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Auf Messers Schneide

Prolog

Endlich kann ich wieder positiv nach vorne schauen. Es war ein langer, schwerer und auch schmerzhafter Weg. In den letzten paar Jahren hatte ich es nicht leicht. Erst verlor ich meinen langjährigen Partner nach langer Krankheit, er war die Liebe meines Lebens. Eingenommen von meiner Trauer versank ich immer mehr in Einsamkeit und schottete mich ab. Den Alltag wie Beruf und Haushalt bewältigte ich nur noch mechanisch. Die Gegenwart anderer Menschen konnte ich nur mit Mühe ertragen, auch wenn sie es gut mit mir meinten. Durch meinen Beruf als Berufsschullehrer hatte ich aber nun mal viel mit Menschen zu tun und einer davon sollte, auch wenn ich es da noch nicht bemerkte oder auch nicht bemerken wollte, eine große und positive Rolle in meinem Leben. Beinahe wären sein und mein Leben komplett zerstört worden, durch die Trauer in mir, es stand wahrhaft auf Messers Schneide.

 

Die Geschichte

Vor dreieinhalb Jahren traf mich das Schicksal mit einem mächtigen Donnerschlag. Mein Partner Christopher, mit dem ich seit fast zwanzig Jahren zusammen war, kam mit einem Gesicht heim welches nichts Gutes verhieß. Auch konnte ich sehen, dass er geweint hatte. Bei mir schrillten sofort die Alarmglocken und ich nahm mir sofort Zeit für ihn. Vorsichtig nahm ich ihn in den Arm.

 

„Schatz, was ist mit Dir, erzähl es mir.“

 

„Es, es ist … verdammte Scheiße ...“

 

Weiter kam er nicht, er fing an hemmungslos an zu weinen und zitterte am ganzen Leib. Die Tränen flossen in Strömen. Hilflos saß ich neben ihm und hielt ihn einfach nur fest.

 

Ich weiß nicht wie lang er in meinem Arm lag und weinte, doch irgendwann versiegten die Tränen und er begann zu erzählen:

 

„Liebster, Du weißt doch das ich einen Termin beim Arzt hatte, den zweiten innerhalb kurzer Zeit?“

 

„Ja, das weiß ich, was hat der Arzt denn gesagt?“

 

„Er … er hat mir heute das Untersuchungsergebnis mitgeteilt. Ich habe Bauchspeicheldrüsenkrebs. Und das Schlimme ist, dieser scheiß Krebs hat gestreut. Er sagt, ich soll umgehend ins Krankenhaus um behandelt zu werden.“

 

„Oh mein Gott ...“

 

Mehr konnte ich nicht sagen, es verschlug mir die Sprache. Diese Krankheit war eine Geißel und ich wusste wie aggressiv gerade diese Krebsart war.

 

Vor meinem geistigen Auge spielte sich mein Leben mit Christopher ab. Wir kannten uns schon seit der Schulzeit, mit 19 Jahren kamen wir zusammen. Auch wenn es in unserer Beziehung, wie bei allen anderen Paaren auch, Höhen und Tiefen hatten, so waren wir doch glücklich zusammen und liebten uns noch wie am ersten Tag. Und nun das.

 

Mein Magen verkrampfte sich und in mir stiegen Angst, Wut und Tränen hoch. Wieso …? Wieso musste das passieren, wieso bekam mein Mann diese Krankheit? Doch ich durfte es nicht zeigen, ich musste doch stark sein für Christopher. Gerade jetzt brauchte er mich.

 

Gleich am nächsten Morgen brachte ich Christopher ins Krankenhaus, ich konnte spüren, dass er große Angst hatte. Angst vor dem was ihm nun bevorstand und erwartete.

 

„Bernd, bleibst Du bei mir?“

 

„Na klar doch Chris.“

 

„Du, ich habe Angst, sehr große sogar.“

 

„Das glaube ich Dir, mir geht’s genauso.“

 

Wie erwartet ging es im Krankenhaus zur Sache, es folgten viele Untersuchungen wie Blutentnahmen, Ultraschall und viele mehr. Danach ging die Behandlung los. Weil der Tumor schon weit fortgeschritten war und auch schon gestreut hatte, schied eine Operation aus. Man versuchte mit einer Chemo- und Strahlentherapie den Krebs zu bekämpfen. In manchen Fällen konnte der Tumor dadurch zurückgehen, sodass man ihn doch noch hätte operieren können. Diese harte Therapie zehrte sehr an Christophers Kräften.

 

In den ersten drei Wochen schien die Therapie anzuschlagen und es war eine leichte Besserung zu sehen. Auch die Begleiterscheinungen, wie zum Beispiel die Übelkeit, ließen etwas nach. Das nährte in Christopher und mir die Hoffnung, dass es eine Chance gab. Doch diese Hoffnung währte nicht lange. An einem Tag, wir waren gerade im Garten des Krankenhauses, da erlitt mein geliebter Chris einen Schwächeanfall. Sofort wurde er ins Behandlungszimmer gebracht. Nach der Untersuchung kam die schockierende Nachricht, der Krebs hatte sich wieder verschlimmert und das sehr rapide. Am Gesicht des Arztes war zu sehen, dass er keine Chance mehr sah. Chris wurde in sein Zimmer gebracht und ich suchte das Gespräch mit dem Arzt.

 

„Wie schlimm ist es?“, fragte ich ihn.

 

„Aussichtslos, die Therapie hat versagt. Das einzige was man tun kann, ist, das Leiden mit Medikamenten zu lindern.“

 

„Bestehen wirklich keine Möglichkeiten mehr? Man hört doch immer von neuen Verfahren?“

 

„Es tut mir leid, es ist aussichtslos. Wir haben wirklich alles probiert.“

 

„Wie soll es nur weitergehen? Wie soll ich nur ohne ihn leben?“

 

„Seien Sie für ihn da, geben Sie ihm Halt. Gerade jetzt braucht er Sie.“

 

„Nie lasse ich ihn im Stich. Chris ist mein Ein und Alles.“

 

Nach dem Ende des Gesprächs setzte ich mich in eine ruhige Ecke, ich brauchte etwas Ruhe um einen klaren Gedanken fassen zu können. Es war mir unerträglich daran zu denken, dass ich ohne meinen geliebten Chris sein sollte. Wir waren seit einer gefühlten Ewigkeit zusammen. Jeder Gedanke daran ohne ihn zu sein machten mir Angst und machten mich zugleich auch wütend. Immer wieder fragte ich mich wieso es gerade ihn treffen musste, einem so wunderbaren und liebevollen Menschen. Zum ersten Mal haderte ich mit dem Leben. Es kam auch die Frage in mir hoch ob es einen Gott gab und wenn ja, wieso er das zulässt. Und das es doch grausam ist das zuzulassen.

