Jeder Mensch erlebt in seinem Leben Höhen und Tiefen. Doch es kann, leider Gottes, Tiefen geben, die einen niederreißen und deren Verarbeitung und die Heilung der Wunden sehr lange dauert, oft viele Jahre.
Und so ein schlimmes Tief hatte ich vor einigen Jahren erlebt. Das zu erleben war das Schlimmste was mir in meinem ganzen Leben passiert war.
Bei dem was mir passiert ist, geht man davon aus, dass es meist „nur“ Frauen passiert, doch das ist nicht der Fall, es kann auch Männern, so wie mir, oder Kindern passieren. Doch was mit das Schlimmste daran ist, ist nicht nur die Tat, die einem Opfer angetan wird, sondern auch die Zeit danach. Es kann vorkommen, dass man einem nicht glaubt, dass man auf Unverständnis stößt und das dabei erlittene Trauma verarbeiten muss. Als Opfer leidet man ein Leben lang an den Folgen, eine komplette Heilung gibt es nicht, nur ein Weg mit dem Erlebten zu leben und nicht niedergedrückt zu werden.
Ich spreche dabei von einer Vergewaltigung, mit das schlimmste Verbrechen was einem Menschen angetan werden kann. Andere schlimme Dinge wie z. B. ein Überfall sollen nicht verharmlost werden, auf gar keinen Fall. Aber eine Vergewaltigung ist so grausam, dass man es selten passend beschreiben kann. Jede Frau, jedes Kind und jeder Mann, alle die Opfer einer solchen Tat wurden, wissen wovon ich spreche, alle die Opfer wurden, wissen was ich durchgemacht habe und wie lange es dauert bis man gelernt hat damit umzugehen. Es sind oft viele Jahre die dabei vergehen um das Trauma dieser Tat zu verarbeiten.
Wie schon am Anfang gesagt, vor vielen Jahren bin ich Opfer einer solchen Vergewaltigung geworden. Ich war ein junger Mann, noch keine 30 Jahre alt, als mir das passierte. An dem Tag war ich einmal meiner Heimatstadt entflohen und hatte einen Tagesausflug in die benachbarte Großstadt gemacht. Dort hatte ich mich mit einem Freund getroffen und ein paar schöne Stunden erlebt.
Als wir uns am späten Nachmittag getrennt hatten ging ich noch einige Zeit spazieren, denn es war noch Zeit bis mein Zug zurück ging. Es war so gegen 17 Uhr, es war Herbst und es fing da schon langsam an dunkler zu werden. Da ich in der Nähe des Bahnhofs war, war auch sehr viel Betrieb auf den Straßen, denn um die Zeit begann langsam die Feierabendzeit. Bei meinem Spaziergang kam ich an eine Ecke wo nichts los war, eine schlecht einsehbare Ecke. Leider hatte ich nicht bemerkt, dass mir jemand heimlich gefolgt war. Und der Ort war für diesen Jemand nun genau richtig. Ehe ich überhaupt reagieren konnte, hatte er mich angegriffen und mir ein Messer an den Hals gesetzt und bedrohte mich.
Damit begann der Albtraum für mich. Er drückte mich nieder, öffnete seine Hose, holte sein Geschlechtsteil heraus und zwang mich ihn oral zu befriedigen. Immer brutaler schob er mir das Teil hinein, es interessierte ihn nicht ob ich husten oder würgen musste. Die ganze Zeit hindurch bedrohte er mich weiter mit dem Messer. Es ging immer weiter bis er in mir zum Höhepunkt kam. Zu guter Letzt, bevor er von mir abließ entwendete er mir noch mein Portemonnaie. Danach verschwand er und ließ mich halb besinnungslos dort liegen.
Ich weiß nicht wie lang ich dort lag, kaum fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Mir wurde unglaublich schlecht und ich musste mich erbrechen. Es war einfach nur fürchterlich, ich kam mir so schmutzig, benutzt und gedemütigt vor.
Irgendwann rappelte ich mich auf und stolperte in Richtung Bahnhof. Ohne nach links und rechts zu schauen wollte ich weg von diesem Ort, kaum fähig klar zu denken. Im Zug zog ich mich zurück, wollte für mich allein sein, die Gegenwart von anderen Menschen war mir in dieser Situation unerträglich. Kaum in meiner Heimatstadt angekommen sah ich zu nach Haus zu kommen um mich zu verkriechen. Noch immer stand ich unter Schock. Die ganze Zeit musste ich mich immer wieder vor Ekel erbrechen und stundenlang stand ich unter der Dusche in der Hoffnung den Ekel und den Schmutz abwaschen zu können.
