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I - Angst & leise Verzweiflung

Kraftlos und niedergeschlagen, ließ sie sich in den Seilen zurückfallen und sank langsam wieder zu Boden.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte sie und ihre Stimme überschlug sich beinahe. Fragend und verzweifelt blickte sie in die ratlosen Gesichter der anderen. Doch sie antworteten nicht, zuckten lediglich ratlos mit den Schultern und ließen die Köpfe hängen.

Sie hatten nicht nur das Spiel sondern zugleich auch ihren Anführer verloren und jeder Einzelne von ihnen wusste das.

„Das ist aber schade...“, ließ sich Blossom vernehmen und alle schreckten auf. In ihrer Verzweiflung hatten sie fast vergessen, dass nicht alleine waren. Dass ihre Gegner sich nicht, wie gewöhnlich bedrückt oder verärgert zurückzogen und dass auch sie sich nicht einfach zurückziehen konnten, obwohl Vanessa genau das jetzt am liebsten getan hätte.

Langsam schritt die blonde Vampirin auf Maxi zu und er schluckte. Er wollte zurückweichen, doch er konnte nicht. So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht bewegen, konnte dem Blick ihrer blauen Augen nicht ausweichen. Sie hielten ihn fest, bannten ihn immer mehr und je näher sie ihm kam, desto weiter versank er in den endlosen Tiefen.

Vanessa, die diese Szene erschütterte, wandte sich ruckartig um...

… und fand sich in Darksides kräftigen Armen wieder. „...Ich dachte ihr bleibt noch eine Weile...“, beendete er Blossoms Satz und ihre Blicke trafen sich. Sofort versuchte sie sich los zu machen, doch er hielt sie entschlossen aber dennoch nicht grob fest. „Sssccchhhttt..“, machte er und sah ihr einen kurzen Augenblick lang tief in die Augen.

Dann hob er die Hand und wischte ihr eine Träne fort, die sich gerade in leiser Verzweiflung einen Weg über ihre Wange bahnen wollte. „Habt keine Angst“, rief er durch die große Halle und fügte dann mit leiserer, weicher, zärtlicherer Stimme hinzu: „Ihr werdet alles freiwillig tun!“

Vanessa zitterte vor Angst. Mit einem Mal hatte sie furchtbar große Angst.

Angst, dass sie Leon vielleicht nie mehr wieder sehen würde.

Angst, dass sie nicht mehr nach Hause zurückkehren konnten.

Angst, vor der unmittelbaren Zukunft.

Aber am meisten fürchtete sie sich vor diese unbeschreiblichen Faszination, die Darkside auf sie ausübte.

Mit einem Mal wurden ihr die Knie weich und sie fühlte sich so alleine, so verlassen, wie noch nie zuvor.

Darkside stützte sie sanft, bis sie wieder einigermaßen sicher auf den Beinen stand, dann ließ er plötzlich von ihr ab und drehte sich zum Ausgang der Halle um.

„Bringt sie in ihre Quartiere!“, rief er den anderen mit harter und unnachgiebiger Stimme zu. „Und macht sie bereit für den Abend!“ Ohne sich noch einmal umzudrehen, schritt er aus der Halle hinaus.

 

Während Terry, Marry, Düsentrieb, Jeckyl und Hyde sich um Joschka, Raban, Marlon, Klette und Nerv kümmerten und sie mit sich nahmen, wandte sich Blossom wieder Maxi und der, nun allein dastehenden Vanessa zu.

Sie hakte sich Maxi unter und als sie zaghaft nach Vanessas Hand griff, blickte diese verwirrt auf. Für einen Augenblick war sie wieder in die Erinnerungen an ihren Leon und die gemeinsame Zeit mit ihm versunken gewesen und hatte gar nicht bemerkt wie Blossom zu ihr getreten war.

„Keine Angst“, flüsterte sie kaum hörbar. „Es wird alles gut!“

Vanessa wollte ihr die Hand entziehen, doch sie war viel zu verwirrt von dieser Situation. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, wollte eigentlich nur weg, alleine sein um ihre Gedanken und Gefühle wieder ordnen zu können. Doch als sie auf die Hand von Blossom schaute, die die ihre festhielt, wurde ihr klar, dass sie dazu wohl keine Gelegenheit bekommen würde und ließ sich noch immer verwirrt von Blossom mitziehen.

