Cover

Danksagung

 

 


Der Autor dankt:


Alfred für den ersten Beta-Test,
Martin für’s Durchsehen,
Neal Stephenson für’s Präsens,
allen Besuchern meiner Lesungen für ihr Kommen,
allen Lesern von SYMBIOSE für die vielen Rückmeldungen
und natürlich Nadine für die omnipotente Inspiration.

Hinweis für gläubige Leser und alle anderen auch

 


Manche Leute glauben, Gott sei tot.

Andere meinen, er solle bloß endlich aufhören zu würfeln.
Wieder andere vermuten, dass sie einfach keinen hinreichend breiten Parkplatz gefunden hat.
Dieser Roman fügt solch absurden Theorien keine weitere hinzu.

 



"Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes" wurde 2011 ausgezeichnet mit dem Deutschen Science Fiction Preis sowie mit dem Kurd-Laßwitz-Preis. Ein Double, das, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, noch nicht einmal dem FC Bayern gelungen ist.

Ursprünglich erschienen im Atlantis-Verlag, dort aber vergriffen, erschien 2019 diese E-Book-Neuausgabe.

 

Prolog


Walpar Tonnraffir landet mit dem Hinterteil auf dem Betonfußboden, gefolgt von einem Regen aus Fensterscherben. Ein Alarm quiekt, eine Durchsage auf Arabisch dröhnt durch die Fabrik, aber Walpar versteht sie nicht. Er setzt diese Tatsache auf die Liste der möglichen Ausreden, für den Fall, dass ihn jemand zur Rede stellt, bevor er seinen Auftrag ausgeführt hat. Es erscheint ihm sinnvoll, eine besonders große Scherbe aus seinem silberweißen Pferdeschwanz zu ziehen, bevor er sich an einer Aluminiumstange hochzieht und einmal in alle Richtungen guckt. Von links kommt ein tonnenförmiger Sicherheitsroboter mit wurfbereiter Angelrute angerollt, von rechts gleich zwei. Vor Walpar befindet sich die Quatling-Dusche, in der ein vibrierendes Gewächs nach dem anderen über ein Förderband durch einen Hochdruckstrahl rollt. Der Strahl stinkt nach Chemie, was eine schlechte Nachricht ist, weil Walpar über mindestens vierzehn ärztlich attestierte Allergien verfügt, zuzüglich zwölf juristisch beglaubigter. Die gute Nachricht ist, dass sich die mutmaßlich unter Starkstrom stehenden Angelschnüre der Roboter schlecht mit dem Strahl und den hindurchrollenden Bäumchen vertragen.

Walpar schwingt seinen durchtrainierten Körper auf das Förderband, stößt einen raschelnden Quatling beiseite und ist sofort pitschnass. Er hat das Gefühl, die Dusche ätzt ihm das Fleisch unter den Fingernägeln weg, während die Dämpfe in seiner Lunge dem Zigarettenteer vom letzten Samstag den Garaus machen. Walpar raucht eigentlich nicht, aber auf jener Party war das die einzige Möglichkeit, um die Nacht nicht allein zu verbringen.

Unzufrieden schiebt Walpar diesen Gedanken und den nächsten Quatling beiseite. Aus dem Augenwinkel sieht er, wie einer der Roboter die Angelschnur wirft. Er duckt sich hinter ein Bäumchen; die Schnur verfängt sich in den Blättern und reißt ein paar von ihnen aus. Der Quatling raschelt schmerzerfüllt. Walpar sieht zu, dass er vorwärtskommt. Das Förderband führt aufwärts, aus dem Waschraum hinaus. Klackernd erklimmen Walpar und die Quatlings die Steigung und erreichen ein vibrierendes Gestell. Greifhaken packen die Gewächse und rupfen sie aus ihren Töpfen. Walpar möchte dieses Schicksal gerne vermeiden und weicht dem Greifer aus. Der schnappt zu, merkt, dass er nichts zwischen den eisernen Kiefern hat, und klappt enttäuscht quietschend wieder auf. Im Kopf rekapituliert Walpar den Lageplan des Geländes, aber ihm fällt auf Anhieb nicht ein, wie es weitergeht. Also schiebt er sich auf einen Sims und lässt den Greifer den nächsten Quatling ausrupfen.

Walpar zieht seinen digitalen Pinguin hervor, der an einer Kette um seinen Hals hängt. Mit nervösen Fingerspitzen ruft er die Blaupause der Fabrik auf und erinnert sich daran, dass jetzt die Sache mit dem Über-dem-Abgrund-Baumeln kommt. Der Pinguin verschwindet wieder unter dem Hemd. Walpar zuckt mit den Schultern, klammert sich an den nächsten Quatling und hängt kurze Zeit später über dem Nichts. Das Problem ist nicht die Höhe von zehn Metern, sondern die Tatsache, dass die Quatlinge hier so lange durchgeschüttelt werden, bis alle Blätter abgefallen sind. Der Greifer, an dem Walpars Bäumchen hängt, tut sein Bestes, aber die Last ist zu schwer. Trotzdem gehen Walpar die Vibrationen langsam auf die Nerven. Außerdem erinnert ihn ein anschwellendes Rumoren daran, dass die entlaubten Bäume am anderen Ende des Abgrundes in einer ziemlich rustikalen Maschine landen, in der sie zu Presspappe für Billigmöbel weiterverarbeitet werden.