 

Nach einer Weile kehrte ich in das Zimmer von Chris zurück. Bleich lag er im Bett mit geschlossenen Augen, an Apparaten und Infusionen angeschlossen. Leise setzte ich mich neben ihn und nahm seine Hand. Vorsichtig und sanft streichelte ich sie. Chris öffnete kurz die Augen und lächelte mich dankbar an. Doch kurz danach schlief er wieder ein.

 

In den nächsten Wochen und Monaten ging es immer weiter bergab mit Chris. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Ich war fast rund um die Uhr bei ihm. Gegen jeden Rat von Ärzten und Freunden gönnte ich mir kaum Ruhe. Ich wollte bei ihm bleiben und ihm, so gut es ging, schön machen.

 

Als das Ende sich nahte, verlegte man Chris in ein Hospiz. Man bot mir an eines der Gästezimmer zu nutzen, so konnte ich bei ihm bleiben. Von der Arbeit hatte ich mir unbezahlten Urlaub genommen um weiterhin bei meinen geliebten Mann bleiben zu können. Es tat mir weh zu sehen wie Chris dort so lag und der grausame Tag immer näher rückte. Immer seltener hatte er mal einen wachen Moment, doch dankbar nahm ich diese an. Immer wieder sagte ich ihm wie sehr ich ihn liebte. Sprechen konnte mein Schatz kaum noch, doch er gab mir immer wieder durch eine kleine Bewegung oder ein schwaches Lächeln Antwort.

 

An einem Morgen betrat ich dann wieder sein Zimmer im Hospiz. Als ich an das Bett trat bemerkte ich, dass es soweit war. Behutsam nahm ich Platz und hielt mit einer Hand die seine. Mit der anderen strich ich ihm zärtlich über sein geliebtes Gesicht. Mit jedem Atemzug wurde er schwächer und schwächer. Hilflos musste ich zusehen wie das Leben aus ihm wich. Auf einmal öffnete er seine Augen und sah mich an. Mir liefen Tränen über das Gesicht. Weinend sagte ich zu ihm:

 

„Ich liebe Dich mein Schatz, für immer.“

 

„Ich dich auch Bernd“, erwiderte er kaum hörbar.

 

Ich beugte mich vorsichtig zu ihm hin und küsse ihn. Seine Augen schlossen sich wieder und merkte wie er ein letztes Mal ausatmete. Ich sah ihn an und sah, dass er nun für immer eingeschlafen war. Ungläubig betrachtete ich ihn, mein Christopher, mein geliebter Mann war tot, es war als ob ich zerrissen wurde. Ich schrie auf und fing an zu weinen, die Trauer ergriff Besitz von mir. Wie sollte ich nur weitermachen ohne ihn. Mein halbes Leben hatte ich mit ihm verbracht. Wir hatten zusammen gelacht und geweint, wir waren durch Dick und Dünn, durch Höhen und Tiefen gegangen. Nun war ich allein. Und wieder schrie ich auf.

 

Eine Mitarbeiterin des Hospizes trat leise ein und kam zu mir. Sanft legte sie mir die Hand auf die Schulter um mir etwas Halt zu geben. Die Tränen flossen mir nur so, es war unfassbar, nur ein halbes Jahr nach dieser scheiß Diagnose starb Chris. Wir waren so lang, knapp 20 Jahre, zusammen. Und nun war ich allein. Ich wusste nicht was die Zukunft bringen sollte, eine Zukunft ohne meinen Christopher.

 

Die Mitarbeiterin blieb einfach neben mir stehen und hielt mich, sie sagte kaum etwas, sie blieb nur um mir in dieser schrecklichen Situation wenigstens etwas Kraft zu geben. Auch wenn Chris nun vom Leiden erlöst war, so war es doch schlimm, wir waren beide mit 39 Jahren doch noch so jung. Und wir hatten doch noch so viel vor.

 

Irgendwann ging ich dann heim. Wie ich dort hinkam lag in einem dunklen Schleier. Auch die nächste Zeit verlief so, rein mechanisch kümmerte ich mich um die Beerdigung und um alles was damit verbunden war. In mir war eine grenzenlose Leere.

 

Auch am Tag der Beerdigung funktionierte ich nur mechanisch. Auch wenn mir Freunde und Kollegen beistanden, so war mir das egal, meine Gedanken kreisten nur um den Verlust von Chris. Alle gaben ihr Bestes um mir zu helfen und um mich zu trösten. Doch ich konnte es da nicht richtig wahrnehmen und würdigen. Zu sehr hatte mich der Schmerz im Griff. Nun stand ich an seinem Grab und nahm Abschied von ihm. Mit einer weißen Rose, seiner Lieblingsblume, und einem letzten zu gehauchten Kuss sagte ich meinem geliebten Mann Adieu.

 

Irgendwann war ich dann wieder daheim und allein. Innerlich war ich gebrochen. Wie sollte es nur weitergehen? Nach Rücksprache mit meinen Vorgesetzten war ich noch für drei Monate freigestellt. Mir war auch nicht danach mit anderen Menschen zusammen zu sein. Ich konnte es einfach nicht. Das dies falsch war, dass wollte ich damals noch nicht wahrhaben. Immer mehr versank ich in Trauer und Einsamkeit.

 

 

Etwa 10 Wochen nach der Beerdigung kam ein Kollege, Jürgen, zu Besuch um zu sehen wie es mir ging. Er ließ sich nicht abwimmeln. Und so war Jürgen der erste Besuch nach längerer Zeit. Als ich mit ihm ins Wohnzimmer ging war er entsetzt und meinte:

 

„Bernd, verdammt, komm zu Dir.“

 

„Wieso Jürgen, es ist doch alles egal.“

 

„Nein, das ist es nicht.“

 

„Wozu denn? Was gibt es denn noch?“

 

„Du hast Freunde die Dich mögen, Du hast Deinen Beruf den Du liebst.“

 

„Mag sein ...“

 

„Nun hör auf, Du zerfließt ja fast vor Selbstmitleid.“

 

„Wie kannst Du das nur sagen?“

 

„Stimmt doch, nun überlege mal, meinst Du, es wäre Chris recht das Du nur noch so vor Dich her lebst?“

 

„Lass Chris aus dem Spiel.“

 

„Nein, lass ich nicht. Wenn er jetzt hier wäre, dann würde er Dich jetzt auch aufrütteln. Willst Du ewig so weitermachen und Dich damit selbst zugrunde richten?“

 

„Warum nicht?“

 

„Du spinnst wohl. Und Du sagst, dass Du Chris liebst? Wenn Du ihn wirklich liebst, dann lebe weiter, so lebt auch er in Dir weiter. Verdammt, dass bist Du ihm schuldig.“

 

Erstaunt sah ich Jürgen an, nachdenklich musste ich ihm zustimmen, denn er hatte Recht, Chris wollte sicher nicht, dass ich mich so gehen ließ.

