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Befreiung

Endlich, nach einem harten Weg können wir, Lutz und ich, in die Zukunft blicken. Es war ein steiniger und sehr schmerzhafter Prozess, denn das, was Lutz durchgemacht hatte, dass wünscht man niemanden. Da tut sich die Frage auf, wieso geschieht so etwas und was tut man den Opfern damit an?

 

Lutz wuchs in einem Heim auf, seine Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ich selbst wuchs bei meiner Mutter auf, mein Vater hatte sich scheiden lassen und war verschwunden.

 

Lutz und ich lernten uns in der Schule kennen. Dort hatten wir eigentlich wenig Kontakt. Er kam mir dort irgendwie wie ein Streber vor, denn Lutz war immer als Erster in der Schule und auch der Letzte der diese verließ. Doch der Eindruck den ich von Lutz hatte täuschte. Erst lange später erfuhr ich die Gründe dafür. Wir hatten ab und zu mal ein paar Worte miteinander in der Schule gesprochen, aber meist über jugendtypische Dinge wie Sport, Freizeit und andere Themen.

 

Nach der Schulzeit verlor ich Lutz für einige Zeit aus den Augen. Ich machte eine Ausbildung zum Restaurantfachmann. Wie ich später erfuhr machte er eine Lehre zum KFZ-Mechatroniker.

 

So etwa ein Jahr nach dem Ende meiner Ausbildung traf ich Lutz wieder. Mein Wagen musste in die Werkstatt. Es gab Probleme mit dem Auspuff. So steuerte ich eine Werkstatt an und dort traf ich ihn dann. Er hatte dort eine Festanstellung gefunden.

 

Ich sprach gerade mit dem Meister über das Problem mit meinem Wagen, da kam Lutz dazu. Ich hatte ihn erst nicht bemerkt.

 

„Achim, bist Du das?“

 

Überrascht drehte ich mich um und erkannte ihn.

 

„Hey Lutz, ja, ich bin es.“

 

„Ja, grüß Dich, wie geht’s Dir?“

 

„Danke gut und Dir? Du arbeitest jetzt hier?“

 

„Ja, seit einem Jahr.“

 

Wir wechselten noch so einige Worte. Ich musste dann los zur Arbeit. Das war ja eine Überraschung Lutz hier zu treffen. Es war zu merken das er sich verändert hatte, er war viel offener als früher in der Schule.

 

Ein paar Tage später holte ich meinen Wagen wieder aus der Werkstatt ab. Lutz übergab ihn mir und rechnete mit mir ab. Bei dieser Gelegenheit fragte ich ihn ob er Lust hätte sich mal mit mir auf einen Kaffee zu treffen. Lutz sagte zu und wir wollten uns dann am Wochenende zusammensetzen.

 

Das Wochenende war da. Irgendwie war ich neugierig auf das Treffen mit Lutz. Um 15 Uhr trafen wir uns dann im verabredeten Café. Als ich ankam wartete er bereits auf mich.

 

Bei einer Tasse Kaffee erzählten wir uns gegenseitig wie es uns seit der Schulzeit ergangen ist. Ich stellte fest, Lutz war eigentlich ein sehr offener Kerl. Ganz anders als ich in der Schule über ihn dachte.

 

Wir begannen uns anzufreunden. So kam es auch, dass wir uns häufiger verabredeten und trafen. Was jedem von uns an dem anderen auffiel war, keiner von uns hatte eine Freundin. Das hatte natürlich auch einen Grund, wir waren beide schwul. Doch bei Lutz war es noch etwas anderes, weswegen er Single war.

 

Im Laufe der Zeit sind wir uns näher gekommen und verliebten uns ineinander. Es war ein schönes Gefühl jemanden zu lieben und auch zurück geliebt zu werden. Als wir uns das erste Mal küssten, durchfloss mich eine Woge des Glücks. Doch spürte ich auch, dass es bei Lutz etwas gab was ihn, wie soll ich es sagen, hinderte, sich fallen zu lassen.

 

An einem Wochenende wollten wir es uns zusammen schön machen. Ich hatte es bei mir extra gemütlich gemacht und kochte für uns. Als Lutz dann kam wurde es zuerst auch ein schöner Abend. Nach dem Essen machten wir es uns im Wohnzimmer bequem. Wir nahmen uns in den Arm und küssten uns wieder.

