Cover

Erstes Kapitel

Dunkle Wolken hatten sich über den Zwillingstälern aufgetürmt und entleerten sich nun mit prasselndem Regen und Hagelkörnern. Die Donnerschläge hallten durch die Täler, lange noch nachdem die grellen Blitze den grauen Himmel duchschnitten hatten.

Auf einem schmalen Pfad im westlichen Tal eilte eine junge Frau geduckt durch den Regen. Sie hatte ihr Schultertuch über den Kopf gezogen, in der Hoffnung ein wenig Schutz vor der Nässe zu finden und bemühte sich mit den vor Nässe schweren Röcken nicht ständig zu stolpern. Verbissen kämpfte sie sich vorran.

Als endlich ihr Ziel, die Burg, aus dem Regen vor ihr auftauchte, stieß sie ein kurzes Dankesgebet aus. Eilig flüchtete sie sich hinter die schützenden Mauern.

"Herrin, kommt herein. Ihr seid ja völlig durchnässt." Ihre Zofe Jenna zog sie in das Haupthaus und schüttelte den Kopf, als sie Isobel im Fackelschein tropfend im Gang stehen sah. "Ihr müsst sofort aus den nassen Sachen raus."

Isobel zog den Umhang von den Schultern und folgte der Zofe in ihr Gemach.

"Was habt Ihr nur das draußen gemacht? Noch dazu bei diesem Wetter?", schimpfte Jenna, "wart Ihr wieder im Wald? Euer Vater hat es doch verboten."

"Ich war im Dorf. Die alte Corra hat wieder Beschwerden. Also habe ich sie besucht", erzählte Isobel breitwillig und schlüpfte in ein trockenes Kleid.

Jenna rümpfte nur die Nase und sammelte die nassen Sachen ein. Isobel sank auf einen Schemel und trocknete sich das Haar, bevor sie ein Duftöl hineinknetete und begann es mit dem Kamm zu bearbeiten.

Ihre Gedanken kreisten um ihren Besuch im Dorf. Sie hatte den Leuten Brot, Honig und Käse gebracht, so viel sie aus der Speisekammer der Burg hatte entwenden können. Ihr Vater würde fuchsteufelswild werden, wenn er davon erfuhr. Dabei war es doch seine Pflicht für die Menschen auf seinem Land zu sorgen. Stattdessen schloss er sich mit den Soldaten zusammen und schürte die Fehde mit den MacKenzies im Norden. Isobel versuchte so gut es ging den Menschen zu helfen, doch ihre Gaben waren nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. Sie musste sich etwas anderes überlegen. Nur was!

Jenna kam mit einem Teller zurück und stellte ihn Isobel hin. Hungrig biss sie in das Brot.

"Der Laird erwartet Eure Anwesenheit am Tisch", bemerkte sie.

Isobel unterdrückte ein Stöhnen. Wenn ihr Vater auf ihre Anwesenheit bestand, hatte er Gäste. Meistens waren es Soldaten. Sie konnte es nicht ausstehen mit einem Offizier zu plaudern, während sie daran denken musste, wie sehr ihr Volk unter den Besatzern litt. Die Menschen im Dorf wurden regelmäßig drangsaliert und nicht selten gab es Verletzte, um die Isobel sich kümmern musste.

"Wer ist zu Besuch?", fragte sie die Zofe.

"Oh, einige Herren. Feine Leute aus dem Süden." Jenna verzog abfällig das Gesicht. Sie war ebenso wenig ein Freund der Eglada.

Immerhin keine Soldaten, dachte Isobel und stand auf.

 

 

 

Die Halle wurde von Fackeln an den Wänden und Kerzen auf den Tischen erhellt. Der Strum pfiff um die Türme und erzeugte eine schauerliche Kulisse. Isobel ließ den Blick über die Tische schweifen, wo die gewöhnlichen Burgbewohner saßen. Am Tisch der Krieger ging es wie üblich laut zu. Isobel machte darum einen großen Bogen und steuerte auf den Tisch des Laird zu, der zu Kopf auf einem kleinen Podest stand. Neben ihrem Vater und seinen engsten Vertrauten saßen dort drei Männer, in feines Tuch gekleidet. Als der Laird sie bemerkte, winkte er sie heran. Auch er trug einen Rock aus gutem egladischen Stoff, verzichtete jedoch auf die Perücke.

"Darf ich Euch meine Tochter Isobel vorstellen?", sagte er an die Herren gewandt und bemühte sich seinen Skott-Akzent zuverstecken. Isobel hatte dafür absolut kein Verständnis. "Isobel, erinnerst du dich noch an James MacDonald?"

Bei dem Namen spürte sie einen vertrauten Stich, dabei hatte sie gehofft endlich mit ihm abgeschlossen zu haben. Irritiert sah sie den Laird an.

"Es ist mir eine Freude", ließ sich einer der Männer vernehmen und zog so ihren Blick auf sich. Irgendwas an ihm kam ihr bekannt vor. Das sollte James MacDonald sein? Ihr Jamie?

Allerdings erkannte sie den älteren Mann neben ihm. Laird MacDonald. Er war wie ihr Vater ein Freund der Eglada. Der dritte Mann war etwa im gleichen Alter wie James MacDonald. Er wurde ihr knapp als John vorgestellt.

Frappiert ließ Isobel sich auf ihren Platz sinken. Sie versuchte ihre Überraschung, die eher unangenehm war, zu verbergen und lud sich etwas von dem Braten auf den Teller. Über den Rand ihres Weinkelches schaute sie verstohlen zu James MacDonald. Der wilde Skott-Junge von früher war verschwunden. Die Züge waren nur unwesentlich härter geworden. Nach egladischer Mode war er glattrasiert und sein Gesicht zeigte eine vornehme Blässe. Jamie hatte ein großer Krieger werden wollen. Aus dem rotbraunen Rock quollen Rüschen an Brust und Ärmeln. An seiner linken Hand trug er einen Ring mit einem grünen Stein. Als er ihren Blick begegnete, bemerkte sie, dass seine Augen noch immer so leuchtend grün waren wie früher.

"Ihr habt Euch zu einer wahren Schönheit entwickelt, Lady Isobel", bemerkte er. Seine Stimme klang so femd wie seine Worte. Niemand nannte sie Lady, außer den Eglada, aber von denen hatten nur wenige das Benehmen eines Edelmannes. James MacDonald schien sich für einen solchen zu halten. Wie hatte er nur seine Herkunft vergessen können!

"Ihr habt Euch auch verändert", gab sie mürrisch zurück und biss in ihr Brot.

"Zum Guten, hoffe ich", erwiderte er mit einem Lächeln.

Sie konnte nicht anders, als ihn anzustarren.

"Da die beiden sich so hervorragend verstehen, steht der Hochzeit ja nichts mehr im Wege."

Isobel riss den Kopf herum und starrte ihren Vater an. "Hochzeit", wiederholte sie schwach.

"Allerdings. Angus und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass wir unsere Kräfte vereinen sollten. Was besiegelt einen Pakt besser als eine Heirat?"

"Aber", brachte sie hervor.

"Widersprich mir nicht, Kind. Ich habe viel zu lange gewartet." Damit schien die Sache für den Laird geklärt und er begann ein Gespräch mit dem anderen Laird.

Isobel starrte James MacDonald an. Der lächelte nur. Am liebsten hätte sie ihm es aus dem Gesicht geschlagen. Von ihm war offensichtlich keine Hilfe zuerwarten.

"Ihr seid einverstanden?", fragte sie fassungslos.

"Warum sollte ich nicht? Es ist von Vorteil, wenn unsere Clans sich zusammenschließen."

Sie stieß ein höchst undamenhaftes Schnauben aus. "Von Vorteil? Das ist alles, was Euch interessiert? Was für ein Mensch seid Ihr eigentlich geworden, MacDonald?" Sie stand auf. Nichts würde sie noch länger bei diesen Leuten halten.

 

 

 

"Ich werde diesen Verräter nicht heiraten!", rief Isobel erbost und warf einen Becher quer durch das Zimmer. Er war zum Glück leer und prallte nur mit einem Klirren von der Wand ab. Ihre Wut und Empörung wurde dadurch jedoch keineswegs gestillt.

Vor ihrem inneren Auge sah sie das falsche Lächeln auf seinen Lippen. Sie ballte die Fäuste.

Als er damals fortgeschickt worden war, war ihre Welt zusammen gebrochen. Wie viele Nächte hatte sie für ihn gebetet. Und was hatte er getan? Er hatte sie verraten - sie und sich selber.

Sie ärgerte sich über ihre Dummheit.

"Ich werde ihn trotzdem nicht heiraten. Eher fliehe ich zu den MacKenzies."

Die würden sie wahrscheinlich mit Freuden aufnehmen. Doch würde damit die Fehde zwischen den Clans endgültig eskalieren. Sie wollte nicht der Grund für einen Krieg sein. Sie konnte ihren Clan nicht im Stich lassen, die Menschen im Dorf, die auf sie angewiesen waren. Doch wie sollte sie für sie da sein, wenn sie einen MacDonald heiraten musste.

Es war ein Dilemma.

 

 

James schaute auf den Hof hinab. Zwei Jungen duellierten sich mit Holzschwertern, während ein paar Männer sie anfeuerten. Eine Magd holte Wasser aus dem Brunnen, ein paar Frauen liefen geschäftig über den Hof und zwei Burschen entluden einen Karren, der kurz zuvor auf den Hof gerumpelt war. Es war der Anblick des ganz gewöhnlichen Lebens auf einer Skott-Burg. Sah man von den drei Soldaten ab, die gerade durch das Tor ritten. Die Leute reagierten kaum auf die Uniformen, jedenfalls nicht mehr als auf die eigenen Krieger. Der vordere Soldat war ein Offizier, ein Leutnant der Uniform nach.

Er seufzte leise und drehte sich vom Fenster weg.

Auf dem Weg nach unten begegnete ihm Isobel, die ihn nur mit einem finsteren Blick bedachte und weiter marschierte. Er sah ihr belustigt nach. Die kleine Isobel war tatsächlich zu einer Schönheit heran gewachsen, einer sehr eigenwilligen Schönheit. Er hatte bereits am gestrigen Abend einen Eindruck davon bekommen, was ihm bevorstand. Doch was wäre das Leben ohne eine Herrausforderung.

 

 

 

Sein Vater und der Laird standen bereits mit dem egladischen Offizier zusammen. Dieser schien irgendeine Beschwerde zu haben.

"...werde ich nicht mehr so nachsichtig sein, Campell."

"Es wird nicht wieder vorkommen, Sir. Meine Männer werden sich darum kümmern."

"Das hoffe ich doch", gab der Eglada hochmütig zurück. Dann bemerkte er James. Er musterte ihn von oben bis unten. James tat das gleiche mit dem Offizier, jedoch weniger auffällig.

"James MaDonald, Leutnant Benett", stellte der Laird sie einander vor. James war Benett zwar noch nicht begegnet, doch er hatte von ihm gehört- nichts Gutes. Der Mann scherte sich einen Dreck um die Skott. Er schien sogar Vergnügen daran zu finden sie zu tyrannisieren.

"Ihr seid der Erbe, der kürzlich aus dem Exil zurück gekehrt ist", erkannte der Eglada.

James nickte nur kanpp.

"Ihr scheint nicht viel mit dem Gesindel hier gemein zu haben."

James lächelte höflich und neigte zustimmend den Kopf. "Ich kann nicht behaupten dass die Zustände mir hier behagen. Seid Ihr der befehlshabende Offizier in dieser Gegend?"

"Für die Garnision Northorn, Sir. Zu Euren Diensten."

"Sehr erfreut", gab er etwas kühl zurück. "Gab es ein Problem, dass Euch her geführt hat?" Er tauschte einen kurzen Blick mit seinem Vater, der sichtlich zufrieden war. Endlich hatte er den Sohn, den er sich immer gewünscht hatte.

"Allerdings", empörte sich der Soldat, "zwei meiner Männer wurden von ein paar Bauernlümmeln angegriffen."

James lächelte spöttisch. "Was können die Euren Männern denn schon anhaben."

Die Augen des anderen blitzten zornig auf. "Sie haben das Pferd des einen verletzt und dem anderen die Uniform runiniert. Ein tätlicher Angriff auf Soldaten seiner Majestät bleiben nicht ungestraft." Er funkelte den Laird an. "Ich verlange, dass Ihr mir diese Verbrecher ausliefert, Campell. Morgen!"

Damit machte er auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon.

"Herrje", murmelte James.

"Das ist nicht lustig", ermahnte ihn sein Vater streng. "Wenn die Leute hier die Soldaten angreifen, können wir uns nicht auf ihre Hilfe im Ernstfall verlassen."

James hatte seine Zweifel, dass er sich überhaupt auf die Eglada verlassen konnte. Doch diesen Gedanken hielt er wohlweißlich für sich. Ebenso, wie ihm durchaus aufgefallen war, dass sein Vater bereits für die Campells sprach. Er musste seine Rolle beibehalten.

"Aber es waren doch nur ein paar dumme Jungen", bermerkte er achselzuckend.

"Die sich dafür verantworten müssen", erklärte der Laird und rief bereits nach seinen Männern. "Findet die Lümmel, die es gewagt haben, die Soldaten zu verärgern. Und macht gleich allen anderen klar, dass ich nicht zögere die jenigen zu bestrafen, die sich meiner Anordung widersetzen. Ich will die Bengel noch heute hier sehen, verstanden?"

Die beiden Männer murmelten etwas, dass wie eine Bestätigung klang und machten sich auf den Weg.

"Man darf sich keine Schwäche erlauben", erklärte ihm sein künftiger Schwiegervater, "sie suchen nur nach einer Möglichkeit aufsässig zu werden, merk dir das, Junge."

James nickte nur und entschudigte sich dann. Er verspürte nicht die Lust, sich die alten Ränkeschmieder anzuhören. Stattdessen machte er sich auf die Suche nach seiner Verlobten.

Als er eine der Frauen ansprach, bedachte sie ihn nur mit einem verächtlichen Blick und murmelte etwas, bevor sie weiter eilte. Glücklicherweise erhaschte er jedoch einen Blick auf einen blauen Rock, wie er ihn zuvor bei Isobel gesehen hatte. Er beschleunigte seine Schritte und folgte ihr auf den Hof. Sie schien es recht eilig zu haben. An ihrem Arm hin ein Korb, dessen Inhalt von einem Tuch verdeckt wurde. Sie trug einen Umhang über ihrem Kleid, das auch für Skott-Verhältnisse schlicht war. Ihr dickes blondes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der über ihren Rücken baumelte. Isobel war eindeutig nicht eitel.

Er holte sie mit großen Schritten vor dem Burgtor ein.

"Macht Ihr einen Spaziergang?"

Sie blieb stehen und sah ihn ein wenig erschrocken an. Doch sie fasste sich schnell. "Spioniert Ihr mir hinterher?"

"Habt Ihr denn etwas zu verbergen?", fragte er und musterte sie. In ihren Augen blitzte es auf. Sie machte keinen Hehl aus ihrer Abneigung ihm gegenüber.

"Ganz gewiss nicht", behauptete sie und reckte das Kinn. "Ich gehe regelmäßig in das Dorf und kümmere mich um die Menschen dort."

"Erlaubt mir Euch zu begleiten."

Ihr Blick glitt über seine Beine zu seinen Schuhen. "Ihr würdet Eure Kleidung ruinieren."

"Hmm... wir sollten reiten."

Einen Moment schaute sie ihn fassungslos an. "Nay. Ihr solltet hier bleiben. Ihr würdet die Leute erschrecken."

"Sehe ich so furchterregend aus?", fragte er und breitete die Arme aus.

Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. "Ja."

Damit wand sie sich um und marschierte durch das Tor. Der Wachposten schien ihre Worte gehört zu haben, denn er sah ihn feixend an. James bemühte sich um eine indignierte Miene und versuchte möglichst unbefangen davon zu schlendern.

 

 

 

Isobel war froh James MacDonald los geworden zu sein. Zugleich war sie entsetzt, wie einfach er abzuschrecken war. Also waren ihm seine Schuhe kostbarer als ein Ausflug mit ihr.

Sie seufzte. Sie musste sich einfach damit abfinden, dass er ein anderer geworden war.

Was sie davon halten sollte, dass er sie hatte begleiten wollen, wusste sie nicht so ganz. Auch am vergangenen Abend war er höflich gewesen. Scheinbar hatte er auch nichts dagegen sie zu heiraten.

Als sie das Dorf erreichte, schüttelte sie die unerfreulichen Gedanken ab. Zuerst schaute sie bei Artair vorbei, dessen Sohn sich an einer Hacke verletzt hatte. Dann besuchte sie die Näherin Alison. Ihre beiden Söhne hatten sich in der Ecke des kleinen Hauses verkrochen und schauten ängstlich zu Isobel.

"Was ist denn los?", fragte sie besorgt. "Seid wann habt ihr vor mir Angst?"

