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Kapitel 1


Noch immer stinksauer auf seinen Chef stieg Dean aus dem Auto und schlug die Tür geräuschvoll hinter sich zu. Der Knall hallte laut in dieser absoluten Stille, gefolgt von dem Klicken des Autoschlosses. Unschlüssig wendet er sich dem Anwesen zu. Schon lange versuchte sein Chef ihn hier her zu bewegen, doch bisher hatte er sich standhaft geweigert. Dieser Job ist einer von jenen, die keiner gerne macht und man sich so dezent wie möglich in den Hintergrund drückt, um nicht das Pech zu haben ihn auf den Schreibtisch zu bekommen. Leider hatte es ihn dieses Mal doch erwischt. Sein Chef hatte ihn nach der Arbeit einfach in sein Büro kommen lassen und ihm diese undankbare Aufgabe zukommen lassen. Dafür hasste er ihn, zumindest in diesem Moment, denn er hatte sich eigentlich einen anderen Feierabend gewünscht. Schlecht gelaunt knurrte er vor sich hin und spuckte, um seinem Ärger Luft zu machen, einmal auf den Schotter vor sich. Zum Teufel, warum wollte er damals gleich noch zur Presse? Ach ja, wegen dem Nervenkitzel. Mittlerweile war er sich nicht mehr ganz so sicher ob das eine gute Idee war. Eigentlich erst seit sein Chef ihm diesen Auftrag erteilt hat, davor hatte ihm sein Beruf durchaus Spaß gemacht. Damit wir uns nicht falsch verstehen, er arbeitete nicht für eines dieser furchtbaren Klatschblätter, sondern für ein seriöses Wirtschafts- und Gesellschaftsmagazin. Ihr denkt nun sicher an einen ätzenden Bürojob, bei dem bleichgesichtige Weicheier sich den Arsch plattsitzen. Falsch gedacht! Klar gibt es auch in seiner Redaktion brave, kleine Schreibtischstuten, anders als ihn. Er durfte meist die Drecksarbeit erledigen. Wenn er es sich recht überlegte war es ja eigentlich nicht anders zu erwarten. Auf diesen Job hatte er aber nun wirklich gar keine Lust. Sich mit Finanzhaien zu vergnügen und hochrangige Wirtschaftsbosse anzuschmieren ist eine ganz andere Sache als einen Verrückten zu interviewen.

Dean blickte auf ein nicht gerade vertrauenswürdiges Grundstück. Ein eiserner Zaun umgab das Anwesen und trotz der fortgeschrittenen Verwitterung und des Tores, das schief in den Angeln hing, wirkte es keineswegs einladender. Widerstrebend machte er ein paar Schritte darauf zu und blickte sich um. Dieser Ort war gruselig und ihn beschlich das Gefühl, das er von irgendwoher beobachtet wurde. Entschieden schob er diesen Gedanken beiseite. ‚Du hast nicht mehr alle Latten am Zaun, solltest vielleicht mal weniger Horrorfilme schauen, Alter‘. Auch so eine Berufsgewohnheit, die man sich aneignet, wenn man als Journalist arbeitet. Dennoch wurde er dieses ungute Gefühl einfach nicht los und die einsetzende Dämmerung und das Wissen über den Bewohner dieses Hauses machten die Situation nicht gerade angenehmer. Entschlossen schob er seine Bedenken beiseite und griff nach dem eisernen Rahmen des Tores. Mit einem entsetzlichen Kreischen ließ es sich öffnen und ihm jagte ein eiskalter Schauer über den Rücken. Wie lange hatet dieser Mann sein Haus schon nicht mehr verlassen? Dass er ein sehr seltsamer Kautz ist wusste eigentlich jeder hier in der Gegend, aber dass er so gar nicht vor die Tür ging wunderte ihn dann doch. Wo bekam er denn die Dinge her, die er zum täglichen Leben brauchte? Er zuckte mit den Schultern, es ist schließlich nur ein Job und er musste hier ja nicht übernachten. Er beschloss das Tor offen zu lassen, denn die gequälten Scharniere wollte er sich nicht unbedingt noch ein zweites Mal anhören, darauf konnte er sehr gut verzichten. In Gedanken legte er sich noch einmal seine Fragen zurecht und rief sich die Informationen, die er zu ihm hatte ins Gedächtnis. Schriftsteller, Mitte 30… er musste sich eingestehen, dass er kaum etwas über diesen Mann herausgefunden hatte. Ja, er wusste noch nicht mal, ob James Harold Hancock sein wirklicher Name war. Seine wenigen Bücher waren unter diesem Namen erschienen, doch das hatte schließlich nichts zu bedeuten. Die Sache wurde nur noch komplizierter, da seine Bücher wirklich revolutionär waren und durschlagende Erfolge erzielen konnten. Wieso also weiß man nur so wenig über ihn? Nun ja unter anderem deswegen wurde er hier hergeschickt, um genau dieses Rätsel zu lösen. Aber was für eine Person konnte ihn hier schon erwarten? Wenn er sich so umsah wirkte das gesamte Grundstück verwahrlost. Es schien niemanden zu geben, der sich darum kümmerte.

In dem viel zu hohen Gras neben dem unkrautbedeckten Kiesweg lagen vereinzelt Gartengeräte und Werkzeuge. Das meiste davon lag allerdings wahrscheinlich schon ein halbes Jahrhundert an derselben Stelle. Die hohen Bäume rings um das alte Gebäude ließen es noch majestätischer wirken – und düsterer. Vor vielen Jahren war es bestimmt einmal in prachtvollem Glanz erstrahlt, doch davon war wenig übriggeblieben. Die alten Fassaden waren über die Jahre dunkel geworden und einige der Fenster waren mittlerweile blind. Dennoch, mit ein bisschen Fantasie konnte man sich vorstellen wie dieses altehrwürdige Gebäude früher ausgesehen haben könnte. Noch während er sich in diese alte Zeit zurückversetzte, kam er an der Treppe zu dem hohen Eingangsportal an. Eine Flügeltür aus massivem Eichenholz. Irgendwie wirkte ihr Anblick erleichternd auf ihn. Die Tür schien das Einzige an diesem Haus zu sein, was die Zeit unbeschadet überdauert hatte. Er fragte sich gerade, ob es bei dem kreischenden Gartentor überhaupt noch eine Klingel brauchte, als ihm klar wurde, dass es überhaupt keine gab. Lediglich ein Messinglöwe mit Klopfring starrte ihm entgegen. Er fühlte sich in einen schlechten Horrorfilm versetzt und musste sich eingestehen, dass ihm bei diesem Gedanken mulmig wurde. Dieser Schriftsteller war nicht nur vielleicht verrückt, er war es ganz sicher. Nervös blickte er zu seinem Jaguar zurück und der Weg dorthin kam ihm plötzlich unglaublich lang vor. ‚Reis dich endlich zusammen, Mann! Komm schon, als könnte irgendein mickriger Autor dich umhauen‘. Er straffte die Schultern und griff nach dem Messingring.

Das Klopfen klang unnatürlich laut in seinen Ohren und er wartete noch immer etwas nervös auf den Bewohner…


***


Verwirrt schreckte Harold aus dem Schlaf und wunderte sich, wer um diese Uhrzeit noch etwas von ihm wollen könnte. Eigentlich wunderte ihn, wer überhaupt etwas von ihm wollen könnte, aber im Prinzip ist dieser Unterschied nicht der Rede wert. Plötzlich bekam er Panik, als ihm klar wurde, dass er überhaupt nichts sehen konnte, ist es etwa schon dunkel? Nein, das konnte nicht sein, denn dann würde die Lampe brennen. Entsetzen durchzuckte ihn, er war blind! Fahrig griff er sich an den Kopf und schob erleichtert das Buch vom Gesicht. Schlaftrunken setzte er sich auf und rieb sich die Augen. Er konnte sich gar nicht daran erinnern eingeschlafen zu sein.

Ein erneutes Klopfen forderte seine Aufmerksamkeit und er erhob sich müde, um den ungebetenen Besucher zu vertreiben. Er war noch keinen Schritt weit gegangen, da fiel er auch schon über seine Schuhe. Ach ja, die sollte er vielleicht besser anziehen, schoss es ihm durch den Kopf. Er schlüpfte schnell in seine Hausschuhe und bahnte sich einen Weg durch das Chaos. Nicht, dass dieses kein System gehabt hätte. Er hatte es schon beinahe aus dem Zimmer geschafft, als er an der Kordel des Vorhangs hängen blieb und der schwere Samt auf ihn herein fiel. Mit einem erschrockenen Aufschrei wehrte er sich gegen das wütende Material, das ihn immer weiter einzuwickeln drohte. Endlich! Wieder frei schlurfte er in den Gang hinaus und trotte auf die breite Treppe zu, doch das Schicksal schien es noch immer nicht gut mit ihm zu meinen. Auf der obersten Stufe stand der Eimer mit Murmeln, er stolperte, fing sich gerade noch am Treppengeländer nur um gleich darauf auf den die Treppe hinabrollenden Murmeln auszurutschen. Mit einem Aufschrei rollte er kopfüber die Treppe hinunter und blieb benommen in der Eingangshalle liegen. „Zum Teufel mit diesem Ruhestörer!“ fluchte er vor sich hin und rappelte sich mühsam wieder auf, als ein weiteres, ungeduldiges Klopfen durch die Halle schallte. „Ich komme ja schon!“ schrie er wütend und stieß sich beim Aufstehen den Zeh. „Au, du verdammte schei… hei…**!“ heulte er und schaffte es dann endlich auf einem Bein balancierend die Tür einen Spalt zu öffnen. Harold schielte vorsichtig zur Tür hinaus und konnte seine schlechte Laune nur mäßig beherrschen. „Was wollen Sie?“


***


Interessiert verfolgte Dean die plötzliche Regung in dem Haus, zuerst glaubte er, ihn hätte niemand gehört, doch jetzt bot sich ihm ein Spektakel, über das er nur staunen konnte. Zunächst war es nur ein Rumoren im oberen Stockwerk, dann ein Poltern und schließlich hörte er jemanden ausgiebig fluchen. Er musste sich ein Lachen verkneifen bei den Bildern, die ihm zu diesem Lärm vor Augen traten, doch er grinste immer noch als die Tür sich schließlich einen winzigen Spalt öffnete und ein brauner Schopf und ein Augenpaar auftauchten. „Was wollen sie?“ hörte er das Augenpaar in die Eichentür knurren und er war nicht mehr weit von einem haltlosen Lachanfall entfernt. Dean beherrschte sich und setzte bemüht ein freundliches Lächeln auf. Er ahnte, dass die Tür sofort wieder ins Schloss krachte, wenn er ihm erzählte, dass er von der Presse war. Er musste sich also was Besseres einfallen lassen. Fieberhaft dachte er nach, die ihn fixierenden Augen machten das nicht gerade einfacher. Er kam sich so langsam wirklich verarscht vor. „Ich ähm...“ begann er, wusste aber im gleichen Moment nicht wie es weiter gehen sollte. ‚Sehr geistreich, Alter‘. Schließlich blitzte ein Gedanke in ihm auf, er hatte genau eine Chance, wenn er falsch lag war’s das „Es geht um Ihr neues Buch, das Sie gerade schreiben.“ Er machte eine Kunstpause und wartete was geschah. Das Augenpaar starrte ihn weiterhin an, also redete er weiter „Ich bin von einem Verlag“ log Dean. „Von welchem Verlag?“ antwortete das Augenpaar. ‚Oh zum Teufel, denk nach denk nach denk nach‘! Schoss es ihm durch den Kopf. „Fischer“ gab er zurück in der Hoffnung, sich jetzt nicht lächerlich gemacht zu haben. Er hatte keine Ahnung was für Bücher dieser Verlag auf den Markt brachte. Die Tür fiel krachend ins Schloss. ‚F*ck! Ich hab’s verschissen!‘, dachte er und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als ein Rascheln hinter der Tür seine Aufmerksamkeit erregte. Kurz darauf öffnete sich die Tür. ‚Natürlich, eine Sicherheitskette darauf hätte ich auch gleich kommen können.‘ Gedanklich verpasste er sich selbst einen Schlag gegen das heute anscheinend sehr langsame Hirn.

Vor ihm steht ein Mann in Jeans, einem weiten Leinenpullover und Hausschuhen. Alles in allem eine sehr extravagante Art sich zu kleiden, stellte er fest und musste sich beherrschen, nicht bedeutend die Augenbrauen nach oben zu ziehen. Seine Haare standen ihm wirr vom Kopf ab und er wirkte verschlafen. Dennoch sah er auf eine verlorene und zerknautschte Art und Weise sexy aus. ‚Was zur Hölle denke ich denn da‘? „Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht wecken. Ein Besuch zu so später Stunde ist durchaus nicht üblich von uns, allerdings hat es die Arbeitszeit nicht anders zugelassen. Sie wissen ja wie das ist“ versuchte Dean die Stimmung etwas aufzulockern, doch sein Gegenüber sah ihn nur verständnislos an. Innerlich schlug er sich ein weiteres Mal die Hand vor den Kopf, der Mann ist Schriftsteller, er hatte keine festen Arbeitszeiten. „Wäre es denn in Ordnung, wenn ich kurz reinkomme? Was ich mit Ihnen besprechen möchte ist vielleicht etwas ungeeignet hier zwischen Tür und Angel“ machte er unbeirrt weiter und schob sich einfach an ihm vorbei in die Eingangshalle. Sein gegenüber ließ es geschehen, schloss einfach nur die Tür hinter ihm. Dean drehte sich nicht einmal herum, sondern begutachte mäßig interessiert die Eingangshalle, die sich großräumig vor ihm erstreckte. Nachdem er dieses Hemd von Mann gesehen hatte, machte er sich nun wirklich keine Gedanken mehr, um seine Sicherheit. Dieser Schriftsteller sah mehr zum Totlachen als gefährlich aus in den tief auf den Hüften sitzenden Jeans und dem verschlafenen Blick. In Gedanken maß er sich mit ihm. Er war schlank, aber sicher nicht allzu sportlich und nur unwesentlich größer als er selbst. Die Chancen standen also bestens. Nicht dass er ernsthaft glaubte, dass der Typ da ihn anfiel. „Wo können wir uns denn in Ruhe unterhalten?“ fragte er stattdessen an den Hausherren gewandt und kam sich noch im selben Moment komisch vor. In diesem Haus herrschte eine schon fast geisterhafte Ruhe. Zum ersten Mal erschien auf dem kantigen Gesicht des Hausherren eine Andeutung eines Lächelns. Er deutete auf eine offene Tür auf der rechten Seite des Eingangsbereichs und Dean ging voran. Etwas mulmig war ihm schon mit diesem komischen Kautz im Nacken, doch er ließ sich nichts anmerken. Er drehte Leuten einfach nicht gerne den Rücken zu. Es bedeutete immerhin zumindest ein Stückweit die Kontrolle abgeben zu müssen. Sie betraten einen kleinen, vollgestopften Raum. „Setzen Sie sich doch“, sagte der Schriftsteller und wies auf einen der beiden alten Ohrensessel. Dean ließ sich in einen davon fallen und wartete darauf, dass auch er sich hinsetzte, doch er machte Anstalten sich der Tür zuzuwenden. „Tee?“ fragte er im Umdrehen. „Ja danke“ antwortete Dean schnell. Er trank nie Tee, wirklich ein ekelhaftes Gesöff, doch er wollte auch nicht unhöflich wirken.

Während der Schriftsteller irgendwo in den Untiefen des Hauses verschwand, sah Dean sich um. Er befand sich in einer Art Lesezimmer. An den Wänden standen massive Bücherregale und eine fast leere Vitrine mit einigen altmodischen Lampen. Zwischen den Sesseln fand ein kleiner, verspielter Kaffeetisch aus dunklem mit Schnitzereien verziertem Holz seinen Platz. ‚Für sowas muss man wirklich der Typ sein‘ schoss es ihm durch den Kopf. Er wollte sich gerade den einzelnen Büchern genauer zuwenden, da erschien der Hausherr mit einem Tablett. Er platzierte es auf dem Tischchen zwischen den beiden und stellte Dean eine filigrane, schön bemalte Teetasse vor die Nase und schenkte ihm aus einer ebensolchen Kanne ein. „Danke“. Verlegenes Schweigen.

Gedankenverloren pusteten sie beide in ihren Tee. Dean, weil er nicht wusste wie er das Gespräch beginnen sollte, er, weil er nicht häufig Gastgeber war. Das vermutete Dean zumindest. Schließlich brach sein Gastgeber das Schweigen „Sie sind nicht von einem Verlag, oder?“ fragte er. Dean seufzte, setzte seine Tasse zurück auf den Untersetzer und sah sein Gegenüber offen an „Nein, Sie haben Recht, ich bin nicht von einem Verlag“ gab er zu und stellte mit Erstaunen fest wie sich auf dem Gesicht des Schriftstellers bodenlose Enttäuschung ausbreitete. Damit hatte Dean nun tatsächlich nicht gerechnet. „Es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein“ flüsterte er. Er fasste sich, straffte die Schultern und sah Dean an „Was wollen Sie dann von mir?“ Dean brachte es nicht übers Herz diesem Häufchen Elend vor sich noch weiter etwas vorzumachen. Er tat ihm leid, scheinbar hatte er ihm große Hoffnungen gemacht. „Ich bin von der Presse“ gab er daher zu „Mein Auftrag ist es Sie zu interviewen.“ Schweigend wartete er, wie sein Gegenüber diese Nachricht aufnahm.

Er könnte ihn gut verstehen, wenn er ihn jetzt einfach hinauswarf. Der Schriftsteller fuhr sich durch die Haare, er war nervös und versuchte es zu überspielen. „Ich gebe keine Interviews“ antwortete er schließlich. “Ich weiß, deswegen bin ich ja hier. Die Menschen wollen erfahren wer hinter diesen großartigen Werken steckt, die Sie veröffentlicht haben“ versuchte Dean es. ‚Ganz der Hellste scheint er auch nicht zu sein‘. Plötzlich schwenkte seine Aufregung in Verachtung um „Ach wirklich? Glauben Sie wirklich, dass es die Menschen interessiert wer ich bin?“ Er sah Dean durchdringend an und dieser merkte überrascht auf und setzte sich etwas aufrechter hin. Diese Gefühlsschwankungen machten ihm wirklich zu schaffen. „Ich würde sagen ein Interview mit Ihnen bedeutet lediglich, dass ihr Chef behaupten kann er ist der Erste, der ein Interview mit mir geführt hat, dem großen Unbekannten hinter diesen Büchern. Dabei haben wahrscheinlich die meisten Menschen meine Bücher aus reinem Pflichtbewusstsein gelesen und nicht, weil sie ihnen gefallen haben.“ Dean schwieg, denn er hatte Recht. Ihm fiel keiner seiner Bekannten ein, der überhaupt jemals eines seiner Bücher gelesen hatte. Er selbst schon gleich gar nicht. Bücherwaren nicht wirklich sein Ding. Er brauchte kurze Texte mit klaren Fakten. Wer will sich schon Ewigkeiten mit Büchern aufhalten?

„Ein Buch, das sich einer kauft, der in der Gesellschaft etwas zu sagen hat, wird dem Verlag und den Büchereien plötzlich aus den Händen gerissen, einfach nur weil die Menschen bestrebt sind dem Trend zu folgen, sie haben Angst vergessen zu werden, wenn sie es nicht tun.“, sprach der Schriftsteller weiter. Dean gab es nicht gerne zu, aber der Kerl hatte Recht. Dieser seltsame Typ vor ihm hatte begriffen wie der Hase lief und in einem Satz dargelegt was Mensch zu sein bedeutete. Sich an etwas Klammern, weil man Angst hat den Anschluss zu verlieren. Menschen brauchen sich untereinander, aber sie können unendlich grausam sein. Schweigen machte sich breit, eines von der Sorte, wie zwei Menschen eben schwiegen, wenn sie sich fremd waren und nichts mehr zu sagen wussten.

„Wissen Sie was?“ brach der seltsame Kautz plötzlich das Schweigen „Ich mache dieses Interview mit Ihnen.“ Deans Blick erhellte sich und er sah ihn erwartungsvoll an. Der überraschte ihn immer wieder „Aber nur unter einer Bedingung…“ Deans Schultern sackten herab in Erwartung des Kommenden. “Es wird Ihr Name unter diesem Interview stehen.“ Dean sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Das sollte seine Bedingung sein? Sein Name würde sowieso unter diesem Artikel stehen. „In Ordnung“ antwortete er und schlug in die dargereichte Hand ein. „Was muss ich denn bei so einem Interview machen?“ fragte er plötzlich nervös. Meine Güte von seinen Stimmungsschwankungen wurde Dean noch übel. „Sie müssen einfach nur meine Fragen beantworten“ sagte er leichthin. „Das ist alles?“ „Das ist alles.“ Er holte sein Diktiergerät heraus und stellte es auf den Kaffeetisch in die Mitte und bewaffnete sich mit Block und Stift. Er sah wie sein Gastgeber kritisch das Diktiergerät beäugte und fühlte sich zu einer Erklärung gezwungen „Das Ding nimmt nur auf was wir hier besprechen.“ „Und warum haben Sie dann auch noch Block und Stift?“ fragte er verständnislos. „Damit ich mir noch zusätzliche Notizen machen kann“. Dieser Mann war ihm wirklich ein Rätsel, der schien völlig an der Welt vorbei zu leben und es schien ihn noch nicht mal zu interessieren.

Er richtete seine Aufmerksamkeit endlich auf Dean und rieb sich die Augen. Dean hatte ihn wohl wirklich geweckt, aber irgendwie gefiel ihm seine Verschlafenheit auch. Es machte ihn freundlicher, menschlicher. Warum auch immer ihn das auf einmal kümmerte. „Also Herr Hancock, ist das eigentlich wirklich Ihr richtiger Name?“ unterbrach er sich gleich schon wieder. „Für die Öffentlichkeit ist das mein richtiger Name, ja“ antwortete er scheinbar gelassen, doch man sah wie er aufgeregt seine Hände knetete. „Okay Herr Hancock, wie sind Sie auf die Idee gekommen Schriftsteller zu werden?“ fragte Dean ihn. „Naja, ich habe viel Fantasie und ich weiß sehr viel. Wahrscheinlich liegt es aber eher an meiner chronischen Unfähigkeit mich in ein Team zu integrieren“ antwortete er mir, beinahe etwas zerknirscht. „Und wieso dann nicht irgendein Beruf, bei dem es nicht auf Teamarbeit ankommt?“ „Das liegt dann wahrscheinlich an meinem Problem mit festen Arbeitszeiten. Ich kann nicht in festen Strukturen leben. Ich muss selbst entscheiden können wann ich arbeiten möchte“ „Aber möchte das nicht jeder, Herr Hancock?“ „Bestimmt, allerdings sollten Sie dann diese Menschen fragen, warum sie keine Schriftsteller sind“. Dean schwieg.

Dieser Mann hatte etwas an sich was ihn faszinierte. Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf seine Fragen. „Erzählen Sie mir etwas mehr über Ihre Vergangenheit? Wo Sie ursprünglich herkommen und was Sie eigentlich gelernt haben?“ „Sie meinen was ich als richtigen Beruf gelernt habe? Um ehrlich zu sein gar nichts. Ich habe meinen Hauptschulabschluss mehr schlecht als recht geschafft und war dann auf Reisen. Ich habe mir die großen Bibliotheken der Welt angesehen und viele Werke gelesen, aber ursprünglich komme ich aus Mildenhall in Suffolk“ Der junge Journalist gestand es sich nicht gerne ein, aber der seltsame Vogel erstaunte ihn tatsächlich immer mehr. Er verwarf seine nächsten Fragen und fragte ihn einfach das, was ihn neugierig machte: „Das heißt Sie sind schon einmal um die Welt gereist?“ „Ja genau“ antwortete er knapp. „Was haben die großen Bibliotheken denn so zu bieten?“ „Wissen – uraltes, mächtiges Wissen.“ „Wir alle sind natürlich darüber informiert, dass Wissen Macht bedeutet. Wieso wohnen Sie dann in diesem Haus in der Provinz, anstatt den Menschen mit ihrem Wissen zu dienen?“ fragte Dean weiter. Hancock schien die Spitze dahinter nicht einmal zu bemerken. Der Kerl lebte wirklich neben der Realität. „Das tue ich doch, ich schreibe Bücher.“ Dean sah ihn stirnrunzelnd an, er hatte seine Bücher zwar nicht gelesen, war sich jedoch ziemlich sicher, dass in ihnen nichts über altes Wissen stand.  Hancock schien seinen Gesichtsausdruck zu erraten „Ein Buch lebt nicht nur von der ersten Ebene, sondern auch von dem Ungeschriebenen zwischen den Zeilen“ sagte er und Dean glaubte ein Blitzen in seinen Augen zu sehen. Er räusperte sich „Und haben Sie schon ein neues Werk in Arbeit das der Menschheit dienen soll?“ Der Schriftsteller saß plötzlich da wie vom Donner gerührt und starrte ihn an. Dean beschlich so langsam das Gefühl, dass dies ein wunder Punkt bei ihm war. „Sie müssen mir nicht antworten“ versuchte der Journalist abzuwiegeln. ‚Der setzt mich sonst glatt vor die Tür.‘, schoss es ihm durch den Kopf. „Nein, schon okay. Ich habe bereits ein vollendetes Werk hier, doch kein Verlag möchte es haben.“ Der zweite Teil seines Satzes wurde immer leiser und wieder spiegelte sich diese maßlose Enttäuschung auf seinem Gesicht. Versucht einen betroffenen Eindruck zu machen, sah Dean zu Boden. Schweigen. „Ist Ihnen das Werk denn nicht gelungen?“ fragte er schließlich vorsichtig nach. Als Hancock ihn nichtssagend anblickte, fügte er noch schnell einen Satz hinzu „Das ist eine persönliche Frage, ich werde sie nicht veröffentlichen, wenn Sie es nicht wüschen.“ Der Schriftsteller sah wenigstens etwas erleichtert aus „Um ehrlich zu sein finde ich, dass mir dieses Werk ganz besonders gut gelungen ist. Doch man sagte mir, dass dieses Buch nicht den Nerv der Zeit trifft“ er seufzte.

Mittlerweile war Deans Neugierde geweckt und er vergaß darüber vollkommen das Interview. „Um was geht es denn in diesem Buch?“ fragte er ehrlich interessiert. Eigentlich war er ja nicht so der Bücherfreak, aber jetzt wollte er es doch genauer wissen. „Es handelt von Träumen“ sein Blick schweifte ab, es sah aus als würde er in weite Ferne blicken. „Wissen Sie, schon in der Antike war die Kraft von Träumen ein Thema für die Menschen und wie ich finde auch heute noch. In Träumen liegt so viel Magie, soviel Fantasie und Lebensfreude, aber auch Angst, Wut und Trauer. Träume sind so vielfältig und doch kann man sie nicht greifen. Sie entziehen sich einem einfach immer wieder.“ Dean hörte ihm gebannt zu. Seine Art zu erzählen fesselte ihn. Seine Stimme, weich wie Samt und dann wieder hart und kalt wie Stahl. Er zauberte so viel Farbe in seine Erzählung, dass Dean selbst schon glaubte davon zu träumen. Wow, der verdrehte einem noch den Verstand. „Träumen Sie gerne?“ fragte er ihn unvermittelt und Dean wurde hart in die Wirklichkeit zurückgeholt. Sein Blick fing den des jungen Journalisten ein und fesselte ihn. Zum ersten Mal fielen Dean die Augen seines Gegenübers auf. Grün, kein saftiges Grün, eher als läge ein milchiger Schleier darüber, um etwas vor seinen Augen zu verbergen. Er schüttelte verwirrt den Kopf und beeilte sich zu antworten „Ähm naja, um ehrlich zu sein habe ich tagsüber keine Zeit zu träumen und nachts…“ er zuckte mit den Schultern „Keine Ahnung, wenn ich träume, dann erinnere ich mich nicht daran.“ „Das ist schade“ erwiderte Hancock leise „Träumen heilt die Seele. Ich träume sehr viel.“ Dean musste sich ein Lachen verkneifen, denn sein Auftreten ließ irgendwie keinen Zweifel daran. „Haben Sie sonst noch Fragen?“ fragte er nachdenklich. Dean war mittlerweile völlig aus dem Konzept gebracht und schüttelte nur stumm den Kopf. „Sehr gut, denn ich denke so langsam ist es spät. Sie sollten besser gehen.“

Entgeistert blickte Dean ihn an. Gerade noch hatte er das Gefühl gehabt, dass er so langsam einen Draht zu ihm bekam und jetzt setzte er ihn einfach vor die Tür? Der Hausherr erhob sich und Dean folgte seinem Beispiel. Seinem Blick war anzusehen, dass seine Gastfreundschaft vorbei war. Dean folgte ihm zurück in die Eingangshalle und er öffnete dem Journalisten die Tür. Ein eisiger Windzug fegte herein. In der Tür blieb Dean noch einmal stehen. „Eine Frage habe ich doch noch. Woher wussten Sie, dass ich kein Mitarbeiter eines Verlags bin?“ Er schmunzelte „Ihre Ohren werden rot, wenn Sie lügen“ damit schloss sich die Tür. Nicht gerade sehr freundlich, einem einfach ohne Verabschiedung die Tür vor der Nase zuzuknallen, dachte sich Dean, doch was sollte er anderes von einem seltsamen Kautz wie ihm erwarten? Dennoch ließ ihn der Gedanke an ihn nicht los, nicht während er zu seinem Jaguar zurückkehrte und auch nicht auf der Heimfahrt. Gerne hätte er ihn noch gefragt, warum er ihn dann überhaupt reingelassen hatte, doch dazu war es jetzt zu spät.

Bis spät in die Nacht hinein, saß Dean an seinem Rechner und versuchte verzweifelt das Interview in Worte zu fassen. Noch nie hatte er damit Schwierigkeiten gehabt, doch dieses Mal wollten ihm einfach nicht die richtigen Worte einfallen. Immer wieder kreisten seine Gedanken um diesen seltsamen Schriftsteller. Seine unbeholfene Art, die immer wieder aufgeblitzt war, seine viel zu große Jeans die tief auf den Hüften hing und drohte sich jeden Moment selbstständig zu machen, dazu die wollenen Hausschuhe und dann diese schnellen Stimmungswechsel. Ein Psychologe hätte ihm sicher eine Therapie angeraten. Frustriert gab er sich irgendwann geschlagen und beschloss es am nächsten Morgen weiter zu versuchen, um wenigstens noch ein bisschen Schlaf abzubekommen.

Und in dieser Nacht träumte er…







Von ihm!

Kapitel 2


Er stand noch sehr lange in der Eingangshalle und grübelte über diesen ungewöhnlichen Besuch. Warum hatte er ihn überhaupt reingelassen? Einen Journalisten, der ihn obendrein auch noch angelogen hatte? So ganz verstand er sich selbst nicht und wendete kopfschüttelnd seinen Blick von der Tür ab. Er sah seufzend auf die verstreuten Murmeln hinab und begann sie einzusammeln. Der Journalist musste sie bemerkt haben, doch er hatte sie ganz geflissentlich ignoriert und anscheinend für sich beschlossen nicht danach zu fragen. Er war ganz einfach darüber hinweg getreten und Harold in das Lesezimmer gefolgt und zu seiner Tagesordnung übergegangen. Ein seltsamer Mensch war dieser Journalist, Harold glaubte ihm nicht, dass er keinen anderen Termin gefunden hatte, um bei ihm aufzutauchen. Dieser Job musste ihm zuwider gewesen sein und er hatte diesen Besuch sicher weit vor sich hergeschoben, so weit, dass es irgendwann nicht länger aufzuschieben war und das war wohl genau dieser Abend gewesen.

