Prolog
Corona hält die Welt nach wie vor im Griff und nach den Beschränkungen der Weihnacht sowie der abgesagten Sylvester-Sause, naht nun mit der bereits laufenden Faschingssaison bereits das nächste gecancelte Fest...
Meine alten Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus beneide ich keineswegs. Schon vor der Pandemie waren die Arbeitsbedingungen unter aller Sau.
Ich hatte die Arbeit immer sehr gern gemacht. Aber sie war der reine Stress, ein wahrer Knochenjob und ich war sehr froh, dass mich Melissa seinerzeit ermutigt hatte, das alles „an den Nagel zu hängen".
Melissa...
Mein Schatz war gerade mit ihren Freundinnen unterwegs -- Mädelsabend und die Kinder lagen beide im Bett.
Ich hatte es mir mit einem Bordeaux im Lehnsessel vor dem Kamin gemütlich gemacht. Die Buchenzweige knackten und die Flammen des Feuers züngelten in den schönsten Farben.
Beinahe alles war genauso, wie an jenem schicksalshaften Abend vor knapp 10 Jahren.
Und doch hatte sich alles geändert.
Das Haus war nicht länger kalt und leer; es lebte jetzt wieder und war ein Ort des Glücks und der Freude.
Ich war mit Melissa verheiratet und wir waren jetzt eine tolle Familie, ich trank nur noch aus Genuss Alkohol und mein letzter Joint lag auch schon ziemlich lange zurück.
Menschen verändern sich und auch ich hatte mich verändert -- zu meinem Besten, hoffe ich?!
Der Rotwein war gut.
Ich war fast ein wenig melancholisch -- im guten Sinne.
Unsere Geschichte hatte wirklich Potential.
Sie war ein wahrer Krimi.
Und zugleich auch eine Lovestory.
Ich sollte sie endlich einmal niederschreiben.
Ja wirklich!
Ich stand auf, holte den Laptop und den höheren Beistelltisch. Eigentlich war es unbequem hier im Sessel zu schreiben. Doch ich wollte jetzt nicht ins Arbeitszimmer gehen.
Der Platz war gut so.
Denn genau hier hatte alles auch angefangen.
Fasching 2011
Heute war ein richtig anstrengender Tag. Nach einem sechzehn-Stunden-Dienst in der Notaufnahme des nahe gelegenen Kreiskrankenhauses war ich mal wieder regelrecht fertig und froh, den Abend auf dem heimischen Sofa gemütlich ausklingen lassen zu können.
Dabei war es eigentlich für einen Faschingssamstag noch recht ruhig -- wenig Alkoholleichen und alkohol- oder streitbedingte Verletzungen. Der Wetterwechsel dieser Tage war eher typisch für Herz- Kreislaufbeschwerden und Asthma. Genau diese Art von Notfällen frequentierte den ganzen Tag beinahe im Minutentakt meine Notaufnahme...
„Herr Doktor Merten? Können sie mal dringend in die Eins? Infarkt!"
„Kai, kommt gleich wieder ein Rettungswagen mit ´nem Schlaganfall..."
So ging das in einem fort.
Am frühen Abend kaum nach Hause gekommen, war ein langes, heißes Bad der erste Luxus den ich mir gönnte. Sonntag und Montag hatte ich frei. Ich musste erst am Dienstag wieder zur Nachtschicht anrücken. Es hatte durchaus Vorteile, viele Stunden am Stück zu arbeiten. Man hatte dann mitunter mehrere Tage hintereinander frei, um sich zu erholen oder eben auch, um etwas zu unternehmen.
Obwohl ich eigentlich ein großer Fan von Fastnacht und Faschingsveranstaltungen war, kam ich dieser Kampagne irgendwie so gar nicht in Fahrt.
Das hing wohl auch damit zusammen, dass ich im September des vergangenen Jahres meine Eltern in einem hiesigen Pflegeheim hatte unterbringen müssen. Ihr Gesundheitszustand hatte sich binnen kurzer Zeit radikal verschlechtert.
Bis dahin hatte ich sie noch in Kooperation mit einem Pflegedienst hier im Haus betreuen können.
Und jetzt?
Jetzt lebte ich alleine hier in einem großen, ehrwürdigen Fachwerkhaus aus dem sechzehnten Jahrhundert mitten im alten Ortskern an der Hauptstraße.
Ich hatte Glück, heute so früh nach Hause gekommen zu sein. So konnte ich noch auf meinem Stammplatz parken. In der Mehrzweckhalle, keine zwanzig Meter Luftlinie vom Haus, fand heute Nacht ein Maskenball statt.
Eigentlich waren die immer legendär und genial. Es wurde nicht an den falschen Stellen gespart und es spielten immer zwei, drei sehr namhafte Bands auf.
In Kombination mit günstigen Preisen war das eigentlich immer eine Erfolgsgarantie, die Jecken und Tanzwütige aus Nah und Fern anzog.
Leider hatte es im vergangenen Jahr ziemlich viele Idioten angezogen, deren Selbstzweck im Komasaufen oder „Streit suchen" und weniger im Fasching und daran, Spaß zu haben, zu bestehen schien, weswegen ich damals die Party für mich einfach vorzeitig abgebrochen hatte.
In Anbetracht meines gerade erst beendeten Dienstes, war für mich die Sachlage heute eindeutig -- Musik, Glühwein, ein gutes Buch, Pasta, Seele baumeln lassen ... Das klang nach einem richtig guten Plan.
Folgerichtig hatte ich es mir hatte ich es mir im großen, behaglichen Wohnraum im Parterre gemütlich gemacht, den Kamin angefeuert und auf dem Sims stand ein offener Topf mit Glühwein. Die Luft war erfüllt mit den Aromen von Buche und Glühweingewürzen.
Musikalisch stand mir heute der Sinn nach ruhigen Rockballaden und eine passende Liste war schnell programmiert. Led Zeppelin, Deep Purple, Rainbow, Metallica, Motörhead und Black Sabbath -- alles was Rang und Namen hatte war vertreten, teilweise mit sehr langen, gefühlvollen Live-Versionen.
Draußen auf der Straße steppte unterdessen der Bär.
Viele waren unterwegs zum Maskenball und stimmten sich in kleinen und größeren Grüppchen, mit Sekt und anderem, bei mehr oder weniger lautstarkem Small Talk enthusiastisch auf den Abend ein.
Sah und hörte sich nicht so aus, als ob ich heute früh Ruhe finden würde.
Obwohl, mit ausreichend Glühwein ... ich musste ja heute kein Auto mehr fahren.
Deswegen packte ich auch meinen „Vaporisier" aus... Ein futuristisch anmutendes und sehr formschönes Gerät. Es war ein gradgenau justierbares elektrisches Heißluftgebläse, das passend temperierte Luft durch eine Glaskammer blies, damit ätherische Öle aus in der Kammer befindlichen Kräutern herauslöste. Diese mit Dämpfen gesättigte Luft konnte dann, wie bei einer Wasserpfeife, nur eben trocken, inhaliert werden.
Nun, man konnte Lavendel, Rosmarin, Thymian, Salbei oder Minze inhalieren -- machte ich auch des Öfteren.
Oder man nahm ein paar andere „Kräuter", wie Marihuana, Hanf oder Cannabis.
Gras in kleinen Dosen gönnte ich mir nur recht selten. Aber, wenn man fast sechzehn Stunden durchgearbeitet hatte, spürte man jeden Knochen. Auch war es schwer, nach so einem Dienst abzuschalten. Mit ein wenig Gras wurde der Kopf wieder frei und vor allem die Knochen wieder leicht und die überbeanspruchten Gelenke hörten auf zu schmerzen. Mir kam es nicht auf einen „Trip" an und wenn mich die Gelenke plagten -- so wie heute -, wirkte es auf mich auch nicht berauschend.
Also machte ich es mir auf der riesigen Couch mit dem achten Buch der „Game of Thrones"- Reihe bequem und kämpfte mich Kapitel um Kapitel, zusammen mit den Protagonisten durch die Welten Westeros. Nebenbei nahm immer wieder einen kleinen Zug. Ich war derart gefesselt von dieser Welt, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie die Zeit vergangen war.
Als ich das Buch aus der Hand legte und auf die Uhr schaute, war es bereits 01:45 Uhr. Ich stand auf, um mich zu erleichtern. Essen wäre jetzt auch gut. Ich hatte es schlichtweg vergessen. (Nein, nicht wegen der Drogen -- wirklich nur wegen des Buches...)
Wieder zurück, schürte ich den Kamin neu an, legte noch ein paar Scheite nach und öffnete die Fenster zum kurzen Stoßlüften. Draußen war es anscheinend etwas ruhiger geworden. Ich lehnte mich auf die Fensterbank und inhalierte die kühle, regenfeuchte Nachtluft.
Direkt vor dem Haus, erwehrten sich wohl gerade drei junge Vampirinnen eines Indianers im Vollrausch, der torkelnd versuchte, auf Tuchfühlung zu gehen.
„Hey du Depp, zieh Leine und lass uns in Ruhe. Wir haben keinen Bock auf dich."
Das Statement ignorierend, legte er seine Hände auf die Schultern einer der Frauen und ich war gerade im Begriff mich vom Fenster aus einzumischen, als ihr auch schon eine ihrer Freundinnen zur Seite sprang, um den Typen wegzuziehen.
Aber genau in diesem Augenblick passierte etwas, womit wohl niemand gerechnet hatte -- die Mädels am allerwenigsten.
Der Typ würgte kurz und erbrach sich schwallartig über die beiden.
Sie hatten keine Chance und der Magen war offensichtlich randvoll mit allem was Bar und Theke ihm geboten hatten.
„Jetz isses besser!" Mit diesen halb dahingelallten Worten ließ der Typ von den Zweien ab, drehte sich um und wankte weiter.
Die Dritte lachte spontan schallend los. Aber es war auch ein göttliches Bild, wie die beiden dastanden... wie sprichwörtlich begossene Pudel.
Oder eher wie „vollgekotzte" Pudel?
Spontan musste ich über beide Backen grinsen.
„Hör auf zu lachen, Elke. Das ist nicht komisch. Ich hab die Kotze im Gesicht, in den Haaren, auf dem Kleid. Es ist nur eklig!" Und diesen Ekel und diese Panik hörte man auch ihrer Stimme an.
Die Dritte, wohl Elke, hörte schlagartig auf zu lachen und sprang zu ihrer anderen Freundin, die sich an meine Hauswand lehnte und ihrerseits würgend, langsam zu Boden ging.
„Hilfe! Kann uns jemand helfen? Hilfe!"
„Kurzen Moment, ich komme und helfe euch!" mischte ich mich, halb aus dem Fenster gelehnt, von oben in den Dialog.
Elke sah kurz zu mir hinauf. „Danke. Kommen sie schnell!"
Bis zur Haustür waren es nur ein paar Schritte. Der Schlüssel hing griffbereit und rasch war ich am Hoftor. Mittlerweile hatte sich auch die eine Vampirin an der Hauswand übergeben.
Es war zwar schon ziemlich eklig, was mir da an Geruch in die Nase stieg, aber als Mediziner war ich einiges gewohnt und hatte eine extrem hohe Toleranzschwelle.
„Hallo, ich heiße Kai Merten und ich bin Arzt... wirklich!"
Ich ließ kurz meinen Blick über die drei zerzausten Geschöpfe der Nacht wandern.
„Ihr kommt am besten kurz mit rein, „verdaut" den Schreck und macht Euch mal frisch."
Ich fixierte kurz die Erste, die sich gerade mit nur mäßigem Erfolg, ein paar Brocken aus den langen roten Haaren und ihrem Gesicht zu entfernen versuchte. Sie betrachte etwas besorgt die anderen beiden.
Kurz nickte ich ihr zu. „Geht´s?"
„Ja. Danke! Ist total eklig. Danke, dass Sie uns helfen."
„Geh schon mal vor. Türen sind offen. Die Treppe hoch ins Hochparterre, den linken Flur nehmen und gleich die erste Tür links - da ist das Bad. Frische Handtücher und Waschlappen findest du im Schrank."
Sie ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Und deutliche Erleichterung zeichnete sich in ihrem Gesicht ab.
„Vielen Dank. Ich bin Melissa", sagte sie im Gehen begriffen.
„Wie geht es ihr?" Statt Elke antwortete mir ihre am Boden kauernde Freundin.
„Etwas besser. Tut mir leid mit der Hauswand. Mir ist noch total schwindelig."
„Ist dir noch übel?" Ich beugte mich über sie. Im Licht der Straßenlaterne sah sie schlimm aus.
„Geht wieder."
„Wir sollten rein gehen. Da ist es warm. Du kannst dich setzen, durchschnaufen und dich frisch machen."
Ich wandte mich kurz an die Freundin: „Elke, ja? Ich bräuchte kurz deine Hilfe..."
„Ja, ich heiße Elke und das ist Sandra. Danke, dass sie uns helfen. Ich glaube, ohne sie wären wir jetzt wirklich aufgeschmissen. Was ein Depp! So ein Vollpfosten!!!"
Zu zweit halfen wir Sandra auf und führten sie in Richtung des Hauses. Ich schloss das Hoftor. Sandra war noch etwas wackelig auf den Beinen, sodass wir sie beide zusammen deutlich stützen mussten.
Ich merkte, dass ich mich dabei an Sandra ebenfalls beschmierte. Nur war ich das gewohnt und es machte mir deswegen ebenso wenig etwas aus, wie es Elke etwas auszumachen schien, die sich gerade ebenso einsaute.
Im Haus mussten wir erst einmal fünf Stufen zum Hochparterre überwinden, was aber recht gut ging. Schnell hatte ich mir aus der Küche einen Stuhl geholt und Sandra drauf platziert.
Sie bekam wieder etwas Farbe im Gesicht, aber „Vampirettenkostüm", ihr Gesicht und ihre hellbraunen, langen Haare, sahen nicht gerade sehr appetitlich aus.
Ich blickte an mir kurz runter und schaute Elke an. Irgendwie musste ich schon wieder grinsen.
„Hey, so zum Kotzen kann der Abend doch gar nicht gewesen sein?" Ein wenig Ironie und Süffisanz und schon ist aus so einer Situation die Spitze rausgenommen...
„Doch, eben war er es schon!" Elke musste wieder lachen und selbst Sandra konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Und wie geht´s jetzt weiter?"
„Gute Frage Sandra", entgegnete ich.
„Deine Freundin Melissa hat für sich anscheinend schon eine Antwort gefunden. Ich höre die Dusche."
Beinahe ungläubig sah mich Sandra an. „Die kann doch hier jetzt nicht einfach so duschen!"
„Seht euch an, warum denn nicht. Ich wollte es euch gerade anbieten. Mit ein bisschen Wasser und Seife wirst du das hier eher nicht in den Griff bekommen und -- Hand aufs Herz -- die Kleidung solltest du auch dringend wechseln..."
Mein Blick ging wieder zu Elke, die zustimmend nickte.
„Eigentlich betrifft das uns alle", ergänzte ich und zeigte demonstrativ auf meine Jogginghose und Sweatshirt.
„Im ersten Stock ist ein großes Badezimmer. Dort könnt ihr Euch zu zweit in aller Ruhe frisch machen. Ich lege euch noch ein paar große Handtücher raus und drei Bademäntel habe ich auch. Könnten allerdings etwas groß geraten sein. Könnt ihr jemanden anrufen, der euch frische Kleidung vorbeibringt?"
Wie immer, dachte ich eher pragmatisch. Auch hatte ich keinerlei Hintergedanken. Und dass sich mit all der Kotze keiner von uns wohl in seiner Haut fühlte ... das war ja nachvollziehbar. Aber bei dem Vorschlag mit dem Anrufen zuckte Sandra schon ein wenig zusammen.
„Geht´s? Glaubst du, dass du die Treppe schaffst?" hakte ich noch mal kurz nach.
„Schaffe ich!" Sie wechselte einen kurzen Blick mit Elke, die ihr aufmunternd zunickte.
Ich ging vor, die Treppe hinauf und zeigte den beiden „Blutsaugerinnen" das große Bad.
Man sah dem Haus seine Qualitäten nicht wirklich von außen an. Das Badezimmer hatte etwa fünfunddreißig Quadratmeter und war mit anthrazitfarbenem Granit gefliest. Es verfügte über eine große Dusche und eine große Whirlpool-Wanne - für „allerlei Wasserspiele" bestens geeignet. Auch hier gab es einen Kamin für die ganz "speziellen" Momente...
Meine Eltern waren beide Architekten, hatten sich in ihrem „alten Domizil" wirklich selbst übertroffen und ihre ganz eigene Traumwelt verwirklicht.
Ich folgte den Blicken der beiden Mädels, als sie eintraten.
„Ich wusste nicht, dass heute noch Besuch kommen würde. Deshalb habe ich auch nicht eingefeuert."
Was mit etwas humorvoller Ironie gemeint war, fiel den ungläubig dreinblickenden Gesichtern nach zu urteilen, auf ziemlich fruchtbaren Boden. Ich öffnete den Schrank, nahm ein paar große Handtücher und Waschlappen heraus, legte den Föhn bereit und zog den Wäschepuff unter der Waschanrichte hervor.
„Ich hole gerade noch die Bademäntel. Ihr könnt auch den Pool nutzen. Legt die Wäsche einfach in den Puff und stellt ihn vor die Tür. Ich lasse es dann gleich mit Desinfektionswaschmittel im Kurzwaschgang durchlaufen."
„Wo sind ihre Frau und ihre Kinder?" Die Frage kam von Elke.
„Keine lange Geschichte! Ich wohne hier allein. Vorher lebten meine Eltern hier, doch die sind seit Ende letzten Jahres in einer Senioreneinrichtung."
Man konnte eine Spur von Unsicherheit in ihrer Miene sehen. Sie war nach meinem ersten Eindruck die Souveräne von den Dreien.
„Keine Angst, Elke! Ich helfe wirklich nur. Jetzt hole ich mal eure Bademäntel, bringe auch eurer Freundin unten einen, mache mich selbst ein wenig frisch, lege die Wäsche ein und bin dann unten im großen Wohnzimmer. Lasst euch Zeit und kommt dann einfach runter. Ihr könnt die Tür von innen abschließen. Wenn etwas sein sollte, dann ruft kurz. Ich komme dann gleich."
Elke wusste, dass ich damit auf ihre Freundin Sandra anspielte. Aber die wirkte wirklich wieder stabil.
Im Nachgang betrachtet, mag es wirklich seltsam erscheinen, dass sich die drei darauf eingelassen hatten. Wahrscheinlich war es die Selbstverständlichkeit, mit der ich die Sache anging. Aber ich war auch offen und hegte keinerlei Hintergedanken, es war einfach der Situation geschuldet und mitunter verlässt man sich auf Instinkt, Bauchgefühl und auf die Sicherheit, die eine kleine Gruppe bietet.
Das Wasser unten in der Dusche lief noch -- ich hörte es an den im Altbau auf Putz verlegten Leitungen. Ich konnte es gut nachvollziehen. Schock und Ekel, da will man sich nur noch waschen -- wortwörtlich, wie auch im übertragenen Sinne.
Eine Etage höher, unter dem Dach, war mein Reich. Ich hatte verglichen mit dem mittleren, ein eher kleines Bad. Aber ich brauchte auch nicht lange, mich zu waschen, abzutrocknen und kurz umzuziehen.
Wieder unten angekommen hörte ich, wie Melissa gerade die Dusche abstellte. Ich trat vor die geschlossene Tür.
„Melissa? Ich bin´s, Kai Merten, der Mann eben von draußen. Deine Freundinnen sind oben im anderen Bad und nutzen auch die Dusche. Ich lege Dir einen großen Bademantel vor die Tür. Ich habe zwar nicht gesehen, wie deine Kleidung aussah, aber wenn die so wie die von Sandra oder Elke ausschaut und riecht, dann sollte die erst mal gewaschen werden."
„Danke Herr Merten."
„Kai."
„Danke Kai."
„In der oberen Schublade der Holzkommode ist ein Föhn und ein paar saubere Bürsten und Kämme liegen auf der Ablage unter dem Spiegel. Ich habe vor die Tür auch einen Wäschepuff für deine Schmutzwäsche gestellt. Wenn du mit allem fertig bist, kannst du gern ins Wohnzimmer kommen und auf deine Freundinnen warten. Die sollten aber noch einen Moment brauchen."
„Super. Ich will das Zeug auch gar nicht mehr anziehen. Das ist einfach nur noch eklig und stinkt. Aber ich werde mit dem Haar noch einen Moment brauchen."
Ich hatte mir Melissa gar nicht lange ansehen können... Langes rotes Haar, helles Gesicht, Sommersprossen. Langes Haar braucht immer lange. Richtig.
„Kein Problem, Melissa. Ich bin dann im Wohnzimmer. Und keine Angst! Ich werde nicht ins Bad kommen. Ich weiß, dass die Tür keinen Schlüssel hat."
„Glaub mir, das war gerade sowas von unwichtig für mich. Die Dusche... Das war wichtig. Wirklich nochmal Danke für deine Hilfe." Der Stimme war die Erleichterung deutlich anzumerken.
Ich ging kurz ins Wohnzimmer, schloss die Fenster, legte noch ein paar Holzscheite nach, danach kurz in die Küche, stellte schon einmal Tassen und Gläser parat und setzte Wasser für Tee oder Kaffee auf. Ich nahm noch etwas Glühwein aus dem Kühlschrank und füllte den Topf auf dem Kaminsims nach.
Die Musik spielte in Endlosschleife, aber ich hatte eine große Playlist programmiert und ich beließ es dabei. Passte irgendwie zur Situation.
Weshalb auch immer, zündete ich die Kerzen an, die überall im Raum drapiert waren. Das machte ich sonst auch immer -- es tauchte den Raum in ein schönes weiches und lebendiges Licht und zusammen mit dem Kamin und einer dezenten Beleuchtung, war das für mich in Kombination mit der in warmen Holztönen gehaltenen Einrichtung, einfach stimmig.
Nun musste ich noch die Wäsche in die Waschküche bringen. Die stank wirklich grottenerbärmlich, als ich sie einlegte.
Die Mädels hatten alle auch ihre Unterwäsche komplett mit reingelegt. Ich musste grinsen. Hatten sie sich nichts dabei gedacht, oder war die einfach völlig durchgeschwitzt. Na ja, die BHs von Melissa und Sandra hatten wohl auch was abbekommen.
Ich atmete tief durch, versuchte meine „Altherrenphantasien" zu unterdrücken, stopfte alles in die Trommel...
Dabei wurde ich mit einem Mal stutzig. Da war auch frisches Blut?! Seltsam! Was war denn hier los?!
Die noch oben liegende Kleidung von Melissa wies gleich an mehreren Stellen frische, kaum eingetrocknete Blutspuren auf -- und das nicht nur an Stellen, die klassisch mit dem „Frauentum" zu tun hatten.
Kein Kunstblut, wie ich es bei Faschingsvampiren eine Erklärung gewesen wäre. Echtes Blut - ich war Arzt.
Klappe zu, ich machte erstmal weiter und stellte die Waschmaschine an.
Gerade wieder in die Küche zurückgekehrt, stand Melissa plötzlich etwas unsicher im Türrahmen. Keine Schminke mehr, kein Vampirkostüm... dafür aber im cremefarbenen, viel zu großen Bademantel. Sie war barfuß, aber ihre Heels hätten jetzt auch etwas seltsam gewirkt. Ich musste grinsen. Das lockerte auf. Sie grinste zurück.
„Waschmaschine läuft schon. Eure Wäsche ist in etwa einer guten Stunde durch. Dann noch mal rund neunzig Minuten für den Trockner und alles ist vergessen."
„Prima."
„Was magst du trinken? Ich hab Kaffee, verschiedene Teesorten, Wein, Sekt, Cola, Wasser, Säfte und selbst angesetzten Glühwein, der schon auf dem Kamin wartet."
„Tee hört sich gut an. Hast Du schwarzen Tee?"
„Klar, ich mach dir schnell einen. Magst du dich kurz setzen?"
Ich wies auf den kleinen Küchentisch mit der Eckbank und den beiden Stühlen. Sie setzte sich auf die Bank und ich sah im Augenwinkel, dass sie darauf achtete, dass der Bademantel nicht aufklaffte. Irgendwie niedlich!
„Wie war denn die Party?"
Ich stellte ein Stövchen auf das kleine, eben vorbereitete Tablett und zündete das Teelicht an.
„Super. Wir waren schon um sieben da. Die „Gunners" waren richtig gut und wir haben fast die ganze Zeit getanzt. Aber jetzt zum Schluss waren da ein paar besoffene Typen, die Streit suchten und alles Weibliche angegraben haben, was bei drei nicht auf den Bäumen war.
Deswegen sind wir schon etwas früher gegangen. Eigentlich wollten wir die Nacht durchfeiern und dann bei Elke schlafen."
Ich hatte eine sehr feine Ostfriesenmischung, natürlich lose und in einer schönen Teedose und ließ Melissa kurz mal schnuppern, wohlwissend, dass da eine regelrechte Geruchsexplosion kam. Ein begeistertes Nicken zauberte mir ein wissendes Lächeln ins Gesicht.
Die Glaskanne aus der „Teekanne"-Werbung stellte ich auf das Stövchen, gab ein paar Löffel Tee in den Glaseinsatz und überbrühte das Ganze mit dem mittlerweile etwas abgekühlten und genau richtig temperierten Wasser. Ein kleines Kännchen Sahne, Kluntjes, die typisch ostfriesischen Kristallzuckerbrocken und zwei Glastassen mit Untersetzer. Ein Bild, wie aus einem friesischen Kaffeehaus. Das machte Eindruck, das wusste ich. Aber mir ging es eigentlich eher darum, den Genuss mit Stil zu praktizieren.
„Macht doch Spaß, wenn man sich etwas mehr Mühe gibt...", kommentierte ich meine Vorbereitungen.
„Ja, sieht schon ziemlich cool aus."
Auf den zweiten Blick wirkte Melissa recht jung. Ich schätzte sie auf etwa Neunzehn. Sie taute zunehmend auf.
„Letztes Jahr war ich auch auf dem Ball. Die hatten mit den „Diamonds" so eine Pink-Floyd-Cover-Band. Ziemlich gut. Ich war übrigens auch Vampir. Aber ich hab damals auch so gegen halb zwei abgebrochen. Die Stimmung war da auch gerade am Kippen. Eigentlich schade."
„Und warum warst du heute nicht mit dabei?"
„Ich bin heute erst am Abend nach einer sechszehn-Stunden-Schicht aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen. Ehrlich gesagt, war mir da nicht nach Fasching. Vielleicht mache ich morgen oder am Sonntag was in der Richtung."
„Wir wollen morgen auf den Frankfurter Zug und danach auf die Zugparty."
„Fasching ist Partyzeit? Ihr habt euch da ja einiges vorgenommen."
„Jepp."
„Habt ihr schon was gegessen? Ich hätte in jedem Fall was da."
„Richtig, Essen wollten wir später bei Elke machen. Wird ja jetzt wohl noch etwas dauern. "
„Wir können das ja gleich noch mal ansprechen, wenn die anderen da sind.
So fertig.
Gehen wir rüber in den Wohnraum. Da ist es gemütlicher."
Ich nahm das Tablett und ging vor. Melissa folgte mir und als wir eintraten, merkte ich, wie sie sich staunend und interessiert umsah.
„Meine Eltern waren beide Architekten und bei diesem Haus hier haben sie sich ausgetobt."
„Das ist toll! Ein Traum. Wie ein Palast."
Sie verharrte vor dem Kamin, während ich das Tablett abstellte und ihr eine weiche Wolldecke reichte.
„Hier, eine Decke. Komm, nimm irgendwo Platz. Das Wasser in der Dusche läuft noch. Die anderen beiden werden wohl einen Moment brauchen."
Melissa setzte sich mir gegenüber auf die riesige Sofaecke und sah mir zu, wie ich erst den Tee in beide Tassen gab, dann den Zucker, der charakteristisch und wie immer sehr eindrucksvoll knisterte. Zuletzt gekrönt durch jeweils einen Tropfen Sahne - ein wahres Gesamtkunstwerk.
Helle Wolken waberten in dunklem Tee, als ich ihr die Tasse reichte. Das flackernde Licht vom Kamin und den Kerzen brach sich in der flachen Glastasse.
„Hier, bitte!"
Sie hatte sich in die Decke gekuschelt und es sich bequem gemacht. Bedächtig nahm sie die Tasse entgegen und trank vorsichtig einen ersten Schluck.
„Der schmeckt ja phantastisch."
Ich nippte vorsichtig und nickte bestätigend. Dann wandte ich meinen Blick dem Feuer zu. Welcher Teufel ritt mich hier gerade? Versuchte ich da gerade, mit dem jungen Ding zu flirten? Da würde ich mich ja wohl lächerlich machen. Ich könnte beinahe ihr Vater sein.
Und ich war als Typ mit ziemlicher Sicherheit auch weit außerhalb ihres Beuteschemas.
Das Gespenst der „Midlife Crisis" zog an mir vorbei. Ich konnte es in den Flammen sehen. Deep Purple, „When A Blind Man Cries" -- eine wunderschöne Live-Version mit Ritchie Blackmore an der Gitarre. Diese Melodie, so voller Gefühl, gepaart mit dem Feuer und der Situation. Ich spürte einfach diese in sich geschlossene Melancholie des Augenblickes.
Nur saß ich eben nicht allein in einem leeren Raum, wie der Protagonist dieses Songs.
Auch Melissa hing ihren Gedanken nach, schenkte sich neuen Tee ein und gab auch ein paar Tropfen Sahne hinzu. Zucker war noch in der Tasse.
Oben kam wieder Leben in die Etage. Die Badezimmertür ging und ich konnte die Mädels auf der Treppe hören.