Walpar fällt ein, dass er unbedingt einen neuen Schlafzimmerschrank benötigt – diesmal endlich einen mit Spiegel –, und lässt sich fallen.

In den Sekunden bis zur Landung zieht sein Leben an ihm vorbei, komischerweise aber nur die letzten 60 Minuten.

 


Eine Stunde zuvor, ein Stück weit außerhalb der Erdatmosphäre
 


Walpar Tonnraffir hält den Kosmojaguar seines Auftraggebers für reine Rumprotzerei. Der Fahrgastraum ist mit künstlichem Leopardenfell ausgekleidet, das so echt aussieht, dass man das eingenähte Herstellerschildchen für eine Laune der Natur halten möchte. Und dann das Tempo! Im Weltall hat der Körper keine Anhaltspunkte für halsbrecherische Geschwindigkeit. Daher hat der Hersteller es für nötig gehalten, ein Display unter der Decke zu montieren, das die aktuelle Geschwindigkeit auf drei Stellen nach dem Komma anzeigt.

Walpar wendet seinen Blick von der ziemlich übertrieben wirkenden Zahl ab und beobachtet seinen Auftraggeber, der gerade ein Glas Sekt zu seinen Lippen führt.

Harkai van Hesling trägt ein Sakko, dessen Schneider nach Feierabend mit ähnlich teuren Fahrzeugen nach Hause düst wie seine Kunden. Im Gegensatz zu ihm trägt van Hesling unter dem Sakko aber kein Markenhemd, sondern ein verwaschenes T-Shirt, dessen Farbe zwischen graurot und rotgrau schwankt, je nach Einfallswinkel der Beleuchtung. Ein kaum zu entziffernder Schriftzug mit vielen Haken und Zacken legt die Vermutung nahe, dass es sich um den Namen einer prästellaren Rockband von erheblicher Berühmtheit handelt. Ansonsten würde van Hesling es nicht tragen, denn er sammelt wertvollen Krempel aus der Ära, in der die Menschen zwar schon von den Bäumen geklettert waren, aber andere Planeten nur in bunten Filmen eroberten.

Ein unsichtbarer Dinosaurier setzt sich auf Walpar Tonnraffirs Bauch. Das Display unter der Decke zählt eine Art hyperaktiven Countdown und wirft implizit die Frage auf, wie viel g Bremsbeschleunigung ein durchschnittlicher Privatdetektiv aushält.

In van Heslings Gesicht verursacht das Manöver nicht mehr als ein mitleidiges Lächeln.

»Sie haben das Ziel erreicht«, sagt die körperlose Stimme des Navis, als der Dinosaurier sich mühevoll erhebt, um nach anderen Sitzgelegenheiten Ausschau zu halten.

»Beeindruckende Bremsraketen«, bringt Walpar heraus.

Van Hesling wischt sich eine imaginäre Saurierschuppe vom Revers. »Das ist das Raumschiff meiner Frau Arwen«, entgegnet er, als würde das irgendetwas erklären.

Walpar späht aus dem schmalen Fenster, bis sein Blick an einem länglichen Gebilde hängen bleibt. »Ist das da draußen ein Sechs-Sterne-Hotel?«

»Ja«, bestätigt van Hesling, »aber Ihr Einsatzort liegt auf der anderen Seite.« Er zeigt auf ein unförmiges Gebilde, das wie ein bombardiertes Parkhaus aussieht, bloß mit sich windenden Palmen statt Autos. »Dies ist die Quatling-Entsaftungsanlage der Costello-Holding. Sie arbeitet vollautomatisch und höchst effizient.«

»Ist die Herstellung von Quatling-Saft nicht verboten?«

»Überall auf Erde und Mars«, bestätigt van Hesling. »Jedoch steht im Pachtvertrag dieses Grundstücks, es befinde sich auf Merkur.«

»Ich dachte, dies sei die omanische Wüste.«

»Nicht nach Ansicht von Costellos Anwälten.« Van Hesling grinst, weil seine eigenen Anwälte Typen mit ähnlichem Humor sind. »Costello hat, wie ich bereits eingangs erwähnte, eines meiner wertvollsten Sammelstücke entführt. Da er als Lösegeld fordert, dass mein Sohn seine überaus einfältige Tochter ehelicht, ist es erforderlich, dass Sie das Objekt anderweitig zurückholen.«

»Und es befindet sich in dieser Anlage«, schlussfolgert Walpar. Er findet es erfreulich, dass ein Geldsack wie van Hesling Rücksicht auf die Interessen seines Sohnes nimmt. Vielleicht steckt in Milliardären doch mehr An- als Kontostand.

»Sie werden sich einschleichen und den Gegenstand hierher schaffen.« Van Hesling nimmt seine goldene Armbanduhr ab und reicht sie Walpar.

Der schluckt, dann murmelt er: »Normalerweise erfolgt die Bezahlung erst nach Erledigung …«

»Die Uhr«, fährt van Hesling dazwischen, »verfügt über einen Sensor für die Nanochips, mit denen meine Sammelstücke ausgestattet sind. Der Beamer in der Uhr wird die Katalognummer projizieren, sobald das Stück in unmittelbarer Nähe ist.«

»Ver… …vernünftig«, stottert Walpar.

