, wie der General langsam mit Morgan als lebendem Schutzschild rückwärts zur Terrassentür ging. „Wir ziehen uns nicht zurück, Männer! Ihr haltet die Stellung hier! Wir sind die Zukunft hier, und auch imperialistische Mistkerle wie dieser hier werden uns nicht aufhalten! Sie werden alle sterben, genauso wie er!" DeVilla spannte den Hahn seiner Pistole.

„Wenn sie ihm nur ein Haar krümmen, mache ich ein Sieb aus ihnen!" war auf einmal eine Frauenstimme zu hören, und im nächsten Moment hämmerte Alex den Griff der Pistole, die sie ihm gerade aus der Tasche gezogen hat, gegen den Schädel des verräterischen Personenschützers, der sie wenige Augenblicke zuvor festgehalten hatte. „Ich würde es mir an ihrer Stelle gut überlegen, was sie tun. Sie wissen, dass sie hier nicht rauskommen werden. Draußen sind schon Rettungskräfte auf dem Weg, und die meisten ihrer Männer sind zweifellos außer Gefecht." - „Ich bezweifle, dass sie den Mut haben, einen Menschen kaltblütig zu töten, junge Dame. Legen sie die Waffe weg, bevor hier gleich zwei Leichen liegen. Wissen sie denn überhaupt, wie man eine Waffe benutzt?" - „Wenn sie es nicht weiß, ich weiß es, und ich habe auch keine Hemmungen, ihr Blut über die Wände spritzen zu lassen, Ignaćio." Marquez stand am Kopf der Treppe und sah über den Lauf des AK 47 auf General DeVilla hinab.

„Sie wissen, dass sie keine Chance zur Flucht mehr haben, DeVilla..." Casey hatte inzwischen seine Waffe wieder aufgehoben und zielte damit ebenfalls auf DeVilla. „Lassen sie die Waffe fallen, und ich bin sicher, der Premier wird Gnade zeigen, soweit er kann." - „Ich werde mich nicht noch einmal der Gnade und der Willkür dieses Verräters ausliefern..." Morgan suchte für einen Moment Caseys Blick, und nickte kaum merklich. „... lieber sterbe ich!" Bevor Casey noch richtig begreifen konnte, was er vorhatte, tat Morgan das, was er bei körperlicher Gewalt immer schon am besten konnte: Er machten „den Morgan", schlug dabei DeVillas Waffe mit der Hand nach oben, und ließ sich dann fast übergangslos fallen. „Das kannst du haben, Arschloch!" zischte Morgan dabei. Mehrere Schüsse -- das Knattern der Kalaschnikow und das heisere Bellen von zwei 9mm P.A. - pfiffen durch die zum Schneiden dicke und bewegungslose Luft des Saals, und Morgan konnte schwören, dass eine der Kugeln nur Millimeter neben seinem Ohr in ihr Ziel flog -- seltsamerweise stand in dieser Richtung nur Alex mit einer Waffe da.

General Ignaćio DeVilla, Kommandeur der „Schwarzen Wölfe", Drogenbaron und verkappter Revolutionär wurde von der Wucht der Kugeleinschläge hin und her geschleudert und fiel dann rückwärts durch die gläserne Terrassentür, schon lange tot, bevor er auf dem Boden aufschlug.

Wie die Schlange, deren Kopf abgeschlagen wurde, waren auch die „Schwarzen Wölfe" ohne ihren Anführer hilflos und ergaben sich umgehend kampflos. Den bewusstlosen Verräter aus den Reihen der Personenschützer, den Alex außer Gefecht gesetzt hatte, nahm Marquez persönlich in Gewahrsam, die auf dem Gelände der Villa stationierten „Wölfe" und übergelaufenen Militärpolizisten ergaben sich ebenfalls kampflos der Übermacht der Kampftaucher, der befreiten Militärpolizisten und der Marineinfanteristen, und der überschwänglich dankbare Premierminister kam mit Devon und Elli im Schlepptau in den Saal und beglückwünschte alle Beteiligten zu ihrem beherzten und besonnenen Eingreifen.

Casey hatte, während sich die Angreifer ergaben, schon Theresa hinter der Bar hervorgeholfen und führte sie jetzt zu ihrem Vater. „Sie haben eine sehr tapfere Tochter, Allejandro. Sie hat die Nerven bewahrt, und ist in Deckung geblieben." - „Und sie haben eine sehr mutige Tochter, John... die auch sehr viel von ihnen hat. Und offensichtlich kann sie auch auf sich aufpassen." Die beiden Väter sahen sich an und verstanden einander.

Während sich Sarah und Chuck in die Arme fielen, sich küssten und dann in eine ruhige Ecke zurückzogen, ging Morgan langsam auf Alex zu, nahm ihr die Pistole aus der zitternden Hand und küsste sie einfach nur liebevoll. „Alles in Ordnung mit dir?" Er sah ihr lange und tief in die Augen. „Du hast dich für mich in Gefahr gebracht... Warum nur?" Alex lächelte sehr schwach und schien, als wollte sie gleich umkippen. „Weil ich dich liebe, du bärtiger Troll." flüsterte sie, bevor sie in seine Arme sank. Als sich Casey neben sie stellte, und den Arm um Alex legte, wollte sich Morgan zurückziehen, aber John griff sich seinen Arm und zog ihn mit einem aufmunternden und anerkennenden Nicken zurück in die gemeinschaftliche Umarmung. Er klopfte ihm sogar auf die Schulter. „Ich bin stolz auf dich, Alex..." nach einer Pause sprach er dann etwas unbeholfen die Worte, von denen er nie dachte, sie zu sagen: „Ich bin auch auf dich Stolz, Morgan. Das war eine hervorragende Aktion, die ihr drei da improvisiert habt. Und du hast die Nerven behalten." - „Ist schon gut, John. Ich habe ja auch von den Besten lernen können." - „Pass einfach nur gut auf mein Mädchen auf, Grimes... Ich will nicht, dass sie verletzt wird." Mit diesen Worten zog er sich zurück.

Der Premierminister, der mit halbem Ohr gelauscht hatte, schmunzelte nur, und nahm endlich seine Tochter in den Arm, froh, dass ihr nichts zugestoßen war, und doch auch mit einem Gefühl der Schuld, weil sie seinetwegen in Gefahr geraten war, und er nichts tun konnte, um sie zu beschützen. „Bist du in Ordnung, Theresa?" Die junge Frau war unverletzt und wirkte gefasst und ruhig, aber Goya wollte sicher sein, dass sie den Angriff unbeschadet überstanden hatte -- körperlich, seelisch und emotional. „Papa, mach dir um mich keine Sorgen, ich bin deine Tochter, da braucht es mehr, um mich in Panik zu versetzen." Sicher, dass sie ihn zum Teil damit auch auf den Arm nehmen wollte, da sie schon von Kindesbeinen an über die Risiken, die die Position ihres Vaters beinhaltete, Bescheid wusste, und er nicht immer der optimale Vater gewesen war, atmete Allejandro Goya erleichtert auf. „Ich wollte dich nicht alleine lassen, aber..." - „Aber es wäre idiotisch gewesen, wenn du in die Falle zurückgelaufen wärst, die DeVilla für dich aufgestellt hatte. Du warst heute Abend nicht nur mein Vater, sondern auch der Führer dieses Landes, und als solcher hast du das getan, was du tun musstest. Es wäre nicht angegangen, dass du den Forderungen von Terroristen nachgibst." Sie küsste ihn auf die Wange. „Papa... Ich weiß, dass du uns alle in noch größere Gefahr gebracht hättest, wenn du dich ihm ergeben hättest. Glaub mir, ich verstehe dich. Außerdem hast du mich ja nicht im Sicht gelassen, sondern in der Obhut von Agent Bartowski und Colonel Casey -- zwei fähigen Agenten, denen du dein Vertrauen geschenkt hast."

Dem Premierminister entging nicht, dass seine Tochter den NSA-Agenten mit sichtlichem Gefallen und Interesse betrachtete. Er nahm sie nochmal in die Arme, erleichtert darüber, dass sie nicht zu Schaden gekommen war, und im Bewusstsein, dass er alles Notwendige unternehmen würde, damit sie nie wieder in solche Gefahr geriet. Dann entschuldige er sich und ging, um Marquez seine Dankbarkeit auszudrücken und sich mit ihm kurz über das weitere Vorgehen zu beraten.

Theresa ging von hinten auf Casey zu und tippte ihm vorsichtig auf die Schulter. „Ich könnte mich irren, Colonel, aber ich denke, sie schulden mir einen Tanz und ihre Gesellschaft bei einem Essen." Dabei bedachte sie ihn mit einem vielversprechenden Lächeln. „Da haben sie zu meiner Schande Recht, Señorita Goya. Ich hoffe, sie geben mir die Gelegenheit, das wieder gut zu machen." - „Gerne. Haben sie für morgen Vormittag schon Pläne?" Casey sah kurz zu Alex, doch die war in eine -- bemerkenswert vertrauliche -- Unterhaltung mit Morgan vertieft, und würdigte ihn keines Blickes. „Nein, ich habe offenkundig keinerlei Pläne." lächelte er die schöne, junge Tochter des Staatschefs an, auch wenn er in diesem Augenblick eigentlich nur eine sehr charmante und sehr reizvolle Frau in ihr sah. Eine Frau, die ihm ausnehmend gut gefiel, und ihm mit ihrem Mut sehr imponierte. Eine Frau, deren Lächeln ihn gerade dazu brachte, ebenfalls zu lächeln. „Wann darf ich sie zum Frühstück abholen, Theresa?"

 

* * *

 

An Schlaf war in dieser Nacht wirklich nicht zu denken, zu aufgewühlt und aufgedreht waren die meisten Beteiligten.

Im Büro des Premierministers hatten sich die Oberkommandierenden von Luftwaffe, Marine, Heer und paramilitärischen Spezialeinheiten, die Direktoren der Geheimdienste und der Innenminister eingefunden, um aufzuklären, was schief gegangen war, und wie es zu diesem Attentat hatte kommen können. Die Frage, wie DeVilla und seine Männer aus der Haft entkommen, sich organisieren und bewaffnen, und letztlich das Dinner und dessen Sicherheitsmaßnahmen infiltrieren konnten, war einer der Kernpunkte der Konferenz, und am Ende der Konferenz hatte es einige gravierende Personaländerungen gegeben, da die Verantwortlichen in ihrem Rücktritt eine angemessene Reaktion auf ihre Versäumnisse sahen.

Des weiteren wurden Maßnahmen und Strategien entwickelt, um künftig solchen Angriffen vorzubeugen, und es wurde zum einen beschlossen -- auch mit Hilfe von Colonel John Caseys immensen Kenntnissen der Geheimgänge und Geheimtüren im Palast, systemimmanenter Schwachstellen und angreifbarer Risikobereiche -- genaueste Lage- und Sicherheitspläne für sämtliche Regierungsgebäude zu erstellen, damit die Situation nie wieder so heikel werden konnte, und zum anderen, dass die Notfallprotokolle von Grund auf zu überarbeiten seien. In dieser Nacht wurde auch beschlossen, sowohl den Leiter der persönlichen Sicherheitskräfte des Premierministers, als auch den kommandierenden Offizier der Marineverbände, die für die Sicherheit des Premiers an diesem Abend zuständig waren, zu ehren und auch zu befördern.

Während sich Casey, Sarah, Chuck und Alex in dieser Nacht mit den Überresten der Bar zusammensetzten, um zu reden, und damit die drei Agenten, die das Gefühl kannten, jemanden zu töten, mit Alex reden und ihr über das Erlebte hinweghelfen konnten, saß Morgan lange auf dem Rasen vor der -- inzwischen erneuerten -- Terrassentür und dachte nach. Irgendwann kam Elli zu ihm raus und setzte sich zu ihm.

„Wie geht es dir, Morgan?" Morgan sah sie seltsam an. „Ich weiß es nicht, Elli... Ich fühle mich merkwürdig... Eigenartig..." Er zuckte mit den Schultern. „Es ist ja nicht so, als sei ich es nicht gewohnt, in der Schusslinie zu stehen -- du kannst deinen Bruder fragen -- und beschossen zu werden, aber Alex hat meinetwegen einen Menschen getötet. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll." Als er Elli wieder ansah, hätte sie schwören können, dass er leicht lächelte. „Sie hat mir danach gesagt, dass sie mich liebt... Kannst du dir das vorstellen?"

Kopfschüttelnd nahm sie Morgan in den Arm, und sah zu Devon hinüber, der etwas abseits stand, bereit ihnen beizustehen, falls Morgan was brauchen sollte. Ein leichtes Nicken veranlasste ihn dann, sich zu ihnen zu gesellen, und zu dritt saßen sie dann im Garten, sahen in den Himmel und versuchten, jeder für sich, mit dem umzugehen, was sie in den letzten Stunden erlebt hatten.

„Soviel zum Thema „Romantische Ferien" wenn unsere Familienspione in der Nähe sind." murmelte Devon. Da er in der Mitte saß, nahmen ihn Morgan und Elli von beiden Seiten in die Arme. „Daran solltest du doch langsam gewöhnt sein, oder, Awesome?" erklärte Morgan. „Du bist auch nicht erst seit gestern Teil dieser Familie. Und was meinst du mit „Familienspione"? Warst du nicht selbst schon als Agent im Einsatz?" Er stieß Devon an. „Du kannst auf jeden Fall nicht behaupten, es wäre langweilig. Früher konntest du nicht genug Adrenalin bekommen, und jetzt beklagst du dich?" Devon lächelte gequält. „Ich glaube, ich werde langsam alt." - „Nein Schatz... nur erwachsen." neckte ihn seine Frau und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

Dann wurde Morgan jedoch schlagartig wieder ernst. „Meint ihr, mit Alex kommt wieder alles in Ordnung?" - „Ich weiß es nicht, aber bei den drei ist sie jetzt in guten Händen. Sie haben das auch schon durchgemacht. Sie werden ihr am besten helfen können." Mit diesen Worten angelte Elli drei Flaschen Bier aus einem Stoffbeutel und reichte Devon und Morgan je eine davon. „Und das wird uns jetzt am besten helfen. Anweisung vom Arzt." Sie stießen kurz an und dann versuchte jeder von ihnen, seine dunklen Erinnerungen an die letzten Stunden wegzuspülen.

 

* * *

 

Es war über eine Stunde vor Sonnenaufgang, als sich Morgan und Alex auf der Treppe begegneten. Alex hatte sich nach dem Gespräch mit Sarah, Chuck und ihrem Vater noch im Garten die Beine vertreten, und Morgan hatte -- nachdem er sich das OK der Küstenwache geholt hatte -- die Renovación startklar gemacht, und wollte Alex abpassen. „Ich will dich nicht unnötig aufhalten, du hast heute genug durchgemacht, aber ich habe mir für heute das Boot unter den Nagel gerissen, und wollte dich fragen, ob du vielleicht heute mit mir ausfahren willst." Als Alex zögerte, fuhr er schnell fort: „Natürlich musst du nicht, wenn du nicht willst, wenn du noch Zeit brauchst, um alles zu verarbeiten, kann ich das..." - „Eigentlich hatte ich eher überlegt, ob sie uns um diese Zeit in der Küche einen Picknickkorb machen könnten." war Alex' überraschende Antwort.

„Also, soweit ich weiß, haben sie in der Küche heute eine Sonderschicht eingelegt, um die Sicherheitskräfte zu versorgen, also sollte das kein Problem sein. Aber willst du das wirklich, oder tust du das nur für mich?"

Alex setzte sich auf die Stufen und streifte ihre Stiefel ab. „Ich weiß nicht genau, wo mir der Kopf steht, und noch weniger weiß ich, was ich von diesem Tag, und dem, was ich getan habe, halten soll..." sagte sie nachdenklich. Morgan sah unbehaglich zu Boden, denn schließlich hatte sie DeVilla seinetwegen getötet. Er war verantwortlich dafür, dass Blut an ihren Händen klebte. „... aber ich weiß, dass ich mich in deiner Nähe wohl fühle, und auch die dunkelsten Wolken verschwinden, wenn du mich zum Lachen bringst." schloss sie gefasster. Jetzt sah Morgan auf. „Ich ziehe mir schnell was anderes an, und du kannst ja versuchen, einen Picknickkorb zu ergattern. Wenn du noch immer willst, kannst du mich ja bei einer Tour um die Insel mit deinem Wissen beeindrucken."

Auf dem Weg in die Küche stolperte Morgan fast über seine eigenen Füße, und während die Küche den Proviant vorbereitete, zog sich Morgan schnell um, und schaffte es tatsächlich rechtzeitig, um Alex mit dem Picknickkorb am Arm am Fuß der Treppe abzuholen. „Dieses Mal habe ich es pünktlich geschafft ,dich von der Treppe abzuholen, und gehöre auch wirklich nur dir." Verkündete er stolz. „Nur mir? Wirklich?" fragte Alex mit einem frechen Grinsen.

Keine zehn Minuten später legte die Renovación mit Morgan, Alex und einem gut gefüllten Picknickkorb an Bord zu einer sehr frühen Inselrundfahrt ab, und Morgan ging so in seiner Aufgabe als Fremdenführer auf, dass ihm Alex, um ihn zum Schweigen zu bringen, den Mund mit einem leidenschaftlichen Kuss verschließen musste, bevor sie ihm sein Hemd abstreifen konnte, und ihn dann auf die Liegefläche des Speedboats drückte.

 

* * *

 

Die Sonne hatte sich gerade erst ganz über den Horizont erhoben, als sich Sarah und Chuck wieder an ihrer Lieblingsstelle am Strand ausstreckten und die Augen schlossen. Seit gestern waren ein paar Schrammen und blaue Flecken hinzugekommen, aber sie waren beide fest entschlossen, sich davon nicht stören zu lassen, schließlich hatten sie ja ausreichend Erfahrung damit.

Nach ihrem ausführlichen Gespräch mit Alex waren Chuck und Sarah in der Nacht erschöpft auf ihre Suite zurückgegangen, und hatten sich ein Bad eingelassen, um den Staub, Schmutz und das Blut von ihren Körpern zu waschen. „Was denkst du, wird Alex damit zurecht kommen, was heute passiert ist?" fragte Sarah, während sie bedauernd die Überreste ihres Abendkleides betrachtete. Sie hätte gerne mit Chuck getanzt, und einfach den Abend genossen, aber offensichtlich gab es für Spione weder Feierabend noch Urlaubszeit. „Sie ist stark, und es ist so ähnlich, wie bei mir damals in Paris. Sie hatte in ihren Augen keine Wahl, und ich denke, das wird es ihr leichter machen." kam es aus dem Badezimmer von Chuck. „Niemand will ein Killer sein, aber wir haben es alle in uns. Wenn wir jemanden retten wollen, den wir lieben, sind wir auch bereit zu töten." Chuck kam aus dem Badezimmer und sah Sarah in ihrem knappen Tanga und dem spitzenbesetzten Bustier dastehen. „Aber ich glaube, das muss ich dir nicht sagen." lächelt er sie an. Er nahm das Verbandspäckchen und ging wieder ins Bad, während Sarah am Fenster stand, und auf das Meer blickte. „Ja... Das musst du mir nicht sagen, Chuck." dachte Sarah und strich wieder über das Armband.

„Ich liebe dich, Chuck." rief sie leise ins Bad, und genoss das warme Gefühl, das sich in ihrem Herzen ausbreitete. „Ich dich auch, Liebling, aber kann ich dich nicht auch hier in der Wanne lieben? Ich stinke, bin verschwitzt und verdreckt und brauche ein Bad." antwortet er. Das warme Gefühl strahlte jetzt auch langsam ihren Bauch hinab bis zu ihrem Schoss, und ein freches Grinsen breitete sich in ihrem Gesicht aus.

Nur in ihren goldfarbenen Sandaletten mit den hohen Absätzen, dem Armband und mit der Rose im Haar betrat Sarah das Badezimmer. „Dich in der Wanne lieben? Klingt gut für mich, Schatz." Dabei lächelte sie dermaßen verführerisch, dass Chuck stehen und liegen ließ, was er gerade tat -- in diesem Fall ließ er sogar buchstäblich eine ganze Handvoll Badeperlen in die Wanne fallen, die prompt überschäumte -- und seine Augen über Sarahs nackten Körper wandern ließ. „O lá lá... Dass du vor Leidenschaft anfängst zu schäumen, hatten wir noch nie." schmunzelte sie, und ergriff Chucks ausgestreckte Hand. „Du hast ja keine Ahnung, aber zieh doch erst mal die Schuhe aus. Ich denke doch, die werden in der Wanne etwas stören." - „Warum ziehst du sie mir nicht aus, Liebling." Sarah könnte sich wirklich daran gewöhnen, ihn auch Liebling zu nennen -- und an die Art, wie er ihren Fuß festhielt und massierte, nachdem er ihr den Schuh abgestreift hatte, konnte sie sich erst recht gewöhnen. Als er an eine besonders empfindliche Stelle kam, stöhnte sie kurz auf, doch das Stöhnen wurde schnell zu einem wohligeren Laut, als er mit sanften Fingern den Schmerz weg massierte.

„Und jetzt schwing deinen reizenden Hintern in die Wanne, bevor ich dich reinschmeiße." Die Wanne war so luxuriös geschnitten, dass er sie auch gefahrlos hätte hineinwerfen können, und gemeinsam ließen sie sich in das heiße, duftende und schaumgekrönte Wasser sinken. „Ahh... tut..." - „... das gut!" stöhnten beide, wie aus einem Munde.

Nachdem sie eine Weile ihre Schrammen und Kratzer eingeweicht hatten, begannen sie, sich gegenseitig einzuseifen, und aus dem Einseifen wurde immer mehr ein gegenseitiges Streicheln und Liebkosen. Als sich Sarah dann endlich auf Chucks Schoss setzte, glitt er ohne jeden Widerstand in sie, und sie warf ihren Kopf mit einem lautlosen aber heftigen Seufzen zurück.

„Meinst du, Morgan und Alex kommen zusammen nach dem, was gestern war?" wollte Sarah wissen, und riss Chuck aus der sinnlichen Erinnerung an das Bad.

