Vorwort – noch ein Ratgeber?
Was soll die ganze Sch*** eigentlich?
Wie finde ich das Glück?
Wie finde ich meine ganz individuelle Bestimmung?
Mehr Arbeit bringts nicht – von der PC-Maloche nach Couchtopia?
Was wäre eine natürliche Arbeitszeit für uns?
Das Ende der Entspannung – Maschinen drängen zum Speed-Working
Die 21-Stunden-Woche gegen Klimawandel und Krankheiten?
Tod durch Überstunden – lohnt sich das wenigstens?
Was würden wir nur ohne Arbeit tun?
Warum du manchmal auf die Arbeit sch***n solltest!
Mehr Geld ≠ mehr Glück!
Machen Geldgewinne glücklich?
Macht mehr Geld wenigstens meinen Arbeitsplatz attraktiver?
Macht viel Geld vielleicht sogar unglücklich?
Mehr Geld? So what! Lass dir die fette Kohle gepflegt am Hintern vorbeigehen
Warum du dich für Anerkennung weniger abstrampeln solltest
Schluss mit Konsum – warum es unmöglich ist, sich glücklich zu kaufen
Lass dich nicht vom Social-Media-Sumpf runterziehen
Wie Social-Media Sucht erzeugt
Mehr Realität, weniger digitale Vergleiche
Hollywood-Romantik, na und?! Beende die Suche nach der perfekten Beziehung
Verabschiede dich von unmenschlichen Körperidealen und Diätreligionen!
Die perfekte Ernährung besteht weder aus Fast- noch aus Superfood
Sch*** auf wollen! Müssen befreit!
FOMO – die Millennial-Pest
Vorwort – noch ein Ratgeber?
Den braucht eigentlich keiner, oder? Denn du als deutsche Leserin bzw. deutscher Leser ertrinkst aktuell in einem wahren Tsunami von Ratgebern: Wurden im Jahre 2004 noch 6.300 Lebenshilfe-Titel veröffentlicht, hat sich die Anzahl bis heute mehr als verdoppelt. 13.168 Bücher pro Jahr wollen dir deine dringlichsten Fragen an das Leben beantworten. Na ja, zumindest jene, die Verlage und Autoren für die drängendsten Fragen halten. Das wären dann etwa „Wie kann ich mit Brot und Kuchen abnehmen?“, „Wie hilft Selleriesaft meinem Immunsystem?“ oder „Wie kann das Kind in mir endlich seine Heimat finden?“. Dabei vagabundieren die Ratgeberthemen durch praktische bis tiefenpsychologische Gebiete und versuchen sich in Detailversessenheit und Organisationswahn der wachsenden Komplexität unserer Digital-Gesellschaft anzupassen.
Um mit dir selbst innerhalb des Informations- und Anforderungsüberflusses im Jahr 2020 klarzukommen, solltest du nämlich idealerweise dein Zeitmanagement verbessern, um die Dinge geregelt zu kriegen. Dich am Ernährungs-Kompass ausrichten, um jung, schön und gesund zu bleiben. Du solltest Chakren-Meditation lernen und Hormon-Yoga praktizieren, um dein antioxidatives Potenzial zu steigern, und auch deine Unterwäsche in KonMari-Technik falten, um mit Minimalismus gegen dein inneres Chaos einzuwirken.
Wo das System der Außenwelt immer kleinteiliger und vernetzter wird, wo neue Stärken wie Flexibilität und Informationsmanagement-Kompetenz von dir gefordert sind, kannst du laut Ratgeber-Mehrheit nur dann gewinnen, wenn du dich in alle Richtungen hin selbst optimierst. Und falls dir diese Vorstellung Stress bereitet, solltest du schleunigst die passenden Stressbewältigungstechniken erlernen. Progressive Muskelentspannung zum Beispiel. Oder autogenes Training. Derer gibt es wohl viele. Deshalb beginnst du das Entspannungsprojekt optimalerweise mit der Recherche wissenschaftlicher Studien, die dir die nachgewiesene Effektivität der einzelnen Entspannungsmethoden gegenüberstellen, damit du effizient wählen kannst.