Augenblicke später kniet er über einem schmalen Kellerfenster und hofft, die Uhr seines Auftraggebers nicht allzu sehr zu verkratzen, wenn er sich hindurchstürzt.

 


Jetzt, irgendwo in der omanischen Wüste
 


Walpar landet in Bergen frisch abgeschüttelter Quatling-Blätter. Er hält die Luft an, weil das Zeug schon in diesem Zustand gefährliche Wirkung auf den Geisteszustand haben kann, wühlt sich nach oben und hinaus aus dem grünen Haufen.

Der Weg ist angenehm weich, und Walpar findet, er sollte die Schuhe ausziehen, um die filigranen Blätter nicht zu beschädigen. Andererseits könnten seine Socken dem Duft der Blätter eine unpassende Note hinzufügen, deshalb behält er seine Jettik-Turnschuhe erst mal an den Füßen.

Inzwischen berührt er die Blätter ohnehin nicht mehr, weil er einige Zentimeter über ihnen schwebt, was für einen Weltraumdetektiv genaugenommen ein angemessener Zustand ist.

Nach mehreren Äonen, in denen Walpar die Schöpfung zweier Subuniversen durchdacht hat, von denen mindestens eines auf einer genialen Grundidee beruht, die ihm bestimmt gleich wieder einfällt, erreicht er den Rand des Laubhaufens. Zwischen drei orangen Mini-Baggern, die die Quatlingblätter in rote Kipploren verladen, steht ein grauhaariger Mann im Anzug und lächelt.

Walpar lächelt zurück. Dann sieht er die Maschinenpistole in der Hand des Mannes und ist schlagartig nüchtern. Er hebt die Hände in die Höhe.

»Guten Tag, Mister Tonnraffir«, sagt der Mann. »Willkommen in meiner Quatling-Entsaftungsanlage. Leider ist der Zutritt für Diebe verboten.«

»Sie sind bestimmt der berühmte Signore Mario Costello«, bringt Walpar hervor. »Ihr Alarmsystem hat mich offenbar falsch identifiziert. Mein Name ist … Smith.«

»Sie wollen mich verarschen«, nickt Costello gemütlich. »Sie sind der Privatdetektiv aus dieser beschissenen Reality-Soap vom Mars. Ich habe eine Flasche Champagner aufgemacht, als man Ihre Sendung endlich abgesetzt hat.«

»Haha«, macht Walpar und schielt zu seinem digitalen Pinguin, der ihm um den Hals baumelt. Er muss beim Fallen aus seinem Hemd gerutscht sein.

Costello zeigt nach links. »Bitte treten Sie doch dort hinüber. Ich möchte nicht in die Verlegenheit geraten, meine wertvollen Blätter mit marsianischem Blut zu verunreinigen.«

Mit halb erhobenen Händen schreitet Walpar in die gewünschte Richtung. Als er sich genau zwischen Costello und einem der Bagger befindet, ertönt plötzlich die schrille Stimme des Pinguins: »Die Waffe ist ja noch gesichert!«

Mario Costello ist von der alten Schule. Hätte ein Mensch diesen Satz ausgerufen, hätte er nur mitleidig gelächelt, aber einer Maschine traut er keine Lüge zu. Er sieht nach unten.

Dieser Augenblick genügt Walpar. Er springt, greift sich den Ausleger des Baggers und zieht. Mit schrillem Alarm verliert das orangene Gefährt das Gleichgewicht. Der Greifer platscht seinen riesigen Haufen Quatlingblätter in das Gesicht seines Herrn und Meisters.

Mit einem Jauchzen sprintet Walpar los, streichelt seinen Pinguin und erwischt offenbar das falsche Programm. »Dein persönlicher Stilberater ist jetzt aktiviert«, sagt der Pinguin.

Walpar hat allerdings keine Zeit, seinen Fehler zu korrigieren. Er springt in die vorderste Kipplore, landet in einem Blätterhaufen und setzt das Fahrzeug durch seinen Schwung in Bewegung. Die Lore rollt vorwärts, dann um eine Ecke. Während Mario Costello anfängt, sich glücklich mit imaginären grünen Männchen zu unterhalten, befährt die Lore mit Walpar Tonnraffir ein Gefälle und nimmt Fahrt auf.

»Ich empfehle jetzt dringend das Tragen eines braunen Schlapphuts«, sagt der Stilberater nachdrücklich.

»Wenn ich doch bloß einen dabeihätte«, kreischt Walpar, der den Kopf über den vorderen Rand der Lore streckt, weil er dort nicht die Dämpfe der Blätter einatmen muss. Verkrampft klammern sich Walpars Finger an die Kante der Lore. Der Stilberater stellt fest, dass Walpar dringend eine Maniküre braucht. Die Schienen führen inzwischen in Richtung eines großen Kessels. Walpar weiß, dass sich eine Zentrifuge darin befindet, die den Blättern ihren Saft entzieht. Der Detektiv möchte seine eigenen Säfte gerne behalten und hält Ausschau nach einer Weiche. Dergleichen gibt es hier jedoch nicht, bloß eine scharfe Kurve. Die rote Kipplore transportiert normalerweise nur ein paar Kilo Blätter, keine siebzig Kilo Mensch. Sie wird aus der Kurve fliegen und Walpar gegen die Wand dahinter.