In Gedanken versunken drehte er eine der Murmeln zwischen seinen Fingern. Wie schön sie doch war, eine glatte, makellose Oberfläche in sattem Blau und doch konnte man durch das Glas hindurchsehen. Der Boden erschien größer, die Fugen schlugen eigenwillige Wellen. Ein verzerrtes ungleich farbigeres Bild der grauen Wirklichkeit. Harold dachte an das Gespräch zurück. Er sagte er könne nicht träumen. Armer Mann, noch so jung und ein weiterer von Unzähligen, die ihre Fantasie dieser Welt geopfert hatten. Harold stützte sich vom Boden ab und stand auf, die Murmel steckte er in seine Hosentasche. Während er die Treppe hinaufstieg kreisten seine Gedanken weiter um diese seltsame Begegnung. Er konnte nicht verstehen, warum man sich die Zeit fürs Träumen stehlen ließ. Träume sind die Sprache der Seele, eine verstummte Seele wird krank und vereinsamt irgendwann. Harold meinte einmal ein Kinderbuch über Männer gelesen zu haben, die den Menschen ihre Zeit raubten und fragte sich, ob die Menschen einfach nur gleichgültig bemerkten wie ihnen immer mehr Zeit genommen wurde, ohne darüber nachzudenken oder, ob sie letztlich einfach nur still resignierten, wenn sie den Kampf immer wieder aufs Neue verloren. Tag für Tag, einfach nur weil sie in ihre Rolle passen und ihr gerecht werden mussten. Dabei war es doch ganz einfach, man musste nur den Träumen Einlass zur Seele gewähren, denn in Träumen war kein Platz für die Zeit. Mit Träumen bezwang man selbst den unerbittlichsten aller Gegner.

Harold schüttelte den Kopf und überlegte kurz, ob er noch einmal zu seinem Buch zurückkehren sollte, entschied sich aber dagegen und ging den Gang entlang zu seinem Schlafzimmer. Er öffnete die Tür und seine tröstliche Unordnung empfing ihn. Rechts neben ihm, auf dem hölzernen alten Schreibtisch lag sein fast vollendetes Werk. Einige Seiten waren auf den Boden gefallen. Das Mondlicht tauchte die Szene in ein unwirkliches Licht und er musste den dicken Stapel Blätter anfassen, um sich davon zu überzeugen, dass es auch wirklich noch dort war. Eigentlich liebte er das Licht des Mondes, doch heute ertrug er es aus einem seltsamen Grund einfach nicht. Er beugte sich über den Schreibtisch und zog die viel zu moderne Jalousie des Dachfensters herunter. Ein Modell, das in dieses Haus passte, hätte ein Vermögen gekostet. Erst jetzt wandte er sich zu dem kleinen Einzelbett in der Ecke um. Müde entledigte er sich seiner Jeans und des Pullis, stellte seine Hausschuhe beinahe akribisch genau unters Bett und ließ sich in die Kissen fallen. Eine Angewohnheit von ihm, in all dem Chaos mussten die Hausschuhe immer ordentlich unter dem Bett stehen, vielleicht auch einfach nur deswegen, weil seine Mutter mit besonderer Hingabe und Strenge darüber gewacht hatte, als er ein kleiner Junge gewesen war. Harold kuschelte sich unter die weiche Decke und brauchte nicht mehr einen Gedanken zu fassen, da war er bereits eingeschlafen.

Müde erwachte er am nächsten Morgen, einige Gedanken drängten sich in sein Bewusstsein, doch er schaffte es, sie noch einmal zu vertreiben und glitt zurück in den erholsamen Schlaf. Als er zum zweiten Mal erwachte fühlte er sich schon deutlich besser und schwang nahezu euphorisch die Beine über die Bettkante. Er setzte sich nur in Unterhose an seinen Schreibtisch und nahm sich hastig ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand. Über Nacht hatte ihm das gestrige Gespräch eine weitere Idee geschenkt. Eine Erweiterung seines Werks. Der Füller flog nur so über das Papier und Harold gönnte sich nur eine kurze Pause, um sich eine Tasse heißen Tee zu machen, zu viel Angst hatte er, dass sich seine Idee und die gewonnene Erkenntnis, in Rauch auflösen könnten. Tief über das Papier gebeugt schrieb und schrieb er immer weiter. Einmal musste er die Tinte wechseln, als der Füller begann über das Papier zu kratzen. Erst weit nach Mittag legte er den Stift zur Seite und betrachtete sein Werk. Aufmerksam las er sich alles noch einmal genau durch. Er nickte zufrieden und legte seine Arbeit beiseite, dann erhob er sich und begab sich in die Küche zum Telefon. Vielleicht wollten ja doch einige Menschen seine Erkenntnisse mit ihm teilen. Doch einige ernüchternde Anrufe später hatte Harold die gnadenlose Gewissheit, dass er sich geirrt hatte. Betrübt setzte er sich auf einen Hocker der alten Küche und starrte vor sich hin. Beinahe war ihm nach weinen zumute. Jetzt konnte ihm nur noch der Journalist mit seinem Interview helfen. Wenn er es schaffte ihn mit seinem Artikel wieder ins Gespräch zu bringen, hatte sein Werk vielleicht noch eine Chance. Es war für Harold eine Herzensangelegenheit und in diesem Stapel Papier steckte wirklich alles was ihn ausmachte. Er konnte nicht anders als bangend darauf zu hoffen.

Er stellte sich vor wie es wäre, wenn wieder regelmäßig sich verändernde Zahlen auf seinen per Brief geschickten Kontoauszügen zu sehen wären und driftete ab in einen Tagtraum, in dem seine Bücher mehr waren als nur eine Pflichtlektüre, die man sich aus schlechtem Gewissen zu Gemüte führte.

Harold schrak hoch, als ein merkwürdiges Geräusch an seine Ohren drang. Wie lange hatte er denn geschlafen? Draußen war es noch hell, also konnte es sicher nicht allzu lange gewesen sein. Erst nach einigen langen Sekunden konnte er dieses seltsame Geräusch zuordnen. Jemand machte sich an seinem Briefkasten zu schaffen. Er hatte schon lange keine Post mehr bekommen und sprang aufgeregt von dem Küchenhocker. Sein Rücken ächzte gequält und rebellierte gegen die plötzliche Bewegung. Er schmerzte wegen der unbequemen Schlafposition. Harold beachtete es nicht und rannte beinahe zur Tür. Als er sie aufriss sah er ein erschrockenes, völlig überraschtes Gesicht vor sich. Es war das, des Journalisten. Er musste ihn wirklich für völlig verrückt halten, dachte er bei sich. "Guten Morgen, Herr Hancock" sagte dieser nur und schien sich bereits wieder gefasst zu haben. Er musterte den Schriftsteller dennoch etwas argwöhnisch und Harold fiel siedend heiß ein, dass er nur in Unterhose vor ihm stand. Er wurde rot. "Morgen?" nuschelte er vor sich hin. Er hatte also viel länger geschlafen als angenommen. Oh Gott, war ihm diese Situation peinlich. Der Kerl musste ihn für geistig nicht ganz zurechnungsfähig halten. Sein Gegenüber schien noch immer auf eine Reaktion von ihm zu warten, also antwortete er "Guten Morgen, Herr..." und stutzte, hatte er seinen Namen einfach nur vergessen oder hatte er sich gestern wirklich nicht vorgestellt? "Wie war Ihr Name noch gleich?" fragte Harold stirnrunzelnd. "Tut mir leid, mein Fehler - Dean Warren mein Name" der Journalist streckte ihm die Hand entgegen. Perplex ergriff er sie und begann sie viel zu wild zu schütteln. Selbstvergessen starrte er dem Journalisten ins Gesicht. Er musste wirklich ein komisches Bild abgeben und einem Außenstehenden hätte sich vermutlich der Verdacht aufgedrängt, dass das Irrenhaus heute Ausgang hatte. "Ich hätte nicht gedacht Sie noch einmal bei mir begrüßen zu dürfen" gestand er und schob seine Gedanken entschlossen beiseite. "Ich dachte nur ich bringe Ihnen eine Ausgabe unseres Magazins vorbei" antwortete der junge Mann vor ihm und fügte schließlich erklärend hinzu "Die mit dem Interview" er schien sich zu diesem Zusatz bei Harolds Auftreten genötigt zu fühlen, verdenken konnte man es ihm nicht. Er hielt Harold eine bunte Zeitschrift entgegen, bekam allerdings gleichzeitig rote Ohren. Harold stutzte, er war also noch aus einem anderen Grund hier.  Forschend blickte er den Journalisten an "Das war‘s? Mehr wollen Sie nicht?" fragte er lauernd. Dieser nickte und seine Ohren wurden noch ein wenig mehr rot.


***


Dean war gerade dabei die Zeitschrift in den wirklich altmodischen Briefkasten des Schriftstellers zu stecken, da flog plötzlich die Tür auf. Erschrocken sah er auf und was sollte er sagen? Ihm bot sich ein Bild für die Götter. Hancock stand nur in Unterhose vor ihm, seine Wangen waren leicht gerötet. Dean begrüßte ihn mit einem förmlichen „Guten Morgen, Herr Hancock“ und sah wie diese große Augen machte und etwas Wirres vor sich hin nuschelte. Dean wartete gelassen auf eine Reaktion. Mittlerweile konnte ihn scheinbar gar nichts mehr an diesem Mann schockieren. Schließlich antwortete der Schriftsteller, wusste aber im gleichen Augenblick schon nicht mehr weiter. Stimmt! Dean erinnerte sich dunkel, dass er sich am Tag zuvor gar nicht mit Namen vorgestellt hatte. Er war zu beschäftigt mit dem Unterfangen gewesen ihn zu einem Gespräch zu bewegen. „Tut mir leid, mein Fehler – Dean Warren mein Name“ sagte er hastig und hielt ihm die Hand hin. Er ergriff sie. Allerdings glaubte Dean kaum, dass er es aus Freundlichkeit tat, sondern eher, weil er ihn schon wieder auf dem falschen Fuß ertappt hatte. Also reichte er ihm die Zeitschrift und erklärte, warum er gekommen war. Ehrlich gesagt war Dean sich aber selbst nicht so sicher, ob das wirklich der einzige Grund war. Eigentlich war es nicht üblich, den Interviewpartnern eine Ausgabe des Magazins zu bringen. Zum Teufel, Dean hatte keine Ahnung, ob es daran lag, dass dieser unbeholfene Kerl so aussah als dürfte er keinen Tag sich selbst überlassen bleiben oder ob mehr hinter dem Ganzen steckte. Irgendwas reizte den jungen Journalisten unglaublich an ihm. Dean versuchte unwirsch die Gedanken zu verdrängen, doch er musste sich eingestehen, dass ihn die Gedanken an ihn auch noch den ganzen Tag verfolgt hatten.

Während des Abtippens des Interviews genauso wie abends daheim im Bett. Also war er heute Morgen früher los, um diesem seltsamen Schriftsteller einen weiteren Besuch abzustatten. Aus irgendeinem Grund wollte Dean ihn wiedersehen und es hatte sich wohl gelohnt, denn ihn durchfuhr ein winziges Kribbeln als er ihn heimlich musterte. Sein flacher Bauch, so makellos. Kein trainierter Muskel störte die Harmonie der hellen Haut, wie samtiges Porzellan spannte sie sich über seinen Bauch und die Brust. Die schlanken Arme, die an seinen Seiten ruhten, so schön definiert und überzogen von weichen Adern. Ihn überkam der Wunsch ihn zu berühren, seine Adern nachzuzeichnen und die glatte Haut seiner Brust zu streicheln. Dean schüttelte entsetzt über seine Gedanken den Kopf. ‚Alter, Du bist nicht mehr ganz normal, komm mal wieder klar‘! Schalt er sich in Gedanken selbst. Er zwang sich seine Aufmerksamkeit wieder auf Hancocks Gesicht zu richten und bekam gerade noch mit wie dieser ihn argwöhnisch fragte „Das war’s? Mehr wollen Sie nicht?“ Dean nickte schnell. Der Schriftsteller schien ihn durchschaut zu haben, denn seine Augen musterten Dean prüfend, tasteten ihn einmal von oben bis unten ab, dann blickte er ihm direkt ins Gesicht. Dean konnte nicht anders, ihm wurde heiß so wie Hancock ihn ansah, seine Blicke turnten ihn an. Leise flüsterte eine Stimme in Deans Kopf. Ob wohl gefiel, was er sah? Der junge Journalist stand einfach nur da, unfähig sich zu rühren, fühlte sich nackt vor seinem Gegenüber und ertappte sich dabei, dass ihm dieser Gedanke auch noch gefiel. Hancocks Augen bohrten sich unerwartet in seine und er versuchte seinem Blick krampfhaft Stand zu halten, doch der Schriftsteller schien ihm direkt in die tiefsten Abgründe seiner schwarzen Seele zu blicken. Verlegen sah Dean zu Boden. Was er wohl von ihm dachte? F*ck! Was war nur mit ihm los? Das war absolut nicht normal! Dean wusste nicht recht was er nun tun sollte, als Hancock plötzlich wieder das Wort ergriff „Möchten Sie auf eine Tasse Tee hereinkommen?“ Dean stutzte, hatte er ihn nicht gestern noch loshaben wollen? Dean bemerkte wie er nickte. Verdammt nochmal seit wann machte sich sein Hirn eigentlich einfach so selbstständig?

Hancock trat beiseite und ließ seinen Gast in die Eingangshalle treten. Dean überlegte gerade, ob sie sich wieder in das gemütliche Lesezimmer setzen würden, da ging Hancock wortlos an ihm vorbei auf eine halb geöffnete Tür zu. Dean beeilte sich ihm zu folgen und war sich sicher, dass die Tür rechts daneben, die zum Lesezimmer war. Also wollte er ihm wohl noch mehr Einblicke in sein Leben bieten. Insgeheim freute er sich. ‚Cool bleiben, Dean‘. Sie betraten einen großen Raum mit altmodischen, großen Fenstern. An der gegenüberliegenden Seite hingen schwere, hölzerne Küchenschränke. Darunter eine alte Kommode und ein kleiner Schrank in gleicher Farbe. Rechts an der Wand hing ein altes, wackelig wirkendes Spülbecken aus Keramik. Daran anschließend eine Küchentheke und ein schwarzer Herd aus Gusseisen, den restlichen Raum füllte ein schwerer, gebeizter Holztisch mit nur einem Stuhl. Doch sein Gastgeber steuerte auf die kleine Saft Bar zu, vor der zwei alte Hocker standen. Er bedeutete Dean sich zu setzen und er tat ihm diesen Gefallen, obwohl er sich nicht so ganz sicher war, wie altersschwach diese Möbel wirklich waren. Hancock hingegen setzte Wasser auf und befüllte ein Teesieb mit einem sehr aromatischen Gemisch. Während Dean sich umsah kamen ihm noch einmal Zweifel, ob es wirklich eine so gute Entscheidung gewesen war, sich auf diese spezielle Gesellschaft einzulassen, doch er schob diese Zweifel energisch beiseite. Er würde einfach nach einer Tasse Tee und einem gemütlichen Plausch aufstehen und sich mit der Entschuldigung verabschieden, dass er zur Arbeit musste.

Schweigend saßen die beiden Männer nebeneinander und schlürften ihren Tee. Dean musste sich bei jedem Schluck zusammenreisen nicht angewidert das Gesicht zu verziehen. Trotz viel Honig schmeckte der Tee ekelhaft bitter und Hancock musste es ihm angesehen haben, denn er verzog seinen Mund zu einem belustigten Lächeln. Dean starrte ihn an und vergaß sofort den Tee und dass er wahrscheinlich peinlich berührt sein sollte, doch Hancocks Lächeln überstrahlte die Umgebung und Dean erschrak bei dem Gedanken, als ihm klar wurde, dass er bereit war vieles zu tun, dass es nicht gleich wieder verschwand. Doch sosehr er es sich wünschte, es verflog genauso schnell wie es gekommen war. Dean konnte einen leisen Seufzer nicht verhindern und sogleich warf der Schriftsteller ihm einen seltsamen Seitenblick zu. Er kam nicht umhin als zu glauben, dass Hancock genau wusste was in ihm vorging. Verlegen versuchte Dean das Schweigen zu brechen „Sind Sie mit ihrem Werk denn mittlerweile erfolgreicher gewesen?“ fragte er ihn vorsichtig. Betrübt schüttelte er den Kopf und setzte seine Tasse ab „Nein, obwohl ich nach unserem Gespräch noch eine Ergänzung geschrieben habe, wollte es niemand verlegen.“ Dean staunte, er hatte nach dem gemeinsamen Gespräch noch einmal weitergeschrieben? Neugierig geworden fragte er „Unser Gespräch hat Sie also dazu beflügelt noch weiter zu schreiben?“ „Ob Sie es glauben oder nicht Herr Warren, aber Sie haben mich inspiriert. Ich kann nicht unbedingt behaupten im positiven Sinn, aber Sie haben mir eine Idee geschenkt.“ Obwohl Dean sich darüber freute, dass er ihm geholfen hatte, schmeckte diese Antwort auch bitter, fast wie der Tee. Er hatte ihm also eine Negativvorlage geliefert. Es versetzte ihm einen schmerzhaften Stich in der Brust. Verdammt was ist nur mit ihm los? Dean beschloss schon jetzt, dass er sich an diesem Abend besaufen würde.


***


Harold musste darüber schmunzeln, dass seine Einladung zu einer Tasse Tee schon beinahe hektisch angenommen wurde und ließ seinen Besucher ins Haus. Innerlich kam er über sich selbst aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dieser Journalist war der erste Besuch seit langem und dann ließ er ihn sogar schon zum zweiten Mal in sein Haus. Normalerweise gab er Besuchern noch nicht mal eine erste Chance und ihm? Harold beschloss seine Gedanken nicht weiter zu erörtern und begab sich in die Küche. Dean folgte ihm und ließ sich mit einem kritischen Blick auf einen der Hocker fallen. Harold schmunzelte über seine Art. Als er in seinem Alter gewesen war, hatte er ganz andere Dinge im Kopf gehabt als der junge Journalist jetzt. Er schien für seinen Job zu leben. Er lebte damals einzig und allein für sich. Das klang vielleicht egoistisch, aber die Welt hatte für ihn nichts übriggehabt und er nichts für sie. Heute sah er die Dinge etwas anders, wobei er augenscheinlich keine hundert-achtzig-Grad-Drehung gemacht hatte und jetzt ein extrovertierter Typ war. Beinahe musste er über diesen Gedanken lachen und stellte sich vor wie er eine Gruppe Menschen unterhielt.

Dean war anders als er es damals war. Kleiner, etwas kräftiger als er selbst und voller Tatendrang. Aus seinen braunen Augen blitzte ein unbändiger Drang nach Neuem, den Harold nie besessen hatte. Er fragte sich aus welchen Augen ihn die jungen Frauen wohl sahen. Gefiel den Mädchen von heute das kurz geschorene Haar, der durchtrainierte Körper und das nicht gewöhnliche, aber dennoch attraktive Gesicht? Zu seiner Zeit waren diese jungen Männer von Frauen umschwärmt gewesen. Einer wie er hatte da nur wenige Chancen. Er erinnerte sich an die wenigen Male zurück, in denen er eine Frau in den Armen gehalten hatte, es waren glückliche Momente gewesen. Eine nette Erinnerung, aber auch nicht mehr und nicht weniger. Für ihn hatte das Leben bisher keine große Liebe bereitgehalten und er glaubte auch nicht daran, dass er sie jetzt noch finden würde.

Sie nippten noch immer an ihrem Tee, als Dean sich schließlich erhob und sich entschuldigte „Ich würde ja sehr gerne noch bleiben Herr Hancock, aber ich muss leider zur Arbeit.“ Harold nickte nur, erhob sich ebenfalls und begleitete ihn zur Tür „Frohes Schaffen wünsche ich“ sagte er zu ihm während er die Tür aufhielt. Der junge Mann trat hinaus, nickte Harold noch einmal zu, nur um sich auf halbem Weg doch noch einmal umzudrehen und ihn durchdringend anzublicken. „Vielleicht sieht man sich mal wieder Herr Hancock – Würde mich freuen.“ Mit diesen Worten stieg er die Treppe hinab und Harold blieb nichts anderes als ihm nur stumm hinter herzublicken.

Erst als er bereits an seinem Jaguar war, schloss Harold die Türe. Dann hastete er zurück in die Küche und stürzte sich geradezu auf die Zeitschrift. Aufgeregt suchte er die Seite mit dem Interview und fand gleich zwei bedruckte Seiten. Er staunte. Der Journalist hatte doch kaum Fragen gestellt, wie also hatte er so viel darüber schreiben können? Harold begann zu lesen und war erstaunt…

„Interview mit James Harold Hancock“, stand in großen Lettern darüber.

Ich hatte vor einigen Tagen das Glück mit dem Job beauftragt worden zu sein, den Autor der Bestseller „Stargazer“, „Meteorite Chaser“ und „Trapped in thought“ - um nur einige zu nennen, zu interviewen. Er ist die letzte große Unbekannte in der Bücherwelt. Ein Mann über den man noch weniger weiß als über ein unbeschriebenes Blatt Papier. Ich hatte die große Ehre ihn kennen lernen zu dürfen. Aber meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, ich kann Ihnen dennoch keine umfassende Personenbeschreibung liefern und weiß auch immer noch nicht wie dieser Mann denkt, um solch große Werke schreiben zu können…

Danach folgten die Fragen, die er ihm gestellt hatte. Harold überflog sie bloß, denn ihn interessierte viel mehr was Dean geschrieben hatte, dass er zwei Seiten damit füllen konnte. Am Schluss angekommen, nach den Fragen las er etwas, was ihn noch mehr überraschte als die Tatsache, dass es so viel über ihn zu erzählen gab.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Leserinnen liebe Leser, auch wenn dies nur bescheidene Informationen sind, an die ich gelangt bin, kann ich Ihnen doch noch viel mehr erzählen. Denn James Harold Hancock selbst war es, der mir geraten hat auch zwischen den Zeilen zu lesen und eine Ebene tiefer zu schauen.

Vor mir saß ein Mann, den alles Weltliche befremdet, dessen Glück zwischen den Büchern liegt und der mir faszinierend vermittelte auf was es im Leben wirklich ankommt und was es bedeutet Mensch zu sein. Er schaffte es mich mit seinen Ausführungen in eine andere Welt zu bringen und ich glaube, nein ich bin der festen Überzeugung davon, dass nur seine Bücher diesen eigenwilligen Charakter, der dahintersteckt, zum Ausdruck bringen können. Keine raumgreifende Erklärung meinerseits könnte beschreiben wer dieser Mann wirklich ist. Darum lege ich Ihnen nahe, lesen Sie seine Bücher und achten Sie nicht nur auf den geschriebenen Inhalt, sondern suchen Sie ihn dazwischen. Erst dann wird sich Ihnen offenbaren welch brillanter Geist hinter diesen Werken steckt und wie sehr er doch genauso wie wir Mensch ist…

Dean Warren

Harold war platt. Dieser junge Mann hatte ein Interview in eine Bücherkritik umgewandelt, ohne den Charakter eines Interviews zunichte zu machen. Der brillante Geist saß nicht hier auf dem Sofa, sondern in irgendeiner Zeitungsagentur dieser Stadt. Harold würde jedenfalls warten, was nach diesem Artikel nun passierte. Würden die Leute seine Bücher wieder kaufen? Könnte sein Werk über das Träumen tatsächlich noch einen Weg in die Büchereien finden? Jetzt hieß es geduldig zu sein, aber das konnte Harold nicht. Zumindest nicht gut. Er beschloss sich abzulenken und verließ die Küche, stieg die Treppe nach oben und betrat sein Wohnzimmer. Es war immer wieder aufs Neue wunderschön in eine ganz andere Welt einzutauchen. Das Gefühl der Geborgenheit umschloss ihn und er ging bewusst langsam an dem alten Flügel und dem ausgestopften Hirsch vorbei. Seine Finger glitten über das glatte Holz und das seidige Fell des stolzen Tieres. Er sog jeden Millimeter des Raums in sich auf. Die alten Ölgemälde neben der Tür, der vollgestellte Tisch auf der rechten Seite. Ganz besonders stolz war er auf die zwei riesigen Bücherregale, voll mit alten, teilweise noch in Leder gebundenen Büchern. Der alte Globus noch aus der Kolonialzeit davor. Seine Füße berührten die alten Teppiche als er die Hausschuhe vor dem Sofa abstellte und sich darauf fallen ließ. Eigentlich brauchte er sich gar nicht mehr in ein Buch zu vertiefen, denn dieser Raum war Ablenkung genug. Dieser Raum war das, was ihn ausmachte, der Kern seines Seins und würde ihn jemand aufräumen, so wäre auch er nicht mehr vollständig. Hier fand sich alles, wovon er schon immer geträumt hatte. An jedem noch so kleinem, scheinbar unbedeutendem Detail hing eine Erinnerung. Menschen brauchten Träume, aber genauso brauchten sie auch die Erinnerung. Ein Mensch wäre nicht der, der er war, wenn er keine Erinnerungen hätte. Ohne Erinnerungen wären alle bloß ein weißes Blatt Papier. Und Harolds Erinnerungen sammelten sich in diesem einen Raum. Vielleicht hatte er deshalb noch nie einen Menschen hier hereingelassen. Einfach weil dieser Mensch sofort erkennen würde wer er war...

und das machte angreifbar.

Kapitel 3

Dean erhob sich gerade von seinem Schreibtischstuhl als er seinen Chef den Gang entlangkommen sah. Das konnte nichts Gutes für ihn bedeuten. Der Chef ließ sich immer nur dann blicken, wenn er unliebsame Aufträge verteilte oder einer seiner Angestellten gepfuscht hatte. Insgeheim hoffte Dean noch, dass er nicht zu ihm wollte, aber er konnte sich bereits denken um was es ging. Er sank zurück auf seinen Stuhl und wartete geduldig bis Herr Boyd seinen Anzug vor seiner Bürotür zurechtgezupft hatte. Eine furchtbare Angewohnheit von ihm, schließlich saßen hier alle hinter Glas und konnten ihn von weitem kommen sehen.

Ein Klopfen, ein förmliches, distanziertes „Herein“ von Dean und schon stand sein korpulenter Chef in seinem Büro „Ah Warren gut, dass ich Sie noch antreffe!“ Dean verdrehte die Augen, als hätte er ihn nicht gerade eben hereingebeten. Die Vergangenheit hatte ihn bereits gelehrt ruhig zu sein, solange er nicht wusste, was der Chef wollte. Es war unklug ihn schon vorher zu reizen. „Ich wollte mit Ihnen noch ein ernstes Wörtchen über das Interview reden“ machte er weiter, ohne Deans Missfallen bemerkt zu haben. Vielleicht ignorierte er es auch einfach. „Natürlich Herr Boyd“ antwortete Dean schicksalsergeben und deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch „Setzen Sie sich doch“. „Sehr freundlich Warren.“ Auch so eine Angewohnheit von ihm, er sprach alle seine Untergebenen – anders konnte man es in dieser Firma wirklich nicht nennen – mit dem Nachnamen an. „Was haben Sie denn in Bezug auf das Interview auf dem Herzen?“ „Nun ja, ich hatte mir eigentlich etwas ergiebigere Antworten erhofft Warren. Die Leute sollen doch wissen mit wem sie es zu tun haben.“ „Tut mir sehr leid Chef, aber mehr war leider nicht aus ihm herauszukriegen. Dieser Mann ist verschwiegener als ein Grab.“ Sein Chef musste ja nicht gleich wissen, dass er sich nach grade mal einer Handvoll Fragen schon nicht mehr hatte konzentrieren können. „Aber, aber Warren, Sie kennen doch das Leitmotiv unserer Firma. So lange nachhaken bis man alles erfahren hat. Wo sind die brisanten Informationen zu diesem Mann? Hat er Leichen im Keller? Das was sie geliefert haben ist mehr als nur ernüchternd!“ Seine Stimme wurde zum Ende des Satzes immer lauter und Dean zog vorsorglich lieber den Kopf ein. „Herr Boyd, Sie wissen doch, dass ich meine Arbeit immer sehr sorgsam erledige. Über diesen Mann gibt es nicht mehr zu erzählen als das was ich in das Interview geschrieben habe. Dieser Mann ist mir ein Rätsel und glauben Sie mir, wenn ich es gelöst habe sind Sie der Erste, der es erfährt.“ Damit erhob er sich und hielt seinem Chef auffordernd die Hand entgegen. Jeder andere hätte damit seinen Job riskiert, doch Dean war mittlerweile lange genug in dieser Firma, um sich ein paar Freiheiten herausnehmen zu können. Herr Boyd erhob sich seufzend und reichte seinem Angestellten die Hand „Na gut Warren, aber bei Ihrer nächsten Aufgabe erwarte ich hundert Prozent und noch mehr!“ sagte er mit Nachdruck und wandte sich zum Gehen. Erleichtert schloss Dean das Büro hinter sich ab und verließ die Firma. Der Tag war schon schrecklich genug gewesen, auch ohne Boyds Erinnerung an das Interview mit diesem ungewöhnlichen Mann. Der Mann, der ihn seit kurzer Zeit bis in den Schlaf hineinverfolgte.

Zuhause sprang Dean nur kurz unter die Dusche und zog sich ein anderes Hemd und eine dunkle Jeans an. Sein Plan sich zu besaufen stand nämlich immer noch. Irgendwie musste er die Gedanken an Harold loswerden. Jetzt nannte er ihn auch schon in Gedanken Harold. Dean verdrehte die Augen, wo soll das denn noch hinführen? Wenigstens über das Wochenende wollte abschalten können und anscheinend half dafür nur eins. Whiskey.

Sein Weg führte ihn dieses Mal nicht in seine Stammkneipe, sondern in einen der angesagtesten Clubs in der Stadt. Hier trafen sich all jene, die etwas auf sich hielten und panische Angst davor hatten gegen den Strom zu schwimmen.

Harold war nicht so, ihn kümmerte es nicht was die Leute von ihm dachten und ihm käme es sicher auch nie in den Sinn irgendeinem Trend zu folgen. Bei der Vorstellung den verschlafenen Schriftsteller in roten Sneakers zu sehen, musste Dean grinsen. Energisch schob er die Gedanken beiseite und stürzte sich in das brummende Nachtleben. Er ging vorbei an der tanzenden Menge und bahnte sich einen Weg durch sich Unterhaltende. Schließlich gelang es ihm an den Bartresen vorzudringen. Ein gar nicht so einfaches Unterfangen so voll wie der Club war. Ein Barkeeper schaute Dean erwartungsvoll an und er brüllte ihm über die Musik seine Bestellung zu. Erst beim dritten Mal verstand der Barkeeper, dass er einen Whiskey haben wollte, und zwar einen doppelten. Dean quetschte sich auf einen der Barhocker und ignorierte die Masse um sich herum. Die Geräuschkulisse war ohrenbetäubend und er begnügte sich mit einem freundlichen Nicken als er seine Bestellung erhielt. Er stürzte den Whiskey in einem Zug runter und bedeute dem Mann hinter dem Tresen, dass er gleich noch einen wollte. Wortlos stellte der ihm den zweiten Whiskey vor die Nase. So ging das auch mit den nächsten fünf weiter und Dean würdigte die Menschen um sich herum immer noch keines Blickes. Nach dem sechsten war er besoffen. Dennoch bestellte er einen weiteren, nur zur Sicherheit. Plötzlich hörte er eine dunkle Frauenstimme neben sich „Hey, ich hab dich die ganze Zeit beobachtet. Du bist entweder sehr durstig oder sehr einsam.“ Den letzten Teil des Satzes schnurrte sie ihm verspielt entgegen. Er drehte den Kopf und sah sie an. Sein Blick verschwamm etwas, doch er erkannte eine zierliche Gestalt mit langen dunklen Haaren, die sich lässig an den Tresen lehnte. Dean blinzelte zweimal und seine Sicht wurde klarer. Sie hatte aufregend geschminkte Augen und ein blutroter Mund lächelte ihn verführerisch an. Seine Blicke tasteten sie ab und er konnte nicht anders als beeindruckt zu pfeifen. Die junge Dame hatte ordentlich was zu bieten. In seinem alkoholvernebelten Verstand reduzierte er sie nüchtern auf ihre großen, schweren Brüste, die zierliche Wespentaille und den knackigen, runden Hintern. Noch dazu trug sie ein Outfit das tief blicken ließ. Naja, eigentlich verbarg es weniger als es zeigte. Normalerweise nicht sein Fall, doch vielleicht war es dem Alkohol geschuldet, vielleicht wollte er aber auch nur von diesen dummen Gedanken in seinem Kopf loskommen, jedenfalls ließ Dean sich auf ihr offensives Flirten ein. Sie bot die perfekte Ablenkung.