 

Doch auf einmal veränderte sich alles. Als ich ihn beim küssen streichelte und meine Hand nach unten glitt, ich strich zärtlich über seinen Po, da veränderte sich Lutz auf einmal. Er wurde auf einmal ganz steif. In einer heftigen Reaktion stieß er mich von sich. Als ich Lutz ansah, bemerkte ich wie sich sein Gesicht verzerrte.

 

„Lass das, fasse mich nie wieder so an“, schrie er mich an.

 

„Was ist los mit dir Lutz?“

 

„Ich will das nicht, ich hasse das ….“

 

„Wieso, was hast Du?“

 

„Lass mich einfach.“

 

Hastig nahm er seine Sachen und verließ fluchtartig meine Wohnung. Ratlos blieb ich zurück und wusste nicht wie ich die ganze Situation einordnen sollte. Das Wochenende hatte ich mir eigentlich ganz anders vorgestellt.

 

Die unfreiwillig freie Zeit am Wochenende dachte ich nun über diese unschöne Situation nach und überlegte wieso Lutz so reagierte. In mir kam ein schrecklicher Verdacht auf, ich hatte mal gehört das Menschen, denen in der Kinder- und Jugendzeit etwas Schreckliches passiert war, so reagierten. Wenn dem so war, dann erklärte das einmal sein Verhalten vom Samstag und auch von früher in der Schule.

 

Nach dem Wochenende versuchte ich Lutz zu erreichen, doch er ging nicht ans Telefon, auch wenn ich bei ihm an der Wohnung klingelte, reagierte er nicht. Besorgt fuhr ich in die Werkstatt, wo Lutz arbeitete, ich sprach mit seinem Chef.

 

Was ich dabei erfuhr, schürte meinen Verdacht. Sein Chef, Herr Berger, erzählte mir, dass Lutz sich am Montagmorgen krank gemeldet hätte. Auch erzählte er mir, dass er sich ebenfalls Sorgen um ihn machte, weil Lutz im Laufe der Zeit einiges, andeutungsweise, offenbart hatte. Es kam heraus das Lutz seinen Aufenthalt im Heim hasste, weil ihm da einer der Mitarbeiter zu nahe kam. Wie nahe genau, erzählte Lutz seinem Chef nicht.

 

Nun hieß es handeln, Lutz war in Not, durch meine Berührungen kamen die alten Erinnerungen in ihm hoch und drückten ihn nieder. Ich hatte mich erkundigt, solche Erlebnisse konnten bei betroffenen Personen starke Traumata auslösen und die Opfer brauchten Hilfe.

 

Herr Berger und ich versuchten nun Lutz zu finden und um ihm zu helfen. Er brauchte dringend Unterstützung. Es zeigte sich, dass er Schlimmes erlebte und dieses nicht verarbeitet hatte. Ich liebe Lutz und wollte ihn um nichts in der Welt verlieren. Doch wie sollte ich mit ihm glücklich werden, wenn so etwas, was er erlebt hatte, dazwischen stand.

 

Wir machten uns auf den Weg zur Wohnung von Lutz. Herr Berger und ich hatten eine Ahnung, dass er sich dort verkrochen hatte. Und unsere Ahnung war richtig. Er hatte eine Wohnung im Erdgeschoss. Als er auf unser Klingeln nicht reagierte, da versuchten wir einen Blick durchs Fenster zu erhaschen.

 

Es gelang uns einen Blick hineinzuwerfen. Was wir dort sahen war entsetzlich. Lutz lag ohne Bewusstsein am Boden. Das Fenster war auf Kipp, Herr Berger verständigte sofort via Handy den Notarzt und die Polizei, während ich versuchte das gekippte Fenster zu öffnen, was mir, Gott sei Dank, auch gelang. Wir stiegen ein und gingen sofort zu Lutz um zu sehen was mit ihm war und um zu helfen.

 

Er hatte versucht sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Doch wir kamen noch rechtzeitig, Lutz atmete noch. Es dauerte nicht lang, da trafen Notarzt und Polizei ein. Nach der Erstversorgung wurde er ins Krankenhaus gebracht. Die Polizei nahm soweit alles zum Hergang auf.

 

Herr Berger und ich machten uns nun auf den Weg zu Lutz ins Krankenhaus, wir wollten ihn jetzt nicht allein lassen. Es war eindeutig das er Hilfe brauchte. Hilfe von Menschen, denen er vertrauen konnte.