 

„So Bernd, wir machen jetzt mal Nägel mit Köpfen. Du musst wieder ins Leben zurück. Und ich werde Dir helfen. Widerspruch ist zwecklos.“

 

Zum ersten Mal seit Christophers Tod huschte etwas wie ein Lächeln über mein Gesicht und ich erwiderte ihm einfach: „Ja Sir!“

 

„Na also, geht doch.“

 

Und ohne viel Federlesen zog er mich hoch und wir begannen die Wohnung auf Vordermann zu bringen. Die Gardinen und Fenster wurden geöffnet und die wir ackerten bis es wieder manierlich aussah.

 

Gegen Abend machte Jürgen sich auf den Heimweg. Aber er kündigte schon an am nächsten Tag wieder zu kommen um mit mir einkaufen zu gehen.

 

Kurzum, in den nächsten Tagen war Jürgen fast täglich da. Langsam kehrte so etwas wie Normalität ein und ich begann langsam nach vorne zu sehen. Es tat gut. Vor allem auch mal wieder Gesellschaft zu haben.

 

Dank Jürgen konnte ich dann auch wieder anfangen zu arbeiten. Im Nachhinein war es auch gut so. Gut, ich trauerte immer noch um Chris und es tat auch noch sehr weh, doch nicht mehr so wie vorher. Es tat auch gut zu spüren, dass ich nicht alleine war, auch nicht im Schmerz. Denn viele Freunde von mir waren auch Freunde von meinem Schatz und sie trauerten auch um ihn.

 

Gerade die Arbeit und die Freunde gaben mir neue Kraft und ich konnte wieder etwas positiver nach vorne schauen. Ab und zu unternahm ich dann auch mal was mit Jürgen oder anderen Freunden. Ich glaube, dass es so auch im Sinne von Chris war.

 

Etwa vier Monate war ich wieder am Arbeiten, da begegnete mir jemand in der Schule der bald eine große Rolle in meinem Leben spielen sollte, ein junger Auszubildender, für den ich in der Berufsschule zuständig war.

 

Und dieser Jemand war Jonas, er war ein junger Mann von 21 Jahren und hatte eine Ausbildung zum Mechatroniker gefunden. Obwohl er nun bei weitem nicht der erste Schüler in meiner Laufbahn als Lehrer war, so fiel er mir doch irgendwie auf. Er war ein sehr ruhiger und zurückhaltender Mensch, in den Pausen stand er meist abseits der ganzen Gruppen und Cliquen. Das verwunderte mich nun doch. Denn normalerweise waren junge Menschen in dem Alter doch sehr kommunikativ und hingen gern zusammen ab. Doch nicht so bei Jonas, er blieb meistens allein, auch zu den anderen in der Klasse blieb er auf Abstand. Es schien, als ob er in seinem Leben auch schon Schreckliches durchgemacht hätte. Und genau das machte mich neugierig auf ihn.

 

In der nächsten Zeit hatte ich ein Auge auf Jonas. Es interessierte mich herauszufinden was mit ihm war und wieso er so zurückhalten war. Lange musste ich nicht warten um mehr zu erfahren.

 

An einem Tag, Jonas hatte wieder Berufsschule, bemerkte ich, dass er Probleme mit den anderen Schülern hatte. Es war auf dem Schulhof während der Pause. Zufällig musste ich was erledigen, da sah ich es. Drei, etwa gleichaltrige, Schüler bedrängten ihn, sie drückten ihn an eine Wand und ich konnte schon von weitem mitbekommen wie sie ihn beleidigten und sich über ihn lustig machten. Als ich näher kam bekam ich genauer mit was sie ihm an den Kopf warfen:

 

„Na Du verdammte Schwuchtel.“

 

„Lasst mich doch in Ruhe.“

 

„Wieso, Du magst es doch mit Männern, nun hast Du gleich drei.“

 

„Wieso tut ihr das?“

 

„Euch perversen Arschfickern muss man mal eine Lektion erteilen.“

 

„Ich hab euch doch nie was getan, lasst mich doch einfach.“

 

So ging es hin und her, sie bedrängten Jonas immer mehr. Auch mir gaben diese wüsten Beschimpfungen einen Stich ins Herz, denn ich war ja selbst schwul und hatte so viele Jahre glücklich mit meinem Chris gelebt. Doch so ging das nicht, es konnte nicht angehen das sich drei an einem einzelnen vergriffen und dann noch diese Beleidigungen die unterste Schublade waren. So ging ich dazwischen.

 

„Auseinander, lasst ihn in Ruhe1“

 

„Ach, das ist doch nur Spaß.“

 

„Das hab ich gesehen und gehört was das für ein Spaß ist.“

 

„Nun haben Sie sich doch nicht so.“

 

„Jetzt reicht's, verschwindet, bevor es Ärger gibt.“

 

Mit einem grimmigen Gesicht ließen sie von Jonas ab und gingen. Während sie so von dannen gingen brummelten sie was in ihren nicht vorhandenen Bart. Ich wandte mich Jonas zu und sah, dass er wie Espenlaub zitterte.

 

„Komm, beruhige Dich Jonas, es ist vorbei.“

 

„Danke, aber das war nicht das erste Mal.“

 

„Wie, nicht das erste Mal?“

 

„Hier war es schon das zweite Mal, dass ich bedrängt wurde, aber auf meiner alten Berufsschule war es noch schlimmer.“

 

„Das ist ja unmöglich und das nur weil Du schwul bist?“

 

„Ja, die haben ein Problem damit.“

 

„Lass Dir nichts einreden, das ist vollkommen normal. Steh dazu und das ist gut so.“

 

„Das ist leichter gesagt als getan.“

 

„Weiß ich, es ist nicht immer leicht, man stößt oft auf Unverständnis, vor allem bei solchen Ignoranten.“

 

„Wieso? Woher wollen Sie das denn wissen?“

 

„Aus eigener Erfahrung.“

 

„Wie, Sie sind auch schwul?

 

„Ja. Und ich hab mein Leben lang offen gelebt.