„Möchtest du was trinken Mäuschen?“ lallte er ihr zu, sie schmunzelte und nickte. Dean bestellte zwei Whiskey. Ob sie das nun gut fand oder nicht, ließ sie ihn nicht erahnen. Er stieß mit ihr an und ließ sich von ihr umgarnen. Er kam gar nicht dazu sein Glas auch nur anzurühren, da schob sie seine Hand bereits beiseite und drückte sich gegen ihn. „Holla Mäuschen nicht so hastig“ sagte er und glotzte ihr in den Ausschnitt. „Du willst es doch“ schnurrte sie ihm entgegen „Sollen wir zu dir oder zu mir?“ Dean sah sie mittlerweile doppelt und musste grinsen. Eine fein gezupfte Augenbraue wanderte in die Höhe. Er schob sie leicht von sich weg und stand auf „Wir gehen zu mir!“ antwortete er entschieden und wollte mit stolzer Haltung loslaufen. Dean musste jedoch einsehen, dass das mit dem Laufen nicht mehr so wirklich klappte und so stolperte er auf seine Begleitung gestützt laut singend die Straße entlang. Er war sich ziemlich sicher, dass sie es inzwischen bereute mit ihm gegangen zu sein, doch das war ihm in diesem Moment herzlich egal. Vor seiner Haustüre schob er sie in den Eingang und küsste sie. Zuerst zögerte sie, ließ sich aber dann doch auf seinen Angriff ein. Aneinander herumfummelnd schaffte er es schließlich die Tür aufzuschließen und schob sie mit Nachdruck in seine Wohnung. Ihre Kleider landeten in der ganzen Wohnung verteilt auf dem Boden und wiesen den Weg ins Schlafzimmer. Zufrieden stellte er fest, dass ihn der Anblick dieses nackten Vollweibs erregte. Er war also immer noch ganz normal, soweit so gut. Er betrachtete durch seinen alkoholverschleierten Blick ihre großen, schweren Brüste. Ihre großen Brustwarzen zogen ihn beinahe magisch an. Er leckte sich lüstern über die Lippen und sein Blick tastete sie weiter ab, wanderte zu ihrer schmalen Taille, ihrem femininen Hüftgold und streifte ihr weibliches Becken. Ja, sie war ein Inbegriff von Weiblichkeit, er konnte beim besten Willen nichts Männliches an ihr finden. Erleichtert seufzte er auf, als in ihm das Blut zu pulsieren begann und verfiel in einen hemmungslosen Rausch.

 

Er packte sie, warf sie auf sein Bett und begrub ihren schönen Körper unter sich. Seine Lippen fanden ihre und er drängte sie in einen hungrigen Kuss. Ihr leises Stöhnen machte ihn an und er musste sich beherrschen sie nicht sofort zu nehmen. Er zwang seinen alkoholgeschwängerten Geist zur Ruhe und begann sie nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen. Seine Lippen glitten über ihren Mundwinkel hinaus, ihre Wange entlang zu ihrem Ohrläppchen. Sachte knabberte er daran und spielte mit seiner Zunge an der zarten Haut hinter ihrem Ohr. Ihr Oberkörper wölbte sich unter ihm auf, presste sich gegen ihn und sie gurrte zart in sein Ohr. Dean konnte nicht anders und stöhnte auf als er ihren heißen Körper so dicht an seinem spürte. Seine Lippen setzten ihren Weg fort, glitten über ihr Schlüsselbein zu ihren Brüsten. Er sah wieder ihre unwiderstehlichen Knospen vor sich und stürzte sich darauf, als ob sein Leben davon abhing. Seine Zunge umspielte ihre harten Brustwarzen und mit den Zähnen reizte er sie immer weiter. Es verschaffte ihm eine unglaubliche Ruhe, zu wissen, dass ihn diese Frau so wahnsinnig heiß machte. Ihre aufreizenden Schreie elektrisierten ihn und mit völliger Hingabe saugte er an ihren Brüsten. Sie war sein Anker in diesem heillosen Gefühlschaos.

Bestimmt drückte sie ihn tiefer, hielt die Erregung kaum noch aus, die er ihr mit seinem Mund verschaffte und Dean ließ sich bereitwillig von ihr führen. Leckte über ihren Bauch, hinab zu den Leisten, neckte sie dort mit seinen Lippen und seiner Zunge und nahm ihr den Atem als er begann ihre Schenkel zu küssen. Immer von außen nach innen, bis kurz vor ihre kleine Muschel. Ihr Körper bäumte sich auf, sie stöhnte voller Lust und Hingabe, längst hatte sie aufgehört ihn mit ihrem frechen Dirty talk zu reizen, denn ihr Körper war ihm genug. Zu sehen wie sie langsam wie Butter in seinen Händen schmolz erregte ihn, zu wissen, welche Macht er über sie hatte ließ seine Fantasie mit ihm durchgehen und beinahe kam er bei diesem Gedanken.

Ihre Hände krallen sich ins Bettlaken und sie stieß einen atemlosen Schrei aus, als seine Lippen endlich ihr Lustzentrum erreichten. Seine Zunge spielte mit ihr, neckte sie bis kurz vor die Besinnungslosigkeit und entließ sie doch nicht in eine Erlösung aus dieser süßen Folter. Längst war er hart und über den Punkt hinaus, an dem er noch rational hätte denken können. Er ließ nur einen Wimpernschlag von ihr ab, warf sie herum, sodass sie auf dem Bauch vor ihm lag. Mit sanfter Gewalt schob er ihr die bebenden Schenkel unter den Leib und ergötzte sich an ihrer Weiblichkeit, dem schönen Hintern, den sie ihm nun verführerisch entgegenstreckte. Bedacht darauf im Hohlkreuz zu bleiben, um ihm noch mehr zu gefallen. Ihre Hand fand den Weg auf ihren Hintern und klatschte auffordernd darauf. Mehr Ansporn brauchte er nicht. Er kniete sich hinter sie aufs Bett und packte ihre Hüften. Ihr herrliches Stöhnen mischte sich mit seinem Eigenen, als er in sie eindrang.
Dean stieß sie hart und schnell bis sie schließlich fahrig in die Kissen griff und zitternd ins Laken biss. Ihre Erlösung kam so plötzlich wie eine Explosion und er genoss ihre Schreie der Lust, die sie ihm hemmungslos schenkte, als er sie mit tiefen Stößen über ihren Orgasmus hinwegbegleitete. Er merkte, dass auch er nicht mehr lange durchhalten würde und gerade als sie ihn noch einmal anfeuerte blitzten plötzlich Bilder in ihm auf. Bilder, die er hatte vergessen wollen, von denen er gedacht hatte, er hätte sie im Alkohol ertränkt und doch schwebten sie nun mit verhöhnender Klarheit an seinem inneren Auge vorbei. Dean sah ihn, sah sein Gesicht vor sich, diese exotischen, wunderschönen Augen, wie sie verschlafen in seine blickten und er kam. Er kam so intensiv wie er es in seinem bisherigen Leben noch nie vermocht hatte. Wie eine gigantische, alles vernichtende Welle raste sein Orgasmus auf ihn zu, verschlang ihn und riss ihn mit. Während er der Frau vor sich alles gab was er hatte, trug ihn diese Welle doch so weit von ihr fort… hin zu Harold.

Als sein vernebelter Verstand endlich wieder aufklarte blieb ein Gefühl von Leere. Diese Erlösung hatte ihn bis in die Untiefen seiner Seele gereinigt, ihn all dessen beraubt, was er bisher geglaubt hatte zu sein. Er sah verloren auf die Frau vor sich, die ihn mit großen Augen anstarrte, ungläubig. Dean fragte sich instinktiv was in den letzten Augenblicken geschehen war, doch als er versuchte darüber nachzudenken, sah er wieder Harolds Gesicht vor sich. Er verzog das Gesicht und versuchte diesen Gedanken zu verscheuchen, ließ sich auf das Bett sinken und starrte vor sich hin. Er bemerkte kaum, wie sie von ihm abrückte und begann sich wieder anzuziehen. Als sie ihre ganzen Klamotten zusammengesammelt hatte und fertig angezogen war, schaute sie noch einmal zu ihm ins Schlafzimmer, auf das Häufchen Elend, dass vor ihr auf dem Bett saß. „Harold?! Ist das dein Ernst? Du hättest mir auch gleich sagen können, dass du schwul bist!“ schrie sie aufgebracht. Offenbar hatte sie auch einen Augenblick gebraucht, um zu begreifen, was gerade geschehen war. Dean sah zu ihr auf, sah die Tränen in ihren Augen „Tut mir leid“ antwortete er mechanisch, doch eigentlich war es ihm egal. Er zuckte kurz über diesen Gedanken zusammen, was ist nur los mit ihm? Wann war er zu einem gefühlskalten Eisklotz geworden? Noch immer starrten die beiden sich an, doch Dean gibt schließlich nach, schulterzuckend sah er zu Boden. „Ich wusste es bis jetzt selbst nicht genau“ sagte er leise, genötigt irgendeine Erklärung abzugeben. Sie schnaufte nur verächtlich, wandte sich um und zischte im Gehen „Wenn ich jetzt irgendeine Krätze bekomme, bist du dran!“ Krachend fiel die Tür ins Schloss, er zuckte erneut zusammen, bewegte sich aber keinen Zentimeter. Sein ganzes Leben war in den letzten Minuten um ihn herum in sich zusammengebrochen, zerbröckelt wie die alten, kaputten Mauern eines Hauses. Jemand schrie, erst nach ewigen Augenblicken wurde ihm klar, dass er es war. Er verstummte, nur einen winzigen Augenblick bevor ihm letztendlich die Tränen kamen. Er ließ sich plötzlich kraftlos in die Kissen fallen und kämpfte mit dieser hilflosen Ohnmacht die ihn zu übermannen drohte.

***

Harold schreckte hoch und fragte sich kurz wo er war, doch er fand seine Orientierung sehr schnell wieder als er die vertraute Umgebung wahrnahm. Er musste eingeschlafen sein, denn sein Buch lag aufgeklappt auf dem Boden. Seufzend hob er es auf und klappte es sorgfältig zu. Vielleicht sollte er sein Schlafzimmer in diesen Raum verlegen, schoss es ihm durch den Kopf, doch er verwarf den Gedanken sofort wieder. Er beschloss ins Bett zu gehen, taumelte aber noch kurz ins Bad, um noch schnell eine Katzenwäsche zu erledigen. Hundemüde beugte er sich über das Waschbecken und sah in den Spiegel. Meine Güte, du gehörst wirklich ins Bett dachte er sich und steckte sich kurz die Zahnbürste in den Mund. Halbherzig schrubbte er drauflos, kämmte sich anschließend die Haare, in dem Versuch sie doch irgendwann einmal zu bändigen, doch es nützte nichts. Seufzend drehte er sich um und wollte gerade in sein Schlafzimmer gehen, als das Telefon klingelte. „Wer ruft denn jetzt noch an?“ murmelte er und hastete die Treppe hinunter. Unten in der Küche, auf dem kleinen Schränkchen plärrte das alte Drehscheibentelefon penetrant. „Ja ja ist ja gut“ sagte er und beeilte sich an den Hörer zu kommen. Harold fischte ihn von der Gabel und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen. „Hancock?“ fragte er in den Hörer. „Hallo Herr Hancock, hier spricht Sally Anders vom Verlag Hodder & Stoughton. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie ein weiteres Buch veröffentlichen möchten.“ Ertönte eine freundliche, weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist es ein ganz schlechter“ brummte der Schriftsteller in den Hörer. „Wie bitte?“ schallte es verwirrt zurück. „Ach nichts“ antwortete er „Sie wollen also mein Buch verlegen?“ Harold konnte die Hoffnung in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. „Ja deswegen rufe ich an“ schilderte Sally ihr Anliegen in einem Ton als würde sie mit einem Kleinkind sprechen. Er streckte dem Hörer die Zunge raus. „Nun ja, ich suche in der Tat einen Verlag für mein jüngstes Werk.“ „Das trifft sich gut, wir suchen nämlich einen bereits bekannteren, ambitionierten Schriftsteller für unseren Verlag. Sie würden diese Rolle sehr gut ausfüllen.“ Er staunte, konnte es wahr sein, dass der Artikel über ihn wirklich so eingeschlagen hatte? Er beschloss fürs Erste dran zu glauben. „Wann könnte ich denn bei Ihnen sein?“ Fragte er Miss Anders und hoffte auf einen schnellen Termin. „Übermorgen um, sagen wir zehn Uhr?“ hörte er die Stimme, die ihm gerade das Glück auf Erden schenkte, sagen. „Ah, das ist mir leider nicht möglich. Da habe ich bereits einen Termin mit einem weiteren Verlag“ log Harold und wartete gespannt auf die Reaktion. Konkurrenz belebte ja bekanntlich das Geschäft. „Achso, bitte warten Sie einen kurzen Moment Mister Hancock, ich werde das mit meinem Chef besprechen müssen.“ Innerlich schalt er sich einen Esel, er hätte einfach den vorgeschlagenen Termin annehmen sollen. Jetzt drohte seine große Chance zu platzen! „Mister Hancock?“ tönte da erneut die Stimme der Dame durch den Hörer, diesmal klang sie etwas atemlos „Der Chef schlägt einen Termin Morgen Vormittag vor, die Uhrzeit bleibt Ihnen überlassen.“ Harold fielen beinahe die Augen aus dem Kopf und er beäugte den Hörer argwöhnisch, konnte es wirklich sein, dass die Verlage auf einmal Angst bekamen, dass sein Buch gewinnbringend an einen anderen Verlag ging? „Dann Morgen um zehn Uhr bei Ihnen.“ Antwortete er „Okay, wir erwarten Sie also Morgen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag Mister Hancock.“ „Danke gleichfalls“ gab er zurück und legte auf. Harold sprang vom Stuhl und tanzte einmal quer durch die Küche „Ja! Sie wollen mein Buch haben!“ Sang er immer wieder. Hätte ihn jetzt jemand gesehen, er hätte ihn endgültig für verrückt erklärt. Beschwingt hüpfte er die Treppe hinauf und rannte beinahe in sein Schlafzimmer. Hastig hob er die heruntergefallenen Blätter vom Boden auf und sortierte sie an den richtigen Stellen wieder ein. Sorgsam packte er den Papierstapel in seine altmodische Ledertasche, verschloss sie und strich einmal zärtlich über das Leder. Eine Angewohnheit, die er noch aus der Schulzeit hatte. Er war nie beliebt gewesen in der Schule, war immer zum Außenseiter verdammt und seine Schultasche war irgendwie der einzige Freund gewesen. Vielleicht hatte er sich auch deshalb nie von ihr trennen können. Harold kannte den Grund selbst nicht so genau, doch jetzt war sie wieder voll mit Blättern und würde Morgen mit ihm zu diesem wichtigen Termin fahren. Er war aufgeregt wie ein kleiner Schuljunge, als er sich schließlich auszog und ins Bett legte. Komischerweise lag er noch eine Ewigkeit wach und dachte über den Anruf nach. Ob es wirklich nur ein Zufall war? Oder hatten die Menschen doch den Zeitungsartikel gelesen und in den Büchereien nach seinen Büchern gefragt? Vielleicht war es erstrebenswert auch mal ein Buch in den Verkauf zu bringen, in dem er über normale Themen schrieb? Eine Romanze zum Beispiel, die wurden doch gerne von den Menschen gelesen. Noch während dem Einschlafen beschloss er diesen Gedanken weiter zu verfolgen.

Kapitel 4

Total gerädert erwache ich aus meinem unruhigen Schlaf. Albträume haben mich die ganze restliche Nacht in ihren Klauen gehalten. Ich muss blinzeln, um die letzten Bilder von verzerrten Frauenleibern oder grotesken Mischformen aus meinem Kopf zu vertreiben. Zitternd erhebe ich mich und schleiche in die Küche. Ungelenk angle ich nach einem Glas und halte es unter den Wasserhahn, in einem Zug stürze ich das kalte Wasser in mich hinein, in der Hoffnung diese grässliche Nacht zur Gänze abschütteln zu können. An die Theke gelehnt warte ich ab, nichts. Der Schock über meine Entdeckung, das Eingeständnis, das ich mir zwingend machen muss, lässt mich nicht los. Wie eine eisige Hand hält sie mich umklammert. Was mache ich jetzt bloß? Schießt es mir durch den Kopf. Ich kann mir diese Frage nicht beantworten. Mein Gott ich bin schwul, wenn das einer herausfindet, dann bin ich weg vom Fenster. Ich denke mit Schrecken an all die Anfeindungen, die Betroffene über sich ergehen lassen müssen. Denke darüber nach wie oft unser Magazin schon reißerische Artikel zu diesem Thema gedruckt hat, bei dem Gedanken wird mir schlecht. Damals hatte ich mit den Anderen darüber gelacht und mich nicht damit beschäftigt was ein solcher Artikel vielleicht auslöst, denn er brachte Leser und somit Umsatz, Umsatz der letztendlich dafür sorgte, dass ich mehr Geld bekam. Jetzt? Jetzt wird mir auf einmal klar, was das alles für mich bedeutet. „Ich bin ruiniert“ stöhne ich verzweifelt und ziehe eine Grimasse. Beinahe bekomme ich schon wieder gute Lust mich zu betrinken, doch mein brummender Schädel hindert mich daran. Gott sei Dank ist Wochenende und ich muss meinen Kollegen nicht unter die Augen treten.

Auf dem Weg ins Wohnzimmer, auf dem Sofa lässt es sich wesentlich besser nachdenken, finde ich einen schwarzen Spitzentanga. Mit spitzen Fingern hebe ich ihn auf. Sie muss ihn bei ihrem übereilten Aufbruch vergessen haben. Er hätte genauso gut rot sein können, denn er wirkt auf mich wie ein rotes Tuch, ein mich verhöhnendes Stück Stoff. Ich balle meine Hand zu Faust und schleudere das Höschen von mir. Kraftlos lasse ich mich auf mein Ledersofa fallen. Die kühle Glätte tut mir gut, dieses Sofa hat etwas Unpersönliches und das ist mir jetzt gerade recht. Aus diesem Grund habe ich es gekauft, es gibt nichts von mir preis, wenn ich fremde Menschen zu mir einlade, niemand wird von dem Sofa auf meine Persönlichkeit schließen können. Dass ich diese Eigenschaft aber einmal so sehr begrüßen würde, daran hatte ich bei dem Kauf nicht gedacht. Wie wird das jetzt eigentlich? Frage ich mich plötzlich. Werde ich mich jetzt komplett verändern nach meiner Entdeckung? Vor meinem geistigen Auge taucht das Bild eines typischen Schwulen auf mit super frisierten Haaren, perfekt manikürten Fingernägeln, stilsicherem Outfit in Frauenfarben und Handtasche. Unwillig verziehe ich das Gesicht, Gott bewahre. Mein Blick wandert zu dem Laptop auf meinem Schreibtisch. Zögerlich erhebe ich mich und gehe hinüber, schalte das Hightech Gerät an, denn natürlich besitze ich berufsbedingt eines der modernsten Teile auf dem Markt. Vorsichtig lasse ich mich auf den Stuhl sinken, unsicher ob ich wirklich mehr über dieses Thema wissen möchte. Letztendlich entscheide ich mich dafür und füttere mein Internet mit Suchbefehlen. Ich verzichte absichtlich auf meinen ständigen Begleiter Google und wähle den anonymeren Suchbrowser. Sicher ist sicher. Mir werden etliche Seiten angeboten auf denen ich mehr zum Thema Homosexualität lesen kann, ich klicke mich hindurch. Interessanter finde ich aber die Seiten auf denen Betroffene Fragen zu dem Thema stellen, Fragen über die ich mir bisher noch  gar keine Gedanken gemacht habe und meine sowieso schon schlechte Laune sinkt unter den Gefrierpunkt, als mir die Tragweite der ganzen Probleme klar wird. Von Fragen wie und ob man sich am besten outet bis hin zu sehr privaten Themen wie dem Umgang mit der Sexualität finde ich alles und was ich lese beunruhigt mich immer mehr. Ich will schon den Browser schließen, als mir plötzlich ein Link zu einer Seite am unteren Ende der Suchhistorie ins Auge springt. „Plötzlich stehe ich auf das andere Geschlecht“ lautet der Titel und ich klicke darauf. Mit immer größer werdenden Augen lese ich den Text eines Mannes, der darüber berichtet, dass er viele Jahre lang glücklich verheiratet gewesen ist und sich ganz plötzlich in einen Mann verliebt hat. Er beschreibt die Ängste und Emotionen, die er empfunden hat und es ist als ob er mir aus der Seele spräche, denn mich plagen die gleichen Zweifel, die gleichen Ängste und vor allem stehe auch ich vor einer riesigen Wand Hilflosigkeit. Ich lese noch etwas weiter, doch er beschreibt nur noch wie sein Leben mittlerweile verläuft und das interessiert mich nicht, nicht jetzt, denn ich stehe noch ganz am Anfang. Seufzend lehne ich mich zurück, kann es wirklich sein, dass ich ganz plötzlich meine Gesinnung geändert habe oder war ich schon immer schwul ohne es zu wissen? Fragen über Fragen plagen mich und ich weiß nicht wie ich sie alle beantworten soll. Bei weiterer Recherche stoße ich auf ein Schwulenforum und beschließe kurzerhand mich dort anzumelden. Allerdings richte ich dafür eigens ein neues E-Mailkonto ein. Als Journalist weiß ich wie viel man über einen Menschen herausbekommen kann ohne dass dieser etwas davon mitbekommt. Ich bin noch keine zwei Minuten online und habe es noch nicht mal geschafft die nötigsten Informationen in mein Profil zu schreiben, da ertönt das Nachrichtensignal. Verwundert öffne ich den Posteingang der Seite und finde eine Nachricht von einem „Schnuckipütziprinz122“ vor. Ich verdrehe die Augen, Klischee du bist bedient. Dennoch bin ich neugierig und öffne die Nachricht.

 

Hallo Schwarzmaler :)

Sehr interessanter Nickname. Ich habe gesehen, dass du dich gerade neu angemeldet hast. Herzlich Willkommen hier und schön, dass du dich traust offen zu deiner Homosexualität zu stehen. Sicher wird es dir hier sehr gefallen. Vielleicht hast du ja Lust ein bisschen mit mir zu chatten, ansonsten kannst du dich hier auch an den Gruppendiskussionen beteiligen.

Bussi Prinz

 

Ich kann ein Schmunzeln nicht verhindern, den Nicknamen habe ich bewusst so gewählt, schließlich geht mein bisheriges Leben gerade den Bach runter. Ich beschließe zu antworten

 

Hey Prinz

Ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht ob ich wirklich schwul bin, daher kann ich auch nicht wirklich zu etwas stehen. Ich hoffe hier Antworten auf meine Fragen zu finden, aber nett, dass du dich gemeldet hast.

Viele Grüße

Schwarzmaler

 

Es dauert nur einen Wimpernschlag bis die Antwort kommt und ich öffne sie hastig.

 

Wow, das klingt ganz nach einer verwirrten, armen Seele. Schieß mal los! Was ist bei dir passiert, dass du hier auftauchst?

Prinz

 

Ich bin völlig perplex, diese Antwort habe ich nicht erwartet. Scheinbar erleben die Jungs es öfter, dass ein Planloser wie ich sie beehrt. Kurz überlege ich wie viel ich ihm schreiben soll und ob ich ihm vertrauen kann und beschließe dann offen zu reden.

 

Naja, bisher habe ich gedacht auf Frauen zu stehen. Ich hatte schon genügend Freundinnen oder ONS, um mich davon zu überzeugen, dass sie mich erregen. Allerdings hatte ich vor kurzem eine seltsame Begegnung mit einem Mann. Berufliche Gründe haben sich unsere Wege kreuzen lassen und seitdem bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich auf Frauen stehe. Ich denke seither nur an ihn, war von unserem Gespräch schon komplett fasziniert. Zuerst fand ich das zwar etwas merkwürdig, aber habe mir noch nicht so viel dabei gedacht. Ich war dann in einem Klub, wollte ein Mädchen aufreisen, um mich zu überzeugen, dass ich auch wirklich auf Frauen stehe. Hat eigentlich auch alles geklappt, aber als wir Sex hatten, habe ich SEINEN Namen gerufen beim Kommen und hatte auch nur Bilder von ihm im Kopf. Jetzt bin ich restlos verwirrt von mir selbst und versuche Antworten zu finden…

 

Ich überfliege den Text nochmal bevor ich endgültig auf „Senden“ drücke und warte. Diesmal dauert es länger bis ich eine Antwort erhalte. Ich sitze auf heißen Kohlen, rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her, doch endlich nach einer scheinbaren Ewigkeit ertönt das Nachrichtensignal.

 

Na da hast Du aber schon einiges hinter dir, ich kann verstehen, dass dir die Situation mit dem Mädchen sehr unangenehm war. Solche wie Du melden sich hier öfters an um mehr zu erfahren. Meiner Meinung nach solltest du mal „MaggiWolf“ anschreiben. Er hat sich aus dem gleichen Grund hier angemeldet. Er kann dir sicher weiterhelfen, weil ich weiß schon seit ich sechzehn bin, dass ich auf Männer stehe. <3

 

Ich bin doch etwas enttäuscht, dass Prinz mir nicht sofort eine Antwort geliefert hat, allerdings kann ich nachvollziehen warum er mich an einen anderen User verwiesen hat und beschließe Prinz dafür mit anderen Fragen zu löchern.

 

Wie war das denn für dich? Also ich meine als du bemerkt hast, dass du anders bist als die anderen Jungs in deinem Alter? Hast du dich geschämt oder war es für dich ganz anders als man es so oft hört? Ist es denn überhaupt wirklich so, dass das gesamte soziale Umfeld sich ändert?

 

Ich will ihn noch viel mehr fragen, doch ich beherrsche mich vorerst und schicke meine Nachricht ab. Dann gebe ich in der Suchleiste besagten MaggiWolf ein und stelle fest, dass er nicht online ist. Trotzdem schicke ich ihm eine Nachricht.

 

Hallo MaggiWolf,

mir wurde gesagt, dass Du der richtige Ansprechpartner sein könntest…

 

Ich schildere auch ihm nochmal meine gesamte Situation und schicke die Nachricht ab. Den restlichen Nachmittag chatte ich mit Prinz und erfahre sehr viel über sein Leben und seinen Umgang mit der nicht „normalen“ Sexualität. Er erzählt mir von der Zeit als er sich geoutet hat. Anfangs hatte keiner seiner Freunde mehr etwas von ihm wissen wollen und auch seine Eltern hatten sich distanziert. Sein Vater hatte versucht ihm diese „Flausen“ auszutreiben. Mittlerweile schienen aber alle akzeptiert zu haben, dass er schwul war. Ich freue mich für ihn. Auch seine Freunde haben sich langsam wieder angenähert und er erzählt mir, dass sein Freundeskreis mittlerweile stark gewachsen ist durch die Kontakte zu anderen Schwulen. Sein Bericht lässt mich etwas Hoffnung schöpfen und dann endlich am späten Abend ertönt das Nachrichtensignal zwei Mal hintereinander und neben der Nachricht von Prinz ist auch eine Antwort von MaggiWolf im Posteingang. Natürlich öffne ich diese zuerst.

 

Hallo Schwarzmaler,

ich freue mich über Deine Nachricht, denn nicht viele haben den Mut sich diesem komplizierten Thema zu stellen. Ich weiß nicht wie alt Du bist, aber ich bin mittlerweile zweiundvierzig und lebe schon seit langem mit einem Mann zusammen. Um genau zu sein mit dem einen, weswegen ich mich damals auch hier angemeldet habe.

Ich möchte Dir gerne erzählen wie es bei mir abgelaufen ist. Ähnlich wie bei Dir entwickelte ich plötzlich Gefühle für einen anderen Mann. Ich war damals in einer Beziehung mit einer Frau und verstand die Welt nicht mehr. Noch nie habe ich solche Gefühle für einen Mann entwickelt und doch war ich mir sicher auch meine Freundin über alles zu lieben. Ich versuchte diese Gefühle für den Mann, er war ein guter Freund von mir, zu verdrängen. Wie soll ich sagen, es klappte nicht. Jedes Mal wenn ich ihn sah stürzte es mich in ein Gefühlschaos. Ich suchte Antworten auf die vielen Fragen die ich hatte und ich fand sie.

Heute bin ich der Meinung, dass es keine sexuelle Orientierung gibt. Unser Herz unterscheidet nicht zwischen Frau und Mann unser Herz entscheidet sich lediglich dafür oder dagegen. Mein Herz hat sich damals für meinen Partner entschieden. Ich bin der Meinung, würde diese Beziehung heute auseinandergehen, könnte es sein, dass mein Herz sich beim nächsten Mal wieder für eine Frau entscheidet. In unserer Gesellschaft wäre der treffendste Ausdruck wohl „Bisexuell“. Ich benutze dieses Wort nicht gerne, denn es schließt die Schubladen wieder, die ich versuche zu öffnen. Es gibt in der Liebe keine Unnormal, kein richtig und kein falsch, sondern einfach nur ehrliche Gefühle die nicht im Kopf entstehen. Sieh es einmal von einem Punkt an dem es keine Grenzen gibt, an dem alles möglich ist. Würdest Du sagen als Mann einen Mann zu lieben sei falsch? Oder sind es die gesellschaftlichen Ketten die uns das suggerieren? Beantworte diese Frage einfach für Dich ganz persönlich ;)

Du kannst auch einfach mal das Internet missbrauchen um Dir etwas, wie es sich nennt, „Homoerotik“ anzusehen. Ich habe diesen Rat damals befolgt und festgestellt, dass mich diese Bilder nicht erregen. Ich habe auch viele Stunden damit verbracht andere Männer anzuschauen. Klar waren viele attraktiv, aber nicht auf die Art und Weise wie ich eine Frau attraktiv finde und schon gar nicht auf die Weise wie ich meinen Partner attraktiv finde. Vielleicht ist er also die berühmte Ausnahme der Regel?

Eine Universalantwort gibt es zu diesem Thema nicht, aber ich hoffe ich konnte Dir helfen. Wenn Du feststellst, dass Dein Herz sich diesen Mann ausgesucht hat, dann ermutige ich Dich dazu es zu versuchen und lass um Gottes Willen die Gesellschaft bei dieser Entscheidung außen vor.

