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Die auftretenden Personen:

Der Hausherr

Die gnädige Dame

Der Sohn

Die Tochter

Der erste Gärtner

Der zweite Gärtner

Büttel

Dorfbewohner

Häftling

 

 

Es trug sich zu, in einem Dorf, das normaler und friedlicher nicht hätte sein können, dass an einem schönen Sonntagmorgen, sämtliche Bewohner in helle Aufregung versetzend, am Ufer des Flusses eine Leiche gefunden wurde. Niemand wollte den Toten kennen, der keinen Namen und kein Gesicht hatte. Am Himmel strahlte die Sonne, es zwitscherten die Vögel und alles, was in der Luft hing, war der leichte Geruch nach Tod und Erde.

Warum hatte der Mann sterben müssen? Warum hatte man ihn, völlig stümperhaft offenbar, nicht verscharrt oder gleich im Fluss versenkt? Warum lag er, die Landschaft verunstaltend, am Flussrand herum und störte das schöne Bild?

Das begann man sich zu fragen. Die primäre Frage, wer nun den frevelhaften Mord begangen haben mochte, wurde in den Hintergrund gerückt. Der Grund hierfür lag auf der Hand: Man wusste die Antwort darauf bereits. Zumindest glaubte man es zu wissen. Ach, nein, Glauben konnte man es schon gar nicht mehr nennen. Gewiss konnte es nur einer gewesen sein. Wer auch sonst?

 

Am darauf folgenden Donnerstagnachmittag, auf dem Anwesen der einflussreichsten Familie des Dorfes (die zugleich die einzige einflussreiche Familie des Dorfes war).

Büttel: Mit Verlaub, es ist dringend.

Der Sohn: Was ist dringend?

Büttel: Ist nicht dein Vater zu Hause?

Der Sohn: Nö.

Büttel: Ist nicht deine Mutter zu Hause?

Der Sohn: Nö.

Büttel (rauft sich die Haare): Ist denn überhaupt irgendwer zu Hause?

Der Sohn: Ja.

Büttel: Ja, um des Herrgotts Willen, wer denn?

Der Sohn: Ich.

Während der arme Mann verzweifelte, tauchte auf der Szene eine weitere Person auf; es war dies der Gärtner, oder genauer gesagt, einer der beiden Gärtner. Das Anwesen war groß, dementsprechend war ein Gärtner nicht ausreichend.

Der erste Gärtner war groß und von kräftiger Statur, trug immer einen grünen Hut mit einer Feder daran – was für einen Gärtner ungewöhnlich ist – und war vergleichsweise wortkarg. Ab und an unterhielt er sich mit den Pflanzen, für seine Mitmenschen hatte er meist nicht mehr als ein Grunzen oder Brummen übrig.

Der zweite Gärtner war klein und hager, trug keinen Hut – was für einen Gärtner ebenfalls ungewöhnlich ist – und war nicht minder wortkarg als der erste, obgleich er durchaus von freundlicherem Gemüt war. Zudem litt er ständig unter Verfolgungsängsten und sorgte sich so um dies und um das.

Es war der erste Gärtner, der nun auftrat.

Der erste Gärtner: Probleme?

Der Sohn: Ja.

Büttel: Sie sind festgenommen.

Der Sohn: Ich?

Büttel: Himmel Herrgott noch mal, nein! Nicht du, der Gärtner.

Der erste Gärtner: Was?

Ohne weitere Erklärungen wurde der erste Gärtner abgeführt. Man verdächtige ihn des Mordes an dem Fremden. Dieser war, wie sich herausgestellt hatte, erschlagen worden, und wer sonst außer dem hünenhaften Gärtner sollte es wohl gewesen sein? Der Mörder ist immer der Gärtner, das wusste doch jedes Kleinkind!

 

Einige Tage zuvor.

Am Dienstag, dem dritten Tag nach dem Mord an dem Fremden, trafen im Gewächshaus Nr. 3 der erste und der zweite Gärtner aufeinander; der erste goss die Blumen, der zweite kaute an seinen Fingernägeln herum.

Der zweite Gärtner (sich panisch umsehend): Man wird uns verdächtigen.

Der erste Gärtner: Weswegen?

Der zweite Gärtner: Weil der Fremde ermordet wurde und wir Gärtner sind.

Der erste Gärtner: Und?

Der zweite Gärtner: Der Mörder ist immer der Gärtner!

Der erste Gärtner: Bist du es gewesen?

Der zweite Gärtner (ehrlich empört): Natürlich nicht! … du etwa?

Der erste Gärtner: Nein, ich bin es nicht gewesen.

Der zweite Gärtner: Man wird uns trotzdem verdächtigen. Vor allem dich. Glaube ich.

Der erste Gärtner: Ich bin es leid, dass alle mich für einen Mörder halten.

Der zweite Gärtner: Was will man machen, was will man machen…

Der erste Gärtner:

 

Freitagmorgen

Dorfbewohner: Mord, Mord!

Büttel (einen Krapfen essend): Der Mord wurde aufgeklärt.

Dorfbewohner: Nein, Sie Trottel, ein neuer Mord!

Büttel: Was, wo?

Dorfbewohner: Auf dem Anwesen der Familie Sowieso.

Als der Büttel das hörte, eilte er natürlich sogleich zum Anwesen der Familie. Und ganz, wie der Dorfbewohner es geschildert hatte, lag dort ein weiterer Toter, der dem Ersten ganz ähnlich sah, nur dass dieser hier ein Gesicht hatte. In der Luft hing der Geruch nach Erde.