„Ich hoffe es für die beiden, aber denk daran, wie es bei uns war... Wir haben es auch überstanden, oder?" antwortete er, und streichelte liebevoll ihren Rücken. Sarah legte ihren Kopf an seine Schulter und lächelte. „Ich hoffe, die beiden stellen sich dabei nicht ganz so dämlich an wie wir." - Er drückte sie sanft an sich. „Das denke ich nicht. Sie sind heute schon sehr früh mit der Renovación losgefahren, Ziel geheim -- noch dazu mit Caseys Segen... Wusstest du, dass sie ihm gesagt hat, dass sie ihn liebt?" fragte er und sah ihr in die Augen. Sarah lächelte -- ganz leicht wehmütig und bedauernd. „Ein Glück, dass sie dafür nicht so lange braucht wie ich." - Er lächelte sie an und küsste ihre Nasenspitze. „Aber das Warten war es wert." Er küsste sie liebevoll auf die Lippen... Und je höher die Sonne stieg, desto leidenschaftlicher wurden die Küsse. Bald hatten sie sich gegenseitig die Kleidung abgestreift und liebten sich im Schein der Morgensonne.

 

* * *

 

Bei Sonnenaufgang kam Casey die Treppe hinab und wurde von Theresa begrüßt. „Daran erkennt man wohl den disziplinierten Soldaten, Colonel. Sie sind pünktlich." - „Eine schöne Frau darf man als Gentleman nicht warten lassen. Sie hatten gesagt, bei Sonnenaufgang, Theresa." - „Hören sie auf, sie wollen mir doch nur schmeicheln." Casey hätte schwören können, dass sie errötete. „Ich neige nicht dazu, zu schmeicheln, Theresa. Ich sage nur, was ich denke. Und ich denke, dass sie eine sehr schöne und reizvolle Frau sind." Er sah sie genau an, um abzuschätzen, ob sie seine Offenheit schockiert hat, doch sie wirkte vollkommen entspannt und ergriff einfach seine Hand. „Sie sind direkt, und kommen gleich zum Wesentlichen, das schätze ich bei einem Mann." Casey lächelte. „Nennen sie mich doch bitte John." Als er ihr durch das gesäuberte Atrium folgte, konnte er sich die Frage nicht verkneifen: „Was schätzen sie denn noch an einem Mann?" Theresa lächelte schelmisch und zog ihn leicht an sich. „Ich denke, wir beide werden noch Gelegenheit haben, das herauszufinden, meinen sie nicht auch, John?"

Selbst wenn Casey hätte antworten wollen, hatte der Kuss, den sie ihm auf die Lippen drückte, für ihn eine höhere Priorität... Und er genoss den Kuss, den er nur zu gerne leidenschaftlich erwiderte.

Nach einer Weile lösten sie sich von einander, und Casey konnte ein funkelndes Glitzern in ihren Augen sehen. „Sie sind mutig, loyal, zielstrebig und küssen gut... Worin sind sie denn noch gut?" Er ersparte sich die Antwort, denn es hätte keine unverfängliche Antwort auf diese Frage gegeben, und fragte stattdessen: „Wollen wir frühstücken gehen?" - „Sind sie denn so ausgehungert?" Wieder zeigte ihr Gesicht dieses spitzbübische Grinsen, das ihn so erregte. „Mindestens so sehr wie sie, meine Liebe." Auch sein Lächeln war vielsagend.

Arm in Arm betraten sie das Speisezimmer, und als er ihr den Stuhl zurechtrückte, stieg ihm der Duft ihres Haars in die Nase. Ein sehr aufregender Duft, der Casey sehr ansprach. „Wissen sie denn schon, was sie wollen, Theresa?" fragte er, als er um den Tisch zu seinem Platz ging, und sich ihr gegenüber hinsetzte. Sie sah ihn lange und aufmerksam an, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte geheimnisvoll. „Ooh ja." Ihre Blicke trafen sich, und die Funken, die hin und her sprangen, waren fast sichtbar. „Sehr gut, ich auch."

 

* * *

 

Alex lag mit Morgan auf dem Bug des luxuriösen Speedboats, und sie ließen die Füße ins Wasser hängen. Die Sonne über ihnen hätte auch die dunkelsten Gedanken vertreiben können, aber keiner von beiden hing auch nur einem düsteren Gedanken nach. Zu glücklich waren beide, einfach zusammen sein zu können. Wortlos hielten sie sich bei den Händen und genossen einfach die Nähe des anderen und die Wärme, die von Außen auf sie schien und die sich in ihrem Inneren ausbreitete.

Für diesen Moment war alles vergessen, und Morgan konnte sein Glück kaum fassen. „Kann das ein Traum sein?" ging ihm durch den Kopf, aber wenn er seine Finger bewegte, konnte er den sanften, aber festen Griff spüren, mit dem ihn Alex festhielt... Mit dem sie sich in ihm verankerte. „Nein, John... Ich werde niemals zulassen, dass sie verletzt wird. Das schwöre ich dir."

Er beugte sich über Alex, und betrachtete ihre nackte Haut. Milchweiß und von winzigen Sommersprossen überzogen, passte sie perfekt zu ihrem roten Haar und ihren grünen Augen. In diesem Moment war Morgan froh, dass Alex, die viel von ihrem Vater hatte, beim Aussehen eindeutig nach ihrer Mutter kam. Ganz sanft hauchte er ihr einen Kuss auf jede Brust und küsste sie dann verführerisch auf die Lippen. „Du solltest aus der Sonne raus, sonst bekommst du einen Sonnenbrand. Oder lass mich dich wenigstens eincremen." Als Alex ihre Augen aufschlug, glitzerte der Schalk in ihrem Blick wie ein sprichwörtlicher irischer Kobold. „Gute Idee, aber dann solltest du mich auch sehr gründlich eincremen." - „Nichts lieber als das."

 

* * *

 

Devon hatte einige Meter den Strand hinunter einige Pinienzapfen entdeckt und brach die schmackhaften Kerne heraus, um Elli damit zu füttern. „Meinst du, wir können jetzt endlich den Urlaub hier genießen, oder muss ich mich wieder bereit halten, Kugeln auszuweichen und schmutzige Geheimgänge zu erforschen?" fragte er scherzhaft. Elli wusste, dass ihm die Ereignisse des Vortages noch in den Knochen steckten, auch wenn er sich langsam daran gewöhnte. Schon vor längerer Zeit war Elli klar geworden, dass weder sie, noch ihr Mann dafür geschaffen waren, das alles zu verstehen, was das „Team Bartowski" überstehen musste. „Ich vermute mal nicht, und falls doch, werden wir das Einzige tun, was klug wäre... In die andere Richtung weglaufen." war ihre, nur halb scherzhaft gemeinte Antwort.

Um nicht mehr darüber nachzudenken, und auch, um ihrem Verlangen nachzugeben, kuschelte sie sich an ihren Gatten, und brachte ihm durch eine enge Umarmung in Erinnerung, warum sie sich diesen abgelesenen, und nicht einsehbaren Strand ausgesucht hatten. Beide lagen so nackt wie am Tage ihrer Geburt in der Sonne, und die Wärme, die Pinienkerne und die Nähe ihres nackten, gut gebauten und auch gut ausgestatteten Mannes hatten auf Elli eine sehr anregende Wirkung. Sie strich ihm zärtlich über den Bauch und sah ihm in die Augen. „Ich hätte jetzt lieber etwas anderes, als nur Pinienkerne..." Devon sah sie gespielt ahnungslos an und hatte sogar noch die Stirn, sie zu fragen: „Und was hättest du gerne?" Ihre Antwort bestand darin, sie ihm umwarf und sich auf ihn setzte.

Awesome wusste, wann er sich geschlagen zu geben hatte, und leistete keine „Gegenwehr", als sie ihm zeigte, was sie gerne hätte.

 

* * *

 

Die Eidechse kroch träge aus einem Loch, keine fünf Meter von den beiden Zweibeinern entfernt, die ihre Ruhe störten und ihr die Beute verscheuchten. Hätte man genau hingehört, hätte man ein genervtes Zischen hören können.

Was nutzte der Echse ein Höhlensystem, dass die gesamte Halbinsel durchzog, mit Geheimgängen, die von der Höhle unter der Villa zu jedem Strand der Landzunge führten, auf der die Villa und die Kapelle stand, wenn an jedem Strand irgendeine Störung auf das Reptil lauerte. Verschnupft und beleidigt machte der Minidrache kehrt, schlängelte sich in einen der zahllosen Gänge und machte sich auf die Suche nach einem Strand, der nicht belegt und lärmend war.

Hinter ihr am Strand war Gekicher und leises, leidenschaftliches Stöhnen zu hören, aber das war der Echse herzlich egal. Sie dachte nur an ihre nächste Mahlzeit und einen schönes Plätzchen auf einem von der Sonne aufgeheizten Felsen.

03: Belgrad für Spione.

 

Selbst an einem ruhigen Sonntag Mittag war der Verkehr um den Belgrader Bahnhof gelinde gesagt eine Katastrophe. Kolonnen von hupenden, und zum Teil stinkenden und qualmenden Autos und Bussen zogen ihre Kreise und verpesteten die warme, herbstliche Luft mit ihren Abgasen. Die Rufe und Flüche der Auto- Zweirad- und Taxifahrer einerseits, und der Fußgänger andererseits, füllten die Luft wie eine dissonante Musik, deren Interpreten alle gleichzeitig versuchten, verschiedene Stücke mit der gleichen Intensität zu schmetterten. Dennoch hatte das warme und sonnige Belgrader Wetter zahlreiche Einwohner, Touristen, Besucher und auch andere aus den Häusern und in die Straßen und Parks der Stadt gelockt.

Kenneth (niemals, aber wirklich niemals Ken) Richardson der Dritte, stolzer Absolvent der Harvard Law School, und frisch gebackener MBA von der Harvard Business School, aus Hardford, Conneticut, war einer dieser Touristen und genoss gut gelaunt seine Turska Kafa vor einem -- an einem schönen Tag wie diesem, überraschend leeren -- kleinen Café an der Ecke Ulica Karađorđeva und Milovana Milovanovića. Genau genommen waren außer ihm nur noch zwei weitere Gäste da -- und die beiden saßen trotz des schönen Wetters bereits an einem Ecktisch hinten im Café, als er auf der Terrasse Platz nahm.

Der Grund für seine gute Laune waren die schönen Mädchen und Frauen, für die Belgrad sogar in den Staaten bekannt war. Eine große Zahl von ihnen flanierte durch die Metropole an Donau und Save und damit auch durch die Parks, die dem Bahnhof gegenüber lagen. Kenneth stellte sich vor, wie viele von diesen Mädchen und Frauen beim Anblick seines Boss-Zweireihers, seiner goldenen Rolex Mariner und seines neuen LEXUS LFA ein feuchtes Höschen bekämen. In seiner Wohnung auf dem Beacon Hill in Boston war schon so manche Junganwältin vor Erregung zitternd in sein Bett gekrochen, weil sein Wohlstand und seine Kontakte sie so heiß gemacht hatten. Es erregte ihn, dass die Karrieren der Frauen von ihm abhingen. Er hatte die Macht.

Doch die ganzen durchtriebenen Biester, die seine Gutherzigkeit ausgenutzt haben, waren nichts, verglichen mit den Frauen in dieser Stadt. „Neben ihnen verblassen selbst die Mädchen in Señora Hurons Etablissement in Cabo." ging ihm durch den Kopf, und er dachte für einen Moment zurück an seinen Springbreak in Cabo San Luca vor zwei Jahren. Damals, als Student, ausgestattet mit der Platincard seines Vaters, hat er sich jede Frau schnappen können, die er wollte... Und daran sollte sich nichts ändern -- dafür arbeitete er.

Im nächsten Moment wurden seine Gedanken wieder in die Realität zurückgerissen, denn was er sah, ließ ihn alle Erinnerungen an den Sex und den Spaß in Cabo vergessen.

In der spiegelnden Seitenscheibe eine geparkten Autos beobachtete er die umwerfende Blondine, die ihm schon vorher an der Bar ins Auge gefallen war. Die schlanken langen Beine hatten es ihm besonders angetan, und als er ihnen mit den Augen von den flachen Ballerinas hinauf folgte, konnte er erleben, wie die heiße Blonde gerade zwei Pistolen hinter dem Rücken unter ihrer Kellnerinnenweste in den Bund ihres Rocks schob, und dann das Café durch die Hintertür betrat, ohne seinen Blick bemerkt zu haben.

„Moment mal! Das ist die Kellnerin? Eine verdammte, bewaffnete Kellnerin?!?!?! Was geht hier vor?!?!"

Sollte er in diesem Café zum unbeteiligten Opfer eines Mordanschlags des organisierten Verbrechens werden? Er kannte unzählige Geschichten über die Kriminalität und die Gesetzlosigkeit in Belgrad, und er befand sich gerade mitten im Herzen der Stadt. „Welcher Teufel hat mich geritten, hier her zu kommen?" wimmerte eine Stimme in seinem Kopf. „Die sind doch irre hier! Sie knallen sich doch ohne Grund ab, und scheren sich einen Dreck um unschuldige Passanten!" Kenneth glaubte sich zu erinnern, dass sie ihren eigenen Präsidenten mit automatischen Waffen aus einem fahrenden Auto heraus auf offener Straße abgeknallt hatten.

Er entdeckte in der Nähe der Theke einen Kellner, etwas kleiner und bärtig... zweifellos ein Serbe, und vielleicht auch ein Mafioso, aber Kenneth war bereit das Risiko einzugehen, an den Falschen zu geraten, denn er musste seine Entdeckung jemandem mitteilen -- zumal die falsche Kellnerin jetzt hinter der Theke hervorkam, und sich mit einem Tablett in der Hand dem Tisch näherte, an dem die zwei dunkel gekleideten, und wenigstens in Kenneths Augen verdächtigen, Männer saßen und sich allem Anschein nach sehr angeregt unterhielten.

„Konobare! Razumete engleski?" rief er den Bärtigen. Der Kellner näherte sich fast schon widerstrebend und mit leicht genervtem Gesichtsausdruck, und nickte zögernd zur Frage über seine Englischkenntnisse. „Meine Güte... ich versuche schließlich, ihn zu retten, und den Ruf seines Landes, und der macht einen auf Schlaftablette!" fluchte Kenneth innerlich. „Ich sollte mich hier einfach verziehen, und ihn hängen lassen -- warum fällt es diesen ungebildeten Ärschen immer so schwer, zu verstehen, dass wir sie nur beschützen wollen?"

„Amerikaner?" fragte der Kellner leicht gereizt, mit einem Akzent, der Kenneth bekannt vorkam, den er aber nicht einordnen konnte, als er endlich an den Tisch trat. „Ja, verdammt, aber was spielt das für eine Rolle? Ich habe gerade gesehen, wie diese Blondine das Café durch die Hintertür betreten hat. Sie ist bis an die Zähne bewaffnet, und nähert sich gerade ihren beiden Komplizen, die da hinten am Ecktisch sitzen."

Zu Kenneths Erstaunen drehte sich der Kellner seelenruhig zu besagtem Tisch um, sah kurz hin, tauschte einen Blick mit der Frau und wandte sich dann mit einem bemühten Lächeln wieder zu Kenneth. Was Kenneth jetzt sah, ließ ihm die Haare zu Berge stehen und ihm wich alle Farbe aus dem Gesicht.

Als aufrechter Republikaner und Bewohner Neuenglands erkannte er ängstlich die sechzehnstrahlige Windrose und den Kopf des Weißkopfseeadlers sofort als das, was es war, und diese Insignien zusammen mit den drei Buchstaben auf einer Dienstmarke vor seinem Gesicht zu sehen, machte ihn so fassungslos, dass er fast die leisen Worte des kleinen, bärtigen Mannes überhört hätte.

„Halten sie die Klappe, trinken sie brav ihren Kaffee aus und bleiben sie entspannt." Der Bärtige streckte die Hand aus und forderte seinen Pass. „Also gut, Ken... Ich denke, sie sind ein aufrechter Amerikaner, der sein Land liebt, und seiner Regierung vertraut. Stehen sie auf, und gehen sie, als hätten sie nichts gesehen, dann wird ihnen nichts passieren. Und jetzt lassen sie mich meine Arbeit tun... Sir." Mit diesen Worten wandte sich der Kellner -- „Der CIA-Agent" berichtigte sich Kenneth im Geiste -- ab, legte Kenneths Pass auf den Tisch und gab den Blick frei auf eine Szene, die ihn zum Mittelpunkt jeder Kantinenpause bei „Wolfram & Hart" in Boston machen konnte.

Plötzlich sprang der größere der beiden Männer auf und packte den anderen. Kenneth beschloss, sein Heil in der Flucht zu suchen, und als er los rannte, glaubte er den brennenden Blick des CIA-Killers auf sich zu spüren. Seine Gedanken rasten, und am lautesten war der Gedanke, dass ihn diese Geschichte zum größten Helden der Mittagspause und aller Meetings machen konnte.

Falls er die nächsten Minuten überleben sollte...

 

* * *

 

„Es ist fast unglaublich, Morgan! Du hast es wirklich geschafft, die Daten wieder herzustellen?" Sarah hätte vor Freude jubeln können, als sie über Morgans Schulter hinweg zusah, wie auf dem Bildschirm ein Fenster nach dem anderen aufsprang, und sie Mary Elizabeth Bartowskis Alias „Frost" in mehr als einem Dokument entdecken konnte. „Glaub mir, Sarah, ich bin selbst erstaunt. Ich hatte eigentlich nur darauf gehofft, Fragmente retten zu können, aber das hier überrascht mich selbst." Morgan war ungewöhnlich bescheiden, was alleine schon ein klarer Hinweis darauf war, wie wichtig und bedeutend dieser Erfolg war.

Wenige Tage zuvor waren Chuck und Morgan, ohne Sarahs und Caseys Wissen, einer Spur von Chucks Mutter nach Moskau gefolgt, und in einer ehemaligen KGB-Einrichtung, die jetzt einem mysteriösen Waffengroßhändler namens Volkoff gehörte, entdeckten sie große Datenmengen, unter denen sich auch ein umfangreiches Dossier über Mary Elizabeth Bartowski befand, das sie herunterzuladen versuchten. Durch einen Zufall befanden sich Sarah und Casey, die ihrerseits nach Volkoff suchten, ohne von dessen scheinbarer Verbindung zu Mary Elizabeth Bartowski zu ahnen, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in dieser Einrichtung -- allerdings als Gefangene. Chuck musste sich zwischen seiner Suche nach seiner Mutter und der Rettung von Sarah und Casey entscheiden, als es auf der Flucht nötig wurde, einen elektromagnetischen Puls kurz -- EMP -- auszulösen, um ihren Rückzug zu decken. Zu diesem Zeitpunkt gingen alle davon aus, dass Chucks Gelegenheit, mehr über den Verbleib seiner Mutter in Erfahrung zu bringen, unwiederbringlich verloren ging, als der Puls den Zentralcomputer zerstörte, bevor der Download komplett war.

Es war Morgans Experimentierfreudigkeit und Sarahs Zuversicht zu verdanken, dass sie sich beide das Speichermedium, das Chuck zum Herunterladen der Daten verwendete, und das die Flucht in seiner Jacketttasche unbeschadet überstand, noch einmal genauer ansahen. Wie durch ein Wunder war eine große Menge an Datensätzen auf dem Massenspeichermedium gesichert worden, bevor der EMP sämtliche Elektronik und Elektrik gegrillt hatte. Die Mission war also kein kompletter Fehlschlag.

„Das müssen wir Chuck sofort sagen. Der flippt aus, wenn er das erfährt." Morgan war mindestens so aufgeregt wie Sarah. Chuck bedeutete ihnen beiden sehr viel.

Als Mary Elizabeth ihre Familie verließ, war es an Elli und Morgan gewesen -- jeder von ihnen für sich und auf eigene Art -- sich um Chuck zu kümmern.

Während Elli eine Art Mutterersatz für Chuck wurde, war Morgan sein bester Freund und Spielgefährte, und half Chuck dank allerhand Ablenkungen sehr über die schlimmen Zeiten hinweg, die für ihn folgen sollte. Ihre Freundschaft war noch an diesem Tag so stark wie zwei Jahrzehnte vorher.

„Es wird ihm gut tun, zu erfahren, dass wir doch eine Spur haben. Es war schon eine Erleichterung für ihn, als er erkannte, dass ihre Mutter sie beide nicht im Stich gelassen hatte, sondern gefangen genommen wurde." So widersinnig es auch klang, verstand sie doch genau, was er meinte. Zu wissen, dass seine Mutter lebte, und sie Mrs. B. auch finden konnten, war für Chuck nach dem Tod seines Vaters eine enorme Erleichterung.

Morgan sah Sarah lange an, und lächelte schließlich. „Erzähls ihm. Ich denke, er sollte die gute Nachricht von dir erfahren." Sie wusste genau, wie gerne der bärtige Junge im Körper eines erwachsenen Mannes seinem besten Freund die Nachricht selbst überbringen wollte, und verstand, was für ein Zugeständnis es war, ihr dieses Vorrecht zu überlassen. Jedes weitere Wort wäre überflüssig gewesen, und so nickte sie Morgan nur zu, lächelte ihn an und flüsterte ein leises, aber aufrichtiges „Danke" in seine Richtung, bevor sie die Kommandozentrale -- genannt „The Castle" -- „Die Festung" - verließ, und Chuck suchte.

 

* * *

 

Nachdem Morgan, Chuck und Sarah die Daten stundenlang ausgewertet hatten, mussten sie zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass trotz allem eben doch bei weitem nicht genügend Daten vorhanden waren, um wirklich Aufschluss über den Verbleib von Chucks und Ellis Mutter zu geben, aber sie fanden Hinweise auf eine weitere Einrichtung von Volkoff Industries, in der unter Umständen ein Backup der Daten lag, die Chuck nicht hatte herunterladen können.

Diese Einrichtung lag südöstlich von Belgrad in Serbien.

