Die Welt kann schon verrückt sein, genau das konnte ich wieder einmal feststellen. Als Inhaber eines Szenelokals erlebt man sowieso viel. Und obwohl ich eigentlich Berufliches und Privates streng voneinander trenne, so kam es, dass sich die Grenzen auflösten.
Meine Lokalität lag mitten im Herzen von Berlin, es war stark frequentiert und wurde von vielen Gästen der unterschiedlichsten Art besucht. Hier konnte jeder so sein wie er wollte. Egal ob homo- oder heterosexuell, Mann oder Frau, Prominenz oder halt die normalen Menschen, alle fühlten sich wohl. Auch ausländische Besucher kamen bei einem Besuch in der Hauptstadt zu mir.
Vor etwa drei Jahren, es war ein schöner Sommer, da war viel los. Auch draußen waren viele Gäste, diese genossen das warme Wetter und das Strahlen der Sonne. An einem Abend, da betrat ein Mann mein Lokal. Er war in Begleitung einiger Leute. Wie sich herausstellte war es der bekannte amerikanische Schauspieler Carl Arden. Dieser war noch recht jung, gerade mal 32 Jahre alt. Durch mehrere Serien und Spielfilmen wurde er zu einem Star und bekam dadurch immer neue und interessante Filmangebote. Diesmal war er zur Filmpremiere seines letzten Filmes nach Berlin gekommen.
Wie ich es schon oft erlebte, wenn ein Star bei mir zu Gast war, wurde auch Carl von einer Menge Groupies verfolgt. Man konnte es merken, er war genervt davon, diese, meist weiblichen, Fans versuchten oft an ihn heranzukommen und dann immer das Gekreische, welches oft penetrant laut war. Doch für den Fall hatte ich vorgesorgt, meine Gäste sollten sich hier wohlfühlen und ihre Ruhe haben. Auch im Fall von Carl sorgte ich dafür das es so war.
Nachdem sich die Runde es bequem gemacht hatte, kam ich auf sie zu um deren Bestellung aufzunehmen.
„Guten Tag Herrschaften, was kann ich Ihnen bringen?“
„Wir hätten gern zwei Flaschen trockenen Weißweines.“
„Sehr gern. Darf es sonst noch was sein?“
„Für den Moment war es das, vielen Dank.“
Während ich am Tresen dann die Bestellung vorbereitete, da konnte ich sehen das sich Carl mit den anderen intensiv unterhielt, doch man sah das er auch genervt wirkte. Kurz darauf brachte ich ihnen die Getränke und überließ sie ihren Gesprächen, denn wenn ich eines gelernt hatte, dann das man sich auch zurückhalten musste.
Nach etwa eineinhalb Stunden verließ Carl mit seinen Begleitern das Lokal und es schien das er irgendwie unzufrieden und verstimmt war. Was genau mit ihm war, dass sollte ich später erfahren, obwohl ich nicht damit gerechnet hatte ihn jemals wiederzusehen.
Nach einigen Tagen, ich hatte Carl schon fast vergessen, stand er abends, fast zum Feierabend, allein in meinem Lokal. Es waren kaum noch Gäste da und er fragte mich ob er noch einen Drink bekommen könnte.
Als ich ihm den Drink servierte bemerkte ich, er war niedergeschlagen und teilweise immer noch genervt. Carl war hin und hergerissen zwischen sich betrinken und sein Herz auszuschütten. Als Wirt war ich ja oft auch eine Art Seelentröster und Beichtvater, doch die Erfahrung hat gezeigt, man braucht eine gewisse Balance zwischen Nähe und Distanz. Wenn man zu schnell auf einen Gast zuging konnte es sein das er die Schotten dichtmacht oder sich verschloss. So gab ich vorsichtig zu verstehen das ich Zeit für ihn hätte, sofern Carl reden wollte.
Eine ganze Zeit lang saß Carl da stumm am Tisch starrte in Leere und kippte einige Drinks in sich hinein. Man spürte richtig das ihn was bedrückte. Als ich ihn noch einen Whisky brachte, da sah er auf und meinte:
„Kann ich mit Dir quatschen?“
„Ja klar, worüber Du möchtest.“
„Das Leben ist doch Scheiße!“
„Wie kommst Du darauf?“
„Der ganze Rummel um die Glitzerwelt des Films ist doch eine verlogene Scheinwelt.“
„Mag sein, wieso fällt Dir das gerade jetzt besonders auf?“
„Immer soll ich einen auf strahlenden Sonnyboy machen dem die Frauen zu Füßen liegen. Das stört mich gewaltig. Auch die Produzenten wollen ständig das ich mir eine feste Freundin zulege.“
„Hm, manche würden es super finden wenn sie von Frauen so angehimmelt werden, sie sonnen sich sogar da drinnen. Und was ist gegen eine Beziehung einzuwenden?“
„Nur bin ich nicht manche. Gegen eine Beziehung hätte ich ja nichts, wenn … Sag mal, wie heißt Du eigentlich?