»Aus dem Weg!«, schreit Walpar, aber die Wand ignoriert ihn. Die Räder quietschen, die Achsen knirschen, die Lore kippt. Walpar rollt sich zu einer Kugel zusammen, wünscht sich, er würde wirklich einen Hut tragen, möglichst einen aus Stahl. Dann fliegt er durch die Wand, die vermutlich aus derselben Pappe gemacht ist wie sein Traumkleiderschrank.

Er landet auf einem glitschigen Steg und merkt gerade noch, dass er mit jemandem zusammenstößt. Die Person verliert das Gleichgewicht und fällt mit einem überaus weiblichen Kreischen in den Tank mit frischem Quatlingsaft.

»War keine Absicht«, bekundet Walpar, rappelt sich hoch und eilt den Steg entlang. Aus dem Augenwinkel sieht er einen Kopf auftauchen, der ihm feuchte Flüche hinterherschleudert. »Hinter der Tür rechts«, empfiehlt der Pinguin, »bitte die Füße abtreten.«

Schon zielt eine Giftarmbrust-Selbstschussanlage auf Walpar, aber der weicht dem Geschoss mit einem Hechtsprung aus, rollt sich durch die Tür auf der rechten Seite.

Es ist still, abgesehen von dem Keuchen aus Walpars Kehle, als er sich aufrappelt. Schummriges Licht erfüllt den Raum, dessen Wände mit Filmpostern tapeziert sind. Wenn Walpar sich umdrehen würde, sähe er ein gähnendes Loch mitten in Godzillas Bauch. Aber er dreht sich nicht um, denn er ist am Ziel. Langsam schleicht er zwischen den Vitrinen umher, als wolle er all die Kleinode nicht wecken, die in ihnen ausgestellt sind. Hier liegt die Filmklappe von Jurassic Park, dort das Bein eines Stuhles, in dem laut Beschriftung einmal Arnold Schwarzenegger gesessen haben soll. Die nächste Vitrine enthält die Erstauflage aller Mark-Brandis-Bände, mit leicht vergilbten Seiten, aufgebahrt unter Stickstoffatmosphäre, einbalsamiert für die Unendlichkeit.

In der Mitte des Raumes steht unter einem sanften Lichtkegel ein lebensgroßes Plastikmodell von Darth Vader. In der linken Armbeuge trägt es ein in roten Samt gewickeltes Paket, als wäre es ein Baby.

Walpars Blick ruht auf dem Lichtschwert, das der Filmbösewicht in der rechten Hand hält, als er sich vorsichtig mit der Armbanduhr seines Auftraggebers nähert.

»Katalognummer 6472«, schnarrt die Uhr. »Status: Gestohlen.«

Walpars Herz macht einen Hüpfer. »Von Costello, diesem versoffenen Spaghettifresser«, ergänzt die Uhr.

»Ja, ja«, murmelt Walpar und greift nach dem samtenen Päckchen. »Du hast doch nichts dagegen?«, fragt er Darth Vader.

»Er nicht, aber ich!«, ruft eine wohlbekannte Spaghettifresserstimme. Walpar tritt den Rückzug an.

»Dir werd ich’s zeigen«, heult Costello, ist in ein, zwei Sätzen bei Darth Vader und entreißt ihm das Lichtschwert. Mit einem Flackern erwacht es zum Leben. Gleißendes Rosa verheißt nichts Gutes.

»Warten Sie einen Moment«, sagt Walpar und hebt abwehrend die Hand, während er die andere auf die Türklinke des Ausgangs legt.

»Worauf?«, knirscht Costello und nähert sich drohend mit dem Lichtschwert, das summt wie ein schlecht gelaunter Wespenschwarm.

»Äh …«, macht Walpar und improvisiert drauflos, »darauf, dass ich unangefochten Ihr Privatmuseum verlasse? Ich will Ihnen nämlich nicht weiter zur Last fallen.«

»Ein hellblaues Lichtschwert wäre jetzt angebracht«, erklärt Walpars Pinguin. Der Detektiv greift intuitiv in das nächste Regal. Allerdings erbeutet er kein Lichtschwert, sondern nur eine hellgrüne Wasserpistole.

»Halt oder ich schieße!«, ruft Walpar und richtet die Wasserpistole auf Costello.

»Armseliger Wicht«, grunzt der zurück und hebt das Lichtschwert.

»Ich habe Sie gewarnt«, zuckt Walpar die Schultern und drückt ab. Ein dünner Wasserstrahl trifft die rosa gleißende Klinge. Sie blitzt, zischt, knattert. Ein furchtbarer Kurzschluss fährt durch das Schwert, reißt seinen Träger von den Beinen. Der Geruch von Ozon breitet sich aus.

»Siehste«, macht Walpar und reißt die Tür auf, bevor Costello wieder aufstehen kann, der zu Füßen von Darth Vader liegt, als hätte ihn gerade die dunkle Seite der Macht niedergestreckt.

Sekunden später ist der Detektiv draußen. Im Laufschritt durchquert er einen Streifen Wüste, zieht eine wallende Staubwolke hinter sich her. Er sieht in einiger Entfernung van Heslings Sternenjaguar.