Doch wie fühlt sich das Leben im Zeichen der Selbstoptimierung eigentlich an? Wenn du so vom Morgenroutinen-Yoga auf deiner PVC-freien und fair gehandelten Yogamatte auf dein E-Bike springst und in deinen Co-Working-Space flitzt, wo du, während du dich auf deinen Ergonomie optimierten Bürostuhl setzt, schon einen Schluck deines mit Guarana gepimpten Sellerie-Smoothies herunterstürzt und im Geiste die Mantras aus dem letzten Zeitmanagement-Webinar wiederholst. Ganz ehrlich, denkt dann nicht auch manchmal ein imaginäres Teufelchen auf deiner Schulter: WTF?! Das Leben könnte man auch mal eine Nummer entspannter angehen …
Vielleicht liegt nämlich die wahre Antwort auf die rasende Zentrifuge dieser funktionalisierungssüchtigen Welt nur in einem machtvollen Prinzip:
Ignoranz.
Genauer gesagt, weise gewählte Ignoranz gegenüber konkreten Stressoren aus dem sozialen und digitalen Umfeld. Weniger bürokratisch ausgedrückt: Wie leben im Zeitalter der Selbstoptimierung? So what?! Zweifelhafte Leistungsnormen, Konsumdruck und die Idealvorstellungen anderer solltest du dir gepflegt am Hintern vorbeigehen lassen. Hier liegt der Trick wahrscheinlich nur darin, zu erkennen, welche Anforderungen ungerechtfertigt sind oder schlicht unglücklich machen, damit du sie ohne schlechtes Gewissen über die Schulter schmeißen kannst. Ein echtes Ratgeber-Prinzip wäre dann eines, dass man frei nach dem Gelassenheitsgebet der Anonymen Alkoholiker formulieren könnte (Vorsicht, Kraftausdrücke!):
So what!
Liebes Gehirn, gib mir die Chilligkeit, mir Dinge am Arsch vorbeigehen zu lassen, die ich nicht ändern kann, die Kraft, mir für Dinge den Arsch aufzureißen, die ich ändern kann, und die Klugheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Das wäre doch mal ein nützlicher Ratgeber! Denkt zugegebenermaßen auch mein Verlag. Und gemäß dem Buchtitel lasse auch ich als Autor mir die eine oder andere überflüssige Konvention einfach mal egal sein. Zum Beispiel, dass man in der gediegenen Schriftform normalerweise keine derben Fäkalformulierungen benutzt. Die dürfen hier sporadisch auftauchen, um Dinge mit potenziellem Fäkal-Ignoranz-Faktor – also, Anforderungen, auf die du im Interesse deines Lebensglücks vielleicht einfach mal sch***n solltest – lebhafter zu illustrieren. Dass ich mich hiermit schon im Vorhinein dafür entschuldige, um dich als Leser nicht sofort zu verscheuchen, beweist zugegebenermaßen noch nicht die hohe Form der kompromisslosen und selbstbewussten Gelassenheit. Aber, diese werden wir im Laufe des Buches vielleicht gemeinsam erreichen.
Ein Buch über die gepflegte Egal-Haltung zu schreiben, bedeutet auch nicht, dass die erwähnten Fakten an den Haaren herbeigezogen sind. Damit die folgenden Kapitel trotz des einen oder anderen Unworts mehr geistigen Inhalt versprühen als eine Rolle Toilettenpapier, habe ich ganz konventionell offizielle Statistiken und wissenschaftliche Studien bemüht. Auf das Anhängen per Fußnote habe ich dann aber in überzeugter So-what!-Haltung verzichtet. Andernfalls hätte ich mir womöglich einen ergonomischen Bürostuhl angeschafft, eine Nerd-Brille aufgesetzt und wäre mir vorgekommen wie bei meiner Doktorarbeit. Die ist allerdings bereits einem So-what-Anfall zum Opfer gefallen und versauert aktuell halb fertig in der Schublade. Du siehst, was gepflegte Ignoranz gegenüber äußeren Anforderungen angeht, konnte ich mir schon eine gewisse Expertise erarbeiten. Also gibt es in diesem Buch keine Fußnoten. Wenn dich dennoch eine der Zahlen fasziniert, schreib mir einfach und ich suche dir die passende Studie raus. Die sind hier nämlich pedantisch in einer Excel-Tabelle abgelegt. Denn es kann einem eben nicht alles egal sein ...
