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Kapitel 1

Ich hasse Flughäfen.
Keine Ahnung wie man sich hierfür begeistern konnte.
Es war einfach immer viel zu voll, roch meistens ziemlich unangenehm und überall wurde gedrängelt.
Das schlimmste war allerdings, dass ich irgendwie andauernd hier landete ohne selbst irgendwo hinzufliegen.
Es war so verdammt frustrierend überall Menschen zu sehen, die mit ihrer super guten Laune und ihren vollgepackten Koffern in wenigen Stunden irgendwo an einem warmen Strand liegen würden.
In meinen ganzen 16 Jahren, bin ich noch kein einziges Mal geflogen.
Wirklich noch nie.
Heutzutage war das schlichtweg unnormal. Aber meine Eltern waren der festen Überzeugung, dass ein Auto reicht um überall hinzukommen.
Tja, bis heute war ich noch nie außerhalb von Deutschland.
„Liv, würdest du bitte nicht so trödeln!"
Ich bombardiert den Rücken meiner Mutter, die zusammen mit meinem Dad bereits weiter vorne lief, mit finsteren Blicken.
Wieso konnte sie nicht einfach akzeptieren, dass ich überhaupt nicht hier sein wollte!
Hätte sie mich doch bloß im Auto gelassen, oder noch besser Zuhause in meinem Bett.
Sollen sie diesen Austauschschüler doch alleine begrüßen.
Schließlich hatten sie mich auch nicht gefragt, ob ich überhaupt damit einverstanden war, dass ein völlig fremder Typ ab heute für ein halbes Jahr bei uns wohnen würde.
Erst gestern hatten sie mir von ihrer brillanten Idee erzählt. Da stand natürlich schon alles fest und egal wie sehr ich auch dagegen war, man konnte die Sache nicht mehr rückgängig machen.
Das hatten die beiden hundertprozentig so geplant.
Und während ich mich noch lauthals darüber ausgelassenen hatte wie scheiße ich das alles fand, haben meine Eltern mir dann auch noch lächelnd erklärt, dass ich mein Bücherzimmer abtreten musste.
Wir konnten den Austauschschüler ja schlecht im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen lassen.
Gott, ich hasste ihn jetzt schon.
Er war schuld, dass meine geliebten Bücher jetzt in irgendwelchen Kartons irgendwo im Keller verschimmelten.
Außerdem wollte ich unsere Wohnung nicht mit irgendeinem Amerikaner teilen.
Ich war 16!
Hatten die beiden den noch nie etwas von der Pubertät gehört? Ich hatte in dieser Phase ja wohl schon genug Probleme.
Mittlerweile hatten wir den kleinen Raum erreicht, der wie ich wusste direkt nach der Kofferausgabe kam. Während meine Eltern sich ganz nahe an der Türe platzierten und erwartungsvoll ihr dämliches Schild hochhielten, lehnte ich mich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die kühle Wand.
Nicht mal mit Worten konnte ich beschreiben, wie dämlich ich das hier alles fand.
Ich wollte nicht hier sein.
Es war Freitag Nachmittag und normalerweise traf ich mich da immer mit meiner besten Freundin in Starbucks. Was gäbe ich jetzt für ein Vanillelatte...
„Liv", brummte mein Vater, kaum das ihm mein Fehlen aufgefallen war. „Wir wollen den Austauschschüler zusammen begrüßen, also komm gefälligst hier rüber..."
Hatte er den gar kein Verständnis?
„Aber Dad..."
„Kein aber!"
Ich verrenkte meine Augen zu Schlitzen, während ich zu ihm herüber ging.
„Du bist ein Monster!"
Mein Zorn wuchs noch ein wenig mehr, als mein Vater lediglich schmunzelte und sich dann gut gelaunt wieder den Menschen zuwandt, die gerade durch die Türe strömten.
Meine Mutter schien mein Verhalten allerdings nicht ganz so lustig zu finden. Zumindest nahm ich das an, als sie mir einen bösen Blick über ihre Schulter hinweg zuwarf.
Tja, selber schuld. Die beiden waren so egoistisch. Bestimmt hatte sie kein einziges mal an mich gedacht, als sie sich das mit dem Austauschschüler überlegt hatten.
Gelangweilt und weil ich mich von meinem Zorn ablenken wollte, beobachtete ich die vielen Menschen, die langsam den Raum füllten.
Manchen konnte man richtig ansehen, dass sie sich überhaupt nicht freuten wieder hier zu sein.
Verständlich. Hier wartete nur schlechtes Wetter, fettiges Essen und ganz viel Langeweile auf sie.
Deutschland war wirklich öde. Fand ich zumindest.
Mein Ziel war es, später einmal in Amerika zu arbeiten und zu leben.
„Seh es doch mal so, er kann dir schon mal viel über Amerika erzählen", hatte mein Vater gestern Abend gesagt, nachdem ich mich in unserem Badezimmer eingesperrt hatte.
Pfff... ich hatte mich bereits im Internet informiert. Besaß haufenweise Bücher über Amerika und beherrschte die Sprache fließend.
Was also wollte der Kerl mir noch erzählen, das ich nicht bereits wusste?
Ich verwarf den Gedanken, als sich plötzlich eine Person aus der Menschenmasse löste und auf meine Eltern zuging.
Ganz langsam, um ja keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, trat ich neben meine Mutter und blinzelte überrascht, als ich den Jungen sah, der ab sofort bei uns wohnen würde.
Er schüttelte meinem Vater gerade die Hand, die perfekten Lippen zu einem freundlichen Lächeln verzogen.
Seine Haare waren es, die mir sofort ins Augen fielen. Sie waren etwas länger, als ich es von den meisten Kerlen gewohnt war und kaum, oder vielleicht auch gar nicht gestylt, so dass ihm vereinzelnd ein paar Strähnen ins Gesicht fielen.
Seltsamerweise sah das gar nicht schlecht aus.
Ganz im Gegenteil. Es ließ ihn wilder, irgendwie männlicher wirken. Dabei war er gerade mal 16, so wie ich.
Mit leicht gerunzelter Stirn, setzte ich meine Musterung fort. Von seinem markanten Gesicht, über seine breiten Schultern, bis hin zu seinem äußerst ansehnlichen Oberkörper, der in einem schlichten schwarzen T-Shirt steckte.