„Ich heiße Morten. Und was ist mit 'wenn'?“
„Kannst Du Dir das nicht denken? Etwas, was ein 'Star' auf keinen Fall zu sein hat.“
„Wie hat ein Star denn nicht zu sein?“
„Na, so wie ich, ein Star sollte Interesse an Frauen haben, verstehst jetzt?“
„Ach so, Du bist schwul. Na und, für mich ist das normal. Und selbst Stars sind auch nur Menschen.“
„Das wird in der Filmwelt immer noch zweifelhaft angesehen.“
„Dann bist Du bei den falschen Leuten. Ich kenne einige bekannte Schauspieler und Künstler die schwul waren oder sind, wie zum Beispiel Rock Hudson.“
„Aber wie viele mussten es geheim halten? Darauf hab ich keine Lust.“
„Kann ich durchaus verstehen. Aber es liegt an Dir ob Du was änderst.“
Noch eine ganze Weile unterhielten Carl und ich uns noch, es schien als ob es ihm gut tat sich mal alles von der Seele zu reden. Weit nach Mitternacht verabschiedete er sich dann um in sein Hotel zurückzukehren.
In den folgenden Tagen wurde häufiger über Carl und seinen neuesten Film berichtet, über die Premiere, die Galas und das ganze drumherum. Und dann las ich: „Der berühmte amerikanische Schauspieler Carl Arden verschwunden – Niemand weiß etwas über sein Verbleiben“
Donnerwetter, da hat er sich ja was geleistet. Ich war gespannt wie es weiterging und ob er je wieder auftauchte. Auf jeden Fall wurde ich durch die Zeitungen immer auf dem neuesten Stand gehalten und das sie ihn nicht finden konnten.
Die Zeit verging immer mehr, Carl blieb verschwunden. Auch in der Presse stand immer weniger über ihn. Der normale Alltag ging weiter, auch in der Filmwelt.
Es zogen mehrere Monate ins Land, ich hatte den Trubel um Carl und ihn selbst schon fast vergessen. An dem Abend, ich wollte gerade den Laden schließen, da fiel mir ein Schatten auf, dieser war etwas abseits und wie dieser auf mein Lokal starrte. Das kam mir etwas merkwürdig vor und ich ging auf diesen Schatten zu. Und endlich konnte ich erkennen wer es war. Dieser Schatten war niemand geringerer als Carl.
Erschrocken schaute ich ihn an, er sah schlecht aus, total müde, mit Ringen unter den Augen und unrasiert. Sein Blick war leer und traurig. Es war nichts mehr zu sehen von dem strahlenden Star.
Ich nahm Carl mit ins Lokal und machte ihn einen starken Kaffee. Zusammengesackt saß er am Tisch und hielt sich am Heißgetränk fest wie an einem Rettungsanker.
„Was ist passiert Carl?“
„Ich musste ausbrechen aus dem Trott.“
„War es so schlimm?“
„Mehr als schlimm Morten, es war nicht mehr zu ertragen.“
„Komm, erzähl es mir, nimm Dir die Zeit die Du brauchst.“
So erzählte Carl mir alles. Die weiblichen Groupies wurden ihm zu viel, der Druck sich eine Freundin zu suchen auch. Und das er nicht die Kraft fand seinen Produzenten und Kollegen zu erzählen das er schwul war. Schließlich brach alles in ihm zusammen und er tauchte unter, ihm fehlte die Kraft in der Scheinwelt des Films weiterzumachen.
Geduldig hörte ich Carl zu wie er mir alles erzählte, immer wieder goss ich frischen Kaffee nach.
„Wo bist Du eigentlich gewesen Carl?“
„Mal hier, mal dort, nur nicht zu lange an einem Ort.“
„Wieso bist Du denn jetzt wieder nach Berlin gekommen?“
„Ich weiß es nicht, vielleicht wegen Dir, weil Du der Einzigste war der mich als Mensch sah und nicht nur den Star.“
„Du bist doch an erster Stelle ein Mensch. Sag mal, hast Du hier eigentlich eine Bleibe?“
„Nein, bisher noch nicht, hab nicht die Kraft gehabt mir irgendein Hotel oder eine Pension zu suchen.“
„Du kommst mit zu mir, Du kannst die nächsten Tage bei mir bleiben und dann sehen wir weiter.“
„Morten, ich kann mir ein Hotelzimmer nehmen, möchte Dir nicht zur Last fallen.“
„Keine Widerrede Carl, Du kommst mit zu mir.“
„Okay, wenn Du meinst.“
Da sah ich ihn endlich mal lächeln. Schnell schloss ich das Lokal und ging mit Carl zu mir nach Haus. Als wir ankamen machte ich ihm das Gästezimmer zurecht. Seine innere Anspannung und Unruhe begann langsam zu weichen.
In den nächsten Tagen nahm ich mir ausgiebig Zeit um mich um Carl zu kümmern. Da das Lokal mir gehörte konnte ich mir auch mal eine Auszeit nehmen und die Arbeit an meine Mitarbeiter delegieren.