Als sie aus der Halle traten, blieb sie stehen. Plötzlich trat Darkside auf sie zu, ohne dass sie hätten erkennen können aus welcher Richtung er gekommen war. Er blieb vor Blossom stehen und sah sie eine Weile nur an. „Gut gemacht, Mondscheinkind“, sagte er leise. Dann beugte er sich vor und berührte flüchte ihre Wange.

Vanessa beobachtete, wie Blossom für einen Moment die Augen schloss und sich ein kleines Lächeln auf Darksides Lippen stahl, dann nickte Blossom ihm kurz zu und wandte sich wieder an Maxi.

„Komm mit mir...“, wisperte sie und führte ihn langsam in die Richtung zu ihrem Gemach.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, sie war warm und stark. Sie schreckte auf und wandte sich, blickte in seine Augen, die mit jedem Augenblick tiefer zu werden schienen. Er senkte den Blick und seine Hand strich an ihrem Arm hinunter, bis sie ihre Hand erreichte und sie sanft ergriff. Dann sah er ihr noch einmal in die Augen und begann sie ohne eine weiteres Wort langsam mit sich zu ziehen.

Und sie ließ es zu.

Sie ließ es einfach geschehen, außerstande sich dagegen aufzulehnen.

Es war, als hätte er mit seiner Berührung alle Kraft in ihr genommen.

Doch schien er ihr auch wieder etwas zurück zu geben, mit jedem seiner Worte, mit jeder seiner Berührungen und mit jedem Blick in ihre Augen. Und mit jedem Herzschlag, spürte sie es. Mit jedem Herzschlag spürte sie, dass sich etwas zu verändern begann, etwas tief in ihrem Herzen, tief in ihrem Bewusstsein und tief in ihrer Seele...

II - kleine Hoffnung & größere Veränderungen

 Völlig außerstande sich wehren oder sonst irgendetwas dagegen zu tun, ließ sich Maxi von Blossom in ihr Gemach geleiten. Von ihrem Duft eingehüllt, nahm er seine Umgebung schon gar nicht mehr richtig wahr.

'Bei ihm wird es sicherlich nicht so leicht werden... Sie scheint einen sehr starken Willen zu haben' , ging es ihr durch den Kopf und sie seufzte leise, als sie mit Maxi ihr Gemach betrat und langsam seine Hand entließ. Mit einem entschlossenen Klicken schloss sich die Tür hinter Maxi und er erwachte aus seiner Trance.

Er schaute sie fragend an. Sie konnte die leise Angst in seinen Zügen wahrnehmen und ließ die Schultern sinken.

„Tut mir Leid, Maxi“, rief sie ihm zu. „Aber die Tür ist zu...“ Sie war die Treppen hinunter in ihr kleines Reich gestiegen und blickte nun zu ihm auf. Ohne ihn dazu zu bringen, zu ihr nach unten zu kommen, wandte sie sich ab und ließ sich auf einen der alten Koffer nieder, die überall auf dem feinen Sand lagen, der im ganzen Raum verteilt war. Neben den Treppenstufen schienen sie die einzige Sitzmöglichkeit zu bieten.

Sie wusste, dass sie ihn nicht gehen lassen konnte.

Sie wusste, dass sie ihn zu ihresgleichen machen musste.

Doch nicht weil sie es wollte, nein. Sondern weil allein er es wollte.

Und sie wusste, dass sie sich nicht gegen ihn wehren oder sich gar von ihm abwenden konnte.

Dafür waren die Gefühle, die er immer wieder auf´s Neue in ihr weckte, zu stark.

Und sie hatte nicht die Kraft, nicht den Willen, sich dagegen aufzulehnen.

Dennoch wollte sie Maxi Zeit geben.

Zeit, um begreifen zu können, was mit ihm geschehen würde.

Zeit, um begreifen zu können, dass er nichts daran ändern konnte.

 

Auch Darkside hatte inzwischen mit Vanessa sein düsteres, mit unzähligen Schleiern durchzogenes Gemach erreicht.

An der Tür hielt er inne und ließ ihre Hand los. Fragend schaute sie ihn an, doch er gab ihr keine Erklärung, sondern bedeutete ihr einzutreten. Verwirrt sah sie sich um und entdeckte einen großen, in Gold gerahmten Spiegel hinten den vielen Schleiern. Während Darkside die Tür schloss, beobachtete er, wie sie langsam auf den Spiegel zu schritt.