 

Wir saßen an seinem Bett, bleich lag er da. Herr Berger und ich hatten Lutz noch rechtzeitig gefunden. Ihm wurde der Magen ausgepumpt und er bekam Infusionen. Der Weg, der jetzt vor ihm lag, würde hart werden. Das war uns klar. Doch Lutz musste sich seiner Vergangenheit stellen und die schlimmen Ereignisse verarbeiten. Das hieß auch, dass er psychologische Unterstützung nötig hatte und bekam.

 

Endlich erwachte Lutz, er sah und erkannte mich. In einer Hinsicht schien er erleichtert zu sein mich zu sehen, doch ich sah auch Schuldbewusstsein, Angst und Schmerz in seinen Augen.

 

Ich erkannte, es würde im Moment nichts bringen ihm Fragen zu stellen oder gar Vorwürfe zu machen. Das wäre in seiner Situation absolut unpassend und falsch. Ich hielt ihm einfach nur die Hand und versuchte Lutz das Gefühl zu geben das er nicht alleine ist.

 

„Achim … schön das Du da bist ...“

 

„Hey, ist doch klar, Lutz.“

 

„Entschuldige wegen neulich ...“

 

„Ist doch gut, ich verstehe Dich doch.“

 

„Wirklich … Du bist nicht böse … ???“

 

„Nein, wieso denn, ich liebe Dich doch.“

 

„Es ist nur … es kam etwas Schlimmes von früher hoch ...“

 

„Ich hab es geahnt, lass Dir mit dem erzählen Zeit.“

 

„Ich möchte, dass Du weißt was damals passierte.“

 

„Komm erst wieder zu Kräften, dann kannst Du erzählen.“

 

Man merkte das Lutz noch schwach war. Nachdem er spürte, dass er mir vertrauen konnte, da wurde Lutz ruhiger. Sein Atem beruhigte sich und er schlief ein.

 

Ich saß noch für einige Zeit bei ihm um ihn ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Herr Berger war schon vor einiger Zeit gegangen, er musste sich ja noch um seine Werkstatt kümmern.

 

In den nächsten Tagen begann die Therapie, um mit der Vergangenheit aufzuräumen. Was dabei ans Licht kam, war erschreckend. Unglaublich, dass so etwas passiert. Es war schwer für Lutz und auch schmerzhaft die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Als ich ihn, an einem Tag, wieder besuchte, begann Lutz damit, mir alles zu erzählen.

 

„Achim, ich möchte Dir alles erzählen.“

 

„Fühlst Du Dich stark genug dazu?“

 

„Ja, und es hat mich lang genug belastet.“

 

„Ich höre Dir genau zu Lutz.“

 

So begann er zu reden. Er wuchs ja nach dem Tod seiner Eltern in einem Heim auf. Es war nicht leicht für ihn sich dort einzugewöhnen. Ihm fiel es schwer Kontakte zu den anderen Kindern und Jugendlichen aufzubauen.

 

Einer der Erzieher kümmerte sich um ihn, doch auf eine sehr spezielle Art. Es begann alles ganz harmlos, indem er einfach nur Zeit mit Lutz verbrachte. Dann fing es mit Umarmungen an. Immer wenn Lutz mal einen Anfall von Traurigkeit hatte, da umarmte ihn der Erzieher. Doch es blieb nicht dabei. Die Berührungen wurden immer mehr, nicht nur eine einfache Umarmung oder ein auf die Schulter klopfen. Wie zufällig fing der Erzieher an Lutz auch unten herum zu berühren. Am Anfang wirkte es wirklich nur wie ein reiner Zufall. Doch dann wurden die Berührungen immer eindeutiger, indem er Lutz auch im Schritt berührte, schließlich sollte er nun auch den Erzieher im Schritt anfassen. Immer intensiver und direkter ging es zur Sache.

 

Lutz versuchte sich herauszuwinden, doch es gelang ihm nicht. Er hatte ein Einzelzimmer. Immer öfter kam der Erzieher auch am späten Abend, manchmal auch Nachts. Er befummelte Lutz an seinem Glied oder am Po und befriedigte sich dabei. Und je mehr er sich wehrte umso mehr geilte sich der Erzieher daran auf und grinste dabei.

 

Als Lutz sich einmal darüber beschwerte wurde es noch schlimmer. Niemand glaubte ihn, man sagte ihm, er hätte es nur geträumt oder nur eingebildet. Sein Wort stand gegen das des Pädagogen. Und wie gesagt, man glaubte Lutz nicht sondern dem Peiniger.

