Cover

Der Tag an dem Du gingst

An diesem Abend saß ich im Wohnzimmer, in Gedanken versunken um zu erfassen was geschah. Mein bester Freund, mein Kamerad seit Kindertagen, ist tot, heute wurde er zu Grabe getragen. Ich konnte es nicht fassen, dass er nicht mehr da ist und gegangen war. So glitten meine Gedanken in die Vergangenheit.

 

Ich war wieder ein Kind und wohnte bei meinen Eltern in einer schönen Reihenhaus-Siedlung, es war eine unbeschwerte und fröhliche Kindheit. An einem schönen Tag im Frühjahr spielte ich im Vorgarten, da kam ein Umzugswagen um die Ecke gebogen und fuhr auf das leerstehende Nachbarhaus zu. Er kam dort zum Stehen. Kurz darauf erschien noch ein PKW und es stieg ein Paar mit ihrem Sohn aus. Der Junge war in meinem Alter. Neugierig schaute ich zu was da passierte.

 

Als das Paar die Tür aufgeschlossen hatte, begannen die Umzugshelfer die Möbel und Kisten ins Haus zu tragen. Ein geschäftiges Treiben begann. Dem Jungen interessierte das Treiben nicht. Er wollte lieber alles erkunden. Er sah sich um, schaute sich alles an und dann entdeckte er mich. Erst schaute er etwas verdutzt, dann siegte seine Neugierde, kam auf mich zu und sprach mich an:

 

„Hallo, wohnst Du hier, wie heißt Du?“

 

„Klar wohne ich hier, ich bin Maik. Und wer bist Du?“

 

„Bin der Mirko. Lust zu spielen?“

 

„Na klar, magst Du Fußball?“

 

„Logo mag ich Fußball“

 

Mit dieser Begegnung begann unsere Freundschaft. Von da an waren wir unzertrennlich. Bei guten Wetter verbrachten wir unsre Zeit draußen und bei schlechtem Wetter in unseren Kinderzimmern. Uns fiel immer was ein womit wir uns beschäftigen können.

 

Mirko und seine Eltern hatten sich mittlerweile gut eingelebt. Seine Eltern freundeten sich mit meinen Eltern an. So gab es auch viele gemeinsame Tage an denen wir grillten oder Ausflüge machten.

 

Zum Herbst hin wurden Mirko und ich eingeschult. Wir kamen in die gleiche Klasse. So begann unsere Schulzeit. Auch dort waren wir unzertrennlich. Es dauerte nicht lange und wir hatten Spitznamen weg, wir wurden die Zwillinge oder die M und M's genannt.

 

Uns gefiel die Schule und lernten fleißig, er mochte Biologie und ich Geschichte, was uns aber nicht hinderte auch mal Unsinn zu verzapfen und Streiche zu spielen. So manches Mal trieben wir die Lehrer zur Verzweiflung.

 

So vergingen die ersten Jahre in der Schule, als wir das Teenageralter erreichten entdeckten wir das die Welt auch mehr zu bieten hatte als nur Schule und Spiele. Mädchen wurden interessant, wir schauten sie uns an und fanden, dass einige dabei waren die sehr hübsch waren.

 

So unzertrennlich wie wir waren, gingen wir auch gemeinsam auf „Bräuteschau“. Wir hatten immer wieder Mädels am Start. Und wir hatten Spaß mit ihnen. Es kamen die jugendtypischen Unternehmungen, um die Häuser ziehen, Diskobesuche, abhängen und chillen.