Plötzlich hörte sie ihn mit den Finger schnippen und drehte sich zu ihm um, doch Darkside war nicht mehr zu sehen. Sie spürte ein Kribbeln auf ihrer Haut, konnte sich aber nicht erklären, was es war. Aus dem Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung war. Darkside kam durch die Schleierwand auf sie zu.

„Gefällt es dir?“, fragte er und deutete mit der Hand auf den Spiegel. Vanessa wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu und sog kaum hörbar die Luft ein. Von einem Moment auf den anderen trug sie nicht länger ihr Wilde-Kerle-Outfit sondern ein wunderschönes Kleid und ihre Haare fielen ihr in weichen Locken über die Schulter.

Abermals begann sie zu zittern. Eine endlos große Verzweiflung fing an, sich in ihr auszubreiten und sie versuchte gegen das starke Gefühl des Verlassenseins und die wachsende Angst, die mit ihrem eisernen Klauen nach ihr griff und ihr die Luft ab zuschnüren drohte, anzukämpfen. Doch je mehr sie sich anstrengte desto weniger wollte es ihr gelingen.

„Wo sind die anderen?“, fragte sie leise und beobachtete, wie Darkside durch die Schleier um sie herum schlich. „Was... Was habt ihr mit ihnen gemacht?“

Durch den Spiegel sah sie, wie er auf sie zu kam und beinahe entschuldigend ansah.

„Sie dich an, Vanessa“, sagte er, als er sie erreicht hatte, ohne auf ihre Fragen einzugehen und betrachtete sie im Spiegel. „Du bist wie ein Blick in die Sonne, der für die Ewigkeit lang. So strahlend, wie die millionen Sterne, die selbst nachts von der Sonne erhellt werden.“

Von hinten schmiegte er sich zärtlich an ihren Körper und fuhr ihr mit der Hand von der Schläfe bis hinunter auf die Schulter. „Fühlst es nicht tief in dir“, fragte er flüsternd in ihr Ohr. „Fühlst du nicht, wie sich alles beginnt zu verändern?“

Vanessa erschauderte unter seinen Berührungen. Langsam schloss sie die Augen und atmete tief durch gab ihren Widerstand gegen die übermächtige Faszination und gegen die übermächtigen Gefühlen, die Darkside mit seinen Worten und mit jeder seiner Berührungen in ihr auslöste, endgültig auf.

Als sie ihre Augen wieder aufschlug, schenkte ihr Darkside ein zufriedenes Lächeln, beugte sich hinab und küsste sie sanft auf die Schläfe. „Braves Mädchen. Sternenmädchen.“, wisperte er.

 

Ratlos stand Maxi am unterem Ende der Treppe und starrte Blossom an. Vor wenigen Minuten hatte sie sich auf einem der alten Koffer, die auf dem vielen Sand in ihrem Gemach verteilt lagen, niedergelassen und machte einen leicht hilflosen Eindruck Auch Maxi war hilflos und mit der Situation überfordert.

Ohne nachzudenken ging er zu ihr und ging neben ihr auf die Knie. „Was hast du?“, fragte er sie unsicher.

Erschrocken blickte sie auf. Sie atmete tief durch und sah ihm in die Augen.

„Nichts!“, erwiderte sie und stand auf. „Es ist alles gut.“ Sie reichte Maxi die Hand und er ließ sich von ihr wieder auf die Füße ziehen.

Ihre Arme legten sich um seinen Hals, wie bei einem Tanz und wieder trafen sich ihre Augen und sie tauchte beide immer mehr in dessen Tiefen ein. Obwohl er ganz in den Anblick ihrer leuchtenden Augen vertieft war, konnte er auch sehen, wie sich ihre Lippen bewegten.

Es tut mir Leid, Maxi. Aber ich muss es tun!“, begann sie ihm zu erklären und versuchte sich die Unsicherheit, die Angst und vor allem die Reue, die sie bei alledem empfand, nicht anmerken zu lassen. Ihre Stimme hallte tief in seinem Kopf, in seinem Bewusstsein wieder und sie schien den gesamten Raum auszufüllen. Obwohl er sich irgendwo in seinem Hinterkopf bewusst war, das er nicht zu lassen dürfte, was immer sie in diesem Moment mit ihm tat, konnte er sich nicht wehren.