Die Zeit danach zog ich mich zurück, zu sehr hatte mich das Erlebte mitgenommen, jeder Gedanke nach draußen zu gehen versetzte mich in Panik. Immer und immer wieder kam Angst hoch und die Bilder des grausam Erlebten verfolgten mich.
Mein Leben lag brach, ich ging kaum noch raus und war für fast niemanden zu sprechen. Viele Freunde machten sich Sorgen um mich. Sie wussten nicht, was mir passiert war und wunderten sich was mit mir los war. Einige meiner Freunde waren hartnäckig und nahmen sich in der Folgezeit sehr viel Zeit für mich um mir beizustehen. Einem Freund konnte ich mich anvertrauen und ich erzählte ihm alles. Betroffen hörte er mir zu.
Nachdem ich ihm alles erzählt hatte schwiegen wir eine Weile. Mein Freund meinte vorsichtig ob es nicht besser wäre sich einem Arzt anzuvertrauen. Auch wenn alles in mir sich aufbäumte, so musste ich doch zugeben, dass es nötig war, auch wenn die Angst wieder größer wurde, denn mir wurde klar, es könne noch etwas nachkommen. Er war ja in mir gekommen und man hat ja gehört was da alles noch passieren konnte.
Noch im Beisein meines Freundes rief ich bei meinem Hausarzt an und bat um einen schnellstmöglichen Termin. Diesen bekam ich für den nächsten Tag. Mit einer kurzen Andeutung worum es ging sollte ich auch nicht lange warten wenn ich kam.
Am nächsten Tag holte mein Freund mich ab und brachte mich zum Arzt. Er sagte zu mich später wieder abzuholen und heim zu bringen.
Als ich die Praxis betrat war viel los. Nach Rücksprache mit den Arzthelferinnen sollte ich schnell zum Arzt herein, was zum Glück auch geschah.
Mein Hausarzt war ein kompetenter Mediziner. Er sah sofort, dass es mir nicht gut ging. Ohne mich zu drängen, nahm er sich Zeit um mir zu helfen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einer Überwindung brach es aus mir heraus und ich erzählte ihm was geschehen war. Ohne mich zu unterbrechen ließ er mich erzählen. Mein Arzt war erfahren und wusste genau, dass es wichtig war mich erzählen zu lassen.
Nachdem ich mit dem Erzählen fertig war, ließ er sich etwas Zeit, das Ganze sollte sacken. Und mit der gebotenen Rücksicht erklärte er mir was nun, aus medizinischer Sicht, zu tun sei.
Der Doktor erklärte mir, dass er mir Blut abnehmen wolle, wegen eventueller Krankheiten die durch so eine schreckliche Tat übertragen werden können. Aber er brachte mir auch schonend bei, dass in drei Monaten ein weiterer Bluttest nötig werde. Auf meine Nachfrage weshalb, erklärte er mir das man für eine mögliche Krankheit diese Vorlaufzeit bräuchte, erst in drei Monaten nach einem Anfangsverdacht würde man (sofern man infiziert wäre) Antikörper feststellen. Bei dieser Krankheit handelt es sich um die Infizierung mit HIV. Das war ein großer Schock für mich. Es verschlug mir fast den Atem, als ich realisierte wie lange ich noch mit der Ungewissheit leben musste.
Doch ich war froh, dass der Arzt sich wirklich Mühe gab mir die Angst zu nehmen. Er nahm mir Blut ab um mir Gewissheit zu verschaffen wegen der anderen möglichen Krankheiten wie z. B. Hepatitis. Das Blut wurde sofort zur Analyse gegeben, dass ich dann schon am nächsten Tag dann die Antwort bekam. Dieser straffe Plan half mir etwas ruhiger zu werden.
Nach der Blutentnahme nahm mein Hausarzt sich noch viel Zeit um mich zu beraten. Er empfahl mir mich einer Traumatherapie zu unterziehen. Er sagte mir, es sei sehr wichtig, auch wenn es ein harter Weg sei und diese mich an die Grenzen der Belastbarkeit bringen würde. Aber der Arzt sagte, es sei unumgänglich sich einer Therapie zu unterziehen weil man sonst große Schwierigkeiten hätte dieses schlimme Trauma zu verarbeiten. Auf meine Frage ob er jemanden kannte, konnte er mir eine sehr gute Therapeutin empfehlen. Diese war sehr erfahren und kompetent. Er konnte mir versichern das sie sich sehr gut mit dieser Thematik von Missbrauch und Vergewaltigung auskannte.