 

So gingen die Jahre in der Schule dahin und es kam der Tag, an dem wir unsere Zeugnisse erhielten. Wir beide hatten den Realschulabschluss erworben und waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

 

Im Vorfeld hatten wir uns schon Gedanken gemacht was wir beruflich machen wollten. Mirko wollte unbedingt etwas mit Menschen machen und interessierte sich auch für medizinische Dinge, so hatte er sich entschlossen Rettungsassistent zu werden und fand beim Roten Kreuz einen Ausbildungsplatz. Mich haben seit jeher Bücher interessiert, aber auch ich wollte nicht irgendwo in einem dunklen Büro allein versauern, so hab ich eine Ausbildung zum Buchhändler gefunden. Da konnte ich beides miteinander verbinden, mit Menschen arbeiten und meine Leidenschaft für Bücher.

 

Bis zum Beginn unserer Ausbildung hatten wir noch zwei Wochen Zeit, die wollten wir noch nutzen um gemeinsam ein paar Tage in Urlaub zu fahren. Wir hatten uns für Dänemark entschieden und verbrachten dort ein paar sehr schöne Tage. Die Zeit verging wie im Flug.

 

Nach unserer Rückkehr begann der Ernst des Lebens. Jeder von uns startete mit der Ausbildung. Die Arbeit nahm sehr viel Raum ein, es gab viel zu lernen, aber sie machte auch Spaß. Mirko und ich konnten zwar nicht mehr so viel unternehmen wie früher, aber wir trafen uns immer regelmäßig und so erzählten wir uns auch wie es in den Ausbildungen lief. So ging auch diese Zeit vorbei und wir beendeten beide diese erfolgreich.

 

Beruflich ging es gut weiter, wir wurden übernommen und konnten so sicher in die Zukunft schauen, wir planten vieles gemeinsam, so hatten wir auch beschlossen von zuhause auszuziehen. Es war zwar nicht leicht, aber wir fanden jeder eine passende Wohnung und wir wohnten nicht mal weit auseinander. Doch nur eines war noch nicht so wie wir es uns erhofft hatten. Keiner von uns hatte bisher die Frau fürs Leben gefunden, gut, wir hatten beide Beziehungen, doch diese waren nie von langer Dauer.

 

So gingen die Jahre ins Feld, wir erlebten viel und sahen auch was von der Welt. Unsere Freundschaft war über die Jahre gewachsen, wir waren nicht nur die besten Freunde, wir waren wie Brüder. Da wir beide Singles waren beschlossen wir auch für Notfälle uns eine Vorsorgevollmacht zu geben. Auch wenn wir Scherze darüber machten, dass uns doch nichts passieren konnte war es doch auch ein Gefühl der Sicherheit.

 

Eines Tages stellten Veränderungen ein, Mirko erhielt eine Beförderung und kam so in eine leitende Stellung als Teamleiter, dies bedeutete für ihn, dass er mehr Verantwortung hatte und auch mehr Arbeit.

 

Ich hatte in meiner Buchhandlung eine Kundin, sie hieß Petra, kennengelernt, wir verliebten uns ineinander und wurden ein Paar. Das war die erste Beziehung wo ich mir eine gemeinsame Zukunft mit einer Frau vorstellen konnte.

 

Bedingt durch diese Veränderungen trafen Mirko und ich uns etwas seltener, doch das tat unserer Freundschaft keinen Abbruch. Wir hatten an einem Tag telefoniert und wollten uns für den Abend verabreden und mal wieder zusammen essen gehen.

 

Über diese Verabredung hatte ich mich sehr gefreut, ich besprach mich mit Petra ob es Okay für sie wäre wenn ich mich heute Abend mit Mirko treffe? „Mach ruhig Maik, ihr hattet doch in letzter Zeit sowieso kaum Zeit für euch“, erwiderte sie.

 

Der Arbeitstag rückte dem Ende zu und ich freute mich auf die Verabredung. Plötzlich klingelte mein Handy, ich war etwas irritiert, die Nummer des Anrufers war mir nicht bekannt und nur wenige hatten meine Handynummer. Mit einem etwas mulmigen Gefühl meldete ich mich. Es war die Polizei, sie fragten mich ob ich einen gewissen Mirko kenne. „Ja“, sagte ich, „das ist mein bester Freund, ist was passiert?“

 

„Wir haben eine traurige Nachricht für Sie“ sagte ein mitfühlender Polizist „ihr Freund wurde bei einem Einsatz von einem Auto angefahren.“

 

Ich wurde kreidebleich, „Wie geht es Mirko … wo ist er … kann ich zu ihm ...“ stammelte ich.