Während der Büttel, unsicher, was nun zu tun sei – sonst hatte er immer Anweisungen von oben erhalten – die Leiche betrachtete, eilten die gnädigen Herrschaften herbei und erkundigten sich, was denn um Gottes Willen geschehen war.

Die gnädige Dame: Ist er tot?

Der Hausherr: Und wer beseitigt den Dreck?

Büttel: Er ist tot, ja.

Der Hausherr: Und wer macht hier hinterher sauber?

Die gnädige Dame: Warum passiert so etwas immer hier?

Büttel: Mögen die Herrschaften sich doch bitte beruhigen.

Vom Geschrei der Eltern angelockt, erschienen alsbald auch die Kinder des Hauses im Garten, um zu sehen, was wohl passiert sein mochte.

Der Sohn: Ist er tot?

Büttel: Ja, zum Himmel noch mal!

Die Tochter: Das ist ja überaus interessant.

Der Sohn: Find ich nicht.

Die gnädige Dame: Wer mag der Mörder sein?

Der Hausherr: Und wer beseitigt den Dreck?

Büttel: Der Mörder ist der Gärtner, das weiß doch jeder!

Die Tochter: Blödsinn, der sitzt doch längst hinter Gittern.

Der Sohn: Das ist lustig.

Büttel: Dann wird es der andere Gärtner gewesen sein! Wo steckt er?

Der zweite Gärtner war gar nicht weit vom Geschehen um die Leiche herum entfernt; hinter einem hohen Apfelbaum kauerte er, besah sich die Szenerie und belauschte die andern Herrschaften, wie sie sich über ihn unterhielten, wie sie sich bereit machten, seinem friedlichen Gärtnerleben ein jähes Ende zu bereiten. Das konnte und wollte er nicht zulassen. Hastig huschte er davon.

Derweil machten die Herrschaften sich gemeinsam auf die Suche nach dem zweiten Gärtner; überall auf dem Außengelände des Anwesens suchten sie und brüllten sich gegenseitig ihre bescheidenen (das heißt: quasi nicht vorhandenen) Erfolge zu.

Der Sohn (im Erdbeerbeet): Hier ist er nicht!

Die gnädige Dame (im Kräutergarten): Hier auch nicht!

Der Hausherr (immer noch bei der Leiche): Und wer räumt die jetzt weg?

Büttel (auf der Veranda): Also, hier ist er auch nicht.

Die Tochter (im Gewächshaus Nr. 3): Ich hab ihn gefunden!

Sodann eilten die andern – bis auf den Hausherrn, der sich noch immer lauthals beschwerte, obwohl längst schon niemand mehr zuhörte – gleich zu jenem Gewächshaus, aus dem die Tochter gerufen hatte. Und tatsächlich fanden sie dort den zweiten Gärtner, der sich mit einem dicken Strick an einem der Dachstreben erhängt hatte.

Die gnädige Dame: Um Gottes Willen!

Büttel: Wie ist das nur möglich?

Die Tochter: Ja, wie ist er da hoch gekommen?

Der Sohn: Sehr interessant.

Büttel (hustet peinlich berührt): Nun, jedenfalls habe ich wieder einmal die Gefahr gebannt und das Dorf ist wieder sicher. Der eine Mörder sitzt hinter Gittern, der andere hat sich im Angesicht seiner schlimmen Schuld selbst das Leben genommen. Lasst uns alle über diese Sache Schweigen bewahren.

Und so geschah es.

 

Derweil, im Gefängnis des Dorfes.

Der erste Gärtner malte mit weißer Kreide einen weiteren Strich an die kalte Wand seiner Doppelzelle, fünf hatte er nun schon gemalt, das war schon einiges.

Häftling: Lustige Sache, das mit den beiden Morden. Und beide Male wurde der Täter ganz schön schnell erwischt, nicht wahr?

Der erste Gärtner (kichert in sich hinein): Nicht ganz.

Häftling: Was soll das heißen?

Der erste Gärtner: Mein Kollege war unschuldig.

Häftling: Was? Warum hätte er sich dann umbringen sollen?

Der erste Gärtner (zuckt mit den Schultern): Woher soll ich das wissen?

Häftling: Also hast du doch den ersten Mord begangen! Du hast behauptet, unschuldig zu sein.

Der erste Gärtner: Den ersten Mord habe ich nicht begangen. Nur den zweiten.

Häftling: Aber warum?

Der erste Gärtner (zuckt wieder mit den Schultern): Weil ich es satt hatte, dass alle mich für einen mordenden Gärtner halten.

Häftling (ist sichtlich verwirrt): Aber du bist ein mordender Gärtner!

Der erste Gärtner: Jetzt schon. Hihi.

Häftling: Und wer hat dann den ersten Mord begangen?

Der erste Gärtner: Keine Ahnung. Der Typ läuft immer noch frei herum.

 

Und so trug es sich also zu; in dem kleinen, friedlichen Dorf am Flussufer geschah danach noch so mancher Mord. Nur gab es nun keinen Gärtner mehr, der dafür zur Verantwortung gezogen werden konnte. Es gab nur unfähige Büttel und noch viel unfähigere Dorfbewohner. Einer nach dem anderen fielen sie dem unbekannten Mörder zum Opfer, der bei seinen Taten stets einen leichten erdigen Geruch zurückließ. Wer weiß, vielleicht war es doch ein Gärtner?                                                                                                                   Das Dorf, das heutzutage geisterhaft ohne jegliche Bewohner still und friedlich da liegt, sollte es nie herausfinden.~

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Tag der Veröffentlichung: 28.04.2013

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