Zu stark waren ihre Hände in seinem Nacken.

Zu stark war ihr Duft, der ihn umhüllte.

Zu stark war die Anziehungskraft, die ihr durchdringender Blick auf ihn ausübte.

Zu stark waren seine Gefühle zu ihr.

Von dieser Erkenntnis übermannt, bemerkte Maxi nicht, dass Blossom weitersprach. Doch die blonde Vampirin war sich sehr wohl bewusst, was nun in ihm vorgehen musste, bei ihr war es kaum anders gewesen, als Darkside sie vor rund 150 Jahren zu verführen begann.

Sanft streifte ihre Hand seinen Nacken und riss ihn aus seinen Gedanken. Mit ihren Finger strich sie zärtlich über seine Wange und brachte ihn so dazu, sie wieder anzusehen. Wieder trafen sie ihre Augen und wieder ließ sie ihn tief darin eintauchen.

Dann sprach sie weiter: „Verstehst du, Maxi? Ich muss es tun. Aber nicht weil ich es will, sondern weil er es möchte. Ich muss es tun, um überleben zu können.“. . .

III - Erklärungen

Inzwischen war seit dem Finalspiel, bei dem die Wilden Kerle ihren Anführer hätten zurückgewinnen können und deren Niederlage eine Stunde vergangen.

Eine Stunde voller Angst und Ungewissheit für Marlon, Raban und Joschka.

Eine Stunde voller Entschlossenheit und Mut für Klette und Nerv.

Eine Stunde voller Verzweiflung und Verwirrenden Gefühlen für Vanessa und Maxi.

Eine Stunde voller Unnachgiebigkeit und Unbarmherzigkeit für die Vampire.

Und wenn es nach ihnen ging, sollten noch einige Stunden folgen, denn ...

 

Gedankenverloren saß sie in weichen Sand auf dem Boden ihres Gemachs und starrte in die Flammen der Kerzen, die um den gläsernen Sarg verteilt standen. Im Inneren des Sarges lag Maxi und schief. Nachdem sie versucht hatte, sich ihm zu erklären, hatte sie ihn dazu überreden können, sie eine Weile hinzulegen.

„Es wird besser sein, wenn du dich jetzt etwas ausruhst, Maxi.“, hatte sie ihm erklärt und obwohl er es nicht recht verstanden hatte, ist er ihrer unausgesprochenen Bitte nachgekommen. Doch er hat es nicht getan, weil sie es von ihm gewollt hatte, das wusste sie. Er hat es getan, weil er in den letzten Tagen nicht sehr viel Schlaf bekommen hatte und er nun, nach dem anstrengendem Spiel sehr erschöpft war.

Nun saß sie bereits seit 15 Minuten da und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Immer wieder spiegelte sich ihre Vergangenheit darin wider. Lebhaft konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem Darkside sie verwandelt hat und an die scheinbar endlos glückliche Zeit danach.

 

Sie war die Tochter eines Scheichs und dieser liebte seine Tochter so sehr, dass er ihr jeden Wunsch erfüllte. So besaß sie mit ihren jungen 20 Jahren nicht nur eine eigenen kleine Oase, sondern auch ihr eigenes kleines Reich in Form eines mittelgroßen, aus weißem Stein erbauten Hauses, neben dem Palast ihres Vaters, das sich jedoch trotz des kühlen Steines stark erhitzen konnte.

Eines Tages, es war ein sehr heißer Tag gewesen, doch das war nicht ungewöhnlich, schließlich lebte sie in der Wüste, ging sie noch bei Sonnenuntergang an ihre Oase, um sich dort in aller Ruhe frisch machen zu können und noch eine Weile ungestört zu baden. Gerade als sie sich ihres Kleides entledigen wollte, hörte sie plötzlich ein Geräusch. Es war ein leises Rascheln. Dann spürte sie einen kühlen Windhauch und sie hielt inne. Es war ein lauer und windstiller Abend.

Suchend blickte sie sich um und entdeckte ein dunkles Gesicht zwischen den immer grünen Pflanzen. Langsam schritt sie darauf zu, doch dann verschwand es wieder und ein leises, dunkles und lockendes Lachen erklang. So ging das Spiel minutenlang weiter, bis sie sich mit einem Mal in starken, braunen Armen wiederfand und in dunkle, grüne Augen blickte.