Kurz überlegte ich ob er so da draußen nicht erfrieren würde, als mir die Jacke auffiel, die er sich locker über die Schulter geworfen hatte und mit zwei Fingern an der Schlaufe des Etikettes Festhielt.
Da seine Arme nicht bedeckt waren, konnte ich ein paar Muskeln an seinen Oberarmen erkennen. Er machte definitiv Sport.
Das war es jedoch nicht, was meine Aufmerksamkeit auf einmal so fesselte. Es war die schwarze Schrift, die seinen rechten Unterarm zierte.
War das wirklich ein... nicht im ernst.
Der Kerl hatte ein Tattoo?
Die waren doch erst ab 18, auch in Amerika soweit ich das wusste... oder waren die da sogar erst ab 21 ? Eine Sache die ich ihn durchaus noch über das Land fragen konnte. Ein Punkt für meinen Dad.
Natürlich fragte ich mich was da wohl stand. Er bewegte den arm zu viel, als das ich es lesen könnte. Fragen würde ich ihn aber definitiv nicht. Er hatte mein Bücherzimmer auf dem Gewissen.
„Liv", wandte sich meine Mutter plötzlich an mich. Schnell setzte ich wieder ein möglichst desinteressierten Gesichtsausdruck auf - sie sollte gar nicht erst auf die Idee kommen ich könnte mich langsam mit der Situation anfreunden - und warf der Frau die mir das Leben geschenkt hatte und mich jetzt anscheinend foltern wollte , einen fragenden Blick zu.
Natürlich wusste ich auch so was sie von mir wollte.
„Würdest du bitte unseren Gast begrüßen?"
Ich rollte mit den Augen und nahm widerwillig die Hand, die der Junge mir erwartungsvoll entgegen hielt.
„Mein Name ist Ryan", stellte er sich vor und das in einem perfekten deutsch. Dabei sah er so gar nicht wie ein Streber aus. Eine Augenbraue hochgezogen und den Kopf ganz leicht zur Seite geneigt, musterte er mich nun wie ich ihn zuvor.
Dabei fiel mir auf, das seine Augen ein außergewöhnlich dunkles blau besaßen. Wenn das Licht etwas schlechter wäre, könnte man sie durchaus auch als fast schwarz bezeichnen.
Gruselig.
„Liv", entgegnete ich lediglich und versuchte das dämliche Gefühl, Ryans lächeln erwidern zu müssen, abzuschütteln.
Ich mochte ihn ja nicht einmal. So leicht konnte ich ihm nicht verzeihen, das seinetwegen meine Bücher nun im Keller hausen mussten.
Allein der Blick, den er mir nach seiner ausführlichen Musterung meines Äußeren zuwarf, reichte damit ich wusste was für eine Sorte von pubertierenden halbstarken ich vor mir hatte.
Eindeutig der typische, total coole, viel zu gutaussehende Womanizer.
Hätte es nicht der nette Nachbarsjunge sein können?
Möchtegern Womenaizer gab es an unserer Schule wirklich genug.
Coole gutaussehende dafür weniger.
Ich konnte mir jetzt schon gut vorstellen, wie die Mädchen aus meiner Klasse ausrassten würden wenn sie ihn sahen.
Keine Ahnung was die alle an so einem Typen fanden.
Während die sich an irgendwelchen Mädchen - am besten möglichst vielen verschiedenen- die Hörner abstoßen, war ich noch Jungfrau und wartete auf den richtigen ersten Mann in meinem leben. Und damit meinte ich keinen, der nach einmal Vögeln schon genug von mir hatte.
Zwei komplett verschiedene Welten also.
Und mit so jemanden sollte ich ein ganzes halbes Jahr unter einem Dach leben.
Was hatten sich meine Eltern bloß dabei gedacht ?