 

„Das wusste ich nicht.“

 

Ich nahm Jonas mit in einen leeren Klassenraum und beruhigte ihn weiter. Dabei erzählte er mir einiges. Als er merkte, dass ich, wie er schwul bin, platzte alles aus ihm heraus. Er ging mit 18 von seinen Eltern weg, weil sie es nicht akzeptieren wollten. Und es hatte lange gedauert bis er eine kleine Wohnung und einen Ausbildungsplatz fand. Manchmal hatte er einen kleinen Job um sich über Wasser zu halten. Durch einen Zufall geriet er an eine Werkstatt, dessen Chef ein offener und vor allem toleranter Mensch war. Und so kam es auch das Jonas dort seine Ausbildung beginnen konnte.

 

Es war ganz deutlich zu spüren, dass es Jonas gut tat sich mal alles von der Seele zu reden, auch, dass er immer wieder angegriffen wurde weil er schwul war. Doch er wurde nun auch neugierig.

 

„Darf ich Sie mal etwas fragen?“

 

„Na klar, was denn?“

 

„Haben oder hatten Sie schon eine Beziehung?“

 

„Ja, ich hatte eine“, erwiderte und wurde etwas traurig.

 

„Oh, hab ich etwas falsches gefragt?“, fragte er mich besorgt.

 

„Nein, hast Du nicht, es liegt nicht an Dir.“

 

„Was haben Sie denn, Sie wirken auf einmal so traurig.“

 

„Ich habe vor einigen Monaten meinen Partner verloren, er starb an Krebs.“

 

„Das tut mir leid, ich wollte keine Wunden in Ihnen aufreißen.“

 

„Ist schon okay, woher solltest Du das wissen.“

 

„Sie haben ihn sehr geliebt, nicht wahr? Das spürt man sofort.“

 

Es ist nicht zu erklären, doch durch dieses Gespräch zwischen Jonas und mir hat sich etwas getan, wir hatten schon vorher einen gewissen Draht zueinander, doch jetzt erst recht. Als er merkte, dass mir die Erinnerung an Chris wehtat, weil ich ihn so vermisste, da nahm er ganz unbewusst meine Hand.

 

Als er mich so berührte traf es mich wie ein elektrischer Schlag, erst wollte ich meine Hand wegziehen, doch das wäre Jonas gegenüber unfair gewesen, denn er war dankbar das ich ihm geholfen hatte und nun wollte er mich etwas aufmuntern weil mich die Trauer ergriff. Aber die Berührung löste auch etwas aus, es war das erste Mal seit langem das mir jemand so die Hand hielt. Obwohl ich ein gestandener Mann von nun schon 40 Jahren bin, hatte ich weiche Knie bekommen.

 

In den nächsten Wochen und Monaten vertiefte sich der Kontakt zwischen Jonas und mir, er ging über das schulische hinaus, ja, man kann sagen wir wurden gute Freunde, trotz des Altersunterschiedes von fast 20 Jahren. Es war das erste Mal seit langem das jemand wieder etwas mehr Raum in meinem Leben hatte. Doch ich musste auch aufpassen, denn es würde sicherlich nicht verborgen bleiben, dass wir mehr Kontakt hatten. Mir war klar, die Leute würden sich ihre Gedanken machen. Auch wenn, außer Freundschaft, nichts zwischen Jonas und mir war, so wusste ich doch, dass es einige zum Anlass nehmen würden um Gerüchte zu schüren. Und das könnte fatale Folgen haben, denn ich war Lehrer und Jonas mein Schüler.

 

Auch wenn ich die Freundschaft immer mehr genießen konnte, so war ich doch froh, dass das Lehrer-Schüler-Verhältnis bald beendet sein würde, denn, so hoffte ich, würde die Basis für eventuelle Gerüchte und für Getratsche wegfallen.

 

Während der Zeit in der Schule gab ich auch mehr Acht auf Jonas und auch generell, denn es kam, wie mir aufgefallen war, immer häufiger zu Mobbing an Schulen. Das entwickelte sich fast schon zu einem richtigen Volkssport. Dem musste entgegen gewirkt werden und niemand sollte wegschauen.

 

Rund drei Monate später hatte Jonas seine Gesellenprüfung. So gut es ging half ich ihm sich darauf vorzubereiten. Trotz einiger Nervosität schaffte er die Prüfungen mit Bravur. Als er zu mir kam und mir seinen Gesellenbrief mit einem Lachen zeigte, da freute ich mich für ihn mit. Ohne lange zu überlegen nahm ich ihn in den Arm und drückte ihn. Auch Jonas dachte nicht nach und erwiderte diese Umarmung.

 

Auf einmal wurde mir klar was geschah, das erste Mal seit langem hielt ich wieder einen Mann in den Arm. Und es gefiel mir sogar. Ich spürte, dass ich Jonas mochte, sehr sogar, mehr als das ich es noch vor kurzem für möglich hielt.

 

Wir setzten uns bei mir ins Wohnzimmer und stießen mit einem Glas Sekt auf die bestandene Prüfung an. Und er hatte auch noch eine weitere gute Nachricht.

 

„Du Bernd, stell Dir vor, mein Chef übernimmt mich als Gesellen.“

 

„Hey Jonas, das ist doch toll, das freut mich sehr.“

 

„Ja, es ist toll, ich hab mich in der Werkstatt immer wohlgefühlt.“

 

„Na, dann haben wir ja noch einen Grund zum Anstoßen.“

 

Wir stießen mit unseren Gläsern an und tranken einen Schluck Sekt. Doch da fiel es mir zum ersten Mal auf, Jonas sagte zum ersten Mal „Du“ zu mir und hat mich beim Vornamen genannt. Nun ja, jetzt war es okay, denn mit bestandener Prüfung war er auch nicht mehr mein Schüler.

 

Wir saßen so beieinander und tranken den Sekt. Doch trotz der Freude darüber, dass Jonas die Prüfung bestanden und auch einen Job hatte, so war doch zu merken das ihn noch etwas bewegte und das er überlegte wie er es sagen könne.