„Sandra? Elke? Wir sind hier unten und warten."
Melissa wirkte erfreut, dass die anderen sich auch endlich einmal die Ehre gaben.
„Wir kommen ja schon!" Die tiefere Stimme von Elke war charakteristisch.
Ich stand rasch auf, empfing die beiden am Treppenabsatz und geleitete sie ins Wohnzimmer.
„Nehmt Platz. Hier sind zwei Wolldecken zum einmummeln. Was darf ich euch zum Trinken bringen? Ich habe Wein, Bier, Cola, Säfte, Kaffee, Tee oder...", ich wies auf den Topf, der auf dem Kaminsims stand, „hausgemachten und wohltemperierten Glühwein."
Elke setzte sich zwischen Melissa und meinen Platz.
„Ich würde gern auch Tee trinken. Der sieht lecker aus."
„Der ist auch lecker, Elke", sagte Melissa
„Ich nehme den Glühwein" Sandra setzte sich neben Melissa auf die andere Seite.
„Glühwein? Geht´s dir wieder besser, Sandra?"
„Ja, jetzt bin ich sauber. Jetzt passt es wieder."
Ich holte schnell noch eine Teetasse aus der Küche und reichte sie Elke. Dann nahm ich einen Becher aus dem Schrank und schenkte Glühwein ein.
Ich sah, wie Sandra zunächst roch, dann nippte und mich überrascht anblickte. Ich lächelte
„Ich glaube, ich werde mir nach dem Tee auch noch ein Tässchen von dem Wein genehmigen, Sandra. Melissa sagte mir, dass ihr wahrscheinlich noch Hunger haben könntet."
Ich blickte kurz in die Runde. Draußen zogen laut grölend noch ein paar Besoffene vorbei.
"Gut, dass wir nicht mehr draußen sind. Ja, was Kleines zum Essen wär schon toll. Aber du hast schon ziemlich viel für uns getan."
„Kein Problem. Ich kann auf die Schnelle eine Lage Pizzabaguettes und einen Salat anbieten. Ich hatte es schon Melissa gesagt: Die Wäsche braucht leider noch eine Weile. Sie hat mir auch erzählt, dass ihr sowieso alle zusammen bei Elke übernachtet hättet.
Mein Vorschlag: Ich habe hier das riesige Sofa. Da können zwei bequem schlafen oder oben im ersten Stock. Da sind zwei Gästezimmer. Eins mit Doppelbett. Ihr könnt gern hier übernachten, ausschlafen, morgen hier frühstücken, frisch gebackene Brötchen, und dann mit gewaschenen Kostümen nach Frankfurt zum Umzug durchstarten.
„Meinst Du das ernst, Kai?"
„Ja. Aber ihr müsst euch nicht sofort entscheiden. Ich geh jetzt mal kurz in die Küche und ihr könnt noch ein wenig beratschlagen, Elke. Ihr seid ja schließlich im Haus eines eigentlich wildfremden Mannes."
„Quatsch, Kai! Das ist voll lieb von dir", entgegnete Melissa mit warmem und von dem Gesagten völlig überzeugten Unterton.
„Und es macht vieles einfacher. So müssen wir nicht in Morgenmänteln durch die Gegend fahren. Ist zwar Fasching und nicht kalt, aber wenn ich ehrlich bin - ich hab hier nichts drunter und so möchte ich nicht gern rausgehen."
„Müsst ihr auch nicht. Ihr könnt auch immer noch jemanden anrufen, der euch geschwind was Anzuziehen vorbeibringt."
„Ich glaube, das geht dann doch nicht so einfach..." Elke warf ihren beiden Freundinnen einen kurzen Seitenblick zu. Melissa nickte, wie ich kurz registrierte, unmerklich mit dem Kopf.
„Also bei mir ist niemand zu Hause. Meine Eltern sind noch drei Tage in China und kommen dann auch nur für ein paar Wochen vorbei. Sandras Eltern denken, dass sie bei mir ist und nicht auf dem Fasching und Melissa ist heute von zu Hause abgehauen. Der Freund ihrer Mutter wollte ihr schon wieder an die Wäsche. Aber die hast ja jetzt du... nur anders."
Elke gluckste leise lachend in sich hinein und ich stand kurz auf dem Schlauch.
„Was hab ich?"
„Melissas Wäsche."
Wir lachten kurz. War wirklich einfach ´ne nette Art, ernste Dinge zu transportieren.
„Du Melissa. Tut mir leid. Kann ich dir irgendwie helfen?"
„Kannst du tatsächlich Kai. Ich hab jetzt so richtig Hunger."
„Ist ja schon gut, ich gehe ja schon in die Küche."
Ich tat ein wenig geknickt, aber in der Tat war ich beeindruckt von der Offenheit, mit der mir die Mädchen begegneten. Wahrscheinlich spielten da gleich mehrere Faktoren eine Rolle. Die „Rettung", ich war Arzt, dadurch auch sicher in Kommunikation und Auftreten... Zu guter Letzt wirkte das Haus hier auch nicht gerade ungepflegt.
In der Küche angelangt, fing ich gleich mit den Vorbereitungen an. Die acht Baguettes waren schnell mit ein wenig zusätzlichem Belag und ein paar Gewürzen versehen, bei zweihundert Grad Umluft wären sie wohl in einer knappen Viertelstunde fertig.
Während ich die Zutaten für den Salat aus dem Kühlschrank holte, ließ ich noch einmal im Geiste die letzte Stunde und meinen unverhofften Besuch Revue passieren.
Wie alt waren die Mädels? Ich hätte sie zwischen neunzehn und zweiundzwanzig geschätzt. Alle schienen noch bei ihren Eltern zu wohnen. Melissa hatte wohl Trouble mit den Eltern und sie schien auch die jüngste zu sein. Mit dem Alter tat ich mich immer sehr schwer, auch im Krankenhaus. Ich wollte sie später mal fragen.
Große Salatschüssel, Zwiebeln, Gurke, Tomaten, Feldsalat, Mohrrüben, Käse, gekochte Putenbrust und noch zwei hartgekochte Eier. Gut, dass ich heute nach Feierabend eingekauft hatte.
Ich war gerade dabei, die Zwiebeln zu hacken als durch das Geräusch angelockt, Melissa wieder im Türrahmen stand.
„Kann ich helfen?"
„Ja, kannst du tatsächlich. Setz dich mal an den Küchentisch." Ich reichte ihr die Zutaten, das Schneidebrett, Messer und die Schüssel rüber.
„Dann kann ich nämlich schon das Dressing vorbereiten und eindecken. Essen wir hier oder drüben?"
„Drüben. Ist einfach gemütlicher."
„Finde ich auch, Melissa."
„Du Kai, ich wollte dich vorhin nicht abwürgen. Bist du wirklich Arzt?"
„Ja, ich leite die Notaufnahme des Kreiskrankenhauses. Ich bin eigentlich Unfallchirurg, aber in der Notaufnahme muss man alles können. Vielseitigkeit ist gefragt und deswegen liebe ich den Job."
„Elke meinte eben, das mit dem Angebot, mir helfen zu wollen, hättest du wahrscheinlich ernst gemeint."
„Ja! Deine Freundin Elke hat eine gute Menschenkenntnis. Eigentlich biete ich privat ziemlich selten Menschen meine Hilfe an.
Bei dir war das eben sehr spontan und aus dem Bauch heraus. Ich finde euch drei ziemlich sympathisch und ja, wenn du Hilfe brauchst und ich irgendetwas für dich tun kann -- und damit meine ich nicht Essen kochen -- dann mache ich das.
Einfach so, ohne dich näher zu kennen und ohne jede Verpflichtung für dich."
Ich sah, wie es in ihr arbeitete. „Schneid dich nicht beim Salatschnippeln! Der Doktor hat Feierabend und auch schon etwas zu viel Glühwein intus", flachste ich, um ihr Augenmerk wieder auf das Schneidebrett zurückzulenken.
Das Gespräch ebbte einen Moment ab. Ich richtete gerade Teller und Besteck auf einem Tablett an und stellte ein paar Gläser und Getränke bereit.
„Er hat nicht nur versucht, mir an die Wäsche zu gehen", brach es aus ihr heraus. „Er ist es! Vor fünf Jahren war das erste Mal. Ich war vierzehn. Da kam er von hinten und presste meinen Oberkörper auf den Tisch. Er riss mir die Hose runter. Ich versuchte mich noch zu wehren. Doch er war stärker. Er „fickte" mich in den Arsch. Ich schrie. Es tat so weh."
Sie hielt kurz inne. Ich musste mich direkt auf den gegenüberliegenden Stuhl setzen. Ich war entsetzt! Fassungslos frage ich: „Und deine Mutter?!"
„Die hat dabeigesessen und gesagt, ich solle mich nicht so anstellen und lieb zu meinem neuen Daddy sein! Sie hängt an der Nadel und der Typ ist Dealer und Zuhälter. Ich geh nicht mehr nach Hause!"
Ich sah sie ernst an. „Musst du auch nicht! Willst du ihn anzeigen?"
„Nein. Da hab ich zu viel Angst um meine Mutter und um mich. Der Typ und seine Kumpels sind ist einfach nur brutal."
„Wie alt bist du, Melissa?"
„Neunzehn."
„Und die beiden anderen?"
„Sandra ist achtzehn und meine Freundin. Wir studieren beide in Frankfurt. Und Elke, Sandras Kusine, ist zweiundzwanzig."
„Wissen die beiden anderen davon?"
„Ja. Deswegen wollten sie mich auch auf andere Gedanken bringen. Fasching, Abfeiern, Saufen, ... all den Scheiß mal für eins, zwei Tage vergessen."
„Kann ich verstehen. Wo kommst Du unter?"
„Für drei Tage kann ich bei Elke unterkommen. Dann kommen aber ihre Eltern zurück und für länger ist die Wohnung einfach zu klein. Auch mit dem Studium... Elke wohnt in Bad Homburg. Das sind ein paar Meter und ich habe gerade erst angefangen, BWL zu studieren. Ich will etwas aus meinem Leben machen! Nicht so, wie meine Mutter."
Sie sprach sehr leise und eindringlich. Sie weinte nicht und blickte, während sie das sagte, unentwegt auf das Schneidebrett, wo sie den Salat weiterverarbeitete.
Ich dachte einen Moment nach.
„Ich kenne vom Job her verschiedene Frauenhäuser hier in der Region, wo man dich unterstützen kann. Das ist leider keine Dauerlösung. Aber da kann man dir definitiv weiterhelfen. Es gibt vorübergehend WGs... Und auch eine Studentenbude im Studentenwohnheim wäre ´ne Alternative! Davon abgesehen... Melissa, Polizei wäre echt gut.
Schon allein, um den Typen hinter Gitter zu bringen."
„Klar. Aber der kennt genug andere und irgendwann ist meine Mutter tot und ich bin es auch. Glaub mir! Der Kerl ist wirklich böse. Der hat ´ne Knarre und prahlt damit, die auch schon benutzt zu haben. Glaub mir! Du willst nicht wissen, wie das ist, das Ding in deinem Genick zu haben. Und das hatte ich mehr als einmal. Und nicht nur dort!"
Unwillkürlich kniff sie ihre Beine zusammen.
Ich schluckte und verdrängte eine gerade hochkommende Erinnerung an eine dramatische Situation in der Notaufnahme, wo eine Polizistin Gebrauch von ihrer Dienstwaffe machen musste, um meine Kollegin zu schützen.
„Du hast Recht. Das will ich wirklich nicht wissen... Echt hart, was du durchmachen musstest."
Es kostete mich wirklich einiges an Selbstbeherrschung, so ruhig zu bleiben. Ich war gerade extrem sauer auf den Typen, aber auch auf die Mutter.
„Melissa, ich kenne da vielleicht aber noch andere Wege, als nur die Polizei."
Sie sah mich fragend an.
„Was glaubst denn du, wen man so alles im Laufe der Jahre zusammenflicken muss. Das Thema medizinische Schweigepflicht kann man, beispielsweise bei Schuss- oder Stichwaffenverletzungen und auch nach offensichtlichen Schlägereien, mitunter auch sehr „umfassend" auslegen. Ebenso, wie jemand zu welchen Verletzungen gekommen, oder ob jemand krankenversichert ist.
Ich kenne deswegen auch ein paar Menschen, aus dem Millieu des Freundes deiner Mutter. Nur sind die wesentlich einflussreicher und ein paar haben mir gesagt, wenn ich mal ein „Problem" hätte, bräuchten sie nur einen Namen."
Sie sah mich mit einer Mischung aus Hoffnung und Erschrecken an.
„Keine Angst. Ich hab nie was Illegales getan! Ich werde auch nicht gleich einen Mord in Auftrag geben!"
Mein Versuch, mit etwas schwarzem Humor dem Ernst der Situation die Spitze zu nehmen, scheiterte, wie ich ihrer Miene entnehmen konnte, gerade ziemlich kläglich.
„Ich will nie wieder nach Hause gehen müssen und ich will auch meine Mutter nie wieder sehen. Kannst du dir vorstellen, wie das ist? ...du liegst mit dem Oberkörper auf so einem Küchentisch", sie beugte sich demonstrativ nach vorn und stemmte sich mit beiden ausgestreckten Armen auf die Tischplatte. „Du drehst deinen Kopf hilfesuchend zu deiner Mutter und die drückt sich gerade einen Schuss, lächelt Dich an und sagt, dass das jetzt gerade richtig geil aussähe, während ihr perverser Macker Dir wortwörtlich den Arsch aufreißt und in dir kommt."
Sie schüttelte den Kopf, als ob sie die Bilder damit loswerden könne.
„Sorry, ich wollte dir nicht den Abend und die Laune verderben. Und ich wollte dich nicht angreifen, Kai. Es tut mir gut, darüber zu reden. Aber ich habe Angst, was die nächsten Tage bringen werden. Ich will nie wieder nach Hause. Aber Frauenhaus? Ich weiß auch nicht so recht."
„Du kannst es dir ja mal ansehen. Ich kann dir einen Kontakt herstellen. Ich kenne da einige von Berufs wegen. Ich werde dir helfen. Und du wirst nicht mehr nach Hause gehen müssen. Auch wenn das jetzt wie eine hohle Phrase klingen mag, dein Leben geht weiter und es wird auch eine ganze Menge Gutes für dich bereithalten. Nach all der Scheiße, hast du dir das einfach auch verdient."
Zum ersten Mal im Gesprächsverlauf lächelte sie wieder. Sie wollte das, was ich da gerade gesagt hatte, einfach nur noch glauben. Wenn das Leben bloß so einfach wäre und ebenso die Lösungen.
Ich stand kurz auf, schaltete den Backofen aus und öffnete ihn. Beinahe entschuldigend sagte ich zu ihr: „Die müssen raus. Sonst gibt es Kohlebriketts. Melissa, ich verspreche dir, dass wir das irgendwie hinbekommen werden."
„Das ist gut. Wir haben uns extra einmal einen Moment zurückgehalten, damit ihr miteinander reden konntet." Elke und Sandra standen im Türrahmen.
„Hast du ihm alles erzählt?"
Melissa nickte. „Fast alles."
„Gibt es irgendetwas, das ich noch wissen sollte?"
Ich glaubte nicht, dass ich jetzt noch mehr ertragen konnte. Ich hatte frei und jetzt Besuch. Was so harmlos wie abwechslungsreich anfing, hatte gerade eine dramatische Wendung genommen! Ich hatte ein Versprechen gegeben und damit auch zu einem gewissen Grad Verantwortung für das Mädchen übernommen. Und der musste ich jetzt gerecht werden.
Melissa schüttelte nach kurzem Nachdenken den Kopf.
„Kai, nichts was im Moment von Belang wäre. Ich muss einfach noch einen Moment nachdenken. Aber ich verspreche dir, ich werde es erzählen, wenn ich soweit bin."
Ich nickte. Sie würde kommen; dessen war ich mir jetzt sicher.
„Ich weiß nicht, wie es euch geht... aber bei dem Geruch habe ich Hunger. Und ein paar Tässchen Glühwein wären jetzt auch nicht schlecht. Ich muss ja nicht mehr fahren."
„War klar, dass das jetzt von dir kommen musste, Elke!", entgegnete Sandra.
„Also bleibt ihr heute Nacht hier!
Essen ist fertig! Nehmt ihr zwei gerade mal die Teller und Becher mit ins Wohnzimmer? Melissa, hier das Kräuter-Yoghurtdressing. Mischst du den Salat geschwind durch und bringst die Schüssel dann mit? Ich gehe schon mal mit den Baguettes in Richtung Wohnzimmer."
Trotz aller anfänglichen Komik und aller sich gerade entwickelten Tragik -- das war eine durch und durch unwirkliche Situation.
Wie mit einem umgelegten Schalter, war ich plötzlich wieder inmitten dreier junger Damen, deren Nacktheit nur durch Bademäntel bedeckt wurde... Dreier junger Damen, die ich bis vor drei Stunden noch gar nicht kannte und die sich nunmehr in meinem Haus so unbefangen wie vertrauensvoll bewegten.
Irgendwie war auch das Leben hierher zurückgekehrt in dieses alte, für mich allein zu große Haus.
Die Baguettes und der Salat waren schnell gegessen, etwas Gemütlichkeit stellte sich ein und nach kurzem Schweigen kamen die Gespräche wieder in Gang.
Die Atmosphäre hatte sich wieder etwas gelockert.
Wir saßen zusammen im Wohnzimmer, tranken Glühwein und ich hatte ein paar Kekse auf den Tisch gestellt, bei denen sich jetzt alle bedienten.
Das Feuer im Kamin knackte und loderte, auf der Straße war langsam Ruhe eingekehrt und alles drehte sich jetzt um die Pläne für den morgigen Tag.
Ausschlafen, gemütliches Frühstück und dann wollten wir zusammen witterungsabhängig entscheiden, ob wir auf den Frankfurter Umzug gingen oder nicht -- „wir", weil sie mich einluden, mich ihnen anzuschließen. Ich fühlte mich, so seltsam das jetzt klingen mochte, irgendwie so wohl wie seit langem nicht mehr. Sie bezogen mich in ihre Gespräche mit ein, als wäre ich ein Mitglied ihrer eingeschworenen Gemeinschaft und ich hatte wirklich das Gefühl dazu zu gehören.
Langsam war es Zeit und als ich die Treppe zum Keller herunterging, um die Wäsche in den Trockner umzulegen, wurde mir klar, warum ich mich so wohl fühlte - ich war einsam!
Die letzten Jahre war ich nur für meine Eltern da gewesen und für meinen Job. Außer einem kurzen Intermezzo war da keine Beziehung und der Kreis meiner wirklichen Freunde war sehr überschaubar. Ja, sogar die Zahl meiner Bekannten.
Scheiße, wenn einem ein paar junge Hüpfer aufzeigen mussten, dass man die letzten Jahre anscheinend die falschen Schwerpunkte in seinem Leben gesetzt hatte.
Eine wirklich wichtige Erkenntnis für diesen kurzen Augenblick der Klarheit!
Im Keller stand auch mein Vorratsgefrierschrank und von dort schnappte ich mir noch eine Lage Magnum Espresso, um die Mädels zu überraschen und ging wieder hoch.
Irgendwie spürte ich dabei jetzt auch den Glühwein, die lange Krankenhausschicht und damit den Schlafmangel.
„So Mädels, ein Magnum für jede! Ich weiß nicht, wie es euch geht. Also ich bin jetzt langsam müde! Im ersten Stock sind ein Gästezimmer mit einem Einzelbett und das ehemalige Schlafzimmer meiner Eltern mit einem Doppelbett. Zwei von euch könnten auch hier schlafen."
„Schlafen ist ´ne gute Idee! Der Glühwein war superlecker. Aber der hatte es auch wirklich in sich. Ich hab jetzt auch eine gute Bettschwere. Ich würde gern, wenn ich darf, hier unten bleiben. Das mit dem Kamin finde ich total schön."
„Dann hole ich dir gleich Bettzeug von oben. Ich kann dich gut verstehen, Melissa. Ich schlafe manchmal tagelang hier unten, obwohl ich oben in meinem Zimmer auch einen Kamin habe."
„Du hast bei dir im Zimmer auch einen Kamin? Ich fand schon den Kamin im Bad super. Wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich unheimlich gern mal im Whirlpool liegen, Musik hören, Kerzen, Sekt und der Kamin."
„Genau deswegen haben ihn meine Eltern eingebaut, Sandra. Mach es morgen früh doch einfach, wenn du Lust hast. Sag mir vorher kurz Bescheid und ich feuere den Kamin an."
„Du hast einen Whirlpool im oberen Bad und einen Kamin?"
„Stimmt, du warst ja noch nicht oben, Melissa. Wenn du magst, zeige ich dir mal kurz das Haus."
„Nur Melissa?"
„Nein, natürlich euch allen. In zwei Räumen sieht es aber aus, wie „Kraut und Rüben". Die nutze ich nur als Abstellräume."
Ich konnte kaum bis drei zählen, da stand Elke auch schon auf und reichte mir ihre Hand, um mir aufzuhelfen. Sie hatte nicht bemerkt, dass sich ihr Gürtel über die Zeit gelockert hatte und der Mantel beim Aufstehen weit aufklaffte.
Elke war groß und schlank. Eine wahre, blonde Schönheit. Naturblond, wie ich bemerken durfte, denn ihre Scham schwebte keine vierzig Zentimeter vor meinem Gesicht.
Ich lächelte sie an, schloss halb meine Augen und schüttelte schelmisch grinsend meinen Kopf.
„Aber Elke, du wirst mich doch jetzt nicht wirklich in Versuchung führen wollen. Mein letzter Sex ist schon mehr als nur ein paar Tage her. Ich führe das Dasein eines Eremiten.
Eines ziemlich ausgehungerten Eremiten...!"
Scheiße! Hatte ich das gerade wirklich gesagt. Zuviel Glühwein und zu wenig Schlaf. Eine böse Kombination.
„Uuups!" Sie schloss ihren Mantel, aber etwas langsamer und bewusst aufreizender, als sie es hätte tun können. „Kai, ich nehme mal an, du hast so etwas nicht zum ersten Mal gesehen. Du bist Arzt."
„Aber gerade nicht im Dienst."
„Wohl wahr Sandra, wohl wahr", entgegnete ich lachend, ihre Schlagfertigkeit wertschätzend.
Elke hielt mir wieder ihre Hand hin, zog mich hoch und lächelte mich warm an. Ich spürte ihre Nähe, ihre Wärme, ihre Präsenz.
Und so standen wir alle auf und die Hausführung begann im Treppenhaus. „Gut, die Küche kennt ihr ja. Wenn ihr die Treppe runter geht, kommt ihr in den Keller. Da gibt es aber nur drei Räume -- die Waschküche in der auch zwei Gefrierschränke stehen, der Trockenkeller und der Heizungsraum. Ansonsten steht da nicht viel. Vom Heizungsraum abgesehen, werden alle anderen Räume bei längeren Regenphasen durch eindringendes Grundwasser regelmäßig unter Wasser gesetzt. Die Elektrogeräte stehen deswegen auch auf einem Sockel. Hier rechts geht es in einen kleinen Vorraum in dem ich Garderobe und ein paar kleinere Stauschränke für Schuhe und Wäsche und Konserven untergebracht habe."
Wie gingen durch diesen Raum und betraten das untere Badezimmer.
„Gut, das ist das untere Bad. Es ist das Kleinste, verfügt aber über eine Dusche -- Melissa, kennst du ja! Daneben ist die Toilette."
Nachdem wir die Treppe hinaufgegangen waren, zeigte ich das „kleine" Gästezimmer, einen kleinen Wohn- und Aufenthaltsraum, der antik im Empire-Stil gehalten war und das ehemalige Schlafzimmer meiner Eltern.
„Whow! So stell ich mir ein Schloss vor."
„Unglaublich!"
Melissa stand mit offenem Mund da. Das Zimmer war eingerichtet, wie ein Zimmer in einem modernen Märchenschloss -- mit einem eigenen glasverblendeten Kamin-Kachelofen, Jugendstilmöbeln und ein paar kleinformatigen Originalen bekannter Impressionisten. Abgerundet wurde das Ensemble durch eine Stuckdecke und ein riesiges Himmelbett mit 200 x 240cm. Das Himmelbett war ein modernes Boxspringbett, aber eine auf alt getrimmte Sonderanfertigung, um sich in das Ensemble einzufügen.
Farblich dominierte ein helles Mintgrün in Zusammenspiel mit honigfarbenem Mobiliar und als moderner Kontrast ein großer Flat-Screen.
„Und das ist alles unbewohnt?"
„Ja, hier wohnt im Moment niemand."
„Warum bist du selbst hier nicht eingezogen?"
„Du hast mein Zimmer noch nicht gesehen, Melissa. Meine Eltern waren beide Architekten und ihre Firma florierte sehr gut. Sie haben sich das, was ihr hier seht, alles hart erarbeitet."
„Hier würd ich gern mal eine Liebesnacht verbringen."
Sandra wurde direkt rot, als sie merkte, was ihr da gerade rausgerutscht war. Wir grinsten alle.
Aber ihr Enthusiasmus war ungebrochen.
„Melissa, sieh dir erst mal das Bad an. Total geil!"
Sandra zog die Angesprochene mit sich und legte los wie ein Händler auf einem Basar, der seine Teppiche anpries.
„Verschiedene Beleuchtungsformen und Fernsteuerung fürs Licht... Kamin... riesige Doppeldusche und ein riesiger Whirlpool als Badewanne... Stereoanlage und Fernseher... ein Serviertisch für den Pool und guck dir erst mal den alten Waschtisch hier an."
Für mich war der Anblick etwas Gewohntes und alltäglich. Umso spannender, die auf Alt getrimmten Räume mal aus einem neuen Blickwinkel beschrieben zu sehen.
Man merkte, die Mädels konnten sich gar nicht satt sehen.
„Deine Eltern müssen ein tolles Liebesleben gehabt haben?"
Auch damit hatte Elke den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Einrichtung war geschmackvoll, stimmig, aber vor allem anderen auch „funktional" und gemütlich.
„Du hast Recht. Kann man überall sehen... Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad. Unten im Keller gibt es noch einen Geheimraum mit einem Andreaskreuz..."
Entgeisterte Blicke!
„War ein Scherz! Aber meine Eltern hatten wenig Zeit und wenn sie einmal Zeit hatten, dann nahmen sie sich die, um bewusst zu genießen. Das musste alles Stil haben, wie dieses Haus."
„Jetzt versteh ich dich mit dem Whirlpool, Elke. Das würde mir auch Spaß machen, da mal zu zweit die Seele baumeln lassen und zu kuscheln."
„Könnt ihr Drei ja gern morgen ausprobieren. Der Tag ist lang", entgegnete ich und erntete ein begeistertes Kopfnicken von Elke.
„Da passen wir doch alle vier rein!", warf Sandra ein.
Ich sah Melissas Blick und kam ihr zuvor: „Ja, da passen wir auch zu viert rein. Aber habt ihr auch eure Badesachen mit dabei?"
„Nö. Brauchen wir die? Du bist doch Arzt?"
„Sandra, aus dir spricht die Leichtigkeit und das Feuer des Glühweins. Ich weiß, du machst nur Spaß, aber vielleicht bin ich ja mehr empfänglich für deine Flirtversuche als du denkst."
Sandra lachte schallend.
„Und ja, ich bin Arzt, aber kein Eunuch. Meine letzte Freundin liegt, wie vorhin bereits gesagt, schon eine Weile zurück. Ich bin quasi ein Mönch. Und ich bin mir alles andere als sicher, ob das gut gehen würde. Und denk auch mal an Melissa."
„Also ich hätte bei dir damit keine so großen Probleme, wenn du da noch etwas Sekt oder Glühwein hättest", brachte sich Melissa leise aus dem Hintergrund mit ein. Sie wirkte ein wenig unsicher und eher von dem überrascht, was sie da gerade gesagt hatte.
„Ihr wollt doch feiern und die Sau rauslassen", versuchte ich mich aus der aufkeimenden Situation zu befreien, bevor sie erst entstehen konnte.
„Genau", warf Elke ein. „Wenn das Wetter morgen nicht passt, können wir ja auch hier feiern. Im kleinen Kreis. Vorausgesetzt unser Gastgeber hat nichts dagegen."
Sie zwinkerte mir kurz zu.
„Ich glaube, dass es unserem Gastgeber vielleicht eine Menge Spaß machen könnte, morgen mit uns den Tag zu verbummeln."
„Denke ich auch Elke", meinte Melissa -- immer noch leise und legte mir von hinten kommend, vorsichtig ihre Hand auf meine Schulter.
„Hast du Angst vor uns, Kai?"
Hatte ich Angst?
Wahrscheinlich ja.
Melissa versuchte das alles irgendwie zu überspielen und die anderen waren einfach nur hoffnungslos betrunken und berauscht.
Eine Situation, die ich jetzt weidlich ausnutzen konnte. Aber wollte ich das auch? Und davon mal ganz abgesehen... Konnte ich das jetzt noch?
„Gute Frage Sandra! Ehrlich gesagt, ein wenig schon. Da kommt jetzt zunehmend eine sexuelle Komponente mit ins Spiel, auch wenn ich das nicht will. Vergesst nicht.
Ich bin Mitte dreißig und damit ein ganzes Stück älter als du und Melissa. Ihr flirtet, redet eindeutig - zweideutig... spielt ein wenig -- bitte versteht mich nicht falsch.
Was für euch normal und ausprobieren ist, das löst jetzt schon etwas in mir aus.
Als ich vorhin in den Keller ging, wurde mir mit einem Mal ganz deutlich bewusst, wie einsam ich die letzten Jahre wirklich war. Ich bin immer nur für andere da gewesen. Und jetzt ist hier in den letzten paar Stunden mit euch mehr frischer Wind und Leben in die Bude gekommen, als die letzten zwei Jahre zusammengenommen.