„Können wir dann?" Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich durch die Runde. Ich wollte einfach nur noch nach Hause und diesen schrecklichen Tag abhacken. Vielleicht verschwand Ryan ja plötzlich über Nacht...
Mein Vater seufzte und warf Ryan einen entschuldigenden Blick zu. „Ignorier sie am besten. Sie ist nicht so begeistert davon, dass..."
„Dass sie sich ein halbes Jahr lang das Badezimmer mit mir teilen muss?", unterbrach dieser ihn schmunzelnd , den Blick nach wie vor auf mich gerichtet.
Ich schnaubte lediglich. Als wenn es um das dämliche Badezimmer ging.
Da war ich morgens sowieso immer als erste drin und ich würde mir noch genauso viel Zeit mit dem fertig machen lassen, wie sonst auch.
„Wenn es nur das wäre...", murmelte mein Dad und kratzte sich scheinbar etwas verlegen am Hinterkopf. „Sagen wir, sie war nicht sehr gut darauf vorbereitet, sich die Wohnung ab heute mit einem Austauschschüler teilen zu müssen."
Und das wunderte sie ?
„Ihr habt es ja auch erst gestern für nötig gehalten mir davon zu erzählen", brummte ich angepisst.
Na ja, anscheinend hatte sie mittlerweile wenigstens ein schlechtes Gewissen deswegen. War ja auch das mindeste.
Schließlich wussten die beiden wie sehr ich es hasse, ins kalte Wasser geschmissen zu werden.
„Oh...", war das einzige was Ryan dazu sagte.
Sehr geistreich.
„Jetzt kann man es ja sowieso nicht mehr ändern." Meine Mutter warf mir einen kurzen Blick aller also-reiß-dich-gefälligst-zusammen zu, ehe sie sich mit einem breiten lächeln wieder jungen Amerikaner zuwandt.
„Wir gehen jetzt erstmal etwas essen", verkündete sie gut gelaunt.
Während die beiden Männer scheinbar sehr begeistert ihre Zustimmung gaben, schloss ich seufzend die Augen.
Ein Familienessen war wirklich das letzte auf das ich jetzt Lust hatte.
Ich wollte doch einfach nur in mein Bett. Oder nach Starbucks. Bestimmt trank Samira gerade genüsslich ihren Latte Macciato. Gott, was gäbe ich jetzt für ein Vanillelatte.
Stattdessen trottelte ich zusammen mit Ryan hinter meinen Eltern her, die kurzerhand die Führung übernommen hatten.
Aus dem Augenwinkel beobachtete ich meinen neuen Mitbewohner und fragte mich wieso so ein Kerl freiwillig nach Deutschland wollte.
Alles an ihm strahlte dieses typisch amerikanische aus. Er passte perfekt dorthin.
Hier wirkte er irgendwie völlig fehl am Platz.
Ich ignorierte die Tatsache, dass ich ein kleine Schwäche für amerikanische Männer hatte. An mir würde dieser Kerl sich bestimmt nicht die Hörner abstoßen.
Als hätte Ryan meine Gedanken gehört, drehte er mir plötzlich das Gesicht zu. Seine Lippen waren zu einem verschmitzten lächeln verzogen und als sein Blick auf meinen traf, blitzte ganz kurz etwas in seinen dunklen Augen auf, das ich nicht ganz benennen konnte. Oder wollte.
„Ein ganzes halbes Jahr...", flüsterte er schließlich so leise, das nur ich ihn verstehen konnte. Seine Stimme rieselte angenehm rau über meinen Rücken. Verdammt, das konnte er wirklich gut.
Ich Biss mir auf die Unterlippe, als sein Lächeln noch eine Spur breiter wurde.
„Wird vielleicht ja doch nicht so schlimm, wie ich dachte."