 

Mit Dir verbunden

Wolf

 

Ich staune nicht schlecht als ich die Antwort gelesen habe. Aus diesem Blickwinkel habe ich das Ganze tatsächlich noch nicht gesehen und er könnte vielleicht Recht haben mit seiner These. Mit fliegenden Fingern formuliere ich eine Antwort und bedanke mich bei ihm. Prinz bekommt noch eine Antwort auf seine letzte Frage, dann logge ich mich aus und begebe mich auf die verruchteren Seiten des Internets. Ich will unbedingt ausprobieren was Wolf mir vorgeschlagen hat. Mit zitternden Fingern klicke ich auf die „Gay“ Rubrik und starre auf den Bildschirm, der mir loyal die Reihe von Filmen auflistet die es in dieser Rubrik zu sehen gibt. Ich bin völlig ahnungslos welchen der Filme ich wählen soll und entschließe mich schließlich für den, der die besten Bewertungen bekommen hat. Atemlos klicke ich darauf und harre der Dinge die da kommen mögen.

Auf dem Monitor erscheint ein weißer Raum, nur mit einem großen, weißen Ledersofa möbliert. Darauf liegt ein schlafender Mann – nackt wie Gott ihn schuf. Sein Glied steht erigiert von seinem Körper ab. Gespannt beobachte ich den Verlauf des Videos, sehe wie ein weiterer Mann hinzukommt und beginnt den Schlafenden zu verwöhnen. Gebannt starre ich auf die makellosen Körper der beiden. Sehe wie sie sich jetzt gegenseitig verwöhnen und werde unweigerlich auch mit der Art des Geschlechtsverkehrs homosexueller Paare konfrontiert. Ich stoppe den Film kurz und atme tief durch. So weit habe ich bisher noch nicht gedacht und ich brauche diesen kurzen Moment, um mich vor dem zu wappnen was ich gleich sehen werde. Zögerlich klicke ich wieder auf „Play“. Ich sehe zu wie die beiden Männer in dem Video sich immer intensiver verwöhnen, sich gegenseitig den Penis blasen, mit den Händen den Hintern des Anderen kneten und sich gefühlvoll die Rosette massieren. Ihr Stöhnen zieht mich in einen seltsamen Bann. Ich kann meinen Blick nicht mehr von den beiden Männern wenden, sehe zu wie sich der eine vor den anderen kniet und sich bereitwillig von ihm nehmen lässt. Ich kann nicht anders – ich bin fasziniert. Als das Video zu Ende ist schließe ich den Browser seufzend und sehe, ja was sehe ich? Nichts. Das Video hat mich nicht im Geringsten erregt. Ich frage mich wie man von etwas so fasziniert sein kann und doch kalt gelassen wird. Ich schüttle den Kopf und öffne den Browser erneut, diesmal um es mit einem herkömmlichen Erotikfilmchen zu versuchen. Es könnte ja auch sein, dass ich heute gar nicht in Stimmung bin. Zehn Minuten später habe ich die Gewissheit und einen gewaltigen Ständer. Ich seufze erneut, das scheint zu meiner Lieblingsbeschäftigung geworden zu sein. Ich erhebe mich und schlurfe in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Nur langsam klingt die Erregung, die mich ergriffen hat, wieder ab. Ich werfe einen Blick auf die große Küchenuhr und beschließe ins Bett zu gehen. Durch das Surfen im Internet und den beständig flirrenden Bildschirm sind meine Kopfschmerzen vom vielen Alkohol nicht gerade besser geworden, eher das Gegenteil ist der Fall. Früh schlafen zu gehen ist also durchaus nicht die schlechteste Idee. Ich gehe noch kurz ins Bad, um eine Katzenwäsche zu erledigen und lege mich dann ins Bett. Dort fällt mir ein, dass ich noch etwas anderes ausprobieren könnte.

Dieses Mal rufe ich mir bewusst die Bilder von Harold in Erinnerung, lasse mein Gehirn von ihnen überfluten und versuche nicht sie zu verdrängen. Wieder sehe ich sein Gesicht vor mir, diese Ernsthaftigkeit in seinen Zügen, die ihn älter wirken lässt als er ist. Seine intensiven Augen, deren Farbe nicht für diesen tiefgründigen Blick verantwortlich ist. Die Farbe verbirgt lediglich den Menschen dahinter. Er schaut dir in die Seele du ihm in die Augen. Er scheint alles über dich zu wissen, du weißt nicht das Geringste über ihn. Ein anderes Bild drängt sich mit Macht in den Vordergrund. Harold wie er verschlafen das erste Mal die Tür öffnet, in tief auf den Hüften sitzenden, verbeulten Jeans und zerknittertem Leinenpullover. Unweigerlich stelle ich mir vor wie er darunter aussieht. Hat er Grübchen über den Hüften auf dem Rücken? Stechen seine Beckenknochen hervor und halten die Jeans? Ich werde hart. Wieder ein Seufzen. Ich kann es also nicht länger leugnen, ich empfinde etwas für diesen Mann, auch wenn ich noch nicht genau weiß was es ist.

Ich versuche an etwas anderes zu denken, doch es hilft nichts. Meine Erregung wird nur noch stärker und so ziehe ich die Boxershort nach unten und umfasse meinen Schaft. Ich denke an die Situation als er nur in Unterhose vor mir stand. Keine Boxershort, nur ein einfacher Baumwollslip, doch gerade das erregt mich bis aufs Blut. Diese völlige Gleichgültigkeit die er Mode oder Trends entgegenbringt. Ich rufe mir seinen nackten Oberkörper in Erinnerung, zoome im Geist das Bild heran. Taste in meinem Kopf jeden Zentimeter ab. Wie es wohl ist ihm durch den leichten Flaum auf der Brust zu streichen? Ich merke, dass ich kurz vor meinem Höhepunkt bin. Mein Geist widmet sich weiteren Details, dem flachen Bauch und den schmalen Hüften, wandert wieder nach oben und bleibt an seinen Brustwarzen hängen. Klein und dunkel stehen sie aufregend von seiner Brust ab und als ich darüber nachdenke wie es wohl wäre ihn dort zu verwöhnen, komme ich. Mein Orgasmus reißt mich mit sich fort und ich tauche in einen Strudel der Gefühle.

Als ich wieder zu mir komme laufen mir Tränen übers Gesicht. So schrecklich und gleichzeitig so schön fühlen sich diese Emotionen an. Ich wische mir die Tränen aus den Augenwinkeln und lege mich zurück in die Kissen. Ich weiß noch nicht wie es jetzt weitergehen soll, aber ich bin um einiges schlauer als vorher.

 

 

***

 

 

Aufgeregt hüpfe ich am nächsten Morgen aus dem Bett. Ich bin viel zu früh wach, aber ich konnte nicht länger schlafen, halte es nicht länger aus so sehr freue ich mich auf diesen Termin. Bald zwei Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal ein Buch veröffentlicht habe und jetzt, jetzt bekomme ich endlich wieder die Chance dazu. Ich ziehe mich an, nicht Jeans und Pullover wie jeden Tag in letzter Zeit, sondern Anzug und Krawatte, schließlich will ich einen guten Eindruck hinterlassen. Auch wenn ich mir nichts aus Kleidung mache so weiß ich dennoch was Anstand ist. Mein Vater war ein strenger Mann und hat in meiner Erziehung großen Wert auf Etikette gelegt. Ihm habe ich zu verdanken, dass ich heute geübt bin im guten Ton und keinen schlechten Eindruck bei wichtigen Persönlichkeiten hinterlasse. Danke Dir Vater, denke ich im Geiste und nehme bedächtig meine alte Ledertasche. In der Küche stelle ich sie auf einen der Hocker und mache mir ein ordentliches Frühstück. Es ist der erste Tag seit langem, dass ich wieder mit gutem Appetit esse und die Köstlichkeiten nicht in mich hineinzwinge. Manchmal vergesse ich das Essen sogar vollkommen, aber das ist eher meiner Vergesslichkeit geschuldet und nicht meinem geplagten Geist. Ich spüle und wische sogar die Küche noch etwas, sehe zum hundertsten Mal in meine Tasche ob auch noch alles an seinem Platz ist und bin immer noch zu früh dran. Also koche ich mir Tee und setze mich auf den Hocker neben meiner Tasche. Gedankenverloren puste ich in den Tee und male mir aus wie das Gespräch verlaufen wird. Ich lege mir im Kopf sämtliche Argumente zurect, die für mein Werk sprechen und überlege mir jetzt schon ganz genau wie ich sie am effektivsten vortragen könnte.

Endlich zeigt die Uhr die herbeigesehnte Zeit und ich schaue nochmal in meine Tasche, vergewissere mich ob auch alles da ist was ich brauche und verlasse dann das Haus zum ersten Mal in den letzten Wochen. Aus dem Schuppen neben dem Haus ziehe ich mein altes, rostiges Fahrrad und schiebe es zum Tor. Es quietscht bei jeder Bewegung und als ich mich enthusiastisch darauf schwinge ächzt es gequält unter meinem Gewicht. Ungeachtet dessen radle ich entschlossen los und komme immer noch zehn Minuten vor Termin an. Ich lehne das Fahrrad gegen das altehrwürdige Gebäude und steige die Treppe zu der schweren Eingangstür hinauf, drücke sie auf und suche auf den Messingschildern im Treppenhaus nach dem Verlag, um das Stockwerk zu erfahren. Ich stöhne nicht einmal dann als ich sehe, dass ich in den sechsten Stock muss, sondern mache mich auf den Weg. Etwas außer Atem klopfe ich schließlich an die richtige Tür, darüber habe ich mich noch einmal an einer Messingtafel rechts neben dem Türstock informiert, sicher ist sicher. Kurz darauf wird mir geöffnet „Ah Mister Hancock, schön, dass Sie es einrichten konnten.“ „Sehr angenehm“ antworte ich und schüttle die dargereichte Hand des jungen Mannes. „Folgen Sie mir, der Chef erwartet Sie schon“ sagt er im Umdrehen. Ich folge ihm, vorbei an einigen altmodischen Büros, den Gang hinunter zu einer verschlossenen Tür. Der junge Mann klopft energisch dagegen „Herein!“ tönt es herrisch durch die Tür. Mir wird ein wenig mulmig, schließlich war ich noch nie ein Verhandlungsgenie und auch nicht der Typ für hitzige Diskussionen. „Verzeihung Chef, aber Mister Hancock ist hier“ „Soll reinkommen“ brummt es aus dem Inneren des Büros. Der junge Mann hält mir mit einem ermutigenden Lächeln die Tür auf „Viel Erfolg“ „Danke“ gebe ich zurück und trete ein. Ich bin ein wenig erschlagen von der Einrichtung des Büros, die schweren Bücherregale sind zwar ganz nach meinem Geschmack, doch sie erdrücken den Raum und sie erdrücken mich, lassen mich klein wirken. Ein Effekt der sicherlich gewollt ist. Hinter dem dunklen Holzschreibtisch sitzt ein untersetzter, großrahmiger Mann und sieht mich an. „Setzen Sie sich doch Mister Hancock“ sagt er in einem Ton der keinen Widerspruch duldet und ich beeile mich der Aufforderung Folge zu leisten und lasse mich in einen der beiden Sessel sinken. Eine Frau eilt herbei und fragt leise „Tee?“ „Ja gerne“ nehme ich das Angebot dankbar an und klammere mich kurze Zeit später an die dampfende Tasse.

„Nun Mister Hancock, schön, dass Sie es einrichten konnten. Schließlich möchte ich nicht das Risiko eingehen, dass Sie ihr Werk an einen anderen Verlag geben“ schmiert er mir Honig um den Mund. Ich kenne und durchschaue diese Spielchen mittlerweile. Ich tue ihm den Gefallen und setze ein strahlendes Lächeln auf „Das freut mich zu hören. Sicher wollen Sie genauere Informationen über das Buch. Es ist eine Abhan…“ weiter komme ich nicht „Schon gut schon gut Mister Hancock, ich kenne Ihre Werke und weiß, dass sie allesamt sehr großen Anklang gefunden haben, sehr beeindruckend. Sagen Sie mir wie viel Sie haben wollen und ich sage Ihnen, ob ich zustimme oder nicht!“ unterbricht der Verlagschef mich. Ich bin reichlich verwirrt, so ist das bisher noch nie abgelaufen, ich weiß ja noch nicht mal den Namen meines Gegenübers. Vielleicht bin ich besser etwas vorsichtig, es könnte auch nur eine Floskel sein die mich aus dem Konzept bringen soll. Ich schlage also erstmal ganz gelassen ein Bein über das andere. „Nun gut, wie Sie wollen Sir. Da dieses Werk mir sehr am Herzen liegt werde ich keinen so hohen Anteil verlangen. Ich denke angesichts meines Bekanntheitsgrades wären zwanzig Prozent angemessen“ antworte ich bedacht. Etwas hoch gegriffen für einen Anteil den ich ja wie behauptet schon abgesenkt habe, doch irgendwie reitet mich ein wenig der Teufel bei diesem Mann. Außerdem muss ich mich darauf einstellen, dass er versucht mit mir zu verhandeln und darin bin ich denkbar schlecht. Eigentlich bin ich überhaupt nicht auf das Geld angewiesen. Mein Vater hat mir so viel davon hinterlassen, dass ich es in einem Leben gar nicht ausgeben könnte. Ich schreibe einfach nur, weil es mir Spaß macht und mein Hobby ist, aber warum nicht auch noch Geld damit verdienen? Vielleicht gibt es ja doch irgendwann mal einen Menschen dem ich das Geld vererben kann, wer weiß das schon? „Abgemacht Mister Hancock. Sie bekommen zwanzig Prozent Anteil auf jedes Ihrer verkauften Bücher.“ Ich sehe mit großen Augen die Hand an die mir mein Gegenüber hinhält. Donnerwetter damit habe ich nicht gerechnet, schnell erhebe ich mich und schlage ein, bevor er es sich noch anders überlegt. Erst jetzt packe ich meine Aufschriebe aus und lege sie dem Verlagschef auf den Tisch. Auf einen Wink erscheint die Frau von vorhin und nimmt den Stapel Papier mit sich. Keine zwei Minuten später erscheint der junge Mann in der Tür und legt mir den Vertrag druckfrisch unter die Nase. Schweigend unterschreibe ich und reiche das Blatt zurück dann verabschiede ich mich und gehe. Draußen auf der Straße beschließe ich, wenn ich schon hier bin einmal durch London zu bummeln und mich mal wieder unters Volk zu mischen.

 Ich setze mich mit meinem Fahrrad auf eine Bank an der Themse und füttere die Enten mit dem Gebäck das ich zuvor gekauft habe und sehe den Menschen zu, wie sie geschäftig an mir vorbeieilen oder gemächlich den Fußweg entlangschlendern. Manche führen ihre Hunde spazieren, andere tragen volle Einkaufstaschen nach Hause. Eine Gruppe junger Leute zieht meine Aufmerksamkeit auf sich und ich beobachte sie eine Weile wie sie miteinander scherzen und sich aufgeregt unterhalten. Einer der Jungen zieht ein Mädchen zu sich und küsst sie, begleitet von den anzüglichen Bemerkungen der restlichen Gruppe und da fällt mir wieder ein worüber ich nachgedacht habe. In meinem Kopf formt sich eine Idee. Ich werde tatsächlich eine Romanze schreiben.

Kapitel 5

Nervös fahre ich mir mit der Hand durch die Haare und sehe noch einmal in den Außenspiegel meines Jaguars. Innerlich verfluche ich mich hergekommen zu sein, warum? Das ist mir selbst nicht so ganz klar. Ich bin schon drauf und dran wieder ins Auto zu steigen, der Mut hat mich verlassen, als ich hinter mir ein entsätzliches Quietschen höre, das immer lauter wird. Verwundert drehe ich mich um und sehe gerade noch einen gut gelaunten Harold vom Rad springen und auf mich zu eilen, bevor ich in eine stürmische Umarmung gerissen werde. Mir bleibt der Mund offen stehen und ich bin nicht fähig den geringsten Widerstand zu leisten, während Harold ausgelassen über das Pflaster tanzt, mit mir in den Armen. 

Ich bin viel zu sehr abgelenkt von seinem betörendem Geruch, seinen Händen auf meinem Rücken, der Nähe zu ihm und allem voran seiner unglaublich guten Laune. Ich muss wirklich ganz schön bescheuert aussehen wie ich mit offenem Mund umhergewirbelt werde. Endlich hat Harold ein Einsehen mit mir, bleibt stehen und lässt mich los. Der Zeitpunkt ist genau richtig, bei Gott ich hätte mich sonst vergessen. "Dean! Sie werden es nicht glauben, dank Ihres brillianten niedergeschriebenen Interviews konnte ich mein Werk für einen sagenhaften Eigenanteil von zwanzig Prozent an einen Verlag geben! Sie schickt der Himmel guter Mann!" Ich stehe noch immer mit offenem Mund vor ihm, schüttle schnell den Kopf und sehe ihn immer noch verwundert, nein mittlerweile eher ungläubig an. "Nun schauen Sie doch nicht so! ich bin Ihnen etwas schuldig. Möchten Sie auf einen Tee hereinkommen?" Er scheint sich nicht im Geringsten darüber zu wundern, dass ich schon wieder vor seiner Tür stehe, aber vielleicht ist das auch einfach seiner Hochstimmung zu verdanken. Ich muss mich beherrschen seine Einladung nicht zu begeistert anzunehmen. "Sehr gerne Mister Hancock, wenn es Ihnen keine Umstände macht, leiste ich Ihnen gerne Gesellschaft bei einer Tasse". "Na dann kommen Sie". Er hebt das furchtbar rostige Fahrrad auf und schiebt es in den Garten, dort lässt er es achtlos fallen. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen, dieses Verhalten passt zu Harold. Auf dem Weg zur Tür mustere ich ihn von hinten. Der Anzug steht ihm gut, doch ich kann mich nicht an diesen Anblick gewöhnen, es passt nicht zu dem sonst so abwesenden Harold. Als ich hinter ihm eintrete wird mir etwas mulmig, auch wenn Harold bisher nicht nachgefragt hat warum ich hier bin, so wird diese Frage wahrscheinlich unweigerlich aufkommen, doch was soll ich ihm sagen? Ich weiß ja selbst nicht so genau was ich eigentlich hier will. Am einfachsten wäre es natürlich reinen Tisch zu machen, doch wie soll ich das bloß anstellen? Ihn einfach so überfallen? Einen Mann mit dem ich nur im Geiste per Du bin? Keine gute Idee, aber kann ich ihn einfach so zu, ja zu was eigentlich? Einem Date einladen? Klingt nicht richtig, aber wie soll ich es sonst anstellen? Ich bin kurz davor zu verzweifeln und Harold scheint es mir anzumerken. Ich sinke auf einen der Hocker in der Küche und er stellt mir mit einem prüfenden Blick eine dampfende Tasse Tee vor die Nase. "Stimmt etwas nicht Dean? Sie sehen so niedergeschlagen aus". 

Ich zucke zusammen und starre auf meine Hände, ich ringe mit mir. Soll ich Harold sagen was los ist oder ist es dafür noch zu früh. Mist, er wartet auf eine Antwort "Ach, es ist nichts. Heute ist einfach nicht mein Tag und in der Firma war es heute auch mehr als stressig. Ich glaube ich gehöre einfach nur ins Bett." Vorsichtig sehe ich zu Harold auf, er nickt verstehend und dreht sich plötzlich herum. Ich beobachte ihn unsicher, wie er sich an seinem Schrank zu schaffen macht und eine Flasche Himbeergeist hervorzaubert. Ich kann nicht verhindern, dass ich ihn entgeistert anstarre. Der Letzte, den ich das habe trinken sehen war mein Großvater. Irgendwie kann ich kein Bild in meinem Kopf konstruieren, das Harold Himbeergeist trinkend darstellt. Alkohol und dieser Mann passen für mich noch weniger zusammen als die Vorstellung, dass ich jemals Teeliebhaber werden könnte. Er setzt ein schiefes Lächeln auf "Ich trinke nicht Dean, aber eine Flasche habe ich immer vorrätig. Sie sehen aus als könnten Sie etwas Herzerwärmendes gebrauchen." Ich halte die Luft an, er würde mir doch schon reichen. Ich schelte mich einen dummen Esel und zwinge mich ihn nicht die ganze Zeit anzustarren. Er stellt mir ein Glas mit der klaren Flüssigkeit vor die Nase "Wohl bekommts." "Danke" erwidere ich und kippe mir den Schnaps in den Rachen, es brennt angenehm und ich kann für einen kurzen Augenblick befreiter atmen.

 

***

 

Ich blicke nachdenklich auf den betrübten jungen Mann vor mir herab. Irgendetwas scheint ihm schwer zu schaffen zu machen. Eigentlich sollte es mich nicht interessieren. Mich hat in meinem ganzen Leben noch niemals interessiert was die Probleme anderer waren, dennoch kann ich mich der Neugierde nicht erwehren, die auf einmal Besitz von mir ergreift. Ich schüttle unwillig den Kopf, um diese seltsamen Gedanken zu vertreiben. Meine Gedanken schweifen wieder zu dem tollen Erfolg, den ich heute nach zwei Jahren des ungeduldigen Wartens endlich erzielen konnte. Ich beginne ganz entgegen meiner sonstigen Schweigsamkeit zu plaudern. Eigentlich höre ich mir selbst nicht richtig zu und ich erwarte es auch gar nicht von dem Journalisten mir gegenüber. Zu sehr bin ich in meine eigenen Träumereien vertieft.

Hin und wieder schlürfe ich an meinem Tee und ermuntere Dean sich noch das ein oder andere Glas Himbeergeist zu genehmigen. Er folgt meinen Aufforderungen wortlos. Ich seufze „Sie machen mich ja ganz wahnsinnig Dean! Ich bin weiß Gott kein Menschenkenner, aber so wie Sie Ihre Hände kneten und meine Theke nieder starren merke sogar ich, dass etwas nicht in Ordnung sein kann.“ „Es tut mir leid Mister Hancock, ich hatte einfach einen schlechten Tag, es freut mich natürlich sehr für Sie, dass ich Ihnen beruflich eine Hilfe sein konnte.“ antwortet er leise und schafft es nicht mir richtig in die Augen zu sehen. Ich runzle die Stirn und zucke dann mit den Schultern. Ich bin absolut nicht der richtige Gesprächspartner, um Probleme tiefgreifender zu erörtern, dennoch tut er mir irgendwie leid, dieser junge Journalist. Er ist noch so jung, höchstens Mitte 20 und schon so belastet. Ich frage mich immer wieder, warum die Menschen sich so unter Druck setzen? Ich kann den Sinn dahinter nicht verstehen, sich Zwängen zu unterwerfen und sich von einer gehetzten Gesellschaft geißeln zu lassen.

Den Meisten fehlt es an Farbe im Leben, sie haben keinen Mut zu großen Träumen, sind viel zu sehr darauf bedacht nicht den Anschluss zu verlieren, nicht aus dem Raster zu fallen. Wer bestimmt diese weltliche Scheiße eigentlich? Ich beschließe auch diesen Gedanken weiter zu verfolgen, vielleicht kann daraus ebenfalls ein gutes Buch werden… wenn es denn den Nerv der Zeit trifft. Ich bin viel zu uninformiert, um zu wissen was gerade so angesagt ist, das entspricht nicht meiner Welt.

„Haben Sie einen Wunsch, Dean?“ wende ich mich wieder an meinen Gast. Beinahe hätte ich vergessen, dass er noch immer schweigend neben mir sitzt. Diesmal blickt er mich reichlich verwirrt an „Was?...“ Ich beobachte seine Mimik, sehe beinahe die Zahnräder hinter seinen Schläfen arbeiten. Die braunen Augen groß und dunkel, blicken fragend. Er zögert „Nein, nein Herr Hancock, es ist alles bestens.“ Ich seufze, er hat einfach so gar nicht verstanden was ich von ihm möchte. „So meinte ich das nicht Dean. Gibt es etwas in Ihrem Leben was Sie unbedingt möchten?“ Auf sein Gesicht zeichnet sich Verstehen und ich kann mir ein leises Lächeln nicht verkneifen. Er fasziniert mich auf eine seltsame Art und Weise. Wer weiß? Vielleicht schlummert auch in ihm ein eigenwilliger Geist, der nur darauf wartet geweckt zu werden?

 

***

 

Ich höre Harold schweigend zu, bin wirklich erstaunt mit welch einer Leidenschaft er seinen Monolog über Erfolg und die Zwänge der Gesellschaft hält. Ich selbst wäre gar nicht fähig gewesen zwei so grundsätzlich verschiedene Themen zu erörtern. Andererseits… hängen diese Themen nicht doch viel stärker zusammen als ich dachte? Harold lässt es mich jedenfalls glauben. Fasziniert beobachte ich sein Mienenspiel, es fällt mir so leicht ihm zu glauben. Er ist ein unglaublich guter Redner, seine angenehme Stimme, seine ruhigen Gesten, ich könnte mich darin verlieren.

Während er so spricht fällt mir auf, dass das milchige grün seiner Augen in ein sattes Funkeln wechselt, wenn er ins Schwärmen gerät. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich ihn anstarre, ja förmlich an seinen Lippen hänge und stumm nach mehr von ihm bettle. Unvermittelt holt er mich in die Wirklichkeit zurück, als sein Blick den meinen findet und er mich direkt anspricht. Ich bin so verwirrt, dass ich zunächst nur ein lahmes „Was?...“ herausbringe. Wie schaffst Du es so selbstverständlich das Thema zu wechseln? Nicht im Stande meine ruhelosen Gedanken zu sortieren versichere ich hastig, dass wirklich alles in Ordnung ist und ich höre dein Seufzen… Innerlich schlage ich mir die Hand vor den Kopf. Du alter Esel, bring dein Hirn auf Trab, Gott verdammt!

Beinahe überhöre ich die nächsten Worte von ihm, doch ich bin so verwirrt. Meine Gefühle fahren Achterbahn und ich habe das Gefühl unter seinem Blick zu verbrennen. Plötzlich schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen und es ist mir auf einmal völlig egal, wie dumm ich auf ihn wirken muss. Sein Lächeln lässt mir die Knie weich werden und lässt mich meine Ungelenkheit vergessen. Ich bin mir sicher, dass er nicht nur aus Pflichtgefühl mit mir redet, sich mit mir abgibt, um seine Eitelkeit an mir zu stillen, denn so ist er nicht. Nicht er!

Mir fällt auf, dass ich ihm noch immer eine Antwort schuldig bin und ich versuche meine Gedanken zu fokussieren, was in Anbetracht der Situation für mich beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ist. Gibt es denn etwas was ich mir über alles wünsche? Natürlich… Ihn.

Da bin ich mir mittlerweile mehr als nur sicher. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass ich mehr als nur verliebt in diesen Mann bin und doch schaffe ich es nicht ihm gegenüber offen zu sein. Ich nippe verlegen an meinem mittlerweile kalten Tee und schaue als ich ihm eine Antwort gebe auf meine Hände „Nein...“ Selbst in meinen Ohren klingt das unglaublich traurig und jämmerlich. Vorsichtig hebe ich den Blick und sehe in sein schönes, nachdenkliches Gesicht. Ich wünsche mir sehentlichst das Lächeln von eben zurück, es macht ihn noch so viel schöner.

Stattdessen nickt er nur, runzelt die Stirn und wird still. Auch ich weiß nicht, was ich noch sagen soll und starre auf meine Hände. Die Stille, die sich ausbreitet ist erdrückend, nicht angenehm wie das friedliche Schweigen unter Freunden, sondern aggressiv, lauernd und so unendlich schwer.

Ich seufze leise in die Stille hinein und nehme noch einen Schluck Tee. Plötzlich bricht Harold das Schweigen „Wie traurig es ist, dass schon so junge und unverbrauchte Menschen keine Perspektiven mehr sehen...“ Ein Seufzen seinerseits. „Wissen Sie, ein weißer Mann sagte einmal [...]

Wann haben wir Menschen begonnen uns gegenseitig so zu verachten? Wir fesseln uns gegenseitig, gönnen den Anderen die Freiheit nicht mehr, die uns selber fehlt, warum? Für mich ist...“

Er redet und redet und ich verstehe kein Wort, kann ihm nicht folgen, verstehe seine Gedankengänge nicht. Ich merke wie sehr ihn dieses Thema interessiert, wie sehr er darin aufgeht, doch mich lässt er ahnungslos zurück. Ich versuche zu begreifen was in ihm vorgeht, was ist sein Antrieb dahinter?

‚Wie soll ich Dich nur verstehen? All diese Gedanken in einem Augenblick zu erfassen wäre Selbstmord…

Deine Ansichten über die Gesellschaft verwirren mich. So sehr, dass Du das niemals nachvollziehen wirst. Und doch hast Du mich längst in Deinen Bann gezogen. Alleine Dich anzusehen entschädigt mich für die wirren Gefühle, die Du in mir auslöst und ich muss unweigerlich lächeln.‘

Er stockt kurz, als er mein Lächeln bemerkt, sieht mich für einen winzigen Augenblick, erstaunt und verwirrt an, nur um gleich darauf mit seiner Geschichte fortzufahren.

 

***

 

Ich begreife noch immer nicht, wie sich ein Leben in so vollkommener Perspektivlosigkeit ertragen lässt. Kann nicht verstehen warum den Menschen die Fähigkeit des Genusses abhanden gekommen ist. Die Antwort des Journalisten trifft mich mehr, als ich es gerne zugeben würde. Ich streiche mir nachdenklich durch die Haare als ich überlege, wie diese bleierne Stille durchbrochen werden könnte. Zögerlich beginne ich und vergesse mich kurz darauf wieder in einem schier endlosen Monolog und plötzlich sehe ich ihn lächeln.

Ich stocke kurz, verdutzt über diese unerwartete Gefühlsregung. Ermutigt rede ich weiter, erzähle ihm meine Ansichten und bemerke dabei gar nicht, dass er der Erste ist, mit dem ich so offen über meine Gedanken spreche. Beschwingt durchquere ich die Küche und setze ein zweites Mal heißes Wasser auf den Herd. Irgendwie stört mich Deans Gesellschaft nicht mehr, ich muss mir eingestehen, dass ich sie sogar als ein wenig angenehm empfinde.

Ich lehne mich an die Arbeitsplatte und drehe mich zu meinem Gast herum. Er sitzt tatsächlich nicht mehr ganz so zusammengesunken auf dem Hocker und schafft es den einen oder anderen Blick von mir zu erwidern.

Ein leises Pfeifen macht mich darauf aufmerksam, dass das Teewasser fertig ist. Gedankenverloren greife ich neben mich und verbrenne mir die Hand an dem heißen Metall „Auuu! Verdammt!“ Während ich meine Hand anschaue, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass Dean erschrocken aufgesprungen ist und um die Saftbar herum auf mich zueilt. Faszinierend, denke ich im ersten Augenblick, ungewöhnlich im zweiten und dann steht mir ein riesiges Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. Total perplex lasse ich es zu, dass er nach meiner Hand greift und sie begutachtet. Ich mag es nicht von fremden Menschen berührt zu werden, doch Dean erwischt mich auf dem völlig falschen Fuß. "Sie müssen das kühlen, Mr. Hancock! Das gibt sonst eine ordentliche Brandblase." Wie ferngesteuert gehe ich zum Spülbecken und lasse kaltes Wasser über meine schmerzende Hand laufen. Es tut gut, dennoch bin ich noch immer erstaunt über diese emotionale Reaktion des jungen Redakteurs. Beinahe panisch suche ich nach Gründen für diesen Gefühlsausbruch, durchsuche die Falten meines Hirns nach brauchbaren psychologischen Gutachten oder medizinischen Vermerken. Nichts! Ich werde nervös, ich weiß viel zu wenig über Menschen, bin viel zu selten mit ihnen in Kontakt, um selbst Erfahrungen damit gemacht zu haben. Fahrig streife ich mir mit der Hand durchs Haar "Au!" Mit der falschen Hand.