"Wir haben keine Angst", behauptete Colin, der jüngere von beiden.

"Ah, und warum versteckt ihr euch dann? Ich habe euch übrigens etwas mitgebracht." Sie holte ein paar Wecken aus dem Korb. Colin kam sofort heran. Logan, sein Bruder, folgte ihm langsamer. Isobels Blick fiel auf seinen Arm, den er an seinen Körper presste. Das Hemd war fleckig, doch sie glaubte ein paar dunklere Flecken darauf zu sehen, Blut.

"Was ist mit deinem Arm, Junge?", fragte sie und trat auf ihn zu.

"N..nichts", behauptete er und versuchte sich abzuwenden. Doch Isobel war schneller. Sie packte ihn an der Schulter und drehte ihn um. Das Leinen war starr vor getrocknetem Blut. Sie riss den Ärmel auf und fluchte.

"Setz dich hin. Das muss behandelt werden."

Logan sank anstandslos auf den Schemel. Seine Mutter stieß ein ersticktes Geräusch aus. Sie hatte die Hände vor den Mund gepresst und starrte mit großen Augen auf ihren Sohn. Isobel achtete nicht weiter auf sie, sondern ging zum Kessel und befeuchtete ein Tuch, mit dem sie das getrocknete Blut auf der Haut des Jungen anlöste und abwusch. Konzentriert reinigte sie die Wunde und suchte in ihrem Korb nach einer Salbe, die sie schon für Artairs Sohn benutzt hatte. Sie zerriss eins der Leinentücher, in die sie Brot eingewickelt hatte, und nutze es als Verband für den Jungen. Der hatte die ganze Prozedur stoisch über sich ergehen lassen und nur hier und da aufgekeucht.

"Du hättest zu mir kommen müssen, Logan", ermahnte sie ihn sanft und drehte sich zu Alison um.

"Ich habe es nicht gewusst, Herrin. Er hat nichts gesagt." Hilflos sah sie zu ihren Jungen. "Was zum Teufel habt ihr getrieben?"

"Das ist eine scharfe Klinge gewesen", bemerkte Isobel. Sie vermutete ein Schwert. Dafür kamen nur die Eglada-Soldaten in Frage oder aber die Krieger ihres Vaters. Beides erzürnte sie. Logan war noch ein Kind.

"Was ist geschehen, Logan?", fragte Alison, "Was?"

Der Junge presste die Lippen aufeinander. Also wanderte der Blick der Näherin zu ihrem jüngeren Sohn. "Ich höre! Wer war das?"

"Soldaten", wisperte Colin und schaute zu Boden.

"Soldaten?", wiederholte Alison entsetzt. "Seid ihr verrückt geworden? Ihr solltet euch von diesen Bastarden fernhalten."

"Wir haben nichts getan, Mutter", verteidigte sich Colin leise.

"Sie haben uns beschimpft und es darauf angelegt", stieß Logan hervor. In seinen Augen glühte Hass und Empörung. Isobel konnte es ihm nachempfinden, doch sie war entsetzt, dass bereits ein Junge solche Gefühle haben musste.

"Was ist passiert?", fragte sie die Jungen.

Sie tauschten einen Blick. Dann erzählte Logan.

"Wir waren am Bach und haben Boote gebaut. Da sind sie aufgetaucht, drei Soldaten mit ihren Pferden. Sie verlangten, dass wir Platz machten, damit ihre Pferde saufen konnten. Dabei war doch genug Platz da. Colin wollte sein Boot noch holen. Da hat einer der Soldaten ihn festgehalten und beschimpft. Er hat sich natürlich gewehrt. Und ich musste ihm helfen." Colin sah betreten zu Boden. "Ich wollte sie ablenken. Also bin ich zu den Pferden gelaufen und hab sie erschreckt. Der Soldat hat Colin losgelassen. Aber ein anderer wollte mich packen. Also hat der eine sein Schwert gezogen und ... mich am Arm getroffen. Wir sind so schnell gelaufen, wie wir konnten. Und die Soldaten mussten sich noch um ihre Pferde kümmern." Er verzog das Gesicht.

Alison rang die Hände. Hilfesuchend sah sie zu Isobel. Sie alle wussten: Die Eglada würden die Sache nicht auf sich beruhen lassen.

 

 

"Die Clansmen fragen bereits nach ihnen. Die Eglada lassen den Laird die Drecksarbeit machen." Ewan warf einen Blick zu Isobel.

Kaum hatten die Jungen ihre Geschichte erzählt, war er schon in die Hütte gestürmt, gefolgt von Artair und zwei weiteren Männern. Ewan war der Schmied im Dorf und so etwas wie der Sprecher für alle. Die Jungen waren bei seinem Eintreffen zusammen gerückt. Alison hatte sich zu ihnen gestellt.

"Sie verlangen, dass die Jungen ausgeliefert werden", bemerkte Artair.

"Das lasse ich nicht zu", erklärte Alison. "Sie sind doch noch Kinder."

"Wir sind dem Laird zu Gehorsam verpflichtet", bemerkte einer der Männer.

"Aber-" Alison sah die Männer verzweifelt an.

"Aber der Laird ist dazu verpflichtet zu unserem Wohlergehen zu handeln. Und das tut er schon lange nicht mehr." Ewan sah zu Isobel. "Ihr solltet besser gehen, Herrin."

"Ich bin nicht mein Vater und ich bin nicht seiner Meinung, wenn es um die Politik mit den Eglada geht", erklärte sie fest. "Ich möchte helfen."

Ewan schüttelte den Kopf. "Es ist besser, wenn Ihr nichts wisst, Herrin."

Vielleicht hatte er Recht, doch Isobel widerstrebte es die Hände in den Schoß zu legen.

"Ihr habt uns schon so sehr geholfen", sprang Alison ein und reichte ihr die Hände. "Aber Ihr dürft Euch nicht in Gefahr bringen."

Isobel sah zu den Jungen, dann nickte sie.

 

 

Es musste etwas geschehen.

Isobel wanderte in ihrem Raum auf und ab. Sie konnte nicht schlafen. Wie es jetzt den beiden Jungen ergehen musste. Sie hatte den ganzen Tag nervös gehorcht, ob die Clansmen eine Nachricht brachten. Als sie endlich in die Burg gekommen waren und dem Laird Bericht erstattet hatten, hatte Isobel mit bangem Herzen gelauscht. Sie hatten die Schuldigen nicht gefunden, was den Laird so sehr erzürnte, dass er einen Kerzenständer nach ihnen warf. Isobel verstand nicht, warum ihr Vater seinen eigenen Clan verriet. War die Fehde gegen die MacKenzies so viel wichtiger, dass er seine eigenen Leute vergaß? Sie fand schon lange nicht mehr den Mut mit ihm darüber zu sprechen. Seid dem Tod ihrer Mutter hatten sie kaum ein Wort gewechselt und waren sich aus dem Weg gegangen. Sie kannte den Mann, der ihr Vater kaum. Aber sie wusste, dass ein Gespräch ihn nicht überzeugen würde. Ebenso wenig wie sie ihn von der Heirat abbringen konnte. Sie war genauso nur ein Mittel um sich gegen die MacKenzies zu stärken. Die Erkenntnis verletze sie mehr, als sie geglaubt hätte. Wie sollte sie einen Mann überzeugen sich um seinen Clan zu kümmern, wenn er seine eigene Tochter verkaufte.

Die drohende Hochzeit war durch die Jungen in den Hintergrund getreten, doch sie trug auch dazu bei, dass sie keinen Schlaf fand.

Sie musste irgendetwas tun.

Sie trat an das Fenster. Die Läden waren geöffnet und durch das Glas schien der Mond herein. Sie öffnete das Fenster und sog die kalte Nachtluft ein. In der Ferne schrie ein Nachtvogel und ein Kuh muhte. Irgendwo in der Dunkelheit lag das Dorf und in einer der Hütten lagen zwei Jungen, die gerettet werden mussten. Sie mussten fort. Doch wohin? Und was war mit Alison?

Isobel legte die Hände auf das Fensterbrett.

"Herrin?" Isobel blinzelte und erkannte Jenna, die mit einem Licht an der Tür stand.

"Was gibt es, Jenna?"

"Ich habe befürchtet, dass Ihr nicht schlafen könnt." Jenna schloss leise die Tür und stellte das Licht auf dem Tisch ab. "Ich habe vielleicht eine Lösung."

Hoffnung flammte in Isobel auf. "Eine Lösung? Erzähl."

"Ihr solltet das Fenster schließen, Herrin. Es wird fürchterlich kalt hier drin."

Isobel befolgte ihren Rat, weil sie wusste, dass Jenna sonst nichts sagen würde.

"Habt Ihr schon einmal von dem Raben gehört?", fragte Jenna.

Isobel runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern. "Nein."

"Es ist mehr eine Legende", erklärte Jenna und verknotete nervös ihre Finger miteinander. "Aber man sagt, er steht uns in der Not gegen die Eglada bei. Er hilft den Menschen, die von den Soldaten bedroht werden. Er ist schnell wie der Wind und taucht immer dort auf, wo er gebraucht wird. Dann verschwindet er wieder ohne dass jemand gesehen hätte wohin. Niemand kennt sein Gesicht oder seinen wahren Namen."

Isobel sah Jenna skeptisch an. Sie glaubte nicht an solche Geschichten. Die Leute erzählten sich an langen Abenden vieles. Nur wenig beinhaltete mehr als einen Funken Wahrheit. "Und wie soll dieser Rabe erfahren, dass er hier gebraucht wird?"

"Ihr müsst ihm eine Nachricht schicken."

Isobel hob die Brauen. "Soll ich einen Boten los schicken?"

"Ihr müsst ihn den Raben geben", erklärte Jenna weise, "sie werden ihn zu ihrem Herrn bringen."

"Das ist doch Unsinn, Jenna." Mutlos ließ sie sich auf das Bett sinken.

"Aber vielleicht auch nicht. Was könnt Ihr denn sonst tuen?"

Nichts, sie konnte überhaupt nichts tun. Und sie glaube nicht an einen geheimnisvollen Mann, der die Jungen vor den Soldaten retten konnte. Warum war er dann nicht längst hier aufgetaucht?

"Denkt darüber nach", sagte Jenna und stand auf. "Aber vergesst nicht zu schlafen. Morgen findet die Anprobe des Hochzeitskleides statt."

Leise verließ sie das Zimmer und ließ Isobel zurück.

Sie stützte den Kopf in die Hände und grübelte weiter nach.

 

 

 

Sie kam sich albern vor. Doch Jenna hatte Recht. Es war eine Chance, eine winzige. Jetzt schlich sie durch die Burg, nur mit einem Mantel über ihrem Nachthemd. Auf dem Nordturm gab es Raben, doch der Weg dorthin führte durch die halbe Burg. Zum Glück schienen alle Bewohner zu schlafen. Sie eilte den Gang entlang und bog um die Ecke zum Turm. Da prallte sie gegen etwas. Bevor sie wusste wie ihr geschah, wurde sie jedoch schon festgehalten.

"Lady Isobel?", ertönte eine dunkle Stimme. "Was macht Ihr denn hier?"

"Das könnte ich Euch genauso fragen", schoss sie zurück. Bei dem Zusammenstoß hatte sie den Zettel mit der Nachricht verloren. Hektisch machte sie sich von seinen Armen los und ging in die Hocke. Wo war der dumme Zettel?

"Sucht Ihr etwas?", fragte er.

Sie sah auf und sah sich seinem Gesicht gegenüber. Meine Güte, er trug sogar um diese Zeit eine Perücke.

"Ich... ja, als Ihr in mich hinein gelaufen seid, ist es mir herunter gefallen."

"Ich bin..." Er unterbrach sich. "Sucht Ihr das hier?" Er hielt den Zettel in die Höhe.

"Ja." Sie griff danach, doch er zog seine Hand weg. "Gebt es mir."

"Was ist das?", fragte er und faltete es schon aus einander.

Isobel sah wie sie in eine große Katastrophe schlitterte. Sie warf sich auf ihn. Durch ihre Position in der Hocke warf sie ihn tatsächlich um und kam auf seinm Körper zu liegen. Fieberhaft suchte sie nach der Hand mit dem Zettel, während er aufstöhnte.

"Himmel, seid Ihr von Sinnen?", ächzte er und versuchte sie von sich herunter zu schieben.

"Gebt mir den Zettel", forderte sie und setzte sich auf, sodass sie rittlings auf ihm saß.

 

James starrte auf die Frau, die auf ihm saß ohne sich der Situation bewusst zu sein. Ihr Mantel war offen und bot ihm den Blick auf ihr dünnes Nachthemd. Ihr Brust hob und senkte sich. Er hatte sie zuvor an seiner Brust gespürt.

"Den Zettel, MacDonald", knurrte sie.

Den Zettel. Den hatte er beinahe vergessen. Eigentlich hatte er sie nur necken wollen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich gleich auf ihn stürzen würde. Dieses Stückchen Papier schien außerordentlich wichtig zu sein.

Er schloss die Finger drum.

"Würdet Ihr bitte von mir herunter gehen?", fragte er höflich.

Sie stieß ein entzückendes Knurren aus. "Nicht, wenn Ihr mir nicht den Zettel gebt."

"Also schön." Er setzte sich auf und schob sie mit Leichtigkeit von sich herunter. Diesmal drehte er ihr den Rücken zu, als er den Zettel betrachtete und die kurze Botschaft las.

Zwei Jungen in Glen Corran benötigen Eure Hilfe. I

Sie stürzte sich schon wieder auf ihn. Doch dann sah sie, dass er die Zeilen bereits gelesen hatte. Für einen Moment sackte sie zusammen, dann straffte sie die Schultern. "Seid Ihr jetzt zufrieden? Gebt Ihr es mir jetzt zurück?" Sie streckte die Hand aus.

"Für wen ist das gedacht?", fragte er.

"Jedenfalls nicht für Euch", fauchte sie, "Wenn Ihr nämlich ein wenig Anstand hättet, könnte ich mich an Euch wenden, statt an einen Fremden, der kaum mehr als ein Phantom ist."

"Ein Phantom?", wiederholte er. "Lady Isobel, an wen wolltet Ihr diese Nachricht schicken?"

Sie senkte den Kopf. "Es war nur eine dumme Idee", murmelte sie kaum verständlich.

Er überlegte, wie er damit umgehen sollte.

" Gebt Ihr mir jetzt den Zettel?", fragte sie beinahe zaghaft.

"Und dann verratet Ihr mir, was Ihr damit vorhabt?"

"Aye."

Er reichte ihr den Zettel, den sie ihm beinahe aus der Hand riss. Sie raffte ihren Mantel und wollte davon eilen, doch er hielt sie am Arm zurück. "Wolltet Ihr mir nicht noch etwas sagen?"

"Schert Euch zum Teufel!", fauchte sie, "Ihr seid doch Schuld daran."

Damit riss sie sich los und rannte davon.

Er folgte ihr nicht.

 

 

 

"Begleitet Ihr mich auf einen Ausritt?" James MacDonald hatte sie wieder aufgestöbert, obwohl sie nach der letzten Nacht ein Treffen mit ihm auf jeden Fall hatte vermeiden wollen. Nachdem sie schließlich doch eingeschlafen war, hatte Jenna sie geweckt und zur Anprobe ihres Hochzeitskleides schleppt. Danach hatte sie sich mit dem Speiseplan für die nächsten Tage und die Feier beschäftigt. Jetzt war sie auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung. Vorzugsweise einer, bei der sie nicht nachdenken konnte. Noch hatte sie nichts von den Jungen gehört, doch das hieß nicht, dass es ihnen gut ging.

Ein Ausritt konnte sie unauffällig durch das Dorf führen. James MacDonalds Aufzug war so egladisch, dass die Leute mit ihren Worten vorsichtig sein würden.

"Aye. Wenn wir durch das Dorf reiten."

Er nickte nur und wenig später ritten sie vom Burghof.

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihren zukünftigen Mann. Er saß stocksteif im Sattel, nicht unbedingt wie ein geübter Reiter, obwohl er doch schon als Kind auf Pferden gesessen hatte. Heute trug er braune Hosen und schwarze, glänzende Stiefel. Der Rock war Pflaumenfarben mit goldenen Stickereien an den Ärmeln. Er musste mehr gekostet haben als ein Bauer hier in zwei Jahren erarbeiten konnte. Seine Hände steckten in Handschuhen und wie immer bedeckte eine Perücke sein Haar.

Isobel bemerkte einen Jungen, der den Fremden anstarrte, und musste lächeln. James MacDonald sah zwar aus wie ein Eglada -und benahm sich auch so- aber immerhin musste vor ihm keiner Angst haben.

Im Dorf erntete er noch mehr erstaunte und neugirerige Blicke. Als Isobel absteigen wollte, sprang er von seinem Pferd und half ihr galant herunter.

"Ich bin durchaus in der Lage allein vom Pferd zu steigen", bemerkte und machte sich von ihm los. Sie hatte in der Nacht mehr als genug Körperkontakt mit ihm gehabt.