Einiges aber schon: Als Angehörige der hiesigen Minderheit mit geisteswissenschaftlichem Hochschulabschluss habe ich eine kleine Schwäche für antiquierte Sachverhalte und anachronistische Ausdrücke. Während ich mich da üblicherweise zurückhalten muss, um meinen Verleger nicht in den Wahnsinn zu treiben („Wer glaubst du, sind deine Leser? Altphilologen aus dem Jahre 1830?!!“), wage ich es diesmal getreu dem Buchmotto, an einigen Stellen die Autobahn der geläufigen Sprachkonventionen verlassen. Deshalb kommen im Folgenden auch Leute wie Aristoteles, Leonardo da Vinci und Alexander der Große zu Wort – auch wenn sich in der heutigen Welt vielleicht kein Schwein mehr für die Armen interessiert. Auf die Gefahr hin, dass manch eine Passage für die flyen Swaggernauten unter 21 wack as fuck klingt, entgegne ich: So what! Immerhin durfte ich ein 14-semestriges Philosophiestudium genießen und der Sch*** muss doch für irgendwas gut sein. In moderne Begriffe übersetzt, haben die geistigen Größen von damals schon viel Kluges zu den menschlichen Problemen von heute gesagt.
Falls dich das und die leicht egozentrischen Tendenzen hier im Vorwort nicht abschrecken, wünsche ich dir viel Spaß dabei, zentrale Gebiete deines Lebens auf ihren potenziellen (Fäkal)Ignoranz-Faktor hin zu überprüfen. Denn grob geschätzt kannst du dabei in acht von zehn Fällen den Zwang zur Selbstoptimierung über Bord werfen und entspannt entgegnen
So what!?
Was soll die ganze Sch*** eigentlich?
Hand aufs Herz – wie oft stellst du dir im Alltag diese Frage? Ob unausgesprochen oder als hysterischer Schrei, begleitet von Ärger oder Resignation, ob unzensiert, verpixelt oder ausgepiept – die fragliche Frage beschäftigt regelmäßig die Mehrheit aller Erwachsenen hierzulande. Vielleicht nicht gerade in ihrer Fäkal-Formulierung, sondern in ihrer etwas intellektuelleren Variante:
„Was ist eigentlich der Sinn meines Lebens?“
Sie taucht vorzugsweise auf, wenn du kurz zum Durchatmen kommst und zurückblickst auf einen lückenlosen Stundenplan aus arbeiten, einkaufen, Kinder oder Hund oder Zimmerpflanzen versorgen, putzen, kochen, Trainingseinheiten absolvieren, telefonieren, Verwandte besuchen, Freunden helfen, Urlaube planen und noch mehr arbeiten …
Wenn du dann richtig erschöpft auf der Couch liegst, fragst du dich – haargenau in der Millisekunde, die es braucht, die Netflix-App anzukurbeln: „Wofür mache ich das eigentlich alles?“
Und weil die Antwort darauf das Potenzial birgt, dir mit einem Blick in den schwarzen Abgrund drohender Sinnlosigkeit die Nackenhaare zu sträuben, streamst du lieber gleich einen Horror-Splatter-Film, der dir im Vergleich zur sinnentleerten Realität manchmal ähnlich unkrass erscheinen mag wie Glücksbärchis Regenbogenreise. Vielleicht bist du insgeheim froh, wenn du am nächsten Tag wieder gnadenlos durch deine To-do-Liste gepeitscht wirst – so fehlt zumindest die Zeit, sich unangenehme Fragen zu stellen.