Hallo“, erklang die Stimme des Fremden, der sie in den Armen hielt und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich bin Darkside.“ Er machte eine Pause und hielt sie weiter fest, mit seinen warmen, starken Händen, als auch mit seinem Blick. „Ich bin mit einer Karawane gen Osten unterwegs und da wir es vorziehen Nachts zu reisen, um der Sonne und der Hitze des Tages zu entgehen, wollte ich mich hier kurz etwas... frisch machen, ehe wir weiterziehen.“

Während er gesprochen hatte, hatte sein Blick unentwegt auf ihr geruht. „Wenn es Euch nichts ausmacht, meine Schöne!“, hatte hinzugefügt und sein Blick war dabei so intensiv, dass sie sich kaum auf seine Worte hatte konzentrieren können und nur schwach den Kopf schütteln konnte.

Dann hatte er sie verwirrt zurückgelassen, um sich am Wasser zu waschen und hatte immer wieder zu ihr herüber geblickt, als sie ihn beobachtete. Nachdem er sich gewaschen hatte, kam er wieder zu ihr.

Du lebst hier, richtig?“, fragte er sie und ohne auf das 'Du' in seiner Frage zu achten, hatte sie nur genickt und ihm erklärte, dass sie jedoch nicht alleine hier lebte, sondern mit ihrer Familie.

Daraufhin hatte er angefangen von sich und seiner Familie zu erzählen und sie hatte ihm fasziniert zugehört. Ganz in ihrer Faszination seiner Augen und seiner Stimme versunken, nahm sie kaum wahr, wie die Zeit verging. Stunden, in denen sie einfach nur dasaß und sich langsam von ihm verzaubern ließ. Doch auch er war sehr angetan von ihr und wollte sie gerne in seinem Leben haben.

Als der Morgen graute, lag sie in seinen Armen, schmiegte sich an ihn und lauschte müde seinen Geschichten. Plötzlich hielt er inne und fuhr mit seinen Fingern ihren bloßen Hals entlang. Sie seufzte und schloss die Augen, dann spürte sie seine weichen Lippen auf ihrer Haut und einen kurzen, durchdringenden Schmerz, als er seine Eckzähne in ihren Hals schlug und begann ihr Blut zu trinken. Sie stöhnte auf, versuchte sich zu wehren, doch er hielt sie fest und ihr Widerstand erlosch, genau wie das Leben in ihr, mit jedem Schluck den er von ihr nahm immer mehr. Ehe sie jedoch das Bewusstsein verlor und in einen tiefen Schlaf fiel, nahm sie noch wahr, wie Darkside ihr einen blutigen Finger an die Lippen hielt und sie konnte es schmecken – sein Blut!

Seine kühlen Finger fuhren über ihre Wange und wischten die Tränen weg, die des Schmerzes wegen über ihre Wange liefen. „Hab keine Angst, mein Mädchen“, flüsterte er zärtlich. „Ich werde bei dir sein, ich werde immer für dich da sein.“

 

Sie seufzte und blickte auf. Er hatte sie in jener Nacht einfach mit sich genommen, ohne auch nur einen Moment an sie und ihre Familie, die sie über alles liebte zu denken. Und sie hatte es einfach zugelassen.

Weil sie nicht anders konnten, nicht anders wollte.

Weil sie ihm seit dem ersten Augenblick unweigerlich verfallen war.

Und weil sie ihn bis heute mit jedem Herzschlag und jedem Atemzug, bedingungslos und unwiderruflich liebte.

Eine Träne bahnte sich ihren Weg über ihre Wange und mit einem Mal, nach 150 Jahren wurde sie sich erstmals schmerzlich bewusst, wie absurd das Ganze eigentlich war. Er war ein Vampir und hatte sie einfach, ohne Rücksicht auf sie und ihre Familie verwandelt und mit sich genommen. Hatte ihr einfach ihre Menschlichkeit genommen, ohne sie zu gefragt zu haben, ob sie dazu bereit war.

Und nun sollte Vanessa an ihre Stelle, an seine Seite treten! Nun sollte ein anderes Mädchen für die nächsten Jahrzehnte seine Gefährtin sein, ob sie es wollte oder nicht. Die Erkenntnis und die Angst ihn nun zu verlieren, erschütterten sie so sehr, dass ihr Körper in unkontrolliertes Beben ausbracht und ihr die Tränen haltlos über das Gesicht liefen.

