Null-Null-Null.
Mein Kopf dreht sich um nichts. Nichts weiteres als Null.
Null Prozent-Wahrscheinlichkeit haben sie gesagt.
Heute.
Im Radio.
Es wird keine weißen Weihnachten geben.
Es wird keine Weihnachten geben.
Ich streiche dieses Fest dieses Jahr von meiner Liste. Denn:
Ohne Schnee ist Weihnachten wie Sponge ohne Bob, wie Mc ohne Donalds, wie Feuer ohne Flamme. Non-existent, quasi. Was wiederum die notwendige Existenz von Niederschlag in Form von Eiskristallen ausschließt und mich von der Tatsache überzeugt, dass ohne Schnee, dieser wird betrachtet als weihnachtliches Vorspiel, der Akt des Festes, ehemalig zur Geburt Jesu, lediglich als Trieb des Schenkens wahrgenommen werden kann. Und an solch frevelhaften Unternehmungen möchte ich mich diesbezüglich selbstverständlich nicht beteiligen.
Klar sind Geschenke schon toll und so. Aber sei mal ehrlich, so Schnee und so ist auch ne krass tolle Angelegenheit. Alles so weiß und so, und so kalt und sauber. Die Straßen sehen dann doch viel besser aus. Müll weg und so.
Und dann kommt bei mir auch erst Stimmung auf. Wenn Eiskristalle mein Fenster schmücken, ich meinen eigenen Atem sehen kann und Schneemänner in Vorgärten mir zuzwinkern. Dann fühle ich erst Weihnachten. Denn dann ist alles wie früher bei Rolf Zukowski's Winterkindern, die ihre Näschen ans Fenster drücken und die Flocken zählen. 1 – 2 – 3, das Zählen fällt weg, immerhin kein Mathe an Weihnachten. Nullprozentwahrscheinlichkeit. Stochastik fand ich schon immer scheiße. Nullprozentwahrscheinlichkeit, hin oder her. Ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden. Vielleicht haben die im Radio ja gelogen, vorgezogener Aprilscherz oder so. Ich muss zugeben, dass das keinen Sinn macht. Ich könnte auf einen Wetterumschwung hoffen. Zwei Tage, da kann sich doch noch eine Menge verändern, oder etwa nicht? In Ungarn sagt man: „Hoffen ist ein schlechter Ersatz für Handeln.“ Und sie haben Recht, ich muss agieren. Wenn kein Schnee kommt, dann muss ich ihn eben holen.
Also zog ich los um Schnee zu finden.
Die meisten Leute, die ich nach Schnee gefragt habe, konnten mir nicht weiterhelfen. Manche wollten mich ins Allgäu schicken, andere haben nur mit dem Kopf geschüttelt. So ist das in der heutigen Zeit, ernste Fragen nimmt keiner mehr wahr. Es gibt immer eine Sache die wichtiger ist als das Wichtige. Ich war mit keiner der Antworten zufrieden und wollte mich bereits auf den Weg in mein dunkles Weihnachtsloch machen, als mir so ein junger Typ mit schwarzen Hoodie entgegenkam. „Ich hab gehört du willst Schnee?“, flüsterte er merkwürdiger Weise in meine Richtung. „Ehm, ja, das ist mein Anliegen.“, antwortete ich verdutzt. „Ich hab da was.“
Drei U-Bahnstationen später, 4 Rolltreppen und ein endloser Marsch in eine Gegend, wie die, die ich nur aus Eminem's 8 Mile kannte, war ich stolzer Besitzer einer Tüte Schnee. Ich hatte es geschafft.