Doch – du bist nicht allein. Die Frage, was der ganze Sch*** eigentlich soll, quält die Menschheit seit Anbeginn der Zeiten. Manche versuchten, die zermürbenden Zweifel mit schierem Aktionismus zu verdrängen; etwa, indem sie das Rad erfanden, Amerika entdeckten und zum Mond flogen. Andere – mutmaßlich jene, die nichts Vernünftiges gelernt hatten – erklärten sie zu ihrem Hauptberuf. So wie der antike Mega-Influencer Aristoteles. Er wälzte die Sinnfrage in seinem klugen Gehirn hin und her und schrieb anschließend dicke Wälzer über die Unsicherheiten, die ausnahmslos jeden Menschen irgendwann im Leben einmal erschüttern. Im Geiste seiner Epoche, der griechischen Klassik, formulierte er sie allerdings nicht in Fäkal-Sprache, sondern fragte etwa:
Was ist der Sinn unseres Lebens als Menschen?
Als guter Vater wollte er diese drängende Frage natürlich nicht nur seinen Followern beantworten – zu denen übrigens auch der legendäre Eroberer Alexander der Große zählte –, sondern vor allem seinem kleinen Sohn eine Orientierung in unserer chaotischen Welt bieten. Aristoteles Antwort darauf, was der Sinn des Lebens sei, wurde deshalb als 500-seitiges Buch veröffentlicht, dass der berühmte Autor nach seinem Spross Nikomachos benannte: die „Nikomachische Ethik“. Hier durften klein Niko und nach ihm Generationen von Philosophie-Studenten endlich erfahren, wozu wir Menschen eigentlich den ganzen Sch*** machen, den wir machen.
Trommelwirbel … und was ist jetzt der Sinn des Lebens?
Aristoteles Antwort darauf lässt sich kurz und knapp in einem Wort zusammenfassen:
GLÜCK
Gut – so einfach ist es dann doch nicht, sonst wäre es schwer zu glauben, dass man für eine gelungene Interpretation der Nikomachischen Ethik in Deutschland einen Doktortitel verliehen bekommt. Das Glück, was Aristoteles hier bezeichnet, ist nämlich eine ganz spezielle Art von Glück. Die alten Griechen hatten – weil sie differenzierte und sensible Geister waren und weil sie kommende Achtklässler-Jahrgänge humanistischer Gymnasien quälen wollten – viele Wörter für einen so großartigen Begriff wie Glück. Das Glück, das dem Menschenleben seinen Sinn verleiht, heißt bei Aristoteles:
Eudaimonia
Dieser Begriff setzt sich aus zwei Teilen zusammen: eu = gut und daimon = Geist /Seele. Glück zu erreichen, bedeutet also im aristotelischen Sinn, eine gute Seele zu besitzen. Der Philosoph meint damit einen völlig zufriedenen und harmonischen Geisteszustand. Also eher peacig und chillig, anstatt so exaltiert happy wie ein Eichhörnchen auf Ecstasy. Um dieses ruhige Glück zu begreifen, stellt man ihm am besten seinen Konterpart gegenüber: Das war bei den Griechen die
Tyche
Tyche heißt ebenfalls Glück, meint aber einen überraschenden und unerwarteten glücklichen Zufall. Etwa wie ein Lottogewinn, wie ein Gratis-Eis oder wie der Fund eines kleinen Goldschatzes auf dem Dachboden von Tante Charlotte – Gott hab sie selig. Also, die Fälle, in denen du dich mutmaßlich so gebärden würdest wie das mit Happy-Pills gepushte Eichhörnchen.