 

„Du Bernd … da, da ist noch was.“

 

„Sprich Dich aus Jonas, nur frei von der Leber weg.“

 

„Ich … ich weiß nicht … ich finde nicht die richtigen Worte.“

 

„Was ist denn, sag es mir doch. So schlimm kann es doch nicht sein.“

 

„Bernd … ich … ich liebe Dich.“

 

Für einen Moment wurde ich ganz starr und es verschlug mir die Sprache. Jonas, mein ehemaliger Schüler hatte sich in mich verliebt. Mit vielem hatte ich gerechnet, aber damit nicht. Er war ein ganz Lieber und ich mochte ihn auch, sehr sogar. Aber ich wusste nicht ob ich jetzt schon wieder bereit war jemanden zu lieben. Und dann noch einen so jungen Mann. Er ist doch noch so jung, vom Alter her könnte er ja auch mein Sohn sein, immerhin war ich 19 Jahre älter als er. Für eine kurze Zeit herrschte betretendes Schweigen, bis Jonas die Stille durchbrach:

 

„Bernd, bitte, sag etwas ...“

 

„Du, ich fühle mich sehr geschmeichelt und ich mag Dich auch, sehr sogar.“

 

„Ich liebe Dich und könntest Du mich auch lieben?“

 

„Das kommt so überraschend Jonas, ich muss das erstmal verarbeiten.“

 

„Bernd, Du bist der erste Mann in den ich mich ernsthaft verliebt habe.“

 

„Bitte Jonas, gib mir etwas Zeit.“

 

Die Stimmung kippte, die Freude über das bisherige verschwand. Jonas' Gesicht verzog sich, in seinen Augen kamen Tränen hoch. Er sprang auf und wollte überstürzt flüchten. Ich sprang auf und ging schnell hinter ihm her. Kurz vor der Wohnungstür hatte ich ihn eingeholt und hielt ihn fest. Als ich ihn umdrehte und in sein Gesicht sah, da flossen Tränen über Tränen. Schmerzerfüllt sagte er:

 

„Lass mich, bitte lass mich gehen.“

 

„So können wir doch nicht auseinander gehen.“

 

„Wieso nicht, es hat doch keinen Zweck.“

 

„Doch, das hat es. Bitte bleib.“

 

Noch ehe er antworten konnte zog ich ihn an mich und küsste ihn. Schlagartig wurde mir klar, dass ich ihn auch liebte. Zum Teufel, ich hatte mich in einen Jüngling verliebt …

 

Eng umschlungen standen wir da und küssten uns. Wie lang wir da so standen, ich wusste es nicht. Es war wie eine Ewigkeit. Als wir uns dann irgendwann lösten sagte ich:

 

„Ich liebe Dich auch Jonas.“

 

Er sah mich mit seinen brauen Augen an, erstaunt darüber was er da gerade gehört hatte:

 

„Stimmt das Bernd? Liebst Du mich auch?“

 

„Ja, verdammt ja, ich liebe Dich.

 

Wieder schossen ihm Tränen in die Augen, doch diesmal waren es Freudentränen. Und wir nahmen uns erneut in den Arm. Stumm standen wir so dort. Ein Gefühl der Wärme durchzog mich. Noch vor kurzem hätte ich das nie für möglich gehalten das ich jemals wieder jemanden so lieben könnte.

 

Jonas blieb da, auch über Nacht, so kam es auch das wir miteinander schliefen. Diese erste gemeinsame Nacht mit ihm, es war so wunderbar und sie hatte für mich auch etwas Befreiendes.

 

So begann etwas Neues und etwas Schönes. Doch es sollten noch Wolken kommen die Jonas und mir das Leben schwer machen würden. Ja, aus uns wurde ein Paar, es war einfach schön wieder jemanden zu haben mit dem man lachen und weinen konnte. Auch wenn wir vorsichtig waren, denn wegen unserer Vorgeschichten wollten wir es nicht an die große Glocke hängen, so blieb es nicht lang verborgen.

 

Einige Zeit, nachdem Jonas und ich zusammengekommen waren, ging es los. Als ich an einem Tag in die Berufsschule kam, da bemerkte ich, dass manche mich anstarrten und dass auch getuschelt wurde. Erst schenkte ich dem weiter keine Beachtung. Doch dieser Zustand hielt an. Manches Mal als ich an einigen Schülern oder Lehrern vorbeikam hörten ihre Unterhaltungen schlagartig auf. Als ich dann weiter weg war fing es an. Ab und zu hörte ich dann im Vorbeigehen auch gewisse Schlagworte wie „Schwulette“ oder „notgeiler Kerl“ oder „der steckt wohl in der Midlifecrisis“. Es war deutlich zu merken, dass diese Schlagworte mir galten.

 

Auch wenn ich versuchte das alles zu ignorieren, so lag doch eine gewisse unangenehme Spannung in der Luft. Selbst wenn ich in den Klassen vor den Schülern stand war das zu bemerken. Wenn ich Feierabend hatte und mit Jonas zusammen war versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, denn ich wollte ihn vorerst nicht damit belasten. Aber er war ja nicht dumm, Jonas spürte, dass da etwas war. Doch wenn er mich ansprach wich ich ihm aus. Diese Situation fing langsam an unsere, noch frische, Beziehung zu belasten.

 

Schließlich braute sich ein Gewitter zusammen. Als ich wieder zum Dienst in die Schule kam erwartete mich im Lehrerzimmer der Rektor der Schule.

 

„Herr Zimmermann, ich muss mit Ihnen sprechen“

 

„Was gibt es denn Herr Bach?“

 

„Das besprechen wir später bei mir im Büro. Ich möchte Sie bitten in der großen Pause zu mir ins Büro zu kommen.“

 

„Selbstverständlich.“

 

Danach verließ der Rektor das Lehrerzimmer. Kurz danach nahm mich mein Freund und Kollege Jürgen beiseite.

 

„Du Bernd, pass bloß auf, die haben mitbekommen das Du was mit Deinem ehemaligen Schüler am laufen hast.“

 

„Wie bitte? Und deswegen machen die hier eine Welle?“

 

„Mir ist es egal, im Gegenteil es freut mich sogar das Du wieder jemanden gefunden hast, aber Du weißt doch wie die Leute sind.“

 

„Wie sind die Leute denn?“

 

„Ach, viele haben ein Problem damit wenn einer wie Du in diesem Alter mit jemand so jungen wie Jonas was anfängt.“

 

„Meine Güte und wegen sowas machen die eine solche Welle? Die sind wohl nicht ganz schussecht. Haben die denn keine anderen Sorgen?“

 

„Du, mich freut es ehrlich, doch das wird es immer wieder geben mit dem Getratsche.“

 

„Leider, ist doch eigentlich Kinderkram.“

 

Weiter kamen wir nicht mit unserem Gespräch. Wir mussten in den Unterricht. Mit einem mulmigen Gefühl ging ich in meine Klasse. Meine Gedanken kreisten schon um das Gespräch mit dem Rektor.

 

Langsam und zäh verging die Schulstunde. Ich war froh als es endlich klingelte. Nachdem die Schüler alle das Klassenzimmer verlassen hatte machte ich mich direkt auf den Weg in das Direktorat. Kaum angekommen bat mich der Rektor auch gleich hinein und kam sofort zur Sache.