 

 

Da es keinen freien Tisch mehr in dem Lieblingsrestaurant meiner Eltern gab, landeten wir am Ende bei McDonalds.
Damit wir uns auch schön besser kennenlernen, beschloss meine Mutter kurzerhand, dass Ryan und ich uns einen Tisch besorgen sollten, während sie und Dad sich um unser Essen kümmerten.
Wie immer war es rappel voll in dem kleinen Fastfood Laden, da gestaltete sich das mit der Tischsuche gar nicht so einfach.
Eine ganze Weile sahen wir beide uns schweigend um.
Ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, dass ich mit diesem fremden Jungen ab jetzt unter einem Dach leben würde. Es fühlte sich irgendwie seltsam an.
So beklemmend.
„Da drüben wird gerade einer frei“, sagte Ryan plötzlich und deutete auf einen kleinen Vierpersonentisch, von dem sich gerade eine Dreiköpfige Familie entfernte.
„Na los.“
Schnell schnappte  er sich meine Hand und zog mich mit sich. Bei seinem festen griff blieb mir gar nichts anderes übrig, als hinter ihm herzustolpern. Dabei viel mir auf, dass er einen recht breiten Rücken hatte und er war einen ganzen Kopf größer als ich. Okay, bei einer Größe von 1.65 war das wohl auch nicht schwer.
Als wir den Tisch erreichten, ließ Ryan sich mit einem gedehnten seufzen auf die rotgepolsterte Bank fallen. Er streckte sich einmal, ehe er mir einen auffordernden Blick zuwarf.
Erst da fiel mir auf, dass ich immer noch hier stand und ihn anstarrte.
Peinlich.
Hastig setzte ich mich ihm gegenüber, den Blick demonstrativ aus dem Fenster gerichtet. Ich hatte wirklich keine Lust auf Smalltalk.
Draußen hatte es mittlerweile wieder angefangen zu regnen. Der Himmel war von grauen Wolken durchzogen und wenn man dem Wetterbericht glauben schenkte, sollte es noch die ganze nächste Woche weiter regnen.
Ein Grund, wieso ich den Januar nicht mochte. Es war scheiße kalt, regnete fast ununterbrochen und mittlerweile kam der Schnee auch erst zum Jahresbeginn. Dabei würde er mir über Weihnachten schon reichen.
Seufzend sah ich wieder zu Ryan rüber, der mich nachdenklich musterte. Schon die ganze Zeit spürte ich seinen Blick auf mir, hatte aber versucht es zu ignorieren.
Allmählich ging er mir damit allerdings auf die Nerven.
„Hab ich irgendetwas im Gesicht?“, fragte ich ihn schließlich genervt.
Einer seiner perfekt geschwungenen Augenbrauen hob sich leicht. Dann lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und schüttelte langsam den Kopf. „Nein, wieso?“
Die ganze Zeit lag dieses kleine Geheimnisvolle lächeln auf seinen Lippen.
Was lief bloß falsch bei diesem Kerl?
„Weil du mich die ganze Zeit anstarrte?!“
„Vielleicht bin ich ja von dir fasziniert.“ Als Ryan meinen ungläubigen Blick sah, verdrehte er die Augen. „Na schön…“ Langsam legte er beide Hände vor sich auf den Tisch und beugte sich zu mir rüber. „Ich frage mich nur, ob du irgendwas gegen Amerikaner hast.“
Was?
Wie kam er den darauf?
Ich liebe Amerika und himmelte regelmäßig deren heiße Schauspieler an. Alleine der Gedanke, ich könnte Amerika oder dessen Einwohner nicht ausstehen, war absurd.
Langsam schüttelte ich den Kopf. „Unsinn, ich mag Amerikaner.“
„Also bist du immer so freundlich zu Fremden?“
Er betonte das freundlich extra, dabei verstand ich auch so, dass er das ironisch meinte.
„Nur zu Austauschschüler“, gab ich trocken zurück.
Seine Mundwinkel zuckten und auch ich konnte mein Lächeln nicht ganz verbergen.
„Okay, wie wäre es mit einem Neustart?“, schlug Ryan vor. Wieder trat dieses seltsame funkeln in seine Augen.
Jetzt wo er mir so nahe war, erkannte ich sogar ein paar hellblaue Sprenkel in seinen dunklen Pupillen.
Sehr außergewöhnlich, aber verdammt faszinierend.
„Schließlich kann ich ja nichts dafür, dass deine Eltern nicht mit dir über diese Sache geredet haben.“
Nachdenklich zog ich meine Unterlippe zwischen die Zähne und musterte mein Gegenüber.
Natürlich hatte er recht.
Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob ich schon bereit war meine feindliche Stellung aufzugeben. Momentan gab ich nämlich noch allem und jedem die Schuld an meiner verzweifelten Situation.
Da ich allerdings auch wusste, dass das nicht wirklich fair war, seufzte  ich ergebend.
„Einverstanden.“ Das zweite mal an diesem Tag ergriff ich Ryans Hand, die er mir bereits erwartungsvoll hinhielt.
Als ich sie wieder los ließ, warf ich ihm einen strengen Blick zu. „Aber wehe du versuchst mich zu überreden, meine Eltern den scheiß zu verzeihen.“