Ich bin jetzt ganz ernst, ganz offen und ganz ehrlich. Ich beginne mich gerade so richtig wohl zu fühlen und mich fallen zu lassen.
Und gleichzeitig habe ich wirklich jetzt schon Angst davor, dass ich auf euch zu reagieren beginne, wie ein Mann nun einmal auf eine Frau reagiert. Nimm nur mal den Moment vorhin mit dem Bademantel, Elke!
Da geht es unterm Strich auch um Vertrauen, enttäuschtes Vertrauen und Verantwortung.
Und ja, ich habe auch Angst davor, dass ich morgen Abend wieder hier im Wohnzimmer sitze und dieses große Haus erneut für lange Zeit „leer" sein wird."
Elke näherte sich mir langsam. Ihre Hand näherte ich meiner Wange, sie sah mir offen in die Augen und ich begegnete ihrem Blick. Dann schloss ich meine Lider. Und da war es, ein sachtes Streicheln, das mir sofort durch Mark und Bein ging.
Sie lächelte, als sie zu mir sagte: „Das ist für uns genauso neu, wie für dich gerade Kai. Ich kann nur für mich sprechen. Ich finde dich sehr sympathisch und das war gerade das Ehrlichste, was ich seit langem gehört habe.
Viele Menschen fühlen sich einsam. Du bist da nicht alleine. Ich bin seit meinem fünfzehnten Lebensjahr durchschnittlich zweihundert Tage im Jahr allein gewesen. Meine Eltern arbeiten im Ausland. Rechnungen, Überweisungen, Taschengeld, Bankgeschäfte und so weiter -- das lässt sich von überall regeln.
Aber in den Arm genommen und getröstet werden, wenn mal was schief gelaufen ist ..., oder mal ordentlich den Kopf gewaschen bekommen, wenn man mal wieder Bockmist gebaut hat... Meine Eltern waren in einer der wichtigsten Phasen meines Lebens einfach nicht für mich da, als ich sie brauchte.
Oder sieh dir Melissa an. Nach all dem, was ihr passiert ist und bei dieser Scheißmutter - entschuldige Melissa - hat sie sich nicht unterbuttern lassen oder aufgegeben. Sie hat ein „Einser Abi", studiert und hat heute Nachmittag endlich beschlossen, nie wieder dahin zurückzukehren, woher sie gekommen ist. Ich nenne das bewusst nicht „zu Hause", denn „zu Hause", das ist ein Ort, an dem man gerne ist. Auch Melissa ist einsam und allein! Von uns jetzt einmal abgesehen...
Sandra ist mit etwas Abstand die Älteste von fünf Geschwistern. Wer wird wohl „bevorzugt"?
Wer muss sich wohl immer hinten anstellen?
Wer wird wohl für alles verantwortlich gemacht, was irgendwo im Haushalt oder mit den Kids schief läuft? Wer darf keine Freunde haben? Oder keine Freizeit, weil es immer irgendwas zu tun oder zu regeln gibt... Oder weil immer da jemand ist, auf den sie aufzupassen hat."
Mit einem Mal schien es, als sei all die Leichtigkeit und der Spaß des Abends verflogen. Alle schienen schlagartig nüchtern geworden zu sein.
„Kai, Vielleicht verstehst Du jetzt unseren Hunger nach Leben und Spaß?"
Ich spürte wieder Melissas Hand auf meiner Schulter, als sich mich zu sich hinzog.
„Kai, weißt du wie lange ich schon keinen so angenehmen Abend mehr erlebt habe? Ich habe heute gelacht. Einfach so. Ich hatte heute Spaß. Nicht nur beim Tanzen und beim Fasching.
Unser Gespräch hat mir gut getan und ich baue wirklich darauf, dass du versuchen wirst, mir zu helfen.
Nicht, weil ich zu viel erwarte. Sondern weil ich spüre, dass ich dir vertrauen kann, auch wenn ich dich erst seit wenigen Stunden kenne.
Ich weiß, dass ich seit langer Zeit heute Nacht wieder in der Gewissheit schlafen kann, dass niemand über mich herfallen wird, um mir gegen meinen Willen, seinen Schwanz in den Arsch zu rammen... Oder noch Ekelhafteres.
Also mach dir keinen Kopf Kai, zeig uns noch die letzten Zimmer, geh in dein Bett, schlaf dich aus und morgen freue ich mich auf einen tollen Tag... Mit euch allen."
Ich löste mich ein wenig und sah die drei an. Die Stimmung war umgeschlagen und mit einem Male ernster geworden. Alle hatten ihre Päckchen zu tragen -- nicht nur ich. Ein jeder von uns war irgendwie verletzt worden. Das war mir gerade klar geworden. Sandra unterdrückte nur mühsam ihre aufsteigenden Tränen.
„Ihr Drei habt Recht. Gehen wir mal hoch in mein altes Refugium. Hier wohnte ich als Kind, als Jugendlicher und später, wenn ich zu Besuch bei meinen Eltern war, aber auch die letzten drei Jahre, als ich meine Eltern gepflegt habe. Das hier ist mein altes Reich. Deswegen wundert euch bitte nicht. Es hat alles noch ein wenig von dem Charme eines Jugendzimmers."
Das Badezimmer war in die Dachschräge gebaut und hatte neben einem WC noch eine Dusche. Dann waren da noch ein Dachboden und eben mein altes Zimmer. Auch ich hatte von meinen Eltern damals so ein übergroßes Boxspringbett spendiert bekommen. Ansonsten war da neben dem Kamin und einer Arbeitszimmerecke so ziemlich alles, was ein Mensch braucht -- inklusive Minikühlschrank, Wasserkocher und Mikrowelle.
Auch hier zeigten sich die Mädels beeindruckt.
„Wer von euch schläft denn jetzt unten?"
„Ich schlafe mit Melissa unten. Kamin finde ich geil."
„Gut Sandra, dann nehmt euch am besten aus dem großen Schlafzimmer Bettzeug mit runter. Legt ruhig noch etwas Holz nach. Ich stelle mir keinen Wecker. Wer als erstes wach wird und Hunger hat, kann sich gern in der Küche austoben und auch Frühstück für die anderen vorbereiten. Im Gefrierschrank neben der Spüle sind im oberen Fach Croissants und Brötchen zum Aufbacken. Ich werde jetzt schon gleich oben bleiben. Wenn etwas sein sollte, könnt ihr jederzeit kommen. Wenn ihr wegwollt, nehmt einen der kleinen Schlüsselbunde am Brett, schließt hinter euch wieder ab und werft ihn in den Briefkasten. Eure Wäsche ist im Trockner unten im Keller. Allseits Gute Nacht, ihr drei!"
„Du bist ein Idiot. Wir sind morgen noch da. So schnell wirst du uns nicht los. Gute Nacht Kai." Elke strich mir noch einmal kurz zum Abschied über meine Hand. Es kribbelte mehr als nur angenehm.
„Gute Nacht."
„Süße Träume."
Die Wünsche der beiden anderen kamen quasi so nebenbei, denn sie waren bereits wieder auf den Weg zurück in den ersten Stock in Richtung des Bettzeugs.
Ich schloss die Tür, öffnete das Fenster und zog mich bis auf meine Shorts aus. Normalerweise schlief ich nackt, aber heute hatte ich Besuch. Die Nacht war kalt und ein leichter Windstoß kam durchs offene Fenster in mein Zimmer. Ich fröstelte etwas.
Ich kuschelte mich in mein Bett, mummelte mich ein und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Langsam sackte ich weg.
Ein zaghaftes Klopfen ließ mich sofort erwachen. Ein in vielen Nacht- und Schichtdiensten eintrainierter Reflex. Ich war wieder da! „Komm nur herein. Ist was passiert?"
Die Tür öffnete sich und ich drehte mich zum Nachttisch, um Licht anzumachen. Das Zimmer war durch den Mond und den fernen Schein der Straßenlaternen, in Zwielicht getaucht.
„Lass das Licht ruhig aus. Ich sehe genug", kam von der Tür her. Es war Elke.
„Entschuldige, dass ich dich störe. Hast du einen kurzen Moment?"
Ich drehte mich wieder zurück in Ausgangsposition. Mehr als ein zustimmendes Brummen, brachte ich erst einmal nicht zustande. Aber das klang zumindest ein wenig einladend und nicht allzu muffelig.
Sie stand etwas unschlüssig vor dem Bett. Der geschlossene Bademantel schimmerte hell.
„Beim Fenster steht ein bequemer Sessel, beim Schreibtisch ein Stuhl und auf dem Bett ist auch noch Platz. Ist glaube, es ist einfacher und gemütlicher zu reden, wenn du es Dir bequem machst. Mach vorher am besten noch das Fenster zu."
Sie setzte sich auf die Bettkante und drehte sich zu mir.
„Was brennt dir so unter den Nägeln Elke, dass es dich die Nacht nicht schlafen lässt?"
„Melissa... Ich bin ehrlich. Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Zwei, drei Tage kann sie bei mir unterkommen. Dann kommen meine Eltern zurück. Du weißt, auch ich wohne noch zu Hause. Aber das ist nicht das wirkliche Problem.
Das ist Günther, der „Freund" von Melissas Mutter. Sie ist abhängig und eine Hure. Ich meine nicht ein Callgirl oder eine Prostituierte. Ich verwende bewusst dieses Wort. Sie hängt jetzt seit drei Jahren an der Nadel und wenn sie vorher noch gut aussah und in einem Club arbeitete, ist sie jetzt auf der Straße. Für einen Zwanziger macht sie alles und sie nimmt die Typen mit nach Hause."
„Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist."
„Das ist der Grund, warum Melissa so viel mit Sandra zusammenhängt. Sie will nicht zu Hause sein. Aber ihre Mutter kennt mich und sie kennt auch Sandra. Und bei uns wird Günther als erstes suchen. Er ist ein Zuhälter, ein Dealer und ein brutaler Schläger.
Und ihre Mutter hat Melissa für Drogen an ihn verkauft. Vielleicht wird es dir Melissa eines Tages selbst erzählen.
Ich erzähle es dir aber jetzt, damit du ihre Situation besser einschätzen kannst.
Am Donnerstag, dem Altweiberfasching, wachte Melissa auf. Anscheinend hatte ihr Günther was untergemischt. Sie war an ihr Bett gekettet. An Armen und Beinen gefesselt, unfähig, sich zu bewegen. Günther kam mit zwei „Kunden". Nach zwei Stunden ließen sie endlich von Melissa ab. Frag nicht, wie ihr Körper aussieht.
Sie ist Neunzehn und sie war bis dahin, von ihrem Arsch abgesehen, zumindest noch teilweise Jungfrau."
„Scheiße!" Ich war entsetzt. „Polizei! Klinische Untersuchung, Dokumentation, Anzeige... das führt zu sofortiger Untersuchungshaft. Der Typ muss aus dem Verkehr gezogen werden!"
„Der Typ hat Freunde. Und die kommen irgendwann. Sie will nicht ihre Mutter schützen. Sie will uns schützen. Und sie will in Sicherheit leben und mit dieser Scheiße abschließen. Das Abitur hat sie durchgezogen. Jetzt studiert sie BWL.
Und sie will auch eine Familie mit Kindern.
Eine glückliche Familie!
Anders als jetzt!
Aber sie hat kein Geld. Sie hat nur wenige wirkliche Freunde, an die sie sich jetzt wenden kann und sie hat eine Menge Angst.
Sie hat Kraft.
Und sie hat Willen.
Wenn Du sie ohne Bademantel gesehen hättest, wüsstest Du, wie viel Kraft sie hat.
Seit Fastnachtsdonnerstag ist noch nicht alles verheilt... weder körperlich, noch seelisch.
Zwei Tage sind keine lange Zeit..."
„Danke für den Mut, mit mir so offen über all das zu sprechen, Elke. Ich werde deiner Freundin helfen!"
Sie zitterte bei meinen Worten am ganzen Körper. Ich hatte es eben auch an ihrer Stimme gehört. Mein Fenster war vorher offen gewesen. Ich schlief immer in kalten Räumen, es war Frühjahr und wir sprachen schon seit einer geraumen Weile.
Ich stand auf. Elke sah mich an. Ich öffnete den Schrank und holte eine weitere Decke hervor, die ich ihr gab.
Sie nahm sie, schnappte eines meiner drei Kissen, legte sich auf die andere Betthälfte und deckte sich zu. Das hatte ich eigentlich nicht beabsichtigt. Ich dachte, sie würde die Decke nur über die Schultern werfen.
Ich legte mich auch wieder und drehte mich zu ihr hin. Nachdem ich es mir meinerseits bequem gemacht hatte, warf ich meine übergroße Decke auch über sie. Ich merkte, dass sie zitterte.
„Danke Kai."
„Soll ich den Kamin anmachen? Dann wird dir gleich wärmer. Das geht sehr viel schneller, als die Heizung."
Sie zögerte ein wenig. „Gern, wenn es dir nichts ausmacht."
Also stand ich noch einmal auf. Die Handgriffe saßen und das Equipment lag bereit. Ich konnte den Kamin auch im Dunkeln anfachen. Während ich zu Gange war, sprach Elke weiter.
„Wie willst du ihr helfen?"
„Zuerst muss sie irgendwo unterkommen. Ich habe ein paar Adressen von Frauenhäusern und auch von „Wildwasser", einem bundesweit operierenden Verein, der Opfern von Vergewaltigung und Missbrauch hilft. Das wäre eine Option.
Das Problem dabei: Meines Erachtens müssen irgendwann die Behörden eingeschaltet werden und dann kommen im nächsten Schritt Polizei, Gerichte und damit auch die Mutter oder ihr mit ins Spiel. Vielleicht hast du Recht und der Typ tickt wirklich aus.
Glaubst du wirklich, dass er auch euch angeht?"
„Ja! Das heißt, du siehst das nicht als erste Möglichkeit, eher als eine Art Notnagel?"
„Es wäre das „normale" Vorgehen, aber hier wohl eher ein Notnagel."
Ich bewunderte ihre schnelle Auffassungsgabe. Aber ich hatte den Eindruck, sie wollte das Gespräch ganz bewusst zu einem bestimmten Punkt lenken.
Einen Punkt, den ich kannte und den zu nennen ich mir bis zu Letzt aufgehoben hatte.
Die trockenen Holzscheite fingen schnell an zu brennen und ein munteres Feuer hüllte das Zimmer in seinen flackernden und wärmenden Schein. Ich ging zurück ins Bett.
Elke hatte die Decke schon für mich aufgeschlagen und wir lagen uns wieder gegenüber. Flammenglanz tanzte über unsere Gesichter.
Ich holte tief Luft.
„Melissa könnte erst mal bei mir unterkommen. Platz genug habe ich und Frankfurt oder Sandra wären auch in der Nähe und mit dem Zug gut erreichbar.
Aber ich wohne allein und bin ein Mann. Nach dem, was sie erlebt hat, glaube ich nicht, dass sie hier einziehen möchte."
„Kai, ich habe schon mit ihr gesprochen und wir sind all die Möglichkeiten gerade eben zusammen noch einmal durchgegangen. Dich hat heute wirklich der Himmel geschickt. Sie würde sehr gern bei dir unterkommen und sie würde dir auch im Haushalt helfen und putzen. Aber sie hat keine Kohle oder Geld vom Amt -- da ist wieder all das Offizielle."
„Dann ist das ja schon mal geklärt. Sie kann hier unterkommen. Sicher wird sie aber erst sein, wenn die Sache mit diesem Günther geregelt ist. Ich brauche Namen und Anschriften. Dann muss ich morgen früh mal ungestört telefonieren.
Ich denke, ich kann dafür sorgen, dass Melissa nie wieder etwas von Günther hören wird."
„Wirklich?"
„Ich werde es versuchen. Also abwarten."
Ich gähnte herzhaft.
„Mission erfüllt, Elke! Ich bin hundemüde. Nach dem langen Dienst, heute in der Ambulanz, war das eine gute Portion Action."
„Danke!" Sie überbrückte spontan den uns trennenden Abstand und hauchte mir einen schnellen Kuss auf meine Stirn.
Dann drehte sie sich ebenso schnell auf die andere Seite um und machte es sich mit ein wenig Abstand zu mir, bequem.
„Das Feuer ist schön. Gute Nacht, Kai!"
„Nacht!"
Ich war zugegeben etwas verblüfft über meine neue Bettnachbarin. Und ich merkte einmal mehr, dass mein Körper automatisch zu reagieren begann.
Dennoch kam ich langsam irgendwie zur Ruhe und war gerade wieder am Wegduseln, als Elke sich plötzlich aufrichtete, aufstand, den Bademantel auszog und sich -- nackt, wie Gott sie schuf - wieder zu mir ins Bett legte.
„Sorry Kai, war irgendwie unbequem. Jetzt ist es besser."
Sie hatte sich jetzt wieder zu mir hingedreht und diesmal rückte sie auf mich zu.
„Kai, versteh das jetzt nicht falsch. Ich will keinen Sex. Kuscheln, Nähe, Zärtlichkeit, Zuneigung und Schutz. Ich möchte dich spüren und neben dir schlafen."
„Verstehe ich. Aber hier liegt jetzt ein blutjunges, richtig toll aussehendes nacktes Mädchen neben mir.
Du riechst nach Frau -- meine ich nicht negativ! Du bist lieb, verantwortungsvoll und richtig sympathisch. Du setzt dich für andere ein -- alles, was ein Mann nur wollen kann.
Ich war zu lange abstinent und ich reagiere gerade auf dich. Wenn du wirklich nur Nähe suchst, muss ich mal kurz ins Bad."
„Du hast „Druck" und musst dir einen runterholen?"
„Klingt eher etwas unromantisch, ist verdammt direkt und trifft den Nagel aber so ziemlich auf den Kopf."
„Danke für das Kompliment. Du bist echt süß." Wieder hauchte sie mir einen Kuss auf meine Stirn. „Bleib einfach liegen!"
Ich spürte ihre Hand an meiner Boxer-Short. Schon war sie unter den Bund geglitten und umfasste fest meinen Schaft.
Vier, fünf langsame, ziemlich feste Wichsbewegungen und etliche Wellen ergossen sich flutartig in meine Short. Ich stöhnte, als es mir kam.
Sie legte ihren Kopf auf meine Brust und schielte schelmisch grinsend zu mir hoch.
„Du solltest deine Hose ausziehen. Ist jetzt nass!"
„An wem das wohl liegt?"
„Das hast du eben gebraucht. Du wärst sonst nie zur Ruhe gekommen. Jetzt zieh schon die Hose aus, umarme mich ein wenig und schlaf. Das nächste Mal nehme ich mir viel mehr Zeit, versprochen!"
Ich schüttelte ein wenig überfahren meinen Kopf, zog meine Shorts aus und wischte mit der Hose noch schnell die Reste weg, bevor ich sie aus dem Bett auf den Boden pfefferte.
„Bist du endlich fertig?" Elkes Stimme hatte einen liebevoll neckenden Tonfall. Und sie kuschelte sich jetzt vollkommen ungezwungen mit ihrem herrlichen, jungen, weichen Körper an mich.
„Kai, du klebst."
„An wem das wohl liegt?"
„Gute Nacht, Kai!"
Der gehauchte Kuss traf meine Lippen und hinterließ abermals ein sehr angenehmes Kribbeln.
Ihr Kopf mit diesem wunderschönen langen goldenen Haar, ruhte wieder auf meiner Brust. Zärtlich streichelte sie mich noch ein wenig, aber viel mehr bekam ich nicht mehr mit. Ich war eingeschlafen.
„Hey aufstehen, ihr beiden Turteltäubchen! Frühstück ist fertig."
Melissa und Sandra standen in ihren Bademänteln am Bett und zupften etwas an der Decke.
Elke bewegte sich, langsam aufwachend. Ihr Bein lag über meinem Schambereich und die Decke wölbte sich zeltartig nach oben.
„Es ist nicht immer so, wie es aussieht", versuchte ich eine erste aber schwache Verteidigung.
„Ihr hattet beide plötzlich einen Anfall von massivem Schnupfen und weil gerade keine Taschentücher in der Nähe waren, musstet ihr halt deine Boxer-Short nehmen?"
Scheinbar interessiert hob Sandra mit spitzen Fingern die Short hoch und betrachtete sie aufmerksam von allen Seiten. Mein Erguss gestern musste gewaltig gewesen sein. Eins, zwei größere Tropfen folgten Fäden ziehend der Schwerkraft und tropften auf den Boden.
„Ziemlich starker Schnupfen! Ist doch hoffentlich nicht ansteckend?" Gab Melissa noch einen drauf.
Die drei Mädels grölten vor Lachen, während mir die Situation irgendwie peinlich war.
„Und Elke, hast du heute Nacht schon...?"
„Sandra, ich bin nicht mehr unberührt." Sie führte meine Hand, die noch locker unter ihrem Brustansatz lag, leicht nach oben und ich umfasste zum ersten Mal bewusst ihre recht kleine, aber feste und perfekte Brust. Die Warze wurde unter dem Kontakt sofort hart und wölbte sich mir entgegen.
Ich spürte, wie ein wohliger Schauer durch Elke hindurchfuhr. Sie räkelte sich und brummte kurz zufrieden auf.
„Nicht mehr unberührt, aber immer noch Jungfrau! Kein Blut auf dem Laken..."
Wie zur Demonstration schlug sie die Decke zur Seite und gab nicht nur sich selbst, sondern auch mich den interessierten Blicken völlig preis, die erwartungsgemäß nicht nur auf das Bettlaken gerichtet waren.
Ich hatte eine gewaltige Morgenlatte und meine Eichel und mein Kopf müssen in diesem Moment wohl annähernd denselben Farbton gehabt haben.
Ich lag auf dem Rücken und Elke rollte sich jetzt auf mich. Ich schloss die Augen, fühlte ihren Körper... ihre Wärme und die Zartheit ihrer Haut... und spürte tupfend ihre Lippen auf meinem Mund.
Dann umfasste eine Hand mein erigiertes Glied und ich spürte zwei unglaublich sanfte und zugleich intensive Wichsbewegungen.
„Später mehr!", hauchte sie mir ins Ohr.
Ein Versprechen, das ich ihr nach dieser Nacht abnahm. „Jungfrau" dagegen nicht wirklich. Vielleicht vom Sternzeichen her...
Sie rollte sich wieder von mir herunter und stand mit einem Mal nackt und unbedeckt vor mir. Neckend drehte sie sich zwei Mal langsam um die eigene Achse und präsentierte mir ihren perfekten Körper.
„Und? Gefalle ich dir?"
„Siehst du doch, Elke", mischte sich Sandra ein. „Steht perfekt, wie eine „Eins"!"
„Sorry, Kai!", meinte Melissa entschuldigend zu mir und schielte noch einmal kurz auf meinen Ständer, während sich Elke den Bademantel anzog.
„Auch wenn sich das jetzt nicht so anhört - eigentlich sind Sandra und Elke wirklich völlig unerfahren. Wirklich ein wenig untypisch für unser Alter. Und ich glaube, es passt auch nicht zu unserem Verhalten. Aber die haben noch nie mehr als geküsst!
Und wenn man diese Scheiße mit Günther weglässt, hab ich noch nicht einmal das vorher gemacht.
Kommt Mädels, lasst uns runter in die Küche gehen. Kai braucht einen Moment, um sich zu sammeln und seine Würde wieder zurück zu gewinnen."
„´Tschuldige Kai, ich mag dich wirklich!" Elke beugte sich zu mir herunter. Der nächste Kuss war etwas unerfahren - beinahe zu fest, aber fordernder und ... vielversprechend.
Sie löste sich wieder von mir.
„Bis gleich!"
Die Mädels gingen runter und ließen mich zurück. Allein, auf dem Rücken liegend... mit einer Mörderlatte und ... noch immer „entblößt"!
Nur machte mir der letzte Punkt jetzt irgendwie von Minute zu Minute weniger aus.
---
Ein paar Minuten später war ich frisch geduscht und guter Dinge. Ich hatte mich erst einmal für Jeans und Sweatshirt entschieden, eine gute Wahl. Als ich in die Küche kam, traf ich auf drei wiedergeborene und erneut passend eingekleidete Vampirinnen, die mich mit Kaffee, Croissants, Brötchen und weichgekochten Eiern erwarteten und bereits mit dem Schmausen angefangen hatten.
„Guten Morgen, frische Dusche und das Leben kehrt zurück. Frischer Kaffee und Frühstück und das Leben wird lebenswert."
Ich setzte mich an meinen Platz und ich wurde mit einem Mal von allen Seiten bedient. Kaffee, Milch, Eier, Salz... Sogar die beiden Brötchen waren bereits halbiert und gebuttert.
„Was ein Service. Blutorangensaft für Vampire ist leider aus. Entscheidung gefallen? Geht's auf den Frankfurter Zug?"
„Nicht ganz." Elke sprach für alle.
„Wir werden kurz zu Sandra fahren, damit sie sich umziehen und ein paar Sachen für Melissa heraussuchen kann. Dann geht's zu mir. Ich habe eher Melissas Größe und kann ihr auch noch etwas Kleidung abgeben. Einen kleinen Rucksack hat sie auch noch bei mir deponiert. Anschließend geht es zu dir zurück und Einzug mit Einzugsparty ist angesagt."
Ich sah Melissa an.
„Hast Du dir das gut überlegt? Ich freue mich, Gesellschaft zu bekommen. Du kannst hierbleiben, solange du magst. Ich bin aber nicht immer da und muss auch mal arbeiten."
„Kai, ich freue mich hier unterzukommen. Du bist voll nett und das Haus ist toll und ich habe gerade gesehen, dass von hier ein Zug direkt zum Frankfurter Hauptbahnhof geht. Damit komme ich gut zur Uni. Ich würde dann auch noch näher bei Sandra wohnen als vorher.
Weißt du, gestern Morgen wusste ich noch gar nicht, wie es weiter gehen wird...
Wie es weitergehen kann...
Und jetzt...
Jetzt hilfst du mir...
Einfach so."
Ein paar Tränen rannen über ihr hübsches Gesicht und ich musste kurz schlucken. Ich hatte einen regelrechten Kloß im Hals.
„Aber Kai, was ich dir sagen muss... ich habe kein Geld! Ich kann außer etwas im Haushalt zu helfen, nichts beisteuern. Ich kann irgendwo einen kleinen Studentenjob annehmen, aber das wird wahrscheinlich erst mal nur meine eigenen Kosten halbwegs abdecken... Bahnticket, Kleidung, Bücher, vielleicht ein kleiner Zuschuss zu den Lebensmitteln.
Ich werde wahrscheinlich am Anfang sogar etwas Geld für all das brauchen, bis ich einen Job habe."
„Wir reden hier nicht von exorbitanten Summen. Das kann ich Dir auslegen."
„Ich bin ehrlich. Ich weiß nicht, wann ich das alles zurückzahlen können werde. Ich verspreche dir, mich anzustrengen. Und wenn alles rund läuft, so mit Förderung und BAföG, suche ich mir einen Platz im Studentenwohnheim."
„Mach dir da mal keinen Kopf Melissa. Stand jetzt: Das Haus ist verdammt groß. Richte dich irgendwo ein und wenn wir uns vertragen, bleib so lange, wie du möchtest. Das mit dem Geld -- ich bin nicht arm. Versteht mich nicht falsch: Es tut mir nicht weh."
„Aber was willst du dafür haben? Was soll ich dafür machen?"
Mein Blick war vielleicht etwas schärfer als beabsichtigt. Aber das musste jetzt zur Klarstellung raus.
„Melissa! Wenn du und ich gerade an das Gleiche denken... Das nicht! Ich bin kein „Sugardaddy"! Und du bist für mich auch kein „Sugargirl"!"
Ich atmete tief ein.
„Du kommst nach eigenem Bekunden aus einer Hölle. Die sollst du nicht gegen eine andere eintauschen. Ich erwarte keine Gegenleistung und schon gar nicht in Form von Sex!
Ich mache das, was ich tue, gern und aus einer inneren Überzeugung heraus -- aus freien Stücken und mit dem ehrlichen Willen zu helfen."
Ich blickte in die Runde und fokussierte Elke.
„Das gilt auch für dich Elke! Wenn du das, was du getan hast und das, was Du mir ins Ohr geflüstert hast, tun möchtest nur um Melissa zu helfen und sie besser bei mir zu „platzieren"..., dann lass es besser sein!
Wenn ihr so über mich denkt und mich mit der Aussicht auf Sex manipulieren wollt, finde ich das erbärmlich."
Melissa fing an herzzerreißend zu weinen und das schlechte Gewissen kam im selben Moment in mir hoch, als meine Worte verklungen waren.
Hemmungslos über das Ziel hinauszuschießen -- ich glaube, das war mir gerade trefflich gelungen.
Elke stand auf, ging hinter meinem Stuhl in die Hocke und umarmte mich.
„Kai", sagte sie leise und doch für alle deutlich vernehmbar. „Kai, das heute Nacht war etwas Spontanes zwischen dir und mir. Etwas, das passierte, weil ich wollte, dass es passierte.
Ja, du bist deutlich älter.
Ja, du hilfst Melissa. Ja, du bist Arzt und", sie machte eine passende Handbewegung, „wie man sieht, auch ziemlich wohlhabend."
Sie schluckte kurz.
„Aber wir sind nicht diese Art von Frauen. Wir sind keine Bitches. Ich finde dich sehr, sehr nett und ich habe wirklich noch so gut wie keine Erfahrungen mit Männern. Hat sich bisher nicht ergeben.
Heute Nacht und eben waren die beiden ersten Male, dass ich je einen Schwanz in der Hand hatte -- etwas, das mir übrigens richtig Spaß gemacht hat. Nicht nur, weil es eine witzige Situation war, aber auch. Du bist irgendwie unverkrampft und machst keinen Druck.