 

„Herr Zimmermann, es gibt einiges zu klären.“

 

„Und was Herr Bach?“

 

„Was ist an den Gerüchten dran, dass sie was mit einem ehemaligen Schüler haben?“

 

„Wenn Sie Jonas meinen, ich bin seit einiger Zeit mit ihm zusammen. Ist das ein Problem?“

 

„Selbstverständlich ist das ein Problem. Haben Sie mal daran gedacht was das für ein Licht auf unsere Schule wirft?“

 

„Wie bitte? Ich glaube kaum, dass das was mit der Schule zu tun hat.“

 

„Ach nein? Sie sind hier Lehrer und Jonas ist ein Schüler hier gewesen.“

 

„Ja, Sie sagen es, die Betonung liegt auf 'gewesen'. Und weiterhin ist er auch volljährig. Da Jonas nicht mehr hier ist und auch die Tatsache das er deutlich über 18 ist, sagt alles und von daher dürfte das ja wohl eine reine Privatsache sein die rein gar nichts mit der Schule zu tun hat.“

 

„Aber wie wirkt das auf Außenstehende? Sie sind 40 und Jonas ist gerade mal 21, Sie könnten sein Vater sein. Es wirkt ja als ob sie eine Midlifecrisis hätten und Jonas einen Ödipus-Komplex.“

 

„Was gehen mich Außenstehende an? Zum einen müssen weder Jonas noch ich uns für unsere Gefühle zueinander schämen, dann besteht kein Abhängegen-Verhältnis mehr und wir verstoßen gegen kein Gesetz.“

 

„Und was ist mit dem Ruf der Schule, haben Sie schon mal daran gedacht?“

 

„Ich denke mal, man sollte Beruf und Privat strikt voneinander trennen. Meinen Job als Lehrer mache ich so wie es sein soll, das geht die Leute was an. Und was ich privat mache sollte, so wie es das Wort schon sagt, auch privat bleiben.“

 

„Ich muss darauf hinweisen, wenn die Unruhe nicht aufhört, dann kann es zu Problemen kommen, auch für Sie.“

 

„Wenn Sie meinen Herr Bach. Ich denke mal, es ist jetzt fürs Erste alles gesagt. Wenn Sie erlauben, der Unterricht geht weiter, ich habe zu tun.“

 

Nach einer kurzen und frostigen Verabschiedung verließ ich das Büro und kehrte in den Unterricht zurück. Es wurmte mich sehr, dass der Rektor sich so von unhaltbaren Gerüchten und widerlichem Tratsch so beeinflussen ließ, einfach unglaublich. Umso mehr war ich froh als endlich Schulschluss war.

 

Auf dem Weg aus der Schule raus zum Parkplatz begegnete mir Jürgen. Ohne Umschweife sprach er mich an.

 

„Grüß Dich Bernd, na Deinem Gesichtsausdruck nach brauch ich nicht weiter zu fragen wie es beim Rektor lief.“

 

„Garantiert nicht, was bildet sich der Kerl bloß ein. Der hat wohl den Schuss nicht gehört“

 

„Ich hatte Dich ja vorher gewarnt.“

 

„He, das zwischen Jonas und mir ist eine reine Privatsache. Er ist volljährig und auch nicht mehr mein Schüler. Also geht’s die Schule nichts an.“

 

„Du hast ja Recht Bernd, aber Du weißt doch, immer diese Spießer. Die wird es halt immer wieder geben.“

 

„Weißt Du Jürgen, das kotzt mich an. Endlich bin ich wieder glücklich, dass erste Mal seit dem Tod von Chris und nun das. Wie stellen die sich das vor? Soll ich den Rest meines Lebens Trauer tragen und mich grämen?“

 

„Nein, das nicht, sind halt dumme Leute. Ich möchte Dich nur bitten Acht zu geben, auf Dich und auch auf Jonas, nicht das es zwischen euch noch kaputt geht.“

 

„Danke, Deine Fürsorge und Freundschaft weiß ich zu schätzen.“

 

„Gerne, also mach's gut und bis morgen dann.“

 

„Mach's auch gut, ciao.“

 

Frustriert machte ich mich auf den Heimweg. Hoffentlich konnte ich mich noch abregen, denn Jonas wollte noch kommen und mit mir einen gemütlichen Abend verbringen. Irgendwie musste ich mich noch abreagieren.

Kaum angekommen schmiss ich die Sachen in die Ecke und ging erstmal duschen. Mir war danach, da konnte ich immer gut abschalten. Doch irgendwie wollte es heute nicht so klappen. Als ich aus der Dusche kam und mich gerade am Abtrocknen war, da hörte ich wie die Tür auf und zu ging, da kam Jonas schon, seit einiger Zeit hatte er einen Schlüssel zu meiner Wohnung. Vom Flur her rief er:

 

„Bernd, Schatz, bist Du schon daheim?“

 

„Ja mein Lieber, ich bin im Bad. Geh doch schon mal ins Wohnzimmer, bin gleich bei Dir.“

 

„Okay, hab uns eine Kleinigkeit mitgebracht.“

 

„Freu mich schon.“

 

Eine Viertelstunde später saß ich bei meinem Schatz. Als ich mich zu ihm setzte begrüßte ich ihn mit einem zärtlichen Kuss. Er hatte uns eine gute Flasche Wein und etwas Käse mitgebracht, er wusste genau das ich das liebte. Und so machten wir es uns bequem. Er sah mich an und fragte:

 

„Na Schatz, wie war Dein Tag?“

 

„War heute nicht mein Tag.“

 

„Wieso, was war los?“

 

„Frag bloß nicht mein Lieber.“

 

„Hey Bernd, nun komm schon, schließe mich nicht immer aus. Das ist nicht fair.“

 

„Hast ja recht Jonas, tut mir leid. Nur es frustriert mich.“

 

„Was ist denn los, nun erzähl doch mal, nicht umsonst bist Du so drauf.“

 

„Es gibt Stress in der Schule. Durfte heute beim Rektor antanzen.“

 

„Und weswegen, dass muss ja einen Grund gehabt haben.“

 

„Ja, es war wegen uns beiden.“

 

„Was, wieso das denn?“

 

„Da gibt es einige Idioten, denen passt es nicht das wir zusammen sind. Die meinten das wäre unschicklich. Es sind viele Gerüchte im Umlauf.“

 

„Echt jetzt, ich dachte wo ich von der Schule weg bin hätte sich das erledigt. Und was hat der Rektor gesagt?“

 

„Er meinte ich solle Rücksicht auf den Ruf der Schule nehmen. Hab mir aber seine Einmischung verbeten. Soweit kommt das noch.“

 

„Das war richtig so. Wieso sind die alle bloß so?“

 

„Weiß ich auch nicht, da fragst Du mich zu viel. Komm, lass uns das Thema wechseln. Wir lassen uns doch jetzt nicht von solchen Idioten den Abend verderben.“

 

„Da hast Du Recht, diese Genugtuung geben wir denen nicht.“

 

„Danke für Dein Verständnis Süßer.“

 

„Gern doch, denk daran, ich liebe Dich.“

 

„Ich liebe Dich auch.“

 

„Du Bernd, heute Nacht bleibe ich bei Dir, dass wird Dir gut tun, Du darfst nicht allein bleiben.“

 

„Süßer, das ist echt lieb von Dir.“

 

Wir verbrachten einen ruhigen Abend zusammen, wir sahen uns gemeinsam einen Film an und genossen dabei den Wein und den Käse den Jonas mitgebracht hatte. Wir waren mittlerweile so vertraut miteinander, wir brauchten kaum noch Worte um uns zu verstehen. Irgendwann sind wir dann gemeinsam schlafen gegangen.