 

Leise schluchzend und das Gesicht in ihren Händen vergraben, bekam sie nicht mit, wie Darkside leise ihr Gemach betrat und sie beobachtete, unbemerkt ihren Gedanken lauschte. Langsam durchschritt er das Gemach und kam auf sie zu. Als sie das leise Rascheln seiner Kleidung hörte, blickte sie erschrocken auf.

Ohne den Blick von ihrem tränennassen Gesicht abzuwenden ließ er sich vor ihr in die Hocke nieder und blickte sie einige Sekunden lang nur still und liebevoll an. „Sssccchhht“, machte er. Er hob die Hand und fuhr ihr zärtlich mit dem Daumen über die Wange, um die Tränen weg zu wischen und sah sie dabei verständnisvoll an. Eine Frage drängte sich tief aus ihrer Seele an die Oberfläche, spiegelte sich in ihren Augen wieder. Sie schluchzte leise auf.

Tief durchatmend nahm Darkside seine Hand von ihrem Gesicht und setzte sich neben sie auf den Boden. Obwohl er es in all den Jahren erfolgreich verdrängt hatte, hatte er immer gewusst, dass er sich ihr eines Tages würde erklären müssen. Und in den letzten beiden Tagen hatte er gespürt, dass der Moment unaufhaltsam näher rückte.

Langsam wandte er den Kopf in ihre Richtung, nahm sachte ihre Hand in seine und sah sie mit seinem selten gefühlvollen Blick an. Dann begann er sich zu erklären, sie ihrer zu öffnen, nach vielen, langen Jahren ihr seine Beweggründe für seine zahlreichen Opfer der letzten 100 Jahre zu eröffnen.

„Erinnerst du dich an die Zeit vor 100 Jahren, an 'unsere Zeit'? Als wir durch die Welten streiften, nur wir Beide - auf der Suche nach einem Ort, den wir 'unser Zuhause' nennen wollten?“, fragte er, während seine Finger zärtlich über ihren Handrücken strichen und er sie liebvoll ansah.

Unzählige Bilder und Erinnerungen an jene Zeit kamen plötzlich wieder in ihr an die Oberfläche und sie schluckte den Kloß, der sich in ihrem Hals zu bilden begann und die erneut aufsteigenden Tränen, die die Trauer um die schöne aber vergangene Zeit abermals auslösten. Sie schluchzte kurz leise auf und nickte.

„Die ganze Zeit über habe ich tief in deinen Gedanken den sehnlichen Wunsch nach einer Familie, nach Kindern, die du lieben und behüten kannst, gespürt. Wenn du schon nicht zu deiner Familie zurück gehen konntest, so wolltest du wenigstens deine eigene gründen dürfen und diesen Wunsch wollte ich dir erfüllen, mit den kleinen, heimatlosen Brüdern von den Straßen Italiens, Marino und Sandro – Jeckyl und Hide.

Ich dachte, du könntest sie gut erziehen und somit zu deinen Kindern, deinen Söhnen machen. Keiner von uns Beiden konnte doch ahnen, dass sie nicht so leicht zu zügeln sein würden! Inzwischen scheinen sie aber mittlerweile recht gut gerlernt zu haben, dass wir nun ihre Eltern und ihr Zuhause sind. Die anderen habe ich hinzugeholt, um dir auch größere Kinder zu schenken, Kinder, die mehr Verantwortung als die beiden Kleinen tragen können, die schon klüger, erwachsener sind und die uns trotzdem bereitwillig als ihre Eltern akzepieren.

Verstehst du? Keine von ihnen bedeutete mir mehr als du, Blossom. Weder Terry und Marry noch Düsentrieb. Sie sind wie Kinder, wie Töchter für mich, ja. Doch Du bist mir viel mehr als eine Tochter. Du bist meine Geliebte, die Frau an meiner Seite, die ich nie verlieren möchte!“

Er hielt inne und küsste sie zärtlich auf den Mund. Augenblicklich waren alle Zweifel und Widersprüche, die sich während seiner kleinen Rede hätten in ihr auftun können, restlos beseitigt und sie schmolz förnlich unter seinem heißen, bitter-süßen Kuss zu seinen Füßen dahin. Bereitwillig gab sie sich ihm hin und wollte diesen köstlichen Moment in die Länge ziehen – Doch plötzlich brach er ihn abrupt ab.