Neurobiologen würden die antike Tyche heutzutage als Dopamin-Flash bezeichnen. Glücksblitze und Vorfreude erfassen uns beim Shoppen, beim Checken unserer Social-Media-Kanäle, beim Sport und beim Biss in einen Schokoriegel. Dieses Gefühl lebt von der vermeintlich günstigen Gelegenheit, von hohen Erwartungen und vom Überraschungseffekt. Doch, so sehr wir es auch suchen – es nutzt sich schnell ab: Schon den zweiten Biss in den Schokoriegel begleiten nicht mehr dieselben starken Lustgefühle wie den ersten. Die Like-Zahlen und Emoticons auf Facebook unterliegen einer raschen Inflationsrate und selbst die glücklichen Lottogewinner gewöhnen sich nach kurzer Zeit an ihren neuen Lebensstandard und erleben dasselbe Glücksniveau wie zuvor.
Schlimmer noch: Der geliebte Dopamin-Kick treibt viele in die Sucht, weil er ständig überboten werden will. Spielsüchtige erliegen dem Kitzel, immer größere Beträge einzusetzen, um endlich wieder den Kick eines Gewinns zu spüren zu bekommen. Dabei kann dieser gar nicht hoch genug ausfallen, als dass er dem Spieler einen Ausstieg ermöglicht. Denn gehirntechnisch geht es ihm nicht um einen bestimmten Betrag, sondern um den Nervenkitzel und die positive Überraschung.
Kokainkonsumenten verabreichen sich mit ihrer ersten Nasevoll die größte Dosis „Tyche“, den das menschliche Gehirn zu spüren fähig ist. Daneben verblassen alle Schokoriegel, Lottoscheine und Likes zur Bedeutungslosigkeit. Das Teuflische: Durch den Gewöhnungseffekt lässt sich der erste Kick niemals wiederholen, sodass Süchtige verzweifelt versuchen, ihn mit sich ständig steigernden Dosen nachzuspüren. Während der Rest ihres Lebens unwiederbringlich zerbricht.
Die Tyche, das Dopamin-geschwängerte Blitz-Glück, bildet eine mächtige Kraft, die das Leben vieler Menschen antreibt oder in den Ruin treibt. Sie ist jedoch nicht jenes Glück, das Aristoteles als Sinn unseres Daseins definiert. Sein Glück, die Eudaimonia, ist ein ruhiges, zufriedenes, ausgeglichenes und latentes Glück.
Eine Empfindung, der Gehirnforscher heutzutage eher ausgleichende Hormone wie Serotonin und Oxytocin zuordnen würden. Viele Empfindungen, die in der modernen Coaching-Literatur herausgehoben werden, kann man in der antiken Eudaimonia zusammenfassen. Zum Beispiel:
Diese Emotions-Allstars sind in Eudaimonia inkludiert und gehören laut Aristoteles (und vielen Psycho-Gurus von heute, die die Nikomachische Ethik auch mal lesen sollten) zu einem guten Leben. Nein noch mehr: Die Eudaimonia selbst ist das Ziel jedes guten Lebens.
Wie finde ich das Glück?
Ja, ganz nett – magst du jetzt denken. Zufriedenheit mit dem eigenen Dasein könnte nicht schaden. Peacig-chilliges Glück könnte es sogar irgendwann überflüssig machen, sich mit Binge Watching und Workaholismus zu betäuben. Aber hat der nette Aristoteles seinem dicken Buch auch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung beigelegt, wie genau man den Status „Eudaimonia“ erreicht?
Joa, zumindest das, was man in der Antike unter einer Anleitung verstand, als die Aufmerksamkeitsspannen noch größer waren und das Leben noch langsamer verlief. Zumindest gibt Aristoteles einen ganz konkreten Hinweis darauf, wo du das Glück eigentlich suchen sollst, nämlich in deiner Bestimmung als Mensch.