Der Besitzer steht davor, lehnt grinsend an der blitzenden Metallkarosserie. Als er sieht, was Walpar in der Hand hält, verbreitert sich sein Grinsen.

Atemlos fällt der Detektiv in langsamen Trab, schaut über die Schulter zurück. Aber es gibt keine Verfolger, nur das leise Rascheln und Quietschen der Quatlinge.

»Auftrag ausgeführt«, sagt Walpar und überreicht van Hesling das Samtpäckchen.

»Ich wusste, dass Sie der richtige für den Job sind«, erklärt der Sammler und umarmt das Objekt seiner Begierde. Er streichelt das Päckchen, nur das »Eideidei, bistu wieder bei Papa« verkneift er sich.

»Ähm«, macht Walpar und zeigt auf das gerettete Objekt.

»Sie möchten wissen, was es ist?« Van Hesling lächelt glücklich, als hätte er gerade ein Bad in Quatlingsaft genommen. »Ein äußerst seltenes Stück.« Langsam und vorsichtig öffnet er die Verpackung.

Zum Vorschein kommt eine DVD-Box der Zeichentrickserie »Captain Future«.

»Das ist Box Nummer Drei, die nie gesendete Folgen enthält. Sie ist mehr wert als Ihr Gewicht in Gold«, betont van Hesling. Dann sieht er Walpar an, als wolle er ihn adoptieren. »Darf ich Sie zum Abendessen einladen? Ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Sohn kennenlernen würden.«

Walpar schluckt, dann nickt er verkniffen. Er kann nicht behaupten, dass er keinen Hunger hat. Genaugenommen knurrt ihm der Magen. Also willigt er ein. Van Heslings Sprößling wird er schon irgendwie abwimmeln. Zur Not übertreibt er maßlos bei der Wiedergabe seiner Erlebnisse. Das hat bisher immer geholfen.

1   Olympus-Freizeitpark, Mars

 
Walpar Tonnraffir vergnügt sich gerade im Magen eines Tyrannosaurus, als sein Pinguin klingelt. Vergnügen? Ja sicher, immerhin ist es die größte und nebenbei bemerkt teuerste Attraktion des Olympus-Freizeitparks, sich von einem geklonten Dinosaurier verschlucken zu lassen.

Walpar zieht seinen Pinguin aus der Hosentasche, verliert das Gleichgewicht, als der Dino einen unerwarteten Spaziergang beginnt, fährt instinktiv die stützende Hand aus, rutscht an der glitschigen Magenschleimhaut ab und platscht der Länge nach in den Verdauungssaft.

Der Pinguin klingelt immer noch. Walpar wischt sich Schleim aus dem Ohr und hält sich das Mobiltelefon ans Ohr.

»Jaapf?«, spuckt er.

»Ich bin’s, Nera.«

»Oh«, macht Walpar und kommt auf die Knie. »Das … das ist gerade wirklich ungünstig, Schwiegermama.«

»Wo bist du?«

»Ich bin gerade in einem, äh …« Walpar hält sich an der schwankenden Magenwand fest.

»Walpar!«

»Äh, nicht was du denkst. Nur das Übliche. Geheime Mission.«

»Du darfst nicht drüber sprechen?« Nera klingt nicht so, als würde sie Walpar ernst nehmen. Meistens bemüht sie sich wenigstens, diesmal nicht. So was merkt man sofort.

»Genau, äh …« In diesem Moment öffnet sich der Magenausgang, und Walpar kommt ins Rutschen. »Ich … ah, ich rufe zurück, dringende … äh, Geschäfte.«

Walpar schafft es gerade noch, dem Pinguin auf den Schnabel zu drücken, um das Gespräch zu beenden. Dann flutscht er durch den Darm des Dinosauriers und landet kurz darauf mit dem Hinterteil auf dem staubigen Boden.

»Boah, krasser Spaß, was?«, ruft sein Neffe Kerbil und hüpft auf und ab. »Du warst ja lange drin! Ich will nochmal, du auch?«

»Ich … äh, nee, ich muss dringend telefonieren …« Walpar begutachtet traurig seine verschleimte Kleidung. Glücklicherweise handelt es sich bei dem Magensaft des Dinos um eine spezielle Substanz, die sich beim Kontakt mit Luft sofort verflüchtigt. Die Macher des Freizeitparks haben an alles gedacht.

Sogar an einen Rabatt für einen zweiten Durchgang.

»Rrrrr«, macht der Tyrannosaurus und zwinkert Walpar und seinem Neffen zu.

»Bitte friss ihn, nicht mich«, sagt Walpar und zeigt auf Kerbil.

»Ja, friss mich, schluck mich runter, ja!« Kerbil hüpft dem Saurier förmlich ins Maul.

»Bitte die Abbuchung von 3,99 statt 4,99 für eine Person bestätigen«, sagt die elektronische Geldbörse in Walpars Pinguin. Der streichelt dem Pinguin die Brust, sein Fingerabdruck wird erkannt und die Transaktion durchgeführt. »Der Olympus-Park sagt Danke und weist auf die besonders günstigen Geschenkabonnements hin«, flötet der Pinguin.