Entschlossen ging sie zu Artairs Haus herüber.

"Herrin", rief erfreut. "Wir haben nicht so schnell wieder mit Eurem Besuch gerechnet." Da bemerkte er ihren Begleiter und schien nicht so recht zu wissen, was er sagen sollte.

"Das ist James MacDonald... mein Verlobter." Sie drehte sich zu diesem um. "Artairs Sohn hat sich böse an einer Sense verletzt. Ich werde mir die Wunde kurz ansehen."

"Herrin Isobel?" Der Junge lugte hinter seinem Vater hervor. "Mir geht es schon wieder gut. Es juckt und Vater sagt, dass heißt es heilt."

"Stimmt. Zeig mal her."

Gehorsam streckte der Junge ihr seine Hand hin. Er hatte wirklich Glück gehabt, dass er sie noch gebrauchen konnte. Isobel wickelte der Verband ab und sah sich zufrieden die Wunde an. "Das heilt gut. Streiche immer schön die Salbe darauf, aye?"

Der Junge nickte und sah fragend zu James MacDonald. "Warum hat er so komische Sachen an?"

Sie musste ein Grinsen unterdrücken. "Er hat lange bei den Eglada gelebt. Da zieht man so etwas an."

Der Junge sah James MacDonald abschätzig an. "Aber hier ist Skottia."

"Er muss sich noch daran gewöhnen", erklärte sie und erhob sich aus der Hocke.

Artair wuschelte seinem Sohn durch das Haar. "Vielen Dank, Herrin." Er nickte James MacDonald zu.

Dieser führte die Pferde am Zügel während sie durch das Dorf ging und sich mit den Leuten unterhielt. Sie stellte ihn den Menschen vor und bald kam ihr das Wort Verlobter ganz leicht über die Lippen. Er stand stumm daneben und beobachtete sie nur.

Schließlich stand sie vor Alisons Haus. Für einen Moment zögerte sie, dann klopfte sie entschlossen an die Tür.

Es dauerte einen Moment bevor, die Tür geöffnet wurde und Alison den Kopf heraus streckte. Als sie Isobel erkannte, breitete sich Erleichterung auf ihrem Gesicht aus.

"Oh, Ihr seid es, Herrin. Kommt doch herein."

Isobel spürte, wie James MacDonald hinter sie trat und sah wie Alisons Gesicht sich verschloss.

"Das ist mein Verlobter James MacDonald", stellte Isobel ihn vor. "Alison ist die Näherin hier im Dorf. Wenn Ihr also einmal ein neues Kleidungsstück braucht..." Vielsagen ließ sie ihren Blick über seine Kleidung gleiten. Er verzog keine Miene.

Alison blieb bei ihrer Einladung und bot ihnen sogar Tee an. Isobel setzte sich auf einen Schemel und ließ den Blick unauffällig durch den Raum gleiten. Von den Jungen war keine Spur zu sehen. Alison machte sich nervös an der Kochstelle zu schaffen. James MacDonald schien etwas ratlos im Raum zu stehen.

"Setzt Euch doch."

Er musterte den Schemel und setzte sich vorsichtig. Glaubte er das Möbel würde unter ihm zusammen brechen oder hatte er Angst seine Kleidung zu beschmutzen? In jedem Fall wirkte er denkbar Fehl am Platze.

Alison setzte ihnen je einen Becher vor und knetete nervös ihre Schürze. "Ihr werdet also tatsächlich heiraten", bemerkte sie beklommen.

"Es ist der Wunsch meines Vaters", bestätigte Isobel. "Die MacDonalds sind unsere Nachbarn. Ich werde also nie weit entfernt sein." Aber zu weit um dem Dorf regelmäßig einen Besuch abzustatten.

"Alison, ich -" Ewan war in die Stube geplatzt und hielt überrascht inne. Mit finsterer Mine musterte er den Fremden. Isobel machte auch sie bekannt.

"Ewan ist Schmied", erklärte sie.

"Schmied?", wiederholte er, das erste Wort dass er sagte.

"Aye", bestätigte dieser und sah verächtlich auf die Rüschen und feinen Kleider.

"Mein Pferd benötigt ein neues Eisen." Er stand auf. "Würdest du es dir anschauen?"

Ewan warf Isobel einen fragenden Blick zu, folgte aber ihrem Verlobten aus der Hütte.

Sie atmete auf und sah Alison fragend an.

"Er war hier", stieß sie hervor, "er bringt sie in Sicherheit. Es gibt ihn wirklich."

Ihr Herz schlug einen Moment schneller und sie stieß einen leisen Juchzer aus. Dann fiel sie Alison um den Hals. "Ich war ja so verzweifelt."

"Aber Ihr habt den Raben gerufen." Die Frau war sichtlich gerührt. "Ihr habt meine Jungen gerettet."

"Du musst sie fürchterlich vermissen."

"Aber ich weiß, dass sie leben. Und das ist das Wichtigste. Und der Rabe hat uns wieder Hoffnung gebracht."

Isobel seufzte. "Ich wünschte, ich müsste Glean Corran nicht verlassen."

"Ist dieser Mann wirklich der James MacDonald?", fragte Alison zweifelnd.

"Es ist kaum zu glauben, nicht wahr?"

 

 

 

James beobachtete wie der Schmied sein Pferd neu beschlug. Der Mann war groß und kräftig, wie es für jemanden mit seinem Beruf üblich war. Er hatte jedoch auch ein forsches Auftreten, dass ihn zu einem Anführer machte. Deshalb war James mit ihm zu der Schmiede gegangen.

Ein junger Bursche, anscheinend der Sohn des Schmieds, hielt sein Pferd, sodass er nichts weiter zu tun hatte. Er wollte sich schließlich auch nicht schmutzig machen, dachte er sarkastisch.

"Die anderen Eisen sind in Ordnung", stellte der Schmied fest und baute sich vor ihm auf. Obwohl James recht hochgewachsen war, musste er nach oben sehen, um dem Blick des Mannes zu begegnen.

"Das ist gut. Ich möchte nicht, dass mein Pferd unter den unmöglichen Wegen hier leidet", stellte in seinem üblichen blasierten Tonfall fest.

Der Schmied starrte ihn aus zusammen gekniffenen Augen an. "Ihr wollt die Herrin heiraten?"

"Ich wüsste zwar nicht, was dich das angeht, aber... ja."

"Es geht mich eine Menge an, MacDonald. Ich habe nämlich meine Zweifel, dass Ihr eine Frau wie sie verdient."

Insgeheim gab er dem Mann zwar Recht, doch er konnte sich das nicht bieten lassen. "Das hast du nicht zu beurteilen, Schmied. Und jetzt geh mir aus dem Weg." Er trat auf den Schmied zu. Der dachte jedoch gar nicht daran zurück zu treten. Stattdessen packte er James am Kragen.

"Was fällt dir ein! Lass mich sofort los!", forderte dieser und versuchte den großen Mann weg zustoßen. Damit brachte er sich nur in eine noch schlechtere Lage. James hing nun nur noch an der Hand des Mannes und krallte sich dementsprechend an diesem fest, während er versuchte möglichst ängstlich drei zusehen.

"Lasst ... mich... los!", forderte er erneut.

"Damit wir uns verstehen, MacDonald. Sollte der Herrin etwas zustoßen, werde ich die Schuld bei Euch suchen." Damit stieß er ihn von sich. James landete unsanft auf dem Hosenboden. Jemand kicherte. Wütend fuhr er herum. Das Mädchen presste die Hände vor den Mund, konnte das Kichern aber nicht unterdrücken. Zwei junge Burschen, die bei ihr standen, grinsten breit und verspotteten ihn mit stärksten Skott-Dialekt.

"Was ist denn hier los?"

Gerade als er sich hochrappelte, kam Isobel zu ihm gelaufen. Frustriert schaute er auf seine schlammbedeckte Hose. Sie war ruiniert.

Isobel scheltete den Schmied, der James nur einen finsteren Blick zu warf und dann ging.

"Was ist passiert?", fragte sie nun ihn.

Er schüttelte den Kopf und versuchte wenigstens seine Handschuhe sauber zu bekommen.

"Hat er Euch verletzt?" War sie etwa um ihn besorgt?

"Nein, nein, aber... meine Hose... die ... die Handschuhe... alles ruiniert." Er zeigte ihr seine Hände.

Sie sah ihn an, als wüsste sie nicht, ob sie lachen sollte oder mitleid mit ihm haben. Also spielte er seine Rolle überzeugend. Er reckte sich.

"Wir reiten zurück."

Sie schien keine Einwände zu haben und holte ihr Pferd.

 

 

 

Isobel konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen. Zum Glück ritt er vor ihr und konnte es nicht sehen. Was auch immer Ewan mit ihm angestellt hatte, er hatte sehr unglamorös im Schlamm gesessen. Einen Moment war sie ernsthaft besorgt gewesen. Aber dieser James MacDonald machte sich nur Sorgen um seine Handschuhe. Sie schüttelte den Kopf.

Das Dorf würde sich mit Sicherheit noch eine Weile vor Lachen ausschütten. Sie konnte nur hoffen, dass er es Ewan nicht heimzahlen würde. Aber James MacDonald schien ihr eher ein höflicher, verweichlichter Mensch zu sein als ein rachsüchtiger. Allerdings vertrug kein Mann eine Blamage besonders gut.

Sie bot an, sich um seine Kleidung zu kümmern.

"Ich werde versuchen die Flecken wieder heraus zu bekommen."

Er sah sie an. "Aber Ihr seid doch keine Waschmagd."

Offensichtlich war das der falsche Vorschlag gewesen. "Nein, aber ich werde mich persönlich darum kümmern."

Er starrte auf seine Hose. "Danke." Apprupt drehte er sich um und stakste über den Hof, wobei ihm ein dutzend Blick folgten. Isobel herrschte die beiden Mädge neben ihr an, weiter zu machen und ging ebenfalls ins Gebäude.

 

Zweites Kapitel

 

Die Hochzeitsvorbereitungen liefen auf Hochtouren. Isobel versuchte sich einzureden, dass sie nur ein großes Fest vorbereitete. Als Burgherrin hatte sie eine Menge zu tun, was sie von dem eigentlichen Gedanken an die Hochzeit ablenkte. Sie musste sich nicht nur um das Menü kümmern, sondern für den Schmuck auf Tischen und an Wänden sorgen und die Gäste unterbringen. Alle Adeligen und wichtigen Personen aus beiden Tälern waren eingeladen worden. Falls der Bräutigam irgendetwas zu den Vorbereitungen beitrug bekam sie davon nichts mit. Sie begegnete ihm ohnehin meist nur am Tisch. Wenn er sie sonst aufsuchte, war sie zu beschäftigt um sich mit ihm auseinander zu setzten.

Sein Zusammentreffen mit dem Schmied war natürlich bis zu den Burgbewohnern durchgedrungen. Zwar wagte es niemand vor Isobel zu tuscheln, doch sie kam nicht umhin mitzubekommen, dass man noch ein wenig verächtlicher über ihren Verlobten sprach.

Ein anderes Thema, dass durch die Gänge der Burg getragen wurde, war der Rabe.

Einen Tag vor der Hochzeit erfuhr der Lord davon. Isobel war zufällig in der kleinen Halle, in der ihr Vater seine Clansmen empfing. Auch James MacDonald war anwesend und beobachtete die Szene.

"Sie sind fort? Wie kann das sein? Es sind Jungen!"

Der Krieger wand sich unter dem wütenden Blick des Laird. "Die Leute behaupten, der Rabe war's."

"Der Rabe?", wiederholte der Laird, "Was soll das sein?"

"Ein maskierter Kerl, der behauptet für die Skott zu kämpfen. Im Süden kursieren eine Menge Gerüchte und Geschichten."

"Wer sich hinter einer Maske verstecken muss, hat hier nichts zu suchen. Wenn der Kerl noch einmal mein Land betritt, schafft ihn her."

"Aber-", setzte der Mann an, doch der Laird schickte ihn schon wieder hinaus.

Der Laird goss sich brummend einen Whiskey ein und bot seinem zukünftigen Schwiegersohn ebenfalls einen an. "Wenn MacKenzie dahinter steckt, wird er dafür büßen."

"Warum sollte er zwei Jungen entführen?", fragte James MacDonald und Isobel kontrollierte noch einmal die Sitzkissen auf den Stühlen und Bänken. Sie wollte nur zu gerne mehr über die Meinung ihres Verlobten wissen.

"Die Jungen spielen keine Rolle. Aber nun stehe ich mit leeren Händen dem Leutnant gegenüber. " Er stieß einen leisen Fluch aus, der nicht für die Ohren einer Dame bestimmt war.

"Wenn die Jungen fort sind, könnt weder Ihr noch Leutnant Benett etwas daran ändern."

"Nur an wem statuiere ich jetzt das Exempel? Diese widerspenstigen Leute müssen endlich lernen, dass sie sich nicht gegen mich auflehnen können."

"Oh, möglicherweise haben sie noch nicht verstanden, dass die Eglada nicht unsere Feinde sind", bemerkte James MacDonald und Isobel hätte ihn dafür gerne geschlagen. "Im Süden haben die Leute das längst verstanden und viele ihrer Sitten angenommen. Hier sehen die Menschen nur Soldaten und denken, sie würden sie gleich niederstechen, was einfach unglaublich ist. " Er schüttelte den Kopf.

Sie konnte sich nicht mehr zurückk halten. "Es ist nicht unglaublich. Es ist die Wahrheit. Die Soldaten greifen unsere Leute völlig grundlos an."

"Isobel" Ihr Vater drehte sich zu ihr um und sah sie streng an. "Rede nicht so."

"Ich rede aber genau so. Weil du dich vor der Wahrheit verschließt. Du lässt zu, dass die Eglada unsere Leute drangsalieren und verletzten. Wie kannst du da noch erwarten, dass sie dir die Treue halten. Du verrätst sie!"

Das Gesicht des Laird verfinsterte sich zusehendst. "Geh! Geh mir aus den Augen! Solche Reden muss ich mir von meiner Tochter nicht bieten lassen." Sie wich entsetzt zurück, entsetzt über sich und über ihren Vater. "Geh in dein Zimmer. Bis morgen wirst du es nicht mehr verlassen."

Sie floh ohne einen weiteren Blick auf den Mann, den sie morgen heiraten würde, zu verschwenden.

 

 

 

"...hiermit zu Mann und Frau." Applaus brandet auf. Sie achtete jedoch kaum darauf, denn James MacDonald schlug ihren Schleier zurück und bot sie der Öffentlichkeit preis. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie kurz. Obwohl sie sich vor diesem Kuss gefürchtet hatte, war sie doch enttäuscht, dass er so kurz war. Er hatte kaum ihre Lippen berührt.

Er nahm ihre Hand und drehte sich zu den Gästen um. Jubel empfing sie, als sie den Gang zwischen den Tischen entlang schritten. Auf der anderen Seite der Halle stand der Tisch des Hochzeitspaares und den Familien. Sowohl ihr Vater als auch Laird MacDonald sprachen einen Toast aus und alle in der Halle prosteten ihnen zu. Isobel versuchte zu lächeln. Doch das war alles nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte, damals, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Oder als sie noch von Jamie geträumt hatte. Schnell drängte sie diesen Gedanken zur Seite und versuchte sich auf das hier und jetzt zu konzentrieren.

Während des Mahls kamen zahlreiche Leute um ihnen zu gratulieren. Sie beschränkte sich darauf zu lächeln und zu nicken und überließ das reden ihrem Mann. Er hielt sich heute bemerkenswert zurück und wechselte sogar ein paar Worte mit Ewan.

Als wäre das nicht alles anstrengend genug, musste sie noch tanzen. Das prachtvolle Kleid war völlig ungeeignet um sich zu bewegen, trotzdem gelang es ihnen den Tanz ohne Panne zu absolvieren.

James, sie musste ihn in Gedanken endlich so nennen, schien ebenfalls wenig Interesse am Tanzen zu haben und beobachtete neben ihr das Treiben in der Halle. Im Verlauf des Abends wurde reichlich Alkohol ausgeschenkt, sodass es nicht verwunderlich war, dass es immer lauter und wilder zu ging. Isobel wollte gerade aufstehen und sich zurück ziehen, als die großen Türen auffolgen. Es gab zwar ein Kommen und gehen in die Halle, doch jeder benutzte die Türen an den Seitenwänden, nit die Flügeltüren zum Hof.

In diesen stand nun ein Mann, ein wenig älter als James, in der traditionellen Kleidung der Skott. Isobel fühlte sich an den alten Jamie erinnert und fühlte einen Stich. Sie kannte den Mann nicht, doch er hatte die Autorität in der Halle Stille einkehren zu lassen. Selbstbewusst schlenderte er durch die Halle zu ihrem Tisch. Neben Isobel keuchte ihr Vater auf. Scheinbar kannte er den Fremden.