 

„Er wurde ins städtische Krankenhaus gebracht und es geht ihm schlecht“ teilte mir der Beamte mit.

 

Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich dankte dem Beamten für die Information und beendete das Gespräch. Ohne weiter nachzudenken setzte ich mich sofort in ein Taxi und fuhr ins Krankenhaus, ich wollte zu Mirko. Zum Glück hatte ich einen netten Chef der Verständnis hatte. Als ich dort ankam erwartete man mich bereits, an den Gesichtern der Ärzte und des Pflegepersonals sah ich, dass es ernst um Mirko stand, aber wie ernst, das war mir noch nicht klar.

 

Der Arzt bat mich zum Gespräch: „ Ihr bester Freund wird die Nacht wohl nicht überleben, wenn nicht ein Wunder geschieht.“

 

Ich nickte nur, sagen konnte ich nichts, so sehr war ich von der Aussage des Arztes geschockt.

 

„Gehen Sie zu ihm, sein Sie bei ihm, das ist das Einzigste was wir noch tun können.“

 

Man brachte mich in das Zimmer wo Mirko lag, ich setzte mich neben sein Bett und sah wie er da hilflos, angeschlossen an Maschinen und ohne Bewusstsein lag.

 

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich hilf- und ratlos, so hatte ich meinen besten Freund noch nie gesehen. Mein Kopf war leer, die Zeit verrann irgendwie, außer den Geräuschen der Maschinen war nichts zu hören. Es war furchtbar zu sehen wie er da lag, wie zerbrechlich er wirkte.

 

Plötzlich merkte ich, dass Mirko die Augen öffnete, er sah mich, ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich nahm einfach seine Hand, denn sprechen konnte ich nicht. Man merkte, dass es ihm schwer fiel wach zu bleiben, langsam und ganz leise sprach er mich an:

 

„Danke Maik, danke, dass Du gekommen bist … nun wo ich mich von Dir verabschieden konnte … kann ich gehen ...“

 

„Nein“ flüsterte ich, „verlass mich nicht, wir haben doch noch so viel vor.“ Tränen rollten mir übers Gesicht.

 

„Lass los Maik, für mich wird es Zeit zu gehen, ich weiß das Du bei Petra in guten Händen bist, ich danke Dir für all die Jahre der Freundschaft.“

 

Er sah mich an, lächelte mir zu und drückte mir noch einmal die Hand. Mit diesem Lächeln schloss er die Augen, er schloss die Augen für immer. Ich sackte in mich zusammen und konnte es nicht fassen, dass Mirko mich verlassen hatte. Nach all den vielen Jahren.

 

Ich saß da, neben ihm, jedes Zeitgefühl war weg. Ich merkte wie die Tür sich vorsichtig öffnete. Ich sah auf und bemerkte, dass es Petra, meine Freundin, war. Mein Chef hatte den Anruf den ich bekam mitbekommen und hatte sie verständigt. Sie kam vorsichtig auf mich zu, sie sah meine Tränen. Sie spürte meine Trauer um meinen besten Freund, sie sagte nichts, sie nahm mich einfach in den Arm um mir in der Trauer um Mirko beizustehen.