Der Tyrannosaurus grunzt und klemmt sich Kerbil zwischen die Zähne. Die sehen zwar furchteinflößend aus, verursachen aber keinen einzigen Kratzer, weil sie aus einem speziellen Patentgummi gemacht sind, dessen exakte Bezeichnung bei Werkstoffwissenschaftlern feuchte Träume auslöst.

Kerbil jauchzt, als der Dino ihn mit dem Maul in die Luft wirft, mit dem Kopf voran auffängt und den Rachen hinuntergleiten lässt. Das Jauchzen wird deutlich leiser.

»Mama, ich will auch!«, kreischt ein Mädchen mit goldener Mangafrisur, das plötzlich neben Walpar aufgetaucht ist.

Die zugehörige Mutter geht das Risiko ein, dem Kind den Arm auszureißen, als sie versucht, es vor dem Dino zu retten. »Du wirst auf keinen Fall, ich wiederhole, auf gar keinen Fall«, donnert die Frau, »mit einem fremden Jungen spielen, und erst recht nicht in einem Sauriermagen, wo niemand sieht, was ihr tut. Und Sie …« Sie stößt Walpar den Zeigefinger zwischen die Lungenflügel. Walpar schaut sich kurz um, aber der Finger ist wider Erwarten nicht hinten wieder rausgekommen. »Sie! Schauen Sie mich gefälligst an, wenn ich Sie beschimpfe!«

»Ja, aber …«, bringt Walpar hervor. Es ist immer dasselbe. Mit Frauen kommt er einfach nicht klar. Meistens kommt er nicht einmal zu Wort.

»Sie verleiten meine Tochter gefälligst nicht zu schmutzigen Spielchen mit Ihrem Sohn! Meine Henriette wird mal eine anständige Frau, und damit kann man gar nicht früh genug anfangen!«

»Er ist nur mein Neffe. Und ich wollte gerade telefonieren«, sagt Walpar schwach.

»Als wenn das etwas ändern würde! Ich will auch ständig telefonieren, aber man kommt heutzutage einfach zu nichts! Ständig muss man aufpassen, dass einem das Kind nicht verdorben wird von irgendwelchen dahergelaufenen …« Sie gestikuliert vage.

»Fernsehdetektiven«, hilft Walpar.

Die Frau richtet ihre Frisur und sieht sich nach allen Seiten um. »Wo ist die Kamera?«

Walpar schüttelt den Kopf. »Meine Serie wurde vor einigen Monaten abgesetzt. Ich arbeite jetzt unabhängig. Falls Sie mal jemanden brauchen, der Nachforschungen für Sie anstellt …«

»Henriette!« Die Frau kreischt und stürzt zu ihrer Tochter, die gerade damit beschäftigt ist, etwas auf den Unterschenkel des Dinos zu malen. »Nein! Nicht! Das ist bäh! Was hab ich dir gesagt?« Sie reißt dem Mädchen den Filzstift aus der Hand. »Schreiben ist bäh, das machen nur Intellektuellbähs und Managerbähs! Hier, nimm deine Tablette!«

»Aber das Kind wollte den Dino doch bestimmt nur taggen«, beschwichtigt Walpar und tritt näher. Als Quittung kriegt er wieder den stählernen Zeigefinger in die Lunge. »Nur taggen! Damit fängt es an!«, heult Henriettes Mutter. Ihr faltiges Gesicht ist angstverzerrt, hektisch kramt sie in ihrer Handtasche, die an einen mumifizierten Panda erinnert. »Wo … wo …? Nur taggen! Erst malen sie ihr Tag überallhin …« Sie kramt weiter. Walpar bekommt wieder Luft und entgegnet: »Kinder hinterlassen überall ihre Zeichen. Es heißt so viel wie: Ich war hier! Sehen Sie doch, der ganze Schenkel des Dinos ist voll von …«

»Ah!« Die Frau ist erleichtert, hält eine geblümte Pillendose in der Hand und hantiert hektisch am Öffnungsmechanismus, der offenbar einen Fin­ger­ab­druck­scan erfordert. »Erst malen sie ihre Tags überallhin, und ehe man sich’s versieht, studieren sie, und was die ganzen jungen Leute an der Uni den ganzen Tag machen, dürfte wohl bekannt sein …« Sie schluckt zwei kugelige Pillen, ächzt und atmet tief durch. »Henriette! Hier, dein Sedativum. Sei brav! Ja.«

Sie verabreicht ihrer Tochter eine Tablette. »Wenn die nicht hilft, hab ich auch noch irgendwo deine Zäpfchen. Merkst du schon was? Ja?« Das Mädchen nickt artig, seine Mutter sackt erleichtert in sich zusammen und vergräbt einen Moment lang die Augen hinter der vierfach beringten linken Hand. Henriette spuckt die Tablette Richtung Dino und zwinkert Walpar zu.

»Juhu!«, kommt Kerbil angehüpft und zupft Walpar an der Jacke. »Das war toll!«

Henriette streckt die Zunge raus.

»Seit wann sprichst du mit Frauen?«, fragt Kerbil und zeigt auf Henriettes Mutter. »Kauf mir eine Zimt-Cola!«

»Ich will auch eine, Mama!«, ruft Henriette. Sie hat schon wieder vergessen, dass sie eigentlich gerade ein Sedativum genommen hat.