"Bitte entschuldigt die Verspätung, der Bote mit meiner Einladung muss mich verpasst haben." Der Fremde lächelte Isobel entwaffnend zu. "Meine Glückwünsche."

"Ihr habt hier nichts zu suchen, MacKenzie", stieß der Laird der Campells hervor. Isobel zuckte zusammen. Gegen diesen Mann führte ihr Vater seine Fehde? Kein Wunder, dass er auf die Eglada setzte. Dieser Mann war durch und durch ein Skott. Isobel begann sich nun endgültig für ihren Vater zu schämen.

"Zu einer Hochzeit, zu der jederman von Rang aus dieser Gegend eingeladen wurde?", fragte der MacKenzie und hob eine Braue.

"Wegen dieser Hochzeit werde ich davon absehen Euch auf den Hof aufzuknüpfen. Aber wenn Ihr nicht sofort von meinem Land verschwindet, jage ich Euch die Hunde auf den Hals." Einer der Hunde knurrte ihn bereits an.

MacKenzie starrte den Laird finster an und verneigte sich dann vor den Brautpaar. "Es war mir eine Ehre. Mylady." Sein Blick war intensiv und ließ sie glühen.

"Es war uns eine Ehre", erwiderte sie.

Er zwinkerte ihr zu, bevor er sich umwandte und aus der Halle ging, wie er gekommen war.

Isobel warf einen Blick auf ihren Mann und bemerkte, wie finster er drein schaute.

"Was bildet sich der Kerl ein", knurrte er. Dann stand er unvermittelt auf und riss Isobel mit sich. "Wir gehen."

Ihr Abgang blieb nicht unbemerkt und wurde von Gejohle und zotigen Sprüchen begleitet.

Isobel war zwar froh von dem Tisch weg zukommen, doch ebenso behagte ihr, was ihr nun bevor stand.

James brachte sie in ihr Zimmer, wo Jenna bereits auf sie wartete. Sie befreite sie von dem Kleid und zog die vielen Nadeln aus ihrem Haar. Isobel zitterte, obwohl es nicht kalt war. Sie schlang sich eine Decke um die Schultern und sah nervös zur Tür.

"Er wird schon alles richtig machen", versprach Jenna und räumt ihr Kleid beiseite. Leise schlüpfte sie hinaus und ließ Isobel alleine zurück.

 

 

 

James kippte den Whiskey hinunter. Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, bevor er sich die Perücke wieder aufsetzte und nach dem Rock griff. Er konnte es nicht noch länger hinauszögern. Vor Gott waren sie bereits Mann und Frau, doch er musste noch einen Schritt weiter gehen um die Ehe offiziell zu vollziehen. Mit einem lautlosen Seufzen verließ er sein Zimmer.

Isobel saß auf der Bettkante. Eine einzelne Lampe beleuchtete sie. Ließ ihr Haar golden schimmern und beschien ihr Nachthemd. Sie hatte eine Decke um die Schultern gelegt, die sie krampfhaft umklammerte. Sie starrte ängstlich zu ihm.

Leise schloss er die Tür und zog den Rock aus. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie er auf sie zukam. Er ging jedoch an ihr vorbei und löschte die Lampe.

"Keine Angst", sagte er leise, obwohl er bezweifelte, dass er damit irgendetwas bewirkte.

Er ging wieder an ihr vorbei und begann sich auszuziehen. Die Stille war erdrückend.

Seine Augen hatten sich genügend an die Dunkelheit gewöhnt, sodass er ohne Probleme das Bett fand. Er kroch darauf und streckte die Hand nach Isobel aus.

"Komm her. Leg dich hin. Komm ins Bett." Er versuchte sanft zu sein, beruhigend.

Sie war stocksteif und verkrampfte sich nur noch mehr, als er die Decke wegzog.

James zögerte. Er wollte ihr nicht weh tun, doch er konnte ihr auch nicht geben, was sie sich wünschte.

 

 

Isobel krallte sich in das Laken, als könne es sie vor dem Untergehen bewahren. Sie spürte James' großen Körper über sich, konnte den Schemen seiner Gestalt sehen. Er bewegte sich. Sie spürte seine Hand an seinem Schenkel, sie fuhr nach oben, schob das Nachthemd hoch. Sie war nicht vollkommen unwissend. Das war in einer Burg mit so vielen Menschen auf einem Flecken kaum möglich. Doch hatte sie mehr erwartet. Mehr Zärtlichkeit, mehr Lust, vielleicht auch mehr Schmerz. Kaum hatte sie diesen verspürt, zog er sich auch schon wieder zurück. Der große Körper verschwand von ihr und das Ächzen des Bettes verriet ihr, dass er es verlassen hatte. Sie fühlte sich mehr als verlassen. Mit den Gefühl, etwas großes vorenthalten bekommen zu haben, lag sie im Bett. Das Keuchen von der schemenhaften Gestalt nahm sie nur am Rand war. Sie kämpfte mit den Tränen. Auch als er wieder ins Bett zurück kehrte. Er nahm sie nicht in die Arme, ja er berührte sie nicht einmal. Unglücklich schlang sie ihre eigenen Arme um sich.

 

 

 

Am nächsten Morgen war die andere Seite des Bettes verlassen. Nur ein Fleck Blut bezeugte, dass es eine Hochzeitsnacht gegeben hatte. Isobel wusch sich und zog ein einfaches Kleid an. Sie ignorierte die neugirigen Blicke und nahm ihre Schüssel mit Brei mit nach draußen. Im Stall setzte sie sich auf den Heuboden und löffelte ihr Frühstück.

Sie war enttäuscht. Aber was an James war keine Enttäuschung? Wie anders war da MacKenzie. Gewiss hätte er ihr mehr gegeben. Er war auch ein richtiger Skott.

Sie war mehr als erschrocken über den Gedanken. Schon einen Tag nach der Hochzeit dachte sie an einen anderen Mann. Sie hatte James zwar nicht gewählt, aber sie würde ihm nicht untreu werden. Sie hatten sich vor Gott die Treue geschworen.

Da das Grübeln absolut nichts brachte, verließ sie den Heuboden, brachte die Schale zurück und begann zu packen. James hatte angedeutet, nicht lange auf der Burg verweilen zu wollen. Vielleicht war es besser das Leben hier abzuschließen.

 

 

 

Die Reise verlief ereignislos. Isobel war endgültig dem Schutz ihres Mannes übergeben worden. Es waren die Clansmen der MacDonalds, die sie begleiteten. Auch der Laird der MacDonalds ritt mit ihnen. Er behandelte Isobel zwar freundlich, war aber distanziert. Sie hielt sich an seinen Sohn. Nachts schliefen sie in einem Bett, doch er rührte sie nicht an, was sie verletzte. Tagsüber unterhielt er sich höflich mit ihr, doch sie kamen sich dabei nicht näher.

Die Burg der MacDonalds war der ihres Clans ähnlich. Sie lag jedoch auf einer Landzunge, die in einen großen See hineinreichte. Aufgrund dieses Sees gab es unter den MacDonalds eine ganze Reihe Fischer. Isobel war bereits als Kind hier gewesen. Nach Jamies Verschwinden waren die Besuche jedoch eingestellt worden.

James brachte sie in ihr gemeinsames Schlafzimmer. Es war größer als ihr altes Zimmer. Die Fenster gingen zum See hinaus. Staunend sah sie auf die graue Fläche.

"Ich lasse deine Sachen hinauf bringen. Ich nehme an, du möchtest dich etwas ausruhen."

Bevor sie etwas sagen konnte, war er schon wieder verschwunden.

Sie starrte auf das große Bett. Es war aus massiver Eiche mit einem Baldachin. Mehrere Decken und Kissen lagen darauf, die eine Mixtur aus Skottia und Eglada darstellten. In dem ganzen Raum gab es das eine oder andere Teil, dass aus Eglada stammte. Sie fragte sich, ob James es mitgebracht hatte. Es gab so viel, dass sie nicht über ihn wusste. Aber würde er sich ihr anvertrauen?

 

 

Sie aß zusammen mit ihrer neuen Familie. Die Männer zogen sich nach dem Essen in die Bibliothek zurück. Isobel blieb nichts anderes übrig als in das Schlafzimmer zu gehen. Mit Jennas Hilfe zog sie ihr Nachthemd an.

"Hast du dich schon umgesehen?",fragte sie ihre Zofe.

"Natürlich. Eine Morag hat hier die Fäden in der Hand. Sie scheint ganz fähig zu sein."

"Aber ob sie mit mir zurecht kommt", zweifelte Isobel.

"Sie muss. Ihr seid nun die Herrin der Burg."

"Hmmm... "

"Sie werden Euch ins Herz schließen, Herrin. Die Leute hier waren sehr gespannt auf Euch."

"Wir werden sehen", murmelte sie.

 

James schlüpfte wie immer im dunkeln in das Bett. Er hatte noch eine ganze Reihe von Dingen regeln müssen und es war spät geworden. Isobel schlief schon. Er lauschte ihren gleichmäßigen tiefen Atmenzügen und wünschte er könnte sie in die Arme nehmen. Obwohl er nur neben ihr liegen konnte, brachte sie ihn zur Ruhe. Sein Verstand lullte langsam ein und er vergaß die Sorgen, die ihn umtrieben. Er schlief in der Burg seiner Vorfahren ohne von Alpträumen geplagt zu werden.

 

 

Isobel hatte Morag schnell gefunden. Sie wieß eine Gruppe Mägde an, die Wäsche zu machen. Sie war eine resolute Mitte vierzig. Als sie Isobel entdeckte, gab sie den Frauen noch ein paar Anweisungen und kam dann zu ihr herüber. Sie knickste freundlich.

"Ich habe Euch bereits erwartet, Lady Isobel." Sie nestelte an ihrem Gürtel und hielt Isobel den Schlüsselbund hin. Diese nahm ihn feierlich entgegen.

"Danke. Ich würde mir gerne die Abläufe in der Burg ansehen."

"Aye, natürlich."

Anders als ihre Herren sprach Morag im Skott-Dialekt, wie scheinbar alle anderen auch.

Sie führte Isobel durch die gesamte Burg und stellte ihr einige Leute persönlich vor. Isobel kam wie auch Jenna zu dem Schluss, dass Morag das Gesinde gut unter Kontrolle hatte. Sie wurde respektiert und war eine Ansprechperson.

Als sie ihre Runde beendet hatten, schnaufte sie zwar, strahlte aber zufrieden. "Da habt Ihr alles gesehen. Es geht alles seinen geregelten Gang."

Isobel verstand schon, was sie damit sagen wollte. "Das sehe ich. Wir werden sicher ein Arrangement finden. Ich muss mich erst einmal zurecht finden."

Morag war zwar ein wenig misstrauisch, doch ihr blieb nicht viel übrig als zu nicken.

"Ich habe im Garten einige Heilkräuter gesehen. Gibt es eine Heilkundige auf der Burg?"

"Nay, ich kenne mich ein wenig aus und im Dorf lebte bis vor kurzem eine Heilerin, aber sie ist letzten Winter gestorben und hatte keine Schülerin. Man sagt Ihr seid eine Heilerin."

"Aye. Gibt es einen Platz, an dem ich meine Salben herstellen kann?"

Morag zeigte ihr einen Nebenraum der Küche, gleich neben dem Garten. Isobel machte sich sogleich daran sich hier einzurichten.

"Du hast dich schon eingerichtet." Sie sah auf und bemerkte ihren Mann, der in der Tür stand. Sein Blick flog durch den Raum. Unwillkürlich verspannte sie sich.

"Morag hat mir die Burg gezeigt und mir diesen Raum überlassen."

Er nickte. "Es gibt gleich Essen. Begleitest du mich?" Er hielt ihr auffordernd den Arm hin. Isobel war in allen nötigen Umgangsformen unterrichtet worden, doch normalerweise hielt es niemand in Skottia für nötig im Alltag so förmlich zu sein. Es war ihr unangenehm ihre Hand auf seinen Arm zu legen und so dicht bei ihm zu sein. Er trug auch hier feine Egladische Kleidung, sodass sie sich unwillkürlich wie einer Küchenmagd vorkam.

"Ich reite morgen ins Dorf. Möchtest du mich begleiten?", fragte er als sie sich setzten.

"Gerne."

Er füllte ihren Becher und dann seinen eigenen. Isobel bemerkte den forschenden Blick des Laird auf ihnen. Schnell senkte sie den Blick und konzentrierte sich auf ihr Essen.

"Und? Was hast du heute gemacht, Isobel?", fragte er.

Sie suchte noch nach einer Antwort, als James für sie antwortete.

"Sie hat sich von Morag die Burg zeigen lassen und unten ihre Heilerwerkstatt eingerichtet."

"Du bist heilkundig?", fragte der Laird überrascht.

"Meine Mutter hat mir die Grundlagen beigebracht. Bei uns gab es sonst niemanden, der sich um die Kranken und Verletzten kümmern konnte." Und jetzt gab es niemanden. Sie hatte die Menschen in Glen Corran im Stich gelassen. "Morag sagte mir, die hiesige Heilerin sei verstorben."

"Das stimmt. Aber Morag kennt sich mit allerlei Hausmitteln aus." Damit schien für ihn das Thema erledigt zu sein. Er wand sich an seinen Sohn und sprach über einen Pächter, der mit seinen Zahlungen in Verzug zu sein schien. Isobel hörte den Männern nur mit halbem Ohr zu. Sie fühlte sich nicht nur fremd sondern auch alleine. Zwar hatte sie daheim keine Familie, aber doch Freunde.

 

 

 

James hatte Isobel spontan zu den Ausritt eingeladen. Normalerweise hatte er nicht viel übrig mit den Leuten zu plaudern. Doch er hatte Isobel in Glen Corran gesehen. Sie war unter den Leuten glücklich.

Zuerst bemerkte sie die alte Maisie. Sie kam freudestrahlend auf sie zugeeilt. "Da ist ja das junge Paar!"

Er half Isobel aus dem Sattel. Sie wischte seine Hände unwirsch beiseite und sah die Frau an.

"Maisie?", fragte sie überrascht und erfreut.

"Aye, komm her Schätzchen. Lass dich umarmen." Sie zog sie in ihre Arme. Dann hielt sie sie auf Armeslänge von sich und musterte sie kritisch. "Du bist groß geworden, Isa. Aber ich habe je immer gesagt, ihr beiden seid für einander bestimmt."

Isobel lächelte gequält und drückte damit genau seine Gefühle aus.

"Pass ja gut auf sie auf, Junge." Maisie sah ihn warnend an.

"Natürlich", versicherte er.

Mittlerweile hatte sich das halbe Dorf um sie versammelt.

"Unsere Glückwünsche, Herr." Einer der Männer war vorgetreten und verneigte sich vor ihm.

"Danke, Malcom. Darf ich dir meine Frau Isobel vorstellen?" Sie drehte sich zu dem Mann um. "Malcom ist Tischler", erklärte er Isobel und begann ihr einige andere Leute vorzustellen. Sie brauchte nicht lange um die Menschen für sich eingenommen zu haben. Sie unterhielt sich mit Keith über dessen Schafzucht und mit Ian über die kommende Ernte. Dabei wurde klar, dass sie bestens Bescheid wusste. Sie sprach mit Iona und Blair und ließ sich von den beiden zum Handarbeitskreis einladen. James beobachtete sie versonnen und merkte erst gar nicht, dass Maisie sich neben ihn gestellt hatte.

"Kommst du jetzt wieder richtig zurück, Jamie?"

Er drehte den Kopf und sah zu ihr herunter. "Ich bin zurück, wie mein Vater es gewünscht hat." Die Verbitterung schlich in seine Stimme. Es fiel ihm schwer Maisie tagtäglich zu enttäuschen. Aber es gab keine Alternative.

Sie sah ihn vorwurfsvoll an. "Ich kenne dich, Junge. Mir machst du nichts vor." Sie setzte ihm den Finger auf die Brust. "Du bist immer noch dadrin."

Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft nach unten. "Ich bin erwachsen geworden, Maisie. Jetzt sehe ich die Welt, wie sie wirklich ist."

Die Traurigkeit in ihrem Blick versetzte ihm einen schmerzhaften Stich. "Ich geb dich noch nicht auf, Jamie."

 

 

 

James spielte mit einem Band, dass an seinem Rock hing, herum, während er auf Isobel wartete. Sie wollte sich ein krankes Kind ansehen. Er zog es vor bei den Pferden zu warten. Aus dem Augenwinkel sah er zwei Kinder, die ihn beobachteten. Der Junge machte irgendeine Bemerkung und das Mädchen kicherte. Der Junge grinste und James konnte sich schon denken, was der Grund für ihre Belustigung war.

"He, ihr da. Kommt mal her!" Er winkte sie herüber, doch sie rannten davon. So weit reichte also seine Autorität.

Er sah sich nach Isobel um, entdeckte dafür eine Gruppe Soldaten. Schlagartig wurde es ruhig im Dorf. Die Soldaten wurden argwöhnisch beäugt. Diese ritten auf dem Dorfplatz als seien sie die Herren den Welt. James musste sich sehr beherrschen.