„Ich muss da hin!" Chuck blickte sich entschlossen um, insgeheim auf Sarahs uneingeschränkte Zustimmung hoffend. Obwohl sie ihn vollkommen unterstützte, wusste er auch, dass sie in ihrem Innersten Angst hatte, er könnte auf seiner Suche nach seiner Mutter verletzt werden -- körperlich oder seelisch. „Sie ist meine Mutter, Sarah." Er sah sie an, voller Hoffnung, Überzeugung und Vertrauen. „Hilfst du mir?" fragte er leise. „Ich bin immer bei dir, Chuck, dass weißt du." versprach sie ihm, und schob -- einmal mehr -- ihre Angst um ihn bei Seite. Egal, wie oft er der Held sein würde, in Sarahs Augen würde auch immer ein kleines Stück dieses Nerds in ihm sein, der er vor dem Intersect war. Sarah war realistisch genug, um zu wissen, dass sich in der Zeit, die seit Mary Elizabeths Verschwinden vergangen war, diese auch verändert haben konnte -- und genau diese Veränderung bereitete ihr Kummer. War die Frau, die sie finden würden, wirklich noch die Frau, die ihre Kinder ins Bett brachte, und ihnen Märchen vorgelesen hatte? Ihre eigenen Erfahrungen mit Jack Burton, ihrem Vater, waren ihr eine stete Warnung.

„Ich bin dabei, Kumpel." ertönte Morgans Stimme, und riss Sarah aus ihren Gedanken. Sie überlegte laut: „Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir an General Beckmann vorbeikommen. Die wird uns garantiert nicht erlauben, auf einen Verdacht hin zu handeln." - „Um Beckmann kümmere ich mich, Walker... Ich habe da schon eine Idee, wie wir alles unter einen Hut bringen können." Casey betrat das Wohnzimmer, in dem Chuck, Morgan und Sarah saßen. Offensichtlich hatte er zumindest das Ende der Unterhaltung mitbekommen, und den effektvollen Auftritt geplant. Die vier sahen sich an, und ein vertrautes Gefühl stellte sich ein.

Das „Team Bartowski" war wieder vereint.

 

* * *

 

„Hast du überhaupt eine Idee, wie wir in die Anlage reinkommen sollen? Nicht einmal die NSA oder die NRO haben ausreichend Material über die Einrichtung bei Belgrad." Sarah war bei aller Liebe und Verständnis für ihn nicht bereit, Chuck Hals über Kopf losstürmen zu lassen, wenn nicht klar war, wie sie die Mission handhaben würden. „Gerade was Serbien betrifft, ist unsere Aufklärung heute noch sehr lückenhaft." - „Und China noch immer sauer auf uns." fügte Chuck zerstreut hinzu. Sarah saß im Sessel vor dem Bett und sah Chuck an, der, auf dem Bett sitzend, seinen Kopf über ein Dossier aus dem Keller des Hauses -- der Operationsbasis -- seines verstorbenen Vaters gebeugt hatte und ihr ganz trocken geantwortet hatte. Nichts deutete darauf hin, dass er einen Witz machen wollte. Ein Schmunzeln konnte sie sich wegen seines Kommentars dennoch nicht verbeißen, auch wenn die Zerstörung der chinesischen Botschaft 1999 in Belgrad kein Ruhmesblatt für die US-Geheimdienste darstellte -- eigentlich hatte man dort die Zentrale des damals jugoslawischen Geheimdienstes vermutet. Die lag jedoch in einem ganz anderen Teil der Millionenstadt. Die Chinesen waren noch immer sehr verstimmt wegen dieses „Missgeschicks"

Schließlich hob Chuck seinen Kopf aus der Akte und lächelte. „Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wer es uns sagen kann. Mein Vater hatte in Belgrad einen Verbindungsmann beim SUP (Savez unutrašnjih poslova) -- dem serbischen Pendant zum FBI -- und schien ihm vertraut zu haben -- und das will bei meinem Dad schon was heißen."

Zärtlich sah Sarah ihren Freund und Partner an. „Du solltest eine Pause machen, Schatz. Es ist schon spät, und wir sind endlich allein." Sie erhob sich aus dem Sessel und strich zärtlich über Chucks Schulter. „Du arbeitest zuviel. Das ist sonst meine Aufgabe." Er lehnte seufzend seine Wange an ihre Hand, meinte etwas geistesabwesend: „Gleich, ich muss nur noch was nachlesen." und versenkte sich wieder in die Akte. „Das läuft dir doch nicht weg... Willst du denn keine Pause machen... Liebling?" Sarahs Stimme wurde zu einem Schnurren und im Hintergrund begann ganz leise Musik zu spielen.

Chuck erkannte die Musik, noch bevor er sie wirklich hörte, und er wusste auch sehr genau, was es bedeutete, wenn Sarah „Nina Simone -- Feelin' good" auflegte:

Es war ihr Lied, seit sie von ihrem „Ausflug" -- um es freundlich auszudrücken; General Beckmann nannte es „Unerlaubtes Entfernen" - in die Schweiz zurückgekehrt waren, und Chuck das Lied für Sarah gespielt hatte. Er sah sie an, und da stand sie, seine Sarah, lächelte verführerisch und fragte lockend: „Bist du dir ganz sicher, dass du das nicht auch morgen früh nachlesen kannst?"

Sarah kleidete sich gerne edel, sexy und elegant, aber sie war ebenfalls eine Couchpotato, und machte es sich genauso gerne in ausgeleierten Bigshirts und Jogginghosen bequem. Doch egal, was sie anhatte, Chuck begehrte sie immer -- so wie jetzt auch. Sie stand vor ihm, barfuß, bettfertig, mit seinen alten Basketballshorts und einem knappen Tanktop bekleidet, das seidige Haar offen und ungebändigt, und mit einem Fuß schob sie den Dimmer der Stehlampe nach hinten, um das Licht zu dämpfen.

Die letzten sechs Monate hatten sie sich kaum gesehen, da sie mit Casey offiziell in einer Mission unterwegs war, und Chuck -- der bei der CIA seinen Abschied eingereicht hatte -- mit Morgan auf ihrer inoffiziellen Mission, Mary Elizabeth zu finden -- somit hatte sich bei beiden sehr viel angestaut, was auch durch ihren ungelenken und fast schon komischen Versuch, zu „Sexten", nicht gemildert wurde.

Die Akte hatte er in sekundenschnelle zugeklappt und auf den Schreibtisch geworfen, war auf den Beinen, drückte Sarah gegen das Regal, auf dem die Anlage stand und küsste sie voller Verlangen. „Du weißt genau, dass ich dir nicht widerstehen kann, Sarah... Dir nicht widerstehen will!" Seine Zunge drang verlangend in ihren Mund und umspielte ihre, während seine Hände ihr Top hinaufschoben und sich streichelnd auf ihre Brüste legten. Er genoss das Gefühl ihrer Nippel unter seinen Fingern und drückte leicht zu, während er sich gegen sie drängte, und sie spüren ließ, wie sehr sie ihn erregte. Ihr Stöhnen bewies ihm, dass sie es auch genoss.

Sarahs Hände glitten am Bund seiner Shorts vorbei ihn seine Hose hinein, und sie drückte ihre Fingernägel in seine Pobacken. „Warum solltest du mir auch widerstehen wollen? Du bist mir doch verfallen." neckte sie ihn atemlos und erregt, als er kurz Luft holte, und sie ihre Nägel über die Haut seiner Hinterbacken zog. „Ich will dich Chuck." Ihr Blick bohrte sich in seine Augen und sie schien vor Sehnsucht zu glühen. Zu lange hatten sie sich nicht berühren und lieben können. Zu sehr waren sie beide in ihre Pflichten und Aufgaben eingebunden gewesen. Nur Spione, und keine Liebenden.

Umso verständlicher war es, dass sie jetzt übereinander herfielen, und Chuck kaum Zeit hatte, die Tagesdecke auf dem Bett zu packen und wegzuzerren, als sich Sarah schon kraftvoll vom Regal abstieß und mit Chuck aufs Bett fiel. Wild und verlangend küssten und bissen sie sich und erforschten den Körper des anderen mit Händen, Lippen und Zunge -- fest entschlossen, die vergangenen sechs Monate aus ihrer Erinnerung zu löschen, nur vom Wunsch beseelt, einander zu halten und zu spüren.

Als das Posaunensolo einsetzte, hatte Sarah Chuck schon ihrerseits das Shirt abgestreift und küsste seinen Hals. Ihre Lippen strichen über seine Haut und sie genoss es sehr, wie seine starken Finger durch den Stoff der Shorts hindurch ihren Schoß massierten... Sie genoss das Versprechen auf weiteren Genuss, das die tastenden, massierenden und liebkosenden Fingerspitzen abgaben.

Ihre nackten Brüste strichen über seine Haut und sie trieb ihn mit leichten Bissen weiter, während seine Hände ihre Shorts herunterzogen und sie sich langsam an ihm rieb. Seine Erregung lag genau unter ihrem Schoß und sie stöhnte auf, als sie darüberglitt. Wie sehr hatte sie seine Stärke und Wärme vermisst... Wie sehr hatte ihr seine Nähe gefehlt, sein Duft... Sein Lächeln, dass ihr Herz mit Wärme erfüllte... Alles das hatte sie vermisst, aber am Meisten das Gefühl, einfach nur in seinen Armen liegen zu dürfen.

Als sie sich auf ihn setzte, und er in sie glitt, sahen sie sich tief in die Augen und ohne Worte zu verwenden, versicherten sie sich gegenseitig, wie sehr sie einander vermisst hatten. Aus langsamem Wiegen wurde bald forderndes Reiten, dann wieder ein verlangendes Reiben und ein sinnliches Umarmen. Keiner von ihnen sagte etwas, aber jeder wusste, was der andere wünschte.

Den Rest der Nacht dachte keiner von ihnen an irgendetwas anderes als an Genuss, Leidenschaft und Hingabe, und als sie erschöpft und glücklich dalagen, während draußen der Morgen graute, flüsterte Chuck Sarah, die entspannt und lächelnd in seinem Arm lag, liebevoll ins Ohr: „Alles Gute zum Jahrestag, Liebling." Ihre Reaktion bestand darin, ihn zu umarmen, an sich zu ziehen, zu küssen, und ihm dann kaum hörbar ins Ohr zu schnarchen.

 

* * *

 

Als Sarah vom Duft frischen Kaffees und Stimmen aus dem Wohnzimmer geweckt wurde, entdeckte sie auf dem Kissen neben sich Chucks Jahrestagsgeschenk. Immer wieder schenkte ihr Chuck Anhänger für das Glücksbringerarmband, das er ihr zu ihrem zweiten Weihnachtsfest geschenkt hatte -- ein Erinnerungsstück an seine Mutter, was das Geschenk umso kostbarer in ihren Augen machte. Dieses Mal war der Anhänger eine winzige, silberne Spielkarte. Bei genauerer Betrachtung erkannte Sarah, dass es die Herzdame war, und musste lächeln.

Sie erhob sich, und hüllte sich in ihren Bademantel, als sie die Stimmen im Wohnzimmer als die von Chuck und Elli erkannte. Im Spiegel überprüfte sie schnell noch, ob Chuck in der letzten Nacht irgendwelche verräterischen Spuren hinterlassen hatte, und entdeckte einen kleinen Knutschfleck oberhalb ihres Schambeins. „Du kleines Raubtier..." schmunzelte sie, band den Gürtel um, verließ das Schlafzimmer -- das noch immer nach leidenschaftlichem Sex roch -- und gesellte sich zu Eli und Chuck im Wohnzimmer.

„Guten Morgen, Langschläferin." begrüßte sie Chuck, gab ihr einen Kuss -- dazu noch einen leichten Klapps auf den Hintern -- und ging in die Küche, um ihr einen Kaffee zu bringen. „Guten Morgen, Tiger." rief sie ihm nach und zwinkerte frech,als er zurückblickte. Dann wand sie sich Elli zu, die die Szene mit einem wissenden Schmunzeln verfolgt hatte. Ellis Schmunzeln war aber nicht nur wissend, da war noch mehr, das konnte Sarah spüren. Elli leuchtete von innen heraus, und schien wegen etwas unglaublich aufgeregt und aufgekratzt zu sein.

„Sarah... Devon und ich bekommen ein Baby!" platzte Elli heraus. „Ich habe es Chuck schon vor ein paar Tagen gesagt, aber ich wollte die sein, die es dir sagt."

Herzlich umarmte Sarah ihre künftige Schwägerin und drückte sie an sich. „Ich freue mich so sehr für dich, Elli. Das Kind ist zu beneiden, so liebevolle Eltern wie dich und Devon zu bekommen." Elli sah von Sarah zu Chuck und wieder zurück. „Es gibt aber noch einen Grund, warum ich hier bin... Ich wollte dich und Chuck etwas fragen." Chuck kam näher und reichte Sarah ihren Kaffee, dann sah er seine Schwester an: „Und was wolltest du uns fragen, Elli?" und nippte an seinem Kaffee.

„Ich sage es direkt, Devon und ich... Wir wollen euch bitten, die Paten unseres Kindes zu werden." Chuck verschluckte sich an seinem Kaffee und sah seine Schwester erstaunt an. „Wir... äh... Wir fühlen uns geehrt, Elli... Und wenn das euer Wunsch ist..." Sarah sah Chuck an und wandte sich dann lächelnd zu Elli: „Wir würden das sehr gerne machen." Chuck hatte zwischenzeitlich seinen Kaffee abgestellt und umarmte seine Schwester. „Stimmt Elli, Sarah und ich sagen mit Freuden ja." Mit einem Blick auf Sarah fügte er noch hinzu: „Wir lieben Kinder."

Für einen Moment versuchte Sarah, sich Chuck als einen Vater vorzustellen, und diese Vorstellung gefiel ihr irgendwie. Doch sofort kamen Bedenken, ob sie Familie und Spionage je unter einen Hut bringen könnte -- und ob sie das überhaupt wollte? Als sie Elli und Chuck ansah, die beide um die Wette strahlten, schob sie diese Gedanken bei Seite. „Was denke ich denn da überhaupt, wir sind noch nicht verheiratet, und über Kinder haben wir überhaupt noch nicht einmal nachgedacht. Es ist doch noch viel zu früh, sich darüber Gedanken zu machen."

Sarah ließ sich von Chuck und Elli in eine Umarmung ziehen, und genoss es einmal mehr, gewissermaßen Teil einer Familie zu sein. Sie konnte Chuck verstehen, und würde ihm helfen seine Mutter zu finden. Im Grunde seines Herzens wünscht sich jeder eine Familie -- eine Gemeinschaft, zu der man gehört -- und Sarah bildete da keine Ausnahme.

Im nächsten Moment kam Morgan -- wie immer ohne zu klopfen -- durch die Tür, in der Hand einen Beutel mit Bagels und einem Grinsen im Gesicht. „Devon hat mir die frohe Botschaft mitgeteilt. Lass dich drücken, Mami!" Bevor sich Elli wehren konnte, hatte sie Morgan schon umarmt und drückte sie. „Ich freue mich für euch. Wisst ihr schon, wer der Pate werden soll?"

Chuck zupfte Sarah sanft am Ärmel: „Komm lieber mit, das wird jetzt dramatisch, und ich denke, dass willst du nicht sehen." Als sie sich in die Küche zurückzogen, war aus dem Wohnzimmer ein langgezogenes Wehklagen zu hören, und Chuck sah Sarah wissend an. „Morgan kommt mit Zurückweisung nicht gut zurecht."

Als sie fünf Minuten später wieder ins Wohnzimmer kamen, saß der geknickte Morgan auf der Couch und Elli hatte ihm tröstend die Hand auf den Arm gelegt. „... wusste nicht, dass es dir so viel bedeutet hätte. Aber Chuck ist mein Bruder." Morgan sah auf, und Chuck und Sarah ins Gesicht. Schniefend erklärte er: „Du hättest keine zwei besseren Menschen auswählen können, Elli, und ich freue mich für dich. Dann werde ich einfach nur der nette Onkel Morgan sein..." - „Der lustige, durchgeknallte und ausgeflippte Onkel Morgan eher..." flüsterte Chuck Sarah leise zu.

Chuck hörte im Schlafzimmer sein Handy klingeln und ging nachsehen. Als er zurückkehrte formte er lautlos die Worte „Casey", „The Castle" und „Unverzüglich" in Sarahs und Morgans Richtung. Morgan richtete sich auf und sagte scheinbar gefasst: „Komm Chuck, das Buy More wartet auf uns." Er umarmte Elli nochmal und schaffte es sogar, ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Ich freue mich wirklich für euch beide, Elli... Ihr werdet wundervolle Eltern werden." Chuck legte einen Arm um die Schulter seines besten Freundes und führte ihn hinaus.

Draußen warteten Chuck und Morgan -- der sich langsam beruhigte -- bis sie sahen, dass Elli das Haus verließ, und ihr keine fünf Minuten später auch Sarah folgte. „Casey wartet auf uns. Er hat uns was von Beckmann mitzuteilen." erklärte Chuck und sie machten sich auf den Weg ins neu eröffnete Buy More, das jetzt unter CIA-Leitung stand.

 

* * *

 

„Wir haben einen Auftrag von General Beckmann, und sollen heute Abend aufbrechen." Casey war gerade dabei zu packen und nickte Sarah, Chuck und Morgan zur Begrüßung nur knapp zu, als sie „Die Festung" betraten. „Unser Ziel ist eine Einrichtung von Volkoff Industries in Ðakovo... bei Belgrad"

Die drei sahen ihn erstaunt an. „Wie..." - „Was..." - „Wie ich das geschafft habe, wollt ihr wissen? Ganz einfach. Ich habe ihr die Wahrheit gesagt." Noch immer konnten sie ihm nicht folgen. „Du hast Beckmann gesagt, dass wir nach Chucks Mutter suchen?" wollte Morgan wissen. „Nein, du Trottel! Ich habe ihr gesagt, dass wir dank dir eine weitere Einrichtung unseres mysteriösen Volkoff entdeckt haben, und Beckmann will, dass wir alles über die Anlage und die Hintermänner herausfinden -- und Chuck... Sie besteht darauf, dass du dabei bist. Dann lässt sie uns freie Hand, solange wir unter dem Radar bleiben und keine Pferde scheu machen."

Chuck grinste breit, während Sarah ihren Kollegen von der NSA erstaunt und amüsiert ansah. Morgan war es, der die Dinge auf den Punkt brachte: „Tja... da kann man nichts machen. Befehl ist Befehl. Und wenn General Beckmann von dir verlangt, dir die Anlage und die darin enthaltenen Computer sehr gründlich vorzunehmen, dann musst du tun, was du tun musst, Chuck." Er schlug Casey vor lauter Aufregung auf die Schulter. „Sehr gut eingefädelt, Casey." - „Mach das nochmal, und ich reiß dir den Arm ab, Schwachkopf." Caseys grimmiges Gesicht ließ nicht erkennen, ob er es ernst meinte, oder Morgan nur auf den Arm nehmen wollte, aber der kleine bärtige Mann wollte kein Risiko eingehen und murmelte ein leises „Sorry" in seinen Bart.

„Unsere Maschine geht heute Abend um halb elf, und ich habe schon Ðorđe Orahovac, den Kontaktmann deines Vaters, informiert, Chuck. Er trifft uns dann am Flughafen mit allen Erkenntnissen, die der SUP hat." erklärte Casey, während er weitere Teile der Ausrüstung einpackte. „Walker, mit deinen Polnischkenntnissen wird die Landessprache für dich kein Problem sein, und für dich ohnehin nicht, oder Chuck?" Er warf Morgan ohne hinzusehen zwei Bücher zu: „Mach dich schon mal damit vertraut... Vielleicht bringt es was, wie damals in der Schweiz." Morgan zog sich mit dem Wörterbuch und dem Reiseführer über Belgrad zurück, die Casey für ihn besorgt hatte, und bald war auch Casey in einem anderen Teil des Castles beschäftigt.

Chuck schüttelte verwundert den Kopf. „Ihm scheint wirklich daran zu liegen, dass ich meine Mutter finde..." überlegte er laut, als Sarah ihren Arm um ihn legte. „Vergiss nicht, er ist ein Marine UND ein Feldagent. Sein Credo ist: „Keiner wird zurückgelassen". Das gilt auch für deine Mutter. Sie war eine von uns, genauso wie du, er oder ich. Casey mag dich, und hat einen sehr strikten Ehrenkodex. Außerdem kann er auf die Art zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir müssen wirklich mehr über Volkoff und seine Organisation erfahren, und wenn du durch deine Suche nach deiner Mutter zusätzlich motiviert bist, kann uns das nur von Nutzen sein." Chuck hätte verletzt sein können, weil sein Freund -- und als solchen sah er Casey schon eine geraume Zeit an -- so manipulativ war, aber als Spion erkannte er, dass er selbst es auch nicht anders gemacht hätte. Die Mission hatte immer Vorrang, das wusste Chuck selbst sehr genau, hatte er doch genau aus diesem Grund vor fast einem Jahr seine Gelegenheit nicht genutzt, mit Sarah durchzubrennen.

„Dann sollten wir uns langsam mal bereit machen, meinst du nicht auch?" fragte er. „Das wird ein langer Flug." Chuck küsste seine Freundin und Partnerin, dann machte er einen Schritt zurück. „Uns wird wohl keine ruhige Minute mit einander gegönnt, oder?" lächelte er sie an. „Ich warte dann zuhause, und packe unsere Sachen. Soll ich irgendetwas Spezielles einpacken?" Sarah schien einen Moment zu überlegen, dann antwortete sie: „Ja, die Kamera, auf der die Bilder aus Costa Gravas sind..." Ein Lächeln zog über ihr Gesicht. „... und das weiße Kleid, das ich in Paris gekauft habe -- nur für alle Fälle." Sie küsste ihn frech auf die Lippen „Bis später, Schatz." und machte sich daran, ein Missionsdossier zusammenzustellen, um für sie alle sämtliche Informationen kurz und knapp verfügbar zu haben, während Chuck nach Hause fuhr um zu packen. Es würde ein langer Flug werden, und an Chucks Schulter würde sie sich sicher entspannen können.