Was soll denn das nun wieder heißen? Dass du ähnlich abgenervt fragen würdest, ahnte Aristoteles weise voraus und liefert eine Erklärung à la „Sinn des Lebens für Dummies“. Nehmen wir als einfaches Beispiel für eine „Bestimmung“ erst mal nicht so etwas Kompliziertes wie einen Menschen, sondern lieber ein simples Ding. Ein Messer zum Beispiel. Wann könnte ein Gegenstand wie ein Messer wohl meinen, sich in absoluter Zufriedenheit mit seinem Dasein befinden, also quasi das volle Messer-Glück im Sinne der aristotelischen Eudaimonia erreichen? Selbstwirksamkeit, Kohärenz und Flow lägen für ein Messer, wenn es empfinden könnte, zweifelsohne im Schneiden. „Ich schneide, also bin ich (glücklich)“, sagt das Messer (dieser kleine Descartes-Einschub ist nur was für die ganz harten Philosophie-Nerds).
Doch das glückliche Messer schneidet nicht irgendwie, sondern akkurat und elegant. Es trennt Tomatenscheiben, Sashimi und Zwiebeln in saubere Scheiben, ohne dabei das Produkt zu zerdrücken oder die Materie zu zerfetzen. Dabei ist es ganz gleich, ob es sich um eine edle japanische Damastklinge oder um Omas olles Gemüsemesser handelt. Das glückliche Messer hat nur eine Bestimmung – nämlich scharf zu schneiden. Gut gebongt. Jetzt wagen wir den Sprung zu den komplizierteren Dingen des Planeten. Pflanzen, Tiere, Menschen.
In Analogie zum schneidfreudigen Messer haben laut Aristoteles alle Dinge und Lebewesen dieser Welt ihr ureigene „Funktion“, ihr „ergon“, wie der alte Grieche sagt.
Um das volle Glück im guten Leben zu erreichen, ist die Vorgehensweise ganz einfach. Jeder – ob Meerschweinchen, Kaktus oder Börsenmakler – muss seinem gottgegebenen Ergon, also seiner Bestimmung, einfach nur möglichst perfekt folgen, dann stellt sich das Glück automatisch ein. Also das ruhig-chillige Glück, nicht das Koks-Hörnchen-Glück.
Um ihm entsprechen zu können, muss der Mensch lediglich vorab sein ganz spezielles Ergon definieren. Es ist jene wesensmäßige Bestimmung, die den Menschen von allen anderen Existenzen auf der Welt unterscheidet. So wie die Bestimmung des Messers (scharf zu schneiden), sich von der Bestimmung des Eimers (Flüssigkeiten lochfrei aufzubewahren) unterscheidet. „Und was wäre mit einer Schere?”, fragen jetzt ganz Schlaue. Nun, deshalb gilt es, das Ergon möglichst differenziert zu formulieren. Folgt man Aristoteles´ Modell spitzfindig, besteht das Ergon der Schere im sauberen Papierschneiden, während das Ergon des Messers ein quetschungsfreies Zwiebelschneiden wäre. Oder Steakschneiden – je nach Messertyp. Das klingt jetzt nach Erbsenzählerei, hilft uns aber später noch weiter.
Zunächst zurück zum Ergon des Menschen. Um das zu bestimmen, prüft Aristoteles eine Reihe von Ergon-Kandidaten auf ihre Belastbarkeit: Wie wäre es, wenn wir als Menschen einfach dazu bestimmt wären, zu wachsen, zu gedeihen, gesund zu bleiben, uns ein Dach über dem Kopf zu besorgen und … einfach zu leben? – Nö, das ist nicht menschen-spezifisch genug meint Aristoteles. Denn die Eigenart, sich zu ernähren, zu wachsen und sich positiven Lebensbedingungen zuzuwenden, findet man eben auch bei vielen anderen Lebewesen dieser Erde, die sich nach der Sonne ausrichten und Fotosynthese betreiben. Menschen, die zufrieden mit einer Cheesy-Crust-Pizza auf der Couch netflixen, leben laut dem antiken Promi-Philosophen das „Leben einer Pflanze“. Treffend, dass noch in unserem Sprachgebrauch 2.500 Jahre später das Wort „dahinvegetieren“ auf „Vegetation“ anspielt. Die jüngere Generation nennt dieses Verhalten übrigens „fermentieren“. Lol.