Ich schaue zu Dean hinüber, er mustert mich noch immer besorgt. Besorgter als es ein fast Fremder tun sollte oder irre ich mich? Mir wird klar, dass ich auf keinen erleuchtenden Pfad kommen werde, Menschen werde ich sowieso nie verstehen lernen. Ich lebe für meine Bücher und immerhin liegt mir das Schreiben, wenn als Mensch schon ziemlich trottelig und untauglich bin. Seufzend werfe ich Dean einen unsicheren Blick zu und nehme diesmal die linke Hand, um uns nochmal Tee einzugießen. Er hat sich mittlerweile lässig an die Theke gelehnt und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Diese jungen Leute heute, soll sie einer verstehen. Dieser unmögliche Stil, die Art wie sie reden, die Zeit die sie mit Smartphones, Computern oder vor dem Fernseher verbringen. Hat ihnen niemals jemand gesagt, dass ihnen dadurch die Langsamkeit verloren geht? Wohin sind nur die Menschen verschwunden, die tiefgründige Gespräche schätzen, die gerne Briefe schreiben und denen zuhören noch etwas wert ist? Ich schweife schon wieder ab und ich hoffe inständig, dass mein Besuch nicht gekränkt von meiner zwischenmenschlichen Unfähigkeit ist. "Mr. Hancock?" dringt es plötzlich zu mir hindurch "Hmm?" "Mr. Hancock Sie schütten gerade Ihren Tee auf den Boden." Ich sehe hinunter und tatsächlich hat sich zu meinen Füßen eine Teelache gebildet, ganz zu schweigen davon, dass ich einfach vor Dean stehen geblieben bin und wie ein dussliger Esel Löcher in die Luft gestarrt haben muss. Schnell setze ich die Tasse auf der Theke ab und drehe mich seufzend herum, um einen Lappen zu suchen. Es dauert eine ganze Weile bis ich einen gefunden habe, so langsam komme ich mir tatsächlich vor wie ein Trottel, obwohl mich eigentlich nicht kümmert was andere von mir denken, doch heute erreicht die Anzahl an Dummheiten wirklich ihren Höhepunkt.

Wenn ich nicht immer so in Gedanken versunken wäre, dann wüsste ich vielleicht auch wohin ich meine Sachen räume. So kenne ich mich auch nach vielen Jahren noch nicht in meiner eigenen Küche aus. Mein Gast scheint sich genötigt zu fühlen mir unter die Arme zu greifen. Er nimmt mir grinsend den Lappen aus der Hand und wischt die Pfütze auf. "Setzen Sie sich doch Mr. Hancock, ich mache das schon. Sie scheinen heute kein Glück zu haben." 'Na prima, jetzt ist es schon soweit' Etwas frustriert setze ich mich auf einen der Hocker und sehe Dean zu, wie er den Lappen unter den Wasserstrahl der Spüle hält und auswäscht. Er scheint mir ein fleißiger junger Mann zu sein. Ich fühle mich zu einer Erklärung gezwungen und beginne heute schon zum dritten Mal das Gespräch, nun ja, wenn man es ein Gespräch nennen kann. "Hören Sie Dean, ich danke Ihnen vielmals, ich bin leider kein besonders guter Gastgeber und noch mißerabler im Umgang mit Menschen" gestehe ich. Kurz scheint es als wolle der junge Mann nicht auf mich reagieren, doch dann dreht er sich lässig zu mir herum. Ich studiere seine Körperhaltung. Kein steifer Rücken, keine herabhängenden Schultern oder nervöses Spiel mit den Händen. Er ist völlig entspannt und als ich das Grinsen in seinem Gesicht sehe bin ich erstaunt. Wie weggeblasen ist seine trübe Stimmung von eben und ich frage mich woher er die Fähigkeit nimmt seine Laune so schnell zu ändern. 'Faszinierend.' "Schon in Ordnung Mr. Hancock nicht jeder kann gut reden, das verstehe ich." Ich muss Dean ansehen als würden ihm drei Köpfe wachsen, denn sein Grinsen wird noch breiter, ungläubig schüttel ich den Kopf und kann noch immer nicht verstehen woher dieser plötzliche Stimmungswandel kommt. Ich beschließe jedoch auf das offensichtliche Gesprächsangebot einzugehen und ich kann nicht anders als den Jungen mit anderen Augen zu sehen. 

Wir unterhalten uns sehr lange und es ist bereits dunkel als ich die Tür hinter dem jungen Mann schließe. Er lässt mich mit beinahe übersprudelnden Gedanken und auch etwas verwirrt zurück. Ich blicke ihm noch kurz durch das Fenster hinter her, sehe wie er in seinen Jaguar steigt und davon fährt.

 

 

***

 

Aufgewühlt verlasse ich das Anwesen von Harold ohne genau zu wissen wie ich diesen Tag einordnen soll. Wir haben so viel geredet, so viele Sätze ausgetauscht und doch so wenig übereinander erfahren. Naja, zumindest ich nicht über ihn. Dieser Mann ist und bleibt mir ein Rätsel. Wie um alles in der Welt kann man so sehr an der Außenwelt vorbei leben? Hat er sich noch nie gefragt was all diese Menschen da draußen machen während er in seiner eigenen Welt ist? Anders kann ich es nicht beschreiben, Harolds Anwesen ist eine eigene kleine Welt - nur für ihn.

Verzweifelt seufze ich, wie soll es mir so jemals gelingen an ihn heranzukommen? Harold braucht in seinem Leben keine andere Person, niemanden, der ihm seinen Raum zum atmen nimmt. Diese Erkenntnis macht mir meine eigene Situation bloß noch schwerer. Ich war noch nie gut darin anderen Menschen meine Gefühle zu offenbaren und wie verdammt nochmal soll ich das dann in einer so verzwickten Lage schaffen? Ich merke wie sich Verzweiflung in mir breit macht, kalt und dunkel greift sie nach meinem Herz und hinterlässt ein beklemmendes Gefühl. Nur mit aller Macht kann ich mich zusammenreißen und schließe nicht die Augen. Scheiße ich sitze am Steuer, ich muss mich zusammennehmen! Ein Unfall ist das Letzte was ich gerade noch gebrauchen kann.

 

Wirklich erleichtert bin ich erst, als ich kurze Zeit später in die Tiefgarage rolle und die Treppe zu meiner Wohnung nehme. Ich bin heil angekommen, immerhin. Doch in meiner Wohnung komme ich nicht zur Ruhe. Unruhig tigere ich vom Schlafzimmer in die Küche und ins Wohnzimmer. Ich weiß einfach nicht wo mir der Kopf steht, könnte mich ohrfeigen Harold nicht meine Gefühle offenbart zu haben und bin gleichzeitig erleichtert darüber. Andererseits verzweifle ich beinahe an meinem Gefühlschaos. Irgendwann werde ich daran noch ersticken, schon jetzt fehlt mir die Luft zum atmen und an der Stelle, an der ich bis vor kurzem noch mein Herz vermutet habe, glaube ich nun ein riesiges schwarzes Loch zu spüren.

Wie kann ein Mensch einen nur so aus der Bahn werfen? Was ist es, was mich so an diesem Mann fasziniert? Ein Mensch mit so wenig sozialer Kompetenz? Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich tatsächlich fähiger bin als er. Mein Freundeskreis beschränkt sich auf eine Handvoll Menschen und von meiner Familie habe ich das letzte Mal an Weihnachten gehört. Ein kurzes Telefonat, ein nett gemeinter Weihnachtsglückwunsch und das notwendige Übel war erfüllt. Mein Draht zu meiner Familie ist absolut nicht der beste, was daran liegen könnte, dass ich nicht in das konservative Familienbild passe. Ich hatte niemals den Wunsch wie meine älteren Geschwister eine Karriere als Akademiker oder Jurist einzuschlagen. Stattdessen wollte ich seit ich denken kann fotografieren und schreiben, entschloss mich deshalb auch vor einigen Jahren, nach meiner Schullaufbahn, Journalist zu werden. Das bin ich und dieser Beruf erfüllt mich noch immer. Allerdings wird mir seit ich Harold kenne mehr und mehr bewusst, wie grau mein Leben tatsächlich ist. Jeden Morgen in die selbe Redaktion, in dasselbe Büro, zu den selben Leuten und zu immer wiederkehrenden Sensationen und Schlagzeilen. Wer glaubt, dass man als Journalist immer neuen, spannenden Storys auf der Spur ist, der hat sich mit meinem Beruf noch nie beschäftigt. Im Prinzip interessiert die Menschen da draußen doch immer nur das Eine. Sensationsgierig wie sie sind stürzen sie sich mit beinahe erschreckendem Hunger auf Klatsch und Tratsch aus der Promiwelt.

Im Geiste höre ich Harolds Stimme, wie sehr er sich in diesem Gedanken verlieren könnte…

 

Menschen sind grausam. Der Egoismus liegt in ihrer Natur und es ist erschreckend leicht nachzuvollziehen, dass ihr Neid sich auf all jene richtet, die es scheinbar im Leben geschafft haben, auf die Schönen und Reichen, die die scheinbar keine Probleme im Leben haben.

Die Menschen ergötzen sich daran, wenn auch diesen Menschen Unglück widerfährt. Sie geilen sich daran auf und bestätigen sich selbst, dass auch die anderen nicht unfehlbar, nicht perfekt und vor allem nicht immer glücklich sind. Nur so können sie ihr Selbstbewusstsein aufbauen, es polieren und auf Hochglanz bringen. Zumindest äußerlich… Innerlich zerbrechen sie an ihrem Heischen nach Aufmerksamkeit und ihren Selbstzweifeln...‘

 

Beinahe erschrecke ich selbst darüber wie sehr ich mich in diesen Mann bereits hineinversetzt habe. Diese Fähigkeit hätte ich auch früher mal an mir entdecken können, das wäre an der einen oder anderen Stelle in meinem Berufsleben sicherlich angenehm hilfreich gewesen. Es ist wirklich seltsam wie das Leben manchmal spielt und ich schüttle den Kopf, verwundert über mich selbst wie sehr mich Harold doch beeinflusst. Meine Gedankengänge sind beinahe so ausschweifend wie die seinen. Ich kann nicht anders, ich muss zugeben, dieser Mann geht mir unter die Haut und vielleicht sogar weit mehr als das…

Mir wird bewusst, dass ich dringend mal raus muss, mich ablenken von diesen Gedanken und ich beschließe meine gute Freundin Amanda anzurufen. Vielleicht, ja ganz vielleicht könnte ich sogar mit ihr über meine verwirrenden Gefühle reden, gut tun würde es mir mit Sicherheit.

 

Eine Stunde später sitze ich mit Amanda in einem kleinen Pub in der Nähe des Chelsea Harbour und unterhalte mich ausgelassen mit ihr. Wir haben uns eine ganze Weile nicht gesehen und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich mich erst jetzt bei ihr gemeldet habe. Ich beschließe ihr diesen Abend zu spendieren und lade sie auf einen Schnaps ein. Wir trinken, reden und lachen viel, unsere Laune könnte nicht besser sein, als sie plötzlich beginnt über einen Mann zu erzählen. Sie scheint viel für ihn übrig zu haben und auch er scheint größeres Interesse an ihr zu haben. Ich freue mich wirklich für sie, doch ich werde nachdenklich, beinahe betrübt während sie so erzählt. Ich wünschte in meinem Leben wäre es ebenso.

„Dean? Hey… hörst Du mir überhaupt zu?“ reißt Amanda mich aus meinen trüben Gedanken „Was?“ frage ich verwirrt. „Ich habe gefragt, ob alles in Ordnung mit Dir ist?“ ich sehe sie an, sie blickt nur besorgt zurück. Unentschlossen wiege ich den Kopf hin und her, soll ich ihr erzählen wie es in mir aussieht, wird sie Verständnis für mich haben oder mich am Ende auslachen? Fragen über Fragen und ich werde keine von ihnen je beantworten können, wenn ich jetzt schweige. „Okay Dean, ich sehe doch, dass etwas im Busch ist, also raus damit!“ fordert sie entschieden. Zweifelnd sehe ich sie an, beinahe bittend nicht weiter in mich zu dringen, andererseits möchte ich es ihr sagen, möchte ihren Rat hören. Ich versuche erfolglos meine Gefühle zu sortieren, schließlich seufze ich ergeben. Das scheint tatsächlich eine neue Angewohnheit von mir zu werden. „Ach Amanda, ich weiß selbst nicht so genau wie mir gerade geschieht...“ beginne ich „...Es ist alles so verwirrend. Vor kurzem habe ich einen Auftrag auf dem Schreibtisch gehabt, ein Interview mit einem Schriftsteller...“ ich stocke kurz als Harolds Bild in meinem Geist aufflackert. Amanda sieht mich erwartungsvoll an „Naja, zuerst dachte ich es wird einer dieser Jobs, die man am Besten so schnell wie möglich hinter sich bringt, aber jetzt… jetzt weiß ich nicht mehr wo mir der Kopf steht.“ Ich blicke meiner Freundin unsicher ins Gesicht, suche etwas darin ohne genau zu wissen was es ist. „Und weiter?“ muntert sie mich auf und lächelt mich an. Sie ist wirklich eine der liebsten Menschen, die ich kenne.

Ich hole tief Luft „Ich dachte bisher immer, dass ich auf Frauen stehe, tue ich auch irgendwie, aber Harold, also der Schriftsteller, ich kann ihn aus meinen Gedanken nicht mehr verdrängen. Diese Bilder von ihm rauben mir einfach den Verstand, sie haben sich mir in die Netzhaut gebrannt und jedes Mal wenn ich die Augen schließe, dann… dann sehe ich ihn vor mir.“ Ängstlich sehe ich zu Amanda, wie wird sie diese Informationen aufnehmen? Ihr Blick ist nachdenklich, ruht auf mir und beinahe glaube ich schon, dass sie mir gar nicht zugehört hat, als sich schließlich ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitet. Erleichtert atme ich aus „Wow Dean! Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Du musst mir unbedingt mehr von diesem Mann erzählen!“ sagt sie mit funkelnden Augen, sie ist aufgeregt wie ein kleines Kind vor der Bescherung am Weihnachtsabend und nun muss auch ich lachen. Es ist ein erleichtertes, befreiendes Lachen, denn in diesem Moment ist es als fällt mir eine tonnenschwere Last von den Schultern. „Nun erzähl schon!“ quengelt Amanda ungeduldig, ich knuffe sie freundschaftlich in die Seite und beginne zu erzählen…

 

***

 

Ich sitze noch immer in der Küche, mein Besuch hat mich aufgewühlt und in gedanklichem Chaos zurückgelassen. Ich starre auf die Tasse am Spülbecken ohne sie wirklich wahrzunehmen. Meine Gedanken kreisen wieder und wieder um den heutigen Tag, nein eher um die Stunden in denen Dean hier auf dem Hocker neben mir gesessen hatte. Seit dem Tod meines Vaters habe ich mit keinem Menschen mehr als ein paar höfliche Floskeln getauscht und heute mit dem jungen Journalisten war ich wie ausgewechselt. Ich erkenne mich beinahe selbst nicht mehr, bin erstaunt über meine Reaktion auf ihn. Ich muss ihm vorgekommen sein wie ein Verrückter, doch ich war wie im Rausch und habe geschwafelt. So viele Worte verschwendet… So viel Zeit genommen und das für einen beinahe Fremden. Was ist nur in mich gefahren? Noch nie habe ich mich in der Gegenwart eines anderen Menschen so gehen lassen, nie habe ich mich so vergessen können. Das macht mir Angst.

Das Bild von Dean, wie er lässig an der Theke lehnt drängt sich mit Macht vor mein inneres Auge und ich ertappe mich dabei, wie ich mehr Details zu entdecken versuche. Verwirrt schüttle ich den Kopf, was ist nur los mit mir? Ich sollte mich dringend von dieser Grübelei ablenken. Ich erhebe mich, trinke den letzten Schluck meines kalten Tees und begebe mich nach oben. Anders als sonst führt mich mein Weg dieses Mal nicht in mein geliebtes Wohnzimmer. Ich finde mich in meinem Schlafzimmer wieder, beinahe mechanisch setze ich mich an meinen Schreibtisch, nehme ein Blatt und den Füller zur Hand und beginne zu schreiben…

Als ich wieder aufsehe graut bereits der Morgen. Ich starre auf die vielen Zeilen, die ich geschrieben habe ohne mich daran zu erinnern was deren Inhalt ist. Gähnend schüttle ich den Kopf und beschließe ins Bett zu gehen. Das Skript wird warten müssen.

 

In der Nacht schlafe ich nicht besonders gut, aus mir unerklärlichen Gründen verfolgt mich Dean in meine Träume. Wirre Bilder und Gesprächsfetzen schieben sich übereinander und wechseln immer schneller.

Als ich aus dem Schlaf schrecke klebt noch immer das letzte Traumgespinst an meiner Netzhaut. Deans Gesicht, mit tiefen Sorgenfalten gezeichnet. Erschrocken schüttle ich mich, um die Szene aus meinem Kopf verschwinden zu lassen, doch so richtig möchte es mir nicht gelingen. Meine Gedanken wandern zurück zum Vortag, wie Dean auf mich zugesprungen war, als ich mir die Hand verbrannt habe. Ich bin zu wenig mit anderen Menschen zusammen, als das ich beurteilen könnte wie normal eine solche Reaktion tatsächlich ist.

Seufzend erhebe ich mich und beschließe mich nicht länger damit zu beschäftigen und meine Gedanken kreisen folgsam um andere Themen.

Einen Kaffee und eine erfrischende Dusche später begebe ich mich zurück zu meinem Schreibtisch. Ich muss mir einfach meine geschriebenen Seiten noch einmal durchlesen. Den ganzen Morgen habe ich damit verbracht darüber nachzudenken, was ich gestern zu Papier gebracht habe, erfolglos. Mir will einfach nichts dazu einfallen, es ist als hätte ich nie etwas geschrieben, in meinem Kopf herrscht einfach nur Leere. Ich bin verwirrt und ratlos, so etwas ist mir noch nie passiert. Ich mag vieles sein unaufmerksam, verträumt, tollpatschig, aber nicht vergesslich. Eher im Gegenteil, mein Gedächtnis funktioniert hervorragend, etwas auf das sich viel meines Alltags stützt.

Wie nur kann es sein, dass ich Seite um Seite schreibe und am Ende überhaupt keine Ahnung mehr habe was ich aufgeschrieben habe? Welcher Mechanismus wurde in meinem Gehirn in Gang gesetzt? Faszinierend, ich sollte dieser Sache wirklich nachgehen, das könnte eine interessante Geschichte geben. Ich lasse mich auf meinen Stuhl sinken und nehme die Papierbögen zur Hand und beginne zu lesen.

Meine Schrift ist zittrig, unüblich für mich, als wäre ich es nicht gewohnt zu schreiben. Was ist bloß mit mir los? Stirnrunzelnd betrachte ich die beschriebenen Bögen. Irgendwas muss in mir vorgehen, etwas ganz Gewaltiges, ich kann es nur noch nicht zuordnen...

Ich beginne zu lesen und bin erstaunt über mich selbst, dass ich zu solchen Gedankengängen fähig bin und noch viel mehr verunsichert mich die Tatsache, dass ich meinen Protagonisten nach ihm benannt habe, nach Dean.

Was ist es nur das mich an diesem Jungen so fasziniert? Er ist sicher gute zehn Jahre jünger als ich und selbst wenn ich ein geselliger Mensch wäre, so wäre Dean nicht die Art Gesellschaft, die üblich ist. Ich bin hin und her gerissen, einerseits bin ich neugierig was ich geschrieben habe, andererseits drängt es mich genauer zu hinterfragen, warum ich auf den jungen Journalisten so reagiere. Seufzend lege ich mein Werk zur Seite und erhebe mich und stoße mir den Kopf an der Dachschräge über meinem Schreibtisch „Verflucht nochmal!“ schnaube ich und halte mir den Kopf. Missmutig schlurfe ich die Treppen hinunter in mein Lesezimmer. Ich reibe mir das Kinn, während ich nach einem ganz bestimmten Buch suche. „Es muss doch hier irgendwo sein.“ Ich drehe mich zu dem zweiten Regal um und überfliege auch dort die Buchtitel, endlich werde ich fündig „Da ist es ja.“ Triumphierend halte ich es hoch und puste mit ausladender Geste den Staub vom Einband. Noch im Stehen schlage ich das alte, in Leder gebundene Buch auf und beginne vorsichtig darin zu blättern. Die dünnen Seiten sind über die Jahre noch empfindlicher und brüchig geworden, äußerste Vorsicht ist geboten. Bücher sind schon immer meine besten Freunde, seit ich denken kann umgebe ich mich nur mit ihnen. Sie enthalten so viele Erfahrungen, so viele Erlebnisse, Erkenntnisse und vor allem eines – Wissen. Uraltes, mächtiges Wissen. Etwas an dem es in der heutigen Zeit neunzig Prozent der menschlichen Bevölkerung zu mangeln scheint.

Noch immer die Seiten überfliegend tappe ich zu den gemütlichen Ohrensesseln hinüber. Ich möchte mich setzen und lande unsanft auf meinem Hinterteil. Erschrocken blicke ich auf und finde mich auf dem Boden wieder – neben dem Sessel. Ich verdrehe resignierend die Augen, gegen meine Tollpatschigkeit werde ich sicher kein Heilmittel mehr finden. Seufzend rappel ich mich auf und setze mich – diesmal in den Sessel. Argwöhnisch beäuge ich ihn dabei, nicht dass ich glaube, dass er sich davon macht, aber sicher ist sicher. Kopfschüttelnd grinse ich über mich selbst und versinke wieder in mein Buch.

Schließlich finde ich wonach ich gesucht habe, einen Aufschrieb über zwischenmenschliche Emotionen und Gefühlsketten. Zugegeben, eine sehr wissenschaftliche Herangehensweise an ein solches Problem, aber in dieser Beziehung bin ich schon seit ich denken kann ein absoluter Kopfmensch, ein verträumter Realist mit dem Kopf in den Wolken vielleicht, aber Kopfmensch. Seite um Seite lese ich die verschiedenen Anschauungen verschiedenster Wissenschaftler und bin danach noch immer nicht schlauer. Wie auch? Gelinde gesagt fiel es sicher auch großen Männern wie Aristoteles oder Platon schwer, menschliche Gefühle in Worte zu fassen. Ich überlege, horche in mich hinein und verwirre mich damit nur selbst, denn was genau mit mir los ist kann ich noch immer nicht sagen und habe obendrein auch noch das perfekte Chaos geschaffen mit meinem Selbstversuch auf wissenschaftlichen Fakten. Was soll ich sagen, das konnte ja nur schief gehen. Ich verdrehe die Augen und reibe mir mit der Hand über das Gesicht, lege das Buch zur Seite und puste die Backen auf. Was soll ich denn jetzt machen? Ich beschließe, dass eine Tasse Tee mir sicherlich beim Denken hilft und begebe mich in die Küche.

Ruhelos geistere ich durchs Haus und versuche Klarheit in meinem Innersten zu schaffen, mit mäßigem Erfolg wie mir scheint. Ich werde beinahe wahnsinnig bei dem Versuch eine vernünftige Erklärung dafür zu finden, dass ich meinen Protagonisten ausgerechnet nach meinem jungen Bekannten und vor allem meinem einzigen Bekannten benannt habe. Vielleicht etwas verdreht, aber diese Sache mit zwischenmenschlichen Beziehungen ist mir vollkommen neu. Wie lange ist es mittlerweile her, dass ich vernünftigen Kontakt mit anderen Menschen hatte? Der Zeitpunkt muss irgendwo in meiner Kindheit liegen und schon da war ich eher ein Außenseiter. Was sagt mir das nun? Ich habe allen Grund mich verrückt zu machen oder? Vielleicht ist das aber auch nur eine ganz normale Reaktion, wenn man Kontakt mit Anderen hat? Fragen über Fragen, viel zu wenige Antworten und vier Tassen Tee später kehre ich in mein Wohnzimmer zurück und falle erschöpft auf mein Sofa und da sag einer, dass Denken nicht anstrengend ist!

Ich beschließe das Thema ruhen zu lassen, fürs Erste.

Meine Gedanken driften ab zu anderen Themen und es dauert nicht lange, da bin ich tief in Gedanken versunken…

 

Kapitel 6

„Harold, ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal, ob das sein richtiger Name ist, er ist so faszinierend anders als alle Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, Amanda. Ihn kümmert es nicht im geringsten was andere Menschen von ihm denken. Es ist ihm völlig egal welcher Trend gerade angesagt ist, welche Musik in den Charts spielt oder welche Bücher gelesen werden… Zumindest glaube ich das. Wenn ich ganz ehrlich bin weiß ich eigentlich gar nichts von ihm, außer dass er Anfang dreißig ist und Schriftsteller.

Er wohnt in einem altehrwürdigen Anwesen am Stadtrand und er scheint für Gartenarbeit nichts übrig zu haben, aber vielleicht interessiert ihn der äußere Schein auch einfach nicht. Er scheint so weit entfernt von allem menschlichen zu sein, als wäre er komplett in seinen Träumen gefangen...“ „Aber Dean!“ beschwert sich Amanda „Ich will doch wissen wie er aussieht!“ Ich grinse, sein Aussehen ist nur so wenig von dem was ihn für mich ausmacht, aber ich erzähle meiner Freundin liebend gerne jedes Detail. „Er ist groß und schlank, auf seine ganz eigene Art und Weise schlaksig. Seine hellbraunen Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab, zumindest habe ich ihn bisher nur so gesehen und seine Augen… Du müsstest seine Augen sehen Amanda! Sie sind so wunderschön, in milchigem grün. Immer wenn ich hineinsehe glaube ich, dass er mir bis auf die Seele schauen kann. Es ist so faszinierend, denn es ist als wären seine Augen Spiegel durch die er hindurch, aber niemand hineinsehen kann.“ Ich seufze und Amanda lächelt verzückt „Dich hat es ja ganz schön erwischt Dean!“ Unsicher blicke ich auf meine Hände „Scheint so.“ Sie knufft mir freudig in die Seite „Was ist nur los mit Dir? Freu Dich doch!“ „Ich weiß nicht Amanda, was wenn er nicht genauso empfindet und… und vielleicht bin ich einfach nur bescheuert, dass ich mich in jemanden verliebe, den ich nicht mal wirklich kenne und dann auch noch in einen Mann!“ „Ach papperlapapp, Dean! Verliebtsein ist etwas tolles und ganz sicher nicht rational, deswegen bist Du doch nicht bescheuert. Du solltest versuchen diesen Harold oder wie auch immer er heißen mag, besser kennen zu lernen.“ „Und wie?“ frage ich sie leicht verzweifelt. Ihr Gesicht wird nachdenklich „Hmm...“ Ich kann förmlich hören wie sie nachdenkt und schüttle fassungslos den Kopf. Da sitzt also meine beste Freundin und überlegt wie ich einem völlig Fremden näher kommen kann. Wir können beide nicht ganz dicht sein. „Ich habs!“ ruft sie und klatscht begeistert in die Hände. Verwundert, aber mit steigender Neugier sehe ich sie an. Sie grinst triumphierend. „Nun sag schon!“ dränge ich sie aufgeregt.

„Wenn ich richtig liege, dann ist das doch der Schriftsteller, dessen neues Buch gerade in die Buchhandlungen gekommen ist, oder?“ „Ähm ja.“ antworte ich verwirrt. Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? „Sehr gut! Nach Deinem Artikel ist dieser Mann wieder in aller Munde. Er hat Dir also einiges zu verdanken nach seiner Flaute. Jetzt, da wieder alle über ihn reden, da liegt es doch nahe, dass die Menschen mehr von ihm wissen möchten.“ Amanda sieht mich mit blitzenden Augen an und wartet anscheinend, dass das Offensichtliche auch zu mir durchsickert, aber ich stehe noch immer auf der Leitung. „Oh Gott Dean! Sei doch nicht so begriffsstutzig! Du sollst natürlich noch ein Interview mit ihm machen.“ sie verdreht die Augen „Oder meinetwegen auch ein Personenportrait oder was es noch so in deiner Branche gibt. Lass Dir was einfallen!“ Mit großen Augen sehe ich sie an. Auf diese Idee hätte ich auch selbst kommen können, aber momentan macht mich jeder Gedanke an Harold einfach nur wahnsinnig. „Also Dean, Du denkst Dir einen tollen Grund aus, um wieder bei ihm aufzuschlagen und ich kümmere mich um Dein Styling. Du musst ihn für Dich gewinnen!“ Ich verdrehe die Augen. Mir hätte klar sein müssen, dass Amanda jetzt Blut geleckt hat und sich von ihrer Mission nicht mehr abbringen lassen wird.

Wir sitzen noch eine Weile zusammen und trinken. Sie Cocktail ich Whiskey. Es ist bereits spät in der Nacht als ich sie vor ihrer Haustür abliefere und mich auf den Heimweg mache. Ich bin reif fürs Bett und Schlaf ist bitter nötig, wenn ich Morgen auf der Arbeit fit sein möchte. Doch natürlich ist mir das Glück nicht halb so hold wie ich es gerne hätte und ich wälze mich eine gefühlte Ewigkeit hin und her, bis ich endlich in den Schlaf finde.

Am nächsten Morgen gehe ich gelinde gesagt auf dem Zahnfleisch und wandle durch meine Wohnung wie ein Geist. Gott sei Dank gibt es Kaffee, welch göttliches Gebräu. Ich genehmige mir gleich zwei Tassen zu meinen Toasts und mache mich dann auf den Weg.

Ich habe die Tür noch nicht ganz hinter mir geschlossen, da stürzt einer meiner Kollegen auf mich zu „Dean! Da bist Du ja endlich!“ „Guten Morgen Andy! Ich habe noch nie früher angefangen.“ antworte ich trocken und gehe zielstrebig den Gang entlang auf mein Büro zu. „Dean!“ brüllt mir mein Kollege hinter her. Sein Ton lässt mich inne halten. Hallo Bürowahnsinn. Ich drehe mich um „Was ist los Andy? Und lass es was Wichtiges sein, das es rechtfertigt, dass ich nicht mal meine Sachen ablegen kann!“ knurre ich ungehalten. Meine Güte meine Laune ist wirklich am Gefrierpunkt. Ich sehe wie Andy schluckt. „Also?“ „Der Boss ist heute schon den ganzen Morgen fuchsteufelswild, weil er Dich nicht ans Telefon kriegt!“ antwortet Andy. Ich starre ihn einen Moment an, ziehe dann mein Handy aus der Tasche meiner Lederjacke und werfe einen Blick auf das Display. Tatsächlich habe ich vier Anrufe in Abwesenheit. Ich seufze resignierend. „Ist er in seinem Büro, Andy?“ Mein Kollege nickt.