 

* * *

 

„Dobro došli u našem lepom Beogradu!" wurden sie in Belgrad willkommen geheißen. Ðorđe Orahovac erwies sich als ein munterer und fröhlicher Mensch, der sie nach ihrer Landung am späten Abend mit einem Lächeln und einem vertrauenerweckenden Händedruck am Gate erwartete. Vor allem Casey war der 1,82m große, bullige und selbstsichere Ex-Bodyguard auf Anhieb sympathisch.

„Ich habe ihnen eine Akte angefertigt, die unsere Erkenntnisse zusammenfasst, soweit wir welche haben. Volkoff Industries ist in unserem Land noch nie negativ aufgefallen, und beim gegenwärtigen Stand der Korruption muss ich vorsichtig sein, wieviel Staub ich aufwirble." Er begleitete sie zu einem geräumigen SUV ohne Kennzeichnung, und ließ sie einsteigen. „Deswegen müssen sie verstehen, dass unsere Kooperation nur inoffiziell stattfinden darf, zumindest, bis sie handfeste Beweise vorlegen können. Erst dann kann meine Behörde eingreifen -- aber meine Unterstützung haben sie jetzt schon." Er gab seinem Chauffeur ein Zeichen. „Vladimira Rolovića 197" und zu den vier gewandt sagte er: „Ich habe für sie eine provisorische Operationsbasis in einer sicheren und unauffälligen Wohnung eingerichtet, bis sie sich etwas orientiert haben. Die Wohnung steht seit einiger Zeit leer und gehört einen Freund von mir, der in Deutschland lebt, und sie nur während der Sommermonate benötigt, wenn überhaupt. So erfährt vorerst auch niemand, dass sie hier sind, und sie können sich ungestört umsehen."

Als sie vor dem Haus ankamen, und ihr Gepäck ausluden, reichte Orahovac Sarah die Schlüssel mit den Worten: „Machen sie es sich gemütlich und ruhen sie sich aus. Wenn sie fragen an mich haben, bin ich ab morgen früh um halb neun in meinem Büro zu erreichen -- und vorher klopfen sie einfach an, ich wohne nebenan." er lächelte sie alle an, und ging schon mal auf das Haus zu.

Der Wagen fuhr an, und ließ die vier auf einem großen Platz stehen, auf dem sogar zu dieser späten Stunde noch Kinder aller Altersklassen spielten und herumalberten. Ein paar der älteren Jungs, vielleicht um die 12 oder 13, bewunderten Sarah mit offensichtlichem Interesse, und ein ganz forsches Bürschchen näherte sich den Neuankömmlingen sogar und begann, sie in fast fließendem Englisch auszufragen. Wer sie denn seien, wo sie herkämen, ob sie länger blieben -- und zu guter Letzt, ob Sarah einen Freund habe. An dieser Stelle musste der schmunzelnde Chuck dann doch eingreifen. „To je moja cura." stellte er seinen „Besitzanspruch" auf „das Mädchen" unmissverständlich in fließendem Serbisch klar und nahm sie demonstrativ in den Arm, worauf ihn der Bengel musterte, bewundernd nickte, und Chuck seines Neides versicherte. „Zavidim ti, brate mili."

„Ostavljaite ljude na miru, kako ste tako bezobrazni!" Schimpfte der SUP-Man mit den -- in seinen Augen frechen und aufdringlichen -- Nachbarskindern, ermahnte sie, die Neuankömmlinge nicht zu belästigen und auch nicht so unverschämt zu sein. Dann bat er die vier, die, von ihm unbemerkt, stehengeblieben waren, mit einer einladenden Handbewegung ins Haus. Chuck glaubte noch gehört zu haben, wie einer der Jungs zu den anderen sagte: „Koja oštra maćka." und musste -- bei dieser Vorstellung frech grinsend -- zustimmen, dass Sarah wirklich eine „scharfe Katze" war.

Während die Kinder sich wieder ihren Beschäftigungen zuwandten, betraten die vier, von Orahovac geführt, erst das Haus, dann das kleine Apartment, dass für die nächste Zeit ihre Basis sein würde. „Der Eigentümer hat die Wohnung von seiner Großtante, meiner früheren Nachbarin, geerbt, und aus Respekt vor ihr kaum etwas an der Einrichtung verändert. Das Bad ist aber ganz neu gemacht, und sowohl Telefon als auch Breitband-DSL sind verfügbar. Im Kleiderschrank liegen zwei Luftmatratzen mit Aufblasautomatik, und da ist auch noch ein Paravent hinter der Tür." Er sah sich um, blickte auf die Uhr und sagte: „Wenn sie keine weiteren Fragen haben, ziehe ich mich zurück, und wir sehen uns dann morgen um zehn Uhr zum Frühstück. Mein Fahrer wird sie abholen."

Als sich die Tür hinter ihm schloss, sah sich Casey musternd um. Schnell erkannte er, dass die Wohnung zwar nicht in jeder Hinsicht auf dem neuesten Stand war, aber für den Anfang ausreichte. „Falls jemand duschen will, sollten wir den Boiler vorher einschalten... Und geht sparsam mit dem heißen Wasser um, so ein Boiler fasst nicht viel, und braucht eine Weile, bis er das Wasser heiß gemacht hat. Morgen werden wir dann weiter sehen, was wir wegen einer neuen Unterkunft machen können." erklärte er. „Ich weiß nicht, ich finde die Wohnung ganz nett, und sie hat irgendwie etwas Gemütliches." Sarah war selbst etwas überrascht, aber sie mochte die kleine Erdgeschosswohnung mit ihrem 70er Jahre Charme.

„Mal eine praktischere Frage..." ließ sich Morgan vernehmen. „Wo sollen wir alle schlafen? Ich sehe hier nur ein Bett." Er sah sich um. „Sollen wir ausknobeln, wer das Bett und wer die Luftmatratzen bekommen soll?" - „Nicht nötig!" Casey holte den Paravent hervor und stellte ihn so auf, dass das Bett nicht zu sehen war. „Du und ich nehmen die Matratzen und Chuck und Walker bekommen das Bett... Wenn sie versprechen, sich zusammenzureißen." Sarah und -- nach einem leichten Ellenbogenstoß Sarahs -- auch der etwas verwirrte Chuck nickten ernst und lachten dann. „Wir werden brav bleiben, Casey. Ehrenwort." versprachen sie, und machten sich ans Auspacken ihres Gepäcks.

Zwei Stunden später hatten sie ausgepackt, sich frisch gemacht, und beschlossen den Tag enden zu lassen, um am nächsten Morgen ausgeruht und fit zu sein. Sowohl Chuck als auch Sarah mussten sich beherrschen, nicht zu lachen, als sie Morgan und Casey Seite an Seite auf den Luftmatratzen liegen sahen, Casey in einem konservativen Pyjama und Morgan mit einem Pyjama, der seine Leidenschaft für Star Wars mehr als deutlich zeigte. Über und über war dieser mit den Figuren der Filme bedruckt.

Als sie einschlief, ging Sarah noch durch den Kopf, dass es wirklich ein Glück war, dass Morgan inzwischen nicht mehr nackt schlief.

 

* * *

 

Dunkelheit umgab ihn wie ein dichter Vorhang, und für einen Moment wusste Morgan nicht, wo er war, aber als er das deutliche Schnarchen neben sich hörte, fiel es ihm wieder ein. Er lag auf einer Luftmatratze in einem kleinen Apartment in Belgrad -- und neben ihm lag der Mann, der ihn mehr Angst machte als alles andere: Colonel John Casey, NSA-Agent und staatlich sanktionierter Attentäter.

Morgan drehte sich auf die andere Seite und stieg aus dem Bett. Als er hinter dem Paravent hervorkam, sah er, dass die Balkontür offen stand, und Sarah auf einem der Stühle am Tisch auf dem Balkon saß. Da Morgan eine ganze Weile mit Chuck und Sarah zusammengewohnt hatte, war es für ihn nichts Neues mehr, Sarah nur leicht bekleidet zu sehen, dafür war er ihr einfach schon zu oft nachts ins der Küche begegnet, oder ihr über den Weg gelaufen, als sie aus der Dusche kam -- Ihretwegen hatte er ja auch aufgehört, nackt zu schlafen.

„Kannst du nicht schlafen, Morgan?" Morgan hatte sich nicht die Mühe gemacht, besonders leise zu sein, da er nicht dachte, dass noch jemand wach sein könnte, womit klar war, dass ihn Sarah gehört hatte. „Casey schnarcht -- und er schnarcht lauter als ich." war seine Antwort. „Ist bei dir alles ok? Warum schläfst du nicht?" Sarah sah zu ihm, und wirkte im Licht der Straßenlaternen, die durch die Bäume vor dem Haus gefiltert wurden, sonderbar verletzlich. Als wollte sie sich gegen eine drohende Gefahr wappnen, hatte sie den Morgenmantel eng um sich gezogen.

„Was ist los, Sarah? Ich kenne dich inzwischen gut genug, um zu wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist." - „Morgan, was hältst du von Chucks Suche nach seiner Mutter?" Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber, um ihr genau ins Gesicht sehen zu können. „Sarah... Als Mrs. B. weg war, ging für Chuck die Welt unter. Wenig später verschwand auch sein Vater, und Elli musste sich um ihn kümmern. Das weißt du alles. Kannst du dir vorstellen, dass er damals ängstlicher war als ich? Er hat langsam angefangen sich zu berappeln, als er glaubte, sich um mich kümmern zu müssen." Sarah sah ihn skeptisch an. „Ok... Es war auch für mich sehr gut, als er sich meiner annahm, aber darauf will ich garnicht hinaus. Ich würde Chuck ans Ende der Welt folgen, und werde immer für ihn da sein, aber jetzt besonders. Ich weiß nicht, ob dir klar ist, was ihm seine Mutter bedeutet, vor allem jetzt, nachdem sein Vater tot ist. Chuck ist ein Familienmensch, durch und durch..." Sarah gingen wieder Bilder durch den Kopf: Chuck als Vater; Chuck mit einem Baby auf dem Arm, über das ganze Gesicht strahlend. „... ist auch der Grund für seine Stärke. Im Moment sind wir seine Familie. Allen voran du, Sarah, aber er hat seine Mutter nicht mehr gesehen, seit er ein kleiner Junge war. Abgesehen davon braucht er Antworten. Antworten, die ihm nur seine Mutter geben kann."

„Ich mache mir Sorgen, Morgan." Ihre Stimme klang sehr leise und unsicher, und Morgan hatte das Gefühl, dass Sarah vor etwas Angst hatte. „Was ist, wenn wir Mary Elizabeth finden, und sich herausstellt, dass sie nicht mehr die Frau ist, die sie mal war. Sieh dir nur an, wie sich Chuck in der kurzen Zeit verändert hat. Ich kann ihn verstehen, aber ich kann auch Prag nicht vergessen..." Morgan wollte etwas erwidern, aber Sarah schnitt ihm mit einer knappen Geste das Wort ab. „Ich weiß es, Morgan, und ich verstehe auch seine Beweggründe. Das ändert aber nichts daran, dass ich das Gefühl habe, die Dinge wiederholen sich. Mary Elizabeth verließ ihre Familie weil sie eine Spionin war, und Chuck wies mich zurück, um ein Spion zu werden -- beide wollten einem großen Guten dienen, und waren bereit, ihr persönliches Glück hintan zu stellen." Morgan sah Sarah jetzt sehr genau an. „Du hast Angst, dass er dich irgendwann einmal verlassen wird..." - „Seit Elli bei uns war, um uns zu bitten, die Paten des Kindes zu werden, denke ich oft daran, wie es wäre, eine Familie zu haben, Morgan... Eine Familie mit Chuck. Aber ich habe auch Angst, dass ihn diese Familie nicht davon abhalten könnte, sein Leben aufs Spiel zu setzen, wie es seine Mutter vor ihm getan hat -- und wie es sein Vater auch schon getan hat. So ehrenhaft Stevens Motive auch waren, hat er doch den kleinen Chuck in der Obhut der kaum größeren Elli zurückgelassen."

Morgan beugte sich vor und nahm Sarah in den Arm. „Chuck ist weder seine Mutter, noch sein Vater, und am allerwenigsten ist er dein Vater. Das ist dein Chuck, der sogar einen Panzer auffahren ließ, als er dachte, du wärst in Gefahr -- er würde alles tun, um dich zu beschützen." - „Aber sie ist seine Mutter... Wie wird er wählen, wenn er sich zwischen ihr und mir entscheiden müsste?" - „Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wie er sich in Moskau entschieden hat... Deswegen sind wir hier. Er hat sich für dich entschieden, ohne zu wissen, ob er seiner Mutter je wieder auf die Spur kommen kann. Das sollte dir Antwort genug sein, Sarah, meinst du nicht auch?"

Erstaunlicherweise fühlte sich Sarah etwas besser, nachdem sie mit Morgan gesprochen hatte, auch wenn er ihr ihre Ängste nicht nehmen konnte. Natürlich hatte Morgan Recht, Chuck würde für sie alles tun, und hat in Moskau die Daten geopfert, um sie und Casey zu retten, aber Sarah konnte nur hoffen, dass sich daran nichts ändert. Es war für sie noch alles so neu und ungewohnt, und sie hatte Angst, das einzig wirklich Gute, das ihr im Leben widerfahren ist, zu verlieren.

„Ich finde, Chuck muss von dieser Unterhaltung nichts erfahren. Von mir wird er jedenfalls nie etwas erfahren. Und wenn du mit jemandem reden willst, ich bin für dich da, Sarah..." Sarah wusste, dass Morgan das auch wirklich so meinte, wie er es sagte. Sie ertappte sich selbst hin und wieder dabei, den kleinen bärtigen Mann als eine Art... Nun ja, nicht direkt Bruder, aber eine Art seltsamen und manchmal unheimlichen Cousin zu betrachten.

Sie trat wieder ins Zimmer, während Morgan noch etwas die milde Nachtluft genoss, und sah Chuck auf dem Bett liegen, vollkommen friedlich und entspannt. Vorsichtig legte sie sich wieder neben ihn und küsste ihn auf die Wange. „Sarah..." Er murmelte lächelnd im Schlaf vor sich hin und sie konnte nicht anders, als das süß und niedlich zu finden. „Ich liebe dich, Chuck, und stehe immer hinter dir. Verzeih mir, dass ich Angst habe, aber ich weiß nicht, ob ich leben könnte, wenn ich dich verliere." Sie hatte keine Ahnung, ob er sie hören oder gar verstehen konnte, aber wie als Antwort drehte er sich zu ihr, legte seinen Arm um sie und zog sie mit den gemurmelten Worten „Komm her, Schatz... Ohne dich ist das Bett so kalt." an sich.

Während Chuck im Schlaf ihren Nacken küsste -- etwas was er oft, gern und sehr gut konnte, selbst wenn er tief schlief -- entspannte sich Sarah immer mehr, und als sie wieder in den Schlaf driftete, lächelte sie sogar wieder.

 

* * *

 

Das Wecken übernahm Casey sehr gerne. Vielleicht musste man als Colonel der Marines so strikt sein, aber Morgan war eher der Überzeugung, dass Casey es auf eine sadistische Art genoss, ihn mitsamt der Luftmatratze auf den Boden zu kippen. Als er sich aufrappelte, sah er, dass Sarah Chuck sehr viel sanfter geweckt haben musste, denn Chuck lächelte unbekümmert. „Denkt dran, sparsam mit dem Wasser zu sein." ermahnte sie Morgan, der sich die Worte Caseys vom Vorabend eingeprägt hatte. „Darum gehen wir auch zu zweit duschen..." Chuck grinste noch breiter, und Morgan erwiderte nur noch hastig: „Keine Details!!"

Nach und nach kam jeder von ihnen an die Reihe, ins Bad zu dürfen. Morgan beeilte sich zwar schon, aber als Ex-Marine war Casey augenscheinlich sehr geringen Luxus gewöhnt, denn er schaffte es tatsächlich, sich innerhalb von fünf Minuten abmarschbereit zu machen.

„Der Wagen ist da." Sarah kam, gefolgt von Chuck, vom Balkon herein und blickte in die Runde. „Perfektes Timing, ich verhungere." meinte Morgan und war auch ehrlich gespannt auf das Belgrader Frühstück, von dem er im Reiseführer gelesen hatte. So war es nicht überraschend, dass Morgan die Wohnung auch als erster verließ.

Der Fahrer -- wie die meisten Belgrader -- sprach und verstand sehr gut Englisch, und konnte mit Morgan über die Sehenswürdigkeiten fachsimpeln, während sie vom Stadtteil Cerak durch pulsierende Stadtteilkerne, über Brücken, an der Save entlang und vorbei am WTC (World Trade Center) of Belgrade ins Stadtzentrum fuhren.

Zu ihrer aller Überraschung hielt der Fahrer den Wagen vor einer Art Imbiss an, wenige Meter von der Amerikanischen Botschaft, an der Ecke Sarajevska Ulica und Ulica Vojvode Milenka, entfernt. Ðorđe Orahovac erwartete sie an der Tür des Lokals. „Ich hatte ihnen ja ein echtes Belgrader Frühstück versprochen." Besonders Morgan war neugierig. „Mit leeren Magen sollte man den Tag nicht beginnen, nicht wahr?" - „Da haben sie voll und ganz Recht, Gospodine Grimes." Morgan drehte sich zu seinen Freunden. „Greift zu, ich habe davon gelesen, und es soll sehr gut sein." Orahovac lachte und nickte dann. „Das stimmt, aber für Touristen ist es vielleicht noch etwas ungewohnt. Ich dachte mir nur, wir würden hier nicht sehr auffallen."

„Sieht fast aus wie in der Türkei, und ich wette, es schmeckt auch so." meinte Casey und sah sich die Waren in der Theke an. Letztlich saßen sie alle an einem Tisch, mit ihrem Frühstück vor sich und genossen es dann neugierig und voller Appetit. Casey hatte sich für Pogačice entschieden, kreisrunde Blätterteigteilchen mit einer Schafskäsefüllung, während Morgan einen Burek sa mesom, Blätterteigkuchen mit Hackfleischfüllung, und Chuck und Sarah Burek sa sirom, Blätterteigkuchen mit einer Füllung aus Schafskäse und serbischem Hüttenkäse (Kajmak), genossen. Traditionell tranken alle dazu Joghurt, der sich geschmacklich sehr gut mit dem leicht fettigen und würzigen Essen vertrug.

„Ich denke, ich habe einen Ansatzpunkt für ihre Ermittlungen gefunden." Orahovac tupfte sich mit einer Serviette die Krümel von den Lippen. „Das Gelände von Volkoffs Einrichtung wird von einer hiesigen Sicherheitsfirma namens „Beli Tigar" bewacht, zu der ich noch den einen oder anderen guten Draht habe. Das könnte ihnen helfen, Zugang zu bekommen. Zwar nur zu den Außenanlagen, aber das dürfte schon ein guter Anfang sein, nicht wahr?" - „Haben wir irgendwelche Lagepläne oder Grundrisse der Anlage?" verlangte Casey wissen. „Es war mir klar, dass sie danach fragen werden, Pukovniće Casey." Antwortete er dem NSA-Agenten und gebrauchte dabei -- im Gegensatz zum Zivilisten Morgan -- bei Casey die Bezeichnung dessen militärischen Ranges. „Ich habe Pläne vom Bauamt, die vorgelegt werden mussten, als der Bau der Anlage beantragt wurde, die ich ihnen zukommen lassen werde. Vielleicht können sie bei „Beli Tigar" weitere Pläne und Informationen finden, die ihnen dann noch weiterhelfen."

Morgan hatte sein Frühstück beendet und leckte sich noch die letzten Joghurtreste von den Lippen, bevor er sich den Mund mit einer Serviette abwischte. „Sie erwähnten diese Firma, „Weißer Tiger" schon mehrfach, aber ohne uns zu sagen, inwieweit wir von da Hilfe erwarten können, Ðorđe. Reichen ihre Kontakte zu dieser Firma aus, um uns die nötigen Informationen zu beschaffen?" - Bedauerlicherweise nicht, Gospodine Grimes, und ich will an dieser Stelle auch noch einmal klarstellen, dass ich offiziell von nichts wissen werde, wenn sie beschließen... Nun ja, sich die Informationen auf eigene Faust zu beschaffen."

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, schob seinen Teller von sich und entzündete sich nach einem fragenden Blick in die Runde eine Zigarette. Einige tiefe Züge lang, war von keinem ein Ton zu hören, und mehr als ein Verstand war damit beschäftigt, das weitere Vorgehen zu planen. Kurz bevor das Schweigen hätte peinlich werden können, war Orahovacs Stimme zu vernehmen.

„Es steht mir nicht zu, Vermutungen anzustellen, ob sie willens und in der Lage wären, mitten in der Nacht in die Büroräume des „Weißen Tigers" einzubrechen, um zu bekommen, was sie wollen." Er wirkte mit einem Mal seltsam unbeteiligt und sah keinen von ihnen an. „Schließlich dienen wir alle dem Gesetz und setzen uns für Recht und Ordnung ein, nicht wahr?"

Ðorđe Orahovac sah wieder auf. „Die Zvezdara ist leider nicht mehr die aufmerksame Nachbarschaft, die sie mal war. Ich denke in einem so dunklen und verwinkelten Viertel der Stadt würden sie ihre Zeit doch nicht vergeuden. Da ist heutzutage nichts mehr los." Lächelnd fügte er hinzu: „Was da früher an Leben noch vorherrschte, ist lange weg. Jetzt sind da nur noch Büro- und Geschäftsgebäude, und nach Ende der Bürozeiten findet sich da keine Menschenseele."

Er schrieb dann etwas auf eine der Servietten und reichte sie zusammengeklappt Casey. „Ich bedaure es sehr, ihnen offiziell nicht helfen zu können..." und an Chuck gewandt fügte er hinzu. „Ich bedaure ihren Verlust, und hoffe von ganzem Herzen, dass sie nicht nur an die Beweise herankommen, die sie finden sollen, sondern auch eine Spur ihrer Mutter finden. Wenn ich ihnen helfen kann, werde ich es tun, und wenn sie klare Beweise finden, steht meine Behörde voll und ganz hinter ihnen, darauf haben sie mein Wort."