Sie stöhnte kurz auf und sah ihn fragend und mit zugleich flehenden Blick an. Seit sie vor vielen Jahren mit Jackyl, Hide und Düsentrieb hier scheinbar endlich ihr zu Hause gefunden hatten, wohnten sie in getrennten Räumen. Er hatte es so gewollt und sie hatte bisher nie gewagt, den Grund dafür zu erfragen. Schließlich schenkte er ihr trotzdem jeden Tag das was sie begehrte, was sie zum Leben brauchte: Seine Liebe, und sein Blut.

Dennoch fand sie es unerträglich, wenn er sie, in Momenten wie diesen plötzlich beinahe fallen ließ, während sie in ihrer unwiderruflichlichen Sehnsucht und Gier nach ihm förmlich zerging. Er wusste es und es machte ihm selten Spaß, sie zu necken. Doch sie wusste, dass er es auch tat, wenn er Gefahr oder Ähnliches spürte.

Konzentriert starrte er zur Tür am oberen Ende der Treppe. Blossom wurde klar, dass er etwas gehört hatte. Etwas, das ihn zusehend beunruhigte. Sie versuchte sich zu konzentrieren, doch vergebens, so sehr hatte Darkside wieder ihre Sinne verwirrt. Doch auch wenn es jedesmal ihre Sinne beeinträchtigte, liebte sie es, wenn Darkside dies tat und konnte nicht umhin, es ein ums andere Mal zu genießen.

Sachte berührte sie seinen Arm, auf den er sich abstütze.

„Was hast du? Hörst du was? Was ist los, Darkside?“

Er wandte sich wieder zu ihr um, sah ihr tief in die Augen und legte eine Hand an ihre Wange.

„Es ist nichts. Alles ist gut. Bleib nur hier und warte auf mich, ja?“

Wie so oft, wenn er sie so berührte und ihr so tief in die Augen sah, dass sie völlig außerstande war, den Blick abwenden, fühlte sie etwas in sich vorgehen. Hörte seine Sitmme tief in ihrem Kopf, in ihrem Bewusstsein widerhallen. Spürte intensiv seine heiße Hand auf der kühlen Haut ihrer Wange.

Auch sie beherrschte diese Kunst, dennoch konnte sie sich aufgrund ihrer Bindung an ihn niemals dagegen wehren.

Benommen nickte sie leicht und ehe sie antworten konnte, war er auch schon verschwunden.

 

„Lasst ihr euch gerne von ihm herumkommandieren, herumschubsen?“, fragte Raban, als Düsentrieb und er den Raum betraten, den nur sie alleine für sich bewohnte und Düsentrieb die Tür geschlossen hatte.

Blitzschnell fuhr sie zu ihm herum und sah ihn ein wenig fragend an.

„Das tut er doch gar nicht!“, rief sie, entsetzt über seine Frage aus. „Darkside ist sehr gut zu uns. Wir sind seine Kinder, er behandelt uns gut. Wir bekommen zu Essen, zu Trinken und sein Blut, um zu überleben, er schenkt uns seine Liebe und gibt uns Obdach.“

Sie hielt inne und kam langsam die kleine stählerne Treppe herunter. Raban stellte sich breitbeinig hin, entschlossen sofort wieder nach oben zu laufen, sobald sie an ihm vorbei war.

„So. Und was verlangt er dafür von euch? Dass ihr ihm bedingungslos gehorcht?“, entgegnete er und sah das blasse Mädchen, mit den schwarzen Zöpfen über ihm herausfordernd an.

Daraufin sprang sie die restlichen Stufen hinuter und kam direkt vor ihm auf.

„Nein!“, fauchte sie laut.

Raban lächelte triumphierend, als er sah, wie ihre Augen allmählich feucht wurden.

'Es scheint, als habe ich in ihr einen wunden Punkt getroffen.', ging es ihm durch den Kopf. Plötzlich fragte er sich, was nun in ihr vorgehen mochte. Entsprach es der Wahrheit, was sie erzählte oder war die Wahrheit weitaus grausamer als er dachte? Ob die anderen wohl die Ansicht von Düsentrieb angesichts der Umstände, wie ihr Anführer sie behandelte teilten?

 

Impressum

Texte: Lisa Tetzlaff
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2013

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