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Angst vor der Dunkelheit

Angst ist ein sehr mächtiges Gefühl, besonders wenn es mit gewissen Gegebenheiten oder anderem in Verbindung gebracht werden kann. So erging es mir. In meiner Kindheit, ich war gerade 14 Jahre alt, passierte etwas Schlimmes.

 

Meine Eltern und ich waren nachts auf dem Rückweg aus dem Urlaub. Wir gerieten in einen schweren Unfall, verursacht durch einen betrunkenen Autofahrer. Dieser fuhr mit überhöhtem Tempo und drängte uns in einer Kurve, bei einem waghalsigen Überholmanöver von der Straße ab und unser Wagen landete, nachdem er sich überschlagen hatte, krachend im Graben, während er mit unverminderten Tempo einfach in der Nacht verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.

 

Benommen blickte ich hoch um zu sehen wie es aussah. Mein Schädel brummte und mein linker Arm schmerzte wie wild. Vorsichtig hob ich den Kopf und blickte zu meinen Eltern, beide hingen bewusstlos in ihren Sitzen. Wie erstarrt sah ich sie an, Angst stieg in mir auf, Angst davor, dass sie nicht mehr lebten.

 

Panisch griff ich mit meiner rechten Hand nach dem Handy um einen Notruf abzusetzen. Die Schmerzen nahmen zu und ich sank benommen in den Rücksitz.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich die Martinshörner von Polizei und Rettungswagen, die immer näher kamen. Wir wurden aus dem demolierten Wagen herausgezogen und versorgt. Während ich noch relativ glimpflich mit einer Gehirnerschütterung, einer Platzwunde am Kopf und einem angebrochenen linken Arm davonkam, so hatte es meine Eltern schlimmer erwischt. Sie waren immer noch bewusstlos und was ich so mitbekam, schien es ernst zu sein.

 

Da ich als einziger ansprechbar war, stellte mir die Polizei einige Fragen zum Unfallhergang und ob ich etwas zum flüchtigen Fahrzeug sagen könnte. So gut es ging beantwortete ich die Fragen.

 

Meine Eltern und ich wurden in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Dort erfuhr ich auch, wie es um Vater und Mutter stand. Meine Mom hatte mehrere Rippenbrüche und auch ihre Lunge war leicht lädiert. Mein Dad dagegen hatte innere Verletzungen und Blutungen, unter anderem war die Milz gerissen, sie musste entfernt werden. Einige Zeit schwebte er sogar in Lebensgefahr. Ich bekam Angst meinen Vater zu verlieren.

 

Wir verbrachten längere Zeit im Krankenhaus, bis sich unser Gesundheitszustand verbessert hatte. Auch wenn die körperlichen Wunden heilten, doch hatte sich bei mir Angst vor der Nacht eingebrannt. Geschürt wurde diese Angst dadurch, dass der betrunkene Fahrer nicht gefasst wurde.

 

***

 

Mein Partner Reiner und ich lebten inzwischen schon vier Jahre zusammen. Wir hatten uns in einem angesagten Gayclub kennengelernt. Es hatte sehr schnell zwischen uns gefunkt. So sehr wir uns auch liebten und trotz der Gemeinsamkeiten, so gab es doch auch Unterschiede. Ich war eher der häusliche Typ der nur mal gelegentlich losging, während Reiner eher eine Nachteule war.

 

Trotz der Gegensätze beschlossen wir, nachdem wir unseren zweiten Jahrestag hatten, uns eine gemeinsame Wohnung zu nehmen, denn wir liebten uns sehr und merkten, wir gehören zusammen. Finanziell konnten wir es uns leisten, Reiner arbeitete in einem renommierten Architekturbüro und ich bei einer Investmentbank.

 

Doch wir waren am überlegen, wollten wir zur Miete wohnen oder eher etwas Eigenes, darüber waren wir uns noch nicht im klaren. Bei einem Glas Wein saßen wir abends zusammen um einige Informationen zu erörtern.

 

„Was meinst du Reiner, sind da Objekte dabei, die dir gefallen?“

 

„Zwei oder drei Objekte sind schon interessant Jan.“

 

„Welche sind das denn?“

 

„Einmal dieses hier, die Eigentumswohnung, direkt im Zentrum, dann die Mietwohnung und bei der dritten bin ich noch am schwanken. Und wie ist deine Meinung?“

 

„Also, mir gefällt die Eigentumswohnung, sie liegt optimal, der Schnitt ist gut und auch der Preis ist angemessen. Ich denke, da sollten wir mal am Ball bleiben.