Was ich meinem Hausarzt sehr hoch anrechnete war, dass er mir eine Therapeutin empfahl und nicht einen Therapeuten. Ihm war klar, dass ich mich eher einer Frau als einem Mann öffnen könne. Was mir sehr gut tat und mich auch aufbaute, war die Tatsache, dass er mir von Anfang an glaubte, sich viel Zeit nahm und auf mich einging. Denn seit dieser schrecklichen Vergewaltigung war ich sehr unten und litt unter Angstzuständen. Angst auch deswegen weil ich befürchtete das man mir nicht glauben würde.
Mein Hausarzt gab mir dann für den nächsten Tag einen Termin um die Ergebnisse der Blutuntersuchung zu besprechen. Er wollte dann auch vorher noch mit der Therapeutin sprechen damit ich einen zeitnahen Termin bekäme und mir dann diesen mitteilen sowie mir auch die Telefonnummer von ihr geben.
Etwas ruhiger konnte ich die Praxis verlassen, mein Freund war gekommen um mich nach Haus zu begleiten.
Am nächsten Tag ging ich wieder hin. Es war sehr erleichternd als der Arzt mir sagte, dass ich mir durch die Vergewaltigung nichts eingefangen hatte. Die Angst, etwas zu bekommen, war sehr groß in mir. Es war wie ein Befreiungsschlag als der Arzt mir das mitteilte. Als nächstes teilte er mir den ersten Termin bei der Therapeutin mit und übergab mir auch einen Zettel mit ihrer Adresse und Telefonnummer. Er versprach mir, dass ich mich bei ihr in guten Händen befinden würde. Der Doktor empfahl mir, mich noch am selben Tag bei ihr zu melden um den Termin zu bestätigen.
Mit einem etwas besseren Gefühl begab ich mich auf den Heimweg. Etwas Angst war mir, Gott sei Dank, genommen. Doch trotz allem fühlte ich mich immer noch schlecht, die Angst war immer noch mein Begleiter. Es war immer noch schwer mich in der Öffentlichkeit zu bewegen, immer noch befürchtete ich, dass ich wieder angegriffen werden könnte.
Als ich daheim war gönnte ich mir etwas Ruhe um die Arzttermine zu verarbeiten und machte mir Gedanken wegen der bevorstehenden Therapie. Nach kurzer Ruhe rief ich mit unsicherer Hand bei der Therapeutin an um den Termin zu bestätigen. Schon von der Stimme her war sie sehr nett und man konnte merken, dass sie sich gut auf einen Patienten einstellen konnte. Ich spürte sofort, dass ich mit ihr klarkommen würde.
Einige Tage später war der Tag gekommen an dem ich mit der Therapie begann. Ein langer Weg lag vor mir. Es war gut, dass ich auf den Rat meines Hausarztes gehört habe. Doch es war auch sehr hart. In den Gesprächen mit der Therapeutin wurde das Trauma von Grund auf aufgearbeitet. Sie ging bis in den tiefsten Winkel, behutsam half sie mir alles herauszulassen und auch alles, bis ins Detail, zu berichten. Ohne Druck, aber dennoch mit Nachdruck beförderte sie mit gezielten Fragen alles nach oben. Es war sehr schwer und auch schmerzhaft es wieder zu durchleben. Doch war es, gerade jetzt, im Nachhinein betrachtet, genau das Richtige. Das Grauen der Vergewaltigung beherrschte mein Leben und somit beherrschte mich auch der Täter. Dadurch das ich die Therapie machte, begann ich damit die Ketten des Grauens und des Täters zu sprengen.
Ein Viertel Jahr später, nachdem ich beim Arzt war, stand ein weiterer Bluttest an. Vor dem hatte ich am meisten Angst, denn gerade das Warten war das Schlimme daran, warten darauf wie der Test ausfiel und die Ungewissheit zu beseitigen. Gerade das Warten war eine immense Qual die viel Kraft gekostet hatte. Zum Glück musste ich nicht zu lang auf das Ergebnis des neuen Bluttests zu warten. Das war dann endlich eine richtige Befreiung. Ich hatte das große Glück verschont zu bleiben. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen.
Das Ergebnis war dann auch ein Thema bei der Therapie. Es half sehr in den Gesprächen mit der Therapeutin. Sie machte mir klar, dass gerade das ein wichtiger Anker sei an dem ich Halt finden könne wenn das Trauma durch den Täter wieder übermächtig werden würde.