Neben Dir zu schlafen, fand ich richtig schön. Ich würde gerne öfter neben dir schlafen und morgens mit dir zusammen aufwachen, zusammen aufstehen und frühstücken."
Sie kam um mich herum und sah mir geradewegs in die Augen.
„Gestern nach der Sache mit der Boxer-Short hattest du einen richtig entspannten und zufriedenen Gesichtsausdruck. Das war ich! Den hab ich dir gemacht! Und ich hab mich gut damit gefühlt, weil du dich genau in diesem Moment gut damit gefühlt hast. Du hast das weder von mir erwartet, noch verlangt. Im Gegenteil. Du hast sogar mehrfach versucht, diese Situation zu vermeiden."
Ich nickte unwillkürlich.
„Aber ich kann dich auch verstehen Kai! Ich gebe zu, dass das alles wie ein seltsames abgekartetes Spiel aussehen mag. Und es passiert alles so schnell. Aber das alles ist verdammt real und wenn du dir Melissa ansiehst -- sie braucht Hilfe. Sie hat nichts außer dem, was sie auf der Haut trägt, ihre Existenz und ihren Körper. Und genau den, wollte sie dir indirekt anbieten -- aus dem Gefühl der Dankbarkeit heraus und nicht aus Kalkül. Findest du nicht, dass dein Ausbruch dafür eben sehr unfair war?"
Ich stand auf und ging zu Melissa. Ich nahm ihre Hände in die meinen und sah ihr in die Augen. Sie erwiderte meinen Blick. Hellbraune Augen mit einem starken Grünstich -- von Tränen rot gefärbt -- blickten mich unsicher an.
„Ich wollte dich nicht verletzen, Melli! Du musst einfach verstehen - das, was ich tue, mache ich, weil es meiner Überzeugung entspricht und weil ich es gern tue. Ich helfe dir auch, weil ich die Möglichkeiten dazu habe. Kleidung, Essen, Bücher für die Uni, Kleinkram, Taschengeld -- das alles macht mich nicht arm. Du machst mich nicht arm. Ganz im Gegenteil! Aber Sex braucht es dafür nicht. Sei einfach Du selbst und hilf mir ein wenig im Haushalt. Das Haus hier ist wirklich verdammt groß und es kostet Zeit und Kraft, das alles in Schuss zu halten."
Ich nahm einen Schluck Kaffee. Mein Hals war sehr trocken.
„Melissa, ich bin ein normaler Mensch, dessen Leben sich in den letzten Jahren rein um die Pflege der Eltern und den Job im Krankenhaus gedreht hat. Sozialkompetenz zu anderen Menschen über das dienstliche hinaus gleich null...
Das musst du verstehen.
Für uns beide sind das zwei komplett neue Rollen. Mich um jemanden sorgen zu können... ehrliche Freude in einem Gesicht zu lesen... Nach Hause zu kommen und erwartet zu werden oder selbst auf jemanden warten zu können... Runterzukommen und so einen Frühstückstisch vorzufinden und in strahlende Gesichter zu sehen... Irgend so etwas in der Art, das möchte ich. Und das macht mich wirklich reich."
Ich trank noch einen Schluck.
„Aber Stichwort „Sugardaddy": Liebe möchte ich um ihrer selbst willen erleben!
Kein Sex, weil jemand denkt, mich damit bezahlen zu müssen oder mir etwas schuldig zu sein. Das meine ich aber jetzt allgemein und nicht auf dich oder auf Elke bezogen.
Wie gesagt, du bist erst neunzehn. Und ehrlich gesagt, seid ihr alle wirklich deutlich zu jung für mein Beuteschema... Wenn ich überhaupt eines habe. Und umgekehrt -- ich bin zu alt.
Das würde und wird nie gut gehen."
Ich streichelte zärtlich über Melissas Wange und sie schmiegte sich förmlich in meine Hand hinein, sehnsüchtig nach Nähe und Zuwendung.
„Wahrscheinlich wird es immer mal wieder Missverständnisse geben, wenn wir hier zusammenleben wie eine kleine Familie.
Aber es wird wichtig sein, Melissa, dass wir dann offen miteinander reden und wenn wir Fehler gemacht haben, müssen wir das auch zugeben.
Ich habe gerade den Fehler gemacht, dich ungerechtfertigt zu verletzten. Dafür möchte ich mich gerne bei dir entschuldigen, Melissa!"
„Ich verstehe dich Kai. Ich habe mich vielleicht unglücklich ausgedrückt. Du hast es selbst gesagt. Ich bin erst neunzehn. Kannst du da alle meine Worte so auf eine Goldwaage legen oder mit deiner Lebenserfahrung gleichsetzen?
Du hast eben gesagt, ich käme nach „eigenem Bekunden" aus der Hölle. Ich komme direkt aus der Hölle. Ich werde mich jetzt langsam vor dir ausziehen. Du bist Arzt, Chirurg. Du kennst dich aus. Sandra und Elke haben es schon gesehen. Ich wollte es dir sowieso zeigen. Aber eigentlich in einem anderen Zusammenhang und weniger plakativ. Denn ich wollte dich bitten, mir auch hierbei zu helfen. Das wird jetzt gleich nichts mit „scharf machen" zu tun haben."
Elke und Sandra schwiegen, während sich Melissa, immer noch weinend, von ihrem Platz auf der Bank erhob, mich mit einer Geste aufforderte, wieder Platz zu nehmen und langsam anfing Stück für Stück ihr Faschingskostüm abzulegen, bis sie komplett nackt war. Vor mir stand eine wunderschöne, groß gewachsene, schlanke Neunzehnjährige, mit glattem, hüftlangem rotem Haar und kleinen festen Brüsten mit vorstehenden winzigen Wärzchen... Sie hatte eine unglaublich helle Haut mit tausenden Sommersprossen -- Das alles aber nur auf den ersten Blick.
Sie drehte sich vor mir, so wie es vorhin Elke getan hatte. Aber während Elke bei mir Lust und sexuelle Erregung auszulösen vermochte, zersprang hier das perfekte Bild und ich spürte nur noch Übelkeit, Frustration, Zorn und Mitleid.
Der Körper und insbesondere Rücken, Genital und Brustbereich waren über und über mit kleinen Einstichwunden bedeckt, Wunden, wie mittelgroße Kanülen sie verursachen konnten. Schon bei einem ersten Überschlag zählte ich gut dreißig kleine Brandverletzungen, wahrscheinlich glühende Zigaretten und mehrere glatte, oberflächliche Schnittwunden von einem Messer.
Dann legte sie ihre Unterarme auf den Herd, beugte ihren Oberkörper nach unten und reckte mir ihren Po entgegen. Ein straffer, kleiner Po, der deutlich davon zeugte, dass sie wohl auch Sport trieb.
Auch hier waren überall Einstiche, Verbrennungen und kleine Schnitte, aber auch regelrechte Zerreißungen.
Viele der Stellen waren bereits gerötet und entzündet. Das hätte alles sehr viel früher behandelt werden müssen.
„Melissa?" Ich sagte es so sanft, wie ich konnte.
„Kommt ihr drei mal kurz mit ins Wohnzimmer? Ich muss mir deinen Intimbereich etwas genauer ansehen."
Ich nahm aus dem Küchenschrank eine Taschenlampe, zwei Esslöffel und reichte die Lampe an Elke weiter.
„Ich brauche gleich mal kurz deine Hilfe. Du musst mir leuchten."
Als wir im Wohnzimmer angekommen waren, dirigierte ich Melissa direkt zum Sofa.
Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, sie drehte sich zu mir und sah mir in die Augen. Ich las Schmerz, Verzweiflung, Unsicherheit und Hoffnung.
„Melissa, ich muss dich im Intimbereich untersuchen. Die Verletzungen muss ich mir etwas genauer ansehen. Darf ich dich anfassen, oder sollen das Sandra oder Elke für mich tun?"
„Es ist in Ordnung, wenn du das machst. Als Arzt musst du dir dein eigenes Bild machen. Ich vertraue dir Kai. Das was du gleich sehen wirst, würdest du ja auch niemals tun."
„Nein, auch das was ich bisher gesehen habe... so etwas würde ich niemals tun. Leg dich bitte auf den Rücken, nimm dir zwei Kissen und lege sie dir unter dein Gesäß, sodass ich an Scham und Anus gut herankomme. Und spreize vorsichtig deine Beine -- vorsichtig, soweit es dein Schmerz zulässt."
Ich kniete mich vor sie und hängte mir ihre Beine sachte über meine Schulter. Ich musste Elke nichts sagen. Eine Hand von ihr lag auf meiner Schulter; gefasst und kraftvoll übertrug sie ihre Ruhe auf mich -- etwas, dass ich auch immer wieder zielgerichtet bei Patienten einsetzte.
Der Schambereich war in das helle Licht der Taschenlampe getaucht, die Elke in der anderen Hand meinen Bewegungen folgen ließ.
Auf dem Schamhügel waren mehrere kleine Verbrennungsherde, der Kitzler war blutunterlaufen, ebenso die massiv geschwollenen Schamlippen. Vorsichtig spreizte ich mit den Fingern die Lippen auseinander. Überall sah ich Quetschengen und kleine entzündete Wunden. Hier und da war Schleimhaut regelrecht in Fetzen.
Ich atmete tief durch.
Die Haut zwischen Vagina und Anus war teilweise eingerissen. Ebenso der Eingang des Po- Lochs.
„Melissa, das muss sehr schnell genauer untersucht und behandelt werden. Ich kenne an unserem Krankenhaus eine sehr gute Gynäkologin, die das ganz einfühlsam machen wird."
„Nein Kai, sei mir nicht böse! Das hier kostet mich schon sehr viel Kraft und Überwindung. Zu mehr habe ich keine Energie. Das musst jetzt schon du machen, oder niemand."
„Melissa, du verlangst sehr viel von mir und auch von dir. Ich habe hier nicht die richtigen Sachen."
„Ich weiß, dass du mit deinen Fingern in mich eindringen musst, um zu fühlen, ob drinnen alles in Ordnung ist. Das kann nicht schlimmer sein, als das, was die mir angetan haben."
Sabine saß kauernd auf der Couch und hatte die Beine angezogen und umschlungen. Elke war die Ruhe in Person.
„Ich muss kurz in die Küche und das obere Badezimmer, ein paar Sachen holen. Ich bin gleich zurück."
Auf dem Weg, ließ ich mir noch einmal durch den Kopf gehen, was ich gerade gesehen hatte. Das war Wahnsinn! Und es war pervers! Sie war gefoltert worden! Und sie war vergewaltigt worden! Eigentlich musste sie ins Krankenhaus! Das wusste ich. Ich wusste aber auch, dass ich ein guter Arzt war. Konnte ich das hier in den Griff bekommen? Die Entzündungen kamen jetzt -- zeitversetzt. Ohne richtige Behandlung und Medikamente würde sie spätestens heute Abend ihren ersten Fieberschub bekommen.
Aber so wie das aussah, würde das Fieber sowieso kommen... Ein paar wirklich harte Tage standen uns bevor -- mindestens eine Woche.
Wenn es hart auf hart ging, hatte ich immer noch das Krankenhaus im Rücken. Meine Entscheidung war gefallen -- vorerst.
Ich war kein Experte, aber ich wollte es jetzt auch von der kurzen vaginalen und rektalen Untersuchung abhängig machen.
Ich musste mich versichern, dass da keine „inneren" Verletzungen waren.
Zurück im Wohnzimmer stellte ich erst mal ein paar Medikamente und ein großes Glas Saft vor Melissa ab. Sie hatte sich wieder hingesetzt.
„Antibiotikum, Schmerzmittel -- allerdings kein so starkes, ein leichtes Muskelrelaxans und Cortison. Das muss erst mal gleich runter. Wird einen Moment brauchen, bis du die erste Wirkung merkst. Du bekommst später noch mehr. Jetzt muss ich dich erst mal weiter untersuchen."
Nachdem sie die Medikamente eingenommen hatte, begab sie sich wieder in Position. Elke leuchtete wieder aus und ich spürte auch wieder ihre Hand auf meiner Schulter. Dankbar lächelte ich sie an. Sie lächelte zurück, als wollte sie damit sagen -- „Ihr schafft das!".
Gerade war ich im Begriff, sterile Einmalhandschuhe anziehen, als mir Melissa mit einem Kopfschütteln und panischem Blick zu verstehen gab, dass ich von ihr aus besser darauf verzichten solle. Wahrscheinlich hatten ihre Peiniger Handschuhe getragen. So desinfizierte ich ausgiebig meine Hände, fettete mir die Finger gut mit einer Panthenolsalbe ein und verteilte dann zusätzliche Salbe vorsichtig kreisend auf Anus und Scheideneingang.
„Es brennt etwas. Da ist alles gereizt und tut ziemlich weh. Ist mir peinlich, darüber zu reden."
„Muss eher mir peinlich sein, Melissa. Ich will dich wirklich nur untersuchen. Ich fange mit der Scheide an. Versuch dich zu entspannen. Du kannst versuchen, es mit Variationen deiner Körperhaltung etwas angenehmer zu gestalten."
Ich verzichtete auf die Löffel, die ich zum behutsamen Spreizen nutzen wollte. Vorsichtig drang ich zunächst mit dem Zeigefinger, dann mit Zeige- und Mittelfinger zusammen in die Scheide ein. Ich fühlte, dass im Eingangsbereich auch die innere Schleimhaut wund und entzündet war. Immer wieder bemerkte ich Verletzungen. Der Befund setzte sich fort, bis zur maximalen Eindringtiefe meiner beiden Finger. Ich sah zu Melissa. Auf ihrer Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet. Sie hatte offensichtlich Schmerzen.
„Du bist ein tapferes und bezauberndes Mädchen, Melissa. Ich wünschte, ich könnte das hier unter angenehmeren Umständen machen."
„Ja, das wünschte ich mir auch." Trotz der Schmerzen grinste sie mich wieder frech an.
„Gib mir noch ein paar Wochen, dann musst du mir aber versprechen, dir etwas mehr Mühe zu geben..."
Sie gluckste und ich verfluchte mich, für meinen unachtsamen Kommentar... Treffer, versenkt!
Ich war fertig und zog meine Finger aus der Vagina. Geronnenes altes Blut -- aber da war auch recht viel dunkelbraunes Sekret und die Finger rochen stechend scharf, wie eine vereiterte Wunde. Das hatte ich befürchtet.
Schnell säuberte ich die Finger, desinfizierte sie, ölte sie erneut ein und ignorierte die fragenden Blicke.
„Erzähle ich euch gleich alles! Jetzt noch ein letztes Mal entspannen, Kleines!"
Ich drang sehr vorsichtig mit meinem Zeigefinger in ihren Anus ein. Der Schließmuskel hatte einige bemerkbare Einrisse, aber er war insgesamt noch intakt und somit würden die bald abheilen. Innen war der Enddarm ebenfalls entzündet. Ich kam nicht besonders tief und musste jetzt meinerseits etwas grinsen.
„Ich glaube Melissa, du musst demnächst mal auf die Toilette."
Jetzt war es an ihr, rot zu werden. Ich begann mir die Finger zu säubern und zu desinfizieren.
„Melissa, du kannst Dich wieder anziehen. Ich schlage vor, wir unterhalten uns am Kaffeetisch. Möchtest du die anderen dabeihaben?"
„Ja."
„Gut, dann gehen wir mal alle vier."
Melissa ging, wie bereits von mir prophezeit, zunächst auf die Toilette, während ich mich mit den anderen beiden wieder an den Küchentisch zurückzog.
„Hat sie Euch gesagt, was die Typen mit ihr angestellt haben?"
„Ja, aber ich glaube, Melissa wird noch etwas brauchen, um es dir mit allen Einzelheiten zu erzählen. Aber ich habe gesehen, dass du bemerkt hast, dass sie auch innerlich verletzt ist. Die haben ihr alles Mögliche eingeführt -- bis hin zu irgendwelchen Küchenbürsten."
„Und genau das macht mir ehrlich gesagt Sorgen, Elke. Ich weiß aus meiner Erfahrung, dass es ihr jetzt im Moment wohl noch so halbwegs geht. Die Medikamente werden ihr in jedem Fall helfen und sie wird sich kurzzeitig besser fühlen. Aber in einigen Stunden wird das anders sein. Ich denke, spätestens heute Nacht wird das Fieber kommen. Melissa gehört wirklich ins Krankenhaus. Die Schnittwunden und Verbrennungen sind oberflächlich und schmerzhaft. Die Stiche ... das hat jemand gemacht, der über eine extrem kranke Phantasie verfügt, sich aber auch auskennt. Das sind alles Punkte, die bekannt und sehr, sehr schmerzhaft sind -klassische Triggerpunkte, wo sich Nerven kreuzen. Melissa ist wirklich ziemlich tapfer!"
„Kann man das mit dem Krankenhaus vermeiden?"
Melissa war wieder zurückgekehrt und hatte meine letzten Sätze mitbekommen.
„Kann ich dir nicht versprechen Kleines. Deine Vagina und der Uterus sind massiv entzündet. Resultat der Verletzungen und -- sorry, Elke hat da was Wichtiges gesagt -- da sind eben auch verdreckte und schmutzige Dinge eingeführt worden, die dich nicht nur verletzt haben, sondern verkeimt waren und dadurch eben auch böse Infektionen auslösen werden.
Aus meiner Erfahrung heraus: Du wirst bald Fieber bekommen, der übelriechende Ausfluss ist das erste Zeichen. Und du wirst dich über mehrere Tage mehr tot, als lebendig fühlen, im Bett liegen und intensive Betreuung sowie Hilfe bei den einfachsten Sachen brauchen.
Das ist völlig unabhängig davon, ob ich dich jetzt hier behandele, oder du im Krankenhaus behandelt wirst. Aber meine ehrliche Meinung: Das gehört in die Hände von Profis.
Laborwerte, angepasste Antibiotika, professionelle Spülungen und dergleichen mehr!"
Melissa schüttelte weinend den Kopf. Ich verstand sie.
Nach all dem sollten jetzt wieder irgendwelche unbekannten Menschen an ihr herumfuhrwerken -- Fachpersonal hin, Fachpersonal her -- das machte das Trauma nicht besser.
„Melissa. Du bist neunzehn. Irgendwann möchtest Du Familie -- auch nach all dem hier, was Du gerade erlebt hast. Das Risiko von ausufernden Entzündungen und einer sich anschließenden Narbenbildung in diesem Bereich ist einfach zu groß. Vielleicht geht es dir jetzt noch halbwegs gut. Aber in ein, zwei Tagen?"
Ich blickte in die Runde und sah betretene Gesichter. Aber den Mädels war klar, was hier lief. Fasching war nur ein Fluchtreflex. Ein Versuch, davonzulaufen vor dem Unabwendbaren, das sie nunmehr unbarmherzig eingeholt hatte. Oder sollte ich sagen ... „uns" eingeholt hatte.
Alle, auch Melissa, nickten zustimmend.
„Elke, ich würde vorschlagen, Du und Sandra, ihr brecht jetzt auf und macht eure Runde. Holt, was ihr für Melissa braucht. Ich gebe Euch etwas Geld für passende Unterwäsche und was man sonst noch so braucht. Fahrt auf dem Rückweg im Kreiskrankenhaus vorbei. Melissa und ich machen währenddessen eins, zwei kleine Besorgungen, ich führe ein paar Telefonate und dann fahre ich mit ihr direkt ins Krankenhaus."
Ich sah abermals Melissas entgeisterten Blick beim Wort „Krankenhaus".
„Ja Melissa, Krankenhaus... die Medikamente von eben wirken schon. Aber vertrau mir. Du wirst bald wesentlich stärkeres Zeugs brauchen. Ich mach da leider keine Show draus."
„Kann ich kurz mit Elke und Sandra mitfahren? Wir brauchen auch nicht lange. Dann kommen wir wieder hierher, essen etwas und dann verspreche ich dir, dass wir ins Krankenhaus fahren."
„Es wäre wirklich besser, nicht mehr so lange zu warten."
„Machen die drei Stunden mehr so viel aus?"
Ich sah in ihr hoffendes Gesicht. Sie brauchte Zeit, um sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Ich wusste, dass die Medikamente helfen würden -- Standardtherapie.
„Ich gebe dir noch ein Schmerzmittel mit. Für alle Fälle. Aber dann später müssen wir wirklich los!"
Ich sah ihr in die Augen.
„Melissa, versprochen, dass du da nur so lange sein wirst, wie es unbedingt notwendig ist! Den Rest können wir auch hier zu Hause machen. Ich werde aber hier etwas Hilfe brauchen."
Ich blickte in die Runde. Melissa sah mich dankbar an.
„Und wenn wir das so durchziehen, schätze ich vier Tage Krankenhaus und dann muss hier für eine knappe Woche ständig jemand in deiner Nähe bleiben, Melissa. Deswegen..."
Elke nickte.
„Wir besuchen Dich im Krankenhaus. Und wenn Du dann entlassen wirst und Kai arbeiten muss... Sandra muss zwar bald wieder zur Uni und wird sich wegen ihrer Geschwister nicht allzu oft loseisen können. Vielleicht hier und da mal eine Nacht, die sie bei einer Freundin übernachtet, was genau genommen nicht einmal gelogen ist. Aber ich kann mir ein paar Tage frei nehmen und werde das mit meinen Eltern schon regeln. Wenn die gelandet sind, muss ich einen Tag da sein. Dann kann ich dir helfen, Melissa... Und natürlich auch dir, Kai!
Wir sollten mal kurz unsere Telefonnummern austauschen und dann werden wir mal „los düsen". Ich denke, wir werden so gegen eins wieder hier sein."
„Ja."
Die Mädels zückten ihre Handys, ich nannte meine Nummer und sie riefen mich nacheinander an -- ich speicherte alles ab.
Melissa hinterließ mir noch ihre Anschrift, den Namen ihrer Mutter und das, was sie über Günther wusste. Ich notierte es mir.
Wir gingen alle zusammen raus. Melissa strahlte mich über beide Wangen an, als ich ihr am Hoftor ihren eigenen Schlüssel für das Haus aushändigte.
Elke gab ich auch einen -- für alle Fälle.
Was ritt mich, all das hier zu tun?
War es so leicht, mein Vertrauen zu bekommen?
Warum nicht einfach Polizei und Krankenwagen rufen -- der Schuld war genüge getan und fertig!
Ich schüttelte kurz den Kopf.
Irgendwie war das alles gerade so völlig unwirklich!
Und doch passierte es gerade. Leben kann wahnsinnig und unglaublich zugleich sein -- brutal und doch irgendwie aufregend. Mein Leben änderte sich gerade ... und zwar sehr tiefgreifend.
Ich ging wieder zurück ins Warme.
---
Ich begann zu planen. Melissa und alles drum herum würde Zeit in Anspruch nehmen. Dafür brauchte ich einen freien Rücken. Zunächst rief ich die Chefin der Klinikverwaltung an und meldete mich für die nächsten Tage ab. „Pflege und Betreuung einer entfernten Verwandten", da hatte jeder Verständnis, gerade auch weil ich so gut wie nie krank war oder irgendwelche anderen „Extras" in Anspruch genommen hatte.
Dann kontaktierte ich Ingrid, meine Stellvertreterin. Sie war eine „Bank", das wusste ich. Aber sie würde mich bei Problemen auch jederzeit kontaktieren.
Melissa sollte nur möglichst kurz ins Krankenhaus -- das Notwendigste eben. Den Rest würde ich hier machen.
So überschlug ich kurz, was ich die nächsten Tage alles brauchen würde, gab Ingrid meine -- zugegeben ziemlich umfangreiche -- Liste durch und bat sie, die Sachen für mich zu organisieren.
Wir vereinbarten, dass sie alles listen würde, damit ich es im Nachgang bezahlen könnte. Ich wollte mich wegen so einem Scheiß nicht angreifbar machen. Neider gab es überall, aber auch Kolleginnen und Kollegen, die es mitunter mit der „Selbstversorgung" etwas übertrieben.
Und mit Argumenten, wie „der Chef macht das ja doch auch", ist es immer sehr schwer, Mäßigung einzufordern.
Wenn die Klinikleitung die Rechnungsaufstellung dagegen in die Ablage „P", wie Papierkorb, verschob, war das dann zumindest eine halboffizielle Sache und ich war „save".
Dann fragte ich Ingrid, wer denn heute Hintergrunddienst für die Gynäkologie hatte.
Nach dem Telefonat machte ich mich an eine Aufstellung, was ich alles am Montag einkaufen musste. Küchentechnisch waren da ja, den Besuch eingerechnet, jetzt ein paar Mäuler mehr zu stopfen.
Hey, ich war hier bald Chef meiner eigenen kleinen Privatklinik. Ich musste ein wenig schmunzeln, was aber eigentlich in Anbetracht der Gesamtsituation ziemlich daneben war.
Ich glaube aber, die Mädchen hätten sich über diesen kurzen Gedankengang ebenso amüsiert.
Ich drückte mich ein wenig vor dem nächsten Anruf. Aber ich glaubte den Mädchen und was ich bei Melissa gesehen hatte, ließ mich nicht daran zweifeln, dass ihre Schilderung von Günther so wahrheitsgemäß, wie möglicherweise sogar eher noch untertrieben war.
Ein wirklich gefährlicher Typ. Eindeutig! Und skrupellos. Auch das mit der Waffe nahm ich Melissa ab.
Wenn keine Polizei, dann musste ihn jemand anderes daran hindern, die Mädchen oder die Mutter weiter zu bedrohen, unter Druck zu setzen, seine Gewaltphantasien umzusetzen oder Melissa weiter sexuell zu missbrauchen oder zu prostituieren.
Feuer bekämpft man mit Feuer!
Ich nahm die Visitenkarte aus meinem Rolodex. Sie war aus gutem Hartkarton und zeigte eine aufwendige Prägung mit dem typischen seitlichen gehörnten Totenkopfprofil mit den Flammenschwingen... und eben eine Handynummer.
Eigentlich war dieser Club offiziell verboten. Doch die Mitglieder scherten sich nicht drum.
Nicht weiter nachdenken -- kurzentschlossen wählte ich die Nummer des „Höllenengels".
„Hallo?"
Eine tiefe, aber keineswegs unsympathische Stimme meldete sich prompt. Ich kannte den Mann. Er war bereits mehrfach in meiner Ambulanz gewesen. Zweimal war er der Patient, aber manchmal auch wegen seiner „Freunde" oder verschiedener Frauen.
Und wie vorhin bereits angedeutet, es ließen sich nicht immer alle Verletzungsmuster mit einem regulären Unfallereignis erklären.
Auch war nicht immer jede Patientin, die zum Beispiel mit einer fetten Bronchitis zu uns gebracht wurde, krankenversichert.
Insgesamt waren das aber immer sehr höfliche und geduldige Patienten und wir fanden fast immer eine für alle Parteien eine weiterführende Lösung und die optimale Versorgung. Unter dem Strich besser, als wenn irgendein drittklassiger Scharlatan Mist baute, was am Ende wirklich jemanden Gesundheit oder gar das Leben kostet.
„Hallo. Hier ist Kai Mertens. Ich arbeite im Kreiskrankenhaus in der Ambulanz. Sie haben mir irgendwann mal ihre Karte mit der Nummer gegeben und mir gesagt, wenn ich mal ein Problem habe, ..."
„... können sie mich jederzeit anrufen. Hallo Doc. Schön von ihnen zu hören und ich freue mich, dass wir uns mal für die wirklich sehr gute Versorgung revanchieren können."
Ich war erleichtert, das zu hören. Zugleich schwante mir aber auch, dass ich mich damit möglicherweise wohl auch diesen Typen ausliefern würde.
Aber ich hatte ja auch so schon hier und da mal Fünfe gerade sein lassen.
„Herr Schönfeld, ..."
„Marius."
„Gut, Marius... ich habe ein Problem, bei dem ich deine spezielle Hilfe brauchen könnte, möglicherweise auch die einiger Freunde von dir."
„Es gibt nur wenige Probleme, die wir nicht lösen können. Wir sind dir wirklich was schuldig, aber das sollten wir alles nicht am Telefon besprechen. Wenn es pressiert, kann ich gerne kurz bei dir vorbeikommen oder wir können es an einem neutralen Ort besprechen."
Ich überlegte nur kurz. Meine Adresse hätte der sowieso schnell raus. Also gab ich sie ihm gleich und wir verabredeten uns in einer Stunde bei mir. Ich war erfreut. Ich wusste, dass der Typ Chef eines der großen Chapter und damit eine ziemlich einflussreiche Nummer bei den Angels war. Ich hätte nicht geglaubt, dass dieser sicherlich sehr viel beschäftigte Mann so schnell Zeit für mich hatte. Aber es schien, als ob er sich die Zeit einfach jetzt so für mich nahm und mal eben alles andere liegen ließ.
Die Stunde bis zu seinem Eintreffen nutzte ich auch, um noch einmal alles kurz für mich durchzugehen, schematisch zu ordnen und auf Papier zu bringen. Ich war kaum fertig und hatte gerade das Kaffeewasser angesetzt, als es auch schon an der Haustür klingelte.
Marius Schönfeld war ein groß gewachsener, schlanker und dennoch sehr athletisch gebauter Mann, Ende Fünfzig, mit silbergrauen hinten zu einem langen Pferdeschwanz zusammengefassten Haar und einem ebenso langen, sehr gepflegten Bart... Eigentlich der Urtyp eines gepflegten Edelrockers.
Seine obligatorische Harley Davidson stand trotz des schlechten Frühjahrwetters auf dem Parkplatz direkt neben meinem Wagen. Er trug eine schwarze Lederkombination ohne Rauten und ihm fiel nach kurzem, herzlichem Händedruck mein suchender Blick auf.
„Ich trage nur noch selten meine Abzeichen. Man kann sich so besser bewegen und wird deutlich weniger kontrolliert."