 

„Was meinst du, wollen wir gleich morgen anrufen und einen Termin vereinbaren?“

 

„Können wir machen.“

 

So riefen wir am nächsten Tag beim Makler an. Dieser schlug einen Termin vor, welcher mir wegen der Uhrzeit Probleme machte. Die Besichtigung sollte einen Tag später, abends um 21 Uhr stattfinden. Da es bereits Herbst war, wurde es schon recht früh dunkel. Reiner bemerkte, dass mir bei dem Vorschlag der Uhrzeit sehr unwohl zumute war und reagierte entsprechend, indem er dem Makler sagte, dass dieser Termin leider nicht passen würde wegen anderer Verpflichtungen. Schließlich konnten wir uns auf einen Termin einigen und die Besichtigung fand drei Tage nach dem Telefonat um 18 Uhr statt.

 

Als Reiner und ich uns die Wohnung ansahen, gefiel sie uns sogar noch besser als in der Expertise. Sie verfügte über 90 Quadratmeter, verteilt auf dreieinhalb Zimmer, lag im ersten Stock und hatte zwei Balkone. Auch das Bad war ein Hammer, eine schöne Eckbadewanne und eine Regendusche luden zu angenehmen Badespaß ein. In Gedanken planten wir schon, wie wir diese Wohnung einrichten könnten.

 

Jetzt ging es darum, uns mit dem Makler handelseinig zu werden. Der Preis für diese Wohnung lag bei einhundertfünfundsechszigtausend Euro, zuzüglich der Maklerprovision. Gut, es war kein billiger Preis, doch er war diesem Objekt angemessen und Wohnungen in der Innenstadt waren in der Regel sowieso immer etwas teurer. Zusammen konnten Reiner und ich den größten Teil selbst, durch Rücklagen und einen Bausparvertrag, finanzieren. Für den Rest könnten wir ein Darlehen aufnehmen. Wir vereinbarten mit dem Makler eine kurze Bedenkzeit von ein paar Tagen. Er versprach, das Objekt für geraume Zeit zurückzuhalten.

 

Als wir wieder daheim waren, sprachen wir über die Besichtigung.

 

„Was meinst du Jan, wie denkst du über die Eigentumswohnung?“

 

„Mir hat sie sehr gut gefallen, sie hat alles, was man sich wünscht. Vor allem hat mir das Bad gefallen und dass die Wohnung über zwei Balkone verfügt, so kann man bei sonnigen Wetter immer auswählen wo man draußen sitzen möchte.“

 

„Stimmt, aber es ist auch gut, dass es Parkplätze vor dem Haus gibt und wir alle Geschäfte in der Nähe haben.“

 

„Ich denke, wir sollten zugreifen. Was meinst du, wollen wir morgen gleich mal wegen des Darlehens bei der Bank vorsprechen?“

 

„Auf jeden Fall.“

 

Reiner und ich waren uns einig, die Wohnung hatte es uns wirklich angetan. Bei der Bank hatten wir spontan einen Termin bekommen und wir erhielten die Zusage für die Finanzierung. Schließlich kontaktierten wir den Makler und brachten den Vertrag unter Dach und Fach.

 

Endlich war der Tag unseres Einzuges gekommen. Mit Elan richteten wir uns unsere neue Wohnung ein. Einer der größeren Räume wurde als Gästezimmer eingerichtet und das halbe Zimmer als Büro. Diesen Umzug nutzen wir auch um uns von alten Dingen zu trennen und einige neue Möbel zu kaufen. Als wir fertig waren luden wir einige Freunde ein und machten eine Einweihungsfeier.

 

***

 

Mittlerweile wohnten wir schon ein halbes Jahr in unserer neuen Wohnung und fühlten uns sehr wohl. Wir hatten sogar ganz in der Nähe ein nettes Lokal gefunden, wo wir öfters unsere Freizeit verbrachten.