Wir überlegten hin und her wie es mit ihm weitergehen sollte. Auf keinen Fall wollte Carl so weitermachen wie bisher. Gerade die oberflächliche Scheinwelt des Films wollte er hinter sich lassen. Auch stellte sich die Frage ob er wieder in die USA zurückkehren sollte.
Schließlich kam mir eine Idee. Carl war ein verdammt guter Schauspieler, doch bisher hatte er immer in Filmen mitgewirkt. Warum sollte das so bleiben. Auch das Theater bot gute Möglichkeiten für Darsteller. In meinem Lokal verkehrten sehr viele Menschen, auch Künstler der verschiedensten Art. So kamen auch Leute vom Theater zu mir. Warum sollte man sich das nicht zunutze machen? Carl schien die Idee zu gefallen.
So nutzte ich meine Kontakte und vermittelte einiges. Aber es sollte alles im Stillen ablaufen, denn immerhin war Carl ein sehr bekannter Schauspieler und unnötiges Aufsehen sollte in dieser Zeit vermieden werden. Erst sollte der Weg geebnet sein.
Allein bei den Gesprächen lockerte Carl immer mehr auf. Zum Glück gab es viele Theater in Berlin und vor allem war die Hauptstadt eine sehr offene und tolerante Stadt. Denn hier konnte jeder so sein wie er wollte. Auch war es egal ob jemand nun hetero-, bi- oder homosexuell war. Ein Theater zeigte großes Interesse an ihm. Die Verhandlungen wurden intensiver. Schließlich wurden sich die Betreiber und Carl einig. Er konnte zur nächsten Saison anfangen.
Die Zeit bis zum Start am Theater nutzte Carl um sich eine eigene Wohnung zu suchen. Da er als Schauspieler genug Geld verdient hatte war das kein Problem. Er war mir sehr dankbar für alles was ich für ihn tat.
Als die Premiere des Stückes mit Carl heranrückte, da erhielt ich einen Brief. Dieser enthielt eine Karte und eine Einladung. Diese beinhaltete auch ein Essen mit ihm, dieses sollte nach der Vorstellung stattfinden. Gern nahm ich das an.
Die Vorstellung war grandios, er brillierte wirklich und wurde seinem Ruf als guter Schauspieler mehr als gerecht. Der Applaus wollte nicht enden. Es war ganz deutlich zu spüren das ihm das viel Freude machte. Kaum zu glauben wie Carl sich gewandelt hat und das zu seinem Vorteil.
Als wir endlich los konnten war er richtig glücklich. Wir fuhren in ein nettes Lokal, bei der Auswahl hatte er sich richtig Gedanken gemacht. Allein das Ambiente, es war wie ein Date.
„Lieber Morten, das ist mein Dank für alles was Du für mich getan hast.“
„Ach, so viel hab ich doch nicht getan.“
„Doch, das hast Du. Ohne Dich wäre das alles nicht so gekommen wie es kam.“
„Nett das Du es so siehst Carl, vielen Dank.“
Wir verbrachten einen tollen Abend mit einem guten Essen und einer sehr intensiven Unterhaltung. Immer mehr fing es dann an zu knistern. Es lag wirklich etwas in der Luft.
Als wir später das Lokal verließen gingen wir noch an die Spree, einfach den Abend genießen. Es knisterte immer mehr. Carl und ich sahen uns an. Und so geschah es, wir küssten uns. Dieser Kuss war einfach nur wundervoll.
Es war der Beginn von etwas Wundervollem. Was mit einer einfachen Begegnung begann über einen Weg zu einem Date mit einem Star ging war der Start in ein gemeinsames Leben.
Epilog:
Es sind nun zwei schöne Jahre vergangen. Carl und ich sind inzwischen ein glückliches Paar. Wir haben nichts bereut. Allein die erste gemeinsame Nacht als wir miteinander schliefen war etwas ganz besonderes. Wir konnten uns fallen lassen und es genießen. Unsere Liebe gibt ihm auch die Kraft in Berlin weiterzumachen. Er hat für einen Neustart und für mich seine alte Heimat aufgegeben. Nun war Carl wieder ein gefeierter Star. Und dieses mal konnte er den Ruhm auch genießen, weil er so sein kann wie er ist. Auch für mich war es etwas sehr besonders, ich lernte einen Star kennen, hatte ein Date mit ihm und nun war ich mit ihm zusammen. Es ist gut so wie es gekommen ist. Es zeigt sich wieder einmal, Liebe ist das Schönste was einem passieren kann. Und auch was sich aus einem Date mit einem Star entwickeln kann.
**Ende**
Copyright: 11.04.2016
Autor: Harald Grenz
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Die Handlung und die Personen sind fiktiv. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen oder mit anderen Büchern sind rein zufällig.
Das Coverbild zum Buch stammt von der Webseite Pixabay.
Der Autor
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2016
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