Das würde nämlich nicht passieren. Ich war ein sehr  nachtragender Mensch und würde so schnell bestimmt nicht vergessen, dass die beiden meine Bücher verband hatten.
Er lachte und riss abwehrend die Hände hoch. Es war ein dunkles, kehliges Lachen, das mich sofort zu einem Grinsen verleitete.
„Habe ich nicht vor“, versicherte er mir schnell. „Ich wäre genauso angepisst, wenn mein Vater mir das antun würde.“
Es verwunderte mich, dass er nur seinen Vater erwähnte. Was war mir seiner Mutter?
Schließlich trafen Eltern solche Entscheidungen für gewöhnlich gemeinsam.
Es sei den sie waren geschieden, oder seine Mutter…
Oh Gott nein, daran wollte ich gar nicht erst denken.
„Nur dein Vater?“, hakte ich vorsichtig nach. „Und was ist mit deiner Mom?“
Fast sofort verschwand Ryans Lächeln. Er lehnte sich wieder zurück und presste die Lippen aufeinander, während er aus dem Fenster sah.
„Was soll mit ihr sein?“, fragte er ausweichend.
Okay… er wollte definitiv nicht darüber reden.
Jeder andere hätte das Thema wohl jetzt auf sich beruhen lassen, aber ich wäre ja nicht Liv wenn meine Neugierde nicht wieder einmal mit mir durchginge.
„Na ja, wärst du auf sie nicht auch angepisst?“
Er spannte den Kiefer an. „Nein.“
„Und wieso nicht?“
„Weil sie abgehauen ist als ich 3 war. Also keine Ahnung ob sie angepisst wäre, okay?!“
„Oh…“ Fuck. Ich musste ja auch unbedingt nachhacken.
Langsam öffnete ich den Mund um etwas zusagen, schloss ihn jedoch schnell wieder, als mir bewusst wurde, dass ich keine Ahnung hatte was.
Was sagt man zu einem Jungen, dessen Mutter einfach abgehauen ist?
„Tut mir leid…“ Das war das beste was mir gerade einfiel.
Seufzend fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, sagte jedoch nichts darauf.
Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus und während ich noch fieberhaft überlegte, wie ich die Situation retten konnte, fiel mein Blick auf seinen Arm.
Sein Tattoo war jetzt deutlich zu erkennen.
„Love is Pain“ stand dort geschrieben.
Ich runzelte die Stirn.
„Wieso hast du dir das Tätowieren   lassen?“
Anscheinend verwirrt von meinem plötzlichen Thema Wechsel, folgte Ryan meinem Blick zu seinem Arm. Sanft fuhr er den schwarzen Schriftzug nach. „Weil es so ist.“
Er war gerade mal 16, also woher wollte er das wissen?
Ich wollte ihn gerade fragen, wie er darauf kam, als meine Eltern am Tisch auftauchten.
Beide hielten sie ein vollgepacktes Tablett in den Händen.
„So, jetzt gibt es endlich was zu Essen“, grinste meine Mom und drängte sich neben mich auf die Bank. Mein Dad setzte sich derweil zu Ryan.
Keiner von beiden schien die angespannte Stille zwischen uns zu bemerken.
Tja, soviel zum Thema Neustart.
Den hatte ich jawohl ziemlich vergeigt.
Zum Glück nahmen meine Eltern Ryan kurz darauf ins Kreuzverhör.
Während ich also schweigen meinen Burger aß, fragten sie ihn über Amerika aus. Wie die Schule dort so war, ob er vorhatte ans Collage zu gehen und  ob er bereits wusste, was er später machen wollte. Zum letzteren äußerte er sich nur Verhalten.
Wunderte mich allerdings auch nicht. Seltsamerweise wussten die meisten Jugendlichen in meinem Alter noch nicht was sie nach der Schule machen wollten. Dabei war es zum Abschluss gar nicht  mehr so lange hin. Na ja okay… immerhin noch zwei Jahre.
„Liv will nach der Schule in Amerika aufs Collage gehen“, erzählte mein Vater Ryan stolz und ich verdrehte die Augen.
Musste er damit jetzt prallen?
„Ach echt?“ Als seine dunklen Augen sich auf mich richteten, biss ich mir nervös auf die Unterlippe. Keine Ahnung warum ich unter seinen Blicken ständig zu einem Nervlichen Wrack mutierte, aber das musste definitiv aufhören.
„Weiß du schon an welches?“
Ich schob nachdenklich die Unterlippe vor und wippte mit dem Kopf hin und her.
„Ja und nein“, sagte ich schließlich. Ryan hob fragend eine Augenbraue. Hatte ich erwähnt das das durchaus sexy an ihm aussah? Wusste gar nicht das das geht.
„Ich würde gerne an die University of California in  Barkeley  gehen. Bin mir nur nicht sicher ob die mich nehmen.“
„Du hast eins a Noten“, warf meine Mutter dazwischen. „Natürlich nehmen die dich.“
Na ihren blinden Optimismus  würde ich gerne mal haben. Es stimmte zwar, ich hatte wirklich recht gute Noten, aber zu den allerbesten zählte ich deswegen noch lange nicht.
Zum Glück wollte ich sowieso ab keine der Elitecollages