 

Ich bekam dann Beunruhigendes mit, immer häufiger kam es nachts zu Einbrüchen und tätlichen Übergriffen in unserer Nähe. Darüber machte ich mir täglich mehr Sorgen. Dies sorgte dafür, dass meine Angst, die sich damals nach dem schrecklichen Unfall entwickelte, wieder größer wurde. Rainer spürte dies und ging auf mich zu:

 

„Jan, was ist mit dir?“

 

„Ich mache mir Sorgen.“

 

„Weswegen denn?“

 

„Na, hast du nicht mitbekommen was in letzter Zeit hier in der Nähe passiert?“

 

„Ach, du meinst die Einbrüche und Übergriffe.“

 

„Ja, ich sorge mich darum, ob wir verschont bleiben.“

 

„Nun mach dir mal nicht zu viele Sorgen, die Täter werden sicherlich bald geschnappt.“

 

„Du hast gut reden. Und ich kann nicht aus meiner Haut heraus.“

 

„Hast du immer noch solche Angstattacken?

 

„Die fangen wieder an.“

 

„Du hattest diese doch so gut in den Griff bekommen.“

 

„Seit diesen beunruhigenden Nachrichten haben die sich wieder verstärkt.“

 

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile darüber, es ging hin und her. Reiner musste zugeben, die Entwicklung war nicht so prickelnd. Es gab Überlegungen darüber, wie wir selbst was machen können um auch meiner Angst Herr zu werden. Nach längerer Überlegung beschlossen wir, unsere Wohnung sicherer zu machen. So brachten wir an Türen und Fenstern Sicherungen anzubringen und auch eine Alarmanlage einzubauen. Diese Maßnahmen beruhigten mich etwas. Nun waren zwar die eigenen vier Wände gesichert, aber einen hundertprozentigen Schutz konnte dadurch auch nicht gewährleistet werden. Aber was war, wenn einer von uns mal abends oder nachts unterwegs war? Mühsam versuchte ich meiner Angst vor der Nacht und der Dunkelheit zu bezwingen.

 

***

 

In den nächsten Wochen und Monate gingen die Einbrüche und Übergriffe zurück, es schien, als ob die Übeltäter weg waren. Aber erwischt wurden sie nicht, denn das hätte ich mitbekommen. Langsam kehrten bei uns und in der Nachbarschaft wieder Ruhe und Normalität ein.

 

Rainer und ich brauchten unbedingt eine Auszeit und fuhren für zwei Wochen in den Urlaub. Einfach mal weg und was anderes sehen. Wir fuhren nach Dänemark, an die dortige Ostseeküste. Das Land war zwar nicht gerade billig, aber es war großartig dort Urlaub zu verbringen, allein schon von der Landschaft her und der Mentalität der Leute.

 

Gut erholt und guter Stimmung kehrten wir wieder zurück. Da wir noch ein paar Tage frei hatten, wollten wir die Zeit dazu nutzen um uns noch mit Bekannten zu treffen und auch mal unser Lokal um die Ecke zu besuchen.

 

Als wir dort eintraten, bemerkten wir, dass die Stimmung anders war als sonst. Anstatt entspannter Atmosphäre herrschte gedrückte Laune. Als wir unseren Platz am Tresen eingenommen hatten, fragten wir den Wirt was los war:

 

„Grüß dich Roman, was ist denn hier los, ist ja wie bei einer Beerdigung.“

 

„Habt ihr denn nichts mitbekommen?“

 

„Wir sind erst gestern aus dem Urlaub zurückgekommen.“

 

„Vorgestern sind die Gauner hier in der Straße eingebrochen. Die haben ein älteres Ehepaar ausgeraubt und dabei den alten Herrn niedergeschlagen“

 

„Ach du Scheiße. Meinst du es waren dieselben, die neulich die Gegend schon unsicher machten?“

 

„Davon gehe ich aus, denn, soweit man weiß, fand der Einbruch nach dem selben Schema statt, und natürlich kamen die Täter mal wieder nachts.“

 

„Das ist ja unglaublich.“

 

Ziemlich bedrückt tranken wir unser Bier. Und die Gespräche im Lokal wurden immer dunkler. Aber es mischte sich auch eine starke Wut in den Stimmen der Leute. Sie ärgerten sich darüber das die Polizei den oder die Täter nicht fassen konnte.

 

Mich belastete diese Neuigkeit besonders. Innerlich kroch Panik in mir hoch. Unmerklich gab ich ein Zeichen das ich heim wollte. Als wir daheim ankamen fing ich, zu zittern.