Weihnachten ist ein lustiges Event. Da kann man so viele Sachen machen und so viele Leute sehen und so lange aufbleiben. Und ich mag auch Weihnachtskarten, ich habe heute Abend schon 459 geschrieben und ich bin immer noch nicht müde. Zum Abendbrot habe ich drei ganze Chili-Pizzen gebacken nur aus Toastbrot und Ananas. Meine Haare wackeln so lustig. Die rote Mütze steht mir so gut. Fröhliche Weihnacht überall. Ist gar nicht mehr so schlimm, dass es draußen regnet. Der Schnee hier ist auch ganz okay. Hatte zwar was anderes er...Fröhliche Weihnacht überall. Das Fest der Liebe bringt mich zum singen. Ich hab Lust auf Kekse. Ich will Kekse. Kekse. Also esse ich ein paar Heringe. Ich bin so zufrieden wie schon lange nicht mehr und kann nicht anders als von Zeit zu Zeit aus dem Fenster zu gucken ob der Weihnachtsmann schon da ist. Hatte kurz überlegt eine Falle im Kamin zu bauen, damit das ganze Jahr bei mir Weihnachten ist. Dann ist mir eingefallen, dass ich gar keinen Kamin habe. Ich schmeiße ein langes Seil aus dem Fenster. Cowboys können das auch. Blöd nur, dass der Weihnachtsmann keine Kuh ist. Dann wäre das die Weihnachtskuh und dann wäre an Weihnachten wohl alles lila, ist es aber nicht. Es ist so wie es ist. Ich trinke einen großen Schluck Cola. Ich ernähre mich so gesund wie eine Mülltonne. Aber mein Hundemagen kann das ab. Ich will nicht mehr sitzen und tanze einen Verdauungstanz. Tanz. Tanz. Tanz. Jeder normale Mensch würde sich jetzt übergeben, aber ich nicht. Ich merke wie die Pizza von vorhin durch meinen Bauch hüpft. Au, mein Bauch tut weh. Ich glaube ich habe eine Schildkrötenunterfunktion. Es läuft meine Schilddrüse von links nach rechts an meines Füßen vorbei, ich muss dieses Terrarium unbedingt umtauschen. Zum Glück sind Schilddrüsen langsame Tiere. Das habe ich gelesen. Gestern hab ich ein paar Seiten aus einem Lexikon gegessen um mich allgemein zu bilden. Daher weiß ich, dass Paris Hilton Schuhgröße 42 hat. Große Füße sind gut, wenn man einen Waldbrand austreten möchte. Das tut aber weh, habe ich bei Galileo gelernt. Deshalb lege ich mich lieber auf meinen Bauch und mache ein paar Baumstammrollen durch mein Wohnzimmer. Ich kreische und lache. Ich bin ein Lustiger. Weihnachten kann so komisch sein. Ich male mir eine rote Nase mit Edding, wickel mir Paketklebeband um den Kopf, damit ich mein Gabelgeweih nicht die ganze Zeit festhalten muss und kletter auf das Dach meiner Wohnung im zehnten Stock. Ich springe wie ein junges Reh umher, summe „Rudolf, the red nosed reindeer“ und rufe: „Santa, Santa, ich bin bereit, es kann losgehen.“ Nebenbei winke ich meiner Nachbarin von gegenüber, die guckt so entsetzt. Ich versteh nicht warum und drehe nur weiter meine Runden über der Stadt. Ich fühle mich wie eine Schnecke mit ADHS auf Speed. Wooooar! Bing! Dong! Waaaah. Drogen, die sind nicht gut, sollte man nicht nehmen. Mach ich auch nicht. Oder? Ich bin mir gerade nicht so sicher und das bedrückt mich auch etwas, drum versuche ich die rote Nase irgendwie wegzubekommen, weil bedrückte Rentiere keine roten Nasen haben, aber der Edding ist ziemlich permanent. Steht ja auch drauf. Ich setzte mich hin, gucke nach oben und sehe die entsetzten Gesichter von zwei Polizeibeamten. „Wir nehmen Sie wohl besser mit.“
Weihnachten in einer winzigen Zelle zu verbringen ist nicht spaßig, das könnt ihr mir glauben. Das ist definitiv schlimmer als die blöde Nullprozentwahrscheinlichkeit. Nachdem der Drogentest positiv ausgefallen war, musste ich noch weitere zwei Tage auf dem Revier bleiben, weil keiner der Beamten seinen Weihnachtsurlaub opfern wollte um die nötigen Papiere auszufüllen. Ich habe Weihnachten verpasst. Und auch den Schnee, der kam nämlich doch plötzlich am 24., blöd nur das meine Bleibe keine Fenster hatte. Tja, Naivität und Sturheit zahlen sich nicht aus. Und Drogen sind wirklich schlecht, das sagt man nicht nur so. Das habe ich gelernt. Na, wenn das nicht ein schönes Weihnachtsgeschenk ist.
Texte: Anja Kujawski
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2011
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