Ich eile in mein Büro, entledige mich schnell meiner Sachen und bin kurz darauf auf dem Weg in das Büro meines Chefs. Na das verspricht ein lustiger Tag zu werden. Ohne ein ‚Herein‘ abzuwarten, öffne ich nach dem Klopfen die Tür. „Warren! Da sind Sie ja endlich!“ bellt er mir entgegen, als er sieht, wer zur Tür herein kommt. „Guten Morgen, Boss.“ Antworte ich ihm in bemüht freundlichem Tonfall. „Sie wollten mich sprechen?“ „Und wie ich das wollte, aber Sie scheinen sich ja einen Scheiß um ihr Telefon zu kümmern! Wofür haben Sie das Teil überhaupt, wenn Sie es nicht benutzen?“ Mein Boss hat also noch schlechtere Laune als ich. „Ich fange morgens um 8 Uhr das Arbeiten an. Davor muss ich garantiert nicht an mein Handy gehen!“ entgegne ich ihm kühl. Ich weiß, dass ich mich auf sehr dünnem Eis bewege, aber eigentlich kann ich meinen Chef sehr gut einschätzen und weiß, wie viel ich mir erlauben kann. „Warren! Wenn ich Sie anrufe, dann haben Sie an Ihr verflixtes Handy zu gehen!“ donnert er. Ich kann mir nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen und lasse mich auf den Sessel vor seinem Schreibtisch fallen. „Was gibt es überhaupt so dringendes Boss?“ versuche ich ihn auf das eigentliche Thema zu lenken. „Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass sie ein arrogantes Arschloch sind, Warren?“ brummt er. Ich grinse „Sie, wahrscheinlich schon hundert Mal“ sage ich leichthin. „Passen Sie nur auf Warren, irgendwann ist auch bei mir das Maß voll.“ flüstert er. Mein Grinsen verschwindet „Sagen Sie mir doch einfach was es so dringendes gibt.“ schlage ich vor. Mein Boss wirft resignierend die Arme in die Luft „Sie bringen mich noch um den Verstand, Warren! Wenn Sie nicht so gut wären, dann hätte ich sie längst vor die Tür gesetzt!“ Ich zucke lediglich mit den Schultern „Folgendes, heute Morgen ist in Manchester eine Maschine gelandet, die einen der größten Drogenbarone ins Land gebracht hat. Jeder weiß, dass dieser Mann mit der Mafia arbeitet, aber er hat Geld und Einfluss. Er genießt eine gewisse Immunität unter den wichtigen Persönlichkeiten der Welt. Ich möchte definitiv ein Interview von diesem Mann.“

Ich sehe meinen Boss an als wären ihm drei Köpfe gewachsen. Wir sind vielleicht eins der erfolgreichsten Wirtschaft- und Gossipmagazinen in Großbritannien, aber das ist selbst für uns eine Hausnummer. Zumal wir für unsere Auflagen eigentlich viel zu wenige Mitarbeiter haben. „Boss? Das ist quasi unmöglich!“ rufe ich ihm ins Gedächtnis. „Mag schon sein Dean, aber unmöglich gibt es nicht. Deshalb habe ich auch Sie her gerufen. Sie sind der Beste in Ihrem Fach, Warren. Ich möchte, dass Sie nach Manchester fliegen und mir dieses verdammte Interview besorgen.“ bestimmt er. Entgeistert sehe ich ihn an. Das passt mir nun so gar nicht in den Kram. Was ist mit meinen Plänen? Wie kann ich aus Manchester Kontakt zu Harold aufnehmen? Das alles funktioniert so ganz gewiss nicht. Verdammte Scheiße. „Boss… ich...“ versuche ich es noch einmal. „Keine Widerrede Dean! Sehen Sie es als dienstlichen Befehl!“

Ich atme scharf ein, lehne mich in dem Sessel zurück und reibe mir durchs Gesicht. Verdammt nochmal! „Schön, das wir uns verstehen Warren. Hier haben Sie eine Kreditkarte, nutzen Sie sie. Ein Hotelzimmer ist in Manchester bereits für Sie gebucht. Ich schlage Ihnen vor, Sie machen sich gleich auf den Weg.“ Sein Blick sagt mir, dass ich definitiv entlassen bin, deshalb schlucke ich meine Widerworte herunter, nicke verkniffen und verlasse das Büro. Meine Kiefermuskeln arbeiten, während ich in mein Büro zurück stapfe, um meine Sachen zu holen. Wütend packe ich mein Diktiergerät, meinen Laptop und was ich sonst noch brauche in meine Tasche und verlasse das Büro. „Dean! Ist alles in Ordnung?“ fragt mich Andy, als ich an ihm vorbei gehe. Ich drehe mich kurz um „Sehe ich vielleicht so aus?“ schnauze ich und verlasse das Gebäude. Noch immer ärgerlich pfeffere ich die Tasche in den Kofferraum. Meine Wut lasse ich an dem Kofferraumdeckel meines geliebten Jaguars aus und setze mich dann hinters Steuer. Ich atme tief durch, mich um einen Baum zu wickeln vor Wut, würde mir auch nicht helfen. Fahrig reibe ich mir durchs Gesicht und lasse den Kopf an die lederne Kopfstütze sinken. Ich schließe für einen Moment die Augen und frage mich, womit ich das verdient habe.

Verzweiflung macht sich in mir breit. Bis ich aus Manchester zurück bin, kann ich meine Pläne sicherlich beerdigen, dann ist der richtige Moment vorbei. Wieso ich? Warum bin ich eigentlich immer der Depp, der den Kopf hinhält. Wo ist denn der Chefredakteur, wenn es um solche Angelegenheiten geht? Den Posten hätte ich mit Applaus verdient, aber ein Chefredakteur kann solche Aufgaben an Untergebene abwälzen und dann könnte der Boss mich auf solche Fälle nicht mehr ansetzen. Blöd gelaufen. Seufzend starte ich den Motor und fahre zurück in meine Wohnung. Eine halbe Stunde später bin ich auf dem Weg nach Manchester.

 

***

 

Du bist ein Freak, James! Einer wie Du wird es niemals zu etwas bringen. Deine Träumereien sind lächerlich, es gibt etwas, das nennt sich Realität! Du Versager solltest endlich einsehen, dass es nichts bringt irgendwelchen verdrehten Träumen nachzurennen.

Du bist schwach James, schwach wie es Dein Vater war und Du solltest endlich lernen der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Dein Vater ist vor Kummer gestorben, Kummer, den Du ihm bereitet hast!“ Dean sieht verächtlich auf mich herab, die Schultern gestrafft, die Arme abweisend vor der Brust verschränkt. Seine Gesichtszüge sind hart, der Zug um den Mund zeigt deutlich seinen Spott. Er verhöhnt mich, sorgt dafür, dass ich mich in seiner Gegenwart schlecht fühle, klein und unbedeutend. Meine größte Angst wird grausame Wirklichkeit als ich in seine dunklen Augen blicke. Kalt und abweisend zeigen sie mir was ich wirklich bin – bedeutungslos. „Na los James, sieh Dich an! Hör auf Dich selbst zu belügen, denn es wird nichts daran ändern wie mickrig Du wirklich bist.“ Ich versuche etwas zu erwidern, doch Deans Handbewegung lässt mich die Widerworte hinunterschlucken. So wie er vor mir steht, die Präsenz, die er ausstrahlt und das Strotzen vor Selbstbewusstsein, alles an ihm wirkt so selbstsicher, so gelassen und so erhaben gegenüber dem was ich bin.

Ich senke den Blick zu Boden, ringe meine Hände und meine Schultern sacken herab. Dean hat recht, ich bin ein Niemand…

Plötzlich spüre ich seine Hand auf meiner Schulter, warm und schwer, aber nicht niederdrückend sondern fürsorglich und kraftgebend. Er scheint mich halten zu wollen. Meine Gedanken rasen, fahren Karussell und ich kann dem Sinneswandel nicht folgen. Unfähig mich zu bewegen halte ich einfach still, bleibe mit gesenktem Kopf vor dem jungen Mann stehen. Ich spüre wie seine Hand an meinem Hals hinauf wandert, unter mein Kinn und mich mit sanftem Nachdruck zwingt den Kopf zu heben. Gebannt sehe ich ihn an, versinke in seinen braunen Augen und ich habe das Gefühl, dass er mir keine Geheimnisse vorenthält. Es ist als könnte ich ihm direkt auf die Seele blicken. Mir wird schwindelig ob der Gefühle, die mich zu übermannen drohen. Diese ehrliche Offenheit des jungen Journalisten trifft mich tief und ich kann seinem Blick nicht länger standhalten. Ich blicke verzweifelt um Fassung ringend an ihm vorbei. Seine schlanken Finger spannen sich stärker um meinen Kiefer und mein Blick zuckt unruhig zu seinem Gesicht zurück. Ich bin gefangen in diesem Augenblick unfähig zu denken, unfähig mich zu wehren oder auch den letzten Abstand zwischen uns zu überwinden. Alles in mir schreit mich an doch etwas zu tun, doch ich kann nicht. Ich sehe ihn einfach nur stumm an…

 

Schweißgebadet erwache ich und bei dem Versuch mich aufzusetzen falle ich unsanft von meinem Sofa. Hektisch versuche ich die letzten Fetzen meines Traums abzuschütteln, doch er klebt an mir wie die Fäden eines Spinnennetzes. Verzweifelt starre ich auf die schweren Holzfüße meines Sofas und weiß nicht was ich mit mir anfangen soll. Ich träume schon immer sehr lebhaft, doch dieser Traum war selbst für mich sehr real, aber warum Dean? Wieso verfolgt mich dieser Journalist sogar bis in meine Träume? Und warum auf so widersprüchliche Art und Weise? Schon früher habe ich von dem Tod meines Vaters geträumt und von den Vorwürfen, dass ich ihn umgebracht habe, allerdings kamen sie aus dem Mund meiner Mutter.

Ich reibe mir verzweifelt durch das Gesicht. Ich habe wirklich geglaubt, dass ich all das mittlerweile hinter mir gelassen habe, doch ich habe mich geirrt. Der Stachel bohrt sich schmerzhaft tief in mein Herz und ich verziehe das Gesicht. Der Tod meines Vaters hat mich damals tief getroffen, er war mein großes Vorbild. Schon immer wollte ich so sein wie er, doch aus mir ist das krasse Gegenteil von ihm geworden. Die Anschuldigungen meiner Mutter haben mich damals beinahe das Leben gekostet, was zu einem Bruch zwischen uns geführt hat. Dennoch habe ich nie vergessen können was sie mir damals vorgeworfen hat und obwohl mein Verstand mir sagt, dass ich nicht Schuld an dem Tod meines Vaters bin, so habe ich dieses Gefühl nie mehr ganz abschütteln können. Kopfschüttelnd rapple ich mich auf und setze mich zurück auf das Sofa.

Was hat meinen Kopf bloß dazu veranlasst Dean mit meiner Vergangenheit in Verbindung zu bringen? Ich spüre noch immer seine Hand auf meiner Schulter, diese warme, wohltuende Berührung. Seine schönen Finger an meinem Kinn. Entgeistert blicke ich an mir herunter als sich etwas in meiner Hose regt. Verzweifelt stöhnend lasse ich meinen Kopf gegen die Rückenlehne des Sofas fallen. Was um Himmels Willen ist nur los mit mir? Ich muss in letzter Zeit wohl einen viel zu gestörten Schlafrhythmus haben, anders kann ich mir meinen gegenwärtigen Zustand nicht erklären. „James, Du bist eindeutig total verrückt.“ murmle ich vor mich hin.

Noch immer in Gedanken versunken erhebe ich mich, um in die Küche zu gehen, doch auf dem Weg dorthin überfällt mich ein plötzlicher Anfall von Veränderungswut und so kommt es, dass ich den restlichen Tag wie ein Besessener durchs Haus renne und und putze wie ein Wilder. Ich halte nur kurz inne, um eine meiner Schallplatten aufzulegen und noch eifriger auf alte Reggae Klänge zu wischen.

Und nicht nur das Haus fällt meinem Wahnsinn zum Opfer, ich betrete wahrscheinlich das erste Mal seit meinem Einzug, das angrenzende Gewächshaus. Pflanzen wuchern unkontrolliert über den Boden, einige Scheiben sind zerbrochen oder fehlen gänzlich und die Bodenplatten sind aus den Fugen geraten. Ein wirklich trauriger Anblick. Ich beginne damit, wahllos Pflanzen aus der Erde zu reisen und bin schon nach kurzer Zeit verschwitzt und schmutzig. Wahrscheinlich gebe ich ein ebenso trauriges Bild ab, wie die zerstörten Pflanzen. Ich knie zwischen Erde und toten Blumen und sehe mich um. Die Energie, die ich noch zuvor hatte ist erschöpft und ich streiche mir müde durchs Gesicht, hinterlasse dabei eine erdige Spur auf meiner Stirn und beschließe an einem anderen Tag weiter zu machen. Ächzend erhebe ich mich, mein Rücken protestiert heftig gegen die zusätzliche Bewegung und ich verziehe das Gesicht. Was auch immer mich den gesamten Tag heute angetrieben hat ist so schnell verschwunden wie es gekommen ist und zurück bleibt nur Leere. Ich schlurfe zum Badezimmer und verteile das halbe Gewächshaus auf dem frisch geputzten Boden, es ist mir egal.

Mit einem wohligen Seufzen gleite ich in die heiße Badewanne und strecke mich aus. Das warme Wasser umarmt und liebkost mich. Ich bin schwere körperliche Arbeit nicht gewöhnt und ich ahne, dass der morgige Tag der Horror werden wird. Deftiger Muskelkater ist vorprogrammiert. Gedankenverloren puste ich auf die Wasseroberfläche und beobachte fasziniert die immer größer werdenden Kreise. Meine Gedanken kreisen noch immer um den seltsamen Traum der vergangenen Nacht und der Drang mit Dean zu reden wird beinahe übermächtig. Ich sitze noch in der Wanne da ist das Wasser längst kalt. Ich starre noch immer auf die vibrierende Wasseroberfläche und finde keine Antworten. Bilder flirren mir durch den Kopf. Bilder von dem jungen Journalisten, wie er kalt und abweisend das erste Mal bei mir vor der Tür stand, wie er mir aufgeregt die Ausgabe seines Magazins in die Hand drückte oder sein Gesicht, als er niedergeschlagen bei mir in der Küche saß. Mir kommt es so vor, als wären all diese Momente bereits Jahre her, dabei kenne ich Dean gerade zwei Wochen. Ich kann mich nicht wehren gegen die Bilder, die mit Macht in meine Gedanken dringen, ich schaffe es nicht an etwas anderes zu denken. Der Charme und die vielen Facetten dieses Mannes halten mich gefangen und ich verstehe nicht warum. Noch nie zuvor haben mich andere Menschen interessiert, noch nie zuvor habe ich mehr als einen flüchtigen Gedanken an bestimmte Personen verschwendet und jetzt?

Seufzend erhebe ich mich aus der Wanne, trockne mich ab und beschließe nach einer Tasse Tee ins Bett zu gehen.

 

***

 

Es ist bereits als ich in Manchester ankomme. Mir bleibt kaum Zeit, also statte ich meinem Hotelzimmer nur einen kurzen Besuch ab, um meine Sachen abzulegen und mir wenigstens ein frisches Hemd anzuziehen. Ich trage in meiner Freizeit keine Hemden und schon gar keinen Anzug, nur meine heißgeliebte Lederjacke darf eigentlich nicht fehlen, doch mein Boss verlangt ein makelloses Auftreten, wenn es um Geschäftstermine geht. Ich kann mich darüber tatsächlich eher weniger beschweren. Noch immer schlecht gelaunt verlasse ich das Hotel wieder und mache mich auf den Weg, um Erkundigungen über mein Zielobjekt einzuholen.

Es hat sich für mich bewährt hinter den Aufträgen keine fühlenden Menschen zu sehen, es fällt mir so leichter nach deren Leichen im Keller zu suchen. Anders bei Harold. Ich schiebe den Gedanken energisch beiseite. Dieser Mann darf mich nicht daran hindern meinen Job zu machen, doch so wirklich komme ich gedanklich von diesem umwerfenden Mann einfach nicht los. Ich bemerke den Tag über fluchend, dass ich Kleinigkeiten vergesse und mir Fehler unterlaufen, die mir sonst nie passieren. Verdammt dieser Kerl treibt mich noch in den Wahnsinn und er weiß noch nicht mal was davon.

Am Ende des Tages weiß ich wenigstens in welchem Hotel mein Auftrag gastiert und wann er zum Dinner geht. Informationen, die ich gut gebrauchen kann. Allerdings stellen seine Bodyguards ein größeres Problem dar und ich weiß noch nicht genau, wie ich sie umgehen kann, um an ein Interview zu kommen. Während des Abendessens zerbreche ich mir darüber den Kopf, doch so richtig möchte mir nichts einfallen. Seufzend beschließe ich die Sache für heute ruhen zu lassen und gehe auf mein Zimmer. Die Minibar ist überraschend ergiebig und ich gönne mir ein Glas des teuren Cognacs. Warm rinnt mir die goldene Flüssigkeit die Kehle hinunter und ich atme tief durch, schließe für einen Moment die Augen. Ein Fehler, denn kaum sind meine Lider geschlossen erscheint sein Gesicht vor mir. Genervt reise ich die Augen wieder auf und lasse mich aufs Bett fallen. Ich muss mir eingestehen, dass meine durchkreuzten Pläne und die vielen Kilometer zwischen uns mir mehr an die Nieren gehen als ich gedacht habe.

Meine Gedanken schweifen zu den kurzen Momenten, in denen Harold mich angesehen hat, mal wieder. Ich versuche die Blicke, die er mir zugeworfen hat zu deuten, analysiere sie auf eventuelle Gefühlsregungen, doch noch immer ist mir, als würde ich in einen Spiegel blicken. Ein anderes Bild schießt mir in den Kopf. Harold wie er seine verbrannte Hand unter den Wasserhahn hält, sein Pullover, der ihm ein wenig verrutscht ist und einen schmalen Streifen seiner blassen Haut preisgibt. Ich werde hart. Gott seit wann kann einen ein bisschen nackte Haut so erregen? Ich reibe mir frustriert durchs Gesicht. Ich ahne, dass ich meine Latte nicht so ohne weiteres wieder loswerde.

Meine Hände gleiten über meinen Bauch bis hin zu meiner Leiste, meine Finger kreisen sachte über die dünne Haut dort, den Hosenbund entlang und finden zitternd den Reißverschluss. Hastig öffne ich meine Hose und seufze erleichtert auf, als die Enge ein wenig erträglicher wird. Langsam schiebe ich die dünne Flanellhose über die Hüften, lasse meine Finger über meine Oberschenkel gleiten und stöhne lustvoll als mein kleiner Freund endgültig aus seinem Gefängnis befreit ist. Beinahe schmerzhaft hart steht er von meinen Lenden ab und als ich meine Hand darum schließe knurre ich beinahe so geil ist dieses Gefühl. Ich schließe meine Augen und beginne meine Hand zu bewegen, lasse sie den Schaft entlang gleiten und stelle mir vor es wäre Harolds Hand, die mir solche Lust bereitet. Vor meinem inneren Auge sehe ich ihn, wie er mir verschlafen die Tür öffnet, wie er in Unterhose vor mir steht und meine Hand wird immer schneller. Beinahe hat sie ein Eigenleben entwickelt, denn ich bin nicht mehr fähig das Tempo zurückzunehmen zu sehr erregen mich meine Gedanken an diesen Mann. Meine Muskelenden kitzeln und mein Körper vibriert unter meinen Berührungen. Meine Gedanken peitschen mich auf, feuern mich an mir das zu geben was ich so dringend brauche und kurz bevor ich über den Klippenrand stürze sehe ich wieder sein Gesicht vor mir. Ich schreie als es mir kommt, die ganze angestaute Energie entlädt sich in diesem einen Höhepunkt und ich habe das Gefühl in Millionen Teile zu zersplittern.

Nur langsam komme ich wieder zur Ruhe, schwer atmend sinke ich zurück in die Kissen und reibe mir durchs Gesicht. Mein Gehirn nimmt nur langsam seine Tätigkeit wieder auf und ich brauche eine Weile, bis ich mich erhebe und die Dusche einschalte. Ich genieße das heiße, prasselnde Wasser auf meinem Körper, wasche meine Erregung und den Schweißfilm von meiner Haut. Nur mit Handtuch um die Hüften genehmige ich mir ein weiteres Glas des flüssigen Golds und stelle mich ans Fenster. Der Blick ist atemberaubend. Manchester bei Nacht ist wirklich einen Blick wert. Nachdenklich blicke ich auf die Menschen auf der Straße unter mir und ich beschließe mich ebenfalls ein wenig in das Nachtleben zu stürzen, denn die Aussicht auf einen ganzen Abend alleine im Hotelzimmer ist nicht sonderlich erstrebenswert.

 

Es ist der Zufall, der mir an diesem Abend in die Hände spielt, denn als ich in dunkelblauem Anzug einen der Nachtclubs betrete, entdecke ich am gegenüberliegenden Ende des Raums einen Bodyguard, der mir bekannt vorkommt. Mit finsterer Mine steht er vor einer samtenen roten Tür. Vielleicht die VIP Lounge? Suchend sehe ich mich in dem Laden um. Eine ausladende 360° Bar in der Mitte des Raums bildet das Herzstück des Clubs. Auf einer Seite stehen einige bequem aussehende Ledersofas, auf denen es sich beinahe ausschließlich Pärchen gemütlich gemacht haben. Auf der anderen Seite werden den Gästen Stehtische zum Verweilen und unterhalten angeboten. Dahinter führt eine Treppe hinauf auf einen Balkon, der weit in den Raum hineinragt. Ein Security steht davor und achtet darauf, welche Leute die Treppe betreten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies der Eingang zur VIP Lounge ist, aber was ist dann dort am anderen Ende des Raums. Meine berufliche Neugier treibt mich an den anderen Gästen und der Bar vorbei in den hinteren Teil des Clubs. Ich steuere den Bodyguard an, um ihn zu fragen wohin diese Tür führt, doch ich komme gar nicht dazu den Mund aufzumachen. „Da sind Sie ja endlich!“ blafft mir der düstere Geselle entgegen und ich sehe ihn verdutzt an. „Ich...“ setze ich an, doch er lässt mich nicht ausreden „Sparen Sie sich die Erklärungen, Sie sind ja jetzt da! Er wartet oben.“ mit diesen Worten schiebt er mich durch die Tür und schließt sie geräuschvoll hinter mir. ‚Was um Himmels Willen war denn das?‘ frage ich mich, kann aber mein Glück kaum fassen. Vor mir führt eine Treppe nach oben. Neugierig steige ich die Stufen hinauf, ohne mir Gedanken darüber zu machen was mich dort gleich erwartet. Ich höre lauter werdende Stimmen je weiter ich nach oben gelange und stehe plötzlich mitten in einem großzügigen Raum. An der gegenüberliegenden Seite steht ein großes, rundes Bett. Ich drehe mich herum und blicke zwei Männern ins Gesicht. Beide starren sie mich an als wären mir drei Köpfe gewachsen. „Ich...ähm...Sie haben mich erwartet?“ versuche ich es. Mit Sicherheit wird der Irrtum auffliegen, doch ich habe den linken der beiden Männer sofort erkannt. Radomir Borowski – mein Auftrag.

Wenn ich es geschickt anstelle, dann könnte ich vielleicht tatsächlich Glück mit einem Interview haben. „In der Tat ich habe Sie erwartet“ antwortet er mir langsam. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht überrascht dreinzuschauen. „Kommen Sie schon her, junger Mann.“ und an den Mann neben sich gewandt „Durchsuch‘ ihn. Ich mag nur eine Waffe im Bett!“ Meine Gesichtszüge entgleisen. Donnerwetter damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ergeben breite ich die Arme aus und lasse mich von dem Bodyguard abklopfen. „Er ist sauber.“ „Danke Hank! Du kannst dann gehen.“ Der Andere nickt knapp und verschwindet durch eine angrenzende Tür. „Und jetzt zu Dir, setz Dich zu uns.“ Uns? Was meint er denn mit uns? Zögerlich gehe ich um das Sofa herum und mir wird klar, was er mit ‚uns‘ gemeint hat. Auf dem Teppich vor dem Sofa sitzen zwei leicht bekleidete junge Damen, die schwer damit beschäftigt sind sich gegenseitig aufzufressen. Jedenfalls wirkt es für mich so, denn gespielter könnte dieses Szenario wirklich nicht sein. Verwirrt lasse ich mich mit einigem Abstand auf das Sofa sinken und starre entgeistert die beiden Mädchen auf dem Teppich an. Ich kann nicht fassen was da gerade vor mir abgeht und ich fühle mich gelinde gesagt, als wäre ich im Puff gelandet. „Na, gefällt Ihnen was sie da sehen? Die beiden Hübschen habe ich aus Russland mitgebracht. Sind sie nicht wahre Augenweiden?“ Ich beherrsche mich und schlucke eine Antwort hinunter, dennoch veranlasst seine Aussage mich, die Beiden genauer anzusehen. Zumindest eine von ihnen ist wirklich noch blutjung. Ich erschauere ein wenig. Allerdings, was erwartet man schon von einem Drogenbaron? Das dieser Auftrag schmutzig werden würde, war ja abzusehen. „...Wir werden sicher viel Spaß heute Nacht haben.“ reißt mich seine Stimme aus meinen Gedanken. Habe ich mich gerade verhört? Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Borowski näher an mich heran rutscht und seine Hand nach mir ausstreckt. Ich zucke erschrocken zusammen. „Na na! Ich beiße schon nicht, Hübscher.“ So langsam dämmert es auch mir, wen Borowski eigentlich erwartet hat. Scheiße in was bin ich da nur rein geraten? Ich brauche doch nur ein gottverdammtes Interview!

Fieberhaft überlege ich was ich jetzt tun soll. Ich versteife mich als die Hand des Älteren über meine Brust streicht. Unfähig mich zu rühren sehe ich einfach nur zu, während meine Gedanken rasen. Ich bin hin und hergerissen zwischen dem Ehrgeiz meinen Job gut zu machen und dem Drang einfach davonzurennen. „Na los Mädels, helft unserem jungen Freund aus seinen Klamotten.“ höre ich ihn neben mir sagen. Die Mädchen springen auf und stürzen sich mit ehrlicher Begeisterung auf mich. Sie scheinen froh zu sein, sich nicht um ihren Boss kümmern zu müssen. Ehe ich mich versehe haben sie mir die Schuhe, die Strümpfe und mein Jackett ausgezogen. Die etwas ältere von beiden macht sich gerade an meinen Hemdknöpfen zu schaffen. Obwohl diese ganze Situation mehr als nur kurios ist, spüre ich die aufkeimende Erregung als die Kleine mir über die nackte Brust streicht. Meine Entscheidung ist mir beinahe abgenommen und ich beschließe gute Mine zu bösem Spiel zu machen und mich bis zu einem gewissen Grad darauf einzulassen. Ich rufe mir die Fragen, die ich Borowski stellen will ins Gedächtnis und versuche ein Gespräch zu beginnen, darauf bedacht nicht zu beobachten was jetzt die jüngere der beiden Mädchen mit meinem Gegenüber anstellt. Nichts jugendfreies jedenfalls, soviel ist sicher. Die komische Situation spielt mir wider erwarten in die Hände, denn er ist durch das Treiben abgelenkt und antwortet mir bereitwillig auf die Fragen, die ich ihm stelle. Ich werfe ihm immer wieder kleine Köder hin, die er ohne darüber nachzudenken schluckt. Manchmal ist es wirklich erschreckend wie manipulierbar wir Männer doch sein können.

Ich möchte gerade eine weitere Frage durch die Blumen stellen, als ich das Ratschen meines Reißverschlusses höre und kurz darauf die Zunge der Kleinen an meinem harten Freund spüre. Ich stöhne auf und muss mich zusammenreißen, um nicht selbst den Verstand zu verlieren. Gott die Kleine kann vielleicht blasen. „Sie ist gut, nicht wahr?“ fragt mich Borowski. „Oh ja das ist sie.“ kann ich nur zustimmen. Ich konzentriere mich wieder auf meine eigentliche Aufgabe, aber als Borowski Anstalten macht mich nicht nur an meinem Oberkörper zu betatschen, wird es mir zu viel. Ich schiebe ihn energisch zurück und entziehe mich auch der kleinen Flötenspielerin. „Entschuldigung! Ich kann das einfach nicht.“ bringe ich hervor und versuche dabei so verzweifelt wie möglich drein zu blicken. Fahrig fasse ich mir in die Haare und suche meine Kleider zusammen. Innerlich bete ich, dass man mir die Nummer abkauft. „Was soll das?“ höe ich Borowski zischen. „Du wirst schließlich für das hier bezahlt!“ Ich höre die Wut in seiner Stimme und weiß, dass ich mich in Acht nehmen muss. „Ich...ich weiß, aber ich verzichte darauf, das geht so nicht.“ stottere ich und würge noch ein „Entschuldigung“ heraus, bevor ich das Weite suche. Im Laufen streife ich mein Hemd und mein Jackett über, erst am Fuß der Treppe nehme ich mir die Zeit meine Hose zu schließen und die Strümpfe und Schuhe anzuziehen. Oben höre ich Borowski fluchen, doch ich grinse innerlich. Er wird noch viel mehr fluchen, wenn er von dem Interview Wind bekommt.

Beinahe kollidiere ich mit dem Bodyguard als ich die Tür aufreiße und zurück in den Club trete. Der streitet sich gerade mit einem gutaussehenden jungen Mann, der anscheinend darauf beharrt durch diese Tür zu müssen. „Ich sagte Ihnen doch schon, dass er schon dort oben ist. Wer auch immer Sie sind, verschwinden Sie!“ donnert gerade der Bodyguard als ich mich an ihm vorbeischiebe. Beide starren mich an. Fuck! „Oh hey, da bist Du ja endlich!“ rufe ich und umarme den jungen Mann überschwänglich. Er versteift sich, doch ich lasse ihn gar nicht zu Wort kommen „Geh besser schnell nach oben Bro, er kocht vor Wut. Ich war wohl nicht ganz sein Typ.“ Ich verziehe mein Gesicht und schiebe ihn an dem Bodyguard vorbei auf die Tür zu. An den noch finsterer dreinblickenden Bodyguard gewandt sage ich „Mein Kollege, er kann das definitiv besser.“ Mit diesen Worten drehe ich mich herum und verlasse fluchtartig den Nachtclub.

In meinem Hotelzimmer zurück fahre ich meinen Laptop hoch und beginne stinksauer das Ergebnis des Interviews in die Tasten zu hauen.

Manchmal hasse ich meinen Job wirklich, immer an die Grenzen zu gehen macht müde und das bin ich gerade tatsächlich, unheimlich müde. Ich beschließe für heute das Licht auszumachen und meinem Boss erst gar nicht zu berichten, dass ich das Interview bereits habe. Etwas Urlaub auf die Kosten meines Chefs klingt für mich viel zu gut. Am Morgen schlafe ich aus und gehe erst am späten Vormittag zum Frühstück. Ich lasse mir eine Flasche Sekt dazu bringen und genieße die Vorzüge des Buffets ausgiebig. Ein wenig faulenzen auf dem Hotelzimmer, dann mache ich mich auf den Weg in den hoteleigenen Spa-Bereich, um Körper und Geist etwas Entspannung zu gönnen. Ich bin überrascht wie großzügig die Wellness-Oase angelegt ist und weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Überraschenderweise sind nur wenige andere Hotelgäste hier und ich habe den Pool ganz für mich alleine, ebenso die finnische Sauna und das Dampfbad. Im Ruheraum treffe ich lediglich auf ein älteres Ehepaar, nur die Massageliegen sind begehrt und ich vertiefe mich in ein Gespräch mit einem Hotelgast. Die sanften Vibrationen benebeln mich und nach einer Weile muss ich mich erheben, um nicht einzuschlafen. Ich schlage meinem neuen Bekannten vor einen Drink an der Poolbar zu nehmen und wir machen uns auf den Weg.