"Ich hörte, Ihr seid zurück", sprach ihn der mittlere der Soldaten an, ein Corporal der hiesigen Kompanie. "Und verheiratet."

James nickte. "Ihr seid richtig informiert, Corporal."

"Meine Glückwünsche. Hat Eure Frau Euch hierher begleitet?" Er deutete mit dem Kinn auf die Pferde. "Ihr solltet sie nicht alleine herum laufen. Hier treibt sich allerlei Gesindel herum."

"Gesindel?", wiederholte er und sah sich beunruhigt um. Der Eglada lachte.

"Die meinte ich nicht. Ihr wisst ja, haltet Eure Leute ruhig und wir werden ihnen nichts tun." Er grinste. "Meine Männer haben wieder von dem Raben gehört. Der verfluchte Mistkerl hat uns einen Verdächtigen vor der Nase weggeschnappt."

"Dann solltet Ihr zusehen, dass Ihr ihn einfangt, Corporal", gab James zurück.

"Es ist mir ein Vergnügen", knurrte der Soldat. "Und ich hoffe auf die Unterstützung Eures Vaters. Ich wünsche einen schönen Tag."

James sah den Soldaten nach. Als er sich wieder umwandte, sah er in die großen Augen eines kleinen Jungen.

"Werden sie den Raben töten?"

James musterte das schmutzige Gesicht des Kindes. In seinem Blick lag jetzt schon der Trotz der Skott und es sprach in dem breiten Dialekt der Skott.

"Sie werden ihn jagen und bestrafen."

"Aber er hat doch nichts getan!", empörte sich der Junge.

"Ach nein?"

"Er ist ein mutiger Krieger. Nicht so wie Ihr!"

Nachdem er ihm das ins Gesicht geworfen hatte, nahm er die Beine in die Hand. Die Kinder hier tanzten ihm wirklich auf der Nase herum.

 

 

 

"Hat Euch der Besuch im Dorf nicht gefallen?", fragte Isobel, als sie zur Burg zurück ritten. Sie konnte sich nicht dazu durchringen ihn vertraulich anzusprechen.

Er verzog das Gesicht. "Ich habe mir von einem Kind sagen müssen, dass ich ein Feigling bin."

Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

"Das ist nicht lustig", murrte er und sah sie finster an. Darüber musste sie nur noch mehr lachen.

"Ihr solltet wieder einmal ein Schwert in die Hand nehmen, James."

"Nein."

"Warum nicht? Selbst die Eglada kämpfen und haben herausragende Krieger."

Er schaute sie unsicher an. "Ich ... ich habe mich den Büchern zugewandt. Ich möchte nichts mit diesem ganzen Blutvergießen zu tun haben."

"Dafür seid Ihr in der falschen Gegend", gab sie bitter zurück. "Wenn Ihr nur zuseht, wie die Menschen hier unterdrückt werden und sinnlos Blut vergossen wird, dann seid Ihr wirklich ein Feigling."

Sie trieb ihr Pferd an, denn auf einmal hatte sie es sehr eilig zurück zur Burg zu kommen. Merkte James denn nicht, dass er sich lächerlich machte?

 

 

 

Isobel besuchte Blair und Iona am nächsten Tag mit einer Handarbeit in ihrem Korb. Die beiden berichteten ihr, dass sich jemand verletzt hatte und sie suchte den Mann sogleich auf. Daraufhin meldeten sich noch mehr Leute, die ihren Rat suchten. Endlich hatte sie das Gefühl etwas tun zu können. Sie wieß die Leute an, auf die Burg zu kommen, wenn sie etwas benötigten.

Schließlich setzte sie sich mit den beiden Frauen an das Ufer des Sees.

"Der Anblick ist atemberaubend", staunte sie. "Jetzt ist der See blau, gestern war er mehr grau und... wie kann etwas so viele Farben haben?"

Iona lachte. "Ihr habt Euch also schon in Eure neue Heimat verliebt."

"Stimmt es, dass Ihr bereits früher hier wart?", fragte Blair.

Isobel nickte. "Ich habe ein paar Sommer hier verbracht. Meine Mutter war mit James' Mutter befreundet."

"Er hasst es, wenn man von ihr spricht."

Sie hatte bisher noch kein einziges Wort über den Tod seiner Mutter oder seine Zeit im Exil mit ihm gesprochen.

"Er hat sich sehr verändert, daran erinnere sogar ich mich." Iona blickte auf den See hinaus. "Wir haben ihn alle vergöttert. Er würde ein großartiger Krieger werden, dachten wir. Und dann, als er wieder kam..." Sie drehte sich zu Isobel um. "Entschuldigt. Ich wollte nicht respektlos über Euren Ehemann sprechen."

Isobel seufzte. "Ich habe ihn auch kaum wieder erkannt."

"Die Eglada haben ihn uns weg genommen." Blair klang verbittert. "So wie sie uns alles weg nehmen."

"Blairs Tochter geriet den Soldaten in die Quere", erklärte Iona. "Sie wurde von ihren Pferden totgetrampelt und auch der Rabe konnte ihr nicht mehr helfen."

"Der Rabe?", wiederholte Isobel. "Ich habe schon einige Male hier von ihm gehört."

Die Frauen tauschten einen Blick.

"Er hat in Glen Corran zwei Jungen gerettet. Sie sollten den Soldaten ausgeliefert werden."

"Oh", murmelte Iona. "Der Laird ist nicht besonders gut auf ihn zu sprechen."

"Mein Vater auch nicht. Er glaubt lieber, die Eglada würden ihm helfen." Sie schüttelte betrübt den Kopf.

"Sie nehmen uns nur alles. Unsere Kinder, unser Land und unsere Werkzeuge", sagte Blair verbittert. Ihr Blick brannte. "Ich werde alles tun um dem Raben zu helfen. Auch wenn mich dafür gegen meinen Laird stellen muss."

Iona nahm sie tröstend in den Arm.

"Sagt mir, wie ich helfen kann."

Die Frauen sahen auf.

"Ich will irgendwas tun. Aber ich weiß nicht was." Hilflos hob sie die Hände.

"Ihr könnt nichts tun, Herrin. Wir haben gehofft, dass alles anders werden würde, wenn James zurück kommt, aber..."

Sie brauchte nicht zu erklären, was sie meinte. James MacDonald war eine Enttäuschung.

"Erzählt mir von dem Raben", bat sie und nahm ihre Handarbeit aus dem Korb.

 

 

Als sie zurück in die Burg kam, herrschte auf dem Hof ein Aufruhr. Sie versuchte einen Blick auf das zu erhaschen, dass die Leute angezogen hatte. Die beiden Männer vor ihr erkannten sie und machten ihr Platz.

Im Kreis der Leute stand James, vielmehr saßs er im Staub. Vor ihm stand ein Krieger, ein Übungsschwert in der Hand.

"Was ist hier los?", fragte sie ihren Nachbarn.

"Der Sohn des Laird versucht zu kämpfen", sagte er ohne den Kopf zu drehen in verächtlichem Tonfall.

James rappelte sich wieder auf und griff nach seinem Schwert. Er hatte seinen Rock ausgezogen und präsentierte sein Rüschenhemd, trug aber noch immer seine Perücke und Schuhe mit großen Schnallen, die nach dieser Aktion bestimmt runiniert waren. Er wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht und nahm Aufstellung. Ein paar Männer lachten. Der Krieger stellte sich ebenfalls kampfbereit hin. Nur sah es bei ihm wirklich so aus, als ob er kämpfen wollte. Isobel seufzte leise. Aber was sollte sie tun? Sie konnte ihn unmöglich vor dieser Blamage retten.

James machte einen Ausfallschritt und stieß das Schwert vor. Der Krieger schlug es ohne Anstrengungen beiseite. James wirbelte schwungvoll herum und versuchte erneut einen Treffer zu landen. Selbst Isobel konnte sehen, dass er niemals Erfolg haben würde.

"Wenn du anständig fechten würdest, würde das hier viel besser funktionieren", erklärte James hochmütig. Der Krieger verzog keine Mine.

"Ihr wolltet den Umgang mit dem Schwert lernen, Herr. Das ist der Umgang, den ich kenne."

James sah ihn wütend an und stürzte sich auf ihn. Isobel konnte nicht sagen, ob er über seine eigenen Füße stolperte oder ob der Krieger im ein Bein stellte. Jedenfalls landete der Erbe des MacDonald-Clans bäuchlings auf dem Boden. Das Schwert flog ihm aus der Hand und schlitterte geradewegs vor Isobels Füße. Sie hob es auf und ging zu ihrem Mann hinüber, der sich hustend aufsetzte. Er sah sie unglücklich an. Sie reichte ihm die Hand.

"Haltet Ihr das für eine gute Idee?", fragte sie leise.

Er holte tatsächlich ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich die Nase.

"Kommt..." Sie gab dem Krieger das Schwert und führte ihren Mann in das Gebäude.

 

 

"Was sollte das? Wolltet Ihr Euch unbedingt vor allen lächerlich machen?"

James massierte seine Schulter und sah zu seiner bezaubernden Frau hoch. Sie hatte ihn auf einen Schemel verfrachtet und funkelte ihn nun mit in die Hüften gestemmten Händen an.

"Du wolltest doch, dass ich ein Schwert in die Hand nehme", murmelte er und senkte den Blick wieder, da er seiner Beherrschung nicht mehr besonders traute.

"Da wusste ich auch nicht, dass man sich so dumm anstellen kann", fauchte sie. "Was habt Ihr all die Jahre gemacht? Das konnte selbst ein Junge mit vierzehn Jahren besser."

"Ich habe..."

"Nay, jetzt rede ich. Ich hätte nichts dagegen gehabt Jamie zu heiraten, aber Ihr - Ihr seid eine Enttäuschung. Ihr lasst Euch von einem einfachen Schmied einschüchtern und glaubt Ihr könntet die Leute mit feiner Kleidung und egladischen Manieren beeindrucken. Merkt Ihr denn nicht, wie sie hinter Eurem Rücken lachen? Und über mich, weil ich Euch heiraten musste.

Ihr seid kein Mann, Ihr seid noch nicht mal ein Junge. Ihr seid ein Feigling."

Ihr Röcke wirbelten um ihre Knöchel und die Tür knallte hinter ihr zu.

Er stand auf und trat gegen den Hocker. Ein wütender Fluch kam über seine Lippen, als er sich das Hemd vom Leib riss. Er warf die Perücke dazu und raufte sich die Haare.

"Ach, Isobel..."

 

Drittes Kapitel

 

Isobel beugte sich über den Mann. Das Pferd hatte ihn am Kopf getroffen, doch er lebte noch. Das Schwert des Soldaten war nur eine Schramme.

"Er lebt, aber er wird noch eine Weile ohnmächtig sein", erklärte sie und wieß zwei starke Männer an, ihn in eine der Hütten zu tragen.

Iona half ihr die Schramme auf der Brust zu versorgen.

"Er ist Fischer, wohnt bei seinem Bruder. Malcom informiert ihn."

"Was ist geschehen?", fragte Isobel leise. Sie war gerade erst in das Dorf gekommen und beinahe von einem wütenden Soldaten umgeritten worden.

"Ich weiß es nicht. Er kam in das Dorf gelaufen und der Soldat hinterher. Ich glaube, er dachte, er wäre tot."

Isobel sah zu dem Mann. Sie betete, dass er bald erwachte.

"Ich mache einen Tee, aye?" Iona stand auf.

Bald darauf kam Malcom zurück. Er fuhr sich über den Bart und sank auf einen Hocker. "Ian ist fort. Die Männer wussten nicht genau, was passiert ist. Die beiden sind vor den Soldaten gegelaufen. Ian ist verschwunden und die Eglada sind fuchsteufelswild." Er sah zu dem Verletzten. "Wie geht es ihm."

"Er lebt", sagte Isobel besorgt, "ich hoffe er wacht bald auf."

"Unsere einzige Hoffung ist, dass die Soldaten ihn tot halten." Iona brachte Malcom einen Tee und setzte sich an das Krankenlager.

"Ihr solltet in die Burg zurück kehren, Herrin", sagte Malcom.

Isobel schüttelte den Kopf. "Ich bleibe hier. Es kann sein, dass ich ihn behandeln muss, wenn er aufwacht."

"Dieser Mann ist jetzt ein Gesuchter, Herrin." Malcom sah sie besorgt an. "Es würde Eurem Mann bestimmt nicht behagen, wenn Ihr damit zu tun habt."

"Es interessiert mich aber nicht, was meinem Mann behagt", sagte sie heftig.

"Herrin, bitte..."

"Entschuldige, Malcom. Es ist nicht deine Schuld, aber ich fühle mich so hilflos. Und das macht mich krank."

Er grunzte nur.

"Aber ich bleibe hier."

 

 

 

James flänzte sich auf dem Sofa herum. Auf das Buch, dass auf seinem Schoß lag, konnte er sich nicht konzentrieren. In seinem Kopf kreisten ganz andere Gedanken herum.

"Was treibst du da wieder?"

Die Stimme seines Vaters ließ ihn aufblicken. "Lesen."

"Lesen", schnaubte der Laird verächtlich, "damit wirst du keinen Krieg gewinnen."

James schlug das Buch zu und setzte sich aufrecht hin. "Gibt es etwas, Vater?"

"Allerdings. Die Fischer machen wieder mal Ärger." Der Laird ließ sich auf das zweite Sofa fallen. "Sie haben sich geweigert der Garnision ihren Fang zu verkaufen."

"Aber, warum?", fragte James naiv und ernete einen Blick, der ihn als dummen Jungen abstempelte.

"Weil sie widerspenstig sind." Der Laird zog die Perück vom Kopf und kratzte sich. "Einer der Fischer ist tot, der andere auf der Flucht. Wenn ich ihn in die Finger kriege." Er stülpte sich die Perücke wieder auf den Kopf. "Es ist an der Zeit, dass diese Dummköpfe begreifen, dass sie sich nicht gegen die Eglada auflehnen können."

"Und was willst du unternehmen? Der Mann könnte doch überall sein."

"Aber er hat eine Frau. Die sich bereits auf dem Weg in die Burg befindet." Der Laird lächelte grimmig. "Wir werden sehen, was ihm wichtiger ist, seine Frau oder sein Leben."

"Aber sie ist doch unschuldig", wand James ein und bekam einen vernichtenden Blick ab.

"Die Weiber sind nicht besser als ihre Männer. Schon die Gören lehnen sich gegen uns auf. Sieh zu, dass du deine Frau unter Kontrolle hast."

James fiel ein, dass sie ins Dorf gegangen war. "Sie ist im Dorf", rief er und sprang auf. "Ich muss zu ihr."

Sein Vater hielt ihn nicht auf.

 

 

"Hat er sich gerade bewegt?", fragte Iona und alle richteten ihren Blick auf den Verletzten. In diesem Augenblick hämmerte jemand an die Tür. Sie sahen sich erschrocken an. Iona stellte sich mit Malcom vor den Fischer, als die Tür aufflog. Beinahe war sie erleichtert, dass es nur James war. Doch auch er konnte eine Gefahr darstellen. Ohne lange zu überlegen, flog sie ihm um den Hals.

"Was machst du denn hier?", fragte sie und musste ihre Überraschung nicht spielen.

Er musterte sie besorgt. "Geht es die gut?"

"Ja, ja... warum... was ist denn?" Seine Hände an ihrer Taille brachten sie durcheinander.

"Die Soldaten suchen nach einem Flüchtigen. Der andere Mann ist schon tot." Sein Blick flog durch den Raum. Sie war nicht groß genug um ihn daran zu hindern. Also warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihn. Völlig überumpelt stolperte er rückwärts und wäre beinahe gefallen.

"Isobel, was... du musst hier weg."

"Aber-"

"Kein aber. Wer weiß, was dem Mann einfällt. Nachher nimmt er dich als Geisel."

"Das ist doch vollkommener Unfung."

Doch er zog sie mit sich und half ihr auf das Pferd. Sie drehte den Kopf um einen Blick auf Iona zu werfen. Die nickte leicht. Sie würde sich um den Fischer kümmern.

 

Auf dem Hof half James ihr aus dem Sattel und hielt sie einen Moment länger als nötig fest. Seine grünen Augen waren forschend auf sie gerichtet.

Unangenehm berührt, entwand sie sich seinem Griff und eilte hinauf in ihr Zimmer.

Als James zu ihr in das Zimmer trat, stand sie am Fenster und schaute auf den See hinaus.

"Glaubt Ihr wirklich, dieser Mann würde mir etwas antuen?", fragte sie ohne sich umzudrehen.

"Man kann nie wissen, was im Kopf von solchen Menschen vor sich geht."

Bei seinem abfälligen Ton drehte sie sich wütend um. "Nein, man kann wirklich nicht wissen, was in Eurem Kopf vorgeht."