Mit einem bedauernden Seufzen erhob er sich vom Tisch. „So gerne ich noch weiter mit ihnen plaudern würde, muss ich aber leider zurück ins Büro. Das Frühstück geht auf mich, und mein Fahrer wird sie zum Bahnhof bringen, wo sie sich einen Wagen mieten können. Ich denke, sie würden sich gerne mit einem eigenen Fahrzeug frei in der Stadt bewegen können. Lassen sie mich wissen, wenn sie etwas brauchen, und wenn es in meinen Möglichkeiten liegt, werde ich ihnen helfen." Er verließ das Lokal, und als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, entfaltete Casey die Serviette.

 

„Das Büro von „Beli Tigar" liegt in der Ulica 16. Oktobra, und die beste Stelle, um reinzukommen, ist die Hintertür am westlichen Ende des Gebäudes. Der Magnetkontakt der Tür ist leicht zu überbrücken. Viel Glück."

 

Die kyrillischen Zeichen schienen Casey keine Schwierigkeiten zu bereiten, als er den Text auf englisch auf eine andere Serviette übertrug, damit sie alle lesen konnten. „Offensichtlich denkt Ðorđe, es wäre nicht gut, wenn er uns das mündlich mitteilt. Ich könnte mich irren, aber ich glaube, er steht unter enormem Druck, weil er versucht uns zu helfen." Er zerriss die Servietten in winzige Fetzen und ließ sie in den Aschenbecher fallen.

„Wir sollten uns um einen fahrbaren Untersatz kümmern, wie er vorgeschlagen hat." schlug Chuck vor, und sah sich unauffällig um. „Es wird wirklich praktischer sein, wenn wir selbst mobil sind, und falls er Recht hat, dass seine Behörde ihn wegen uns überwachen lässt, wäre sein Wagen zu auffällig... Und der Fahrer ein zu großer Risikofaktor geworden. Falls Ðorđe wirklich überwacht wird, ist er auch ein Risikofaktor. Wir können uns nur auf einander verlassen."

Unauffällig sah ihn Sarah an, und einmal mehr fiel ihr auf, wie überaus professionell Chuck war, wenn er einer Spur seiner Mutter folgte. Es war nicht mehr nur, dass Chuck zu einem echten Spion wurde, was für sich genommen eine gute Sache wäre, sondern viel mehr so, als wäre Chuck entschlossen, alles Erforderliche zu tun, um seine Mutter zu finden. Schweren Herzens fragte sich Sarah fast widerwillig, wie weit Chuck bereit war, zu gehen, um seine Mutter zu retten.

„Machen wir uns auf den Weg." schlug sie vor, um auf andere Gedanken zu kommen, und nicht immer an die Veränderungen zu denken, die scheinbar in Chuck vor sich gingen. Solange sie beschäftigt war, konnte sie sich einreden, sie würde überreagieren. Morgan warf noch einen verlangenden Blick auf das leckere Gebäck hinter der Theke, doch dann erhob auch er sich, und sie verließen das Lokal.

„Darf ich den Wagen aussuchen?" fragte Morgan, als sie die Straße vor der US-Botschaft überquerten. Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, stieg Casey in den stabilen Geländewagen, den ihnen Orahovac vorübergehend zur Verfügung gestellt hatte, während Sarah auf seine Frage nur geistesabwesend die Schultern zuckte und Chuck ein knappes „Mal sehen." von sich gab, und fuhren dann durch die -- um diese Uhrzeit schon überfüllten -- Straßen zum Bahnhof.

 

* * *

 

Der dunkelgrüne Toyota Prius -- Morgans Vorschlag, da der Wagen nicht nur umweltfreundlich war, sondern auch unauffällig und durch den Elektromotor im Stadtverkehr sehr leise war -- rollte mit Chuck am Steuer lautlos und ohne Licht die mitternächtliche Ulica 16. Oktobra entlang, während Sarah geduldig durch den Restlichtverstärker die Fassaden der Gebäude nach dem Firmenschild der Sicherheitsfirma absuchte. Nach wenigen Minuten deutete sie in die Dunkelheit. „Da vorne ist es, das überaus geschmackvolle Schild mit dem springenden weißen Tiger." Sie senkte das Nachtsichtgerät und sofort versank die Umgebung in eine, von verstreuten Straßenlaternen schwach eingedämmte, Finsternis. „In der Dunkelheit müssen wir uns wirklich keine Sorgen machen, gesehen zu werden. Hier ist keine Menschenseele." - „Stimmt zwar, Morgan, aber wir sollten uns trotzdem vorsichtig verhalten, das hier ist einfach zu perfekt." war Sarahs Antwort.

Als sie vor dem zweistöckigen Gebäude standen, konnten sie erkennen, dass die Einfahrt auf den Innenhof von einem einfachen eisernen Tor mit zwei Riegeln versperrt wurde, das sie im Handumdrehen geöffnet haben würden. Wenige Minuten später schloss sich das Tor hinter dem Mietwagen und Morgan folgte dem Auto zum Gebäude.

Der Firmensitz von „Beli Tigar" entpuppte sich als altes, zweigeschossiges Fabrikgebäude in U-Form. Das untere Geschoss wurde fast vollkommen von Garagen und einer Werkstatt eingenommen, die sich links und rechts der großen zweiflügeligen Eingangstür gruppierten. Zwischen den Enden der äußeren Gebäudetrakte und der umgebenden Mauer führte ein etwa zwei Meter breiter Weg um das Gebäude, und somit zur Hintertür.

„Der Hintereingang dürfte in dieser Richtung hier liegen." stellte Casey fest, und ging voraus. Die Rückseite der ehemaligen Fabrikhalle lag in stygischer Finsternis da, und die vier streiften sich ihre Nachtsichtgeräte über, damit kein Lichtschein einer Taschenlampe ihre Anwesenheit verraten könnte. Auch wenn die Gegend ausgestorben wirkte, konnten sie sich nicht darauf verlassen, dass nicht doch zufällig jemand verräterische Lichter sehen würde.

Der Hintereingang war auch in der Dunkelheit nicht zu verfehlen, und wie es ihnen Orahovac vorhergesagt hatte, war die Tür in sekundenschnelle offen, nachdem sie die Magnetstreifen überbrückt hatten. Die Tür führte direkt in einen Umkleideraum, der nach Schweiß, Deodorant, Zigaretten und Waffenöl roch, und an seinem entfernten Ende rechts in einen Duschraum überging, während er links zu einer Treppe führte. Da dieses Mal Chuck voraus ging, deckte Casey ihren Rücken, und Morgan folgte Sarah die Treppe hinauf, fasziniert davon, ein echtes Nachtsichtgerät zu tragen, und nicht nur die entsprechende Illusion in einem seiner Computerspiele zu erleben.

Das Ende der Treppe erweiterte sich zu einem kleinen Vorraum, der in einen schmalen Gang führte, von dem jeweils zwei Türen zu jeder Seite abgingen. Direkt an der Treppe fanden sie eine Übersichtstafel mit sämtlichen Fluchtwegen, Feuerschutztüren, Rauchabzügen und -- was am Wichtigsten war -- allen Räumen mit genauer Bezeichnung der Verwendung. Das Archiv befand sich, wie auch der EDV-Raum und die Server in einem fensterlosen Lagerraum am anderen Ende des Gebäudemittelteils.

„Entweder ist heute unser Glückstag, oder die sind hier sehr unvorsichtig mit ihren Daten." Zu ihrem Erstaunen war der Raum in das sanfte Licht der eingeschalteten TFT-Monitore getaucht, so dass sie ihre Restlichtverstärker abnehmen konnten. „Ich glaube, weder noch, Casey. Das ist eine simple Check- und Updatesequenz, die hier durchläuft. Vermutlich durchlaufen die Rechner diese Prozedur jede Nacht. Einmal scannen und aktualisieren, und da sie die Rechner nachts nicht brauchen, haben sie die Ressourcen frei. Eine externe Firewall sichert dabei das System nach außen" - „Ihr beide kümmert euch um die Computer, und Walker und ich sehen uns hier noch weiter um." Casey wandte sich ab und streifte das Nachtsichtgerät wieder über.

Als Casey und Sarah knappe fünfzehn Minuten später zurückkamen, konnte Chuck auf Caseys Gesicht schon die Frustration erkennen, bevor der NSA-Agent sein Nachtsichtgerät abgenommen hatte. „Super! Das hier ist ein „papierloses Büro", und das einzige Papier, dass du hier finden kannst, sind die Flyer von diversen Lieferdiensten und die fast schon obligatorischen Pornomagazine in einigen Schreibtischen." Er musterte erst Chuck, der hinter Morgan stand, dann Morgan, der etwas am Computer machte, mürrisch.

„Seid wenigstens ihr beiden weitergekommen, oder war die ganze Aktion hier ein Fehlschlag?" Chuck hielt mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck einen USB-Stick hoch „Alle Daten übertragen." und Morgan lehnte sich entspannt und breit grinsend im Stuhl zurück, hielt acht Plastikkarten hoch und erklärte in einem Ton, der „Q" aus den James-Bond-Filmen nachahmen sollte: „Das hier sind Schlüsselkarten zu Volkoffs Anlage. Mit ihnen haben wir Zugang zu so ziemlich allen Sicherheitsebenen. Wir sind jetzt offizielle Mitarbeiter von „Beli Tigar". Sobald wir wissen, wann wir losschlagen wollen, muss uns Chuck nur in die offiziellen Einsatzpläne einfügen." - „Eine entsprechende Hintertür habe ich schon in deren System eingebaut." erklärte Chuck, nicht ohne hörbaren Stolz in seiner Stimme.

Sarah schüttelte schmunzelnd den Kopf, zwischen Chucks und Morgans zufriedenen Mienen und Caseys verschlossenem Antlitz hin und her blickend. „Dann sind wir ja hier fertig. Lasst uns verschwinden." forderte sie die anderen zum Aufbruch auf.

Auf dem Weg die Treppe hinab, Casey und Morgan übernahmen die Vorhut, während Chuck und Sarah hinterher kamen, flüsterte Sarah: „Du wirst immer besser, Chuck. Ich bin sehr beeindruckt." Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn zärtlich. „Ich liebe dich, und bin sehr stolz auf dich." Im Display des Nachtsichtgeräts erschien Chucks Gesicht seltsam, aber sein Lächeln war unübersehbar. „Ich hatte eine gute Lehrerin." - „Könnt ihr beiden Turteltauben mal die Klappe halten, und warten, bis wir wieder im Wagen sind?" hörte man Caseys Knurren von unten. „Wir wollen doch möglichst unauffällig bleiben, oder?"

Als sie wenige Minuten später wieder zum Wagen kamen, steckte ein Zettel unter dem Scheibenwischer. „Scheinbar waren wir doch nicht so unauffällig, wie du angenommen hast, Grimes." meinte Casey beißend. Nach einem Blick in die Runde zog Chuck die Notiz hervor und las sie mit gedämpfter Stimme vor:„Ich vermute, sie haben ein großes Interesse an der Anlage von Volkoff Industries. Es wäre möglich, dass ich ihnen helfen kann. Treffen sie mich morgen Mittag um zwölf an der Ecke Ulica Karađorđeva und Milovana Milovanovića im „Café Željeznik". Setzen sie sich an den hintersten Tisch, damit wir ungestört sein können."

 

Es war Morgan, der aussprach, was alle dachten: „Es könnte eine Falle sein. Volkoff weiß, daß wir ihm auf den Fersen sind." - „Was du nicht sagst, du..." wollte ihn Casey zurechtweisen, doch er kam nicht dazu. „Aber wir können uns dem nicht entziehen." entgegnete Sarah. „Unsere Deckung ist vielleicht aufgeflogen, und wir müssen herausfinden, wie groß das Problem ist." Casey legte sich auf den Boden und leuchtete jeden Winkel unter dem Wagen aus. „Ich kann keine Peilsender oder ähnliches entdecken, aber das heißt nicht, daß da keine sind. Wenn derjenige, von dem die Nachricht kam, uns hier finden konnte, könnte er uns auch zum Apartment folgen. Wir müssen den Wagen loswerden." Knurrend fügte er hinzu. „Grimes hätte beim Wagen warten können, dann wäre das nicht passiert." - „Vielleicht Casey, aber ein einzelner Mann in einem abgestellten Wagen in einer dunklen Gegend wäre auch nicht besonders unauffällig, meinst du nicht auch?" Casey gab nur ein unwilliges Schnauben von sich, und stieg in den Wagen. Auch wenn Morgan Recht hatte, würde er es dem bärtigen Troll nicht auf die Nase binden.

Chuck, der dank des Intersect keinen Stadtplan oder einen Navigationscomputer brauchte, steuerte den Wagen durch die Straßen, und entspannte sich immer mehr, je dichter der Verkehr in Richtung Belgrader Altstadt wurde. Im nächtlichen Stoßverkehr auf der Savska Ulica in Richtung Hauptbahnhof waren sie bald mit dem restlichen Gewimmel der Millionenstadt verschmolzen, und eine Verfolgung eher unwahrscheinlich.

Etwa auf Höhe des Bahnhofs lenkte Chuck die Aufmerksamkeit seiner Passagiere auf ein Gebäude zu ihrer Linken. „Da vorne, an der Ecke, etwa 250 Meter voraus, das ist das Café Željeznik. Seht es euch genauer an. Ich will jetzt nicht anhalten, für den Fall, dass es überwacht wird. Außerdem müssen wir bald den Wagen los werden. So lange wir nicht wissen, von wem die Nachricht ist, sollten wir versuchen, unter dem Radar zu bleiben."

Casey überlegte laut: Für eine gründliche Überprüfung bleibt uns jetzt keine Zeit, solange wir nicht sicher sein können, nicht verfolgt..." - „Hier spricht Morgan Grimes." Morgan hatte sein Handy hervorgeholt, und nannte seinem Gesprächspartner gerade seinen Freigabestatus. „... muss dringend mit ihrem Nachrichtendienstoffizier sprechen..." er hörte einen Moment zu, schloss die Augen fest und antwortete dann mit fester Stimme: „Dann holen sie ihn aus dem Bett, dies hier hat oberste Priorität! Gut, ich warte."

Erst als seine Worte verklungen waren, ohne dass sein Gegenüber widersprach, wagte er es, die Augen wieder zu öffnen. Als er die Blicke auf sich ruhen sah, zuckte er die Achseln und meinte trocken: „Nur weil wir es uns nicht selbst ansehen können, heißt es nicht, dass sich niemand ein Bild machen kann." Eine Stimme war aus seinem Handy zu hören, und Morgan atmete tief durch. „Guten Abend, Mister Carter, Morgan Grimes hier, Central Intelligence Agency... Entschuldigen sie die späte Störung, aber ich muss sie um ein paar Gefallen bitten..."

Innerhalb kürzester Zeit hatte Morgan dafür gesorgt, dass drei Botschaftsmitarbeiter sich das Café noch vor Tagesanbruch genau ansehen, und ihnen einen kompletten Bericht abliefern würden. Ein vierter Botschaftsmitarbeiter würde den Prius abholen und ihnen im Morgengrauen einen neuen Mietwagen vor die Tür stellen. Als er auflegte, drückte vor allem Caseys Gesicht grenzenlose Verblüffung aus. „Wann hast du dir denn ein neues Paar Eier wachsen lassen, Grimes?" fragte er mit milder Verachtung. „Ich weiß nicht, Casey... Vielleicht, als du deinen Familiensinn entdeckt hast?" Morgan kam nicht umhin, festzustellen, dass seine Beziehung zu Alex -- Caseys Tochter -- in ihm ungeahnte Potentiale freisetzte -- von Mut ganz zu schweigen.

In Sarahs plötzlichem Auflachen ging Caseys gemurmelte Antwort „Werd hier nicht frech, du Punk." fast völlig unter, doch auch so war klar, dass ihn Morgan dieses Mal wirklich ausgehebelt hatte. Chuck hatte inzwischen den Wagen auf dem Gelände des Zentralen Omnibusbahnhofs gewendet, und fuhr auf der Savska Ulica wieder am Hauptbahnhof entlang auf der Suche nach einer Parkmöglichkeit. Instinktiv bog er von der Savska Ulica in die Nemanjina Ulica ein, folgte einer Eingebung in die Balkanska Ulica -- eine erstaunlich steile Straße für eine Großstadt wie Belgrad -- und fand schließlich am Ende ihrer Querstraße Ulica Kraljice Natalije einen großen Parkplatz nahe dem Bauern- und Gemüsemarkt Zeleni Venac.

„Ok, ich denke, hier können wir den Wagen lassen. Du musst nur die Botschaft informieren, wo der Wagen steht, Morgan." - „Und wie kommen wir hier jetzt weg? Denkst du, wir finden ein Taxi um diese Zeit?" wollte Morgan wissen, doch Sarah legte ihre Hand auf seine Schulter. „Das wird nicht nötig sein, schaut mal, wo Chuck uns abgesetzt hat."

Keine zwanzig Meter von ihnen entfernt hielten zwei Busse der Belgrader Verkehrsbetriebe hintereinander an einer Haltestelle -- an der auf serbisch in kyrillischer und lateinischer Schrift, auf englisch, auf französisch und auf deutsch zu lesen stand: „Zentraler Knotenpunkt". „Reife Leistung, Chuck. Du hast einen wirklich guten Parkplatz gefunden. Jetzt müssen wir nur noch den richtigen Bus erwischen." Sarah gab ihm einen Kuss auf die Wange und schmunzelte. „Und dabei hast du die ganze Zeit den Eindruck gemacht, nicht zu wissen, wo wir sind, oder wo du hinfahren sollst." - „Hatte ich auch nicht, Schatz. Ich bin nur meinem Gefühl gefolgt -- sieht aber so aus, als ob sich der Intersect selbständig macht."

Mit einem Mal sah ihn Sarah besorgt an. Der Intersect hatte sich schon einmal „selbständig" gemacht, was für Chuck fast schon tödlich hätte enden können. Das Problem hatte erst eingedämmt werden können, als Steven Bartowski für seinen Sohn den „Gouverneur" entwickelte, einen externen Impulsgeber, der den Intersect im Griff behalten sollte.

„Mach dir keine Sorgen, Schatz..." erklärte Chuck, der Sarahs Gesichtsausdruck richtig gedeutet hatte. „Ich hatte den Intersect wegen der Route zum Café aktiviert... und die Karte war wohl noch unbewusst aktiv. Also kein Grund zur Besorgnis." Er umarmte sie zärtlich und küsste sie liebevoll.

„Ich sollte mal herausfinden, welchen Bus wir nehmen müssen."Mit diesen Worten ging Morgan auf eine Gruppe Menschen an der Haltestelle zu. „Izvinjavam se, koj autobus bi trebao da uzmem za Cerak?" Als er die Antwort auf seine Frage nach dem Bus zum Cerak -- dem Viertel, in dem sie untergebracht waren -- erhalten hatte, kehrte er zu den anderen zurück. „Unser Bus kommt in knapp einer halben Stunde. Da war gerade einer, der hier losgefahren ist, vor fünf Minuten."

So kam es, dass vier Top-Spione an einem Samstag Abend in Belgrad auf einen Bus warteten... Und nicht nur Morgan fand das überaus amüsant. Als der Bus letztlich kam, grinsten, lachten und kicherten sie eigentlich alle über die Absurdität des Moments.

„Warum müssen eigentlich in letzter Zeit alle Auslandsmissionen mit dir und Grimes damit enden, dass wir Bus fahren, Chuck?" Chuck sah Casey nur achselzuckend an, während Sarah den Kopf schüttelte. Sie wollte lieber nichts dazu sagen, aber sie konnte sich noch sehr gut an ihre eigene Irritation erinnern, als sie in Moskau dem sicheren Tod entgangen waren, nur um festzustellen, dass Chuck und Morgan ohne Fluchtwagen in die Anlage eingedrungen waren -- und sie mit dem Linienbus entkommen mussten. Innerlich seufzend dachte sie sich: „Warum sollte Chuck auch irgendetwas so machen wie ein „normaler" Spion?" Dennoch lächelte sie, denn sie war auch stolz darauf, dass „ihr Chuck" was Besonderes war.

 

* * *

 

Chuck hielt Sarah sanft im Arm und atmete ihren Duft ein. Auf der anderen Seite des Paravent schnarchten Morgan und Casey um die Wette, und draußen auf der Straße fuhr vereinzelt ein Nachtschwärmer vorbei. Selbst das hohe fiepen der jagenden Fledermäuse drang an sein Ohr.

Um ihn herum schlief alles, nur er konnte sich nicht entspannen. Gedanken und Fragen rasten in seinem Kopf: Würde er in Volkoffs Anlage finden, was er in Moskau durch seine Finger hatte schlüpfen lassen? Hatte er, als er Casey und Sarah gerettet hatte, seine einzige Gelegenheit verspielt, seine Mutter zu finden? Hatte er bereitwillig seine Mutter für seine Liebste geopfert?

Er sah die schlafende Frau an, die er aus tiefstem Herzen liebte. Im Schlaf war ihr Gesicht vollkommen entspannt, eine verirrte Haarsträhne lag über ihrem Auge, und ihre Lippen waren leicht geöffnet, als erwartete sie einen Kuss von ihm. „Ich will mich nicht zwischen dir und meiner Mom entscheiden müssen, Sarah... Ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden könnte." Sarah drehte sich im Schlaf um, und schmiegte sich genüsslich an ihn. Sanft strich er ihr über den nackten Arm und sofort überzog sich ihre Haut mit einer leichten Gänsehaut. Sie murmelte etwas und seufzte leise, als sie sich noch enger an ihn drückte. Ihr fester Po drückte sich in Chucks Schoß und rieb sich an seiner zunehmenden Erregung. „Vielleicht träumt sie ja..." schmunzelte er in Gedanken.