 

.

Als wir endlich Zuhause ankamen, dämmerte es bereits. Meine Eltern führten Ryan in unserer Wohnung herum, während ich direkt gerade durch in mein Zimmer ging, mir die Schuhe von den Füßen Streifte und mich rückwärts aufs Bett fallen ließ.
Nachdenklich starrte ich an meine weiße Zimmerdecke. Es war immer noch ein seltsames Gefühl zu wissen, dass nebenan jetzt ein fremder Junge schlief. Na ja okay, nicht mehr ganz so fremd, aber viel wusste ich noch nicht über ihn.
Eigentlich nur wie er hieß, wie alt er war und das seine Mom ihn verlassen hatte als er noch klein war.
Ich fragte mich immer noch ob es einen Grund dafür gab und ob Ryan diesen kannte.
Außerdem war da noch sein Tattoo…
Wieso hatte er sich so einen Spruch Tätowieren lassen? Ich war mir ziemlich sicher, dass er das später noch bereuen würde.
Seufzend drehte ich mich auf den Bauch und fischte dabei mein Handy aus der Hosentasche. Samira hatte mir geschrieben.

 

 

 Hey süße,
Und habe ihr den Amerikaner schon eingesammelt?
Wie ist er so? Sag mir bitte das er heiß aussieht….
Bitteeee… 

 

Ich verdrehte die Augen. Das war so typisch für meine beste Freundin.

 

Hey Babygirl,
Ja der Amerikaner ist jetzt bei mir Zuhause.
Er ist der typische Womenaizer, du wirst ihn also mögen.
Leider muss ich gestehen, er sieht verdammt gut aus. Du würdest ihn wohl als ein Hotti bezeichnen.

 

Ich schickte die Nachrichten ab und legte mein Handy auf die Seite, ehe ich mich etwas aufrichtete.
Irgendwie war ich schon etwas gespannt darauf wie die nächste Zeit wohl werden würde. Ob das erwartungsvolle kribbeln in meinem Bauch nun was gutes oder etwas schlechtes bedeutete, darüber würde ich mir später noch Gedanken machen.

 

 