Sie musste sich zusammen nehmen um ihm nicht schon wieder alles an den Kopf zu werfen. Nach ihrem letzten Ausbruch hatten sie kaum mit einander gesprochen und waren sich aus dem Weg gegangen.

"Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, Isobel." Er kam mit bittendem Blick auf sie zu.

"Ihr solltet Euch um Euren Clan Gedanken machen, James."

"Das ist die Aufgabe meines Vaters."

"James. Ihr seid der Erbe. Ihr könntet so viel bewegen."

Er sah sie unglücklich an. "Ich gehöre nicht mehr hier her."

"Jamie...", flüsterte sie und spürte wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. "Komm zurück."

Er schüttelte den Kopf. "Dein Jamie ist vor langer Zeit gestorben."

Sie wand sich ab um ihre Tränen zu verbergen.

"Isobel." Er schlang seine Arme um sie und zog sie mit dem Rücken an seine Brust. Sie fand nicht die Kraft ihn abzuweisen. Stattdessen lehnte sie sich an ihn und starrte auf den See heraus, während ihre Gedanken sich langsam beruhigten.

"Ich muss noch etwas erledigen", bemerkte er nach einer Weile.

Isobel löste sich von ihm und suchte in seinem Blick nach etwas vertrauten. Doch er ging bereits.

Sie sank auf das Bett. Warum hatte er aufgehört zu kämpfen?

"Herrin?", Jenna steckte den Kopf herein. "Der Herr sagte, Ihr würdet vielleicht meine Hilfe benötigen."

"Ach, Jenna. Er dachte er müsste mich retten."

"Das ist aber romantisch." Jenna faltete ein Tuch, das sie achtlos hingeworfen hatte.

"Aber im Dorf liegt ein Mann, der für tot gehalten wird und meine Hilfe braucht."

Jenna sah auf. "Der Fischer ist nicht tot?"

"Nay, aber woher weißt du denn davon?"

"Oh, die Clansmen haben die Frau des anderen Fischers hergebracht, damit er sich stellt."

"Oh, mein Gott. Bist du dir sicher?"

Jenna nickte und sah ihre Herrin besorgt an.

"Wo ist sie?"

"Im Kerker."

Isobels Gedanken rasten. Sie musste die Frau befreien und Ian davon abhalten sich zu stellen. Das schaffte sie nicht alleine. Sie brauchte Hilfe und es gab nur eine Person, die ihr helfen konnte: der Rabe.

Sie lief in ihre Kräuterkammer. Dort verwahrte sie auch Papier und Feder und Tinte auf. Nach kurzem überlegen, schrieb sie eine kurze Nachricht auf ein Stückchen Papier. Jetzt brauchte sie nur noch einen Raben. Sie erinnerte sich, dass auf dem Wachgang zwischen dem großen Turm und dem kleinen hin und wieder schwarze Vögel hockten. Sie lief über den Hof und erklomm den Turm. Diese Seite der Burg war dem See zugewandt, weshalb hier nur selten eine Wache vorbei kam. Erfreut nahm sie ein Krächzen wahr. Sie trat auf den Wehrgang. Keine zwei Meter von ihr entfernt, saß einer der schwarzem Vögel und schaute sie misstrauisch an.

"Guter Vogel, flieg nicht weg. Du musst eine Nachricht überbringen." Während sie vorsichtig auf ihn zu ging, redete sie leise auf den Vogel ein. Er ruckte mit dem Kopf, stieß ein leises Krächzen aus, flog aber nicht davon. "Hier. Sei ein braver Vogel und gib das deinem Herrn."

Der Rabe schnappte nach dem Zettel. Kaum hielt er ihn im Schnabel, breitete er sie Flügel aus einander. Isobel schickte ihm ein Gebet nach.

 

 

Es dauerte unerträglich lange bis sich endlich die Dunkelheit über die Burg senkte. Beim gemeinsamen Abendessen war sie nervös, doch sie stand es irgendwie durch. Die Männer zogen sich zurück und Isobel lief in ihre Kräuterkammer. Dort holte sie ihren Mantel und griff nach dem Korb, den sie vorbereitet hatte. Dank Morags Führung wusste sie, wo sich die Kerker befanden; in einem abgeschiedenen Teil der Burg, der einen zusätzlichen Zugang zum Hof hatte. Sie bemerkte den Wachposten vor der Tür und ging auf ihn zu.

"Ihr dürft hier nicht rein, Herrin."

"Ich habe gehört, dort befindet sich eine unschuldige Frau. Ich möchte ihr etwas zu essen bringen."

Der Mann sah ihren Korb skeptisch an. "Auf ihre Unschuld würde ich nicht wetten."

"Sie soll nur ihren Mann herlocken, richtig? Ich möchte ihr doch nur etwas zu Essen bringen."

Sie schlug das Tuch über ihrem Korb zurück.

"Wein? Der ist viel zu gut für eine wie die."

"Dann nimm du den Wein." Sie lächelte gewinnend. "Die anderen Sachen müssen reichen."

Er starrte gierig auf den Wein.

"Deiner, wenn du mich runter lässt."

Er zögerte, doch schließlich gab er nach. Sie schlüpfte durch die Tür.

Unten leuchtete eine Lampe, sodass sie die Treppenstufen einigermaßen sehen konnte. Es war feucht und roch auch so. Zu ihrer Erleichterung war der Kerker leer. Abgesehen von einer Zelle. Eine junge Frau saß darin und hatte das Gesicht in ihren Händen vergraben. Als sie Isobel hörte, sah sie aus verweinten Augen auf.

"Hallo", sagte Isobel freundlich, "ich habe dir etwas mitgebracht."

Sie stellte den Korb ab.

"Mein Ian", wisperte die Frau.

"Er ist noch nicht gefunden worden", beruhigte Isobel sie. "und sein Bruder lebt." Jedenfalls hoffte sie das.

Die Frau starrte sie an.

"Iss etwas. Ich werde dich hier raus holen."

"Aber... Ihr seid die neue Herrin, aye?"

"Aye."

"Gott segne Euch!" Sie griff ihre Hand und drückte sie fest.

"Du musst dich noch ein wenig gedulden", erklärte sie der Frau. "Ich komme wieder."

 

 

Isobel wartete. James war noch nicht in das Schlafzimmer zurück gekehrt und sie hoffte, dass er noch eine Weile weg bleiben würde. Sie sah zum Fenster und sprach ein letztes leises Gebet. Dann stand sie auf, griff nach ihrem Mantel und verließ leise das Zimmer.

Sie schlich den letzten Gang entlang. Noch eine Biegung, dann würde sich zeigen, ob ihr Schlaftrunk gewirkt hatte.

Sie zuckte zusammen, als eine Hand sie packte. Sie wurde zurück gerissen und prallte gegen die Mauer. Der Aufschlag presste ihr die Luft aus den Lugen. Sie japste auf. Panisch rammte sie dem Angreifer das Knie in den Leib. Er keuchte auf, wich aber nicht zurück.

Da fiel ein wenig Licht auf sein Gesicht. Vielmehr sah sie nur einen schmalen Streifen mit seinen Augen. Der Rest seines Gesichts war unter einem schwarzen Tuch verborgen.

"Der Rabe", stieß sie hervor. "Du bist gekommen."

Jetzt wich er ein Stück zurück. Isobel erfüllte grenzenlose Erleichterung.

"Was hast du hier zu suchen?", fauchte er.

Das war nicht unbedingt die Begrüßung, die sie erwartet hatte.

"Ich ... ich wollte dir helfen." Sie versuchte in der Dunkelheit ein wenig mehr zu sehen. Vergeblich.

"Ich brauche keine Hilfe. Nicht, wenn es andere in Gefahr bringt."

"Ich habe nur dem Wachposten Wein mit einem Schlaftrunk untergeschoben", sagte sie stolz.

"Und morgen wir er sich ganz genau daran erinnern, dass du ihm den Wein gegeben hast."

"Aber-"

Er ließ sie einfach stehen und lief den Gang entlang. Isobel dachte nicht daran zurück zu bleiben. Sie sah gerade noch, wie der Rabe, dem Mann auf den Kopf schlug.

"Aber-"

Er sah auf. "Das ist eine bessere Erklärung, die dich nicht verdächtig macht. Bleib hier. Du kannst mich warnen, sollte jemand kommen."

Und schon wieder verschwand er. Isobel schaute auf den Wachposten und dann auf den Gang. Dann würde sie eben hier oben Wache stehen.

Es dauerte nicht lange, bis der Rabe wieder erschien. Er trug die Frau in seinen Armen.

"Ich kenne einen Weg aus der Burg", erklärte sie, bevor er sie schon wieder stehen ließ. Er hielt tatsächlich inne.

"Zeig ihn mir."

Sie nickte und eilte los. Seine Schritte hinter ihr waren so lautlos, dass sie fast glaubte, ihn abgehängt zu haben. Doch er folgte ihr wie ein Schatten mit der Frau. Sie führte ihn zu dem Tunnel und öffnete die geheime Tür.

"Der Gang führt zum Ufer den Sees. Geh nach rechts, dann kommst du zum Ufer."

Er nickte. "Danke. Aber... versucht nicht noch einmal mir zu helfen."

"Geh."

Sie verschloss hinter ihm den Gang und lehnte sich an die Wand. Es war geschafft. Und sie war dem Raben begegnet. Sie musste grinsen. Nun musste sie nur noch unbemerkt zurück in ihr Schlafzimmer.

 

 

 

Isobel war sehr zufrieden. Das entging auch Jenna nicht.

"Ihr seid heute aber guter Laune. Hat sich irgendetwas zugetragen?"

"Du bist aber gar nicht neugierig." Wie sollte sie das Dauerlächeln bloß abstellen. "Die Frau ist gerettet und ich habe den Raben getroffen", platzte sie heraus.

Jenna staunte. "Den Raben? Und wie war er?"

Isobel dachte daran, wie er sie überrascht hatte und wie wenig erfreut er über ihre Hilfe war. "Geheimnisvoll und ein bisschen streng. Er wollte nicht, dass ich ihm helfe."

"War er maskiert? Habt Ihr ihn trotzdem erkannt?"

"Warum sollte ich ihn denn erkannt haben?", fragte sie verblüfft. "Er hatte ein dunkles Tuch um sein Gesicht gebunden und es war dunkel."

"Und seine Stimme?"

Sie zuckte mit den Achseln. "Er war eindeutig ein Skott. Und groß. Er hat mich mühelos überwältigt und nachher die Frau getragen." Eigentlich erinnerte er sie sehr an MacKenzie. Aber warum sollte ein Laird sich verkleiden und geheimnisvoll die Leute retten.

Jenna wollte alles von vorne wissen und Isobel erzählte breitwillig.

Als sie das Schlafzimmer verließ hatte sie ihr Gesicht wieder unter Kontrolle. Sie beschloss in das Dorf zu gehen, auch wenn James sicherlich nicht begeistert davon war.

Allerdings stand er auf dem Hof und sprach mit einer Gruppe Männer. Als er sie sah, kam er zu ihr herüber.

"Wo willst du hin?"

"Ins Dorf."

Er runzelte die Stirn. "Dieser Halunke ist immer noch auf freiem Fuß. Es ist zu gefährlich, Isobel."

"Er wird mir bestimmt nichts tun. Ich möchte nur nach den Kranken sehen."

"Es ist doch nicht nötig sie jeden Tag zu besuchen. Sie können her kommen, wenn ihnen etwas fehlt."

Der Fischer konnte nicht herkommen.

"Ich ... ich brauche ein bisschen Bewegung."

"Dann reiten wir aus."

"Warum glaubt Ihr, dass Ihr ein ausreichender Schutz gegen einen Fischer seid."

Er verzog das Gesicht. "Er wird mir bestimmt nichts tun."

"Und mir? Das ist doch Unsinn." Sie stapfte wütend davon.

 

 

James sah Isobel hinterher. Was hatte er denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Mit einem Seufzen wand er sich wieder den Männern zu. Sein Vater hatte ihm aufgetragen die geflohene Frau und den flüchtigen Fischer zu finden. Eine denkbar ungnädige Aufgabe.

"Da steckt der Rabe hinter", behauptete einer der Männer.

"Hat jemand von euch jemals diesen mysteriösen Raben gesehen?", fragte James entnervt. Er konnte schlecht einem Phantom nachjagen.

"Wir nicht, aber Angus. Und Alan."

James kniff die Augen zusammen. "Und ihr glaubt wirklich an diesen Kerl?"

"Aye. Wir kriegen ihn nur nicht zu fassen."

Einer der Männer murmelte etwas. James verstand es nicht und wollte das auch nicht. Sympathisierten diese Männer, die den Clan verteidigen sollten, mit dem gesichtslosen Kerl?

"Schön, wir suchen einen Fischer, nicht den Raben. Durchkämmt noch einmal das Umland. Ich werde mit den Soldaten sprechen."

Die Männer machten sich brummend auf den Weg. Er rief nach seinem Pferd und ritt aus der Burg.

 

In der Garnision wurde er zuvorkommend empfangen, auch wenn es nur ein billiger Abklatsch von Egladischer Gastfreundschaft und Höflichkeit war. Leutnant Benett begrüßte ihn und fragte ihn nach dem Grund seines Besuches, woraufhin er seine Bitte äußerte mit den Soldaten zu sprechen, die in den Vorfall mit den Fischern verwickelt waren.

Die vier wurden zu ihrem Kommandanten gerufen. Dazu kam der Corporal.

James bat die Männer die Geschichte noch einmal zu erzählen.

"Wie wir bereits erklärt haben, haben die beiden Fischer sich geweigert uns ihren Fisch zu verkaufen. Sie kamen gerade von dem See und hatten nen guten Fang gemacht." Der Mann sah zu seinen Kameraden. "Weil sie's uns nicht verkaufen wollten, haben wir sie an die Abmachung erinnert. Da ist der Kerl frech geworden. Jakes Pferd ist gescheut und Toms mit ihm durchgegangen. Ich bin dem einen Kerl hinterher. Jonathan dem anderen. Bei einem Dickicht am Seeufer hab ich den Kerl verloren."

"Wer ist Jonathan?", fragte James und ein anderer trat vor. "Was ist mit dem anderen passiert?"

"Der ist ins Dorf geflohen. Ich hab ihn nur kurz mit dem Schwert erwischt, dann ist er unter die Hufe von meinem Pferd geraten. Weil er tot war, wollte ich den anderen fangen. Aber der war schon verschwunden."

"Und was ist mit dem Fisch passiert?", fragte James.

Die Männer sahen ratlos drein.

"Brauchte die Garnision den Fisch gar nicht?" Er blickte den Leutnant an. "Dann wäre das ja alles nur eine dumme Geschichte. Dieser Fischer traut sich bestimmt nicht mehr hier her und-"

"Diese Kerle haben sich gegen die Obrigkeit aufgelehnt. Das fordert eine Bestrafung", fuhr der Corporal dazwischen und James zuckte zusammen. Er machte ein betretendes Gesicht. So einfach war die Sache wohl doch nicht aus der Welt zu schaffen. Der Corporal trat auf ihn zu. "Euer Laird ist verpflichtet uns diesen Verbrecher auszuliefern. Sagt ihm das. Und sagt ihm-" Er trat noch ein Schritt näher und James wich zurück. "-er soll jemanden fähigen damit beauftragen."

James schluckte. "Aber-"

"Ihr könnt gehen."

"Was fällt Euch ein?", empörte sich der Sohn des Laird und wand sich hilfesuchend an den Leutnant. "Leutnant Benett, Ihr lasst es zu, dass Euer Mann so mit mir redet?"

Der Leutnant verzog verächtlich das Gesicht. "Widmet Euch wieder Euren Büchern und Gedankenschlössern, MacDonald. Auf einem Schlachtfeld habt Ihr nichts zu suchen."

"Aber... das ist doch kein Schlachtfeld. Die Männer waren nur Fischer."

"Hier tobt seid Jahren eine Schlacht, Sir." Er reckte das Kinn. "Und zwar zwischen uns und Euren Leuten, die Ihr offensichtlich nicht unter Kontrolle habt." Er schnaubte. "Ihr hättet in Eurem hübschen Haus im Süden bleiben sollen. Hier sind von Männer von Nöten."

James sah ihn empört an. "Das muss ich mir nicht bieten lassen." Er rauschte hinaus und stieg auf sein Pferd. Ihm klang das Lachen in den Ohren.

 

 

Isobel hatte eigentlich nur nach einem Buch suchen wollen, doch die Bibliothek war bereits besetzt. Der Laird lief wütend auf und ab. Auf einem Stuhl saß James, die Schultern hängend, den Blick auf den Tisch gerichtet.

"Du bist eine einzige Enttäuschung", sagte der Laird und James zuckte zusammen. Isobel verspürte Mitleid. Sie hatte ihm ähnliche Dinge an den Kopf geworfen und bereute es mittlerweile, doch diese Worte von einem Vater zu hören war doppelt so hart. "Ich habe dich nicht hier her geholt, damit du mich lächerlich machst. Herr Gott, ist es denn so schwierig einmal ein Mann zu sein? Du solltest mir diesen verdammten Fischer bringen, nicht die Soldaten erzürnen. Nicht nur das, sie zweifeln an meiner Stärke, weil ich einen Schlappschwanz von Sohn habe!"