Konsequent drängte Sarah ihren Hintern gegen Chucks Mitte und das Reiben blieb nicht ohne Wirkung... Und je deutlicher die Wirkung war, desto intensiver rieb sich Sarah an ihm. „Das Spiel können auch zwei spielen." dachte er sich und begann, seine Finger ihren nackten Bauch hinauf unter ihr Top zu führen. Die winzigen, kreisenden Bewegungen hatten ihren Ausgangspunkt zwischen dem Saum ihrer Shorts und ihrem Bauchnabel, und Chuck streichelte mit seinen Fingern immer weiter nach oben, während er jetzt auch seinerseits mit seinem Unterleib Sarahs Gesäß massierte und ihre Liebkosungen erwiderte.

Überraschend spürte er auf einmal Sarahs Hand auf seiner, und streichelnde Finger, die seine Hand hinauf, und über den Unterarm hinweg zu seiner Hüfte wanderten und letztlich auf seinem Hintern zu liegen kamen. Sarah griff ihm an den Hintern! Und ihr Griff war fordernd, als wolle er sagen: „Komm endlich näher heran!"

Während seine Hand langsam über ihren Bauch hinauf wanderte, schob er seinen anderen Arm unter ihrem Kopf hindurch, bis ihr Kopf an seine Schulter geschmiegt war. Ein leiser Seufzer entschlüpfte Sarah und sie küsste die Haut seines Oberarms, während ihr warmer Atem erregend über seine Haut strich.

Jetzt konnte kein Zweifel bestehen, dass Chuck erregt war, und nicht einen Gedanken mehr darauf verschwendete, sich Sorgen irgendeiner Art zu machen. Er war jetzt nur noch auf eines fokussiert. Die Frau in seinen Armen war seine Welt, und er hatte vor, diese seine Welt zu erschüttern. Es spielte auch keine Rolle, dass sie schlief, und vermutlich träumte... Sehr bald würde sie nicht mehr träumen, sondern einen Traum erleben. Ihn interessierte nichteinmal, dass Morgan und Casey im selben Raum lagen und schliefen -- und es war nicht anzunehmen, dass die beiden DAS verschliefen, ohne wenigstens Notiz zu nehmen.

Sarahs Hand war an der Seite in seine Boxershorts geglitten und wanderte jetzt über seine Hüfte nach vorne, während sie langsam nach vorne glitt, um ihrer Hand mehr Bewegungsspielraum zu geben.

Ein weiteres Mal beugte sich Chuck über seine Freundin und sah ihr ins Gesicht. Trotz des schlechten Lichts, das von seiner Seite kam, und folglich auch noch von seinem Körper abgeschirmt wurde, konnte er erkennen, dass ihre Augen geschlossen waren, und sie wirklich schlief -- und ohne Zweifel sehr auf- und anregende Träume hatte.

Während all dessen, hatte Chuck nicht aufgehört, Sarah zu liebkosen und zu streicheln, und in dem Moment, als er sich endgültig überzeugt hatte, dass seine Liebste schlief, berührten seine Fingerspitzen ihre Brustwarze. Leicht reibend, dann wieder sanft zwickend und vorsichtig ziehend, reizte und verwöhnte er die Brustwarzen, wenn er nicht gerade mit der ganzen Handfläche ihre Brüste massierte.

Einer spontanen Eingebung folgend wechselte Chuck die Hände und ließ die Hand, an deren Schulter sich Sarah kuschelte, unter das Top und über die Brüste streichen und wanderte mit der -- nunmehr freien -- anderen Hand den Bauch hinab. Vorsicht und ganz sanft stahl sich die Hand unter den Saum ihrer Hose und liebkoste in kleinen Achten die verborgene Haut.

Sarahs Schlaf wurde immer unruhiger, ihr Atem immer schneller, je intensiver sie Chuck verwöhnte, und gerade als seine Fingerspitze ihren Kitzler berührte, schlug sie die Augen auf und wandte ihm den Kopf zu, um zu fragen, was er denn tue. Zu ihrer Überraschung versiegelte Chuck ihre Lippen sofort mit seinem Mund und sah ihr nur tief in die Augen -- den Blick für einen Moment zum Paravent ablenkend und dann wieder auf sie richtend.

Sarah verstand den Blick sofort, und zwinkerte. „Was hast du denn vor, Chuck" flüsterte sie ganz leise. „Das Gleiche könnte ich dich fragen, Schatz." antwortete er, sowohl amüsiert als auch erregt, mit leiser Stimme. Als Sarah erfasste, wo sich ihre Hand befand, konnte man sogar in der Dunkelheit der auf ihrem Gesicht liegenden nächtlichen Schatten erkennen, dass sie tief errötete.

Als wollte er sagen: „Wenn wir schon so weit gekommen sind, warum aufhören?" fuhr Chuck fort, Sarah zu streicheln, und sie musste all ihre Konzentration aufwenden, um kein lustvolles Stöhnen von sich zu geben. Sie sandte ihm einen fast panischen Blick zu, der ihre Sorgen wegen Morgan und Casey in sich trug, aber dann gab sie sich auch schon selbst die Antwort: „Dann müssen wir eben so leise wie möglich sein."

Sarah wandte sich ihm jetzt ganz zu, ohne dass Chuck seine Liebkosungen unterbrechen musste, „Dann gilt aber gleiches Recht für alle.", und ließ ihre Hand ihrerseits in seine Hose gleiten. Als ihre Finger seine Erregung umschlossen und langsam zu massieren begannen, musste dieses Mal Chuck auf seine Lippen beißen, um keinen verräterischen Laut von sich zu geben.

Er konzentrierte sich für einen Moment, und streifte ihr dann ihre Hose ab, damit seine Hand mehr Bewegungsfreiheit hatte. Das hereinfallende Licht der Laterne vor dem Haus warf ein Muster aus Licht und Schatten auf Sarahs Venushügel und Scham, ließ aber ihre Schamlippen im Schatten -- und überließ die Erkundung dieser ganz Chucks Fingerspitzengefühl.

Als Sarah unvermutet ihre Massage beschleunigte und ihn fester packte, konnte Chuck nur deswegen schweigend genießen, weil er seine Fingerspitze über ihren Kitzler reiben ließ und dem Eingang ihres Schoßes für einen Moment sehr nahe kam... Und den Finger dann einfach weiter schob.

Chucks eindringender Finger steigerte Sarahs Erregung noch weiter, und sie wollte ihn dafür „leiden lassen". Immer schneller massierte und rieb sie sein pochendes Fleisch, und je weiter sie ihn trieb, desto intensiver und „tiefgehender" wurde seine Berührung.

Längst war beiden klar, wohin das führen würde, und so war es fast wie ein lange einstudierter Tanz, als sich Chuck und Sarah im Gleichklang drehten, bis Chuck auf Sarah lag, und aus der Drehbewegung heraus in sie eindrang. Ein langer, verlangender Kuss nahm ihr Aufstöhnen ob seines Eindringens auf, vermischte es mit seinem Seufzen ob des Genusses und ließ beide Lustklänge zu einem lautlosen, aber glühenden Atemzug werden.

In sehnsüchtiger Langsamkeit liebten sie sich auf diesem schmalen Bett in einem kleinen Apartment in Belgrad, während ihre Freunde und Kollegen nur wenige Schritte entfernt lagen und den Schlaf der rechtschaffenen Spione schliefen. Mit jedem verlangenden Stoß trieb Chuck Sarah höher zum Gipfel der Lust, und mit jedem Kuss wurde das Spiel ihrer Zungen gieriger und atemloser.

Auf dem gemeinsamen Höhepunkt öffneten sie beide gleichzeitig ihre Münder und entließen lautlose, aber welterschütternde Schreie der Leidenschaft in die Nacht hinaus. Mit glühenden Blicken verständigten sie sich und ihre Berührungen, ein zartes Streicheln des Bauches hier, ein freches Kratzen mit langen, lackierten Fingernägeln über den Rücken dort, waren genau richtig, um sich gegenseitig das Begehren und die Liebe zu versichern. Aneinander geschmiegt schliefen sie ein, und als die aufgehende Sonne, die sich wenige Stunden später durch das Fenster stahl, die ersten wärmenden Strahlen sandte, lag noch immer ein Lächeln auf ihren Gesichtern.

 

* * *

 

Geräusche aus dem Badezimmer weckten Chuck und Sarah gegen sieben Uhr morgens. Morgan und Casey konnten sich nicht einigen, wer das Bad zuerst benutzen durfte. „Casey, du brauchst doch nur fünf Minuten, um dich fertig zu machen -- dir ist nicht wichtig, wie du aussiehst, aber ich will präsentabel sein, wenn ich aus dem Haus gehe."

Dass die Erlebnisse der letzten sieben oder acht Monate bei Morgan eine Veränderung bewirkt hatten, war vor allem an seinem Verhältnis zu Colonel John Casey zu erkennen. Längst war die Angst, die er verspürt hatte, einem gesunden, aber auch vernünftigen Respekt gewichen -- auch weil Morgan in den letzten Monaten deutlich reifer geworden war, sowohl als Mensch, als auch als Agent. Insgeheim hatte sich Morgan schon fest vorgenommen, so bald wie möglich das Gespräch mit General Diane Beckmann zu suchen, um mit ihr über einige Beobachtungen zu reden, die er im neu eröffneten Buy More -- inzwischen unter Leitung der CIA -- bezüglich Authentizität und Plausibilität gemacht hatte.

„Ich beeile mich auch." Sarah schmunzelte, als sie den zähneknirschenden Casey ins Zimmer kommen sah. Auch wenn Casey es nie zugeben würde -- selbst sich selbst gegenüber nicht -- hatten die letzten Jahre mit Chuck -- und somit auch gezwungenermaßen mit Morgan Grimes -- bei ihm eine Veränderung bewirkt. Vor drei Jahren wäre Morgan im hohen Bogen aus dem Bad geworfen worden, wenn er so mit Casey geredet hätte, aber auf einer unbewussten Ebene schien Colonel John Casey doch akzeptiert zu haben, dass aus Morgan wider Erwarten ein passabler Agent geworden war.

Wenige Minuten später kam Morgan auch schon aus dem Bad, während Casey Chuck und Sarah erläuterte, was er sich für das Treffen mit dem unbekannten Zettelschreiber überlegt hatte.

„Ich gehe davon aus, dass er nicht weiß, wie wir aussehen, oder nur unzureichend, sonst hätte er nicht darauf bestanden, dass wir ihn an einem bestimmten Tisch erwarten. Walker und Grimes, ihr werdet kellnern. Chuck, du stellst den Kontakt her, und gibst uns ein Zeichen, wenn wir unsere Deckung aufgeben sollen. Ich werde am Zigarettenstand auf der anderen Straßenseite Stellung beziehen, für den Fall, dass unser Freund nicht alleine kommt."

Caseys Plan war wasserdicht, und dank der Berichte der Botschaftsmitarbeiter auch sehr detailliert ausgearbeitet.

Innerhalb kürzester Zeit war der Plan durchgesprochen, waren alle Vorbereitungen getroffen, und die vier im neuen Mietwagen auf dem Weg zu ihrem Treffen.

 

* * *

 

Das „Café Željeznik" war nicht groß, aber gemütlich, und es war seit Generationen ein Familienbetrieb. Team Bartowski musste somit das Risiko eingehen, dass der Unbekannte das Café sehr genau kennen könnte, und ihre Tarnung auffliegen konnte, aber in der Kürze der Zeit und unter den gegebenen Umständen konnten sie nichts Besseres machen.

Das Eigentümerehepaar wurde im Vorfeld schon gebeten, sich den Tag freizunehmen, und für eventuelle Schäden würde die Botschaft aufkommen, was in jedem Fall ein gutes Geschäft für die Wirtsleute sein würde.

Gleich nach ihrem Eintreffen nahmen sie ihre Positionen ein. Chuck machte es sich am Ecktisch gemütlich, mit dem Rücken zur Wand, und sämtliche Ein- und Ausgänge im Auge behaltend, während sich Morgan die Karte griff, in ihr sein Wörterbuch tarnend und sich bereit hielt, seinen Teil zu übernehmen. Sarah hatte -- nicht zuletzt durch ihren Undercovereinsatz in den ersten drei Jahren der „Mission Bartowski" - genügend Erfahrung im Gastronomiefach, um sehr überzeugend eine Kellnerin zu spielen.

Jetzt fehlte nur noch der anonyme Zettelschreiber.

„Ich glaube, sie warten auf mich." Ein kräftiger Mann Mitte dreißig kam durch den Eingang geschlendert und direkt auf Chuck zu. „Gestern Nacht sah es für mich aus, als wären sie nicht allein gewesen. Wo sind denn ihre Freunde?" wollte der mittelgroße Mann wissen. Chuck ließ ihn nicht aus den Augen und antwortete wage: „Ich hielt es für besser, wenn sie erst einmal nur mit mir sprechen, wenn es angebracht ist, werde ich meine Freunde zu gegebener Zeit dazu bitten... Also, sie wollten mir Informationen anbieten. Ich bin ganz Ohr."

Sarah, Morgan und Casey, die durch winzige Earpieces in ständigem Funkkontakt mit einander und mit Chuck standen, waren auch ganz Ohr.

„Was haben sie denn auf dem Herzen?" fragte er sein Gegenüber gespielt freundlich. Über die Schulter des schwarzhaarigen Fremden hinweg konnte Chuck Casey am Tabakkiosk auf der anderen Straßenseite stehen sehen; Sarah war hinter der Theke und hätte vollkommen unbeteiligt gewirkt, wenn nicht sie nicht ständig mit einem halben Auge Chucks Spiegelbild über der Bar im Blick behalten hätte, und sogar Morgan wirkte sehr professionell, erweckte er doch sehr überzeugend den Anschein, sich voll und ganz auf den Gast zu konzentrieren, der sich gerade auf die Terrasse des Cafés gesetzt hatte und Sarah mit einem hungrigen Blick musterte.

„Ich habe sie und ihre kleine Gruppe gestern gesehen, und mich gefragt, was sie wohl an einer langweiligen Industrieanlage so interessieren könnte, dass sie einfach in die Zentrale einer der bedeutendsten Objektschutzfirmen der Stadt einbrechen." Chuck gelang es, den Eindruck zu erwecken, er hätte sein Gegenüber nicht für den Bruchteil einer Sekunde aus seiner Wahrnehmung gelassen -- was er auch nicht hatte. Er lächelte. „Sie scheinen ja zu wissen, warum diese „langweilige Industrieanlage" so interessant sein könnte, schließlich haben sie uns ja Informationen angeboten, ohne sicher sein zu können, dass ausgerechnet sie das Ziel unseres Interesses ist."

Der Fremde lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an. „Informationen sind mein Geschäft, und ich halte meine Augen und Ohren immer offen. Letztlich sind sie mir auf diese Art auch ins Auge gefallen." Er legte die Zigarette in den Aschenbecher, und griff in seine Jacke. „Langsam... Schön langsam... Sie wollen mich ja nicht nervös machen, oder?" Chucks Blick ging von den dunklen Augen des Mannes zu seiner -- von der Jacke verdeckten -- Hand und zurück. „Wenn ich sie hätte töten wollen, hätte ich es gestern tun können, als sie aus dem Gebäude kamen."

Als der Fremde die Hand wieder hervorzog, hatte er ein kleines, ledernes Mäppchen zwischen den Fingern, das er auch gleich aufklappte.

Die Dienstmarke des Innenministeriums MUP (Ministarstvo unutrašnjih poslova) und der Dienstausweis seines Gegenübers Momćilo Nikolić lösten bei Chuck einen „Flash" aus, und weniger als eine Sekunde später wusste Chuck ganz genau, wer ihm gegenübersaß.

„Es stört sie doch sicher nicht, wenn ich uns etwas zu trinken bestelle, Gospodine Nikolić?" Chuck winkte Sarah heran, die sich dem Tisch dann mit der klassischen Langsamkeit von Servicepersonal näherte. „Was kann ich ihnen bringen?"

Nikolić bestellte ein Bier, und Chuck orderte Turska Kafa -- sehr stark. Nachdem sie die Bestellungen aufgenommen hatte, machte Sarah kehrt und verschwand erst hinter der Theke, und dann, als keiner der beiden hinsah, durch die Seitentür aus dem Café.

„Und mit wem habe ich das Vergnügen?" wollte Nikolić wissen. „Carmichael, Charles Carmichael, und ob es ein Vergnügen ist, wird sich noch zeigen." stellte Chuck fest. Nikolić nahm seine Zigarette wieder auf, und musterte Chuck neugierig.

„Sie haben Recht, Nikolić... Sie hätten uns da schon töten können, aber dann wäre ihnen vielleicht ein gutes Geschäft entgangen -- und das haben sie gewusst... Wie genau haben sie von uns erfahren?" Nikolić sah jetzt sehr zufrieden aus und lächelte. „Đorđe Orahovac hat sich in den letzten Tagen auffällig interessiert an den Geschäften von Volkoff Industries gezeigt, was mir natürlich nicht verborgen bleiben konnte, und dann sah ich ihn mit ihnen in diesem Laden bei der US-Botschaft. Ich wusste, dass er in den letzten Jahren öfter auf eigene Faust ermittelt hatte, vor allem mit jemandem in den Staaten, also habe ich einfach eins und eins zusammengezählt, und bin ihnen dann einfach zur Mietwagenfirma gefolgt."

Sein Lächeln wurde zu einem selbstgefälligen Grinsen. „Sie müssen wissen, die meisten namhaften Mietwagenfirmen in diesem Land statten ihre Fahrzeuge mit einem GPS-Verfolgungssystem aus -- und ich habe Zugriff darauf. Es war nicht schwer, sie in der Zvezdara aufzuspüren, doch sie waren schon im Gebäude, als ich den Wagen fand -- und ich wollte eine Konfrontation in dieser düsteren Gegend vermeiden. Ich wusste ja, dass sie mir nicht entkommen würden -- und wenn sie es versuchen würden, habe ich die Macht, sie festzusetzen. Glauben sie mir, ich habe meine Erfahrungen mit Leuten wie ihnen gemacht." - „Leuten wie uns?" Chuck lächelte und wollte jetzt wissen, wie weit Nikolić auf den Holzweg war.

„Ich kann es nicht beweisen, aber ich erkenne Industriespione, wenn ich sie sehe, und wenn man bedenkt, mit welcher Vielzahl an Projekten sich Volkoff Industries weltweit befasst, wäre es in meinen Augen ein lohnendes Ziel, in einer der weniger gesicherten Anlagen anzufangen -- einer Anlage wie hier in Belgrad."

Chuck sah Sarah aus den Augenwinkeln heraus wieder ins Café kommen, und fixierte Nikolić mit einem harten Blick, sein Lächeln so abrupt absterben lassend, als wäre es ihm aus dem Gesicht gewischt worden. „Nennen sie ihren Preis. Wir beide wissen, dass sie bessere Informationen besitzen als Orahovac." - „Ich besitze die besten Informationen, aber es kommt ganz darauf an, was sie machen wollen. Volkoff Industries ist ein sehr einflussreiches Unternehmen und es wäre unklug, sich mit ihnen anzulegen. Ihr Angebot sollte lieber besser sein als deren."

„Konobare! Razumete engleski?" Chuck nahm am Rande wahr, dass Morgan zu dem Gast hinüber ging, der ihn so vehement rief, aber wichtiger für ihn war, dass sich jetzt Sarah mit dem Bier und dem Kaffee näherte -- und mit Waffen, die sie vielleicht gleich brauchen würden.

„Wissen sie was, Momćilo?" Chuck hatte bewusst den Vornamen genommen, weil er alles auf eine Karte setzen wollte. Er würde Nikolić aus der Reserve locken und sich auf diese Art die Unterstützung des SUP sichern. „Ich habe in meinem Leben schon sehr viele Menschen wie sie getroffen... Korrupte Feiglinge, die sich an den Meistbietenden verkaufen. Sie haben ihr Land verkauft, um Aleksej Volkoff zu Diensten zu sein, und jetzt wären sie auch bereit, ihn an uns zu verkaufen, wenn der Preis stimmt... Und morgen würden sie dann uns an den Meistbietenden verkaufen." Nikolić lächelte nicht mehr, stattdessen wurde sein Gesicht hart und Wut blitzte in seinen Augen auf.

„Sie dämlicher Mistkerl... Sie können nichts davon beweisen, meine Position spricht für mich, und ich werde sie jetzt wegen des Einbruchs gestern verhaften..." Er riss seine Dienstwaffe unter seiner Jacke hervor, und Sarah zog ihrerseits bereits die hinter ihren Rücken verborgenen Waffen, doch in diesem Moment hatte Chuck Nikolić schon über den Tisch gezogen, hämmerte ihn mit solcher Wucht gegen die Wand, dass die Waffe zu Boden fiel und hob ihn am Hals hoch, ihn die Wand hinaufdrückend.

„Ich denke, sie können uns eine Menge erzählen, bevor wir den Rest von ihnen den Beamten vom SUP übergeben. Sie müssen sich nur noch entscheiden, ob sie es freiwillig tun, oder ob ich nachdrücklich „bitte" sagen muss."

In Chucks Augen glitzerte ein Feuer, dass jeden erschreckt, und an Chucks Zurechnungsfähigkeit hätte zweifeln lassen. Sarah jedoch kannte dieses Feuer, seit Chuck für eine Undercovermission die Persönlichkeit eines kaltblütigen Profikillers hatte annehmen müssen, und sich so perfekt in dessen Persönlichkeit eingelebt hatte, dass er Casey einen Zahn ausgerissen hatte, um seine eigene Tarnung zu schützen.

„Wir sollten Orahovac anrufen, ich denke, dass ist der Beweis, den er noch gebraucht hat, um gegen Volkoff zu ermitteln." - „Nein Sarah, wir werden ihn noch nicht anrufen. Ruf Casey rein, und schließ den Laden ab. Wenn wir ihn jetzt dem SUP übergeben, übernehmen sie den Fall, und in der Zwischenzeit könnten in der Anlage die Spuren verwischt werden. Der hier..." Chuck schüttelte Nikolić wie eine Stoffpuppe. „... wird wohl kaum der einzige Informant sein, den Volkoff bei den hiesigen Ermittlungsbehörden hat -- das hat uns Orahovac selbst gesagt."