Gut. Auf zum nächsten Vorschlag für die menschliche Bestimmung. Was wäre, wenn ich mein Leben als Mensch dazu nutze, möglichst viel Geld zu scheffeln, als Politiker viele Leute zu manipulieren, oder – das galt in Aristoteles Zeiten noch als gesellschaftsfähige Option – mir als Eroberer möglichst große Teile dieser Erde unter den Nagel zu reißen? Das sind ja – wie globale Unternehmen und selbstbräunersüchtige amerikanische Präsidenten beweisen – durchaus ambitionierte Vorstellungen im Rahmen einer menschlichen Gesellschaft.
Doch Politiker und Businessgrößen klettern in der aristotelischen Evolution nur eine Treppenstufe höher – sie leben „das Leben eines Tieres“. Dieser Vergleich mag zunächst wundern, denn immerhin verfügt kaum ein heimischer Hamster über ein fettes Bankkonto oder demagogisches Rednertalent. Aber Aristoteles betont, dass Menschen, die Geld und Macht ins Zentrum ihres Lebens stellen, in erster Linie von Gefühlen wie Gier, Angst, Impulsivität und Aggression getrieben sind. Alles keine vegetativen Reflexe, sondern Emotionen. Und Emotionen sind laut Aristoteles (Tierquäler im Jahre 2020 höret und staunet!) der gemeinsame Nenner von Mensch und Tier.
Hängen wir also unsere Karriere als Fondsmanager an den Nagel und suchen nach einem Merkmal, das dem Menschen völlig eigen ist, um daraus abzuleiten, was wir eigentlich so unser Leben lang tun sollen, um endlich chilliges Glück zu erfahren. Die Spannung steigt – was wird es wohl sein? Aristoteles benennt es netterweise konkret:
Die Vernunft
WTF, echt jetzt? Wer sich gerade spontan an den pikierten Tonfall seiner Eltern erinnert („Kind, sei doch vernünftig!“), der sei beruhigt. Denn die altgriechische Vernunft (Nous) hat nichts damit zu tun, jetzt endlich mal blind den gängigen Konventionen zu folgen und seine albernen Träume aufzugeben. Altgriechische Vernunft lässt sich vor allem in den Begriffen Reflexion und Verständnis wiederfinden. Weder meint Aristoteles, wir sollen vorgefertigten Mustern entsprechen, noch durch das Unterdrücken unserer Impulse zu gefühllosen Robotern mutieren. Aber seinen Geist dazu gebrauchen zu können, Dinge und Verhältnisse um sich herum zu beobachten, zu begreifen und zu beurteilen, ist seiner Meinung nach nur dem Menschen zu eigen.
Ein Stück vom chilligen Glück erreichen wir, wenn wir genau dieser Bestimmung folgen und ein Leben leben, dass er bios theoretikos nennt, das „Leben der Betrachtung“. Dieser Begriff weckt zwar Assoziationen zu staubigen Büchern, Nickelbrillen und gähnender Langeweile – meint jedoch etwas ganz anderes. Im Prinzip fordert der alte Aristoteles damit bereits vor über zwei Jahrtausenden zu einem Leben in höchster Individualität auf.
Denn deine ur-menschliche Fähigkeit, Einflüsse in deiner Umgebung wahrzunehmen und sie mit deinen natürlichen Gefühlen in Verbindung zu setzen, bringt dich in die Lage, zu erkennen, was dein ganz persönliches Ergon ist. Schließlich gibt es auf der Welt nicht nur Messer und anderes Besteck mit verschiedenen Funktionen, sondern auch Milliarden unterschiedlicher Menschen mit unterschiedlichen wesensmäßigen Eigenheiten. Manche blühen auf in altruistischem Geben, andere wollen Neues auf Molekularniveau erforschen, manche sind besessen von mathematischen Systemen und andere lieben es, etwas mit den Händen zu produzieren. Wer das Glück
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 04.01.2020
ISBN: 978-3-7487-2530-5
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