 

Für den Erzieher war das wie ein Freifahrtschein. Immer und immer wieder suchte er Lutz auf um sich an ihn zu befriedigen. Je häufiger der Pädagoge kam, umso mehr ekelte sich Lutz. Oft musste er sich nach diesen Besuchen übergeben. Kein Wunder, dass er sich nur so wenig wie möglich im Heim aufhalten wollte.

 

Das Schlimmste stand ihm noch bevor. Es war kurz vor seinem 18. Geburtstag. Da kam der Peiniger wieder mal in der Nacht vorbei. Man konnte schon sehen das dieser wieder auf „Das Eine“ aus war. Doch es sollte nicht beim tätscheln und „Wichsen“ bleiben. Der Erzieher hatte schon ein steifes Glied, er konnte die Hose nicht schnell genug öffnen. Lutz schlief eigentlich schon, das nutzte der Typ aus, er setzte sich auf ihn drauf. Erschrocken wachte Lutz auf, doch er konnte nicht weg, ihm gelang es nicht den Peiniger von sich runter zu bekommen. Dies erregte ihn nur noch mehr. Er zwang Lutz dazu ihn oral zu befriedigen und zwängte sein steifes Glied in den Mund. Brutal ging er dabei vor. Das Lutz kaum Luft und einen starken Würgereiz bekam interessierte ihn nicht. Im Gegenteil, das machte ihn nur noch mehr an und er kam in seinen Mund.

 

Nachdem der Erzieher befriedigt war, ließ er Lutz einfach liegen und damit nicht genug, er drohte ihm noch, wenn Lutz irgendjemanden was sagen würde, auch nach seiner Zeit im Heim, dann würde er ihn finden und eine Abreibung verpassen.

 

Weinend blieb Lutz zurück. Immer und immer wieder musste er sich übergeben. Ihm war schlecht und er fühlte sich benutzt und gedemütigt. Es gab niemanden dem er sich hätte anvertrauen können. So vergrub er alles in seinem Inneren.

 

Nachdem Lutz mir das erzählt hatte, fehlten mir die Worte. Kaum zu glauben was ihm da passiert war. Als ob es nicht schon schlimm genug war, dass er seine Eltern verloren hatte. Da ist so ein Schwein, dieser nutzte seine Stellung als Erzieher und Pädagoge aus. Und anstatt Lutz zu helfen, hatte er sich mehrfach an ihm vergangen. Nun verstand ich ihn genau. Weswegen er früher immer so lang wie möglich in der Schule blieb und auch warum er auf die Berührungen von mir so panisch reagierte.

 

Auf meine vorsichtige Nachfrage hin, erzählte er mir dann wie es weiter ging. Lutz hatte kurze Zeit nach der Schule mit der Ausbildung begonnen. Heimlich schaffte er etwas von seinem Geld beiseite. Als er 18 wurde, da musste er ja das Heim verlassen. Dadurch, dass er heimlich etwas gespart hatte, konnte er sich, ohne Hilfe vom Heim, etwas Eigenes suchen. Für den Anfang war es nur ein kleines möbliertes Zimmer in einer WG. Gut, es war nicht viel. Aber er wollte weg, weg von dem Ort wo er gepeinigt wurde, was ja auch nur zu verständlich war. Lutz vergrub das Erlebte in sich und vertraute sich niemanden an. Er hatte Angst, dass man ihm wieder nicht glaubte und dass sein Peiniger seine Drohung wahrmachen würde. Dies ging so lange gut bis zu dem Wochenende bei mir. Da brach es das erste Mal aus ihm heraus, er reagierte panisch und es kam zu dieser Verzweiflungstat.

 

Ich musste mehrfach schlucken, so entsetzt war ich über das, was Lutz mir da erzählte. Mir liefen sogar Tränen übers Gesicht. Was hatte er da nur durchmachen müssen.

 

Lutz sah, dass ich ihm glaubte, es erleichterte ihn, endlich jemand der Anteil an seinem Leid nahm, ihn verstand und auch glaubte. Vorsichtig nahm er meine Hand und hielt sie. Ich erwiderte es und hielt seine genauso. Uns beiden liefen die Tränen, um das zu verarbeiten was ihn verzweifeln ließ.

 

„Achim, danke dass Du mir glaubst. Bleibst Du bei mir?“

 

„Klar glaube ich Dir und ich bleibe bei Dir, ich liebe Dich doch.“

 

„Ich habe aber so große Angst vor diesem Schwein.“

 

„Wir schaffen das schon, gemeinsam, zusammen sind wir stark.“

 

Lutz schaffte den Anfang um das Traumata der Vergangenheit zu verarbeiten. Es war nicht leicht und es würde noch ein sehr langer und schwerer Weg vor ihm liegen. Auch sein Chef, Herr Berger, wurde eingeweiht. Dieser war ebenfalls sehr entsetzt darüber was Lutz im Heim passierte. Und das wichtigste war, er glaubte ihm auch. Es war sehr wichtig für die Genesung, dass Lutz Menschen um sich hatte die ihm glaubten und zu ihm standen.