Inzwischen hatte Morgan Casey herübergewunken, den Gast, dem er deutlich eingeschärft hatte, nichts gesehen zu haben, rausgeworfen und das Café abgeschlossen. Zwei Schritte hinter Casey kam nun auch Morgan zu Chuck und Sarah, und sah etwas verwirrt, dass sein Freund aus Kindertagen einen Mann an dessen Kehle gepackt an einer Wand hochdrückte. Doch noch mehr als dieser Anblick verstörten ihn die Worte, die er von den Lippen seines besten Freundes vernahm:

„Casey... Wieviel verstehst du von „nachhaltigen" Verhörmethoden?"

 

* * *

 

Es stellte sich heraus, dass sie sich die Mühe sparen konnten, Nikolić zu foltern oder auch nur besonders intensiv zu verhören, denn entgegen seinen eigenen Worten wusste er nichts Nennenswertes über Volkoff oder seine Unternehmungen. Er war von einem Mittelsmann engagiert worden, um die Ermittlungen zu überwachen. Wie Chuck vermutet hatte, war Nikolić nicht der einzige Maulwurf, aber über die Identität der anderen Informanten konnte er keine Auskunft geben. Er war einfach ein zu kleiner Fisch.

All das fand Casey innerhalb weniger Stunden heraus -- ohne Gewalt anzuwenden, wenn man von Drohungen einmal absah. Chuck und Casey hatten sich auf die Vorgehensweise „Böser Cop -- GANZ böser Cop" geeinigt, wobei Casey zur Abwechslung „nur" der „böse Cop" war, und Chuck schien sogar Spaß daran zu haben, den nervösen Nikolić so zu verängstigen, dass ein grimmiger Blick von Casey ausreichte, um ihn zum Reden zu bringen. Sicherlich war es auch nicht von Nachteil, dass Nikolić nach wie vor davon überzeugt war, seine Peiniger wären skrupellose Industriespione und eiskalte Killer -- womit er bei Casey auch goldrichtig lag.

Chuck und Casey hatten es geschafft, Nikolić so einzuschüchtern, dass dieser sang wie eine Nachtigall. Offensichtlich hatte er nicht übertrieben, was seine Bekanntschaft mit Verbrechern anging, denn er wusste über einige der berüchtigsten Kriminellen des Landes genügend, um sie für geraume Zeit auf Staatskosten unterzubringen.

Wenig später klopfte Chuck an die Tür von Orahovac und bat ihn herüberzukommen. „Ich glaube, was wir da haben, wird sie interessieren, aber seien sie still." Als er in Hörweite war, konnte er hören, wie Nikolić ein weiteres Mal alles aufzählte, was er wusste, und sein Gesicht verzog sich vor Verachtung und Ekel.

„Ich wusste immer, dass wir einen Maulwurf haben, aber dass DU das bist, Momćilo... Ich bin wirklich enttäuscht." Orahovac betrat mit diesen Worten den Raum, spuckte Nikolić vor die Füße und wandte sich dann angewidert ab. „Was haben sie jetzt mit ihm vor?" - „Nichts... Wir brauchen ihn nicht, denn er bringt uns nicht weiter." Chucks Stimme klang erschreckend kalt und nüchtern. „Können sie es einrichten, seine Verhaftung erst in einigen Stunden weiterzuleiten?" Orahovac sah ihn für einen Moment verständnislos an.

„Er hat für Volkoff gearbeitet, aber er war nicht der einzige, und wenn Volkoff erfährt, dass wir hier sind, und ihm auf den Fersen, lösen sich vielleicht alle Spuren in Nichts auf. Wenn sie uns wenigstens sechs Stunden Vorsprung verschaffen könnten, wäre das genug, um uns in Volkoffs Anlage umzusehen." Chuck sah Orahovac in die Augen. „Sie wissen, wie wichtig meine Mission ist, und auch, wie wichtig es sein könnte, alles über Aleksej Volkoff und seine Pläne herauszufinden. Das ist jetzt eine sehr gute Gelegenheit. Er rechnet nicht mit einem Angriff hier, wo er denkt, alles unter Kontrolle zu haben."

Orahovac sah nicht glücklich aus, aber er nickte: „Also gut... Sie haben sechs Stunden, von jetzt an... Danach muss ich ihn reinbringen. Ich wünsche ihnen viel Glück und erwarte, besonders von ihnen Chuck, eine Erklärung, die ich auch meinen Vorgesetzten präsentieren kann."

Er zog Nikolić vom Stuhl, auf dem dieser gesessen hatte, hoch, und führte ihn in seine Wohnung. Bevor sich die Tür schloss, hörte man noch Orahovac' Stimme: „Dann nutzen wir die Zeit doch, Momo... Ich wette, du hast mir viel zu erzählen."

Chuck griff nach einem der Rucksäcke und fing an, Ausrüstungsgegenstände einzupacken, und bald taten es ihm Casey und Morgan gleich. Den Rucksack auf den Stuhl stellend, auf dem Nikolić noch vor wenigen Minuten gesessen hatte, sah er sich um. Sein Blick war voller Tatendrang.

„Ihr hab ihn gehört, wir müssen uns beeilen." Er startete seinen Computer, um ihren Einbruch bei Volkoff Industries als regulären Sicherungseinsatz zu tarnen. Das ihn Sarah verwirrt und unsicher ansah, entging ihm in seinem Eifer.

Nachdem Morgan und Casey zum Wagen voraus gegangen waren, nahm Sarah Chuck beim Arm und zog so seine Aufmerksamkeit vom Computer weg und auf sich. „Bist du dir sicher, dass du die Sache hier mit kühlem Kopf durchstehen kannst?" Chuck sah seiner Freundin in die Augen. Ihr Gesicht war ernst und ihr Blick hart und direkt. „Wir mussten ihn verhören, um herauszufinden, ob er Informationen hat, die wertvoll für uns sein könnten. Ich habe mich noch immer unter Kontrolle." Sarahs skeptischer Gesichtsausdruck tat ihm weh, denn er wollte nicht, dass die Frau, die er liebte, an ihm zweifelte. „Sarah... Ich habe keine andere Wahl."

„Man hat immer eine Wahl, Chuck... Niemand weiß das besser, als wir beide." Sie küsste ihn und nahm ihren Rucksack. „Ich weiß, dass sie dir wichtig ist, aber vergiss nicht, dass du mir wichtig bist... und sie dich ohne mit der Wimper zu zucken verlassen hat." Als er Sarah nachsah, wusste er, dass sie Recht hatte -- und dass er die Suche nicht aufgeben konnte.

 

* * *

 

Der Belgrader Stadtteil Ðakovo, der in einiger Entfernung der Anlage endete, war eine eigenwillige Mischung aus Wohnblocks, Mehrfamilienhäusern, Einfamilienhäusern und kleinen Bauernhöfen, die sich zur Peripherie hin immer mehr in Ackerland und Wald wandelte. In einer solchen Umgebung hätte die Anlage von Volkoff Industries eigentlich wie ein Fremdkörper wirken müssen, doch diese Landschaft war -- nicht zuletzt wegen der direkten Autobahnanbindung und der anderen Verkehrswege -- beim produzierenden Gewerbe und bei Speditionsunternehmen sehr beliebt.

Die Anlage stand inmitten eines gesicherten Geländes von knappen zweieinhalb Quadratkilometer Fläche auf einer leichten Anhöhe, oberhalb und in jede Richtung wenigstens einen Kilometer von allen anderen Gebäuden entfernt. Das Gelände der Anlage war von zwei stabilen Metallzäunen umgeben, die über zwei elektronisch und biometrisch gesicherte Schleusenzugänge an der Ost- und Westseite verfügten, und einem großen Tor an der Nordseite, wo auch die Zufahrt zur Anlage lag. Zwischen den beiden Zäunen patrouillierten Wachhunde, und am sehr stabilen Zufahrtstor standen zwei Wachhäuschen mit bewaffneten Sicherheitskräften

Das Team hatte beschlossen, das große Haupttor links liegen zu lassen, und durch den westlichen Zugang auf das Gelände zu kommen -- zum einen, weil diese Pforte näher an den Gebäuden lag, und zum anderen, weil das Gebäude, das diesem Eingang am nächsten lag, die erfolgversprechendere Spur verhieß.

Den offiziellen Unterlagen zufolge war die Anlage eine voll zertifizierte Forschungseinrichtung für Agrarchemie und Systemelektronik, und die Wahrscheinlichkeit, das Computercenter der Anlage im Gebäude für Systemelektronik zu finden, war höher, als in der Abteilung für Chemie.

Durch den Eingang zu kommen war nicht schwer, da die gestohlenen Keycards problemlos funktionierten, und die von Chuck im System hinterlegten Identitäten vom Sicherheitsprogramm anstandslos geschluckt wurden. „Volkoff scheint ja blindes Vertrauen in seine Sicherheitsvorkehrungen zu haben." meinte Casey. „Wir können hier einfach herumspazieren, und es fällt niemandem auf." - „Noch sind wir nicht im Gebäude, und das ist nocheinmal zusätzlich gesichert." erklärte Chuck und erinnerte Casey daran, dass sie noch einen zweiten Satz Keycards hatten, die sie brauchten, um Zugang zu den Gebäuden zu bekommen. „Auf welche Sicherheitsbarrieren wir im Inneren der Gebäude stoßen könnten, weiß ich noch nicht, aber wenn nötig, denke ich, werden Morgan und ich sie ausschalten können."

Morgan zog eine zweite Garnitur Keycards aus seiner Tasche und verteilte sie ans Team, während Sarah vier Laborkittel aus ihrem Rucksack holte. Innerhalb weniger Momente hatten sie sich von Sicherheitskräften in Labortechniker verwandelt, und der Sachverstand von Morgan und Chuck stellte sicher, dass sie auch bei fachlichen Fragen nicht aufflogen.

Nachdem das Sicherheitssystem die biometrischen Daten auf den Keycards mit den Papillarmustern auf den Fingerkuppen der vier verglichen hatte, öffnete sich die Tür, und sie betraten den marmorgefliesten Korridor, der vor ihnen lag.

Morgan blieb vor einem Lageplan stehen, der gerahmt an der Wand hing. „Und da heißt es immer, die hätten hierzulande ein Problem mit Ordnung und Organisation -- Ich wünschte, bei uns wäre immer alles so gut erklärt und ausgeschildert." Er sah genauer hin. „Alles klar... ich habe den Serverraum gefunden. Hier die Treppe rauf, dann links über die Galerie oberhalb der Produktionshalle bis zum Ende, und dann die rechte Tür." - „Chuck und ich übernehmen den Serverraum, ihr beide seht euch hier um. Wäre vielleicht hilfreich, zu wissen, was hier hergestellt wird."

Sie teilten sich auf, und Sarah nahm hinter Chuck die Treppe in Angriff, während sich Casey und Morgan in der Produktionshalle und im Lager umsahen.

„Du zweifelst an meiner Suche nach meiner Mutter, oder?" fragte er sie, als sie das Ende der Treppe erreichten. „Nein, Chuck... Ich kann dich sehr gut verstehen, und würde an deiner Stelle sicher genauso auf der Suche nach ihr sein." - „Was ist es dann, Sarah? Seit wir in Belgrad angekommen sind, bist du merkwürdig..." Sarah schloss zu ihm auf, und riss ihn am Arm herum. „Ich bin merkwürdig? Seit wir hier sind, hast du einige Eigenschaften gezeigt, die mich sehr verunsichern... Du hast dich verändert, und ich weiß nicht, ob zu deinem Vorteil. Das macht mir Angst!" Mit diesen Worten wandte sie sich ab und stürmte über den Laufsteg, der in drei Meter Höhe über die ganze Breite der Produktionshalle verlief.

Als Chuck sie endlich eingeholt hatte, standen sie schon vor der Tür zum Serverraum, und da sie nichts sagte, öffnete Chuck einfach die Tür und ließ sie vorgehen. Wortlos machten sie sich an die Arbeit, und innerhalb weniger Minuten waren sie im System. Während die Datenströme nach auffälligen Schlagwörtern durchsucht wurden, und die Daten auf einen externen Speicher übertragen wurden, schwiegen sie sich an -- bis Sarah dann doch die Stille brach.

„Chuck, ich finde es toll, dass du dich als Spion weiterentwickelst, die Initiative übernimmst, und meine Hilfe nicht mehr so nötig hast wie zu Beginn..." - „Ich höre da ein 'aber'." - „Aber es erschreckt mich, wie abgebrüht und kalt du zeitweise geworden bist. Ist dir klar, dass du heute bereit warst, einen Mann zu foltern?" Sarah war sich selbst nicht im Klaren darüber, dass nicht das sie störte -- Chuck hatte in der Vergangenheit schon gravierendere Entscheidungen getroffen, mit denen sie kein Problem hatte. Ihr war noch nicht bewusst, dass nicht Chucks Verhalten der Grund für ihre Irritation war, sondern ein instinktives Bauchgefühl, was die Suche nach Mary Elizabeth Bartowski betraf.

„Sarah... Ich bin noch immer der gleiche, der ich auch früher war." Er ergriff ihre Hände und hielt sie in seinen. „Versuch mich zu verstehen, Liebling. Mein Vater ist tot, meine Schwester wird Mutter, und jetzt da ich weiß, dass es eine Spur zu ihr gibt, will ich wenigstens etwas von der Familie zurück, die ich nicht haben konnte. Ich will wissen, warum meine Mutter verschwand und warum Elli und ich ohne Eltern aufwachsen mussten." Sarah beugte sich zum in seinem Stuhl vornübergebeugten Chuck und küsste ihn zärtlich. „Chuck, ich weiß wie es ist, keinen Bezugspunkt, keinen sicheren Hafen zu haben. Du hast meinen Vater kennengelernt. Als ich bei der CIA anfing, hatte ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, irgendwo hin zu gehören. Als ich dann dich kennen lernte, erkannte ich zum ersten Mal, was Geborgenheit war... Natürlich verstehe ich dich, aber ich habe Angst, dass du in deinem Eifer und deiner Sehnsucht, deine Mutter zu finden, dich selbst verlierst. Vergiss nicht, dass ich sehr genau weiß, wozu du fähig bist... vielleicht weiß ich es sogar besser als du." - „Dann hilf mir, nicht abzugleiten, Sarah!" Er sah sie bittend an. „Du weißt, dass ich die Suche nicht aufgeben kann... Meine Mutter wartet vielleicht in diesem Moment darauf, gerettet zu werden. Die Geheimdienste haben sie schon aufgegeben, und wenn wir ihr nicht helfen, ist sie vielleicht für immer verloren. Sei die Stimme meines Gewissens, hilf mir die Balance zu halten, aber versuch nicht, mich aufzuhalten, denn ich kann nicht aufhören."

Chuck hatte sich so in Fahrt geredet, dass sich seine Stimme fast überschlug, und er Sarah fast schon panisch in die Augen sah.

„Sshhh... Beruhige dich, Chuck... Ich werde dir helfen, das weißt du doch..." Sie umarmte ihn und küsste ihn liebevoll auf die Lippen, und ehe sie es sich versah, erwiderte Chuck den Kuss, und sie spürte seine Zunge vorsichtig in ihren Mund gleiten.

Für einen Moment vergaßen sie die Anspannung der letzten Zeit, die drohende Gefahr -- eine Fabrikhalle voller Angestellter von Volkoff -- vor der Tür und auch sonst alles, und gaben sich ihrer Leidenschaft hin. Chuck schob Sarahs Laborkittel hoch und umfasste mit beiden Händen ihren knackigen Po... Als plötzlich die Tür aufging, und ein magerer junger Mann mit einem unübersehbaren Akneproblem in den Serverraum trat.

„Deco... Uzmite sebi sobu. Ja moram da radim ovde." Ein verständnisvolles und zugleich genervtes Lächeln glitt auf seine Züge -- offensichtlich wurde sein Büro häufiger von Pärchen als Treffpunkt zweckentfremdet. Darum beschränkte er sich nur darauf, die beiden zu ermahnen, ihn nicht von der Arbeit abzuhalten, und sich ein Zimmer zu nehmen. In diesem Moment piepte das Speichermodul nach abgeschlossenem Download, und der Mann wurde misstrauisch.

„Ko ste vi? Ja vas još nikad nisam video ovde." Er wandte sich hastig zur Tür, als er begriff, dass er das Pärchen vor sich, dass sich offenkundig Daten vom Server lud, nicht kannte, und auch noch nie gesehen hatte, und wollte den Sicherheitsdienst alarmieren. „Zvaću bezbeđenje!"

Der junge Computertechniker kam nicht weit, dann in diesem Moment stolperte er über ein Kabel, krachte gegen die -- inzwischen wieder geschlossene -- Tür und sank bewusstlos zu Boden.

In der ganzen Zeit hatten sich Chuck und Sarah nicht von der Stelle gerührt, zu überrascht waren sie von den Ereignissen. Jetzt sahen sie sich an, und nicht nur Chuck musste ein Schmunzeln verbergen. „Wir sollten ihn lieber irgendwo verstauen und machen, dass wir hier wegkommen." Sarah sah ihn nur an, und nickte langsam -- sich noch einmal an ihn drückend und ihm einen langen Kuss auf die Lippen drückend, und dann per Funk Casey und Morgan rufend, während Chuck den externen Speicher einpackte.

„Wir treffen uns draußen an der Pforte. Wir haben Besuch bekommen, und sollten weg sein, wenn er wieder zu sich kommt." Schnell sahen sie sich um, ob sie was hinterlassen hatte, was eine Spur zu ihnen legen konnte, schlichen zur Tür hinaus und über die Galerie wieder in den Korridor, der zum Eingang führte. Als sie das Gebäude verließen, konnten sie sehen, dass Morgan und Casey schon an der Pforte warteten.

Kaum im Wagen, trat Casey schon aufs Gaspedal, während Morgan das externe Laufwerk an seinen Laptop anschloss, und die gesicherten Daten sichtete. „Leute... Ich habe eine gute, und eine schlechte Nachricht." Sarah und Chuck wandten sich zu ihm, während ihn Casey im Rückspiegel beobachtete. „Die gute Nachricht ist, dass hier einige sehr belastende Unterlagen sind, die es Orahovac ermöglichen werden, sowohl beim MUP, als auch in seinem eigenen Laden aufzuräumen. Namen, Daten und Beträge... Alles da. Ebenso eine Liste der Kunden und Lieferanten in Südosteuropa." - „Und was ist die schlechte Nachricht?" Morgan sah nicht glücklich aus. „Alle Datensätze, die deine Mom betreffen, sind leer -- Ich finde zwar Netzwerkpfade, die auf „Frost" hinweisen, aber sie enden blind... Da ist kein Bit an Informationen mehr." Er versuchte seinen Freund zu trösten. „Ich kann es in der Festung noch einmal durchlaufen lassen, und sehen, ob ich vielleicht doch etwas finde... Gib die Hoffnung nicht auf, Chuck." Sein Tonfall machte aber unmissverständlich klar, dass wahrscheinlich nichts mehr zu retten war.

Inzwischen hatten sie das Stadtzentrum erreicht, und selbst Casey war von dieser neuen Wendung der Ereignisse so getroffen, dass er den, in seiner Trunkenheit leicht schwankenden, Touristen, der im letzten Augenblick vom Zebrastreifen zurücksprang, um nicht vom Wagen erfasst zu werden, garnicht wahrnahm.

Zu Kenneth Richardsons Pech, hatte er seinerseits trotz seines alkoholisierten Zustands sehr genau erkennen können, wer in dem Fahrzeug saß, das ihn da fast auf die Motorhaube genommen hätte. „Scheiße, die CIA will mich umlegen, weil ich zuviel weiß!!" schoss ihm durch den Kopf. Schlagartig war er wieder nüchtern. Er hatte Angst, und nahm sich fest vor, seinem Kongressabgeordneten zu schreiben, sobald er wieder in Boston war.

 

* * *

 

Ðorđe Orahovac war noch wach als sie den Mietwagen vor seinem Haus abstellten. „Hatten sie Erfolg? Gefunden, was sie gesucht haben?" wollte er wissen, als Morgan, Casey, Chuck und Sarah das Haus betraten und vor seiner Tür standen. „Ja und nein..." antwortete Sarah und händigte ihm einen USB-Stick mit den Daten aus, die sie von Volkoffs Server in der Anlage geladen hatten. „Hiermit können sie hier mal gründlich aufräumen. Hier sind scheinbar alle Kontakte von Volkoff Industries aufgeführt, die Schmiergelder erhalten haben. Wenn sie alles schnell in die Wege leiten, bevor unser Einbruch entdeckt wird, kann ihnen keiner von denen entkommen." - „Und wenn jemand fragt, woher sie die Informationen haben..." hob Casey an. „Werde ich einfach etwas von einer sehr tragfähigen Brieftaube erzählen, die heute Nacht plötzlich in meinem Fenster stand und anschließend auf Nimmerwiedersehen verschwand." antwortete Orahovac halb scherzend. „Keine Sorge, niemand wird wissen, dass sie hier waren."

Sie besprachen den Einsatz kurz, und es stellte sich heraus, dass auch Morgan und Casey einige interessante Sachen entdeckt hatten -- darunter auch eine Verbindung zu einem Lieferanten für Systemelektronik, die dann von Volkoff Industries weiterverarbeitet wurde. „Die Behörden in Deutschland sollen sich mal die Firma InterCard SE im Schwarzwald ansehen." schlug Morgan vor, und stieß mit diesem Vorschlag sogar auf die Zustimmung von Casey.

Nach der Besprechung nahm Chuck Casey auf die Seite. „Ich will dich um einen Gefallen bitten. Kannst du heute Nacht den Missionsbericht alleine schreiben? Sarah und ich müssen einige Dinge besprechen, und in Burbank erwartet uns nur wieder der Alltag. Ich will die Gelegenheit nutzen, wenn wir etwas Luft haben." Casey nickte und sah zu Morgan rüber. „Könntet ihr..." - „Nein! Er soll hier bleiben und die Ausrüstung einpacken. Vielleicht kann er uns schon mal einen Flug buchen." Chuck sah Casey an und sagte mit einem Lächeln. „Versuch, ihn nicht umzubringen."

