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Einleitung

 

Dieses Brevier ist nichts als eine Collage von Originalzitaten aus philo­sophischen Werken Heideggers, nicht etwa aus Briefen oder anderen privatbio­graphischen Dokumenten. Die einzige eigene Zutat besteht aus der Art des Arrange­ments der unverändert wiedergegebenen Belegstellen. Dabei wurden die Passa­gen nicht soweit zerstückelt, daß sich durch Montage jeder beliebige neue Sinn daraus hätte konstruieren lassen. Heideggers berüchtigt dunkle Gedanken sollen durch den neuen Kontext nur bis zu einer Kenntlichkeit entstellt werden, die den wirklichen Sinn nicht durch willkürliche Unterstellungen verfälschen, sondern durch Verfremdung allererst freilegen will.

 

Dieser Kurzreader will die Lektüre der Werke nicht ersetzen, sondern anregen. Keinem der vielen Leser scheint bisher der Gedanke gekommen zu sein, Heideggers umstrittene Sprache einmal ganz ernst und wörtlich zu nehmen, sich seinen Assoziationen bei der Lektüre ganz zwanglos hinzugeben, statt die als esoterisch und gewalttätig verschrieene Dik­tion bewundernd nachzustammeln, höhnisch zu belächeln oder einfach in schul­philosophische Terminologie zu übertragen, um das Ganze leichter lesbar und kritisierbar zu machen. Heidegger-Interpreten werden dann in aller Regel more sophisticated als ihre Vorlage, die ganz zu Unrecht als abschreckend spröde und unverständlich gilt. Wir werden zu beweisen versuchen, daß die Lektüre seiner Werke ein ausgesprochen sinnliches Vergnügen bereiten kann. Man darf nämlich Heidegger durchaus ähnlich lesen, wie Arno Schmidt in „Sitara oder der Weg dorthin" seinen Karl May gelesen hat. Sartre monierte, daß das von seinem Leh­rer beschriebene menschliche Dasein „wie geschlechtslos" aussehe, was der Franzose dann in „Das Sein und das Nichts" (1943) korrigierte.

 

Doch möglicherweise war kein Denker seit Plato vom philosophischen Eros stärker beseelt als die­ser „Ek-sistenzialist", der die Sexualia nie zu den menschlichen „Existenzialien" zählte. Ist die sonderbare Kunstsprache, die Heidegger für seine Seins­lehre eigens erfunden hat, vielleicht auch eine einzige philosophi­sche Chiffrierung geheimer erotischer Phantasien, eine metaphysische Verklei­dung höchst physischer Phantasmagorien, ein ächzender Kompromiß zwischen logischen und skatologischen Bedürfnissen des Autors und seiner Kunden, deren beider Unbewußtes hinter ihrem Rücken miteinander kommuniziert? Ein Teil von Heideggers Faszination könnte auf dem Genuß höherer Pornographie im unverdächtigen Gewande von Philosophie als Feigenblatt beruhen. Die Kabarettisten der späten Zwanzigerjahre müssen das geahnt haben, als sie aus dem „Platzhalter des Nichts" den „Zuhälter des Seins" machten. Heidegger: der dirty old man der Berufsdenkerei, geheimer Liebhaber einer kokett spröden Dame namens Sophie? Oder hier nur Opfer haltloser und abwegiger Projektionen, die mehr vom Satiriker verraten als von seinem seriösen Gegenstand?

 

Zitatsachen aus den "Roten Heften" ?

 

 

Heidegger deutet Hölderlins Gedicht „Andenken" und schreibt: „Denn die Liebe ist der Blick für das Wesen des Geliebten, welcher Blick durch dieses Wesen hindurch in den Wesensgrund der Liebenden blickt. Doch dieser Wesensblick unterscheidet sich vom bloßen Beschauen, das im Genuß eines Anblicks sich er­schöpft. Das Blicken des Geistes der Liebe bleibt nicht am Anblick haften, son­dern heftet sich selbst im Wesen des Geliebten an, um dieses, durch das 'fleißi­ge' Blicken, fest in seinen Grund zurückzustellen. Das anheftende Blicken der Liebe geschieht mit Fleiß, d.h. nicht nur in steter Sorge, sondern 'mit Absicht'. Allein diese Absicht ist nicht die Absicht der Berechnung. Sie entstammt dem Absehen des Wesensblickes auf den Wesensgrund der Liebenden. Dieses Abse­hen heftet alles an den Grund. Das anheftende Denken des Geistes der Liebe ist auch ein Andenken. Die Liebenden denken in das Wesen des Geliebten voraus und müssen doch stets dahin zurückdenken, daß sie selbst sich im zugedachten Wesen halten. Was die Liebe in ihrem Wesensblick erblickt, ist ein Bleibendes. Aber das liebende Erblicken ist kein Stiften. 'Was bleibt aber, stiften die Dich­ter'."

 

Hier wird noch keine Ehe gestiftet, sondern etwas, wir wissen noch nicht was, „im Festen des Ursprungs festgesteckt. Dies heißt: gestiftet. Demnach ist das Stiften das dem Ursprung sich nähernde Bleiben, das bleibt, weil es als der scheue Gang zur Quelle den Ort der Nähe nur schwer verlassen kann ... Das stiftende Wohnen ist das ursprüngliche Wohnen der Erdensöhne, die zugleich die Kinder des Himmels sind". Was ist das für ein „Stiftungsgrund"? „Grund nennt einmal die Tiefe, z.B. den Meeresgrund, den Talgrund, den Wesensgrund." Heidegger nennt den Humanismus: „Humus. Das ist der gewachsene Grund, der schwere, fruchtbare Erdboden ... Grund meint solches, wohin wir hinab-, worauf wir zurückgehen." Im „Humanismusbrief' wird dann Philosophie als Große Möge vorgestellt:

 

„Sich einer 'Sache' oder einer 'Person' in ihrem Wesen annehmen, das heißt: sie lieben: sie mögen. Dieses Mögen bedeutet, ursprünglicher gedacht: das Wesen schenken. Solches Mögen ist das eigentliche Wesen des Vermögens, das nicht nur dieses und jenes leisten, sondern etwas in seiner Her-kunft 'wesen', das heißt sein lassen kann. Das Vermögen des Mögens ist es, 'kraft' dessen etwas eigent­lich zu sein

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 25.04.2017
ISBN: 978-3-7438-0986-4

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