 

Es tat gut das er über Nacht bei mir blieb. Als wir so im Bett lagen ist Jonas schnell eingeschlafen, bei mir wollte der Schlaf noch nicht so kommen, dafür war am Tag zu viel passiert. Jonas lag dicht an mich angeschmiegt und ich hatte meinen Arm um ihn gelegt. Still lag ich da und betrachtete ihn wie er da so schlief, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Wer hätte das gedacht, dass ich noch einmal so ein Glück mit einem Mann haben würde. Kurz nach dem Tod von Chris dachte ich noch, dass die Welt untergehen würde.

 

In den nächsten Tagen versuchten wir unser Leben so zu leben ohne uns durch das Gerede und die Gerüchte aus der Ruhe bringen zu lassen. Doch ich bemerkte, dass die ganze Situation auch Jonas nicht kalt ließ.

 

Aber die Hoffnung, dass sich alles im Sande verlaufen würde, die erfüllte sich nicht. Für mich wurde es in der Schule immer schwerer, das Getuschel nahm sogar noch mehr zu. Selbst viele Kollegen gingen auf Distanz zu mir. Jürgen war einer der wenigen die noch uneingeschränkt zu mir hielten. Auch das Verhältnis zum Rektor kühlte immer mehr ab, dieser lies mich deutlich spüren das er meine Einstellung missbilligte.

 

Doch das was mir widerfuhr war nichts zu dem was noch passieren sollte. An einem Spätnachmittag, Jonas war auf den Weg zu mir, wir wollten wieder einen gemeinsamen und ruhigen Abend verbringen, da wurde er Opfer eines feigen Anschlags. Aus dem Hintergrund schmiss man ihm eine Flasche nach ihm, diese traf ihn am Hinterkopf. Bewusstlos sank er zu Boden. Durch das Klirren der Flasche wurde ich aufmerksam. Als ich aus dem Fenster nach unten sah, da lag Jonas blutend auf der Straße. In Panik schrie ich auf. Ich ließ alles stehen und liegen, rannte nach unten um meinen Süßen zu helfen. Vom Handy aus verständigte ich sofort den Rettungswagen und die Polizei, die auch sehr schnell kamen. Notdürftig versorgte ich die Wunde. Angst ergriff mich, panische Angst auch Jonas zu verlieren. Schließlich wurde er in nächste Krankenhaus gebracht. Ich wollte mit, doch die Polizei wollte erst eine Aussage von mir. Die wollte ich so schnell wie möglich hinter mich bringen um bei meinen Liebsten zu sein.

 

Endlich, meine Aussage war beendet und ich machte mich sofort auf den Weg ins Krankenhaus um bei Jonas zu sein. Kaum angekommen ging ich zu ihm. Er war in der Zwischenzeit behandelt worden, in einer kleinen Operation wurde die Wunde am Kopf genäht. Als man ihn mit dem Bett ins Zimmer brachte lag er bleich und schwach dort. Noch war er benommen und durch die Betäubung schlief er.

 

In mir kamen die Bilder von damals hoch als ich am Bett von Chris saß. Tränen schossen mir in die Augen so sehr schmerzte es mich nun auch Jonas so zu sehen. Aber auch Wut, unsägliche Wut darüber über diese intoleranten Idioten die uns unser Glück neideten. Diese Schwachmaten sollten nur beten, dass die Polizei sie zuerst erwischte, wenn sie mir in die Finger geraten würden, dann konnte ich für nichts garantieren.

 

Stundenlang saß ich nun am Bett von meinem Jonas, ich hielt ihm die Hand und immer wieder flossen mir die Tränen. Ich konnte und wollte es mir nicht vorstellen ohne ihn zu sein, nicht noch einmal wollte ich einen geliebten Menschen verlieren.

 

Während eines Weinkrampfes spürte ich auf einmal wie meine Hand gedrückt wurde, mit tränenerfüllten Augen sah ich auf, Jonas war aufgewacht, mit leiser Stimme sagte er:

 

„Bernd, nicht weinen, bitte nicht, ich bleibe bei Dir.“

 

„Schatz, Schatz, ich liebe Dich.“

 

Vorsichtig beugte ich mich über ihn umarmte und küsste ihn. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in mir breit. Mein geliebter Jonas hatte es überstanden. Eine Krankenschwester kam noch mal um nach den rechten zu sehen. Sie signalisierte mir, dass Jonas nun aus dem Gröbsten war. Ich fragte ob ich über Nacht an seinem Bett bleiben durfte. Ausnahmsweise wurde es mir gestattet.

 

Auch wenn Jonas noch einige Tage im Krankenhaus bleiben musste, so ging es ihm doch täglich besser. Darüber waren wir beide sehr froh.

 

In der Zwischenzeit hatte auch die Polizei weitere Ermittlungen aufgenommen. Auch wenn es seine Zeit dauerte, so wurden die Täter schließlich doch ermittelt. Es stellte sich heraus, es waren die drei ehemaligen Schüler die meinen Schatz damals in der Schule schon des öfteren bedrängt hatten. Da diese nun auch schon 21 oder älter waren mussten sie mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Was sie bei der Polizei aussagten ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Sie deuteten an das sie angestiftet wurden. Die Anspielung ging in Richtung des Rektors. Wenn das wahr sein sollte, dann wäre das ein unerhörtes Vorgehen.

 

Was alles getan wurde um mich und Jonas auseinander bringen. Warum kann man es nicht respektieren wenn sich zwei Menschen lieben?

 

Auch wenn die weiteren Ermittlungen keine Beteiligung des Rektors belegten, so war das Vertrauen zwischen mir und der Schule dahin. Ich stand an einem Punkt wo ich mich entscheiden musste. Entweder ich blieb und es würde zu einer Belastung für mich im Job und auch für meine Beziehung zu Jonas werden oder ich musste mich umorientieren. Um meine Entscheidung besser treffen zu können besprach ich mich mit Jürgen.