„Ach so, komm doch rein."
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Er bewunderte ganz offen Haus und Einrichtung; ich machte eine kleine Führung mit ihm und dann setzten wir uns mit einer großen Kanne Kaffee ins Wohnzimmer, um bei dem Knacken des Buchenholzes im Kamin das eigentliche Problem zu besprechen, welches mir unter den Nägeln brannte -- Günther, Melissa und ihre Mutter.
Wenn man ausblendete, wer er war und wofür er stand, dann wirkte Marius wie ein ziemlich patenter, sympathischer und weltoffener Mensch, mit dem wohl viele gern befreundet gewesen wären. Und so kam unser Gespräch nach kurzem obligatorischem Small Talk recht schnell in Gang.
In meine Wiedergabe der Ereignisse der letzten Stunden vertieft, saßen wir eine Weile und Marius hörte mir entspannt zu, rauchte dabei ein oder zwei Zigaretten, nachdem er zuvor freundlich gefragt hatte und stellte immer wieder kurze Zwischenfragen.
Ich hatte den Eindruck, dass Marius recht humorvoll war und deswegen ließ ich das erste Aufeinandertreffen zwischen mir und den Mädels auch nicht aus. Tatsächlich gab es da etliche Momente in der Geschichte, die ihn königlich amüsierten.
Aber es gab eben auch jene ernsteren Punkte, weswegen ich ihn letztendlich ja kontaktiert hatte und er sagte mir sogleich noch einmal seine Hilfe zu.
Besonders interessierte er sich für die Verletzungsmuster mit den Einstichen, Verbrennungen und Schnitten. Er sprach sehr offen mit mir und meinte, dass da in der Szene eins, zwei extrem perverse und gutbetuchte Typen mit Verbindungen unterwegs seien, die so drauf wären.
Nicht gut für die Mädchen, nicht gut für die Branche, denn einige der Mädchen hatten da echt was zurückbehalten und so etwas führte immer zu Unfrieden in den eigenen Reihen und unwillkommenen Nachfragen der Gesetzeshüter.
Meine Entscheidung, Melissa hier bei mir wohnen zu lassen, nahm er deswegen einfach als selbstverständlich gegebene Tatsache zur Kenntnis und plante von diesem Punkt ausgehend, rasch weiter.
Erwartungsgemäß kannte er Typen wie Günther, wenn auch diesen nicht persönlich. Das mit der Waffe fand er wichtig, aber auch idiotisch. Und er wusste, wen er wegen weiterführender Informationen anrufen konnte. So ließ ich ihn alleine, um mich in der Küche um das Mittagessen zu kümmern.
Die Mädels würden bald wieder zurück sein und ich war mir selbst noch nicht so ganz sicher, ob ich ein Aufeinandertreffen mit Marius zu diesem frühen Zeitpunkt oder überhaupt wollte.
Andererseits war ich in mehrfacher Hinsicht auf Hilfe angewiesen, wenn ich weiterkommen wollte.
Es war wie die Wahl zwischen Typhus, Pest und Cholera.
Während ich so vor mich hin überlegte, nahm das Mittagessen immer mehr Gestalt an. Eigentlich wusste ich zu Beginn des Kochens nur, dass ich Pasta machen wollte.
Nun brutzelte eine riesige Auflaufform mit Penne, süßer Sahne, getrockneten Steinpilzen, rohem, gewürfeltem Schinken, Cocktailtomaten und Paprikastreifen im Backofen, während ich ein paar tiefgefrorene Himbeeren kurz mit Zucker, Honig und einem Schuss Pflaumengeist zu einer leckeren Dessertsoße zusammenkochte.
Eine Lage Crêpes wäre schnell durchgebacken und fertig war das Mittagessen.
Ich kochte gerne und gut.
Marius telefonierte noch. Ich hörte sein tiefes, ehrlich klingendes Lachen bis in die Küche. Ohne es eigentlich zu wollen, empfand ich immer mehr Sympathie und Respekt für diesen Kerl.
Ich war gerade dabei, meinen gewässerten Endiviensalat in kleine, gleichmäßige Streifen zu schneiden, als ich hörte, wie die Haustüre aufgeschlossen wurde.
Meine drei Nymphen waren zurück und nutzten auch sogleich den neuen Schlüssel zum Reinkommen. Ich schüttelte leicht meinen Kopf, nahm die Pfanne vom Herd, schaltete ihn aus und begab mich, mir mit einem Geschirrhandtuch die Hände abtrocknend, zum Treppenaufgang.
Damit war mir die Entscheidung bezüglich eines Aufeinandertreffens zwischen Melissa und Marius wohl gerade abgenommen worden.
„Hey, Kai."
„Hallo!"
Elke und Sandra kamen mit jeweils einer großen Kiste beladen die Treppe hoch, während Melissa die Tür hinter ihnen schloss und einen Rucksack sowie einen kleinen Koffer aufnahm.
Alle drei hatten sich umgezogen und trugen jetzt bequeme Jeans, Sweatshirts und offene Jacken.
„Da habt ihr ja ´ne ganze Menge Zeugs dabei. Ein gutes Starterpaket, Melissa. Ihr habt ein gutes Timing. Das Essen ist beinahe fertig", freute ich mich. Aber die Gesichter der drei sahen sehr ernst und angespannt aus. Irgendetwas war passiert!
„Kommt erst mal in die Küche, ihr drei. Das Wohnzimmer ist blockiert. Dort hängt ein guter Bekannter schon seit einer Stunde am Telefon."
Die Mädels kamen rein und stellten die Kartons an der Wand ab. Melissa legte Rucksack und Koffer daneben und wir setzten uns an den Küchentisch.
Es war schon alles eingedeckt und ich zügelte meine Neugier und wartete ab, bis die Mädels sich etwas zum Trinken eingeschenkt, die ersten Schlucke genommen hatten und sich gesammelt hatten.
„Alles in Ordnung Melissa?" Ich dachte natürlich gleich an sie.
Sie nickte mir zu und drehte ihren Kopf zu Elke. Ich sah die Tränen in Elkes Augen.
„Meine Wohnung... Als wir zu meiner Wohnung kamen, war sie aufgebrochen. Alles verwüstet. Alles richtig zerstört. Nicht einfach nur etwas geklaut. Nein. Pure Zerstörungswut."
„Weiß Günther, wo du wohnst?" Ich fragte, weil das für mich die naheliegende Vermutung war.
„Nein, aber meine Mutter wusste es und von der wird er es haben. Kai, der jagt mich! Ich habe Angst. Und du hattest Recht. Ich merke, wie es mir von Minute zu Minute schlechter geht. Mir ist heiß und ich schwitze. Dein Schmerzmittel hab ich auch schon geschluckt."
Melissa hatte jetzt auch Tränen in den Augen und wirkte ganz aufgelöst.
„Kai?"
Sandra wandte sich ganz leise und nachdenklich an mich.
„Kai, Melissas Mutter weiß auch, wo ich wohne. Und bei mir wird jemand zu Hause sein! Meine Mutter und mein Vater sind wahrscheinlich noch arbeiten. Meine Schwester ist elf und meine drei Brüder zwischen zwei und zehn Jahren. Ich hab zwar viel Stress mit denen zu Hause und bin auch häufig sauer auf die ganze Bagage..., aber jetzt hab ich echt Schiss, dass der Typ bei mir zu Hause aufkreuzt. Der ist im Stande und bringt die um! Der ist nicht ganz richtig im Kopf! Kai, wir haben hier gerade ein echtes Problem."
„Probleme gibt es nicht, junge Dame, nur Lösungen!"
Mit diesen Worten trat Marius ein und setzte sich an den noch verbliebenen freien Platz. Er nickte mir aufmunternd zu.
„Ich heiße übrigens Marius und bin ein guter Bekannter von Kai. Im Moment so etwas wie eine Wunschfee und Kai verballert gerade einen Wunsch nach dem nächsten. Sogar, ohne diesen Wunsch jeweils ausgesprochen zu haben."
Marius grinste über beide Wangen.
„Das hier ist übrigens mein Zauberstab." Er reckte in einer perfekt choreographierten Bewegung sein I-Phone in die Höhe.
„Ein paar Anrufe... und Wünsche werden wahr. Du musst Melissa sein?"
Er drehte seinen Kopf zu Melissa und sah sie sehr wohlwollend und aufmunternd an. Melissa nickte.
„Melissa, sorry, aber du siehst echt scheiße aus. Du solltest dich nach dem Essen mal dringend hinlegen oder besser noch ins Krankenhaus."
Marius blickte nun zu Elke.
„Du bist die Älteste. Also musst du Elke sein. Habe ich das gerade richtig verstanden? Bei dir ist gerade eingebrochen worden und die Wohnungseinrichtung ist total verwüstet?"
Elke nickte zustimmend und wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als sich Marius zu Sandra hindrehte.
„Dann kannst du nur noch Sandra sein. Dieser Günther weiß also wahrscheinlich, wo du wohnst und Deine Geschwister sind gerade allein zu Hause."
Auch Sandra nickte. Marius sprach in einem sehr ruhigen und sachlichen Tonfall -- präzise und direkt.
„Sei doch so gut, Sandra und schreib mir doch mal den Namen deiner Eltern, deiner Geschwister, die Telefonnummern deiner Eltern und deine Adresse auf."
Schon zauberte er Block und Kugelschreiber aus der Innentasche seiner Lederweste.
„Kai", schon wandte sich Marius an mich. „Essen hält Leib und Seele zusammen und das duftet hier alles sehr verführerisch. Fahr doch mal auf, was du so alles in der Zwischenzeit gezaubert hast. Wäre doch schade, das hier alles verkommen lassen zu müssen."
„Klar, mache ich. Ich sehe Marius, du hast alles im Griff."
„Dafür hast du mich ja geholt. Um Probleme zu lösen. Und eines verspreche ich euch Mädels. Bis spätestens morgen früh, habt ihr eine wesentliche Sorge weniger."
Elke wirkte deutlich beruhigter, Melissa hing förmlich an Marius Lippen und Sandra schrieb. Der Mann dominierte den Raum.
Er nahm erneut sein I-Phone heraus, machte ein paar Eingaben und schob es zu Melissa.
„Melissa, auf dem Foto... ist das Günther?"
„Ja, das ist dieses Schwein!"
Ich trat interessiert näher und betrachtete ihn mir auch kurz. Ein kräftiger Mann mit längeren verfetteten Haaren, Bauchansatz, eher recht schlampig gekleidet, stand mit zwei Prostituierten am Straßenrand. Er hatte einen bösartigen, verkniffenen Gesichtsausdruck -- fast zu klischeehaft, für ein solches Monster.
„Kann man ihn auf diesem Foto gut erkennen? Ist er gut getroffen?"
„Perfekt! Sogar die gleiche Hose und den Pulli hatte er am Donnerstag noch an."
„Sehr gut Melissa. Bist Du fertig, Sandra?"
Sandra nickte und schob ihm den Block zu. Er überflog kurz die Daten, machte sich erst gar nicht die Mühe hinauszugehen und wählte eine Nummer.
„Robert? Hier ist Marius. Ich schicke dir gleich ein Bild, eine Adresse und ein paar Namen. Nimm dir bitte ein paar Jungs, bezieht unauffällig um das Haus Position und achtet darauf, dass dieser Typ nicht ins Haus gelangt. Er heißt Günther, Kleindealer, hat ein paar Bienen am Start und macht noch was mit Schutzgeldern. Ist total durchgeknallt und selbst abhängig. Kann sein, dass er nicht alleine kommt. Aber sie sind maximal zu dritt. Vorsicht. Wahrscheinlich alle bewaffnet.
Wenn sie auftauchen, bringt sie zum Kellerloch. Wenn sie sich wehren oder nicht mitwollen, „überzeugt" sie und seid dann nicht allzu feinfühlig."
...
„Die Adresse ist in der Nähe von Hanau. Gut, etwa in dreißig Minuten. Prima. Ich melde mich später noch mal bei Euch. Ich muss mir noch was für die Familie einfallen lassen. Sollten nicht mitbekommen, wenn Porzellan zerbrochen wird."
...
„Ist gut, bis später." Mit diesen Worten beendete Marius das Gespräch und ich tischte den herrlich duftenden Auflauf und den Salat auf. Die Mädels starrten entgeistert.
Marius griff den Gesprächsfaden wieder auf, während er mit dem großen Schöpflöffel die ihm dargebotenen Teller füllte.
„Mädels, was genau ich mache, wollt ihr nicht wirklich wissen. Aber es reicht, dass ihr wisst, dass ich solche Typen verachte. Und Melissa, ich verachte ihn dafür, was er dir gegen deinen Willen angetan hat. Ich habe eine Tochter, die ungefähr ein Jahr jünger ist als du. Sie hat auch lange rote Haare, ist aber etwas stämmiger. Kommt etwas mehr nach mir."
Mit diesen Worten strich er sich plakativ und gefällig über seinen bewusst ausgestreckten Bauch.
„Ich nehme das persönlich, Melissa. Melissa, Kai sagte etwas von bestimmten Verletzungen, die dir zugefügt worden sind. Entschuldige, er musste offen mit mir reden. Nur so kann ich effektiv helfen.
Ich würde mir gerne mal ein paar dieser Verletzungen an unverfänglichen Stellen, zum Beispiel an deinen Armen oder Füßen ansehen und ein paar Fotos machen. Kannst du die Typen beschreiben?"
„Kann ich! Willst Du denen auch den Arsch aufreißen?" Melissas Stimme war eine Paarung aus Hoffnung und Hass.
„Das und noch viel mehr! Ich drücke es mal so aus. Du bist seit langem das erste Mädchen, das noch in der Lage ist, diese Typen zu beschreiben und zu identifizieren. Du bist sehr tapfer. Aber du solltest wirklich bald ein paar Medikamente einwerfen und dich im Hospital pflegen lassen. Ich denke, das wird dir dein persönlicher Doc sicher auch bald nahelegen."
„Marius, ich wollte mich bei ihnen bedanken, was sie für mich und meine Familie gerade tun. Ich habe echt Angst, dass der Typ denen was antut. Aber was machen wir denn später, wenn dieser Robert nicht mehr da ist?"
„Sandra, du kannst mich ruhig duzen. Und das Problem wird bald dauerhaft gelöst sein. Der Typ wird euch niemals wieder behelligen. Keine Panik, wir werden ihn nicht umbringen. Aber er wird nie wieder Hand an ein Mädchen anlegen. Und er wird euch keiner mehr Angst machen. Im Gegenteil. Er wird Angst bekommen, wenn er euch nur sieht. Versprochen!"
Das Gespräch schlief kurzzeitig ein und jeder hing seinen Gedanken nach, während wir den Auflauf und den, gewollt, leicht bitteren Endiviensalat aßen.
Insgesamt zeichnete sich aber wieder so etwas wie Hoffnung und Zuversicht auf den Gesichtern der Mädels ab.
Elke und ich standen auf und räumten ab. Beinahe so, wie ein gut eingespieltes Team. Dabei kannten wir uns doch noch gar keine vierundzwanzig Stunden.
„Elke, kannst du dich bitte mal um den Nachtisch kümmern. Im Backofen steht eine Lage Crêpes warm und im Kühlschrank ein Topf mit Himbeerragout. Ich gehe mal kurz an meinen Medikamentenschrank und muss mal was für Melissa raussuchen."
„Du, Kai?" Elke trat an mich heran. „Danke für alles!" Zärtlich strich ihre Hand über meine Wange und ihr Zeigefinger verharrte in einer kaum merkbaren Berührung kurz auf meinen Lippen. Eine Berührung, wie ein Versprechen. Ihr Blick ging mir durch Mark und Bein.
Marius grinste mich wohlwollend an. Ich errötete, drehte mich zu meinem Medikamentenschrank um und begann mir einen Überblick zu verschaffen.
„Tut gut, mal Held zu sein, oder Doc?" Es lag keinerlei Häme in diesem Satz. Ganz im Gegenteil -- eher war er eine an die Mädels gerichtete Feststellung, als wollte ihnen Marius damit bedeuten: „Seht mal, was der alles für euch macht."
„Sag mal Sandra, hast du Großeltern, wo ihr Eure Geschwister mal unterbringen könnt?"
„Von meiner Mutter -- die sind schon in einem betreuten Wohnen. Das geht nicht.
Aber Opa Albert und Oma Maria helfen immer mal wieder aus. Aber die können nicht mehr als zwei nehmen. Und wir sind fünf."
„Das hört sich doch schon mal gut an. Melissa, wissen deine Mutter oder Günther irgendetwas über Sandras Großeltern... beispielsweise, wo sie wohnen?"
„Nein. Hab´ ich nie erwähnt."
„Perfekt. Hörst du eigentlich Radio, Sandra?"
Marius schien einen Plan zu haben.
„Ja."
„Viel?"
„Ja klar. Wenn ich zuhause bin und Hausarbeit mache oder Schularbeiten. Läuft immer im Hintergrund. Dann stören die anderen nicht so."
„Welchen Sender hörst du denn meistens?"
„Eigentlich meistens HR3. Wieso?"
„Weil du heute bei einem Quiz gewonnen hast!"
„Hää?"
„Du hast vor ein paar Minuten bei HR 3 angerufen und gewonnen. In zwei Stunden kommt eine große Limousine und holt deine Eltern und deine Geschwister ab. Zwei Geschwister werden zu deinen Großeltern gebracht, der Rest nimmt Kurs auf Hamburg. Abendessen und Übernachtung im Vier-Sterne-Hotel, morgen Stadtrundfahrt, Mittagessen auf dem Fischmarkt, dann ein Besuch im Musical Cats -- beste Kartenkategorie mit Backstagepässen, „Meet and Greet" ... und eine weitere Übernachtung. Am Faschingsdienstag geht es dann wieder mit der Limousine nach Hause. Na, wie klingt das?"
„Toll. Dann ist ja niemand mehr zu Hause."
„Genau darum geht es mir, Sandra. Darum, dass niemand mehr zu Hause ist. Ich brauche deine Haustürschlüssel und du bleibst die nächsten Tage hier."
„Aber das kostet doch unheimlich viel Geld."
Guter Einwand von Sandra, helles Köpfchen. Genau das war auch mein Gedanke, in diesem Moment... Was würde mich das wohl kosten?"
„Mach dir da mal keine Gedanken Sandra. In erster Linie kostet es mich ein paar Anrufe, um das Ganze zu organisieren. Das andere regele ich dann im Nachgang mit Kai. Denn so wie ich jetzt gerade andere anrufe, die mir einen Gefallen schulden, werde ich ihn irgendwann mal anrufen. Und glaub mir. Er ist ein ziemlich begnadeter Arzt.
Aber keine Sorge Sandra, es ist nichts, was gefährlich oder böse ist."
Diese Worte waren eher an mich, als an Sandra gerichtet. Ich kam mir vor wie Faust, als ihm klar wurde, wo der Pferdefuß an seinem mephistophelischen Pakt war.
Normales Schmerzmittel, starkes Schmerzmittel, ein leichtes Schlafmittel, orales Antibiotikum, Breitbandantibiotikum als Infusion, Cortison, Zugangsmaterial, Spülflüssigkeit, Fentanyl -- Pflaster (ein sehr starkes Schmerzmittel zur Dauerbehandlung). Ich hatte nach kurzem Suchen quasi alles beisammen, um Melissas Behandlung weiter bis zum Krankenhaus zu überbrücken. Aber viel Zeit durfte ich mir nicht mehr lassen.
Und so wandte ich mich an sie, während Marius, gefolgt von Sandra, zum Telefonieren wieder kurz ins Wohnzimmer verschwand.
Elke blieb bei uns und ich erklärte Melissa die ersten Schritte der späteren Behandlung im Krankenhaus. Dazu musste sie noch ein starkes Schmerzmittel einnehmen.
Dann kehrten auch schon die anderen aus dem Wohnzimmer zurück. Sandra grinste feist über beide Backen, während sie sich setzte.
„Melissa, du ahnst es nicht. Marius hat alles in die Wege geleitet. In zwei Stunden kommt eine Limousine, packt alle ein, setzt die Lütten bei meinen Großeltern ab und startet durch nach Hamburg.
Als ich meine Eltern angerufen und ihnen das mit dem Quiz bei HR3 erzählt habe, dachte mein Vater erst ich wollte sie verarschen.
Aber während ich mit ihm telefonierte rief bei meiner Mutter der Jörg Bombach von HR3 an und verkündete meiner ihr die Einzelheiten und die vielen Stationen der Musicalreise. Boooah, sind die happy!
Auch, dass ich obwohl ich gewonnen habe, jetzt nicht mitfahre, sondern die anderen vorlasse. Dafür darf ich die nächsten Tage mit Melissa bei Elke übernachten und Party feiern. Ich soll es aber nicht zu wild treiben!"
Verschwörerisch zwinkerte sie erst Elke, dann mir zu.
Mir wurde ganz anders. Im Geist summierte ich die gerade auflaufenden Kosten. Jörg Bombach -- das war doch der von der Quizshow im Hessenfernsehen... Stimmt, der ist einer der Programmdirektoren des HR. Wie zum Teufel hatte Marius denn das jetzt hinbekommen?
Ich löste meinen Blick von den Mädchen und drehte mich zu ihm hin. Er stand ganz entspannt im Türrahmen und beobachtete mit offensichtlicher Freude diesen Überschwang der Gefühle, dem sich die drei gerade hingaben.
Dann nickte er mir kurz unmerklich zu. Ich stand auf und folgte ihm in das Wohnzimmer. Wir setzten uns.
„Kai, da hast du dir ja drei Früchtchen angelacht. Nein, ich mein das ganz ehrlich. Die sind nett und herzerfrischend. Aber das mit Melissa. Die sieht ziemlich mies aus und baut gerade ab. Du solltest bald ins Krankenhaus."
„Sobald wir hier durch sind."
„Gute Einstellung. Das Problem mit Günther, hättest du wahrscheinlich mit der Polizei und den Ordnungsbehörden nicht so einfach lösen können. Der Typ ist brandgefährlich und seine beiden Kumpels auch. Alle selbst auf Droge. Die sind am Ende und wissen es auch. Wissen, dass sie nichts zu verlieren haben. Und das enthemmt. Da fallen auch noch die letzten Schranken. Die denken nicht mehr an morgen. Nur noch an Orgie, Gaudi, den nächsten Schuss und glauben daran, dass es wohl irgendwie so weitergehen wird, wie immer... Egal was sie tun."
Er steckte sich eine weitere Zigarette an und nahm einen tiefen Zug. In Gegenwart der Mädchen hatte er nicht geraucht.
Ich konnte nicht widerstehen: „Jörg Bombach?"
Marius lachte leise und senkte etwas seine Stimme.
„Der heißt in Wirklichkeit Martin und ist unser IT-Spezialist. Er hat eine Stimme wie „Bombi" Bombach und mit jedem Anruf werden immer auch passende Informationen gesendet, wie beispielsweise Telefonnummern. Das kann man manipulieren. Es sieht dann so aus, als ob gerade eben der hessische Rundfunk bei dir angerufen hätte. Wir hinterlassen für „Problemfälle und Eventualitäten" zwei Telefonnummern mit Ansprechpartnern und schon läuft alles am Radiosender vorbei und wirkt gnadenlos echt. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht aufs Maul. So schafft man sich elegant jemanden für ein paar Tage aus dem Weg."
„Klingt so, als wenn du das nicht zum ersten Mal gemacht hättest. Nur auf den ersten Blick simpel, ist es aber wahrscheinlich eine Heidenarbeit gewesen, bis die Logistik irgendwann mal gestanden hat. Ich komme selbstverständlich für die entstehenden Kosten auf."
„Unsere Chapter in Hamburg und Stuttgart haben dafür sogar eigene Beauftragte am Start, die gute Plätze in Hotels und Musicals blockieren, damit die anderen bei Bedarf darüber verfügen können. Manche Menschen stehen eben nicht auf Geld. Aber ein kleiner Kurztrip und sie sind für vieles aufgeschlossen, was wir vorzuschlagen haben."
„Marius, Ich komme mir gerade wie Doktor Faust vor, dem Mephisto gerade so seine Schliche darlegt, mit denen er die armen Seelen fängt. Nochmals: Ich komme gerne für die Kosten auf! Ehrlich gesagt fühle ich mich, bei dem was du da gerade für mich - für uns - machst, ziemlich unwohl. Ich habe so die stille Befürchtung, dass ich bald „Angebote" bekommen werde, die ich nicht ablehnen kann."
„Nein, das übernehmen wir alles. Und was ich gerade zu den Mädels sagte, habe ich ernst gemeint. Wir werden nichts von dir verlangen, was du sowieso nicht schon tust oder getan hast. Unterschätze deinen Wert nicht. Einen zuverlässigen Verbündeten im Krankenhaus zu wissen, der obendrein auch noch Chef der Ambulanz ist... und der einem nicht sogleich abweisend gegenübersteht, sich Mühe gibt und sich anstrengt... Einen, der mal etwas als Unfall deklariert, was eigentlich kein Unfall ist... Das ist sehr, sehr viel wert. Einen guten Arzt kann man immer gebrauchen. Und das kann mitunter auch regelrecht lebensentscheidend sein. Eine im Auftrag der Polizei genommene, dusseliger Weise fehlerhafte und damit rechtlich anfechtbare Blutprobe, kann auch mal Gold wert sein.
Ehrlich gesagt kann das einen Musicalbesuch, mit Wochenende für vier Personen, allein mitunter schon mehr als aufwiegen. Irgendwann werden wir dann quitt sein."
Er nahm wieder einen tiefen Zug und schnipste die Asche nachdenklich in den bereitstehenden Aschenbecher.
„Mit Günther werden wir jetzt zweigleisig fahren. Ein Team wird bei Melissas Wohnung warten, um ihn abzufangen und ein Team in der Wohnung von Sandras Familie. Ich schätze, morgen um diese Zeit sollten wir ein paar Schritte weiter sein."
„Was werdet ihr mit ihm anfangen? Und wie wird es dann weiter gehen?"
„Wie hast du es gerade so treffend formuliert, Kai... Wir werden ihm ein Angebot machen, dass er nicht ablehnen kann... Ich liebe diese Szene auch. Marlon Brando war als „der Pate" einfach grandios.
Wir werden eine gute Lösung für Melissa, ihre Freundinnen, dich und, wenn noch möglich, auch für Melissas Mutter finden."
Ich nickte zustimmend, doch nachdenklich.
„Mach dir keine Sorgen. Wir bleiben in Kontakt und ich melde mich bei Dir. Jetzt muss ich aber los. Andere Probleme warten auf Lösungen. ... Auch ein guter Job... Problemlöser."
Wir verließen das Wohnzimmer und gingen ins Treppenhaus. Die Mädels plauderten in der Küche ausgelassen und lachend über irgendein Thema. Marius nickte mir zu und zeigte auf den Ausgang.
„Ich sehe sie bald wieder. Lass sie noch ein wenig giggeln. Das Leben wird sie leider noch früh genug einholen. Ich will sie jetzt nicht aus der Stimmung reißen."
Und so begleitete ich Marius zum Hoftor und wir verabschiedeten uns mit festem Händedruck. Hatte ich wirklich eine andere Alternative? Wenn, dann sah ich sie gerade nicht.
Aber nun war er war also geschlossen -- der Pakt mit dem Teufel.
„Whow! Wie im Märchen. Und wie das riecht. Toll!"
„Jepp Sandra, das ist auch die Idee. Einmal Seele baumeln lassen und relaxen." Ich blieb im Türrahmen stehen und genoss das Staunen in Sandras Gesicht.
„Mach dich nicht so breit. Ich will auch noch hier rein." Elke lachte und schubste mich leicht ins Bad.
„Jetzt noch der Sekt, wir stoßen zusammen an und ich überlasse die Damen den Freuden der heißen Quelle.
Sandra, hier ist die Fernbedienung. Da kannst Du die unterschiedlichen Programme wählen, mit diesem Regler die Härte der Massagedüsen und mit dem anderen die Luftbläschen. Viel Spaß gleicht beim Ausprobieren. Du hast die Macht."
Elke baute die Sektgläser vor mir auf dem Tablett auf.
„Der Herr will kneifen?"
„Ich habe Angst, dass wir etwas lostreten, das wir nicht mehr stoppen können..."
Mit lautem Ploppen war die Flasche Sekt entkorkt und ich schenkte ein.
„Was soll denn da noch Intimeres passieren? Du hattest einen Orgasmus und ich hatte einen.
Und was für einen. Und heute Nacht schlafe ich sowieso wieder bei Dir."
Sie nahm sich ein Glas Sekt und reichte es Sandra.
„So, das Glas ist für dich Kai... Und jetzt trinken wir auf den heutigen Abend.
Darauf, dass es Melissa hoffentlich bald besser geht.
Darauf, dass diese Typen bald keine Gefahr mehr darstellen.
Darauf, dass mit deiner Familie alles glatt geht, Sandra.
Darauf, dass ich bald wieder in meine Wohnung zurück kann.
Aber auch nicht zu schnell!" Elke zwinkerte mir zu.
„Und darauf, dass wir heute all den Stress hinter uns lassen."
„Prost."
Wir stießen an. Der Sekt war gut. Ein Halbtrockener.
Dann stellte Elke das Glas ab und begann sich langsam auszuziehen. Dabei sah sie mich an.
Sie wollte, dass ich ihr genau dabei zusah.
Sie zog den Sweater über den Kopf und ich konnte ihre wunderschönen Brüste sehen. Klein, aber wohlgeformt und mit großen Knospen.
Dann zog sie ihre Socken aus.
„Gut. Überzeugt." Mir war jetzt alles egal.
Die Leggins und zum Schluss den Slip.
Elke war eine groß gewachsene, schlanke Blondine mit naturblondem, fast goldenem Haar. Ihre Scham war nur spärlich behaart. Sie hatte große Lippen.