Kapitel 3

Ich saß auf dem flauschigen Teppich in der Mitte meines Zimmers. Die Knie bis zum Kinn angezogen, lackierte ich meine Fußnägel in einem knalligen rot, als Ryan plötzlich reinplatzte.
Vor Schreck hätte ich meinen kompletten Zeh beinahe eine neue Farbe verpasst.
Mit finsteren Blick sah ich zu dem Verursache auf.
„Verdammt Ryan, wie wäre es endlich mal mit anklopfen?“
„Sorry vergessen.“ Er grinste was seine Worte lügen straffte und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen den Türrahmen.
Gott, wieso musste er bloß so verdammt gut aussehen?
Sein Blick fiel auf meine Füße und ein fast schon vergnügten Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. „Hübsch“, meinte er schmunzelnd.
Ich verdrehte lediglich die Augen. „Was willst du?“
Mittlerweile wohnte er seit genau einer Woche bei uns und schaffte es immer noch nicht kurz anzuklopfen, bevor er in mein Zimmer stürmte. Ich hatte langsam so den Verdacht, dass er das mit Absicht machte.
„Wollte dich eigentlich nur fragen, ob du schon von der Party heute Abend weißt?“
Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. „Du meinst die, die zufällig bei meinem besten Freund steigt? Natürlich weiß ich Bescheid.“
Ich war meistens einer der ersten, die davon erfuhren. Jakes Eltern sind übers Wochenende weggefahren, das schreit gerade zu nach einer Hausparty.
Ich würde gerne behaupten, Ryan wurde nur eingeladen weil er nun mal bei mir wohnte und sich das dann eben so gehörte, aber leider war dem nicht so.
Wenn ich ehrlich war, verstand der Kerl sich sogar noch besser mir meiner Clique als ich, was ätzend war, weil sich dadurch die meisten bei einem Streit auf seiner Seite stellten.
Alles samt Verräter.
Ryan lächelte verschmitzt und ich seufzte innerlich. Ich hasste dieses Lächeln. Es brachte mich jedes Mal aufs Neue aus der Fassung. Das machte er vermutlich mit auch mit Absicht. Blödmann.
„Also….“, riss er mich aus meinen Gedanken. „Gehen wir zusammen rüber?“
Jake wohnte zum Glück nur zwei Straßen weiter.
„Können wir machen.“
Soweit ich wusste, würde Samira sowieso erst später kommen. Ihre Eltern wollten unbedingt das sie noch zum Familienessen blieb.
Nachdem ich die Nagellackflasche wieder geschlossen hatte erhob ich mich vorsichtig vom Boden, wobei ich peinlich genau darauf achtete, meine Nägel nicht zu ruinieren. Die mussten nämlich perfekt sein, wenn ich heute Abend meine offenen Pumps anziehen wollte.
Jetzt hatte ich allerdings noch ein anderes Problem.
„Leider kann ich heute nur mit, wenn ich noch irgendetwas brauchbares zum anziehen finde“, brummte ich, während ich zu meinem Schrank rüber ging.
Langsam bereute ich meine Entscheidung, nach der schule nicht noch schnell mit Samira und Amelie Shoppen zu gehen. Meine Sachen waren mittlerweile schon so langweilig.
Als ich hörte wie Ryan sich mir näherte, erstarrte ich. Seine Nähe machte mich immer noch Nervös und ich hatte sie den Eindruck als wenn er der wusste.
Hinter mir blieb er stehen, so nahe das ich seinen warmen Atem in meinem Nacken spüren konnte.
In letzter Zeit war er mir öfter schon so nahe gekommen. Für ihn schien das fast normal zu sein, er dachte sich anscheinend nicht mal was dabei, während ich mich richtig anstrengend musste um einen klaren Satz zusammen zu kriegen.
„Ich denke du würdest in allem gut aussehen“, raunte er mir ins Ohr. Der Duft seines Aftershave, der mir mittlerweile so vertraut geworden war, stieg mir in die Nase und ich atmete schon fast automatisch tief ein.
„Du musst so etwas sagen, weil meine Eltern dich hier wohnen lassen“, murmelte ich und schloss die Augen als er leise lachte.
„Unsinn…“
Keine Ahnung ob er das ernst meinte. Ich hatte den Versuch es herauszufinden mittlerweile aufgegeben. Er machte so etwas hier andauernd, hang seit dem ersten Schultag allerdings auch andauernd mit unserer Schulschlampe herum. Ich wusste das es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie auch ihn im Bett hatte. Oder er sie?
Keine Ahnung.
Na ja, so viel zum Thema Hörner abstoßen. Anscheinend galt das auch für manche Mädchen.
Noch während ich versuchte, das dämliche kribbeln in meiner Brust in den Griff zu kriegen, drehte ich mich zu Ryan um.
Doch dieser hatte sich bereits wieder von mir entfernt und zwinkerte mir schmunzelnd zu.
„Komm einfach rüber wenn du fertig bist“, meinte er noch und ließ mich dann in meinem Zimmer alleine.
Blinzeln sah ich im nach.
Mir war klar, dass das für ihn nur ein kleiner Spaß war. Etwas was er öfter mal tat vermutlich einfach weil wir uns recht gut verstanden. Ich musste nur dafür sorgen das mir das nicht zu Kopf stieg.
Ich fuhr mir mit einer Hand durch mein braunes Haar, ehe ich die Türen zu meinem Schrank öffnete und mir meine wenigen Partyoutfits ansah.