Chuck kannte Casey lange genug, um zu wissen, dass er ihm helfen würde, und sein mürrisches Gesicht einfach aus Gewohnheit zur Schau trug. Erleichtert machte er sich auf die Suche nach Sarah, die er wenigstens für ein paar Stunden aus der Welt der Spionage und Verschwörungen entführen wollte. „Durch den Intersect Zugriff auf die verschiedensten Informationsquellen zu haben, hat manchmal auch Vorteile." schmunzelte er vor sich hin, als ihm der perfekte Ort für einen ruhigen und romantischen Abend einfiel.

Sarah war mehr als einverstanden, nachdem klar war, dass Morgan und Casey die Stellung halten und den Papierkram erledigen würden, und verschwand mit ihren Sachen im Badezimmer, um sich frisch zu machen. Chuck rief ihr durch die Tür zu, dass er dann draußen am Wagen warten würde.

Da sich Chuck auch noch frisch machte und umzog, musste er nicht lange in der lauwarmen Oktobernacht am Wagen warten, bis Sarah das Haus verließ, und ihn mit einem sanften Kuss auf die Wange umarmte. „Wir waren schon viel zu lange nicht mehr aus, Chuck."

Chuck stimmte ihr zu und betrachtete sie im Licht der Straßenlaternen: Sie hatte das weiße Etuikleid an, das sie damals in Paris gekauft hatte, dazu schlichte weiße High Heels, trug ihr Haar offen in sanften Wellen, die über ihre Schultern flossen wie flüssiges Gold und nach der Größe ihrer Handtasche hatte sie allenfalls eine Lady Derringer .22 als Bewaffnung dabei -- aber wahrscheinlicher waren Lippenstift, Handy und ihren Ausweis, was die Tasche schon vollständig ausfüllen würde. „Du siehst wieder einmal wundervoll aus, Liebling."

Wie um seine Worte zu unterstreichen, ertönte ein anerkennender Pfiff von jemandem, der außer Sicht weiter die Straße hinab stand. Als sie genauer hinsahen, konnten sie dann eine Bewegung erkennen, und der vorlaute „junge Mann", der schon einige Tage zuvor sein Interesse an Sarah bekundet hatte, trat in den Lichtschein der Straßenlampe vor ihm. Er grinste und hob beide Daumen in Sarahs und Chucks Richtung. Das Lachen, das diese Geste bei Chuck und Sarah auslöste, half deutlich, die Anspannung zu lockern, die sie beide schon seit Tagen im Griff hatte.

Während sich der Junge grinsend verzog, half Chuck Sarah in den Wagen, ging dann um das Auto herum, stieg ein und fuhr -- noch immer mit Sarah lachend -- los.

Der Verkehr in dieser Sonntagnacht war zwar lebendig, aber nicht so dicht, dass er ein Vorankommen verhindert hätte, und so fanden sich Chuck und Sarah keine Dreiviertelstunde später schon im historischen Altstadtkern Belgrads wieder. Eine Unzahl an Restaurants, Wirtshäusern, Kneipen und Grillstuben luden mit verlockenden Essensdüften und fröhlicher Folkloremusik ein.

Kaum hatten sie Platz genommen, da erschien schon ein Kellner, stellte ein Glas Wasser vor jeden von ihnen und reichte ihnen die Karte. „Amerikanci?" fragte er, sie einen Augenblick genauer ansehend und dann auf Englisch fortfahrend: „Ich kann ihnen heute den Grillteller empfehlen, mit allerlei Beilagen und frischem Kajmak." Chuck sah Sarah kurz an und bestellte dann für sie beide -- für Sarah aus Rücksicht auf ihre Essgewohnheiten keinen Grillteller, sondern „Leskovačka Mučkalica", eine serbische Spezialität aus gedünstetem Gemüse, Tomaten und Ei. Sich selbst gönnte er eine „Pljeskavica na Kajmaku i Luku", die serbische Variante des Hacksteaks, sehr dünn geklopft und scharf angebraten, und auf einem Bett aus Zwiebeln angerichtet, auf dem dann eine großzügige Portion Kajmak schmolz, und das Fleisch saftig hielt.

Als sie auch noch ihre Getränke bestellt hatten, zog sich der Kellner mit dem Hinweis zurück, dass das Essen etwa eine halbe Stunde in Anspruch nehmen würde, und sie ihn nur rufen müssten, falls sie etwas brauchten.

„Es tut mir schrecklich Leid, was ich gesagt habe, und dass wir keine Spur von deiner Mutter gefunden haben, Chuck..." - „Nein Sarah, ich muss mich entschuldigen. Ich war so besessen und verbissen, meine Mutter zu finden, dass ich alles andere aus den Augen verloren habe. So muss es auch meinem Vater gegangen sein." Er lächelte sie an. „Was habe ich erwartet? Mein Dad hat die letzten zwanzig Jahre nach ihr gesucht, ohne eine Spur zu finden... Wie konnte ich erwarten, dass ich sie im Handumdrehen finden kann?"

Ihre Getränke kamen, und Sarah nutzte die Gelegenheit, dass Thema zu wechseln. „Ich habe das vorhin ernst gemeint, Chuck. Du bist in den letzten Monaten zu einem unglaublichen Agenten geworden. Als Marko, Volkoffs Mann fürs Grobe, Casey und mich gefangen gehalten hat, wollte er wissen, wer diese beiden Topspione sind, die seinen Chef so nervös machen, und er zeigte uns Bilder von dir und Morgan." Chuck musste schmunzeln. Er und Morgan als Topspione... Das war für Chuck lachhaft, denn schließlich waren Sarah und Casey die Profis. „Chuck, Volkoff tut gut daran, dich, Charles Carmichael, zu fürchten -- ist dir das nicht klar?" Sarah schien es ernst zu meinen, denn sie lächelte nicht. „Er kann dich nicht vorhersagen... Er weiß nicht, wer du bist, und was du willst. Im Moment bist du der gefährlichste Gegner, den Aleksej Volkoff hat. Und das ist seine Schwachstelle." Chucks Augen lagen auf Sarahs Lippen. „Was meinst du damit?" - „Volkoff wird alles daransetzen, dich zu bekommen, um das, was er als größte Gefahr ansieht, auszuschalten... und so können wir ihn bekommen. Wenn wir Volkoff erwischen, finden wir auch deine Mutter."

Sarah verstummte, weil das Essen gebracht wurde, und vom Duft angeregt, und nach dem Einsatz halb am Verhungern, langten sie zu, und ließen sich die ungewohnten Spezialitäten schmecken. Immer mal wieder sahen sie sich in die Augen, oder hielten Händchen, und als sie nach dem Essen noch eine Turska Kafa tranken, kam Chuck noch einmal auf das Thema „Suche" zu sprechen. „Du hast Recht, Sarah... Mein Dad hat zwanzig Jahre keine Spur finden können, und ich habe ihre Spur nach nur sechs Monaten zu Volkoff verfolgen können. Wenn wir Volkoff fassen können, können wir von ihm auch erfahren, wo meine Mom ist."

Sarah beugte sich zu ihm, presste ihre Lippen auf seine und hauchte ihm zu: „Wir werden sie finden, Chuck... Entspann dich." Das ließ sich Chuck nicht zweimal sagen, und binnen weniger Momente küssten sie sich leidenschaftlich und voller Sehnsucht. „Laß uns gehen..." flüsterte Chuck, und nahm Sarah an der Hand. Mit der freien Hand zog er einige Dinar-Scheine aus der Tasche und legte sie für die Rechnung hin, während ihm Sarah auf den Fersen aus dem Lokal folgte.

Dass ihnen ein Augenpaar den ganzen Abend über gefolgt war, hatten beide nicht bemerkt.

 

* * *

 

Morgan und Casey schliefen schon, als Chuck und Sarah leise in die Wohnung zurückkehrten, auch wenn Casey für einen Moment die Augen öffnete, sie aber, als er spürte, dass keine Gefahr droht, auch gleich wieder schloss und weiterschlief. Erfolgreich gelang es ihnen, jeden Krach zu vermeiden, als sie sich bettfertig machten, und dann ins Bett stiegen.

„Der Abend war schön, Chuck... Danke. Ich glaube, wir beide brauchten einfach mal eine kleine Pause... Das Gefühl, normale Menschen zu sein. Einfach mal alle Sorgen, Enttäuschungen und Pflichten hinter uns lassen." Er beugte sich über sie und küsste ihre Lippen, während seine Fingerspitzen über ihre Wangen strichen. „Ich liebe dich, Sarah, und hasse es, wenn wir uns streiten." - „Dann lass uns nie wieder streiten... Gib mir einfach immer Recht."

Chuck brauchte kein Licht, um Sarahs Grinsen zu sehen, und sofort fing er an, sie zu kitzeln, um sie für ihre frechen Worte zu bestrafen. Minutenlang war gedämpftes Gekicher und Lachen zu hören, bis sich langsam das Kichern und Lachen in leises, aber genüssliches Seufzen und Stöhnen verwandelte, und aus dem Kitzeln und Necken ein Streicheln und Liebkosen wurde...

„Aufwachen, ihr Turteltauben, sonst schick ich Casey zum Wecken rüber." Morgan klopfte an den Paravent und zwang Chuck und Sarah unaufhaltsam dazu, sich aus dem warmen Bett -- und wichtiger noch, aus der zärtlichen gegenseitigen Umarmung -- zu lösen, und dem neuen Tag zu begegnen. „Macht euch lieber mal fertig, unsere Maschine geht um fünf vor eins, und wir müssen noch den Mietwagen am Flughafen abgeben." Chuck warf ein Kissen nach Morgan, während Sarah auf die Uhr sah. „Er hat Recht, Chuck... Es ist schon nach zehn, und wir müssen noch einchecken... Steh auf."

Man sah Chuck wirklich an, wie widerwillig er Sarah aus seinen Armen entließ, und ihr dann aus dem Bett folgte, während sie schnurstracks ins Bad ging. Total zerzaust sah er zu Casey und Morgan rüber, die schon fertig gepackt und gerüstet waren... Offensichtlich waren sie schon eine ganze Weile wach.

„Grimes... Erinnere mich bitte daran, nie wieder mit diesen beiden liebestollen Vögeln in einem Raum zu schlafen, wenn es sich vermeiden lässt." Morgan grinste als er antwortete: „Frag mich mal, ich habe mit ihnen zusammengewohnt." Chuck dämmerte wage, dass sie in der Nacht vielleicht nicht ganz so leise gewesen waren, wie sie dachten -- von unbemerkt ganz zu schweigen. Sarahs leichter Wangenröte konnte man entnehmen, dass sie einen Großteil, wenn nicht gar alles von der Unterhaltung gehört hatte, aber sie ließ sich sonst nichts anmerken, und suchte ihre letzten Habseligkeiten zusammen, um sie in ihrer Tasche zu verstauen. „Das Bad ist jetzt frei, Chuck... Beeil dich lieber."

Ungeachtet des Rückschlags, den die Mission letzten Endes für Chuck persönlich darstellte, war sie dennoch kein Misserfolg, denn ein weiterer Staat würde Volkoff und seine Pläne jetzt genauer im Auge behalten, und so gering die Erkenntnisse auch waren, die man aus den Daten und den Entdeckungen, die Morgan und Casey gemacht hatten, ziehen konnte, zeigten sie eine weitere Spur auf, in der ermittelt werden konnte.

Dem entsprechend war auch die Stimmung auf der Fahrt zum Flughafen eher entspannt, Casey unterhielt sich ganz freundlich mit Morgan -- der sogar fahren durfte. Trotz allem war die Bilanz der Mission -- zumindest, was den offiziellen Teil anging -- positiv, und das war das Wichtigste.

Casey hatte Sarahs Ansicht bestätigt, wonach sie, dadurch, dass sie Volkoff immer mehr in die Enge trieben, die Chance erhöhten, Chucks Mutter zu finden. Er stimmte auch zu, dass sich Volkoffs Interesse stark auf Chuck -- Charles Carmichael -- konzentrieren würde, über den er nicht viel erfahren würde, während zumindest Chuck somit weiterhin „unter dem Radar" bleiben könnte.

Die Rückgabe des Mietwagens und das Boarding verliefen ereignislos, und bald konnten sie alle ihre bequemen Plätze einnehmen, und sich ausruhen.

Chuck und Sarah, die nicht viel geschlafen hatten, lehnten sich an einander und teilten sich ein Kissen, so dass sich ihre Köpfe fast berührten, und sie beim Erwachen als Erstes den jeweils anderen sehen würden. Ihre Hände hatten sie in einander verschränkt und beide lächelten im Schlaf.

Natürlich entging das weder Morgan noch Casey, aber sie kommentierten es nicht weiter. Chuck und Sarah hatten sich diese Zweisamkeit nach allem, was sie in den letzten Jahren hatten durchmachen müssen, um zu einander zu finden, redlich verdient.

 

* * *

 

Der Flughafen JFK war am früheren Montagnachmittag relativ ruhig und entsprechend waren auch die Warte- und Transithallen von einer überschaubaren Menschenmenge erfüllt. Das Flugzeug von Team Bartowski hatte in New York einen längeren Aufenthalt, um aufzutanken und die Passagiere vertraten sich die Beine, tranken Kaffee oder -- wie Morgan -- stöberten an den Zeitungsregalen.

Sarah und Chuck saßen entspannt in der Wartehalle und ließen den letzten Abend -- und die daran anschließende Nacht -- noch einmal Revue passieren, immer noch etwas verlegen, weil sowohl Morgan als auch Casey scheinbar doch einiges mitbekommen hatten. Sie nahmen sich fest vor, in Zukunft diskreter zu sein. Ganz überraschend wechselte Sarah das Thema:

„Chuck, der Mann da drüben sieht uns schon die ganze Zeit ganz verwirrt und besorgt an. Kennst du ihn?" Chuck sah zum gut gekleideten Mann am anderen Ende der Halle, doch selbst mit Hilfe des Intersect gelang es ihm nicht, ihn zu identifizieren. „Keine Ahnung, wer das ist. Er sieht nicht wie ein Agent aus, ganz abgesehen davon, dass ein Agent seine Zielperson niemals so auffällig beobachten würde. Ich gehe mal rüber, und frage ihn... Vielleicht verwechselt er uns ja einfach, oder braucht sogar Hilfe."

Als sich Chuck erhob, ertönte über die Lautsprecher der Halle der Aufruf für die Nachmittagsmaschine nach Boston Logan International Airport und der Mann raffte seine Sachen hastig zusammen und stürmte zum Gate davon.

Chuck setzte sich wieder, sichtlich verwirrt und erstaunt. „Seltsamer Kerl... Fast schon unheimlich." - „Vermutlich war es einfach eine Verwechslung, und als du auf ihn zugingst, war es ihm peinlich." - „Oder er wurde nervös, weil wir bemerkt haben, dass er dich anstarrt, und hatte Angst, ich würde ihn mir zur Brust nehmen, weil ich ein eifersüchtiger Kerl bin." lachte Chuck, und sah Sarah liebevoll an. „Womit er ja nicht unrecht hätte." Auch Sarah lachte, und schlug ihm spielerisch gegen die Schulter.

„Wir sollten los, das Flugzeug ist aufgetankt, und wir starten in einer halben Stunde wieder nach L.A. Wo steckt überhaupt wieder Grimes?" Casey setzte sich neben sie und sah sich wie gewohnt misstrauisch um. „Wenn der Kerl Angst vor mir hatte, wäre er bei Caseys Anblick zweifellos tot umgefallen." überlegte Chuck, als er seinen bärbeißigen Freund und Kollegen betrachtete. Wenige Minuten später kam auch Morgan zurück -- mit einem neuen Comic in der Hand. „"Wurde auch Zeit, ich will nicht deinetwegen meinen Flug verpassen, du Trottel." blaffte Casey, nahm seine Tasche und machte sich auf dem Weg zum Gate. Die anderen folgten ihm, und Morgan murmelte: „Wenn er wüsste, was mit Alex läuft, würde er mich umbringen, wenn er schon so ist, wenn er von nichts weiß."

Trotzdem wurde es ein angenehmer, und ereignisloser Flug zurück, und als sie gegen Mitternacht in Greater Los Angeles ankamen, waren alle wirklich müde. Obwohl sie im Flugzeug geschlafen hatte, schlummerte Sarah auf der Taxifahrt nach Echo Park an Chucks Schulter gelehnt ein. Chuck ließ es sich gerne gefallen, und trug sie dann, als sie angekommen waren, auf seinen Armen in das Apartment, dass sie gemeinsam bewohnten.

Er ließ sie in Ruhe schlafen, legte sich nur neben sie, und nahm sie in seine Arme. Sie konnten beide alle Ruhe brauchen, die sie bekommen konnten, denn jederzeit konnte eine neue Mission anstehen... Heute, morgen, oder vielleicht auch erst nächste Woche -- aber sie würde so sicher kommen wie der nächste Sonnenaufgang. Und niemand konnte wissen, wo sie die nächste Mission hinführen würde. Vielleicht, auf eine entlegene Südseeinsel, in die tiefste sibirische Tundra, in die Wüsten des Iran oder Irak oder auch nach Mailand... Sie konnten es nie wissen, aber sie würden für alles gewappnet sein.

 

* * *

 

„Sie verstehen mich nicht! Ich habe Angst!!" Kenneth Richardson der Dritte blickte sich panisch im eleganten Büro seines Gegenüber um, und zitterte am ganzen Leib. Ihm gegenüber saß ein älterer Mann mit einem eleganten Anzug, der perfekt zur Einrichtung des Büros passte. „Erzählen sie es mir nochmal kurz und knapp, Mr. Richardson. Ich habe zwar den Bericht und die Aussage, die sie gemacht haben, aber ich möchte es sehr gerne von ihnen selbst hören... Wenn sie sich dazu im Stande fühlen, mir noch einmal alles zu schildern."

Kenneth atmete tief durch, und fing an zu erzählen:

„Es begann an einem sonnigen Herbsttag während meines Urlaubs in Europa, in Belgrad genauer. Ich wurde unfreiwillig Zeuge einer CIA-Operation, und konnte gerade noch entkommen, bevor ich Zeuge werden konnte, wie jemand exekutiert wird. Zuerst dachte ich, ich sei noch mit heiler Haut davongekommen, aber am Abend des gleichen Tages wäre ich um ein Haar ermordet worden -- ich habe in dem Wagen, der mich überfahren wollte, sehr genau die Agenten erkannt, die ich am Mittag in diesem Café gesehen habe, in dem die Operation durchgeführt wurde. Um den Schock zu verarbeiten, habe ich mich dann in ein Restaurant gesetzt, um etwas zu trinken, und auch, um meinen Magen mit etwas zu essen zu beruhigen. Ich habe keine Ahnung, wie sie mich ausfindig gemacht haben, vielleicht per Satellitenüberwachung oder sonst was, keine Ahnung, aber etwa eine Stunde, nachdem ich das Restaurant betreten habe, setzten sich zwei der Agenten -- ein Mann und eine Frau, die sich als Pärchen getarnt hatten -- ebenfalls in dieses Restaurant. Sie waren clever. Sie haben so getan, als würden sie mich garnicht wahrnehmen, aber da wusste ich schon, wie der Hase läuft." Kenneths Gesicht zeigte einen leichten Triumph. „Ich habe mir die erste Maschine genommen, die aus Belgrad in die Staaten flog, und nach meiner Landung in New York habe ich sofort einen Freund von mir angerufen, der beim Boston Herald arbeitet, und ihm um ein Treffen gebeten, sobald ich in Boston gelandet bin." Seine Augen waren unruhig, und er strich mit fahrigen Bewegungen seiner Hände über seine Hose. „Ich weiß nicht, wie sie es gemacht haben... Vielleicht stimmen die Gerüchte über Echelon III wirklich, dieses Überwachungssystem der NSA, dass jedes Telefonat, jede Funkfrequenz, jede Mail und alles andere überwacht... Wie auch immer. Kurz bevor mein Flug nach Boston aufgerufen wurde, tauchte dieses Agentenpärchen wieder auf, und der Mann war schon auf dem Weg, um mich zu schnappen, als ich es im letzten Moment noch schaffte, meinen Flug zu bekommen."

Kenneth atmete tief durch. „Und seit diesem Tag weiß ich, dass der Geheimdienst mich nicht in Ruhe lassen wird. Sie wissen, wo ich lebe, wo ich arbeite und wen ich kenne... Ich weiß, dass sie mich beobachten... Auf einmal habe ich einen neuen Postboten, fremde Frauen versuchen mich in Bars auszuhorchen... Als ich meine Vorgesetzten bei Wolfram & Hart darauf ansprach, ob sie mir helfen können, wurde ich ausgelacht... Ich bin nicht verrückt!!"

Der grauhaarige Mann im eleganten Anzug hatte die ganze Zeit schweigend zugehört, und sich Notizen gemacht, jetzt sah er auf, und Kenneth in die Augen.

„Es muss schrecklich sein, was sie gerade durchmachen, Mr. Richardson... Glauben sie mir, ich kann es mir vorstellen. Aber es ist gut, dass sie jetzt hier sind... Wir von der psychiatrischen Abteilung des Massachusetts General Hospital sind spezialisiert auf die extremsten Formen von burnoutbedingten Psychosen. Ich kann ihnen versichern, dass sie hier vollkommen sicher sind."

Der Mann -- der Psychiater -- drückte einen Knopf auf seinem Schreibtisch, und ein großgewachsener Krankenpfleger kam zur Tür herein. „Lars... Seien sie bitte so gut, und führen sie Mr. Richardson auf sein Zimmer. Ich werde mir bis heute Abend überlegen, welche Medikation angebracht wäre. Und passen sie gut auf ihn auf. Er ist ein so gefährlicher Mann, dass die CIA ihn töten will."

Als sich die Tür hinter Kenneth und Lars geschlossen hatte, lehnte sich Dr. Gausser zurück und schmunzelte. „Auf was für Ideen die Leute heutzutage kommen... Das ist garantiert eine Folge der ganzen Verschwörungstheorien, die jetzt in Film und Fernsehen verbreitet werden." Er legte die Akte von Kenneth in seinen Schreibtisch, und nahm sich vor, diesen verwirrten jungen Mann von seinem Wahn zu heilen -- und wenn es Jahre dauern sollte.

Impressum

Texte: MaitreNuit
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
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