Ihre Haut war etwas dunkler und sie hatte einige Sommersprossen.
„Gefällt dir was du siehst?"
„Ganz ehrlich.
Du gefällst mir sehr."
„Sehe ich, Kai! Er steht schon wieder!"
Ich sah an mir herunter. Dann schaute ich zu Sandra. Ihr Blick schwankte etwas zwischen Unsicherheit und Entschlossenheit. Was wollte sie? Und was nicht?
„Vielleicht sollte ich euch zwei..."
„Nein Kai, ich möchte auch, dass wir zu dritt baden. Was heute passiert, passiert."
Das Aroma des Bades stieg mir in die Nase. Die Mädels wollten also das Spiel mit dem Feuer. Nun, verbrennen würde sich hier und heute niemand.
Vielleicht aber entflammen.
Und genau davor hatte ich eben so meine Bedenken und Ängste...
Bindungsangst...
Verlustangst...
Eben die Befürchtung, mich selbst zu belügen.
Aber mit erneutem Blick auf Elke und Sandra waren jedwede Zweifel mir nunmehr so was von egal!
Quasi meinen Entschluss für mich selbst unterstreichend, trank ich den Rest Sekt in einem Zug aus und stellte das Glas auf das Tablett, alles Hemmende symbolisch bei Seite schiebend.
Langsam begann ich mich auszuziehen, beinahe schon bewusst ein wenig posierend.
Gut, ich war jetzt kein Adonis - weder gut durchtrainiert mit Waschbrettbauch oder Leonardo-Di-Caprio-Lächeln ausgestattet...
Aber ich war mit mir zufrieden und deswegen genierte ich mich auch keineswegs, als ich mich bewusst, die erotische Komponente betonend, langsam und Stück für Stück vor den beiden Grazien entblätterte.
„Boah, du brauchst ja ewig! Willst du dich jetzt feiern lassen?"
Mit eindeutig neckendem Unterton tauchte Elke langsam in die wohlig-warmen Fluten ein, ohne allerdings ihren Blick von mir zu wenden.
Sie hatte mich durchschaut.
Doch auch Sandra ließ mich nicht aus den Augen.
Um die Spannung zu steigern, zog ich, mit dem Rücken zum Pool, als letztes meine Short aus.
Ich hatte eine Erektion.
Natürlich.
Ich war geil.
Langsam drehte ich mich um. Elke gab mehr als nur bereitwillig den Einstieg frei und rutschte zum anderen Ende.
Ich betrachtete sie ganz direkt. Sie sah wirklich toll aus, lächelte mich an und schien ausgiebig zu genießen, dass ich sie so offen bewunderte.
Langsam ließ ich mich ins wohltemperierte Wasser gleiten und gesellte mich neben sie.
„Elke, du siehst ziemlich phantastisch aus. Hat dir das mal jemand gesagt?"
„Du noch nicht. Andere schon."
Sie grinste mich an.
„Aber von denen wollte ich es nicht hören."
„Ich bin jetzt so langsam wirklich scharf."
„Sehe ich!
Ich aber auch - auf mehr von dem gerade."
Sie drehte leicht den Kopf.
„Sandra? Wir warten auf dich!
Kommst du?
Dann kann´s endlich losgehen."
Sandra wusste, dass sie jetzt an der Reihe war.
Ehrlicherweise dachte ich mir fast, sie würde kneifen.
Doch das tat sie nicht.
Schnell und so, als ob sie nach zwei Stunden Training jetzt unverzüglich dringendst unter die Dusche müsse - so hastig schlüpfte sie in Sekunden aus ihren Sachen, ließ sie scheinbar achtlos zu Boden fallen und stieg als Dritte in die Wanne.
„Und? Gefalle ich dir auch?"
Ein wenig verhalten stand sie jetzt im Einstiegsbereich des Whirlpools vor uns, das Wasser knapp zwei Handbreit über ihren Knien.
Da war er wieder -- dieser Wechsel aus Wagemut und Schüchternheit, den ich bei Sandra so bezaubernd wie unschuldig fand. Irgendwie war sie einfach süß.
Und sie war nicht nur körperlich, sondern auch vom Wesen her ganz anders als Elke.
Wunderschön!
Keine zierliche Elfe, eher fraulich: Ihr leicht rundliches Gesicht war geprägt von einer Stupsnase, goldbraunen, ausdrucksstarken Augen, dem Grübchen am Kinn und wurde von langen hellbraunen Haaren umrahmt.
Sie sah mich erwartungsvoll und auch ein klein wenig unsicher an. Es war, als würde ich sie zum ersten Mal ganz bewusst wahrnehmen -- als Frau und eben nicht als Vampirette oder Teen.
Ihre Haut war eher etwas dunkler. Sie hatte im Vergleich zu Elke wesentlich vollere Brüste mit großen Mamillen, auch ein kleines Bäuchlein und ein ausgeprägtes Becken.
Aber das passte sehr gut zu ihr.
Lange braune Locken umkränzten und bedeckten ihre Scham.
Ich ergriff ihre Hand. Meine Stimme war etwas belegt.
„Komm, setz dich endlich zu uns."
Sachte zog ich sie in den Sitz neben mich. Das Wasser schwappte ein wenig, aber es gab keine Gefahr einer Überschwemmung.
„Du hast ihre Frage noch nicht beantwortet, Kai."
Elke legte ihre Hand locker auf meinen Oberschenkel.
„Spricht mein Gesicht nicht für mich?"
„Nein..."
„Sandra, du bist eine wahre Schönheit!
Und du kannst wirklich stolz auf dich und deinen tollen Körper sein."
Sie strahlte mich an.
„Du musst wohl noch ein wenig üben, Kai?
Eingerostet?
Das kannst du doch noch besser, oder?
Hey, das ist Sandra, unsere Sandra!"
Elkes Hand umfasste meinen Schaft und wichste ihn zwei, drei Mal.
„Vorsicht, Vorsicht, Elke! Kai ist ganz verlegen."
„Nein, ist er nicht. Schau mal!"
Provokant wichste sie weiter, Sandra kam näher und sah genau hin.
Wie der sprichwörtliche Hahn im Korb saß ich eingepfercht zwischen den beiden und musste mich zunehmend beherrschen, das Wasser nicht vorschnell einzusauen.
Sandra schmiegte sich vorsichtig an mich.
Ich drehte mich ein wenig und schaltete auf Sprudelautomatik.
Wie erwartet, verschaffte mir das einen Moment Verschnaufpause. Die Blasen waren auf sanften Massagemodus gestellt, sehr klein und kamen von quasi überall her -- vor allem aber kamen sie überraschend für meine beiden Grazien.
„Whow! Ist das cool."
Elke ließ für einen kleinen Moment ab.
„Das ist voll cool, Kai."
Sie streckte sich ein wenig aus. Hier war genug Platz.
Sandras Augen waren geschlossen. Jetzt lag dafür ihre Hand auf meinem Oberschenkel. Noch ein wenig unsicher, ging sie langsam auf Wanderschaft - und fand ihr Ziel.
Ganz zart, fast spürte ich es kaum, umschloss ihre Hand meinen Schaft.
„Das ist sehr schön, Sandra!"
Ich drehte mich zu ihr hin, nahm ihren Kopf und küsste sie ganz sacht auf dem Mund.
Sie versteifte sich etwas. Ihre Hand war jetzt wo anders.
Fast hatte ich Angst, zu schnell gewesen zu sein, als sie begann, den Kuss zu erwidern und mich zu sich hinzog.
Ich lag komplett auf ihr und fühlte, wie mein Glied zwischen ihren sich schließenden Schenkeln verschwand.
Ihre Augen waren geschlossen und mein Kuss wurde fordernder. Fast gleichzeitig öffneten wir unsere Münder und die Zungen begannen zu tanzen.
Es war ein wenig schwierig, mich hier im Whirlpool abzustützen und die Position zu halten. Aber irgendwie schaffte ich es dennoch, mit der linken Hand ihre Brust zu liebkosen.
Sandra war wie ein Vulkan, der gerade erwacht war.
Dachte ich anfangs, dass sie die zärtlichere von beiden war, musste ich mich schnell revidieren.
Sandra bewegte Becken und Oberschenkel und mein Prachtstück bewegte sich automatisch mit ihr. Ich löste den Kuss und wanderte mit dem Mund direkt zu ihrer Brust. Sie setzte sich etwas aufrecht. Meine Lippen stülpten sich über ihre große Warze, die sich mir schon erwartungsvoll entgegenwölbte.
Sandra presste sich mit dem Oberkörper gegen meinen Kopf. Ich drehte mich mit dem Körper etwas von ihr weg und nahm so eine stabilere Position ein. Gar nicht so einfach, derartige Spiele unfallfrei in einem Whirlpool zu machen.
Zielsicher fuhr meine Hand zwischen ihre Beine.
Sandra quittierte dies mit einem tiefen gutturalen Seufzer.
Sie drückte ihr Becken nach vorn und mein Finger rutschte ein wenig in ihren Eingang. Elke hatte sich auch eingeschaltet und wichste, von hinten kommend, wieder mein Glied.
Es klingelte.
„Oh ne, jetzt nicht wirklich! Das ignorieren wir einfach, Elke!"
Ich verwöhnte Sandra weiter.
Es klingelte wieder - Die Stimmung war dahin.
„Wer kann um diese Uhrzeit noch was von uns wollen?"
„Keine Ahnung, Sandra."
Mein Blick fiel auf das Sideboard. Das Handy lag da und war ruhig.
„Vielleicht was Wichtiges?"
Ich seufzte.
Es klingelte wieder.
„In jedem Fall gibt da jemand nicht auf."
Ich stand auf, stieg aus der Wanne und krallte mir ein Handtuch.
Die Mädels schauten mich fragend an.
„Etwas mit Melissa?"
„Der Gedanken kam mir auch kurz, Elke, aber das Krankenhaus oder Melissa -- die hätten beide angerufen."
Ich ging ans Fenster und öffnete es.
Ein Schwall frischer, kalter Luft kam mir entgegen.
Meine Prachtlatte war in sich zusammengefallen. Ich überdeckte das nasse, „kleine Elend" mit meinem Handtuch.
Etwas aus dem Fenster gebeugt, konnte ich die Harley im Schein der Straßenlaterne auf der gegenüberliegenden Seite sehen.
Mein Samsung meldete sich genau in diesem Augenblick.
„Komme schon! Ich habe gerade dein Bike gesehen. Bin im Bad. Ziehe mir kurz noch was drüber und bin gleich bei dir."
Ich sah zu den Mädels.
„Marius -- aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Ihr bleibt erst mal hier und genießt den Pool. Ich gehe schnell runter und bitte ihn ins Wohnzimmer."
„Kann der nicht, wie jeder andere Mensch auch, einfach anrufen?"
„Nein, Elke, will er nicht. Er arbeitet ja nicht so ganz legal. Da will und kann er nicht alles am Telefon sagen!"
„Denke ich auch, Sandra."
Ich zog meine Boxershorts wieder an und warf mir meinen Bademantel über.
„Tut nichts, was ich nicht auch täte."
Elke lachte.
„Ich hab da so eine Idee."
„Bleibt anständig!"
„Wie du?"
Ich setzte einen kleinen Schmollmund auf, Sandra räkelte sich provokativ zum Abschied und strich demonstrativ liebkosend mit den Händen über ihre Brüste.
Ich schloss die Tür und ging zum Hoftor.
---
Wir hatten uns in die Küche gesetzt und ich kochte uns einen Kaffee.
„Das nenne ich mal sehr gute Nachrichten, Marius."
„Denke ich auch."
„Wie hat er reagiert?"
„Sie waren zu zweit. Er wollte seine Pistole ziehen. Dann bekam er das große Zittern: Elektrotaser...
Sein Kumpel hatte ein Messer, aber so ein Teleskopschlagstock kann überraschend durchzugsstark sein."
Ich nickte.
„Mir war nach all dem, was die Mädels erzählt haben fast klar, dass die nicht einfach so klein beigeben würden."
„Ja. Die verhielten sich überhaupt nicht rational! Vier Typen in Angels-Kutten und die beiden Idioten wollten anfangs einfach nicht begreifen, dass das automatisch bedeutet, im Zweifel unser ganzes Chapter gegen sich zu haben."
Marius nippte an seinem heißen Kaffee.
„Der ist gut." Anerkennend nickte er.
„Also, die Mädels müssen sich keine Sorgen mehr machen. Wir mussten ihnen gar nicht groß wehtun -- die Örtlichkeit war ausreichend! Wir haben einen kleinen Folterkeller und als sie da so an der Wand hingen und unsere ganzen Spielsachen aus der Nähe betrachten konnten..."
„Will ich das jetzt wirklich wissen?"
Marius grinste mich an.
„Mehr Schein als Sein. Inspiriert von dem Foltermuseum in Rothenburg ob der Tauber. Das ist nur Show und manchmal wandelbare Kulisse für ´nen Privatporno.
Gibt eine Menge Typen und Frauen, die auf diesen Mittelalterscheiß stehen -- vor allem, wenn es wirklich schön stilecht ist. So von wegen Rollenspiele und SM."
Er nahm noch einen Schluck.
„Die Typen werden die Mädels nicht mehr behelligen. Und mit Melissas Mutter lassen wir uns noch was einfallen. Sie ist jetzt „frei".
Günther war eh mehr an Melissa interessiert, als an dieser abgehalfterten Junkie- Nutte."
„Junkie-Nutte" klang hart, entsprach aber wohl der ungeschminkten Wahrheit.
Als Mutter hatte sie wohl gnadenlos versagt.
Ich nickte.
„Mein Vorschlag: Wir packen sie in eine dieser harten Entzugskliniken - ich hab da so meine Verbindungen - und danach bringen wir sie in einem Einstiegsprogramm für ehemalige Schwerstabhängige unter."
Marius trank noch einen Schluck Kaffee.
„Mal ehrlich, Kai. Ich weiß nicht, ob sie sich so eine Chance wirklich verdient hat. Aber ich denke, dass Melissa -- auch wenn sie ihre Mutter jetzt hasst -- sich irgendwann später einmal besser fühlen wird, wenn das zumindest versucht worden ist. Wer weiß, vielleicht kriegt sie ja noch die Kurve und versteht in ein paar Jahren, was sie sich und dem Mädel angetan hat."
„Ich würde es gern glauben. Als Arzt bin ich da aber pessimistischer. Solche Menschen suchen immer nur die Schuld für alles Böse in der Welt bei den anderen, nie bei sich selbst. Und wenn sie wieder in eine Problem- oder Konfliktsituation kommen, folgt nur allzu oft der erneute Absturz."
„Wird wahrscheinlich auch so kommen. Aber du kannst zumindest sagen, dass es versucht worden ist. Melissa wird sich in zwanzig Jahren nichts vorwerfen müssen. Es ist wichtig, dass sie irgendwann wieder in den Spiegel sehen kann."
„Sie kann am allerwenigsten dafür."
„Da hast du Recht, Kai! Aber als Arzt weißt du auch, dass das eine rationale Denkweise ist! Menschen mit einem Schicksal wie Melissa denken oft irrational und machen sich selbst im Nachgang für Dinge verantwortlich, für die sie am allerwenigsten können... Und manchmal zerbrechen sie daran."
„Gut, wenn du das organisieren könntest?"
„Wird gemacht! In zwei, drei Tagen verschwindet Melissas Mutter erst mal für rund drei Monate von der Bildfläche. So lange dauern der Entzug und das „Cleaning Of System". Während dieser Zeit -- keine Kontakte. Aber ich denke, Melissa will jetzt eh erst mal nichts von ihrer Mutter wissen."
„Glaube ich auch, Marius."
„Sandras Eltern kommen bald aus Hamburg zurück. Das Leben geht weiter.
Und ich hoffe, Elkes Eltern sind passend versichert."
„Die haben Geld. Und Elke wird sich freuen, die Wohnung neu einrichten zu können."
„Aber wird sie sich dort wieder wohlfühlen? Ich kenne Menschen, bei denen eingebrochen worden ist, die haben echt Probleme damit, wieder in ihrer Wohnung zu leben -- vor allem alleine."
Ich sah Marius beinahe schon bewundernd an.
„Marius, für so einen harten Hund, hast du verdammt viel Einfühlungsvermögen."
„Du meinst, weil ich mein Geld im Rotlichtmilieu und mit eben solchen Dingen verdiene? Ich habe das alles auch schon selbst mal gemacht und kenne auch die andere Seite -- die des Opfers. Ich bin wirklich kein Engel und darf das in meiner Position auch nicht sein. Aber ich versuche authentisch zu bleiben und bei all dem Scheiß, der uns umgibt und für den ich eindeutig auch mitverantwortlich bin, auch ein wenig menschlich.
Man kann auch mit Menschlichkeit und etwas Menschenfreundlichkeit in meinem Business erfolgreich sein. Die Mischung ist das Geheimnis."
Er nahm einen letzten Schluck.
„Jetzt aber genug. Ich rede mich hier sonst um Kopf und Kragen. Keine Schwäche zeigen..."
Er lachte.
„Ich fahre dann mal wieder. Kai, wir bleiben in Kontakt."
Marius stand auf. Wir drückten uns freundschaftlich die Hand und ich begleitete ihn hinaus.
Gut, dass er nicht nach den beiden Mädels gefragt hatte! Aber ich glaube, Marius ahnte mehr, als er es zeigte... oder zeigen wollte.
Ich hatte alles, nur kein Pokerface. Und ich war für Menschen wie ihn sicherlich ein offenes Buch. Ich machte mir keine Illusionen. Der Tag würde kommen, wo er mir die Rechnung für all das präsentieren würde.
Ich hoffte nur, dass ich die auch begleichen konnte, ohne mich und meine Werte selbst zu verraten.
Er schwang sich auf seine Harley und knatterte davon.
Ich stand mit meinem Bademantel im offenen Hoftor und spürte die Kälte.
Ein heißes Bad...
Zwei heiße Mädels...
Ich schielte unwillkürlich hoch zum Badezimmerfenster.
Das Licht brannte.
Und ich war mir sicher -- Elke und Sandra platzten vor Neugier.
---
Das Bad war leer - ich staunte nicht schlecht.
Ich öffnete die Tür zum Gästezimmer -- Fehlanzeige.
Das Zimmer meiner Eltern -- Fehlanzeige.
Etwas verfroren stieg ich die Treppe zu meinem Zimmer rauf.
Ein leichtes, nur mühsam unterdrücktes Stöhnen war hinter der verschlossenen Tür zu hören.
Ich öffnete sie leise. Wohltuende Wärme schlug mir entgegen. Mein Kamin brannte wieder.
Sandra lag nackt und mit gespreizten Beinen auf dem Bett.
Elke lag halb über ihr und bearbeitete eine Brust mit der Zunge. Die Finger pflügten durch Sandras Möse. Ihre Augen waren geschlossen und der Körper bewegte sich.
„Bequemt sich der Herr jetzt endlich auch zu uns." Elkes Nuscheln war kaum zu verstehen. Sandra reagierte nicht.
Ich trat in das Zimmer, schloss die Tür und zog mich aus.
Ich wachte auf und -- nein, ich träumte nicht.
Halb zwölf, ein schneller Blick auf die Uhr, hatte ich wirklich so lange geschlafen?
Was war nicht alles schon in diesen beiden Tagen passiert?!
Und was würde vielleicht noch alles passieren?!
Ich lag in meinem Bett.
Völlig nackt.
Neben mir an mich gekuschelt, schlummerte Sandra, tiefenentspannt und so, wie Gott sie schuf.
Elke war wohl schon unten in der Küche zu Gange. Wenn ich die schwach zu uns heraufdringenden Geräusche und die mehr als nur appetitlichen Gerüche richtig deutete, kochte sie gerade wohl etwas ziemlich leckeres.
Ich war irgendwie platt. Die letzten Tage forderten ihren Tribut.
Aber ich war auch zufrieden wie schon lange nicht mehr. Ob das auch daran lag, dass der „Druck aus dem System" raus war?
Drei Mal war ich in der letzten Nacht gekommen. Wir hatten jetzt keinen „richtigen" Sex, weil uns gestern Nacht aufgefallen war, dass ich als alter Eremit leider keine Kondome im Haus hatte.
Aber heute stand definitiv neben dem Besuch von Melissa im Krankenhaus auch der Besuch eines Supermarktes auf der Agenda.
Außerdem eine Menge Organisatorisches wegen Elkes verwüsteter Wohnung. Wir wollten gemeinsam vor Ort wegen der neuen Einrichtung das Netz durchforsten. Auch Versicherung, Polizei und ein paar andere Sachen standen in dieser Richtung noch an. Sandra wollte auch noch in ihre Wohnung - zum Blumen gießen.
Der Tag war beinahe schon zu kurz für all diese Dinge, aber wer hetzte uns denn?
Carpe diem, carpe noctem!
Wir hatten ja auch wirklich noch den Abend und die ganze Nacht.
Mein kleiner Freund begann schon allein bei dem Gedanken an die kommende Nacht sich etwas zu regen.
Die Mädels hatten angekündigt, dass ich „fällig" sei -- oder vielmehr sie selbst...
Überhaupt, Sandra und Elke -- es war spannend und zugleich auch etwas völlig Neues für mich, die beiden zusammen zu beobachten als bei mir in der Nacht irgendwann die „Luft" raus war. Ich lächelte unwillkürlich.
Sie hatten „es" wohl vorher auch noch nie miteinander getan.
Aber gerade Elke schien es zu genießen, wenn Sandra unter ihren Fingern „abging"!
Und wie Sandra abgehen konnte...
Ich hatte mich aufgesetzt und bewunderte sie ausgiebig.
Sandra räkelte sich im Halbschlaf und drehte sich auf den Rücken. Dabei rutschte die Decke und gab den Blick auf ihren wohlgeformten Oberkörper frei.
Ich konnte nicht widerstehen: Vorsichtig liebkoste ich mit meinen Lippen ihren rechten Nippel, der sich sofort zusammenzuziehen begann.
„Aah, schööön." Langsam öffnete sie die Augen.
„Kai, muss mal!" murmelte sie.
„Dann musst du leider aufstehen."
„Will aber nicht! Was riecht hier so lecker?"
„Ich denke, Elke tobt sich in der Küche aus."
„Hab Hunger."
Ich musste grinsen.
„Ich auch. Müssen wir halt beide aufstehen."
„Mist. Hatte ich schon fast befürchtet. Na, dann komm Kai, stehen wir auf."
Sandra glitt aus dem Bett, warf dabei die Wasserflasche um, die unter das Bett kullerte und dem Klang nach leer war... sie drehte sich zu mir um.
Ihr Schambereich war von den Säften der Nacht total verklebt.
„Erst mal Dusche." Frech grinste sie: „Kommst du jetzt endlich?"
„Ich denke, du musst auf die Toilette."
„Und? Interessiert?" Sie lächelte kokett.
„Du musst mir den Rücken schrubben ... Und vielleicht noch etwas mehr."
„Hast du heute Nacht noch nicht genug bekommen?"
„Heute Nacht? War da irgendetwas?"
„Nimmersatt!"
Sie reichte mir lachend die Hand, ich rutschte an den Bettrand und wir standen auf.
So durfte von mir aus jeder neue Tag beginnen!
---
„Mmmh, sehr lecker!"
Elke hatte eine Lage Eierpfannkuchen mit Speck, Champignons, Zwiebeln und Käse gezaubert, die wir mit Heißhunger und bisher schweigend in uns hinein mampften. Sandra und ich saßen in unseren Bademänteln am Küchentisch. Elke war bereits angezogen.
Die Mädels hingen ihren Gedanken nach. Seit vergangener Nacht war zwischen ihnen alles irgendwie anders. Beinahe ängstlich wichen sich ihre Blicke aus - kein Wunder!
Heavy Petting und dann gleich noch als flotter Dreier mit der eigenen Cousine und einem fast fremden Mann!
Ein Ausflug in das Neuland der gleichgeschlechtlichen Sexualität - Die Spannung zwischen den beiden war greifbar und knisterte fast!
„Hast du eigentlich auch schon geduscht, Elke?"
„Natürlich! Gleich als erstes. Hat ja alles geklebt - Dank unserem „Mr. Loverlover"...
Hat mich ja gestern vollgespermt!" Sie grinste frech.
„Aber leider musste ich im Gegensatz zu euch alleine duschen. Ich hoffe, du hast bei ihm noch etwas Kraft für heute Abend übriggelassen, Sandra?"
„Er hat mich gar nicht dazu kommen lassen."
„Ich habe stattdessen sie kommen lassen", mischte ich mich lachend ein.
„Sandra, Sandra. Stille Wasser sind tief."
„Ha, ha, ha! Fühlt sich halt wirklich toll an, so ein Orgasmus."
„Da ist wohl gerade jemand auf den Geschmack gekommen."
„Und damit ist sie garantiert nicht allein", steuerte ich flachsend bei.
„Ist halt nicht selbstgemacht. Fühlt sich ganz anders an."
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„Ernsthaft, du siehst ziemlich gut aus!"
Wir waren gegen halb drei mit frischem Kuchen vom Bäcker bei Melissa im Krankenhaus aufgeschlagen. Sie war ein wenig blass um die Nase, hatte dunkle Augenränder und durfte noch nicht aufstehen.
Ihre Stimme war etwas heiser und sie klagte über einen rauen Hals, klassische Folgen der Intubation. In weiser Voraussicht hatte ich eine große Dose Ricola für sie im Gepäck.
Für dass, was sie durchgemacht hatte, sah sie wirklich ziemlich gut aus.
„Also, wann kann ich hier raus?"
„Morgen schauen wir mal, wie die Laborwerte aussehen und dann kannst du am Mittwoch vielleicht schon wieder nach Hause."
„Nach Hause will ich aber nicht."
„Ich meine ja auch zu mir."
„Du meinst wohl zu uns. Ich bin doch gerade auch noch eine Heimatvertriebene", mischte sich Elke, noch mit einer gehörigen Portion Apfelkuchen im Mund, nuschelnd ein.
„Gut, zu uns."
„Was habe ich alles verpasst?"
Wir drei warfen uns anscheinend gegenseitig einige eindeutig zweideutige Blicke zu.
„Wohl so einiges?"
„Kaminfeuer, Game of Thrones, lecker Essen..."
Sabine fing gerade an, wohl ein wenig zu euphorisch alles aufzuzählen.
"Und weiter?"
"Whirlpoooool..."
"Und weiter?"
Melissa ließ nicht locker.
"Na ja, auch Petting..."
"Klingt, als würde ich gerade wirklich was verpassen. Aber ich kann leider im Moment sowieso nichts mit Whirlpool anfangen und sexuell werde ich wohl auch eine kleine Auszeit nehmen ..." meinte Melissa niedergeschlagen.
„Hey, Kopf hoch, Kleine. Kannst du bestimmt bald wieder."
Elke sah Melissa aufmunternd an.
„Willst du vielleicht auch bald wieder."
Melissa schüttelte traurig ihren Kopf.
„Ne, ne! So schnell nicht mehr. Hab ich jetzt erst mal genug von."
„Sexuelles" - ein schlechter Themenkomplex für Melissa im Moment, dachte ich so bei mir und nahm mir vor, mit den beiden Mädels mal kurz darüber zu sprechen.
Auf der anderen Seite -- konnten wir die aktuellen Entwicklungen vor ihr verbergen? Und wollten wir das überhaupt? Oder vielmehr ich...
Nur, wie würde es sein, wenn wir munter ins Schlafzimmer zum „Vögeln" zogen oder es gleich im Bad, in der Küche oder im Wohnzimmer taten... direkt neben Melissa?
Das sie bald zu mir kam, würde alles schwieriger machen. Oder auch nicht.
Wahrscheinlich machte ich mir -- wie immer -- viel zu viele Gedanken. Ich sollte es einfach auf mich zukommen lassen!
„Habe ich sonst noch was verpasst? Was macht Marius?"
„Nun, Marius war gestern bei uns. Seine Truppe hatte wohl mit Günther ein „psychologisch integratives Gespräch". Fakt ist, dass der jetzt wohl kein Problem mehr darstellt."
„Du Kai, ich glaub da nicht dran. Ich kenne ihn besser!"
„Melissa, ich kann dir nur sagen, was mir Marius gesagt hat."
„Ich finde auch doof, dass der jetzt so „einfach" davonkommt, Melissa!
Ich hab mir mehr von Marius versprochen." Elke spürte, dass Melissa etwas frustriert darüber war, dass alles jetzt „so schnell" vorbei sein sollte. Keine „Konsequenzen"... Günther würde wohl weiter nichts „erleiden"...
Keine Rache, keine Revanche und auch keine anderen Auswirkungen.
Melissa spürte dagegen die „Auswirkungen" von Günthers Tun nach wie vor sehr wohl.
Elke sah sich ein wenig resigniert um. Der „Sieg" hatte, nicht nur ihrer Ansicht nach, einen etwas zu faden Beigeschmack.
Ich musste etwas nachlegen, um alle etwas versöhnlicher zu stimmen. Es lief in der Realität halt doch nicht so ab wie in Hollywood -- mit Rache, literweise Blut, Tod und befriedigten Helden in schmutzig -- zerrissenen, vormals weißen T- Shirts á la „Stirb Langsam".
„Ich denke, Marius sagt mir nicht alles. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er vielleicht auch gerade wegen Günthers Kunden noch das eine oder andere unternehmen wird."
„Wäre gut, wenn auch der Arsch richtig dafür leiden darf!", erwiderte Elke an Melissas Stelle.
Ich beschloss, besser einen neuen Punkt anzusprechen:
„Melissa, wegen deiner Mutter..."
„Die ist mir egal."
„Weiß ich. Hast du gesagt. Aber Marius wird dafür sorgen, dass sie clean wird."