Er verpasste James eine Ohrfeige, die auch Isobel zusammen zucken ließ.

"Tu wenigstens so, als hättest du den Mut mir in die Augen zu sehen."

Aber James hob den Kopf nicht. Er schaute stur auf die Tischplatte.

Der Laird stampfte wutschnaubend an Isobel vorbei aus der Bibliothek.

Sie ging zu James herüber, der sich noch immer nicht bewegt hatte. Ein wenig zögernd legte sie ihm eine Hand auf den Schulter.

"James..."

Er sah auf. In seinen grünen Augen glomm ein Funkeln, dass ihr beinahe Angst machte. Sein Gesicht war eine starrte Maske, aber in seinen Augen stand Wut. Das war nicht das, was sie erwartet hatte. Erschrocken trat sie zurück. Doch er sprang auf und hielt sie fest.

"Nicht", stieß er hervor und zog sie an sich. Er presste seine Lippen auf ihre. Isobel war vollkommen überrascht. Er drängte sich an sie. Aber es war nicht unangenehm, oh nein. Willig öffnete sie ihre Lippen und versuchte seinen stürmischen Kuss zu erwidern. Ihr Verstand wurde umnebelt von dem drängenden Verlangen James zu fühlen, ihn ganz für sich zu haben. Seine Hand in ihrem Rücken brannte sich in ihre Haut ein. Seine Lippen, seine Zunge... er spielte mit ihr, forderte- und sie war nur zu bereit zu geben.

Als er sie von sich stieß, war sie vollkommen verwirrt. Sie suchte nach einer Orientierung in einer völlig neuen Welt.

James fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Der Mund, der sie eben noch verzaubert hatte.

"Entschuldige", sagte er rauh.

Sie fand nicht die Worte für eine Erwiderung. Stumm sah sie ihn gehen. Erst dann fand sie langsam ihre Stimme wieder.

"Heilige Mutter Gottes", murmelte sie. Wenn er sie nur öfter küssen würde... Aber offensichtlich hatte es ihm nicht so behagt. Was war in ihn gefahren?

 

 

 

James verfluchte sich selbst. Wie hatte er sich so gehen lassen können?! Sein Vater, sein Vater hatte ihn so weit gebracht. Doch er hätte sich trotzdem unter Kontrolle haben müssen.

Und Isobel. Das Verständnis und Mitgefühl in ihren Augen. Das hatte ihn vergessen lassen.

Er fuhr sich durch das Haar, das sich längst aus dem Band im Nacken gelöst hatte und ihm wirr ins Gesicht hin.

Er sah sich im Raum um. Er brauchte eine Ablenkung. Sonst würde er Isobels weiche Rundungen, ihre köstlichen Lippen und ihren Duft nie verdrängen können. Er streifte den Rock von den Schultern und zog das Hemd über den Kopf.

 

 

 

Isobel brauchte einen freien Kopf. Sie hatte sich ihren Mantel geschnappt und wanderte nun am See entlang. Sie dachte über James nach, der sich sooft wie ein Trottel benahm. Ja, sie war enttäuscht, dass der wilde Jamie von früher verschwunden war, aber sie konnte James nicht hassen. Er hatte seine eigene Liebenswürdigkeit, irgendwie. Immerhin war er tagtäglich dem Spott und den verächtlichen Blicken ausgesetzt, hatte bisher aber nicht aufgegeben. Er hatte sogar ein Schwert in die Hand genommen. Für sie. Er hatte sie vor dem gefährlichen Flüchtigen gerettet. Dass seine Aktionen völlig lächerlich waren, war eine andere Sache.

Isobel merkte, wie sich ihr Herz für ihren Ehemann zu erwärmen began. Es war nicht richtig ihn zu verurteilen, weil er in Egaldia zum Mann geworden war.

Sie war so in Gedanken vertieft gewesen, dass sie gar nicht auf den Weg geachtet hatte. Der Uferpfad war in einen kleinen Wald abgebogen und wurde nun unebener, sodass sie aufpassen musste, wohin sie ihre Füße setzte. Trotzdem rutschte ihr Fuß seitlich weg und sie verlor den Halt. Hilflos kullerte sie einen Hang hinab und landete schließlich recht unsanft, als ein quer liegender Baumstamm sie stoppte. Sie rang nach Atem und versuchte über den Schreck hinweg zu kommen. Als sie sich aufrappelte, durchschoss ein stechender Schmerz ihren rechten Knöchel.

Fluchend setzte sie sich auf den Baumstamm und untersuchte den Knöchel. Er begann bereits anzuschwellen. Frustriert sah sie sich um. Sie befand sich mitten im Wald. Wie lange würde es dauern bis man sie vermisste? Und wie lange würde es dauern, bis man sie hier fand?

Seufzend humpelte sie zu der kleinen Pfütze, in die sie glücklicherweise nicht gefallen war. Sie tauchte einen Streifen Stoff, den sie von ihrem Rock abgerissen hatte, in das Wasser und wickelte ihn zur Kühlung um den Knöchel. Er war bereits so weit angeschwollen, dass er kaum mehr in den Stiefel passte.

Leise fluchend setzte sie sich wieder auf den Baumstamm.

Wie lange sie so dort gesessen hatte, wusste sie nicht. Aber als ein neues Geräusch die des Waldes durchbrach, schöpfte sie neue Hoffnung. Sie stand auf und lauschte. Zwischen den Bäumen erschien ein Reiter. Er ritt nicht oben auf dem Pfad, sondern unten. Als er sie entdeckte, lenkte er sein Pferd zu ihr.

Jetzt, am hellen Tag, hatte sie die Möglichkeit den Raben genauer zu betrachten. Er trug die übliche Skott-Kleidung, allerdings in dunklen Farben. Sein Kilt zeigte kaum ein Muster und sein Hemd war ganz schwarz. Über die Brust hatte er ein Plaid geschlungen, dass mit einer mattsilbernen Brosche in Form eines Raben befestigt war. Seine Kopfbedeckung war eine Mischung aus Kapuze und Schal. Ein feiners Tuch lag auf der unteren Hälfte seines Gesichts und seiner Sitrn.

Isobels Blick glitt zu dem Schwert, das er an seiner Seite trug. Er saß auf seinem schwarzen Pferd, als sei der mit dem Tier verwachsen. Unwillkürlich musste sie an James unbeholfene Haltung denken.

Er neigte höflich den Kopf.

"Konntest du dem Fischer helfen?", fragte sie ein wenig außer Atem.

Er nickte. "Sein Weib und sein Bruder sind bei ihm. Die Soldaten werden ihn nicht finden."

"Gott sei dank!", stieß sie erleichtert hervor. Dann wurde ihr wieder ihre eigene missliche Lage bewusst. "Ähm... könntest du jemandem sagen, dass ich ..." Sie blickte auf ihren Fuß. "Ich fürchte ich habe mir den Knöchel verstaucht und komme hier nicht weg."

Unvermittelt sprang er aus dem Sattel. Als er vor ihr stand, bemerkte sie, wie groß er war. Doch sie verspürte keine Angst. Der Rabe kämpfte für die Skott.

"Ich bringe dich zurück." Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sie hochgehoben und trug sie zu seinem Pferd.

"Du kannst nicht in die Burg reiten", rief sie entsetzt und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

Er lachte leise und hielt sie ungerührt fest. "Nicht bis in die Burg, aber ich werde dich schon nach Hause bringen."

Ihr gefiel zwar nicht, dass er sich ihretwegen in Gefahr brachte, doch sie vertraute ihm auch. Tatsächlich gefiel es ihr sehr gut von starken Armen getragen zu werden, zu gut. Hatte sie sich nicht gerade erst mit James abgefunden? Sie rief sich seinen Kuss in Erinnerung. Sofort wurde ihr heiß, aber das lenkte sie nich unbedingt von der breiten Brust in ihrem Rücken ab.

Er hatte sie in den Sattel gesetzt und sich hinter sich geschwungen.

"Was hast du hier draußen gemacht, Isobel?", fragte er, nachdem er das Pferd wieder auf den Pfad gelenkt hatte.

"Ich musste nachdenken", murmelte sie.

"Und?"

"Was und?", fragte sie verwirrt.

"Zu welchem Schluss bist du gekommen?"

Sie seufzte. Unmöglich konnte sie sich einem Fremden, der sein Gesicht verbarg, anvertrauen.

"Manchmal hilft es mit jemandem zu sprechen", ermutigte er sie.

"Du bist ziemlich neugierig", bemerkte sie. "Beantwortest du mir eine Frage, wenn ich es dir erzähle?"

"Das kann ich nicht versprechen."

Das hatte sie schon befürchtet. "Und wenn ich zuerst meine Frage stelle? Dann kannst du entscheiden, ob du sie beantwortest."

"Sehr geschickt", sagte er anerkennend. "Was willst du mich fragen?"

"Warum versteckst du dein Gesicht?", platze sie hervor.

Er ließ sich so lange Zeit mit der Antwort, dass sie schon glaubte, sie würde gar keine bekommen.

"Es ist besser, wenn die Leute in mir nicht einen bestimmten Menschen sehen, sondern eine Figur, die ihnen hilft, die ihnen wieder Hoffnung gibt. Und die Soldaten suchen nach etwas, dass nur existiert, wenn ich diese Kleidung trage."

"Also hast du auch noch ein anderes Leben?"

"Eine Frage, Herrin", erinnerte er sie. "Und jetzt bist du dran. Worüber hast du nachgedacht?"

"Über meinen Mann", gestand sie und musste grinsen, "ihn würde der Schlag treffen, wenn er mich hier so sehen würde."

"Ich bin nur ein edler Ritter, der einer Dame in Not beisteht."

Sie musste lachen. "Vor James musst du wahrscheinlich auch keine Angst haben. Aber ich habe nicht vor ihm einen Grund zu geben. Er kann nichts dafür, dass er so ist... vielleicht lernt er ja noch ein Schwert am richtigen Ende zu halten."

Der Rabe schwieg bis er schließlich das Pferd zügelte. "Weiter kann ich dich nicht bringen. Aber ich werde jemandem Bescheid geben." Er schwang sich aus dem Sattel und half ihr ohne sichtbare Anstrengungen herunter. Wieder trug er sie ein Stück und setzte sie auf einem Fels ab. "Hab ein bisschen Geduld."

Er drehte sich schon um und stieg auf sein Pferd.

"Danke!", rief sie ihm hinterher, bevor er auch schon verschwunden war.

Sie sah sich um und stellte fest, dass sie noch immer im Wald war, zwischen einigen Zweigen aber helles Licht durchschien. Mehrere Felsen schauten aus dem Waldboden hervor. Auf einem hatte der Rabe sie abgesetzt. Sie betete, dass ihm nichts geschah, während er Hilfe holte.

 

"Isobel?"

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet James sie retten würde. Sie sprang auf die Füße und winkte mit beiden Armen.

"Ich bin hier!"

Vorsichtig lenkte er sein Pferd zu ihr herüber. Ihres führte er am Zügel.

"Gott sei dank." Er kam vorsichtig zu ihr herüber. "Wie geht es dir?" Sein besorgter Blick glitt über sie.

"Mein Knöchel ist verstaucht."

"Meinst du, du kannst reiten?"

"Vielleicht müsst Ihr das Pferd am Zügel führen." Sie fragte sich, wie es wäre vor James im Sattel zu sitzen. Wahrscheinlich fürchterlich unbequem.

Sie humpelte zu den Pferden. James stützte sie, doch auf das Pferde musste er sie heben. Sie rutschte im Sattel herum bis sie einen guten Sitz hatte und sah zu James, der nun auch wieder im Sattel saß.

"Dir hätte schlimmeres zustoßen können als ein verstauchter Knöchel", sagte er vorwurfsvoll und nahm die Zügel ihres Pferdes. "Dieser Gesetzlose ist immer noch auf freiem Fuß."

"James, der ist längst über alle Berge. Es hält ihn doch nichts mehr hier."

Er sah sie stirnrunzelnd an und nagte auf seiner Unterlippe herum. Dann hellte sich sein Blick auf. "Dann kann mein Vater gar nicht mehr erwarten, dass ich ihn finde."

Isobel schüttelte stumm den Kopf.

 

 

 

Viertes Kapitel

 

Der verstauchte Knöchel hielt Isobel in der Burg gefangen. Zwar bekam sie Besuch, doch sie fühlte sich furchtbar eingeengt. Mit James hatte sie eine stille Vereinbarung getroffen. Sie lebten neben einander her. Abends aßen sie zusammen und wechselten ein paar höfliche Worte, den restlichen Tag gingen sie sich aus den Weg. James kam spät ins Bett und verließ es früh.
Es machte sie wütend und traurig zugleich, dass er sie so ignorierte. Doch sie wusste nicht, was sie dagegen machen sollte.

Es war ein schöner Sommertag, als Isobel beschloss, dass sie sich lange genug geschon hatte. Sie packte etwas Gebäck für die Kinder und eine Handarbeit in ihren Korb und machte sich auf den Weg zum Dorf. Auf halbem Weg kamen ihr Soldaten entgegen. Sie hatten grimmige Mienen aufgesetzt und ritten schnell. Dennoch hielten sie an.
"Wo ist er?", herrschte der eine von ihnen an.
"Wo ist wer?", fragte sie scharf und sah ihn unwirsch an.
"Ihr seid die Herrin, nicht wahr?", fragte ein anderer unangenehm berührt.
"Allerdings."
"Bitte entschuldigt das rüde Verhalten meines Kameraden, Lady." Er deutete eine Verneigung an. "Aber wir sind diesem Schurken auf den Fersen. Man nennt ihn den Raben. Habt Ihr ihn gesehen?"
"Habe ich nicht." Und selbst wenn, dachte sie. Ganz gewiss würde sie ihn nicht verraten.
Der erste Soldat fluchte, was dem anderen die Schamesröte ins Gesicht steigen ließ. Bevor er sich jedoch entschuldigen konnte, musste er sich beeilen seinen Kameraden zu folgen.
Ein wenig besorgt sah Isobel ihnen hinter her.

Als sie wenig später Ionas Haus erreichte, wurde sie erleichtert herein gezogen.
"Gott sei dank, dass Ihr hier seid, Herrin."
"Was ist denn los?", fragte Isobel argwöhnisch.
"Ihr müsst nach einer Verletzung sehen." Iona gab den Blick auf einen Mann frei. Er saß mit dem Rücken zu ihr, doch sie erkannte den Raben sofort.
Als sie zu ihm trat, erkannte sie, dass der Ärmel seines linken Armes auf geschlitzt war. Er presste die Hand auf eine lange Wunde am Oberarm. Sie kniete sich neben ihn und nahm seine Hand fort. Kurz trafen sich ihre Blicke. Isobel began sogleich Anweisungen zu geben und sie Wunde zu versorgen. Es war ein Schnitt, jedoch nicht sonderlich tief. Trotzdem musst sie ihn nähen. Bevor sie die Nadel ansetzte, sah sie zu ihm auf.
"Es wird weh tun", warnte sie.
Er nickte nur.
Sie holte kurz Luft und begann den Faden durch die Haut zu ziehen. Während sie arbeitete, gab er keinen Laut von sich. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, doch er hielt still.
Zufrieden betrachtete sie die Naht. Dann trug sie eine Salbe, die sie bei Iona gelassen hatte, darauf und wickelte einen frischen Verband um den Arm.
"Du musst den Arm schonen", erklärte sie streng. "Und der Verband muss gewechselt werden."
Er stand auf. "Das ist nicht meine erste oder schwerste Verletzung, Herrin."
"Wo willst du hin?", fragte sie.
"Weg. Bevor die Soldaten hier auftauchen. Ich will niemanden in Schwierigkeiten bringen." Er sah zu Iona.
"Die Soldaten sind in Richtung Burg geritten. Du musst dich ausruhen."
"Aber nicht hier." Bevor sie etwas erwidern konnte, war er verschwunden.
Frustriert warf sie die Hände in die Höhe.
"Es ist besser so", sagte Iona.
Isobel seufzte, denn sie wusste, dass sie recht hatte.
"Ich war sehr überrascht, als er plötzlich in meiner Hütte stand", gestand Iona, "plötzlich war er da und verwundet. Er ist wirklich beeindruckend."
"Weißt du, wie er verwundet worden ist?"
"Nein. Er sagte nur, er bräuchte einen Verband. Ich war ja so froh, dass Ihr kamt. Wie geht es Euch?"
"Ich bin in der Burg fast verrückt geworden."
Es war eine angenehme Abwechslung mit Iona zu plaudern. Sie gingen mit Blair zu ihrem Lieblingsplatz am Seeufer und plauderten, während sie ihre Finger mit Handarbeiten beschäftigten.
"Was bestickt Ihr da?", fragte Blair. "Das sieht wunderschön aus."
"Oh, es soll ein Geschenk für James sein. Vielleicht zieht er es ja einmal an." Es war ein Hemd im Stil der Skott, etwas das ihr Ehemann nicht trug.
"Ich solltet Ihm auch einen Kilt schenken", schlug Iona vor.
"Darüber habe ich schon nachgedacht", gestand Isobel, "wo bekomme ich so etwas her?"