»Henriette!« Gehauchte Enttäuschung, die im Ohr eines Kindes zu jahrzehntelangen Depressionen führt. Es sei denn, man nimmt die passenden Medikamente.

»Wir wollten gerade …«, Walpar sieht sich verzweifelt um, »ins Kursfeuerwerk.«

»Och, das ist langweilig«, sagt Henriette und entlockt ihrer Mutter ein Lächeln von der Dauer eines Werbespots.

»Find ich auch«, mault Kerbil, schiebt sich drei Zentimeter in Richtung des Mädchens, und schon ist der Werbespot zu Ende.

»Nicht näher!«, keift die Mutter, sprüht Gift und Galle aus ihren schwarzen Augen in Richtung des unaufmerksamen Erziehungsberechtigten, rauft sich die langen, dunklen Haare: »Halten Sie Ihre Virenschleuder zurück, Herr Detektiv. Jungen wie dieser wirken auf eine Handspanne ansteckend!«

»Soweit ich weiß, ist Kerbil vollkommen gesund«, erklärt Walpar.

»Das kann man nie wissen«, behauptet die Frau. »Schließlich … schließlich sind Viren so klein, dass man sie nicht sehen kann. Und sie verursachen fürchterliche Krankheiten. Die Pest und so.«

»Nicht die Pest«, schüttelt Walpar den Kopf. Allmählich klingelt sein Plausibilitätsalarm. Die Frau hätte längst das Weite suchen können, passend zu der Abneigung, die sie die ganze Zeit äußert. Jetzt lässt sie sogar zu, dass Henriette und Kerbil gemeinsam hinter ihrem Rücken kichern.

»Vielleicht habe ich wirklich Nachforschungen anzustellen«, sagt die Frau und schaut starr an Walpar vorbei.

»Hat sie nicht«, sagt Walpars Plausibilitätsalarm. »Sie ist alleinerziehend und sucht einen Mann mit Intelligenzquotient über Zimmertemperatur.«

Egal ob das stimmt oder nicht: Kerbil braucht dringend eine Zimt-Cola, und es wird dringend Zeit für die nächste Attraktion des Parks. Der Junge wirft Henriette schon Luftküsschen zu. Das geht jetzt auch Walpar zu weit. »Komm, Kerbil«, sagt er. »Vielleicht sehen wir Henriette nachher auf einem Karussell.«

»Aber«, beginnt die Frau und erbleicht. Vermutlich hat schon lange kein Mann sie einfach so stehen gelassen, oder sie hat wirklich einen lukrativen Auftrag, den Walpar genaugenommen gut gebrauchen könnte.

»Henriette ist ein total doofer Name«, sagt Kerbil und trottet mit Walpar Richtung Kursfeuerwerk.

Die beiden drehen sich nicht um, als der Dino unanständig und lautstark rülpst.

Das Kursfeuerwerk ist eine mittelgroße Halle, in der unglaublich viele bunt leuchtende und blinkende Knöpfe auf unüberschaubar vielen Konsolen angebracht sind. Das Tolle ist, dass man jeden dieser Knöpfe drücken kann. Und immer passiert irgendetwas: Manchmal geht irgendwo ein Licht an, ein fröhliches Summen ertönt, oder einer der an die Deckenkuppel projizierten Aktienkurse bricht kräftig nach oben oder unten aus.

Kerbil hat innerhalb von Sekunden zig Knöpfe gedrückt und seine leuchtenden Augen huschen umher wie Wachteleier in der Mikrowelle. Walpar hält seinen Neffen sanft davon ab, einen anderen Jungen von einem besonders schnell blinkenden Knopf wegzustoßen, um ihn selbst drücken zu können.

»Schau mal, Kerbil«, sagt Walpar und dreht den Kopf seines Neffen mit beiden Händen in die richtige Richtung. »Siehst du die hellblaue Zackenlinie da oben?« Kerbil nickt heftig.

»Das«, erklärt Walpar, »ist der Aktienkurs von GreenMarsTV, meinem alten Fernsehsender. Ich besitze noch einige Papiere von dem Laden. Versuch bitte, die Linie so weit wie möglich nach oben zu schießen, ja?«

»Kein Problem!«, ruft Kerbil und hält Ausschau nach dem zugehörigen Knopf. Da keiner beschriftet ist und alle ständig die Farben und Funktion wechseln, gibt es keinen Hinweis, welcher der richtige ist.

»Viel Spaß«, sagt Walpar. »Ich gehe mal kurz vor die Tür und telefoniere mit Tante Nera, in Ordnung?«

»Sag ihr, sie hat doofe Ohren«, kichert Kerbil, dann widmet er sich den bunten Knöpfen.

Kopfschüttelnd geht Walpar zur Tür. »Das sag ich ihr lieber nicht«, murmelt er zu sich selbst. Dann steht er draußen und hält sich den Pinguin ans Ohr. »Nera anrufen!«, befiehlt er.