„Hat sich schon ein paarmal erfolglos versucht."
„Marius wird sie wohl in einer Privatklinik unterbringen, wo sie ein paar Monate völlig von der Außenwelt abgeschottet leben muss."
„Ich glaube nicht, dass ihr das hilft. Sie will es ja selbst nicht."
„So etwas Ähnliches meinte Marius auch. Aber er sagte auch, dass es wichtig wäre, es dennoch zu versuchen."
„Warum?"
„Wegen dir, Melissa." Ich sprach so einfühlsam, wie möglich. „Wegen dir ... Irgendwann könnte es sein, dass es dir und ihr wieder besser geht. Dann werdet ihr miteinander reden müssen. Reden über all das, was passiert ist."
„Kai, denkst du ernsthaft, dass mich meine Mutter um Verzeihung bittet?"
Melissas Ton war so schneidend wie vorwurfsvoll. Ich schluckte kurz.
Für ein solches Gespräch war es gerade definitiv zu früh. Aber ich war in diese Falle in meiner Naivität hineingetappt. Als Arzt war ich in vielerlei Dingen erfahren, aber Gesprächsführung bei schweren Themen, da drückte ich mich gerne drum herum. Hier war aber niemand, an den ich diese Verantwortung jetzt abdrücken konnte. Nun, wer „A" sagt, muss auch „B" sagen. Da musste ich jetzt wohl durch.
„Melissa, vielleicht nicht sofort."
„Und denkst du ernsthaft, dass ich nach all dem...", sie zeigte auf ihren Körper, „... eine Entschuldigung von dieser Frau akzeptieren würde?"
„Ehrlicherweise nicht. Aber wenn sie versteht, was sie dir wirklich angetan hat und darüber nachdenkt und ehrliche Reue zeigt..."
„Was dann Kai?"
„Nicht heute, aber vielleicht in ein paar Jahren, wirst du dich wieder besser fühlen und vielleicht tun dir dann eine Aussprache und eine professionell geleitete Reflektion mit deiner Mutter gut."
„Mit einem Seelenklempner?"
„Mit professioneller psychologischer Begleitung."
Melissa sah mich durchdringend an.
Elke und Sabine waren völlig still. Die Stimmung war mit einem Mal deutlich angespannt und beinahe gekippt.
Melissa atmete tief durch.
Ich sah, dass sie ihren Ärger herunterzuschlucken versuchte.
„Kai, ich weiß, du meinst es gut. Und ich bin dir auch sehr dankbar dafür. Aber ich sag dir ganz deutlich: Wenn meine Mutter heute verreckt, an ihrer eigenen Kotze erstickt oder sonst irgendwie krepiert... Ich würde zwar nicht jubeln oder auf ihr Grab pissen... Aber ich wäre auch nicht traurig.
Und wenn das passiert, dann könnte ich mit all dem für mich abschließen... Denn dann müsste ich ihr nie wieder ins Gesicht sehen!" Sie schluckte.
„Vergiss nicht, Kai, sie hat bei der Scheiße mehr als nur einmal zugesehen und sie hat Günther sogar noch angefeuert.
Ich bin ihre Tochter!
Und ich war ein Kind!
Und ich habe ihr dabei in die Augen geblickt.
Und sie hat sogar gelacht, als ich mir vor Schmerzen die Seele aus dem Leib geschrien habe!"
„Du hast Recht! Sorry, Melissa. Ich bin wohl alles, nur nicht einfühlsam... Wohl durch den Job ein wenig zu viel abgestumpft", bemerkte ich selbstkritisch. „Und ich habe wirklich auch falschen Tag für das Gespräch gesucht."
„Nein, hast du nicht, Kai. Es ist halt alles noch frisch. Vorgestern konnte ich es noch verdrängen.
Alkohol! Fasching! Party!
Aber die letzten Jahre habe ich es alles in mich reingefressen.
Jetzt kommt es halt raus."
Ich nickte. Sandra und Elke wirkten betroffen. Klar hatte Melissa ihnen schon davon erzählt. Aber jetzt kamen noch andere, dunklere und reale Emotionen dazu. Melissa meinte das, was sie gerade gesagt hatte, auch so.
„Ich liege auf dem Bett, die Medikamente wirken und ich dämmere vor mich hin. Keine Schmerzen, aber immerzu Gedanken und Bilder die kommen, die gehen und die arbeiten.
Ich schmecke, ich rieche, ich spüre und ich höre... Diese Bilder... Diese Augenblicke...
Und dann diese immer wiederkehrenden Momente, wo Günther über mich herfällt. Das macht wirklich mürbe. Ich kann nicht richtig schlafen."
„Bei deinen Medikamenten sollte das aber nicht sein. Du solltest jetzt relaxt sein, viel schlafen und dich erholen."
„Ob das die Medikamente auch wissen?"
Ich musste mit der diensthabenden Ärztin zu sprechen! Melissa bekam noch hochdosierte Opiate. Meistens bewirken die nicht nur eine Schmerzstillung, sondern auch, dass einem „alles scheißegal" ist.
Aber sehr selten regten sie eben auch zu lebhaften Träumen an oder brachten eben dunkle Dinge zum Vorschein, die besser verborgen geblieben wären. Melissa schien genauso ein Mensch zu sein, bei dem Opiate „verkehrt" herum wirkten.
Hing wahrscheinlich alles auch mit der Abhängigkeit der Mutter während der Schwangerschaft zusammen.
„Ich rede noch mal mit der Ärztin über Medikamente. Wir versuchen was anderes."
„Aber keine Drogen."
„Nein. Keine Sorgen, Melissa. Vertrau mir. Manchmal müssen wir ein wenig ausprobieren. Aber ich will garantiert nichts Schlechtes für dich.
Im Gegenteil.
Der Stress, den ich eben gerade für dich gemacht habe, tut mir sehr leid. Ich möchte keinesfalls unser gutes Verhältnis verderben."
„Mach dir keinen Kopf, Kai. Ich mag dich sehr. Und ich vertraue dir. Und ich denke sehr wohl, dass du ein sehr empfindsamer, mitfühlender und sensibler Mensch bist.
Sonst würdest du das alles hier nicht machen." Melissas Stimme klang jetzt wieder etwas sanfter.
„Danke für deine Worte."
Ich wechselte schnell das Thema.
„Brauchst du sonst noch etwas, Melissa?"
„Vielleicht was zum Lesen. Zum Fernsehen habe ich irgendwie so gar keinen Nerv."
„Was liest du denn so?"
„Anne Rice finde ich cool. Die mit den Vampirchroniken. Die habe ich aber alle durch. So was in der Art. Ich habe gesehen, dass du eine Menge Bücher hast."
„Hab ich! Ich lese auch sehr gern. Kennst du von ihr den „Falsetto"? Da geht es um einen italienischen Kastratensänger im Mittelalter."
„Ist das so ähnlich wie „Farinelli"?"
„Ganz andere Geschichte. Viel spannender und blutrünstiger."
„Hört sich gut an. Bring das doch mit."
„Dann hätte ich noch Trudie Canavan im Angebot -- die Gilde der schwarzen Magier... Fantasy vom Feinsten, Spannung, tolle Sprache und sehr ungewöhnliche Handlungsstränge."
„Ja, pack mal mit ein, Kai."
„Fehlt dir sonst noch was, Engel?"
„Nee, Elke. Passt alles. Ist halt etwas langweilig hier und dann kommen auch all die Gedanken."
„Wir rufen dich einfach immer wieder an. Und wenn dir die Decke auf den Kopf fällt, rufst halt du immer wieder an."
„Und wenn ich mal stören sollte?"
„Wobei denn?"
„Na ja, Whirlpool oder das andere?"
„Stellen wir einfach auf Mithören und dann bist du dabei."
„Garantiert, Elke. Macht ihr bestimmt."
„Warum denn nicht, Melissa?", mischte sich nun Sandra lachend ein.
Melissa schüttelte jetzt wieder amüsiert den Kopf und verdrehte die Augen. Aufbruchsstimmung. Wir hatten heute noch was vor.
„So, wenn bei dir alles passt, machen wir uns jetzt langsam auf. Wir fahren als nächstes zu Sandra, Blumen gießen und dann geht's zu Elke, Inneneinrichtung aussuchen und bestellen."
„Da wäre ich gerne dabei. Ich hab ein Händchen für Accessoires und Raumgestaltung."
„Ach Melissa, mach dir keinen Stress. Ich glaube nicht, dass wir heute schon alles finden. Geht erst mal um die großen Schränke, Teppichböden, Läufer und Betten. Wir lassen dir noch eine Menge übrig", warf Elke beruhigend ein.
„Ich bin wirklich dankbar für jede Hilfe. Muss alles neu eingerichtet werden. Diese Idioten haben ganze Arbeit geleistet. Fast nichts ist heil geblieben."
„Dann lass doch morgen mal schauen, was ihr ausgesucht habt und was ihr wollt."
„Machen wir. Ich bringe morgen einfach mein Laptop mit hoch."
---
Sandra wohnte in Frankfurt-Griesheim, in der berühmt - berüchtigten Ahornstraße. Es war schon eine Weile her, dass hier überwiegend „Griese", also „reiche" Leute gelebt hatten. Inzwischen war die Adresse bei Ämtern und Behörden gleichbedeutend mit einem „Kainsmal" im Ausweis, vor allem, wenn es sich auch noch um eine hohe Hausnummer handelte.
Rund um die Mainzer Landstraße glich alles immer mehr einer unpersönlichen Trabantenstadt, in der die deutlich rentableren, schon beim Bau „heruntergekommen" wirkenden Mietkasernen mehr und mehr die kleinen gemütlichen Ein- oder Mehrfamilienhäuser verdrängten. Geschäfte á la 1-Euro-Shop, die unvermeidlichen Handyshops, ein paar kleine Gaststätten mit Lieferservice -- die „üblichen" Italiener, Araber und Türken... Zeugen Jehovas, eine Moschee und ein Sportplatz, ein riesiges Einkaufszentrum, sonst aber kaum Supermärkte oder gar andere Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten.
Dagegen verdrängten zunehmend Industrie, Dreck, schlechte Straßen und sichtbare Kriminalität die Grünstreifen und grünen Oasen des eigentlich schönen Viertels.
„Frankfurter Bronx" eben. Diesen Begriff hatte ich nicht geprägt, aber er beschrieb das Ganze sehr gut.
Nach Einbruch der Dunkelheit kam die Polizei immer nur mit mehreren Fahrzeugen. Ich glaubte Sandras Geschichten unberufen.
Hier würde ich mich auch nicht wohl und sicher fühlen. Für Sandra war es dagegen wohl eher alles Gewohnheit. Sie lebte hier.
Wobei ich mein Urteil über diese Gegend keineswegs abschätzig und schon gar nicht im Hinblick auf den Begriff „Ausländerproblematik" (das Wort als solches ist schon ein abwertender und beinahe rassistischer, aber eben leider üblicher Begriff)
meinte. Es war einfach Ausdruck meines Erschreckens, hinsichtlich des sich hier abzeichnenden Städtewandels, sowie des meines Erachtens völligen Versagens der Stadtplaner.
Das war ein Ghetto und es war nicht länger im Entstehen begriffen -- eingesessene Frankfurter mögen mir mein hartes Urteil verzeihen. Ein vorprogrammierter sozialer Brennpunkt, der die Vergessenen, die Ausgestoßenen und die Abgehängten bündelte...
Oder, wie in Sandras Fall, so manche kinderreiche Familie, die sich sonst keinen anderen bezahlbaren Wohnraum in einer besseren Stadtgegend leisten konnte.
Melissa wohnte auch hier in der Gegend -- auf der anderen Seite der Mainzer Landstraße im „Vogelviertel" -- noch trostloser und anonymer.
Ich parkte direkt vor dem Haus, in dem Sandra wohnte und blockierte einfach einen dort stehenden Wagen.
Die Fahrt von Melissa hierher war wieder ein wenig ruhiger gelaufen. Wir hatten beschlossen, in ihrer Gegenwart Themen wie „Melissas Mutter" oder „Günther" möglichst zu vermeiden oder nur am Rande zu streifen. Ebenso das Thema „Sex". Wir wollten, dass Melissa sich nicht ausgegrenzt fühlte.
„Magst du mit hochkommen, Kai?"
„Neugierig bin ich schon ... Aber nein, ich bleibe lieber hier im Wagen. Nur für den Fall, dass der rote Skoda gerade jetzt weg will."
„Dann gehe ich schnell mit Elke. Wir wohnen in Parterre. Gleich hier der Balkon."
„Gut. Wenn was ist, ruft an."
„Bis gleich."
Die Mädels sprangen aus dem Wagen und verabschiedeten sich winkend. Ich trank einen kleinen Schluck Wasser.
Ich fühlte mich müde. Die Ansicht dieser Lebensverhältnisse hatte mich geschockt.
Hoffentlich hatten mir die Mädels meine Reaktion nicht allzu sehr angesehen.
Weder Melissa noch Sandra hatten sich ausgesucht, hier zu wohnen. Und wenn ich mich hierüber echauffierte, war das ungerecht!
Beide waren patente Mädchen und gestandene Persönlichkeiten, die etwas aus ihrem Leben machen wollten... und ganz sicher auch machen würden.
Wenn ich mich jetzt hier gedanklich über „Herkunft" ausließ, musste ich mir einfach mal vor Augen führen, aus welchen Verhältnissen meine beiden Großelternpaare stammten!
Ehrlicherweise war ich letztendlich nicht automatisch ein guter oder besserer Mensch, nur weil meine Eltern vermögend waren und ich mich ins „gemachte Nest" setzen konnte.
Welch ein pseudophilosophisches Geschwätz!
Konnte ich nicht ehrlich zu mir selbst sein?
Da waren sie, meine Selbstherrlichkeit, meine Vorurteile und meine Angst.
Elke zog gerade die Rollläden in der Wohnung hoch. Ich winkte ihr zu, aber sie sah mich nicht und war wohl mit Sandra in ein Gespräch vertieft. Gut, die sollten auch mal etwas Zeit füreinander haben.
Ich gähnte herzhaft und stellte das Radio an -- Rockantenne, mein Lieblingssender, wenn ich alleine unterwegs war. Rock war halt nicht jedermanns Fall.
Im Augenwinkel sah ich, wie zwei komisch aussehende Typen um die Hausecke kamen und zielstrebig den Eingang ansteuerten.
Sie hatten mich nicht bemerkt. Wir waren anscheinend außerhalb ihres Sichtfeldes angekommen.
Die Rollläden!
Klar!
Langsam kamen sie näher. Der eine war ein Riese, hatte einen Baseballschläger und der andere wirkte ähnlich angriffslustig.
Schnell hatte ich die Nummer von Elke herausgesucht.
„Elke, verschwindet! Ich glaube da kommt Ärger. Ihr habt noch etwa eine Minute. Geht ins Treppenhaus ein paar Etagen höher - ja, unbedingt zu Fuß."
Elke hatte sich ohne weiter zu zögern oder zu fragen Sandra geschnappt und ich hörte, dass sie schon an der Wohnungstür waren.
„Wenn ihr weggeht, schließt ab. Dann brauchen die länger, um reinzukommen!"
„Ja, Elke! Ich rufe Marius sofort an. Beruhigt euch etwas. Lauft auf der Treppe langsam und unauffällig. Vielleicht kennt Sandra wen, wo ihr klingeln und kurz unterkommen könnt."
Ich zwang mich zur Ruhe.
„Jetzt sind die Typen an der Haustür angekommen."
„Nein, sie gehen nicht rein. Sieht aus, als warten sie noch auf jemanden. Gut. Ihr seid dann in der elften Etage bei Caplan."
Ich sah jemanden aus der anderen Richtung rasch auf das Haus und die beiden Typen zugehen. Kam wohl gerade aus dem Vogelviertel. Das Gesicht hatte mir doch Marius schon mal auf einem Foto gezeigt!
„Fuck! Elke, jetzt bin ich sicher. Wir haben Probleme. Es ist Günther!
Ich nehme dich in Konferenz und rufe sofort Marius an."
Das Wort „Günther" brachte die Panik!
Die Mädels begannen, die Treppen im Laufschritt zu nehmen und das war zu laut!
Ich versuchte, sie zu beruhigen, aber ...
Die Verbindung zu Elke riss ab. In Hochhäusern wahrscheinlich keine Seltenheit.
Zum Glück unterhielten sich die drei im Eingangsbereich erstmal. Aber dann schien Günther wahllos zu klingeln und Sekunden später betätigte irgendjemand den Türdrücker.
Günther und der Riese mit dem Baseballschläger gingen rein, der Kleinere blieb zurück. Hatte er auch eine Waffe?
Egal.
Den Mädels war der Fluchtweg versperrt.
Oder gab es etwa noch einen anderen Ausgang? Vielleicht der Keller?
Ich fluchte vor mich hin. Marius ging nicht an sein Telefon und von irgendwelchen rettenden „Höllenengeln" war hier weit und breit keine Spur.
Ich saß im Auto, mehr oder weniger zur Untätigkeit verdammt... Ein Beobachter des Desasters.
Der Typ im Eingangsbereich war vielleicht so Einssiebzig groß. Früher in vielleicht besseren Tagen war er sicher durchtrainiert, aber jetzt wirkte er einfach nur ungepflegt, mit seinem mittellangen verfetteten blonden Haaren und den erkennbaren Pickeln im Gesicht.
Ich überlegte, ob ich ihn schaffen würde. Wohl eher nicht!
Solche Typen hatten sich in der Gewalt der Straße völlig verloren.
„Mist. Fuck!"
Nur mühsam unterdrückte ich weitere Flüche.
Ich hatte ihn zu lange angesehen und das hatte er bemerkt. Er schaute mich durchdringend an.
Trotz der Distanz sah ich, wie er begann, nachzudenken.
Gut, er kannte mich nicht und konnte mich sicher auch nicht Melissa, Sandra oder Elke zuordnen. Wie ein „Engel" sah ich nun wirklich nicht aus. Und die Telefonate hatte ich alle über Freisprecheinrichtung geführt.
Ich musste aufhören, zu ihm rüber zu sehen. Aber er war für mich wie ein Magnet.
„Maskerade!"
Ich lachte, schüttelte den Kopf, öffnete mein Fenster und winkte einer betagten Dame im vierten Stock zu, die auf dem Balkon stand und wohl gerade ihre Wäsche zum Trocknen aufhängte. Sie sah mich und winkte freundlich zurück.
Dann startete ich den Motor und fuhr langsam los. Im Rückspiegel sah ich, wie der Typ mich weiter fixierte.
Es passte mir überhaupt nicht, diesen Platz aufgeben zu müssen, aber ich hatte keine andere Wahl, wenn ich Probleme vermeiden wollte.
Ich fuhr vom Parkplatz wieder auf die Straße, dann einmal kurz um die Ecke und fand gleich einen Platz „In Der Schildwacht" auf dem rechten Parkstreifen.
Was sollte ich jetzt tun?
Polizei?
Die hätten dann meine Nummer und wir müssten uns viele Fragen gefallen lassen!
Marius war Segen und Fluch zugleich. Wir hatten uns ihm anvertraut und waren nun auf Gedeih und Verderb auf ihn angewiesen.
Rufnummernunterdrückung funktionierte nicht mit Notrufnummern.
Viele wirre Gedanken. Ich musste meine aufkeimende Panik unterdrücken.
Es klingelte.
„Elke!"
„Ja, du warst plötzlich weg."
„Ihr seid also im elften Stock bei Caplan."
„Weiß da jemand, dass ihr euch kennt? Oder hat euch jemand beobachtet?"
„Nein? Das ist gut. Dann bleibt da erstmal. Ich musste um die Ecke fahren. Einer der Typen hat mich bemerkt. Aber ich glaube, er konnte mich nicht richtig einordnen.
Weggefahren bin ich trotzdem."
„Nein, ich habe Marius noch nicht erreicht. Er ist nicht rangegangen."
„Gibt es irgendwie eine Art Hinterausgang?"
„Ja, frag mal Sandra..."
„Über die Keller?"
„Ja klar, du hast Recht. Das werden die auch wissen."
„Momentmal - gerade klopft Marius an. Bleib kurz in der Leitung."
„Marius! Dich schickt der Himmel!"
„Du hast gerade was Wichtiges zu tun? Ernste Probleme mit einem anderen Charter?"
„Ja, es ist dringend! Wirklich!!!
Günther hat uns zu dritt bei Sandra abgefangen und die Mädels sitzen irgendwo im Haus bei Nachbarn fest, während einer von denen unten den Eingang blockiert."
„An die Keller habe ich auch gedacht. Aber ich sehe nicht, ob da nicht auch einer von denen wartet."
Unser Gespräch lief irgendwie gar nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Waren meine Erwartungen zu groß?
Ich klang zunehmend frustriert, hilflos und beinahe hysterisch.
Das war alles zu viel für mich. Die Situation als solche und selbst, wenn ich „cool" genug gewesen wäre...
Mit allen Drei konnte ich es nicht ansatzweise aufnehmen.
„Marius, ihr könnt also nicht kommen?"
„Ja, habe ich verstanden. Ihr wollt euch später dem Problem annehmen. Aber was machen wir jetzt hier?"
„Du schickst die Polizei?"
„Einbruch? Ja ich denke auch, dass die ziemlich sicher schon in der Wohnung sein werden."
„Und du denkst, dass die stiften gehen werden? Okay, wenn die Polizei da ist, werde ich zum Hauseingang fahren, Sandra und Elke steigen bei mir ein und wir fahren direkt zu mir."
„Ich glaube, das ist alles ein wenig zu viel für mich. Ich bin Arzt und das hier ist eher für Bruce-Willis-Typen!
„Ja! Ich werde das schon schaffen. Und alles weitere später?"
Es wurde plötzlich laut im Hintergrund. Ich hörte Schreie und das Gespräch brach ab. Elke war wieder in der Leitung.
Ich schluckte kurz.
„Hallo Elke, da bin ich wieder."
Ich zwang mich zu einer Ruhe, die ich nicht hatte. Das hier war kein Operationssaal. Und hier war leider auch kein Team, das mich auffing, wenn ich mal schwächelte.
„Die Polizei wird kommen. Marius ruft sie an."
Ich atmete tief durch -- eine feste sichere Stimme: „Gebt jetzt gut Acht: In dem Moment, wenn die Polizei eintrifft, sollte Günther abhauen. Sein Kumpel steht unten am Eingang. Der wird ihn warnen...
Dann wartet ihr ein paar Minuten. Die werden die Einbruchspuren sehen, in die Wohnung gehen und es wird noch mehr Polizei kommen."
„Genau. Dann geht ihr aber nicht zu Sandras Wohnung und der Polizei, sondern ihr kommt raus, wenn ich es euch sage, geht zu meinem Wagen, steigt ein und wir fahren direkt zu mir nach Hause."
„Richtig! So unauffällig, wie möglich. Wenn ihr was von all dem mitbekommt, schaut kurz, wie es normale Passanten tun würden und dann gut..."
„Genau. So machen wir das.
Wir schaffen das zusammen! Gut, machen wir jetzt Schluss und ich rufe euch dann gleich an, wenn es soweit ist."
Ich lehnte mich zurück.
„Fuck!!!"
Wie kam ich denn aus der Nummer wieder raus?
---
Ich stieg aus. So „normal" wie möglich ging ich zu Fuß die paar Meter zur Einmündung der Ahornstraße und positionierte mich so im Schatten, dass ich den Bereich der Hochhäuser einsehen konnte.
Egal aus welcher Richtung die Polizei kam -- ich würde sie sehen.
Nur... die Polizei kam nicht.
Nicht nach fünf Minuten.
Und auch nicht nach zehn Minuten.
Ich wurde zunehmend ungeduldig.
Mein Handy klingelte...
„Hallo Elke. Nein. Nichts Neues. Keine Polizei in Sicht."
„Ja. Das dauert ewig."
„Warten wir noch fünf Minuten. Ich melde mich gleich."
Ich war ratlos. Die Zeit rannte uns davon! Was sollte ich jetzt tun?
Da kam zu meiner und unserer Erlösung endlich ein Streifenwagen mit Blaulicht, aber ohne Sirene von der Mainzer Landstraße kommend, die Schildwacht hoch, bog direkt in den Ahornweg ab und blieb bei Sandras Haus stehen.
Es ging los!
„Die Polizei ist gerade angekommen. Ihr habt es auch schon gesehen? Ja, das ist eine sehr gute Nachricht."
„Ich sehe gerade, da kommt ein zweiter Wagen. Umso besser! Wartet jetzt 5 Minuten. Ich fahre gleich wieder zum Haus und gebe Rückmeldung..."
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Keine zehn Minuten später saßen wir wieder zu dritt im Wagen und fuhren mit hoher Geschwindigkeit über die A 66. Ich wollte vermeiden, dass mir jemand folgte und so wählte ich nicht den kürzesten Weg und behielt meinen Rückspiegel im Auge.
Beim Wegfahren -- ich war noch nicht auf der Mainzer Landstraße -- hatten wir obendrein zwei Schüsse gehört - zumindest meinten wir das.
Im Wagen roch es penetrant nach Scheibenreiniger -- das machte alles nicht besser. Die Lüftung lief auf Hochtouren. Wahrscheinlich war der Kanister mit dem Reiniger, den ich im Kofferraum hatte, bei meinem rasanten Fahrstil umgekippt und irgendwie ausgelaufen.
Wir wollten zu Hause über all das sprechen. Elke und Sandra saßen beide auf der Rückbank -- leichenblass.
Sandra hatte erzählt, dass sie beim Verlassen des Hauses durch die eingetretene und offenstehende Wohnungstür einen kurzen Blick auf ihre Wohnung und das Chaos im Inneren werfen konnte.
Das alles zusammen war einfach zu viel! Gut, dass ihre Familie gerade nicht da war. Aber das war so ziemlich der einzige Lichtblick.
Offensichtlich hatte die Polizei niemanden mehr vorgefunden.
Die Beamten standen, als die beiden vorbei gingen, im Wohnungseingang und beratschlagten. Ein Polizist war draußen bei den Autos, wie ich vermutet hatte.
Das hatten wir für unsere „Flucht" genutzt.
Ich konzentrierte mich auf die Straße und versuchte „runter" zu kommen.
„Du, Kai! Mach mal schnell das Radio lauter."
Ich hatte gar nicht auf das Radio geachtet. Im Hintergrund lief HR1 und da war irgendein Bericht. Ich drehte lauter.
„... kam es vor wenigen Augenblicken zu drei Schusswechseln in Frankfurt, die wahrscheinlich im direkten Zusammenhang mit Konflikten im Bereich der organisierten Bandenkriminalität und dem Rockermilieu zu stehen scheinen.
In der Kaiserstraße sind zwei Mitglieder der Gruppe „Hells Angels" auf offener Straße erschossen worden. Eine weitere unbeteiligte Person wurde angeschossen und verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert.
In Schwanheim kam es zeitgleich zu einem zweiten Schusswechsel, bei dem zwei Personen schwer verletzt wurden. Die Polizei konnte im Rahmen einer sofort eingeleiteten Ringfahndung drei Personen aus dem Rockermilieu festnehmen.
Kurz darauf lieferten sich in Griesheim zwei Männer mit der Polizei einen dritten Schusswechsel Einer der beiden Männer verstarb noch am Tatort und der andere wurde mit leichten Schussverletzungen in ein Frankfurter Krankenhaus verbracht.
Zwei Polizisten wurden im Verlauf des Schusswechsels verletzt und werden nun ebenfalls in Krankenhäusern behandelt.
Die Polizei bittet sie, im Großraum Frankfurt keine Anhalter mitzunehmen und die Anwohner, sich vorsichtig zu verhalten.
Weitere Täter sind noch auf der Flucht, bewaffnet und gefährlich. Die Fahndung läuft.
Sollten sie etwas beobachtet oder sachdienliche Hinweise haben, werden sie gebeten, sich umgehend über den Notruf „110" mit ihrer nächstgelegenen Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen.
Wir halten sie über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden.
Und jetzt kommt der neue Song von Lena Meyer Landrut..."
Ich drehte das Radio wieder leiser.
„Zumindest wissen wir jetzt, warum Marius nicht kommen konnte." Ich war geschockt.
„Griesheim -- war das bei uns?"
„Ich weiß es nicht, Sandra. Vielleicht. Dann waren das ja wirklich Schüsse!"
„Vielleicht war das ja Günther?"
„Weiß ich nicht. Wir müssen weiter Radio hören und heute die Hessenschau sehen. Könnt ihr zu Hause mal ins Internet gehen. Vielleicht steht da ja mehr drin?"
Elke zückte ihr Handy.
„Rufe jetzt besser erst mal niemanden an, Elke. Wir müssen erst mal nachdenken und mehr rausbekommen."
„Melissa?"
„... Geht es gut. Die ist im Krankenhaus und braucht derartige Aufregung im Moment nicht."
„Schon gut, Kai."
Sie steckte ihr Telefon wieder weg.
Sandra war förmlich in sich zusammengesunken -- wer konnte es ihr verdenken.
„Ich denke, ihr habt nichts dagegen, wenn wir jetzt direkt nach Hause fahren. Wir kaufen morgen ein. Das war gerade eindeutig zu viel Stress!"
Beide nickten.
„Uns folgt niemand. Niemand weiß, wo ich wohne oder, dass wir in irgendeiner Verbindung zueinander stehen. Wir sind in Sicherheit. Melissa auch."
„Soll ich Melissa anrufen?"
„Déjà-vu -- hatten wir das nichtgerade schon?"
„Mist."
„Wir sind gerade alle am Limit. Alles gut, Elke. Nochmal - Besser nicht. Melissa soll sich nicht unnötig Sorgen machen."
„Ist sie dort wirklich sicher?"