 

Nur in einem Punkt stellte Lutz sich noch auf stur. Die Ärzte, Herr Berger und ich rieten ihm, dieses Schwein von Pädagogen anzuzeigen, doch das wollte er nicht. Lutz meinte, man habe ihm damals nicht geglaubt, als er sich bei der Heimleitung über seinen Peiniger beschwerte und das es nun genauso sein würde, das ihm die Polizei und auch die aus dem Heim wieder nicht glauben würden. Doch dann geschah etwas, dass sollte seine Meinung, Gott sei Dank, doch noch ändern.

 

Endlich war es soweit, Lutz hatte sich gut erholt. Die Therapie hat ihm sehr geholfen das Trauma seines Missbrauchs zu verarbeiten, auch wenn er noch einige weitere Sitzungen beim Psychologen brauchte, denn dieses Erlebnis ließ sich nicht von heute auf morgen überwinden. Es tat auch uns beiden gut, wir konnten nun unsere Liebe leben. Die Vergangenheit stand nicht mehr dazwischen.

 

An einem Tag, Lutz und ich saßen in der Stadt bei einer Tasse Kaffee, da begegneten wir einem jungen Mann in unserem Alter. Es war ein ehemaliger Mitbewohner aus dem Heim von Lutz. Wir kamen mit ihm, er hieß übrigens Mark, ins Gespräch. Was dabei herauskam, machte uns fast sprachlos. Während der Unterhaltung erzählte Mark, dass ihm das Gleiche passiert war wie Lutz, der besagte Erzieher machte sich auch an ihn heran.

 

Unglaublich, Lutz und ich sahen uns nur an. Was Mark da erzählte war schockierend, aber auch hilfreich. Nun waren da schon zwei junge Menschen, die von dem Schwein missbraucht wurden. Und wie sich herausstellte, der Typ arbeitet immer noch in dem Heim. Und sicherlich wird er sich wieder neue Opfer suchen, an denen er sich vergehen konnte.

 

Vorsichtig sprach ich Lutz und Mark darauf an was sie nun von einer Anzeige gegen den Pädagogen hielten. Erst waren sie nicht so begeistert, doch ich meinte, sie seien nun zu zweit, da wären die Aussichten doch besser, dass man ihnen glauben würde. Klar, einfach würde es nicht werden, doch dieser Erzieher musste aus dem Verkehr gezogen werden. Das sahen die beiden auch ein.

 

Gemeinsam mit Herrn Berger, dem Psychologen und mir gingen Lutz und Mark zur Polizei und erstatteten Anzeige gegen den Pädagogen. Klar, dieser stritt bei der Vernehmung alles ab und auch die Heimleitung stand, so wie früher schon, hinter dem Erzieher. Sie meinten Lutz und Mark hätten sich das nur eingebildet und sie hätten eine übersteigerte Fantasie. Sie drohten sogar mit einer Gegenanzeige wegen Verleumdung um Lutz und Mark einzuschüchtern. Doch sie ließen sich nicht mehr einschüchtern. Und durch die Ermittlungen der Polizei fanden sich noch drei weitere junge Männer, denen er auch zu nahe kam und an denen er sich verging.

 

Schließlich kam es zum Prozess. Dieser erregte sehr das Interesse der Öffentlichkeit. Und er endete mit einem Paukenschlag. Der Pädagoge wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Des Weiteren erhielt er ein lebenslanges Berufsverbot. Auch der Heimleiter wurde verurteilt und zwar wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Das Heim ist nun geschlossen, es war nicht mehr zumutbar für die jungen Menschen. Alle Kinder und Jugendlichen, die dort lebten, wurden auf andere Heime verteilt.

 

Dieser Prozess war noch sehr lange ein Gesprächsthema in der Öffentlichkeit. Einige Menschen fingen an über das Thema des Kindesmissbrauchs nachzudenken. Es wäre wünschenswert wenn ein Umdenken stattfinden würde, auf das so etwas nie mehr passiert.