Insgesamt drei Jahre dauerte die Therapie. Es waren viele Stunden voller intensiver Gespräche. Doch es half, sehr sogar. Auch wenn die Erinnerungen an dieses grauenhafte Erlebnis der Vergewaltigung nie ganz verschwinden, so konnte ich durch die Therapie lernen dieses Trauma zu verarbeiten und konnte wieder beginnen zu leben. Die Ketten dieser Tat und des Täters waren gesprengt.
Meine Therapeutin konnte mir begreiflich machen, dass es den Tätern oft darum ging Macht über ihre Opfer zu bekommen. Und diese wussten nur zu gut, dass diese Macht oft lange Besitz über die Opfer hatte. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen ist genau das, was den Opfern neue Kraft gibt und ihre Peiniger auf mentale Art zu besiegen, mehr als es Strafen und Ächtung je könnten. Den Teufelskreis zu durchbrechen führt dazu, dass der perfide Plan der Täter durchkreuzt wird.
Es sind nun viele Jahre seit der Vergewaltigung vergangen, auch wenn es immer mal wieder Tage gibt wo die Erinnerungen wach werden und einen belasten können, so habe ich dank der Hilfe meines Arztes, der Therapeutin und auch von Freunden geschafft wieder ins Leben zu finden. Traurig ist nur, das Täter, sofern sie erwischt werden, oft nur milde bestraft werden und das man uns Opfern oft nicht glaubt.
Dank meiner Therapeutin konnte ich mich öffnen und mich mit anderen, auch anderen Opfern, austauschen und damit das Bewusstsein der Öffentlichkeit schärfen, damit nicht weggeschaut wird.
Oft hört man was darüber wie man Vergewaltiger bestrafen sollte, oft wird sogar der Ruf nach der Todesstrafe laut. Doch als Opfer kann ich nur davon abraten diese Strafe anzuwenden. Denn zum einen verfehlt eine solche Strafe ihre Wirkung, zum nächsten beseitigt sie nicht das Trauma (denn gerade die Erinnerung an das Trauma wird damit nicht entfernt) und mit so einer gewalttätigen Strafe würde man sich auf das niedrige Niveau des Täters herablassen. Und gerade das darf nicht passieren.
Doch weiter sage ich, wenn ein Täter tatsächlich mal bestraft wird, so habe ich kein Mitleid mit ihm, sondern es befriedigt mich, dass mal ein Täter aus dem Verkehr gezogen wurde.
Nachwort
Opfer einer Vergewaltigung zu werden ist mit das Schlimmste was einem passieren kann. Wichtig ist, man darf sich nicht unterkriegen lassen, auch wenn es schwer ist. Man darf nicht nach dem Warum fragen, sich nicht die Fragen stellen: Warum passiert mir das? Warum geschieht es? Warum dies, das oder jenes? Auf diese Fragen gibt es keine Antwort. Diese Fragen machen einen kaputt. Klar ist, wer sich diesen Fragen hingibt, der gibt den Tätern Macht. Der Täter hat schon durch seine grauenhafte Tat für gewisse Zeit Macht über einen gewonnen, er hat einem Gewalt angetan, er hat einen verunsichert. Nur wenn man bereit ist das Trauma dieser Gewalttat zu überwinden kann man frei werden und die Macht des Täters brechen. Und die Frage nach dem Warum wird auf den Täter zurückgeworfen.
Copyright: 23.07.2015
Autor: Harald Grenz
Bei diesem Buch handelt es sich um eine wahre und biographische Geschichte. Sie wurde mir von einem Opfer erzählt. Um das Auge auf die Dramatik dieser Tat wurde die Story bewusst in dieser Aufsatzform geschrieben. Das Opfer bleibt, aus Schutz seiner Person, ungenannt. Doch es sei ihm gedacht das er sich mir anvertraut hat und ich dieses Buch schreiben konnte.
Die Beta-Lesung sowie die Korrektur erfolgte durch meine Freundin und Autorenkollegin Karin Kaiser.
Das Coverbild zu diesem Buch stammt von der Webseite pixabay.com. Es wurde durch meine Freundin und Autorenkollegin Valerie le Fiery bearbeitet.
Die Rechte an dem bearbeiteten Bild liegen bei mir und der Bearbeiterin.
Der Klappentext zum Buch stammt von meinem Freund Frank Böhm.
An dieser Stelle mein Dank an meine Freunde für ihre Unterstützung.
Der Autor
Tag der Veröffentlichung: 30.07.2015
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