Anders als Ryan, der das vermutlich sowieso nur so gesagt hatte, fand ich nämlich nicht, dass ich in allem gut aussah. Deshalb sortierte ich die Hälfte der Klamotten auch direkt aus und breitete den Rest auf meinem Bett aus.
Zuerst viel mein Blick auf meine Hautenge schwarze Jeans. Doch während ich sie mir an den Körper hielt, entdeckte das kurze schwarze. Bis heute hatte ich es noch nie angehabt.
Es war auch das einzige Kleid das meine Eltern noch nie zu Gesicht bekommen hatten. Wie Eltern nun einmal so waren, würden sie ihrer 16 jährigen Tochter niemals erlauben mit so etwas aus dem Haus zu gehen.
Na ja, sie würden mir auch niemals erlauben auf eine Hausparty mit einer ganzen Menge Alkohol zu gehen. Deswegen dachten sie ja auch, dass Ryan und ich heute einen gemütlichen Filmeabend mit Samira und Jake verbringen.
Jedes Kind hatte wohl so seine Geheimnisse vor seinen Eltern. In manchen Situationen ging es eben nicht anders. Aber keine Panik liebe Eltern, wir lieben euch trotzdem von ganzem Herzen.
Während ich also in das kurze Kleid schlüpfte, das mir knapp bis oberhalb meiner knie ging (Himmel, das war wirklich gewagt), war ich wirklich froh darüber, dass meine Eltern heute nicht da waren.
Sie feierten ihren Hochzeitstag in einem ihrer Lieblingsrestaurants.
Ich brauchte also keine Angst davor haben, ihnen in diesem sündhaften Teil über den Weg zu laufen.
Nachdem ich mich noch schnell Geschminkt und mir die Haare hochgesteckt hatte, stand ich schließlich um kurz nach 8 Uhr vor Ryans Zimmertüre.
Kurz überlegte ich ebenfalls einfach bei ihm reinzuplatzen, entschied mich jedoch dagegen, als mir der Gedanke kam er könnte ja nackt sein. Auch wenn mir ein Blick auf seinen augenscheinlich gutgebauten Körper wahrscheinlich gefallen würde. Aber es wäre eine verdammt peinliche Situation geworden und ich wollte es nicht darauf anlegen, dass es beklemmend zwischen uns wurde.
Also klopfte ich zaghaft an und lächelte als Ryan kurz darauf die Türe öffnete.
Seine Augenbrauen hoben sich, als sein Blick langsam über meinen Körper glitt.
Plötzlich fühlte ich mich dann doch etwas unwohl in meiner Haut.
Was, wenn das Kleid doch etwas zu kurz war?
Unsicher trat ich von einem Fuß auf den anderen. „Ich bin fertig“, verkündete ich das schließlich offensichtliche, nachdem Ryan immer noch nichts gesagt hatte.
Er lehnte sich mit einem arm knapp oberhalb meines Kopfes gegen den Türrahmen und beugte sich etwas zu mir herunter. „Dir ist hoffentlich bewusste, wie vielen Jungs ich wegen diesem Kleid in den Hintern treten muss.“
Ich runzelte die Stirn. „Warum?“
„Weil du verdammt Heiß in diesem Ding aussiehst und das die anderen Kerle mit Sicherheit genauso sehen werden.“
Während ich noch versuchte seine Worte zu verarbeiten, grinste Ryan zu mir herunter und drängte sich dann an mir vorbei in den Flur. Mit einer Hand an der Türklinke der Haustüre , drehte er sich noch einmal zu mir um. „Du wirst dich vor Verehrer wahrscheinlich kaum retten können.“
Er spannte kurz den Kiefer an, als ob ihm der Gedanke nicht gefiel, was zugegeben wirklich lächerlich war und verschwand dann aus der Wohnung.
Nachdenklich sah ich an mir herunter. So knapp war das Kleid jetzt auch nicht und wirklich viele Kerle interessierten sich sowieso nicht für mich.
Es waren zwar mal mehr gewesen, aber die meisten ließen mich in ruhe seit ich Ihnen erklärt hatte, dass ich niemals für eine Nacht die Beine breit machen würde.
Trotzdem klopfte mein Herz ein wenig schneller, als ich mir Ryans Worte ins Gedächtnis rief. Dabei sagte er das vermutlich nur, weil er sich für mich verantwortlich fühlte, jetzt wo er bei mir wohnte.
Wie ein großer Bruder.
Fuck, der Gedanke gefiel mir überhaupt nicht.
Hastig folgte ich Ryan nach unten und verlangsamte meine Schritte erst, als ich ihn am Straßenrand entdeckte.
Er hatte eine Hand in seiner Jeans vergraben, während er mit der anderen eine Zigarette an seine Lippen führte. Gebannt sah ich dabei zu wie er genüsslich einen Zug nahm und den Rauch dann aus Mund und Lippen entweichen ließ.
Ich hatte eigentlich nie viel fürs Rauchen übrig gehabt, wusste aber auch nicht das es so sexy aussehen konnte.
Okay… jetzt drehte ich vermutlich ganz durch.
Langsam ließ ich meinen Blick über seine schwarze Lederjacke gleiten, während ich zu ihm auf schloss.
Keine Ahnung, wie er bei diesen Temperaturen nur so eine dünne Jacke anziehen konnte.
Alleine bei dem Anblick des dünnen Stoffes wurde mir Kalt.
„Können wir?“, fragte Ryan, den Blick jetzt in die Ferne gerichtet, dann ließ er die Zigarette auf den Boden fallen und trat sie mit seinem Fuß aus.
Ich nickte entschlossen. „Wir können.“

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Tag der Veröffentlichung: 20.10.2016

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