„Im Krankenhaus, kann ihr nichts passieren. Sie ist unter einem anderen Namen angemeldet und wenn ihr oder Melissa zwischenzeitlich niemanden angerufen hat, weiß auch niemand, dass sie dort ist.
Aber ich denke darüber nach, ob ich sie nicht heute Abend zu uns hole..."
„Vielleicht keine schlechte Idee", meldete sich Sandra zu Wort. „Aber ihr geht es doch noch nicht so gut und sie braucht Medikamente und Infusionen..."
„Bin ich vielleicht Arzt?"
Ich versuchte mich an einem ersten Scherz, um die Situation etwas aufzulockern, auch wenn mir nicht wirklich danach zu Mute war.
Elke lächelte. Zu Sandra drang ich noch nicht ganz vor.
„Schauen wir mal..."
Die Fahrt verlief ruhig und wir kamen nach einer guten halben Stunde wieder bei mir zu Hause an. Wir stiegen aus und ich ging zum Kofferraum, um meinen Laptop rauszuholen.
Da sah ich sie auch schon... zwei Einschusslöcher im Kofferraumdeckel!
Sandra, die hinter mir stand, schluchzte auf.
„Elke, kommst du mal bitte... Das solltest du dir auch kurz ansehen."
Elke kam und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wir müssen jetzt alle verdammt vorsichtig sein. Keine Touren mehr nach Frankfurt, bis die ganze Situation nicht klar und sicher ist!"
„Ich will nicht mehr zurück! Nie wieder..."
Sandras Stimme klang schrill.
„Musst du jetzt auch nicht, Sandra. Jetzt sind wir wirklich in Sicherheit."
Erste Tränen rannen über ihr Gesicht.
Ich kämpfte meine aufkeimende Hysterie runter und öffnete den sichtbar lädierten Kofferraum.
Eine Kugel hatte den Laptop getroffen. Der war garantiert hin. Die andere hatte den Kanister zerfetzt und war in der Rückwand der Rücksitzbank hängen geblieben -- genau in der Höhe, wo Sandra vorher gesessen hatte.
Ich wusste nicht, ob die Mädels das bemerkt hatten. Ihre Augen waren noch auf meinen Rechner gerichtet. Ich beschloss zu schweigen und warf den Kofferraumdeckel direkt wieder zu.
Glück gehabt!
„Elke, du hast ja den Schlüssel. Könntest du bitte das hintere Hoftor öffnen? Ich fahre den Wagen besser rein."
Sie nickte.
„Das da muss niemand sehen, den es nichts angeht."
Ich zeigte auf die Einschusslöcher.
Elke und Sandra überquerten die Straße und öffneten das vordere Hoftor. Elke zeigte mit dem Daumen nach oben und winkte mir zu. Sie schloss die Tür und verschwand damit aus meinem Blickfeld.
Ich war erleichtert, startete und fuhr mit dem Wagen kurz um den Block, um in den hinteren Hofeingang im richtigen Winkel einfahren zu können.
Als ich ankam, war das Tor bereits offen. Ich fuhr rückwärts hinein... Am Gartentisch saß Marius und winkte mir müde zu. Ich bemerkte es mit dem ersten Blick im Rückspiegel -- er sah nicht wirklich gut aus.
---
Drei Stunden später war ich um mindestens 5 Jahre gealtert.
Sandra lag im ehemaligen Schlafzimmer meiner Eltern und schlief im Himmelbett. Ich hatte ihr ein starkes Schlafmittel und ein Sedativ aus meinem Arztkoffer gegeben. Es war alles viel zu viel für sie.
Ich hatte kurz mit Melissa und anschließend mit ihrem diensthabenden Arzt telefoniert und ihnen beiden gesagt, dass ich sie gegen 20:00 Uhr abholen würde.
Melissa hatte das mit den Schießereien im Fernsehen gesehen. Eine solche Nachricht hatte es in die Prime Time eines jeden Fernsehsenders geschafft -- inklusive obligatorischer Sondersendungen.
Marius lag im Gästezimmer. Auch er schlief, hatte aber zusätzlich starke Schmerzmittel intus. Er hatte Glück im Unglück -- ein Streifschuss am Oberschenkel und am Arm ein glatter Durchschuss. Ich hatte fast zwei Stunden damit zugebracht, seine Wunden fachgerecht zu versorgen.
Er war hart im Nehmen und wollte partout nicht in ein Krankenhaus. Ich verstand, warum.
Seine Harley stand wie mein Wagen ebenfalls im Hinterhof -- überdacht und vor fremden Blicken sicher.
Weiß der Teufel, wie er in den Hof gekommen war.
Elke war in der Küche und beseitigte das von mir angerichtete „Blutbad". Marius hatte eine Menge davon verloren und wenn ich im Krankenhaus war, würde ich auch mal einen Liter „Universalblut" prophylaktisch „mitgehen" lassen...
Überhaupt brauchte ich noch einiges -- vor allem Nachschub an Medikamenten, Verbandmaterial und Equipment für die Pflege. Ich musste mich ja jetzt nicht nur um Marius, sondern auch um Melissa kümmern.
Ich saß auf der Couch, trank ein alkoholfreies Hefeweizen und schüttelte den Kopf. Letzten Samstagabend -- was wäre passiert, wenn ich nicht reagiert und mich einfach aus allem rausgehalten hätte?
Hatte ich aber nicht!
Und deshalb saß ich nun hier.
Elke kam mit einem Tablett aus der Küche: ich sah dampfenden Kräutertee und eine Lage belegte Brote.
Sie sah müde aus. Aber sie war stark.
„Du siehst ziemlich müde aus, Kai."
„Ich dachte gerade das Gleiche von dir..."
Sie lachte.
„Wundert´s?"
„Nicht wirklich. Ich fühle mich gerade 5 Jahre älter."
Ich nahm ihr das Tablett ab und sie setzte sich.
„Was zur Stärkung. Wir haben noch nichts gegessen."
„Danke, Elke." Ich lächelte sie dankbar an.
„Die Brote sehen toll aus und der Tee... Genau das Richtige für diesen Moment."
„Wann fährst Du Melissa abholen?"
„Gleich nach dem Essen. Wenn was sein sollte mit unseren Patienten, kannst du mich kurz anrufen. Aber ich denke, die werden alle friedlich bis morgen durchschlafen."
Ich nahm einen Schluck Kräutertee -- Kamille und Minze, eine gute Wahl.
„Marius muss ich gegen eins heute Nacht mal kurz wecken und ihm noch was spritzen. Dann sollte es passen."
Elke nickte.
„Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde hier warten und wenn ich was höre, sehe ich nach und rufe dich an."
„Genau. Ich werde heute Nacht hier unten schlafen und mir den Wecker stellen. Ich schaue in der Nacht mehrmals nach allen."
„Ich bleibe bei dir."
„Nein, geh du mal heute Nacht nach oben in mein Zimmer. Melissa schläft bei Sandra. Du musst aber auch durchschlafen. Das war sehr viel Stress heute."
„Nein, nein. Ich bleibe auch hier unten, wenn du Hilfe brauchst."
„Ich bin es gewohnt, nachts aufzustehen, zu arbeiten und dann wieder zu schlafen. Im Dienst in der Ambulanz machen wir Nacht für Nacht nichts anderes."
„Ich leiste dir Gesellschaft. Und ehrlicherweise will ich heute nicht alleine schlafen."
Elke sah mich ernst an.
„Ich weiß, ich bin ein „Mädchen" und wo sollte es sicherer sein, als im obersten Stockwerk."
„Ich verstehe dich."
Sie nickte.
„Alles wird gut."
„Glaubst du daran Kai?"
„Manchmal."
„Die zweite Kugel war in der Rückbank und hätte beinahe Sandra erwischt."
„Müssen wir ihr das sagen, Elke?"
„Nein. Müssen wir nicht. Wir hatten verdammt viel Glück."
„Hatten wir."
„Sandra... meine Sandra... Was mir nicht einleuchtet -- warum all das? Warum so extrem?"
„Weil Typen wie Günther schon vor langer Zeit aufgehört haben, rational zu denken."
„Wahrscheinlich hast du Recht, Kai."
Ich biss in ein neues Brot, das mit Schinken und Tomate belegt war.
Ich hatte plötzlich Appetit und es schmeckte mir auch wieder.
Wir schalteten das Fernsehgerät an. In einer Sondersendung waren Bilder der unterschiedlichen Tatorte zu sehen.
Die dritte Schießerei war tatsächlich in Griesheim in der Ahornstraße. In der Reportage blinkten dort nach wie vor die Blaulichter.
„Hoffentlich ist es Günther."
„Hoffe ich auch, Elke. Wäre sehr gut und würde vieles einfacher machen."
„Was meinst du, wie es dazu gekommen ist?"
Ich trank einen weiteren Schluck Tee.
„Ich denke, sie haben uns gesehen und auf uns geschossen. Das hat der Polizist unten am Auto gehört und der hat dann seine Kollegen geholt..."
„So könnte es gewesen sein."
„Ich hoffe nur, dass das jetzt keine großen Auswirkungen auf Melissa und euch hat."
„Auswirkungen? Ich hoffe nur, dass jetzt alles endlich vorbei ist."
„Wo Du Recht hast, hast du Recht, Elke!"
Elke umarmte mich, als ob es kein Morgen gäbe.
Ich merkte Tränen an meiner Schulter. Ich streichelte sie und streichelte und streichelte... eine gefühlte halbe Ewigkeit, nur unterbrochen von ihrem leisen Schluchzen.
Und meine Augen waren auch feucht.
Das hätte heute ziemlich in die Hose gehen können.
„Wir hätten tot sein können. Sandra hätte tot sein können."
„Nein, so schnell stirbt es sich nicht."
Ich war nicht wirklich überzeugt von meinen eigenen Worten. Aber ich wollte sie aufbauen. Ich küsste ganz sachte ihre Stirn.
Sie sah mich an.
„Ich mag dich sehr, Kai. Und ich will dich auch. Aber ich bin ehrlich. Mein Herz ist vergeben."
„Ich ahne, wen du meinst."
Elke errötete leicht.
Ich trank meinen Tee aus, dann stand ich beinahe abrupt auf.
„Melissa wartet und der Tag ist noch nicht zu Ende. Lässt Du mich zum Hoftor raus? Ich rufe an, sobald wir wieder da sind."
„Ich lasse euch dann wieder hinten rein. Grüß mir Melissa und bringe es ihr schonend bei."
Wir umarmten uns wieder.
---
Ich hatte Melissa „aufgepickt", sie saß in meinem Wagen und wir waren auf dem Weg nach Hause.
Ich hatte darüber hinaus die Gelegenheit im Krankenhaus für einen kurzen Abstecher genutzt, um mich mit Medikamenten und ein wenig zusätzlichem Equipment einzudecken -- natürlich alles so erfasst, dass ich es im Nachgang mit unserer Buchhaltung und Apotheke abrechnen konnte.
Trotz aller Dringlichkeit und Eile musste ich hier Sorgfalt walten lassen, um mich nicht angreifbar zu machen. Ein paar Neider gab es überall -- unser Krankenhaus stellte hier leider keine Ausnahme dar.
Lediglich beim Blut hatte ich ein wenig getrickst. Ich griff zwei Konserven „Universalspender" ab, die gerade abgelaufen waren und zur Entsorgung anstanden. Kam selten genug vor, aber manchmal muss man einfach Glück haben.
Und für Marius machte es ehrlicherweise nicht wirklich einen Unterschied, ob das Blut „frisch" war oder am „Ende" seiner Zeit. Da gab es noch genug Karenz. Es würde ihm guttun und ihn schnell wieder auf die Beine bringen. Da war ich mir sicher.
„Was denkst du über all das, Kai?"
„Ehrlicherweise war ich komplett von dem allen überfahren, Melissa. Du hattest die ganze Zeit Recht mit dem, was Günther betraf. Der Typ tickt nicht in normalen Bahnen... Verluste oder irgendwelche Konsequenzen sind ihm egal... er hat auf uns geschossen -- einfach so.
Du hast die beiden Einschusslöcher gesehen. Ich muss sie noch reparieren lassen. Das ist zu auffällig. Da riskiere ich, mir ein paar Fragen stellen lassen zu müssen, die ich so nicht beantworten mag."
„Ja, da hast du dir mit uns einen gehörigen Mist eingefangen und dann diese Sache mit Marius. Erst hat er uns geholfen und jetzt hilfst du ihm. Aber das ist gefährlich...
Gefährlich für dich und deinen Job, wenn das irgendwann mal rauskommt."
„Hast du Recht. Da muss sich nur irgendjemand verplappern und wenn das mit Marius vorbei ist, wer sagt, dass dann nicht irgendwann noch neue Engel mit irgendwelchen Blessuren bei mit auf der Matte stehen?
Marius war mit seiner Maschine einfach bei mir im Hof und hat gewartet. Ich dachte immer, ich hätte gute Schlösser, doch ich konnte mir bisher noch nicht erklären, wie er die geknackt und wieder verschlossen hat. Keine Spuren, keine Beschädigungen -- so etwas ist einfach nur unheimlich."
„Ist es wirklich. Wo ist der Unterschied zwischen Hoftor und Haustür?"
„Gibt es kaum einen. Ich habe an Beiden eigentlich sehr gute Abus-Schließzylinder."
„Nein. Ich meinte mehr: heute sind sie im Hof und warten auf dich. Morgen sind sie in deiner Wohnung und haben schon deinen Kühlschrank geleert."
Ich grinste.
„Zumindest dieses Mal hat Marius schön brav im Hof auf uns gewartet. Wahrscheinlich wollte er uns beim ersten Mal nicht gleich überfordern. Und wenn's dann beim nächsten Mal nur der leere Kühlschrank ist ..."
„Du hast ja auch gesagt, dass er schwer verletzt wurde und jetzt sogar Blut braucht."
„Ich denke, er ist hart im Nehmen. Und wenn er gewollt hätte, wäre er auch ins Haus gekommen."
„Was ist eigentlich genau passiert?"
„Besonders lange haben wir uns gar nicht unterhalten können. Ich musste ihm gleich ein paar Medikamente spritzen, um ihm die Schmerzen zu nehmen und die haben ihn schläfrig gemacht."
Ich atmete scharf ein. Der Wagen vor mir bremste plötzlich! Ein kaputter LKW-Reifen lag auf der Spur.
„Entschuldigung, Kai. Du musst dich auf die Straße konzentrieren und ich lenke dich ab."
„Alles gut, Melissa. War gerade überraschend. Marius sagte etwas von einem Charter aus Gießen, dass Ärger macht: „Osmanische Angels" -- ich wusste bis dahin gar nicht, dass es so etwas gibt.
Ist wohl eine Abspaltung der Frankfurter Angels und die wollen mehr mit Drogen machen und die „Wege" nach Russland und in die Türkei besser ausbauen. Sie halten sich nicht an die Regeln.
Und dann haben sie heute wohl versucht, die Spitze des „alten" Frankfurter Charter zu killen.
Aber eigentlich ist das für mich schon fast zu viel Wissen. So tief wollte ich nie in diese Materie eintauchen..."
„Bist du böse mit mir."
„Warum Melissa?"
„Weil ich am Anfang keine Polizei wollte?"
„Ich weiß nicht, wo wir jetzt ständen, wenn wir die Polizei eingeschaltet hätten? Elkes Wohnung, Sabines Familie, du... Nein! Ich glaube, dass wäre auch ein Desaster geworden."
„Und wenn du das Fenster einfach nicht geöffnet hättest?"
„Dann wäre das noch ein größeres Desaster geworden. Vielleicht hättest du den Fasching nicht überlebt."
Klang jetzt etwas hart; vielleicht zu übertrieben und zugespitzt.
„Es ist so gekommen, wie es gekommen ist. Und ich freue mich jetzt auf eine neue Mitbewohnerin."
„Ehrlich?"
„Ganz ehrlich. Und aus dem Schlamassel kommen wir auch wieder raus."
„Und Günther?"
„Ich weiß nicht, was mit ihm ist, oder wer genau erschossen worden ist. Aber ich denke, dass, wenn der Typ noch lebt, sich Marius seiner annehmen dürfte -- schon allein aus Prinzip."
„Was wird er mit Günther denn machen? Das letzte Mal hat er ja auch nichts gemacht."
„Ich glaube, Melissa, das wird dieses Mal etwas anders aussehen. Ich will es aber gar nicht so genau wissen."
„Du hast Recht. Aber ich will, dass diesem Arsch der Arsch aufgerissen wird. Ich will nie wieder Angst haben."
„Ich kann dir das nicht versprechen -- das, mit der Angst -- aber hier bei mir kannst du erst mal ruhig und in Frieden leben und ich werde immer ein offenes Ohr haben oder eine Schulter zu anlehnen, wenn du die mal wieder brauchen solltest."
„Das weiß ich! Und ich vertraue dir, Kai."
„So, jetzt muss ich langsam mal Elke anrufen. Wir sind in fünf Minuten da."
„So schnell schon?"
„Die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man sich unterhält. Und es ist ja auch nicht gerade wenig passiert."
Ich tippte schnell beim Fahren Elkes Rufnummer in das Telefon und rief sie an.
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Das Essen war schnell gegessen. Elke hatte eine Schüssel Salat mit Baguette-Brot gezaubert und auf dem Herd blubberte ein großer Topf Gemüsesuppe. Mein Kühlschrank musste langsam wirklich leer sein.
Die beiden Mädels unterhielten sich zunächst angeregt, aber ein paar frische Schweißperlen auf Melissas Stirn verlangten nach Medikamenten und Bettruhe, etwas, dass dieser Engel nicht einsehen wollte.
Sie war fertig und es waren ja auch wirklich ein paar harte Tage, die hinter ihr lagen... die hinter uns allen lagen.
Was jetzt noch alles kommen konnte -- ich wagte es nicht, darüber auch nur ansatzweise nachzudenken. Einfach kommen lassen und reagieren.
Melissa war im Bett neben Sandra und schlief tief und fest. Der Tag und der Eingriff zuvor hatten beileibe genug Stress für dieses zarte Wesen gebracht.
Sandra hatte es kaum mitbekommen. Sie begrüßte Melissa schlaftrunken, nahm einen Schluck Wasser und drehte sich wieder um.
Die Medikamente wirkten bei beiden.
Ich warf einen letzten Blick zurück -- alles sah so unwirklich friedlich aus, dann schloss ich die Tür.
Unten angekommen erwartete mich Elke. Sie hatte auf der Couch schon unsere „Bettstatt" vorbereitet. Wir schliefen über Eck.
Auf dem Tisch standen Tee und ein paar Knabbereien, die sie in den Tiefen der Küchenschränke gefunden hatte.
Wir mussten unbedingt einkaufen gehen! Meine Reserven waren nicht auf so viele hungrige Mäuler ausgelegt.
Elke umarmte mich, bevor ich mich setzen konnte und küsste mich stürmisch.
Wir waren jetzt beide allein. Die anderen schliefen.
Dann löste sie sich und zog sich rasend schnell aus.
„Ich will dich."
„Ich habe immer noch keine Präservative."
„Ist mir egal. Meine Periode kommt morgen oder übermorgen. Aber vielleicht gibt es das ja nicht mehr -- das Morgen."
Ich lachte.
„Jetzt komm mir nicht mit dem berühmten „Ungefickt möchte ich nicht sterben"...
Ist doch, so wie in „Dogma", eigentlich eher ´ne Masche von uns Männern."
„Ach und ich als Frau darf das nicht sagen?"
„Nö."
„Das mit dem Morgen -- weiß man´s? Bei unserem Leben?"
Sie lachte jetzt aber auch.
Elke sah Klasse aus und ich wollte jetzt auch.
Kondome - morgen musste ich welche kaufen!
Das Sofa war riesig, breit und super gepolstert. Sie legte sich provokativ auf den Rücken, spreizte die Beine und ich legte mich zu ihr und halb auf sie.
Ich bedeckte ihren schlanken Körper mit Küssen, ihren Mund, ihren Hals, ihren Brüste - saugte an ihren Nippeln, drückte sie mit meinen Armen und meinen Körper sanft und doch bestimmt in die Kissen.
Leicht, mit meinen Händen streichelnd, dirigierte ich ihre Schenkel noch etwas weiter auseinander und rollte mich, mit den Armen an den Seiten abstützend, auf sie.
„Ich will Dich spüren, mit jeder Faser meines Körpers."
Ich senkte mich auf sie, stützte mich dabei aber nach wie vor ab. Ihr Kopf war in Höhe meiner Brust.
Sie liebkoste meine Warze mit ihrer Zunge. Ein leichter Biss.
Ich erschauerte.
Lust...
Gier...
Leidenschaft... und Sex - das war es, was ich jetzt wollte!
Alles vergessen und aufgehen in diesem Moment.
Ich küsste ihre Stirn, ihren Hals, ihre Lippen...
Wanderte küssend an der Unterkante ihrer Schlüsselbeine entlang zu ihrer harten Brustwarze -- liebkoste ihre wunderschönen Brüste, aber ein anderer Ort zog mich jetzt mehr an.
So küsste ich zielstrebig weiter, hinab zu ihrem Nabel. Zunge und Lippen tanzten über ihre Haut - so zart und sie duftete förmlich nach Verlangen!
Kleine Härchen stellten sich auf. Sie schauderte und stöhnte wohlig.
Langsam stärker werdend, je weiter ich in die unteren Regionen vordrang, stieg mir ihr Geruch in die Nase. Ich liebte diesen Geruch nach Sex.
Meine Finger spielten mit dem goldenen Flaum, der direkt unterhalb ihres Nabels begann... dann vergrub ich meinen Kopf in ihrem Schoß.
Sie seufzte auf. Scharf zog sie Luft ein, als meine Zunge ihren Schambeinhügel erkundete.
Als sie den geschwollenen Knoten ihrer Lust entdeckte. Sie war nass.
Ihr Becken drängte sich mir entgegen, als ich mit der Zunge ihre Furche entlangleckte.
Der Begriff „scharf", traf ziemlich genau auf das zu, was ich jetzt schmeckte und roch -- unglaublich!
Ihre instinktiven Beckenbewegungen diktierten mein Lecken und wie weit ich zwischen Kitzler und Anus kam.
Langsam beginnend, immer schneller!
Von sanft, immer härter werdend!
So, wie sie auch atmete - immer schneller, immer härter.
Vor und zurück - hoch und runter - ihre Hände an meinem Kopf.
Ihre Lust steigerte sich weiter und weiter und kurz vor dem Höhepunkt presste sie meinen Kopf mit aller Kraft tief in ihren Schoß.
Mir fehlte die Luft, denn ihre Schenkel legten sich jetzt wie Schraubstöcke um meinen Nacken -- fast so, als wolle sie meinen Schädel zerquetschen.
Dann verharrte sie einen kurzen Moment, versteifte sich wieder und ließ nun ihr Becken kreisen.
Ich hielt mit letzter Kraft mit meiner Zunge dagegen, trommelte, saugte und leckte.
Schauer um Schauer, Welle um Welle durchlief sie und ich schmeckte ihre Säfte, die nun stärker aus ihr herauszuquellen begannen. Vermengt mit dem leicht metallisch-salzigen Geschmack einer kleinen Menge Blutes.
Im Ungestüm des Leckens, der Lust und des Orgasmus, musste ich wohl ihr Hymen verletzt haben.
Sacht spreizte ich ihre Beine und ihre Lippen klafften wieder etwas auseinander.
Weißer Schleim mit etwas Blut vermischt.
Das Sofa würde ich schon irgendwann wieder sauber bekommen. Ich verbannte es aus meinen Gedanken.
Ich leckte, so sanft ich konnte, ihre Spalte und ihren wunderschönen Eingang.
Ihre Lippen waren schon wieder dunkel und angeschwollen.
So völlig im Kontrast zu ihrer beinahe weißen Haut.
Sie quittierte mein Lecken und meinen nicht abreißenden Strom von Zärtlichkeiten abermals mit wohligem, unterdrücktem Stöhnen und den passenden Bewegungen.
Ich ließ Elke nicht lange verschnaufen, rückte mit meinem Körper etwas höher, suchte ihren Mund und fand ihn. Ein langgezogener Kuss und unsere Zungen tanzten erneut.
Um das zu machen, was ich nun vorhatte, konnte ich sie in dieser Position nicht mehr lange mit Küssen verwöhnen - die klassische Missionar-Stellung.
Ihr Mund saugte an meiner Warze.
Ich überragte sie bei Weitem und spürte wie ihre Hand, die meine Schulter umkrallt hatte, jetzt abzurutschen begann. Ihre andere Hand umklammerte meine Pobacke.
Ich brachte mich langsam zwischen ihren Beinen in Stellung, ließ ich mein Becken hoch- und runtergleiten und rieb mich an ihr. Mein Steifer rieb sich an ihr... Vorsichtig pflügte ich durch ihre, mehr als nur bereite Furche, aber ich drang noch nicht ein.
„Klopf, klopf..."
„Herein!"
Sie hauchte das Wort mehr, als dass die es sprach. Ihr Atem ging wieder schneller.
Sie saugte wieder an meiner Warze, biss leicht hinein - sie ließ sich komplett gehen.
Atmete wieder schneller und härter, drängte sich meinen Bewegungen entgegen - der Orgasmus war nahe.
Als sie wieder tief zu stöhnen begann, veränderte ich etwas den Winkel und drang mit dem nächsten tiefen Einatmen in einer einzigen flüssigen Bewegung ganz in sie ein.
Ich spürte keinen Widerstand -- es war eine durchgehende Bewegung bis zum Anschlag
Es war heiß und eng, aber ich war dennoch vorsichtig.
Und ich spürte einen brennenden Schmerz an meiner Brust, dort wo ihr Mund war!
Ich zog mein Glied zurück und stieß erneut zu.
Sie stöhnte ungehemmt auf, als es ihr erneut kam.
Ich spürte die Wellen der Lust, die meinen Schwanz umtosten und ihn umfangen hielten.
Ich kam jetzt auch und entlud mich in ihr, mit ihr.
Ich verlor mein Zeitgefühl.
Ich verlor mich in Elke.
Ich verharrte und ließ, tief in sie eingedrungen nur noch sacht das Becken kreisen.
Es war so geil.
Ich blickte an mir herunter.
Elke hatte sich regelrecht in meiner Brust verbissen. Mein Blut sickerte an ihrem Mundwinkel entlang.
Ihre Hand löste sich von meiner Schulter und streichelte mein Gesicht.
Ihre Nägel waren rot und blutig.
Mein Rücken - ich hatte es noch nicht gemerkt.
Ich ließ meinen Penis schneller kreisen.
Durch die Enge war er noch nicht in sich zusammengefallen und das Gefühl war unbeschreiblich.
Vor allem, weil sie mitkreiste.
Bereits nach wenigen Augenblicken fing sie wieder an zu zittern und zu zucken.
Ihre Beine umschlangen mich abermals wie zwei Schraubstöcke.
Es war unglaublich, welch eine Gewalt dieser zarte Körper zu entfesseln in der Lage war.
Dann flachte der Orgasmus langsam wieder ab.
Ich löste mich von ihr, drehte mich auf den Rücken und zog sie so, dass sie halb auf mir zum Liegen kam.
Ich küsste Elke und lächelte sie an.
Sie lächelte glücklich zurück, aber sie sah völlig erschöpft aus.
Ihre Zähne und ihre Mundwinkel waren blutig.
Da war eine gut erkennbare, blutende, durch das Saugen dunkel verfärbte, Wunde unter meiner Brustwarze.
Sie schaute ungläubig und betrachtete fasziniert ihr Werk. Ihre und meine Säfte liefen aus ihrem Schoß.
Ich musste sie etwas beruhigen.
„Keine Panik. Das war ein Liebesbiss. Das kommt beim Sex schon mal vor."
„Aber sieh mal, wie der aussieht. Der ist ganz dunkel verfärbt."
„Und das wird auch wieder heilen. Ich bin mir da ganz sicher. Bis ich heirate, ist das wieder weg."
Ein kleiner neckender Scherz, um die Situation etwas zu entspannen.
„Ich werde dich aber nicht heiraten!" Elke war mit einem Mal völlig ernst.
„Ich meinte das nicht so. Ich wollte dich nur etwas necken."
„Ich weiß. Ich meinte das jetzt auch nicht so ernst. Da ist eben nur ein schlechtes, altes Fenster bei mir aufgegangen."
Elke sah mich an. Ihr Blick wurde wieder weicher.
„Ich bin jetzt völlig platt."
Sie küsste mich.
„Ich auch. Lass uns mal einen Moment die Augen schließen."
Wir kuschelten und ich schaltete für einen kurzen Moment ab. Ruhiger Atem verriet mir, dass sie bereits nach wenigen Augenblicken eingeschlafen war.
Leise stand ich auf, nahm eine Decke und hüllte sie sachte ein. Elke lag da, wie ein Engel.
Aber auch sie schien eine Wunde zu haben.
Der total verunglückte Joke mit dem „Heiraten" ging mir nicht aus dem Kopf.
Ich wollte sie nicht heiraten.
Ich denke, wir waren einfach im Moment zwei einsame Seelen, die sich sympathisch fanden und voneinander angezogen wurden, wie Motten vom Licht...
Auch wenn das jetzt meinerseits doof klang -- jeder nutzte den anderen auf seine Weise aus und nahm sich, was er brauchte, ohne jegliche gegenseitige Verpflichtung. Klang jetzt vielleicht etwas unsympathisch und als ob ich die Notsituation der Mädels ausnutzen wollte -- genau so meinte ich es eben nicht.
Wir gierten alle nach dem Leben und dem Ausbrechen aus unserer eingefahrenen und vielleicht etwas trostlosen Welt. Ich nahm mir vor, noch einmal mit Elke zu sprechen.
Jetzt stand erst mal eine Runde „Patientenbesuche" auf dem Plan, bevor ich mich selbst hinlegen konnte.
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2022
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