 

„Jan, komm, versuch dich zu entspannen, die Polizei wird die Halunken schon bald verhaften.“

 

„Da bin ich mir nicht so sicher Reiner.“

 

„Ich versteh dich ja, aber meinst du, durch die Angst wird es besser?“

 

„Aber ich kann sie einfach nicht abstellen.“

 

Wir redeten noch eine ganze Zeit lang darüber. Dabei ging es manchmal ganz schön heftig zu. Reiner meinte, ob es eventuell besser wäre professionelle Hilfe vom Hausarzt oder einem Psychologen in Anspruch zu nehmen. Dieses Ansinnen lehnte ich entschieden ab.

 

„Mensch Jan, es ist besser wenn du Hilfe annimmst.“

 

„Aber ich brauche keinen Psychodoktor, ich bin doch nicht bekloppt.“

 

„Die Angst nimmt wieder einen großen Raum ein, allein kommst du da nicht heraus.“

 

„Trotzdem, ein Psychodoktor kommt mir nicht ins Haus!“

 

„Dann rede mit deinem Hausarzt oder einer neutralen Person deines Vertrauens. Die Hauptsache ist, dass du es schaffst aus dieser Tretmühle der Angst herauszukommen.“

 

„Na gut, ich überlege es mir zumindest mal.“

 

Widerwillig stimmte ich zu es mir zu überlegen, mir ging die Situation mit den Straftaten in unserer Gegend an die Nerven und dass sie in mir die Angst schürte, da brauchte ich nicht noch Streit mit meinem Mann. Ich hoffte sehr, dass die Polizei diese Typen schnell fasste. Schließlich gingen mein Schatz und ich ins Bett. Am nächsten ging die Arbeit wieder los. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Das, was Roman erzählte, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Jetzt vergriffen sich diese Verbrecher an älteren und wehrlosen Menschen. Die waren so rücksichtslos, genauso wie dieser betrunkene Fahrer damals, der uns rabiat von der Straße drängte und einfach verschwand. In mir kam sein Gesicht wieder hoch. Als er uns damals überholte, da konnte ich seine Visage kurz sehen. Auch wenn es nur wenige Sekunden waren, so hat es sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Erst spät schlief ich ein. Es war ein leichter und sehr unruhiger Schlaf.

 

***

 

Einige Monate vergingen nach dem Überfall auf das alte Ehepaar, bis auf zwei oder drei kleinere Vorfälle blieb es ruhig. Da wurde mal ein Fahrrad geklaut oder etwas lautstark gegrölt, obwohl das Geschrei ziemlich obszön und unterste Schublade war. Inzwischen war es wieder Spätherbst und es wurde abends wieder früher dunkel.

 

An einem Abend kam Reiner heim und erzählte mir, dass seine Firma am nächsten Freitag, nach Feierabend, eine Betriebsfeier für die Mitarbeiter machen würde. Diese sollte bis zum späteren Abend dauern.

 

„Musst du daran teilnehmen Reiner?“

 

„Ja, ich hab letztes Jahr schon gefehlt, ich kann nicht immer absagen.“

 

„Okay, aber pass auf dich auf.“

 

„Na klar, mach dir nicht zu viele Sorgen.“

 

Als der Freitag gekommen war, hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Gegen Feierabend rief Reiner mich an um mir mitzuteilen, dass er jetzt mit den Kollegen zum Feiern ging. Um mich zu beruhigen versprach er mir so schnell wie möglich heim zu kommen und plante, spätestens um Mitternacht daheim zu sein.

 

Ich saß allein zu Haus. Trotz des Versprechens meines Mannes war ich unruhig. Nervös lief ich in der Wohnung herum. Da es draußen schon dunkel war, traute ich mich nicht mal für eine Stunde in mein Stammlokal zu gehen. Um mich etwas abzulenken schaute ich etwas fern. Es lief eine Doku die mich interessierte.

 

Da es spät abends ruhig in der Straße war, konnte man jedes Geräusch von draußen hören. Gegen halb zwölf Uhr nachts hörte ich, wie sich ein Wagen näherte und abbremste. Ich ging zum Fenster, um zu schauen wer es sein könnte und sah, es war ein Taxi und mein Schatz stieg aus. Als der Wagen wieder abfuhr, stand Reiner noch kurz da um seinen Schlüssel aus der Hosentasche zu ziehen. Plötzlich bemerkte ich wie sich zwei schemenhafte Personen näherte. Bestürzt sah ich, dass diese Typen auf Reiner losgingen. Er bemerkte sie noch und begann sich zu wehren.