 

Fünf Tage später mache ich mich gut erholt auf den Rückweg nach London. Meine Laune ist blendend und steigert sich noch mit jedem Kilometer, den ich meiner Heimat näher komme. Dies liegt nicht unwesentlich auch daran, dass mich mein Jaguar immer näher zurück zu Harold bringt. Mit einem arroganten Grinsen im Gesicht betrete ich das Büro meines Chefs und knalle ihm das Interview auf den Tisch „Erledigt, Boss.“ Mein Grinsen wird noch breiter als ich das verdutzte Gesicht meines Chefs sehe. Er hat also nicht daran geglaubt, dass ich es schaffen werde und ich habe ihn eines Besseren belehrt. „Gute Arbeit Warren.“ sagt er schließlich und ich sehe ihn abwartend an. Er überfliegt die Zeilen und sieht mich dann berechnend an „Was wollen Sie noch, Warren?“ Mein Grinsen verschwindet „Ich würde gerne ein weiteres Interview mit Hancock führen und gegebenenfalls einen Personensteckbrief erstellen. Der Mann ist wieder in aller Munde nachdem sein neustes Buch draußen ist. Die Menschen da draußen sind heiß darauf mehr über ihn zu erfahren.“ Mein Boss zieht lediglich eine Augenbraue hoch. Wir liefern uns ein Blickduell und schließlich seufzt er „Tun Sie was Sie nicht lassen können Dean. Nach Ihrer grandiosen Arbeit haben Sie es sich verdient sich Ihren nächsten Auftrag auszusuchen.“ Ich nicke triumphierend und wende ich gerade zum Gehen, da hält er mich zurück „Aber Warren...“ Ich balle meine Hände zu Fäusten und drehe mich um, meine Kiefer mahlen und ich blicke ihn ausdruckslos an „Machen Sie ihre Arbeit mit diesem Mann besser als das letzte Mal.“ „Ja, Sir.“ antworte ich und verlasse das Büro. Meine Laune ist noch immer sehr gut als ich das Büro verlasse und mich auf den Weg nach Hause mache.

Kapitel 7

Meine Nacht war gelinde gesagt entsetzlich. Immer und immer wieder bin ich aufgewacht, aus dem Schlaf gerissen von wirren Träumen, grotesken Bildern und unsittlichen Szenen. Ich fühle mich fürchterlich als ich mich aus dem Bett hieve und ins Bad tapse. Beinahe erschrecke ich vor meinem eigenen Spiegelbild und schüttle nur resignierend den Kopf. Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und versuche meine Haare ein wenig zu bändigen, aber mir ist klar, dass meine Schadensbegrenzung heute wenig Wirkung zeigen wird. Ich beschließe mir eine Tasse starken Kaffee zu machen und schlurfe nur in Unterhose und Hausschuhen in die Küche. Auf halbem Weg drehe ich doch noch einmal herum und nehme meinen Morgenmantel vom Haken. Nachlässig binde ich den Gürtel zu und bis ich in der Küche bin hat sich der Knoten bereits wieder gelöst, es ist mir egal. Wie in Trance setze ich Wasser auf und suche meine Kaffeemühle, danach die Bohnen. Ich stehe wirklich vollkommen neben mir, mein Kopf ist leer und ich funktioniere wie ferngesteuert. Immerhin wird es wenigstens etwas besser als ich die erste Hälfte meines Kaffees hinter mir habe. Seufzend lasse ich mich auf einen der Hocker fallen und starre in die schwarze Flüssigkeit. Unfähig einen Gedanken zu fassen sitze ich dort eine gefühlte Ewigkeit und denke einfach nur an nichts. Erstaunlich, dass so etwas tatsächlich funktioniert. Ein entferntes Klopfen reißt mich schließlich aus meiner Lethargie und ich sehe mich verwirrt um. Es dauert eine Weile bis zu mir durchsickert, dass es der Türklopfer ist. Seufzend erhebe ich mich und schlurfe in die Eingangshalle, um dem ungebetenen Gast die Tür zu öffnen oder vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht.

Meine Hand am Türgriff zögere ich, soll ich wirklich öffnen? Wahrscheinlich würde ich in meinem Zustand den Besucher zu Tode erschrecken. „Mr. Hancock? Ich weiß, dass Sie da sind!“ höre ich eine vertraute Stimme vor der Tür. Die Stimme eines Mannes, die mir meine Entscheidung abnimmt. Hektisch löse ich die Sicherheitskette und reise die Tür auf und da steht er, groß und dunkel. Er trägt die selbe Lederjacke wie auch die letzten Male. Ich blicke ihm ins Gesicht und sehe wie seine Augen sich erschrocken weiten. Mein Gott mein Anblick muss wirklich fürchterlich sein. „Mr. Hancock! Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen furchtbar aus.“ sagt er und mustert mich eingehend. Ich fühle mich nackt vor ihm, bin aber unfähig mich zu rühren. Sein Blick ruht abwartend auf meinem Gesicht und ich beeile mich zu antworten „Guten Morgen Dean. Ja mir geht es gut, der Start in den Morgen ist nur nicht besonders gelungen. Kommen Sie doch herein.“ Ich trete beiseite, um meinen Gast ins Haus zu lassen. Mein Blick streift für einen kurzen Augenblick seinen Rücken, als er an mir vorbei tritt. Hastig schließe ich die Tür und drehe mich wieder zu ihm herum. Sein Blick ruht auf mir, nachdenklich? Nein, sein Stirnrunzeln sagt etwas anderes, etwas was mich schlucken lässt. Mir wird bewusst, dass ich quasi nackt vor ihm stehe. Ohne meinen Blick von ihm wenden zu können ziehe ich hastig meinen Morgenmantel zu und durchbreche den Bann. Verwirrt schüttelt mein Gegenüber den Kopf und sieht mir abwartend in die Augen. „Möchten Sie einen Kaffee, Dean?“ „Gerne.“ Er folgt mir in die Küche, aus den Augenwinkeln sehe ich wie er argwöhnisch den verteilten Dreck auf dem Boden betrachtet, letztendlich aber die Schultern strafft und beschließt es nicht zu thematisieren. Ich erinnere mich an seinen ersten Besuch zurück, wie er in seinem feinen Anzug einfach über die Murmeln hinweg getreten war und mir ins Lesezimmer gefolgt ist. Eine wirklich kuriose erste Begegnung, aber sein Auftreten hat mich auf eine seltsame Art und Weise überzeugt.

Er wirkt nach außen hin so selbstsicher, beinahe in sich ruhend. Ein Fels in der Brandung, wenn das Chaos einen zu ertränken droht. Meine Gedanken schweifen zu dem Tag, als er so fürchterliche Laune hatte. Aus irgendeinem Grund hat er mich hinter seine makellose, dunkle Fassade blicken lassen. So ganz ist mir noch immer nicht begreiflich, warum er das getan hat. Dass es in ihm ganz anders aussieht als er es nach außen zeigt, dürfte so ziemlich jedem Dummkopf klar sein, doch ich halte Dean nicht für einen törichten, unbeherrschten Jungen. Mir scheint, er hat sich sehr gut im Griff und weiß sehr genau was er anderen Menschen von sich preisgibt. Umso erstaunter war ich, als ich ihn so erlebte. Jetzt sitzt wieder der kühle, berechnende Dean, der erfahrene Journalist vor mir und mustert mich aufmerksam, während ich Kaffee aufsetze.

„Eine Frage hätte ich an Sie, Mr. Hancock.“ bricht er plötzlich das Schweigen. Erstaunt wende ich mich ihm zu „Fragen Sie.“ „Seit wann laden Sie mich auf einen Kaffee ein?“ Ich bin verwirrt. Er war doch nun schon einige Male bei mir. Verständnislos sehe ich ihn an, bis mir schließlich ein Licht aufgeht. Er meint nicht die Einladung, er redet von dem Kaffee. Kaffee, nicht Tee wie üblich. Ich kratze mich am Kopf „Wissen Sie Dean, ich glaube es liegt an diesem furchtbaren Morgen. Heute ist alles anders als sonst.“ „Wie meinen Sie das?“ Ich seufze, kann ich vor dem jungen Mann wirklich offen reden? Ich beschließe einen Versuch zu wagen. „Meine Nacht war gelinde gesagt entsetzlich. Zum ersten Mal seit langem haben mich meine Träume geplagt und immer wieder aus dem Schlaf gerissen.“ Eine kurze Regung auf dem Gesicht des Journalisten lässt mich aufmerken. War das Besorgnis? Die Erinnerung an den Moment, in dem ich mir die Hand verbrannte, blitzt vor meinem inneren Auge auf. Der gleiche Ausdruck auf Deans Gesicht. Was kann das nur bedeuten? Doch als ich ihm ein weiteres Mal in seine braunen Augen blicke ist der Ausdruck wieder verschwunden. Ich werde nachdenklich. „Das tut mir leid für Sie Mr. Hancock.“ sagt er nur und ich spüre, dass er es auch wirklich so meint. Ich hänge ein wenig meinen Gedanken nach und überlege über was ich mit meinem Gast plaudern könnte, da bricht er das Schweigen „Mr. Hancock, ich weiß, dass es sicher bessere Augenblicke gibt, aber eigentlich bin ich gekommen, um ein weiteres Interview mit Ihnen zu führen und eventuell einen Personensteckbrief für unsere Leser zu erstellen.“ Ich sehe ihn ausdruckslos an. Einerseits hat mir die Medienpräsenz schon einmal sehr geholfen, andererseits wünscht sich etwas in mir, dass er nicht nur aus beruflichen Gründen hier ist. Dean deutet meinen Blick falsch „Es muss wirklich nicht heute sein Mr. Hancock. Ich kann wirklich verstehen, wenn Sie sich heute nicht dazu in der Lage fühlen.“ „Nein, nein das ist es nicht. Lassen Sie uns in mein Lesezimmer gehen.“ Ich erhebe mich und stelle Tassen, den Kaffee, Milch und Zucker auf das kleine Tablett und gehe voraus.

 

***

 

Ich bin wirklich zu Tode erschrocken als Harold mir in diesem desolaten Zustand die Tür öffnet. Besorgnis macht sich in mir breit, aber auch etwas anderes. Ein Gefühl, dass ich nicht genau greifen kann. Ist es Eifersucht? Eifersucht, dass er in diesem Aufzug auch anderen die Tür hätte öffnen können? Ich verziehe das Gesicht, na das geht ja großartig los. Vielleicht sollte ich mich besser in der Klapse einliefern, anstatt hier zu stehen, bei ihm.

„Mr. Hancock! Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen furchtbar aus.“ frage ich ihn und mustere ihn abwartend.

Gott wie kann er nur so vor mir stehen? Nur im offenen Morgenmantel und Unterhose? Will er mich umbringen? Ich spüre, wie die Bilder sich in Richtung meiner Lenden auswirken. Diese makellose helle Haut, seine schlanken Beine, einfach alles an ihm fasziniert mich und lässt mich nur mit mühsamer Beherrschung nicht auf ihn losgehen.

 

Während er Kaffee kocht bin ich noch immer damit beschäftigt mein erregtes Gemüt zu kühlen und meine Beherrschung wiederzufinden. Ich kann von Glück sagen, dass Harold eindeutig zu wenig Ahnung von normalem Verhalten hat, als das er bemerkt hätte, wie es um mich steht. Schließlich erkläre ich ihm, warum ich eigentlich gekommen bin, denn ich traue mir selbst kaum noch über den Weg. In mir tobt ein ausgewachsener Hurrikan und ich hoffe mich durch ein bisschen Arbeit ablenken zu können. Ich danke ihm im Geiste, dass er so positiv auf mein Anliegen reagiert und mich in sein Lesezimmer bittet.

Erleichtert lasse ich mich in den Ohrensessel fallen und überschlage die Beine, denn in meiner Jeans ist es verdammt eng geworden. Immerhin hat Harold seinen Morgenmantel mittlerweile ordentlich zu geknotet, denn sonst hätte ich für nichts mehr garantieren können. Ich hole geschäftig mein Diktiergerät, meinen Block und einen Kuli hervor, räuspere mich und sehe zu ihm auf. Verdammt! Sein ruhiger, erwartungsvoller Blick lässt meine Nervenenden vibrieren. Ich atme scharf ein und blicke wieder auf meinen Block. „Mr. Hancock. Wie fühlen Sie sich, jetzt nachdem ein weiteres Werk von Ihnen die Buchhandlungen erobert hat?“ Ich wage es nicht den Blick von meinem Block zu nehmen. „Nun ja, ich schätze es fühlt sich gut an, denke ich. Dieses Buch war ein besonderes Herzensanliegen von mir.“

„Dann sind Sie sicher mehr als guter Laune...“ ich zögere kurz, denn sein Zustand verrät bereits alles „...mit diesen Zeilen gutes Geld zu verdienen, nicht wahr?“ Er räuspert sich „Ich würde sagen, dass Geld bei mir kein großes Thema ist. Was ist schon Geld? Ein Fähnchen Papier, ein paar geprägte Münzen, wie soll mir etwas so Banales gute Laune bescheren? Ich sage Ihnen was Mr. Warren. Geld erfüllt mich nicht, nein, es widert mich sogar an. Ich schwimme im Geld, ja ich habe mehr davon als ich jemals in meinem Leben ausgeben kann und wofür? Für ein besseres Leben? Nein. Ein Mensch braucht kein Geld um glücklich zu sein, denn Glück liegt auf einer ganz anderen Ebene als Geld.

Meine Laune kann also alleine dann gut werden, wenn die Menschen da draußen meine Bücher lesen und endlich verstehen lernen, dass Bücher auf verschiedenen Ebenen geschrieben werden. Ich wünsche mir für all diese Menschen da draußen, dass sie es schaffen sich vom Mensch sein, wie sie es definieren loszulösen.“ Ich bin platt, weiß nicht was ich dazu sagen soll und sehe letztendlich doch auf. Harold sieht mir direkt in die Augen, sucht beinahe meinen Blickkontakt. Er sieht aufgebracht, beinahe verzweifelt aus. Anscheinend macht er sich doch mehr Gedanken um seine Mitmenschen als ich geglaubt habe. „Ähm nun ja, ich kann Ihr Ansinnen durchaus nachvollziehen Mr. Hancock, aber sind Sie nicht der Meinung, dass jeder Mensch für sich entscheiden kann, wie er sein Leben lebt?“ „Tun sie das denn? Haben diese Menschen tatsächlich eine Wahl?“ er sieht mich ernst an. „Wir Menschen haben keine Wahl Dean, wenn es keine gesellschaftlichen Zwänge sind, denen wir uns unterwerfen, dann ist es die Natur. Dem Homo Sapiens Sapiens liegt es im Blut sich anzupassen, anders hätten wir uns nie so weit entwickelt und wir müssen uns weiter entwickeln Dean, aber im Moment spielen wir Gott!“

Ich habe meine Grenzen mittlerweile erreicht. Wovon spricht dieser Mann bloß? Ich bin fasziniert und zugleich vollkommen verwirrt. „Was...Was schlagen Sie dann vor Mr. Hancock?“ „Die Menschen müssen endlich loskommen von ihren materiellen Wünschen, dem besseren Smartphone, dem schnelleren Auto. Sie müssen zurückfinden zu dem Wesentlichen im Leben und ich rede hier nicht von alternativen Lebensstilen. Es geht um die geistige Einstellung, zu begreifen, dass ein noch schneller, noch besser und noch größer nicht die Lösung ist, nicht die Lösung sein kann. Die Zufriedenheit ergibt sich aus viel kleineren, abstrakteren Dingen. Wo bleiben große Träume, wenn das was gestern noch groß und unverwirklicht schien, heute nur noch Staub auf unseren Schuhen ist? Wie gelangen wir zum Glück, wenn wir gar nicht mehr sehen, dass es direkt vor uns auf der Straße liegt, weil wir viel zu beschäftigt sind?“ Harold sieht mich mit seinen großen grünen Augen an, fragend zum Teil, hoffnungsvoll zu einem anderen. „Verstehen Sie was ich sagen möchte, Dean?“ „Ich denke schon antworte ich zögerlich. Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht. Er hat recht mit dem was er sagt, in allem, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich tatsächlich begriffen habe wie tiefgreifend Harolds Worte waren.

„Erinnern Sie sich, als ich Ihnen von Träumen erzählt habe? Sie sagten, Sie können nicht träumen. Das hat sich geändert, nicht wahr Dean?“ Jetzt ist es an mir ihn mit großen Augen überrascht anzusehen. Woher weiß er das nur? „J...Ja, ich hatte seither in der Tat den einen oder anderen Traum.“ Plötzlich lehnt er sich in seinem Sessel zurück und klatscht in die Hände „Ich wusste es! Wollen Sie wissen woher?“ „Ja, klar.“ antworte ich völlig aus dem Konzept gebracht. „Sie sehen besser aus, Dean. Träume helfen der Seele zu atmen, sie nehmen eine innere Last von uns und wir werden insgesamt gelassener. Ich denke Ihnen geht es genauso.“ Ich horche in mich hinein und muss feststellen, dass Harold nicht ganz Unrecht hat. Mein Gott! Dieser Mann ist wirklich brillant. Er redet und redet und ich höre ihm fasziniert zu, hänge förmlich an seinen Lippen und lasse mich langsam aber sicher von seiner Begeisterung anstecken. Irgendwann unterbreche ich ihn mit einem Lächeln auf den Lippen. „Mr. Hancock, ich danke Ihnen wirklich für Ihre Bereitschaft für ein weiteres Interview. Ich würde Ihnen gerne eine letzte Frage stellen.“ Harold sieht mich verdutzt an, ich schmunzle. Es wirkt als habe er über seine Erzählungen vergessen, dass ich hier sitze. „Klar, nur zu. Fragen Sie.“ „Sie leben hier alleine nehme ich an. Sind Sie nicht der Meinung, dass ein Partner und Liebe wesentlich für uns Menschen sind?“

Zu meinem Bedauern wirkt er bedrückt und ich beiße mir auf die Zunge. Am liebsten würde ich mir selbst eine Ohrfeige verpassen. Immer wieder schaffe ich es ihn traurig zu machen, dabei wünsche ich mir nichts mehr, als ihn glücklich zu sehen. Er fährt sich durch die Haare und blickt zu Boden, dann seufzt er „Sie haben recht Dean. Die Liebe ist das kostbarste Geschenk, das wir Menschen erhalten können, denn Liebe funktioniert nicht mit dem Kopf, nicht mit unserem Verstand, sondern einzig und alleine mit unserem Herz, aber wenn ich ganz ehrlich bin habe ich Angst davor. Ich bin nicht sonderlich gut darin mit Menschen umzugehen und das hat mir in der Vergangenheit viel Einsamkeit und Ausgrenzung beschert. Deshalb bleibe ich heute lieber für mich...“ Bestürzt sehe ich den Mann mir gegenüber an. Wie er da sitzt, den Kopf niedergeschlagen in die Hände gestützt, starrt er vor sich hin. „Es...Es tut mir leid Mr. Hancock. Ich wollte keine schlechten Erinnerungen wecken. Es wird sie vielleicht nicht aufheitern, aber ich finde Sie sind ein sehr interessanter Gesprächspartner und ein angenehmer Gastgeber.“ „Finden Sie?“ fragt er hoffnungsvoll und sieht zu mir auf. Ich nicke. „Vielen Dank, Dean. Das hat vor Ihnen noch niemand zu mir gesagt.“ Ich schmelze förmlich dahin, als er mir sein sagenhaftes Lächeln schenkt. Die Erregung von vorhin ist mit einem Schlag zurück. Ich fahre mir durchs Gesicht und versuche verzweifelt an etwas anderes zu denken, aber Gott, dieser Mann lässt mich einfach nicht kalt. Ich sehe zu wie er sich erhebt und erhasche einen kurzen Blick auf die zarte Haut an seinen Schlüsselbeinen. Mir läuft ein Schauer den Rücken herunter. Schnell erhebe auch ich mich, um mein Gefühlschaos zu überspielen. „Bleiben Sie sitzen Dean.“ fordert er mich freundlich auf. „Ich gehe nur Tee aufsetzen. Es ist bereits kurz vor fünf.“ Wortlos sinke ich zurück in den Sessel, erleichtert, dass er mich nicht wieder rausschmeißt. Ich werfe einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr und stelle fest, dass Harold recht hat.

 

***

 

Mir schwirrt der Kopf, als ich das Lesezimmer verlasse. Gesprächsfetzen überlagern Gedankengänge, die noch immer um meinen Monolog kreisen. Bilder von Dean überspiegeln meine Hirnfalten und werfen groteske Abbilder gegen das Innere meiner Augenlider. Verzweifelt fahre ich mir durchs Gesicht und reibe mir die Schläfen. Ein schmerzhaftes Pochen hat sich langsam aber stetig hinter meiner Stirn ausgebreitet und ich verziehe das Gesicht.

Ein menschliches Gehirn kann wirklich eine Strafe sein. Seufzend setze ich das Teewasser auf und nehme zwei saubere Tassen aus dem Schrank. Gedankenverloren nehme ich zwei Teebeutel aus der Verpackung und versuche Ordnung in meinem Kopf zu schaffen, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Wie kann mich die bloße Anwesenheit einer Person nur so durcheinander bringen? Ist es Deans dunkle Ausstrahlung, die mich so fasziniert? Vor meinem geistigen Auge spult mein Hirn eine Folge von Bildern ab. Ein beruhigender Automatismus. Meine Gedanken kreisen zurück zu dem Traum von letzter Nacht. Was richtet dieser Journalist bloß mit mir an? Es fühlt sich an als habe sich eine Mauer in meinem Kopf errichtet, die mir nun verwehrt das Große Ganze zu überblicken.

Frustriert stütze ich den Kopf in meine Hände und starre trübsinnig vor mich hin. Ich erschrecke mich beinahe zu Tode, als der Kocher neben mir pfeift. Noch ehe ich es verhindern kann landet eine der Porzellantassen laut klirrend auf den Fliesen. Ich zucke zusammen, mir bleibt selbst mein Fluch im Hals stecken. Ich habe keine Kraft mehr mich darüber aufzuregen. Mit einem tiefen Seufzer ziehe ich zunächst den Kocher vom Feuer und mache mich dann daran die Scherben aufzulesen und in den Müll zu schmeißen. Meine Laune ist zum zweiten Mal an diesem Tag auf dem Tiefpunkt angekommen und ich mache mich nur widerstrebend auf den Weg zurück in das Lesezimmer. Am liebsten würde ich mich jetzt einfach ins Bett legen und für den Rest des Tages die Decke über den Kopf ziehen. Als ich eintrete sitzt Dean nicht mehr im Sessel, sondern steht am Fenster und blickt hinaus, die eine Hand in der Hosentasche, die andere hält er vor sich. Ich schiele auf das Kaffeetischchen und werde in meiner Annahme bestätigt. Er hält seine Kaffeetasse in der Hand. Seine Schultern sind gestrafft und er strahlt wieder diese wohltuende Ruhe aus. Ich wünsche mir sehentlichst in dieser Hinsicht ein wenig mehr so zu sein wie er – gelassen. Ich räuspere mich leise und er dreht sich zu mir herum. „Ihr Garten muss früher wirklich eindrucksvoll gewesen sein Mr. Hancock.“ Verlegen blicke ich zu Boden, mir ist klar, dass ich nun wirklich nicht dazu beigetragen habe, den Verfall dieses alten Gemäuers aufzuhalten. „Ja, äh...stimmt. Es muss allgemein ein sehr prunkvolles Anwesen gewesen sein. Davon war schon kaum noch etwas übrig, als ich es gekauft habe und naja...handwerklich gesehen habe ich zwei linke Hände.“ Ich versuche mich an einem schiefen Grinsen, doch es misslingt mir kläglich. Ich bin einfach so schlecht darin meine Emotionen zu verbergen und ich muss nur in Deans Gesicht sehen, um zu wissen, dass er gerade aus mir liest wie aus einem Buch. Aus irgendeinem Grund stört mich das. Eigentlich war ich der Meinung, dass mir die Meinung anderer Menschen über mich völlig egal ist, doch bei dem jungen Mann vor mir ist es anders. Ich möchte ihm gefallen, ja genau das ist es. ER soll nicht schlecht über mich denken. Mir schießen die Worte aus meinem Traum wieder durch den Kopf. Worte die aus seinem Mund kamen, voller Hohn und Spott. Nur mühsam schaffe ich es meine aufkeimende Panik zu kontrollieren und tief durchzuatmen. Ich bin mir plötzlich ganz sicher, dass ich diese Worte aus seinem Mund nicht verkraften könnte.

„Mr. Hancock? Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sind weiß wie eine Wand!“ höre ich die besorgte Stimme meines Gegenübers wie durch Watte zu mir durchdringen, doch ich schaffe es nicht den Nebel zu vertreiben. Unfähig mich zu bewegen starre ich weiter geradeaus und dann spüre ich seine Hand auf meiner Schulter, wie in meinem Traum, nein, besser! Warm und schwer liegt sie dort. Ich spüre seine Finger, die ein klein wenig Druck ausüben, als wolle er mich daran hindern zu Boden zu sacken und ich merke, dass meine Knie tatsächlich weich geworden sind. Mechanisch blicke ich zu ihm und er blickt tröstend zurück. Vielleicht bilde ich mir das alles nur ein, aber mich durchströmt eine plötzliche Welle von Hochgefühlen. „Ähm ja, ich...ich denke mit mir ist alles in Ordnung.“ stammle ich vollkommen verwirrt vor mich hin. Er hält meinen Blick gefangen und mir ist beinahe schmerzhaft bewusst, dass er mir kein Wort glaubt. Diese unglaubliche Intensität in seinen wunderschönen braunen Augen, meine Beine sind längst nicht mehr zu gebrauchen. Wie ein schlaffes Fähnchen hänge ich in seinem Griff. Fahrig streiche ich mir durch die Haare, um seinem Blick nicht länger stand halten zu müssen, doch ich bemerke bevor ich zu Boden blicke, wie sie dunkler werden. Ich starre stur auf den Boden und meine Augen weiten sich als es mir wie Schuppen von den Augen fällt. Dean Warren hat sich nicht so im Griff wie sonst, das kann nur bedeuten, dass auch er innerlich mit sich ringt. Irgendwas passiert in ihm in meiner Gegenwart. Ob das gut ist? Ich weiß es nicht. Ein schusseliger Tollpatsch wie ich, der emotional auch noch ein Krüppel ist und sein Leben auch nur deshalb auf die Reihe bekommt, weil er nur alleine für sich sorgen muss, ist sicherlich keine Bereicherung im Leben. Eher der Betonklotz, der einen glatt im See ersäuft.

Neugierig blicke ich wieder zu Dean. Sein Blick ist noch immer besorgt, aber distanziert. Was es auch war, er hat es wieder in den Käfig gesperrt und eingeschlossen. Dennoch bugsiert er mich entschieden zu einem der Sessel und schiebt mich hinein. Widerstandslos lasse ich es geschehen. „Ähm der Tee steht dort auf dem Tisch. Nehmen Sie sich ruhig eine Tasse, Dean.“ sage ich, um das sich ausbreitende Schweigen zu durchbrechen und spiele dabei nervös mit meinen Fingern. Wortlos dreht der junge Mann sich um und gießt zwei Tassen Tee ein, die eine reicht er mir. „Danke.“ bringe ich schnell hervor. „Gern.“ antwortet er schlicht und setzt sich wieder in den Sessel mir gegenüber. Er sieht mich abwartend an, unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her und weiß nicht was ich tun oder sagen soll. Mein Kopf ist zu einem gewaltigen Aktenschredder mutiert und verwüstet heillos die Ordnung in meinen Gedanken. „Was ist?“ frage ich schließlich ziemlich dämlich, als er einfach nur da sitzt und mich ansieht. „Möchten Sie darüber reden Mr. Hancock? Natürlich ganz privat versteht sich.“ Bei dieser Abgeklärtheit, die Dean an den Tag legt fühle ich mich nur noch schlimmer als eh schon. Ich bin tatsächlich kurz davor ihm alles zu erzählen und reinen Wein einzuschenken über meine wirren Gefühle und die letzte Nacht, doch stattdessen plappere ich wirr darauf los und erzähle ihm etwas über eine schlechte Phase, zu wenig Schlaf und trübe Gedanken. Innerlich schlage ich mir bereits selbst den Schädel ein in der Hoffnung endlich mit diesem peinlichen Gerede aufzuhören, doch das Durcheinander in meinem Kopf, mein Mangel an Sozialkompetenz und mein unglaublicher Vorrat an Fantasie halten meinen Verstand davon ab, diesem schrecklichen Treiben ein Ende zu setzen. Selbst mein Gast runzelt nur noch verwirrt die Stirn und scheint zu überlegen was genau er von mir halten soll und ich kann es ihm wirklich nicht verdenken. Ich rede und rede, verstricke mich immer weiter in irgendwelche Fantasiegebilde, in der Hoffnung, dass ich so verbergen kann welches Chaos wirklich in mir herrscht und noch wichtiger, dass er niemals herausfindet, dass er zu allem Übel der Auslöser dafür ist.

Fahrig streiche ich mir durch die Haare und bemerke, dass ich bei meinem Gegenüber die gleiche Reaktion wie eben hervorrufe und fahre mir deshalb gleich noch einmal nervös hindurch ohne auch nur eine Redepause einzulegen. Ich fuchtle wild mit den Armen, um meine Erzählungen zu unterstreichen und erreiche damit nur, dass Dean mich recht verstört ansieht. Ich kann beinahe spüren, wie es in seinem Kopf arbeitet und er versucht sich einen Reim auf meinen plötzlichen Anfall von Wahnsinn zu machen

 

und dann geschieht es…

 

 

***

 

Während Harold in der Küche werkelt, versuche ich meine Erregung zu mildern indem ich über alle möglichen widerlichen Dinge nachdenke, doch das hilft nur bedingt. Seufzend erhebe ich mich und laufe einige Male auf und ab. Ich komme mir vor wie ein Tiger im Käfig. Ruhelos geistere ich durch den kleinen Raum, sehe mir Buchtitel genauer an und werfe einen Blick in die Vitrine. Ich halte inne als ich ein Klirren aus der Küche höre und ich bin versucht dorthin zu eilen, doch ich schelte mich innerlich einen Esel und unterdrücke das Bedürfnis. Um mich von meiner Besorgnis abzulenken, trete ich ans Fenster und blicke hinaus. Ich stelle mir vor wie es früher hier ausgesehen haben könnte. Die Buchsbäume waren sicher fein säuberlich in Form geschnitten und der Rasen englisch ohne ein Blatt Unkraut dazwischen. Unweigerlich frage ich mich wie man ein solches Anwesen so verkommen lassen kann, doch in Anbetracht dessen wer der Besitzer ist, ist es nicht sonderlich verwunderlich. Für Harold zählt das alles nicht. Ein schönes Anwesen, ein gepflegtes Aussehen, das alles ist nicht wesentlich für ihn und eigentlich ist es genau das, was mich so an ihm fasziniert.

Ein kurzes Räuspern lässt mich aufhorchen und ich drehe mich zu ihm herum. Er setzt gerade das Tablett auf dem Tisch ab und ich kann nicht anders als meinen Blick über ihn gleiten zu lassen. Er weiß gar nicht wie schön er ist. „Ihr Garten muss früher wirklich eindrucksvoll gewesen sein Mr. Hancock.“ sage ich und reiße meinen Blick von ihm los. Ich muss mich wirklich besser zusammenreißen. „Ja, äh...stimmt. Es muss allgemein ein sehr prunkvolles Anwesen gewesen sein. Davon war schon kaum noch etwas übrig, als ich es gekauft habe und naja...handwerklich gesehen habe ich zwei linke Hände.“ antwortet er mir und schenkt mir ein schiefes Grinsen. Naja zumindest einen sehr kläglichen Abklatsch davon, doch mir lässt es die Knie weich werden. Es kostet mich meine gesamte Selbstbeherrschung ihn nicht hier und jetzt anzufallen und ich blicke scharf einatmend nach links. Kurz schließe ich die Augen, um mich wieder zu fassen, doch als ich wieder zu Harold blicke erschrecke ich. Er sieht plötzlich aus als habe er einen Geist gesehen. Besorgt trete ich auf ihn zu und ich weiß, dass ich es später bereuen könnte, doch ich schieße jegliche Distanz in den Wind und lege ihm meine Hand auf die Schulter. Erleichtert atme ich aus als er es geschehen lässt. „Mr. Hancock? Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sind weiß wie eine Wand!“ frage ich ihn. Beinahe hätte ich ihn Harold genannt, doch ich konnte mir noch rechtzeitig auf die Zunge beißen, Gott sei Dank. Ich versuche ihm einen aufmunternden Blick zu schenken, doch als er mich ebenfalls ansieht stockt mir der Atem. Sein Blick schießt mir direkt in die Lenden und meine Kiefer mahlen, ich merke wie sich der Druck meiner Hand auf seiner Schulter verstärkt und ich zwinge mich ruhig zu bleiben. Für einen kurzen Augenblick glaube ich ein ebenso großes Gefühlschaos in Harolds grünen Augen zu sehen, doch ich bin mir nicht ganz sicher. „Ähm ja, ich...ich denke mit mir ist alles in Ordnung.“ Als er das sagt, bin ich mir wiederum ganz sicher, dass es ihm definitiv nicht gut geht. Am liebsten würde ich ihn ohrfeigen, weil er nicht ehrlich zu mir ist, doch der noch gesunde Teil in meinem Gehirn hält mich entgeistert davon ab. Wir kennen uns ja kaum und befinden uns eigentlich auf einer rein geschäftlichen Ebene. Wieso verliere ich bei ihm nur so die Kontrolle über mich?