 

Ich weiß nicht wieviel Zeit verging, ich sah Petra an und sagte zu ihr mit leiser Stimme: „Wir müssen uns um alles kümmern, seine Eltern sind hochbetagt und außer ihnen und mir hat er ja sonst niemanden mehr gehabt.“

 

„Ja, und ich helfe Dir, wir schaffen das, gemeinsam, ich mochte Mirko auch, er war ein prima Kerl.“

 

Petra und ich nahmen stumm Abschied von ihm und verließen das Zimmer. Wir besuchten seine Eltern im Seniorenheim um sie behutsam zu informieren. Es war ein Schock für sie ihren einzigen Sohn zu verlieren. Es war selbstverständlich für mich, ihnen in dieser Zeit beizustehen. Danach kümmerte ich mich um die Beerdigung, einen letzten Freundschaftsdienst. Es fiel mir sehr schwer, doch dank Petra schaffte ich es.

 

Heute war die Beerdigung, es war ein schöner Abschied, sie wurde so gestaltet wie er es sich vorgestellt hätte. So konnte ich mich von ihm verabschieden. An seinem Grab sprach ich ein letztes Gebet und dankte ihm für die vielen Jahre die wir in Freundschaft verbrachten.

 

So sitze ich nun hier und denke an ihn. Ein Kapitel ist abgeschlossen, er ist gegangen. Ich hoffe das es ihm an dem Ort, wo er jetzt ist gut geht und ich ihn eines Tages dort wiedersehen werde.

 

Leise kam Petra zu mir, sie setzte sich neben mich hin und hielt einfach meine Hand. Wir lächelten uns an. Es beruhigte mich, dass sie bei mir war und ich konnte in die Zukunft blicken, ich bin nicht allein. Wo immer Mirko jetzt auch sein mag, ich glaube er ist zufrieden, dass ich nicht allein bin.

 

Petra und ich gingen auf den Balkon um noch etwas frische Luft zu schnappen. Es war etwas kühl, aber angenehm. Ein leichter Wind wehte. Es war als hörte ich Mirkos Stimme die sagte: „Maik, sei nicht traurig, lebe. Lebe und liebe. Es ist nicht das Ende sondern ein Anfang und wir sehen uns eines Tages wieder.“

 

Petra und standen auf den Balkon und schauten in den Nachthimmel, wir standen Arm in Arm. Ein Start in einen neuen Lebensabschnitt. In meinem Herzen wird mein bester Freund immer bei mir sein.

 

Epilog

Ein Jahr später hielten Petra und ich unseren Sohn in den Armen, er war ein absolutes Wunschkind. Und es war klar welchen Namen wir ihm gaben, natürlich Mirko. Gemeinsam mit unserem kleinen Jungen besuchten wir Mirkos Eltern im Altenheim. Da meine Eltern leider schon verstorben waren sollten seine Eltern nun für den kleinen Mirko die Großeltern sein. Eine Geste zur Erinnerung an einen Menschen der ein guter Sohn für seine Eltern war und für mich der beste Freund. Und so ist er bei uns. Und die Eltern des großen Mirkos war es eine große Freude mit dieser Überraschung für die sie Petra und mir dankbar waren.

 

 

Copyright: 25.07.2014

Überarbeitet: 23.06.2015

Autor: H. A. Grenz

Anmerkungen

Die Kurzgeschichte wurde zum erstenmal bereits im September 2014 im Sammelband mit dem Titel "Kurzgeschichten" veröffentlicht. Da steht sie in einer leicht verkürzten und unkorrigierten Fassung drinnen. Diese jetzt veröffentlichte Fassung wurde in der Hauptsache um einen Epilog erweitert und vor allem korrigiert.

 

 Diese Kurzgeschichte wurde durch Karin Kaiser beta-gelesen und korrigiert.

 

Das Coverbild zu diesem Buch stammt von der Websteite pixabay.com.

 

Das Coverbild wurde durch Valerie le Fiery bearbeitet.

 

Sollten Ähnlichkeiten zu anderen Bücher vorhanden sein, so sind diese rein zufällig.

 

Der Autor

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.06.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Kurzgeschichte widme ich einer sehr lieben Freundin, Christiane Höppke.

Nächste Seite
Seite 1 /