 

Erschrocken sah ich was passierte und erstarrte vor Angst. Mein Schatz wurde angegriffen und ich war wie gelähmt. Tausend Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, während Reiner weiter mit den Verbrechern kämpfte. In einem Akt der Verzweiflung schnappte ich mir einen Regenschirm, rannte nach unten um meinem Partner zu helfen. So sehr ich auch Angst hatte und Panik mich umfing, ich konnte ihn doch nicht allein lassen. Schreiend lief ich auf die Straße und drosch mit dem Schirm auf einen der Täter ein. Dieser wich erschrocken zurück.

 

Inzwischen gingen in mehreren Nachbarwohnungen die Lichter an und die Leute schauten was los ist. Da wir bekannt waren, erkannten die Nachbarn, dass die beiden, mit denen wir kämpften die gesuchten Verbrecher waren. Einige Männer kamen nach draußen um uns zu helfen. Zusammen konnten wir die beiden Täter festsetzen. In der Zwischenzeit hatte wohl jemand die Polizei gerufen, nach kurzer Zeit trafen zwei Streifenwagen ein.

 

Die Beamten nahmen die beiden Ganoven in Gewahrsam. Reiner, ich und die Nachbarn wurden noch kurz vernommen. Wir wurden noch gebeten uns in den nächsten Tagen für weitere Aussagen bereit zu halten.

 

Nachdem die Polizei mit den beiden Verbrechern weg war, sank ich zitternd in die Hocke. Nun hatte sich meine nächtliche Angst manifestiert. Auch wenn ich nicht das Opfer des Angriffs war, so hatte es einen geliebten Menschen getroffen.

 

Reiner hatte es besser weggesteckt, er kam auf mich zu und nahm mich in den Arm.

 

„Komm Schatz, beruhige dich, alles wird gut, es ist überstanden.“

 

Stumm blickte ich ihn an und nickte nur. Vorsichtig zog er mich hoch. Wir unterhielten uns noch kurz mit den Nachbarn, wir waren alle froh das die Täter endlich gefasst waren und wohl für längere Zeit hinter Gitter landen würden.

 

Als Reiner und ich endlich in der Wohnung waren, war ich froh. Ich musste mich setzen, denn meine Beine zitterten immer noch vom Schock des Erlebten. Mein Mann setzte sich zu mir und hielt mir die Hand.

 

„Du Schatz, ich bin stolz auf dich?“

 

„Wieso das denn“, fragte ich.

 

„Das du in dieser Situation deine Angst überwunden hast um mir zu helfen.“

 

„Ich konnte dich doch nicht allein lassen in dieser Lage. Irgendwie bin ich panisch zu dir herausgerannt und hab einfach darauf los gedroschen.“

 

Am nächsten Morgen riefen Reiner und ich bei unseren Arbeitgebern an und nahmen uns ein paar Tage frei um das Erlebte zu verarbeiten. Die Chefs hatten, nachdem wir ihnen erzählt hatten was passierte, vollstes Verständnis dafür.

 

Wir gingen dann noch zur Polizei um eine genaue Aussage zum Überfall zu machen. Man zeigte uns noch einmal Fotos von den beiden Tätern und wir wurden befragt, ob wir sie erkannten. Wir konnten sie genau identifizieren. Doch ich sah mir die Bilder noch mal genauer an. Den einen kannte ich nur von der Tat her, doch der andere, den kannte ich von woanders her. Nachdem ich es mir länger angeschaut hatte, da dämmerte es mir. Es war der betrunkene Kerl von damals. Gut, er war älter geworden, doch sein Gesicht hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt und von daher dämmerte es mir. So erzählte ich der Polizei von dem Unfall und das der eine Täter der Raser von damals war. Doch dieser war vor mehr als 10 Jahren und war von daher verjährt. Aber dennoch würde er nun für die aktuellen Straftaten eine Haftstrafe bekommen. Und das war für mich eine gewisse Genugtuung. Und schlussendlich war es auch ein positives Erlebnis um meine Angst vor Nacht und Dunkelheit zu überwinden.

 

***

 

In den nächsten Wochen wurde gegen die beiden Verhafteten umfangreich ermittelt, dabei kam ans Licht, dass diese einiges auf dem Kerbholz hatten. Die Untaten der letzten Monate bei uns in der Ecke war nur die Spitze des Eisbergs, man konnte ihnen viele Straftaten, auch in anderen Städten nachweisen, darunter Einbrüche, Diebstähle, Körperverletzung und einiges mehr. Reiner und ich konnten froh sein, dass uns nicht mehr passiert war.