Nera ist die Mutter von Walpars Exfreund Tilko. Der Detektiv nennt sie immer noch Schwiegermutter, obwohl er nie mit Tilko verheiratet war und sie ihm nie Socken oder Krawatten zu Weihnachten geschenkt hat, sondern meistens Haarbänder und Zopfklammern. Walpar trägt die Haare silbergrau gengefärbt und mit schlappem Pferdeschwanz, seit die Styling-KI des Senders das bestmögliche Outfit eines schwulen Weltraumdetektivs mit halbem Ohr berechnet hat. Der Rest des Ohrs fehlt Walpar, weil er in seiner Jugend in einer Band spielte und ein gewisser Thor es ihm im Eifer des Gefechts mit dem E-Didgeridoo abriss.

Nera ist der Meinung, dass die Trennung von Tilko und Walpar nichts anderes als ein bedauerliches Missverständnis ist, das sich leicht aus der Welt schaffen lässt, wenn man nur will. Walpar hat den Verdacht, dass sie ihn mag, weil sie gerne eine Tochter gehabt hätte. Solange sie nicht versucht, mit ihm Klamotten einkaufen zu gehen, kommt Walpar gut damit klar. Die familiäre Beziehung erleichtert auch die Sache mit Kerbil. Um den kümmern sich Walpar und Nera abwechselnd, während seine Eltern (Walpars Schwester Aether und ihr Mann Aigo) eine mehrmonatige Kreuzfahrt auf dem Jupitermond Europa unternehmen. Für die haben sie ihr ganzes Leben gespart. Bloß das Ticket für Kerbil war nicht eingeplant, genauso wenig wie der Junge selbst.

Walpar ist dankbar, dass Nera sich um Kerbil kümmert, während er seiner Arbeit nachgeht. Bisher scheint sie auch noch nicht zu versuchen, Kerbil zu ihrer Tochter zu erziehen, also gibt es keinen Grund zur Klage. Aber jetzt könnte sie allmählich mal ans Telefon gehen.

»Walpar«, ertönt Neras Stimme endlich aus dem Schnabel des Pinguins, »ich warte die ganze Zeit auf deinen Rückruf!«

Der Vorwurf kitzelt Walpar im Ohr und er wechselt den Pinguin in die linke Hand. »Sag mal«, fragt er, »hast du ein Abo für den überlichtschnellen Tarif?«

»Du bist auf dem Mars und ich auf der Erde. Musst du ein paar Minuten auf jede meiner Antworten warten?«

»Nein.«

»Weil ich keine Lust dazu habe und den überlichtschnellen Tarif bevorzuge«, erklärt Nera, als hätte sie gerade einen Wettbewerb für Schlagfertigkeit gewonnen.

»Ist der nicht verdammt teuer?«

»Überhaupt nicht«, behauptet Nera, »wenn man so wie ich einen dieser neuen Billigverträge abschließt.«

»Hat der keine Haken?«, fragt Walpar misstrauisch.

Es entsteht eine Pause, die aber immer noch kürzer ist als die Verzögerungen, die konventionelle Funkwellen auf den paar hundert Millionen Kilometern Entfernung zwischen Erde und Mars erleiden würden.

»Lass uns über etwas anderes reden«, sagt Nera. Der Überlicht-Funk erlaubt keine perfekte Übertragung von Stimmen, aber Walpar hört genau, wie Nera sich vornimmt, die genauen Vertragsbedingungen nochmal zu studieren.

»Was gibt’s denn?«

»Wie geht’s Kerbil?«

Walpar dreht den Kopf und schaut hinein ins Kursfeuerwerk. Er sieht hauptsächlich Blinken und Schatten, aber einer der Schemen hat genau den Umriss eines Kerbils, der ziemlich viel Spaß hat. »Er macht mich reich«, sagt Walpar.

»Lässt du ihn für dich Mau-Mau spielen?«

»So was in der Art«, grinst Walpar und zupft an seinem Ohrläppchenrest.

»Tilko ist verschwunden.«

Walpar braucht einen Moment, bis er reagiert. Zuerst will er antworten: »Und was geht mich das an?« Dann fällt ihm ein, dass er Weltraumdetektiv ist und es sein Job ist, nach verschwundenen Personen zu suchen. Bevor er eine entsprechende Antwort in den Pinguin spricht, kommt er zum Glück darauf, dass Tilko Neras Sohn ist und sie sich vermutlich fürchterliche Sorgen um ihn macht, wenn er sich länger als ein paar Minuten nicht zu Hause meldet. »Dem geht’s bestimmt gut«, sagt Walpar und hofft, dass die überlichtschnelle Übertragung die Gehässigkeit herausfiltert, die er selbst gerade wahrgenommen hat.

»Und wenn nicht? Das kann dir nicht egal sein!«

»Wie lange hat er sich nicht gemeldet?«

»Mehr als zwei Tage.«

»Und da machst du dir Sorgen?«

»Ja«, schnappt Nera, »ich hatte nämlich gestern Geburtstag und da ruft er immer an.«

Walpar schluckt. Er hat auch nicht angerufen. Wenn ihm sein Leben lieb ist, muss er jetzt feinfühlig sein. Zu dumm, dass das nicht gerade sein Spezialgebiet ist. In anderen Disziplinen ist er viel besser. In Gehässigkeit zum Beispiel.

Ausgerechnet jetzt kommt Henriettes Mutter um die Ecke. Von ihrer Tochter ist

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Uwe Post
Cover: Si-yü Steuber
Tag der Veröffentlichung: 21.03.2019
ISBN: 978-3-7438-9998-8

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