 

„Jürgen, was meinst Du, was soll ich tun?“

 

„Das kann ich Dir nicht abnehmen Bernd. Du musst Dir klar werden was Dir wichtig ist.“

 

„Da stimme ich Dir zu, ich muss mir Klarheit verschaffen.“

 

„Dann stell Dir die Frage, was ist Dir wichtiger, der Job oder Jonas?“

 

„Das ist die entscheidende Frage.“

 

„Lass Dir aber mit der Antwort nicht zu viel Zeit, denn es steht auf Messers Schneide.“

 

„Das ist eine harte Ansage von Dir.“

 

„Na klar, Du sollst Dir nur im klaren sein was auf dem Spiel steht.“

 

„Das ist mir klar und mir ist jetzt auch klar was ich mache. An dieser Berufsschule werde ich nicht mehr bleiben. Das bin ich Jonas und auch mir selbst schuldig.“

 

„Gut so, sieh zu das Du es schnell über die Bühne ziehst. Je schneller die Umstellung gelingt umso besser für euch beide.“

 

Wir tranken noch einen Kaffee zusammen und unterhielten uns dann noch über einige andere Dinge. Mit einem Gefühl der Erleichterung trennten wir uns dann.

 

Am Abend saß ich mit Jonas bei mir, er war Gott sei Dank aus dem Krankenhaus entlassen und es ging ihm wieder gut, um mich mit ihm über die Zukunft zu besprechen.

 

„Jonas, ich habe mich entschieden, ich werde die Berufsschule verlassen und mir eine andere Stellung suchen, so kann es nicht weitergehen.“

 

„Das ist die beste Entscheidung die Du treffen kannst. Sonst gehst Du kaputt.“

 

„Schön, dass Du es genauso siehst. Aber es gibt noch einiges andere, was ich gern mit Dir besprechen möchte.“

 

„Was denn Bernd, erzähl es mir.“

 

„Ich will umziehen, hier hält mich nichts mehr. Vor allem würde es mich immer daran erinnern was Dir hier passiert ist.

 

„Das kann ich verstehen. Ganz wohl ist mir hier in dieser Ecke auch nicht mehr.“

 

„Du Süßer, nun noch was …“

 

„Was denn Liebster?

 

„Könntest Du Dir vorstellen mit mir zu leben und das wir uns eine gemeinsame Wohnung nehmen?“

 

„Na klar kann ich das, ich hab schon lange gehofft das Du mich das fragst.“

 

Jonas sprang auf und fiel mir vor Freude in die Arme. Da spürte ich, wir gehören zusammen. Aus den Augenwinkel fiel mein Blick auf das Bild meines geliebten Chris, es war als würde er lächeln und sich darüber freuen, dass ich wieder glücklich bin.

 

Der Weg war nicht unbedingt einfach, doch gelang es mir eine neue Stellung als Lehrer zu finden, diesmal an einer Privatschule, dort ging es bei weitem entspannter zu als in der letzten Zeit an der Berufsschule. Mittlerweile wohnen Jonas und ich auch zusammen in einer schönen neuen Wohnung, wir hatten sie in einen komplett anderem Stadtteil gefunden, dort interessierte es niemanden, dass wir als schwules Paar mit einem gewissen Altersunterschied lebten. Und das war auch gut so. Die Belastungen der letzten Zeit wichen endlich. Diese Belastungen hatten dazu geführt, dass das Leben und die Liebe von Jonas und mir auf Messers Schneide standen und beides beinahe zerstört hätten. Doch zum Glück ist es nicht so gekommen. Zum Glück können wir gemeinsam in die Zukunft sehen, einer gemeinsamen Zukunft.

 

Epilog

Die drei ehemaligen Schüler von mir, die meinen Jonas so viel Schlimmes angetan hatten wurden für ihre Taten rechtskräftig verurteilt. In der Urteilsbegründung wurden sie für ihr intolerantes Verhalten auch noch sehr scharf gerügt. Als sie merkten, dass die Urteile rechtskräftig wurden, da konnte man doch merken, dass sie entsetzt waren darüber. Dadurch haben sie gemerkt wie es mal hart heran genommen zu werden.

 

Wie ich dann auch noch erfuhr gab es an meiner alten Schule auch einen Wechsel. Der Rektor wurde ausgetauscht. Es stellte sich heraus, dass er mit seinen Einstellungen und Verhalten für das Schulamt nicht mehr tragbar war. Das war eine gewisse Genugtuung für mich. Denn mir hatte er einst vorgeworfen, dass meine Liebe zu Jonas nicht tragbar wäre. Nun hat sich seine eigene Einstellung gegen ihn selbst gewandt.

 

Ein Jahr nachdem Jonas und ich unsere gemeinsame Wohnung bezogen hatten, gaben wir eine kleine Feier, es waren unsere engsten Freunde da, darunter auch Jürgen und Jonas' Chef. Wir feierten den gelungenen Neustart. Natürlich, mit dem Einverständnis von Jonas, hing auch ein Bild von meinem Christopher in der Wohnung. Und wieder kam es mir so vor als ob er lächelte.

 

Jonas ist echt etwas ganz Besonderes. Es ist ein Zeichen echter Liebe, er akzeptierte, dass ein Bild von meinem Chris einen Ehrenplatz in der Wohnung hatte. Ohne das ich hätte fragen müssen sagte er mir ganz einfach: Schatz, Dein Chris war Dein Mann und er war und ist ein Teil Deines Lebens, so wie Du jetzt ein Teil meines Lebens bist.

 

Ich bin dankbar, dass ich Jonas gefunden habe und dass wir glücklich sind. Auch bin ich dankbar für die wundervollen Jahre mit meinem Christopher. Er wird für immer einen Platz in meinem Leben haben. Doch nun ist mein Jonas der wichtigste Mann in meinem Leben. Auch wenn es eine sehr harte Zeit war und es so manches Mal auf Messers Schneide stand, so ist es doch gut, dass es so kam wie es gekommen ist.

 

 

Copyright: 01.06.2015

Autor: Harald Grenz

 

Anmerkungen

Das Coverbild und die Bilder im Buch stammen von der Webseite pixabay.com

 

Die Geschichte wurde durch Karin Kaiser beta-gelesen und korrigiert.

 

Das Coverbild wurde durch Valerie le Fiery bearbeitet.

 

Der Klappentext zum Buch wurde von Frank Böhm geschrieben.

 

Alle drei sind Freunde und Autorenkollegen von mir. An dieser Stelle ein herzliches Danke schön für ihre tolle Unterstützung bei diesem Buchprojekt.

 

Der Autor

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 13.06.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Das Buch widme ich einer lieben Freundin und Autorenkollegin, Erin F. Hota.

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