 

In der Zwischenzeit hatte ich mit meinem Mann meine Eltern besucht. Sie hatten sich, zum Glück, beide damals wieder vollständig erholt. Gerade bei meinem Vater hatte die Genesung, wegen der schweren Verletzung und der Lebensgefahr, besonders lang gedauert. Als ich ihnen erzählte, was geschehen war, und das der eine Täter der Raser von damals war, zeigten sie sich sehr erstaunt. Doch sie waren, wie ich, enttäuscht, als sie erfuhren, dass die Unfallflucht verjährt war. Doch sie empfanden eine Genugtuung, dass der Verbrecher nun doch noch zur Rechenschaft gezogen wurde.

 

Endlich war der Prozess gekommen, er erregte starkes Aufsehen und viele wollten ihn miterleben. Reiner und ich gehörten zu den Zeugen. Meine Eltern waren auch anwesend, denn sie wollten sehen, wie der eine Täter zur Rechenschaft gezogen wurde, wenn nicht wegen dem Unfall von damals, dann zumindest für die aktuellen Taten.

 

Der Prozess zog sich über zwölf Tage hin, es wurden viele Zeugen vernommen, Beweise und Dokumente vorgelegt und bewertet. Die Anwälte der beiden Angeklagten versuchten alles für ihre Mandanten, spielten auf die schlimme Kindheit an und verzögerten teilweise mit unnötigen Anträgen den Prozess. Schließlich wurde das Urteil gefällt. Beide Angeklagte wurden zu neuneinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil fiel auch deswegen so hoch aus, weil beide vorbestraft waren.

 

Nachdem es mit dem Prozess und dem daraus resultierenden Stress ein Ende hatte, kehrte endlich wieder etwas Ruhe und Normalität ein. Doch ich geriet ins Grübeln. Dieses Trauma aus der Kindheit hatte mich über viele Jahre festgehalten und dafür gesorgt, dass mein Leben immer wieder negativ beeinflusst wurden. Gut, diese Täter waren nun hinter Schloss und Riegel, doch „böse Buben“ würde es immer wieder geben. Ein absoluter Schutz wäre Utopie. Mein Leben sollte nie wieder von der Angst vor Nacht und Dunkelheit beeinflusst werden. Ich beschloss, mich kundig zu machen um etwas dagegen zu tun. Nach längerer Recherche fand ich eine ambulante Gruppe, diese beschäftigte sich mit Angsttraumata. Dieser schloss ich mich an.

 

***

 

Vor kurzem feierte ich mit meinem Mann Reiner unseren vierten Jahrestag. Diesen begingen wir mit Freunden, auch meine Eltern waren mit dabei. Inzwischen habe ich mehrere Monate in der Gruppe meine Angstzustände bekämpft. Es war nicht immer leicht, doch die Angst hat mich nicht mehr im Griff. Gut, es wird immer wieder Situationen geben, wo es einem mulmig wird, doch das geht wohl jedem so. Nun kann ich wieder leben und selbst mal nachts oder im Dunkeln losgehen, ohne gleich in Panik zu verfallen oder vor Angst zu erstarren. Vor allem möchte ich meinem Partner und meinen Eltern danken, sie haben mich gut begleitet bei meinem Weg. Die Aussage „Nachts, wenn die Angst kommt“ hat für mich seinen Schrecken verloren.

 

**Ende**

 

Copyright: 28.09.2017

Autor: Harald Grenz

Anmerkungen

 Diese Geschichte ist eine fertige und korrigierte Geschichte. Sie ist auch Bestandteil einer Anthologie mit dem Titel "Nachts wenn die Angst kommt" von Karin Kaiser, Dirk Harms und mir. Die Anthologie kann als Ebook über mehrere Shops erworben werden, der entsprechende Link wird mit eingefügt.

 

https://www.bookrix.de/_ebook-karin-kaiser-nachts-wenn-die-angst-kommt/

 

Das Copyright der einzelnen Geschichten der Anthologie liegen beim jeweiligen Autoren.

 

Bildcover: www.pixabay.com

 

An dieser Stelle ein herzliches Danke an alle, die mich bei diesem Werk unterstützt haben.

 

Der Autor

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.07.2018

Alle Rechte vorbehalten

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