 

Lutz und ich konnten nun an uns denken, an eine gemeinsame Zukunft. Das Lutz sich öffnen konnte und das Trauma überwand, tat ihm gut. Es half uns eine glückliche Beziehung aufzubauen. Auch haben wir mit Herrn Berger und mit Mark zwei Freunde gefunden, die zu uns standen.

 

Das Lutz sich öffnen konnte und sich professionell helfen ließ, es tat ihm gut. Auch wenn das, was ihm angetan wurde und die Erinnerung daran eine schwere Narbe hinterlassen hatte, so war das offensive Umgehen damit, die Therapie, die Anzeige gegen den Täter und dessen Verurteilung doch eine echte Befreiung. Die Ketten der Vergangenheit bestimmen nicht mehr sein Leben. Es wird sicherlich Tage geben wo die Erinnerungen daran hochkommen werden, doch sie drücken nicht mehr nieder. Liebe, Freundschaft und Vertrauen geben Kraft. Und wichtigste ist, er fand Menschen die ein offenes Ohr für ihn hatten und ihm glaubten.

 

Epilog

Etwa zwei Jahre nach dem Prozess hatten wir einen Bericht in der Zeitung gelesen, dort stand: Ein gewisser A. W., ehemaliger Erzieher und wegen sexuellen Missbrauchs verurteilter Insasse des Gefängnisses in H. wurde in seiner Zelle tot aufgefunden, er hatte sich erhängt. Man fand einen Abschiedsbrief, in dem stand, dass er den Druck nicht mehr aushielt.

 

Aber es stand nichts in seinen letzten Worten darüber drinnen, dass er es bedauerte was geschah, nein im Gegenteil, er bedauerte nur was mit ihm geschah. Bis zum Schluss war er uneinsichtig.

 

Nachwort

Das Thema Kindesmissbrauch hat in letzter Zeit sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Durch die Medien gingen viele Berichte über solche furchtbaren Taten. Zu oft wurde dieses Thema totgeschwiegen. Doch man darf es nicht stillschweigend hinnehmen. Der Missbrauch oder die Vergewaltigung eines Menschen, egal ob Kind oder Erwachsener, ist ein Vergehen an der ganzen Menschheit. Dies muss offen gemacht werden und die Täter gehören bestraft. Denn diese wissen oft nicht wie sehr ihre Opfer leiden. Diese leiden meist ein Leben lang.

 

Diese Geschichte soll helfen die Menschen wachzurütteln und das sie zum Nachdenken angeregt werden. Denn es ein Thema, welches noch zu oft vorkommt und in vielen Schichten der Gesellschaft. Diese Taten geschehen in Familien, Schulen oder in anderen, oft sozialen, Einrichtungen. Dies muss ein Ende haben.

 

Ich widme diese Geschichte allen Menschen die Opfer eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung wurden, egal ob es in der Kindheit oder im Erwachsenenalter geschah.

 

Copyright: 10.01.2015

Autor: Harald A. Grenz

 

Hinweis

Die Kurzgeschichte wurde durch meine liebe Freundin und Autorenkollegin Karin Kaiser beta-gelesen und korrigiert. An dieser Stelle herzlichen Dank.

Anmerkungen in eigener Sache

 Als ich diese Geschichte schrieb, sind auch eigene Erfahrungen eingelossen. Vor vielen Jahren bin ich selbst Opfer einer Vergewaltigung geworden. Es war die Hölle die ich durchleben musste. Von daher weiß ich wie sich Opfer fühlen.

 

Doch gerade heute bekommt das Buch wieder eine neue Aktualität für mich. Denn heute wurde ich erneut Opfer einer sexuellen Belästigung. Währe nicht jemand dazugekommen der mich abholen wollte, dann wär es nicht bei einer Belästigung geblieben, sondern es wäre weiter gegangen.

 

Ich denke, jeder der Opfer einer sexuellen Belästigung, einer Vergewaltigung oder eines Missbrauchs wurde, der/die weiß was man da durchmacht und wie schlimm die Folgen sind.

 

Dieser aktuelle Angriff auf mich zeigt, es ist enorm wichtig das man nicht wegschaut. Denn so etwas kann jeden treffen, egal ob Frau, Kind oder Mann, egal ob jung oder alt. Jeder der bemerkt das so etwas bemerkt sollte etwas tun um solche abscheulichen Taten zu verhindern.

 

11.07.2015

 

Der Autor

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.01.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet allen Menschen, ob jung oder alt, die Opfer einer solchen Tat wurden. Und weiterhin widme ich es einer lieben Freundin Amafibra.

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