Als er sich dann auch noch durch seine wuscheligen Haare fährt würde ich am liebsten kopfüber aus dem Fenster springen, um meinen mich übermannenden Gefühlen zu entkommen, doch ich schaffe es ein weiteres Mal mich zu konzentrieren und ihn entschieden in den Sessel zu befördern. Der Mann sieht aus als könne er keine Sekunde länger stehen. Unschlüssig was ich am Besten sagen könnte stehe ich vor ihm und sehe auf ihn herab. Er übernimmt das Reden für mich, indem er mir das Offensichtliche erklärt und ich drehe mich, erleichtert etwas tun zu können, herum und schenke zwei Tassen Tee ein. Die eine reiche ich Harold, die andere nehme ich mit und setze mich wieder in den gemütlichen Ohrensessel gegenüber. Fragend sehe ich Harold an. Ich warte darauf, dass er noch irgendetwas sagt, doch er schweigt und sieht stur geradeaus. Ich kann seine Nervosität dennoch deutlich erkennen und ich frage mich was um Himmels Willen mit diesem Mann heute los ist. Schließlich fragt er mich einfach gerade heraus „Was ist?“ Oh man er hat sicher gemerkt, dass ich ihn anstarre, aber verflucht ich kann einfach nicht anders. Dieser Mann ist Öl auf meinem Feuer! „Möchten Sie darüber reden Mr. Hancock? Natürlich ganz privat versteht sich.“ frage ich ihn stattdessen höflich und kämpfe – zum wievielten Mal, eigentlich – dagegen an, ihn nicht auf der Stelle auf dem Fußboden zu vernaschen. Eigentlich rechne ich nicht wirklich damit, dass Harold mit mir reden wird, umso überraschter bin ich als er plötzlich anfängt zu reden – und wie!

Er redet und redet, gestikuliert wild mit seinen Händen. Verzweifelt versuche ich seinen Gedankengängen zu folgen und zu verstehen was er da sagt, aber mir fällt schnell auf, dass das alles überhaupt keinen Sinn ergibt. Ich runzle die Stirn. Was ist nur in ihn gefahren, frage ich mich verwundert, in der Hoffnung vielleicht doch eine schlüssige Antwort darauf zu finden. Ohne Erfolg. Zweimal streicht er sich nervös durch die Haare und ich atme scharf ein und als er noch immer keine Anstalten macht endlich den Mund zu halten oder mir wenigstens die Wahrheit zu sagen platzt mir endgültig der Kragen. Scheiß drauf…

 

Ich werfe alle Bedenken über Bord und stürze mich auf ihn. Presse ihn in die weichen Polster seines Sessels und küsse ihn. Verschließe ihm endlich seinen schönen Mund. Ich will nicht länger diese Ausflüchte hören. Eigentlich möchte ich gar nichts mehr von ihm hören, nur seine Erregung. Ich habe ihn überrumpelt, damit hat er nicht gerechnet. Er sitzt stocksteif da und lässt es geschehen und ich beginne zu beten, dass ich mich nicht so sehr getäuscht habe und endlich erlöst er mich von meinen Qualen. Er erwidert meinen Kuss, stürmisch und unbeholfen.

Ich packe ihn an den Schultern und ziehe ihn aus dem Sessel. Stattdessen lasse ich mich hineinfallen und ziehe ihn auf meinen Schoß. Meine Hände wandern zu seinem Gesicht und ich umschließe es, ziehe ihn wieder zu mir. Das Prickeln seiner vollen Lippen auf meinen jagt mir leise Schauer den Rücken hinunter. Ich zwinge Harold in einen ruhigen, intensiven Kuss, lege all meine aufgestauten Gefühle in diesen magischen Augenblick und hoffe inständig, dass auch nur ein Bruchteil dessen bei ihm ankommt, meinem schönen Harold.

Als wir uns voneinander lösen geht unser beider Atem schwer. Vorsichtig öffne ich die Augen, sein intensiver Blick nimmt mich gefangen. Minuten verstreichen während wir uns einfach nur ansehen. Der Blick aus seinen grünen Augen, so intensiv und so voller Gefühl. Überschäumend, als wollten sie mir alles gleichzeitig erzählen, jedes noch so kleine Geheimnis auf der Stelle offenbaren. Ich muss unweigerlich lächeln und ich spüre wie die Anspannung der vergangenen Minuten schlagartig von mir abfällt. Auch Harolds Gesicht verzieht sich zu einem hinreisenden Lächeln und ich streiche ihm mit meinen Fingern über die Wange. Er schmiegt sein Gesicht in meine Handfläche und der glückselige Ausdruck darauf spiegelt all das wider was auch ich in diesem Moment fühle.

Dies ist kein Augenblick der großen Worte und so sitzen wir einfach nur da, schweigend. Ich auf dem Sessel, er auf meinem Schoß und es fühlt sich mehr als nur richtig an...

Kapitel 8

Lange nachdem Dean gegangen ist, sitze ich noch immer in meinem Ohrensessel und versuche die vergangenen Stunden zu begreifen. Kann es wirklich sein, dass ein Mann wie er Gefühle für mich hegt? Eine der beiden Fragen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Bedeutet das, dass ich gar nicht heterosexuell sondern schwul bin? Das ist im weitesten Sinne die zweite Frage, die mich beschäftigt. Schwul, wie das schon klingt. Kein Wunder, dass die Menschen dort draußen sich darüber lustig machen. Dieses Wort wirkt wie ein ekelhaftes Brandzeichen, dass sich weder verbergen noch wieder loswerden lässt.

Widerwillig schließe ich Frieden mit der Bezeichnung homosexuell und frage mich gleichzeitig wie man homosexuell sein kann, wenn man doch vorher der festen Überzeugung war es nicht zu sein. Doch eine leise Stimme ganz hinten in meinem Kopf spuckt mir gehässig in die Suppe und fragt mich immer wieder ‚Bist Du Dir da ganz sicher? Warst Du nicht schon immer anders als die Anderen?‘

 

Verzweifelt versuche ich dieses böse Ich zu verscheuchen, doch ich schaffe es einfach nicht und es gewinnt weiter an Kraft. Immer widerwärtigere Dinge schleudert es mir um die Ohren, bis ich schließlich schreiend auf die Knie falle „Halt endlich den Mund! Sei still, ich kann es nicht mehr hören!“ schreie ich die Stimme in meinem Kopf an, doch sie ist erbarmungslos ‚Haben Dich die Kinder früher nicht auch schon so genannt? Haben sie nicht ‚Schwuchtel‘ zu Dir gesagt?‘

 

Ich kämpfe mit den Tränen als mich meine Erinnerungen zu übermannen drohen ‚Und Dein Vater? War nicht er es, der immer zu sagen pflegte, er habe keinen richtigen Sohn? An Dir sei ein Weib verloren gegangen?‘

 

Ich schlage mir die Hände vors Gesicht, versuche mein Schluchzen zu ersticken, die Tränen irgendwie aufzuhalten, doch ich bin hilflos verloren in meiner schmerzhaften Vergangenheit. Immer neue Bilder schieben sich übereinander, ergänzen sich zum Teil. Erinnerungen von denen ich gedacht habe sie hinter mir gelassen zu haben. Jetzt holen sie mich wieder ein, es fühlt sich an als peitschten sie mich aus für meinen törichten Glauben an eine jetzt heilere Welt. Doch inmitten dieses tosenden Sturms an Emotionen taucht auch ein Bild von meinem jungen Journalisten auf, gebunden an eine noch frische, kleine Erinnerung. ‚Mein Fels in der Brandung‘ schießt es mir durch den Kopf und ich fasse entschlossen nach dem mir dargereichten Strohhalm.

Dean, er ist so mutig und so gelassen. Er hat sicherlich keine solchen Bedenken und je mehr ich darüber nachdenke komme ich mir selbst albern vor. Ich bin ein erwachsener Mann und führe mich auf wie ein Kind. Sicherlich sitzt Dean jetzt bei einer Tasse heißem Kaffee oder einem kühlen Bier in seiner Wohnung und lässt den Abend ausklingen, ohne auch nur einen Gedanken an solche Themen zu verschwenden.

Ich erhebe mich, immer noch das Gesicht des hübschen Mannes vor mir. Meine Füße tragen mich leicht und wie von alleine in die Küche. Irgendwie ist mir jetzt auch nach einem Tropfen Alkohol. Ich öffne einen meiner Schränke, in dem ich immer einen guten Tropfen für genau solche Momente aufbewahre. Entschlossen greife ich nach dem Williams Christ und schenke mir ein. Bewaffnet mit der Flasche und dem Glas mache ich mich auf den Weg in mein Wohnzimmer.

Eine halbe Flasche Obstbrand später kreisen meine Gedanken noch immer um dasselbe Thema. Mittlerweile fühle ich mich wie ein trauriges Abbild eines tuntigen Quasimodos und der Alkohol vernebelt mir zunehmend die Sinne. Mehrmals versuche ich aufzustehen und gebe es letztendlich frustriert auf. Immerhin ist die Stimme in meinem Kopf endlich still, eine Wohltat in Anbetracht der Gehässigkeiten, die sie die letzten Stunden von sich gegeben hat. Meine alkoholgeschwängerten Gedanken driften ab, zeigen mir Bilder von Dean, unsere bisherigen Begegnungen, sein kantiges Gesicht, die muskulöse Statur. Ich muss mir eingestehen, dass er einfach hinreißend aussieht. Das Spiel seiner Muskeln, als er mich mit unfassbarer Leichtigkeit aus dem Sessel zog. Mein Kopf fällt gegen eines der weichen Ohren des Sessels und ich träume mich noch ein wenig mehr in diesen Augenblick hinein. Gleichzeitig bin ich froh, dass er mich in diesem Zustand nicht sieht, sicherlich würde er nichts Gutes von mir denken. Wer bin ich auch schon? Ein Schriftsteller, einer der nicht schreiben kann. Noch dazu zwei linke Hände, wenn es um Männerarbeit geht. Eigentlich bin ich der geborene Versager und Dean? Er ist einfach so perfekt. Sein Aussehen, seine Art einfach alles an ihm. Sicher ist er der Liebling von allen und ich werde ihn niemals für mich alleine haben können. Schnell nehme ich noch einen Schluck, diesmal direkt aus der Flasche. Sicher ist sicher. Irgendjemand seufzt laut und unendlich deprimiert. Ich sehe mich verwirrt um, merke erst dann, dass ich es selbst gewesen bin. Fahrig streiche ich mir durch die Haare und betrachte mit verschwommenem Blick die fast leere Flasche in meiner Hand. Ich zucke die Achseln und kippe die letzten Tropfen in mich hinein. Die Flasche werfe ich achtlos auf den Boden. Letztendlich ist doch sowieso alles egal. Wie könnte es auch jemals ein Happy End für mich geben? Mein ganzes Leben bin ich jetzt alleine, habe es niemals geschafft eine Frau für mich zu begeistern, also wie um Himmels Willen soll es jetzt mit einem Mann funktionieren? Heute Morgen wusste ich noch nicht einmal, dass ich auf Männer stehe. Verzwickte Sache!

Wütend trete ich gegen die am Boden liegende Flasche. Ich starre auf sie hinab, beobachte wie sie sich auf den alten Dielen dreht. Mir wird schwindelig und ich beschließe mich einfach neben sie zu legen. Ich rutsche aus dem Sessel und drehe mich wahrscheinlich recht unelegant auf die Seite, lege meinen Kopf auf meinen Arm und gebe der Flasche vor mir gedankenverloren erneut einen Schubs. In meinem Vollrausch beginne ich ihr mein Leid zu klagen, stammle wirr zusammenhangslose Dinge. Eine Aneinanderreihung von Worten, deren Sinn ich noch nicht einmal selbst begreife. Irgendwann beginne ich leise zu summen und gebe der leeren Flasche erneuten Schwung. Das Geräusch, das sie auf den Holzbohlen verursacht die perfekte Sinfonie zu meinen kläglichen Summgeräuschen. Schließlich beginne ich einfach zu singen, ja ich weiß noch nicht einmal was, doch es klingt entsetzlich schwach und entsetzlich schief.

 

Am nächsten Morgen erwache ich mit dröhnendem Schädel auf dem Boden in meinem Lesezimmer. Ächzend rapple ich mich auf und fasse mir stöhnend an meinen beinahe berstenden Kopf. „Au weh!“ heule ich auf und starre böse auf die Flasche neben mir, als ob sie für alles Übel verantwortlich wäre. Ich bade noch eine Weile in meinem Selbstmitleid und ziehe mich schließlich doch auf die Füße. Noch immer nicht bereit mich erneut meinem Leben zu stellen, aber was bleibt mir schon übrig? Noch immer mit meinem Schicksal hadernd schlurfe ich in die Küche und versuche mir ungelenk eine Tasse Tee zu kochen. Da kommt mir aber die Idee vielleicht ein einziges Mal eine Ausnahme zu machen und doch lieber einen Kaffee zu trinken. Koffein ist bekanntlich gut gegen Kopfschmerzen. Also disponiere ich um, räume den Tee zurück in den Schrank und hole den Kaffee hervor. Als ich mich aufrichten möchte stoße ich mir die Schulter an der Arbeitsplatte. „Ahhh, so eine verdammte Scheiße!“ Ich pfeffere die kleine Metallbox mit dem schwarzen Kaffeepulver auf die Anrichte und reibe mir mit schmerzverzerrtem Gesicht die schmerzende Stelle.

Zwei große und ich meine wirklich große Kaffeetassen später, fühle ich mich immerhin nicht mehr ganz so zerknittert. Auch meine Glieder haben sich ein wenig von der ungemütlichen Nacht auf dem alten Holzboden erholt. Ein wenig getröstet beschließe ich die Treppe in Angriff zu nehmen, um mir eine heiße Dusche zu gönnen. Der Weg dorthin ist eine einzige Qual und der Blick in den Spiegel ist alles andere als eine Belohnung für meine Mühen. Ich sehe gelinde gesagt entsetzlich aus. Tiefe, schwarze Augenringe zieren mein Gesicht, die Augen von der letzten Nacht blutunterlaufen, die Haut kreidebleich. Von dem wirren Nest aus Haaren auf meinem Kopf ganz zu schweigen. „Mein Gott, Du siehst aus als wärst Du aus der Irrenanstalt entlaufen.“ entfährt es mir entgeistert und ich streiche mir fahrig durch die Haare, was das Gesamtbild absolut nicht verbessert. Seufzend stelle ich mich unter die Dusche und lasse das kühle Nass über meinen geplagten Körper rinnen. Danach schaffe ich es gerade noch bis zu meinem Bett und ich falle stöhnend hinein.

 

***

 

Mein Gott! Was genau war das denn eben? Noch immer schwer atmend lehne ich mit dem Rücken an Harolds Haustür. Am liebsten würde ich direkt wieder zu ihm hinein gehen, doch mein Verstand sagt mir es langsam angehen zu lassen, auch wenn es schwerfällt. Ich fahre mir mit den Fingern über meine Lippen, sie prickeln noch immer. Diese erste Annäherung war so unwahrscheinlich intensiv. Mein Kopf ist wie leergefegt und meine Lenden schmerzen mittlerweile unerträglich. Seufzend stoße ich mich von der schweren Eichentür ab und gehe auf mein Auto zu. Beinahe drohe ich zu explodieren und ich schaffe es nur mit Mühe nach Hause ohne zu platzen. Noch bevor die Tür hinter mir zugefallen ist, habe ich bereits meine Hose offen und reiße sie mir ungeduldig herunter. Ich umschließe meinen Freund und ein einziger Gedanke an Harold genügt, um mich explodieren zu lassen. Ich stöhne all die aufgestaute Lust, die ganze Begierde und Erleichterung heraus und sinke entkräftet auf meine Couch. Minutenlang bleibe ich bewegungslos dort liegen, die Augen geschlossen, Bilder von Harold, die in meinen Gedanken kreisen wie eine erotische Bildschirmpräsentation. Gott, wie kann ein Mann wie er der pure Sex sein? Ich meine, bei Taylor Lautner, Zac Erfron und wie diese muskelbepackten Sonnyboys alle hießen erwartet man nichts anderes, aber Harold? Er ist mit Sicherheit kein Mann, der dem gängigen Schönheitsideal entspricht und trotzdem hat er eine solche Wirkung auf mich. Ich muss mir eingestehen, dass mir dieser Mann wirklich unter die Haut geht, vielleicht zu tief, um gesund für mich zu sein. In dieser kurzen Zeit, die ich Harold nun kenne hat er mich mehr berührt als jeder andere Mensch vor ihm. Ich bin beinahe süchtig nach ihm und das Bedürfnis ihn zu beschützen wird von Minute zu Minute schlimmer.

Ich fahre mir durchs Gesicht, dann erhebe ich mich um mir ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Was soll ich sagen, dem Bier folgt ein Glas Whiskey und dann noch ein zweites. Schließlich gebe ich es auf meine momentane Situation tot zudenken und gehe ins Bett. Schlaf finde ich dennoch keinen. Stundenlang wälze ich mich in meinem Bett herum, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch endlich Schlaf zu finden und Harold neben mir zu haben. Immer wieder kreisen meine Gedanken darum, wie es wohl wäre ihn in diesem Bett zu nehmen. So ganz will es meiner Fantasie nicht gelingen ein Bild von Harold außerhalb seiner alten Villa zu konstruieren und doch bin ich schon wieder hoffnungslos erregt. Frustriert knurre ich in mein Kissen und erhebe mich letztendlich ziemlich schlecht gelaunt und stelle mich unter die kalte Dusche. Der erhoffte Erfolg bleibt aus und so geistere ich ruhelos in meiner Wohnung herum bis der Himmel schließlich grau wird und ich mich dem neuen Tag stellen muss. Und dieser ist arbeitsreich. Die Zeit im Büro zieht sich zäh wie Kaugummi, ich bin unkonzentriert und begegne meinen Kollegen ungewohnt bissig. Meinen Boss sehe ich nur zweimal durch die Glastür meines Büros und beide Male verdreht er entnervt die Augen, doch er wagt glücklicherweise nicht den Versuch mich zurecht zu weisen.

Als sich der Zeiger meiner Uhr endlich auf die volle Stunde um 17 Uhr erbarmt, springe ich erleichtert auf und verlasse beinahe fluchtartig diesen unerträglichen Ort. Eigentlich arbeite ich gerne, doch heute hat es mich all meine Nerven und meine gesamte Beherrschung gekostet nicht an den Wänden hochzugehen.

Etwas ratlos stehe ich jetzt auf dem Gehweg vor dem Gebäude und weiß nicht so recht wohin mit mir. Soll ich bei Harold vorbei gehen? Sicherlich wäre ein Gespräch über die gesamte Situation zwischen uns nötig und sinnvoll, aber ehrlich gesagt habe ich Angst vor dem Ergebnis und obendrein möchte ich ihm auch nicht auf die Nerven gehen. Harold ist ein Einzelgänger und obendrein einige Jahre älter als ich. Ich möchte ihm nicht vorkommen wie ein anhänglicher kleiner Junge. Verdammt! Dieser Kerl macht mich noch wahnsinnig. Ich verliere meine ganze Selbstbeherrschung und meine Vernunft, wenn ich auch nur an ihn denke.

Letztendlich steige ich in meinen Jaguar und fahre doch zu der alten Villa am Stadtrand. Einem Gespräch aus dem Weg zu gehen, wegen der lächerlichen Angst ihm den Freiraum zu nehmen ist nicht nur dumm, sondern auch unvernünftig und genau das will ich vermeiden. „Du bist ein erwachsener Mann, Dean!“ maßregle ich mich selbst.

Entschlossen steige ich aus dem Wagen und gehe mit festen Schritten auf die Haustür zu. Mit der rechten Hand betätige ich den Türklopfer und warte. Es passiert erst Mal gar nichts. Beinahe glaube ich an ein Deja Vu, doch auch nach weiteren Minuten des Wartens rührt sich nichts. Etwas beunruhigt klopfe ich ein weiteres Mal und dann noch einmal. Ich trete einige Schritte zurück und blicke die Fassade hinauf. Nichts lässt darauf schließen, dass Harold zuhause ist und ich überlege bereits wieder zu gehen, wenn ich nicht genau wüsste, dass Harold eigentlich nie das Haus verlässt. Seufzend lasse ich den Türklopfer ein weiteres Mal gegen die Tür krachen „Mr. Hancock! Sind Sie zuhause?“ Erst jetzt merke ich, dass ich die förmliche Anrede verwendet habe und bin mir nicht ganz schlüssig, ob das nach gestern überhaupt noch angebracht ist. Noch ehe ich weiter darüber nachdenken kann höre ich endlich eine Regung aus dem Inneren des Hauses. Kurz darauf wird mir die Tür geöffnet und ich starre entgeistert in zwei müde Augen. Harold scheint es schwer zu fallen mich zu fokussieren und ich gehe in Gedanken die Möglichkeiten durch, was seit gestern passiert sein könnte, dass er einen so jämmerlichen Anblick bietet. „Dean?“ fragt er verwirrt. „Was um Himmels Willen ist denn mit Dir passiert?“ entfährt es mir besorgt, meinen Konflikt über die Anredeform vergessend. Harold öffnet die Tür ein Stück mehr und weist mich an einzutreten. „Ich würde sagen mir ist eine Flasche Williams Christ passiert.“ seufzt er und winkt mich Richtung Küche. Entgeistert eile ich ihm hinter her. „Eine ganze Flasche Obstbrand? Willst Du Dich vielleicht umbringen? Du siehst nicht aus wie ein gewöhnter Trinker!“ „Bin ich auch nicht Dean, eigentlich trinke ich nie Alkohol, aber ehrlich gesagt war mir gestern einfach danach. Kaffee?“ Seine Frage bringt mich aus dem Konzept „Was? Achso, ja gerne. Warte ich mache das.“ Ich nehme ihm die Tasse und den Kaffee aus der Hand. „Setz‘ Du Dich lieber hin, Du siehst aus als könntest Du Dich keine Minute länger auf den Beinen halten“. Wortlos lässt Harold sich auf einen der Barhocker fallen. Schweigend mache ich Kaffee für mich und einen Tee für Harold. Ich weiß nicht so recht wie ich diese Stille durchbrechen soll. Am liebsten würde ich ihn anschreien, ihn fragen warum um alles in der Welt er sich das antut, aber so weit sind wir noch lange nicht, als dass ich das Recht dazu hätte ihm Vorhaltungen zu machen.

„Unsere Begegnung gestern war also zum Ertränken?“ versuche ich mit einem lahmen Scherz das Schweigen zu brechen. Harolds ausbleibende Reaktion bestätigt mir, dass ich besser die Finger von Witzen lassen sollte. Ich stelle ihm die Tasse Tee vor die Nase und lehne mich ihm gegenüber auf die Theke. „Danke“ sagt mein Gegenüber nur leise. „Hör zu Harold, das was gestern passiert ist...“ „Du nennst mich Harold?“ unterbricht er mich überrascht und sieht mich zum ersten Mal heute direkt an. Ich atme tief ein und reibe mir verlegen den Nacken. „Ich ähm… weiß ehrlich gesagt nicht wie ich Sie... Dich ansprechen soll. Es tut mir leid, aber ich kenne lediglich Dein Pseudonym und naja nach gestern kommt es mir etwas seltsam vor Dich mit dem Nachnamen anzusprechen. Wie soll ich Dich denn nennen?“ „Dean, Du brauchst Dich nicht entschuldigen. Ich finde es ehrlich gesagt schön so von Dir genannt zu werden. Es klingt so einzigartig aus Deinem Mund.“ Jetzt bin ich baff und wahrscheinlich schaue ich gerade ziemlich dumm aus der Wäsche, denn Harold beginnt leicht zu schmunzeln, aber mit dieser Offenheit habe ich nicht gerechnet. Ja ich weiß ja selbst noch nicht mal was genau da zwischen uns ist.

„Dann also Harold.“ erwidere ich ziemlich geistreich. Harold nickt überflüssigerweise, nippt an seinem Tee und sieht mich dann aufmerksam an. So aufmerksam wie jemand eben schauen kann, der den Kater seines Lebens hat. „Du wolltest etwas sagen, Dean.“ erinnert er mich an das Thema, das mir eigentlich auf der Seele brennt. „Ja, genau. Dieser Übergriff meinerseits gestern, das tut mir leid. Ich wollte sicher nicht, dass Du Dir dank mir eine Flasche Schnaps in den Kopf haust. Ich habe die Beherrschung verloren und hatte mich nicht mehr im Griff, das tut mir leid. Ich weiß selbst nicht was momentan mit mir los ist, aber in Deiner Gegenwart scheine ich mich nicht so gut unter Kontrolle zu haben, wie ich es sonst von mir gewöhnt bin. Ich wollte Dich nicht verstören oder kopfüber ins Chaos stürzen.“ sprudle ich heraus und sehe Harold beinahe verzweifelt an, blicke ihm entschuldigend in seine wunderschönen Augen und hoffe, dass er mir mein unbeherrschtes Verhalten vom Vortag verzeihen kann. „Ich habe Dich überrumpelt und...“ „Dean.“ sagt er leise, doch ich plappere nervös einfach weiter „Dean!“ unterbricht er mich jetzt sehr resolut und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass wir gerade die Rollen getauscht haben. „Du musst Dich wirklich für nichts entschuldigen! Ich habe das was Du gestern mit mir gemacht hast sehr genossen. Ich selbst hätte mich niemals getraut die Initiative zu ergreifen, aber mir geht es doch genauso wie Dir! Obwohl ich wahrscheinlich der Mensch mit der größten sozialen Inkompetenz bin und ich noch nie einen Gedanken mehr als nötig an meine Mitmenschen verschwendet habe, hast Du mich irgendwie berührt. Ich kann mit diesen Gefühlen nichts anfangen, habe nicht den Hauch einer Ahnung was da passiert ist, aber ich weiß ganz genau, dass das gestern nicht schlecht oder unangenehm war.

Das Einzige was mich so aus der Bahn geworfen hat, ist die Tatsache, dass ich bisher nie darüber nachgedacht habe, dass ich schwul sein könnte.“

Harold sieht mich niedergeschlagen an und ich bekomme das Gefühl, dass für ihn noch mehr hinter diesem Wort steckt und gleichzeitig bin ich so unendlich erleichtert über seine Worte und die Tatsache, dass es ihm mit dieser Situation nicht anders geht als mir auch. Ich sehe ihn dankbar und erleichtert an, stoße mich von der Theke ab und bin auf dem Weg die Küche zu verlassen, als ich mich zu ihm umdrehe „Lass uns in Dein Lesezimmer gehen, da spricht es sich gemütlicher.“

 

***

 

Ich kann nicht anders als den jungen Mann in meinem Türrahmen anzustarren. Lässig lehnt er mit der rechten Schulter an dem massiven Holz, den linken Arm auf der anderen Seite abgestützt. Es ist nicht nur sein Aussehen, dass meinen Blick an ihn fesselt, sondern auch diese schnelle Wandlung, die er soeben vollzogen hat. Gerade eben noch war er sichtlich nervös, versuchte sich irgendwie zu erklären und sein in seinen Augen schlechtes Verhalten zu entschuldigen und jetzt? Jetzt steht er gelassen in der Küchentür, die Ruhe in Person mit dem Blick auf mich gerichtet. Nichts lässt noch erahnen wie aufgelöst er gerade eben noch zu sein schien. Mein Herz klopft bis zum Hals als ich mich erhebe und auf ihn zugehe. Ich muss zugeben, dass mich sein Anblick nicht kalt lässt. Ich spüre diese Spannung zwischen uns überdeutlich und obwohl ich ein Stück größer bin als Dean bin ich mir ziemlich sicher, dass ich mit einem Raubtier in einem Raum stehe. Er dreht sich herum und geht mir voraus in mein Lesezimmer. Ich beobachte ihn, seinen festen, entschlossenen Gang, das breite Kreuz, die schmalen Hüften. Einfach alles an ihm passt in perfekter Harmonie zueinander, die gesamte Haltung schreit nach strotzendem Selbstbewusstsein und hätte ich nicht einige Momente zuvor aus seinem eigenen Mund gehört wie es in ihm aussieht, dann würde ich es nicht glauben. Umso trübseliger werde ich als mir bewusst wird, wie ich neben ihm aussehen muss. Groß, schlacksig, mit störrischem Haar und Gliedmaßen, die ich nie komplett unter Kontrolle habe. Ich muss wirklich ein trauriges Bild abgeben. Vielleicht sieht so ja die perfekte Schwuchtel aus? Entschlossen schiebe ich diese negativen Gedanken beiseite, schließlich war es Dean, der gestern über mich hergefallen ist und er ist es auch heute, der sich gerade in einen meiner Ohrensessel fallen lässt. Selbst in dieser entspannten Haltung sieht er beneidenswert gut aus und ich ertappe mich dabei, wie ich ihn sehnsüchtig anstarre. Verlegen blicke ich zu Boden und lasse mich in den Sessel gegenüber gleiten.

Ich sehe überrascht auf als ein leises Stöhnen an meine Ohren dringt. Dean hat sich nach vorne gebeugt und taxiert mich lüstern. Er scheint gar nicht mehr zu versuchen seine Gefühle zu verbergen. Unruhig rutsche ich auf meinem Sessel hin und her und starre ihn mit großen Augen und offenem Mund an. Insgeheim bin ich meinem Körper dankbar, dass ich nicht zu sabbern beginne. Nervös warte ich, dass Dean etwas sagt.

Nach schier endlosen Minuten lehnt er sich schließlich zurück und räuspert sich. „Harold“ beginnt er leise „Du weißt gar nicht welche Last Deine Worte von mir genommen haben. Ich… ich kann einfach nicht beschreiben und selbst kaum nachvollziehen, was Du an Dir hast, dass ich so die Kontrolle verliere.

Vor allem bist Du der erste Mann auf den ich in dieser Weise reagiere, das macht mich so unglaublich unsicher. Frauen habe ich schon viele gehabt und noch mehr habe ich angesprochen, aber noch nie einen Mann. Ich kann einfach nicht verstehen was gerade in mir vorgeht und ich will ehrlich sein, es macht mir auch Angst.

Du hast etwas an Dir was mich unglaublich fasziniert und Gott ich habe mir schon irgendwelche erotischen Filme angeschaut oder mich in einem Forum angemeldet, nur um zu sehen, ob ich auf einmal anders gepolt bin. Ich könnte wirklich verrückt werden im Moment. Alleine ein Gedanke an Dich reicht aus, um mein Blut zum kochen zu bringen.

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Tag der Veröffentlichung: 07.10.2016

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