 

An diesem Abend saß sie mit James alleine an dem Tisch in der Halle.
"Wo ist der Laird?", fragte sie verwundert.
"Er ist für ein paar Tage fort." James stocherte in seinem Essen herum. Er schien keinen Appetit zu haben.
"Was ist los?", fragte sie.
"Was soll los sein?" Er hob seinen Becher zum Mund.
"Ihr esst nichts. Verratet Ihr mir, was Euch beschäftigt?"
Er musterte sie. "Wieso redest du mich so förmlich an? Ich bin dein Mann, kein Fremder."
Er war ein Fremder. "Ich weiß kaum etwas über Euch."
"Dich."
Er starrte sie finster an. Sie starrte zurück.
Er brach den Blickkontakt, als er wieder zu seinem Becher griff.
Isobel seufzte lautlos. Nun war ihr auch der Appetit vergangen. Warum musste es immer so kompliziert mit ihm sein?
"Ich war heute wieder im Dorf", bemerkte sie.
Er warf ihr nur einen kurzen Blick zu und winkte einer Magd ihm nach zuschenken.
"Auf dem Weg dahin sind mir Soldaten begegnet. Sie waren wohl dem Raben auf den Fersen."
Er zuckte nur mit den Schultern und leerte seinen Becher in einem Zug.
So langsam wurde sie wütend. Sie schickte die Magd mit dem Weinkrug fort.
"Was ist los, dass Ihr Euch betrinken müsst?", fragte sie scharf.
Er schüttelte unwillig den Kopf und stand auf.
Wütend schaute sie ihm hinterher. Mochte jemand diesen Mann verstehen!


James war fort. Sie hatte es von Jenna erfahren müssen. Die wusste nur, dass er fort geritten war. Wohin und wie lange, hatte er nicht gesagt. Aber wenn er nur den Tag über fort war, hätte er ihrer Zofe nicht Bescheid gegeben. Es musste mit dem zusammenhängen, das ihn am vorherigen Abend beschäftigt hatte.
Sie machte sich Sorgen, besonders als sie erfuhr, dass James alleine fort geritten war. Nicht jeder in den Tälern würde sich durch seine feinen Kleider beeindrucken lassen.
Sie überlegte, den Raben auf ihren Mann anzusetzten. Doch der hatte sicherlich wichtigeres zu tun.
"Vielleicht kommt er ja als richtigen Mann zurück", brummte sie und ordnete zum wiederholten Male ihre Kräuter auf dem Tisch.
Das beunruhigende Gefühl blieb.

 

"James!" Ihm blieb gerade Zeit aus dem Sattel zu steigen, bevor Isobel sich ihm um den Hals warf. Völlig überrumpelt, aber erfreut, schloss er sie vorsichtig in seine Arme.
"Hast du mich vermisst?", fragte er leise.
"Aye, du Dummkopf." Sie machte sich von ihm los. "Warum hast du nichts gesagt? Ich bin fast wahnsinnig geworden vor Sorge."
Ihr Sorge schmeichelte ihm. "Ich bin in einem Stück zurück gekommen." Er breitete demonstrativ die Arme aus.
Sie lächelte mit Tränen in der Augen. Seine bezaubernde Frau war ja vollkommen aufgelöst. Er trat zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
"Ich könnte ein Bad und etwas gutes zu Essen gebrauchen", bemerkte er, "das Reiten hat mich vollkommen ausgelaugt."
Sie verdrehte die Augen und wieß einen Knecht an, sich um sein Pferd zu kümern. Dann gab sie gleich weitere Anweisungen. Zufrieden trottete er in die Burg. Es war doch sehr schön, wenn Zuhause eine Frau auf ihn wartet.

Nach dem Bad, eingekleidet in frische Kleidung, fühlte er sich schon wieder viel besser. Isobel kam mit einer Platte herein, auf die sie Braten und Brot gestapelt hatte.
Er fiel darüber her, als habe er Tagelang nichts mehr gegessen.
"Verzeihung." Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab. "Ich habe wohl meine Manieren vergessen."
Sie lachte. "Die meisten Männer hier haben weit weniger Hemmungen."
"Stimmt. Aber das heißt nicht, dass ich sie zum Vorbild nehmen muss." Er setzte sich gerade hin und spießte ein Stück Fleisch mit dem Messer auf.
Isobel beobachtete ihn aufmerksam.
"Möchtest du auch etwas?"
"Nay, ich will dir nichts weg nehmen." Sie schüttelte den Kopf.
Er sah sie an und kaute gemächlich. "Entschuldige. Ich war unausstehlich."
Sie runzelte die Stirn, dann verstand sie, wovon er sprach. "Du hast dich betrunken und bist am nächsten Morgen einfach verschwunden. Du warst fast vier Tage fort."
"Ist mein Vater zurück?", fragte er, statt eine Antwort zu geben.
"Nay. Erzählst du mir jetzt, was passiert ist?"
Er zögerte. Er konnte ihr nicht alles erzählen. Aber ihren enttäuschten Blick konnte er auch nicht ertragen. "Es ist kompliziert."
"Glaubst du, ich würde es nicht verstehen?"
Er schüttelte den Kopf. "Ich habe mich mit jemandem von früher getroffen."
Sie hob fragend die Brauen und sah ihn fordernd an. Himmel, diese Frau machte ihn verrückt. Er wollte ihr alles sagen, alles beichten; hier auf der Stelle. Aber er durfte nicht.
"Einen Freund aus Egladia", fügte er hinzu.
"Warum ist er nicht her gekommen?"
Er warf ihr einen Blick zu. "Mein Vater tut zwar gerne so, als wäre dies hier Egladia, aber die Realtität ist das bestimmt nicht." Diese Burg würde immer Skottia bleiben und die Bewohner des Tals waren viel zu verbohrt.
"Du vermisst Egladia", sagte sie sanft. Er hatte Enttäuschung erwartet, doch da war nur Mitgefühl.
"Ich habe dort einige Jahre verbracht."
"Die entscheidenden. Willst du... willst du darüber reden?"
Er schüttelte den Kopf.
"Es muss schwierig sein, wieder hier zu sein."
Schwieriger und komplizierter als sie sich vorstellen konnte. Die alte Wut stieg in ihm hoch. Er musste den Blick senken um sich nicht zu verraten.
"War dein Treffen denn erfolgreich?", fragte sie nach einem Moment.
"Ja, ich denke schon."
Schweigend aß er weiter und versuchte seine Beherrschung wieder zu finden. Daran hing alles.


Sie hatten den Abend zusammen verbracht. Dabei hatten sie nicht viel geredet. Trotzdem fühlte er sich entspannt und zufrieden. Er hatte Isobel mehr vermisst, als er es für möglich gehalten hatte. Wenn er daran dachte sie zu verlieren...
Wie immer gab er ihr Zeit sich auszuziehen und ins Bett zu gehen. Nachdenklich entkleidete er sich ebenfalls und schlüpfte unter die Decke. Er starrte in die Dunkelheit und dachte über seine Pläne nach. Hatte er damals die richtige Entscheidung getroffen?
"James?", riss sie ihn aus den Gedanken.
"Hm?", brummte er und drehte den Kopf.
"Würdest du... würdest du mich halten?", fragte sie zaghaft.
Sofort rauschte das Blut in seinen Adern. Es fiel ihm wirklich schwer sich von ihr fern zu halten. Aber bisher hatte sie ihn nie gebeten ihr näher zu kommen. Er wusste nicht, ob er noch lange standhaft bleiben konnte. Doch er konnte ihre Bitte nicht abschlagen. Sie klang so unsicher und verloren.
"Komm her", forderte er sie auf und rutschte ein Stück weiter in das Bett. Isobel kam ihm entgegen und schmiegte sich an ihn. Er schloss sie in seine Arme und lächelte im Dunkeln.

 

Als Isobel am nächsten Morgen erwachte, war James verschwunden. Aber eigentlich hatte sie nicht damit gerechnet ihn noch im Bett vorzu finden. Sie hatte nicht für möglich gehalten, dass sie so froh war ihn heil wieder zu sehen. Sie hatte selbst ihre oberflächlichen Gespräche vermisst.
Zufrieden streckte sie sich und krabbelte aus dem Bett. Wenig später ging sie durch das Burgtor und schlug den Weg zum See ein. Am Ufer hatte sie dort einige Pflanzen gesehen, die sie sammeln wollte.
Der See war heute ruhig und schimmerte fahl blau. Sie blickte versonnen auf die weite, glatte Fläche hinaus.
"Willst du dir wieder den Knöchel verstauchen?"
Sie fuhr herum und entdeckte den Raben, der ein Stück entfernt zwischen mehrern Felsblöcken stand.
"Wie geht es deinem Arm?", fragte sie und kam zu ihm herüber.
"Gut, denke ich."
"Ich sollte ihn mir vielleicht noch einmal ansehen", sagte sie stirnrunzelnd. "Außerdem müssen die Fäden gezogen werden."
Er zuckte mit den Schulten.
Sie kletterte über die Steine zu ihm und schob energisch den Ärmel hoch. Er trug einen Verband aus gutem Leinen. Sie wickelte ihn ab und begutachtete die Verletzung.
"Und?", fragte er und klang amüsiert.
"Es sieht gut aus. Obwohl ich bezweifle, dass du den Arm wirklich geschont hast."
Sie sah ihn scharf an. Zu schade, dass sie nicht sein ganzes Gesicht sehen konnte.
"So weit ich konnte. Wegen einem kleinen Schnitt kann ich nicht mit dem aufhören, was ich tue."
"So ein kleiner Schnitt kann ziemlich gefährlich werden", klärte sie ihn auf. "Was machst du überhaupt hier? Gibt es nicht etwas zu tun für den Raben?"
"Vielleicht wache ich über die Herrin des MacDonald-Clans."
"Ich brauche niemanden, der über mich wacht", erwiderte sie. "Und du solltest deine Energie nicht auf mich verschwenden."
Er zog seinen Ärmel wieder herunter und hielt dann inne.
"Was ist los?"
"Ich muss gehen."
Bevor sie etwas sagen konnte, war er verschwunden. Sie konnte ihn nirgends mehr entdecken. Stattdessen sah sie einen Mann auf sie zukommen.
Er lief zu ihr und hielt nach Atem ringend an. Isobel erkannt in ihm einen der Clansmen, die die Burg bewachten.
"Herrin, Ihr müsst zurück in die Burg", stieß er hervor.
"Was ist den geschehen?", fragte Isobel alarmiert und marschierte schon los, nicht ohne den Korb mit ihren Kräutern aufzusammeln.
"Der Laird", schnaufte der Mann, "er ist tot."
Sie blieb stehen. "Tot?", wiederholte sie.
"Aye", krächzte der Bote.
James, war ihr erster Gedanke. Sie hatte keine besonders enge Beziehung zu dem Laird gehabt oder ihn sonderlich sympathisch gefunden, aber James. Er hatte seinen Vater verloren. Und- James würde nun Laird sein. Das war eine Katastrophe. Vermutlich wusste bereits ganz Skottia von seinem Unvermögen und würde sich auf ihn stürzen. Isobel wollte gar nicht weiter darüber nachdenken. Sie hob ihre Röcke und eilte zurück zur Burg, gefolgt von den keuchenden Boten.

Auf dem Burghof hatten sich die Leute um mehrere Pferde gescharrt. Isobel entdeckte dort einen Krieger, der den Laird begleitet hatte. Er hatte eine blutige Schramme an der Stirn und ein zerfetztes Hemd.
Sie schob sich durch die Leute, die ihr anstandslos Platz machten.
Die beiden Pferde waren erschöpft und dreckig. Vor ihren Hufen lag eine Gestalt. Sie war unverkennbar tot. Blut war auf Kleidung und Haar des Lairds der MacDonalds eingetrocknet. Dazu kam eine Menge Dreck, als sei der gleich in eine Schlammpfütze gefallen.
Isobel schluckte. Als sie den Blick hob, sah sie James, der auf sie zu kam. Er starrte mit undurchdringlicher Miene auf den Toten. Die Leute hielten die Luft an. Beäugten ihn und den Leichnam abwartend.
James regte sich nicht. Seine Augen waren auf seinen Vater gerichtet, doch Isobel konnte kein Gefühl in seiner Miene ausmachen. Auch sie wartete gebannt darauf, dass er irgendetwas tat. Es dauerte gefühlte Ewigkeiten, bis er mit emotionsloser Stimme befahl, den Toten herzurichten und die Bestatung vorzubereiten. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging. Es blieb Isobel überlassen dafür zu sorgen, dass seine Befehle ausgeführt wurden. Somit konnte sie erst später nach ihm suchen und fand ihn in der Bibliothek. Er hatte eine Flasche Whiskey in der Hand und starrte aus dem Fenster.
Sie trat leise zu ihm.
"Es tut mir so Leid, James", flüsterte sie und wünschte sie könnte ihm irgendwie helfen.
Er zeigte keine Reaktion und Isobel suchte bereits nach neuen Worten, als er sich doch umdrehte. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. James Gesicht war noch immer bar jeder Emotion, doch in seinen Augen Flackerte Zorn.
"Ich werde den Mörder finden", zischte er.
Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass James etwas unternehmen würde. Sie hatte ihn nur in Gefahr gesehen. Aber es war vollkommen logisch, dass er seinen Vater rächen wollte.
"James, sag mir, wie ich helfen kann", bat sie leise.
Sein Blick glitt unstetig über sie, versuchte sie zu fokussieren. Wie viel hatte er schon getrunken?


James musste irgendetwas tun, eine Reaktion zeigen. Ehrlich trauern konnte er nicht. Die perverse Genugtung, die er empfand durfte er nicht zeigen.
Nein, er würde sich betrinken und seinen Vater rächen. Bald war das Spiel gespielt. Es wurde auch Zeit. Isobels mitfühlender Blick machte ihn wahnsinnig.
"Geh! Geh und lass mich in Ruhe", stieß er hervor und wand sich ab. Er konnte ihre leisen Schritte hören und das Klacken der Tür. Er starrte auf die Flasche in seiner Hand. Vielleicht sollte er sich wirklich betrinken. Dann konnte er endlich einmal vergessen.
Der Gedanke war verlockend, aber er konnte es sich nicht leisten. Nicht jetzt.

Fünftes Kapitle

 

Als der zurückgekommene Krieger soweit erholt war, dass er nicht im stehen  umfiel, berichtete er was geschehen war. James weigerte sich den Platz seines Vaters einzunehmen und stand stattdessen vor dem Thronartigen Stuhl. Isobel stand ebenfalls in der Halle und lauschte dem Bericht.
Sie waren bereits wieder auf dem Rückweg gewesen, als sie auf eigenem Grund und Boden von einem Trupp Reiter angegriffen wurden.
"Es waren MacKenzies. Ihr Anführer hatte sein Gesicht verborgen, aber ein paar von ihnen trugen das Zeichen der MacKenzies. Sie sind über uns hergefallen. John und Ian waren sofort tot." Der Mann schauderte und die Zuschauer taten es ihm gleich. James Miene war jedoch immer noch seltsam versteinert. Der Tod seines Vaters musste ihn wirklich schwer getroffen haben.
Der Mann berichtete, wie er versucht hatte den Laird zu schützen und wie dieser sich den feindlichen Kriegern entgegen gestellt hatte.
Als er geendet hatte, wurden Rufe laut, die MacKenzies müssten bestraft werden.
Isobel sah gebannt zu ihrem Mann und wartete darauf, dass er etwas sagte. Doch er ging wortlos.
Obwohl es niemand laut sagte, zweifelte sein Clan an ihm. Isobel sah es in ihren Gesichtern. Ein Clanführer musste eine starke Persönlichkeit sein- und das war James nicht. Die Leute gehorchten ihm aus Respekt, weil er der Sohn des Lairds war, nicht um seiner selbst willen.
Besorgt beschloss sie noch einmal in die kleine Kapelle zu gehen, wo der Tote aufgebahrt war. Die Bestattung würde erst in drei Tagen stattfinden um dem Laird der Campells die Möglichkeit zu geben her zu kommen. Isobel sah dem Wiedersehen mit ihrem Vater mit gemischten Gefühlen entgegen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob sie um ihn trauern konnte, wenn er starb. Dabei kam sie sich fürchterlich kaltherzig vor. Er war ihr Vater. Es wäre ihre Pflicht um ihn zu trauern. Auch wenn er praktisch ein Fremder für sie war.
Sie ließ ihren Blick über den Leichnam wandern. Er war gewaschen worden und in saubere Kleidung gesteckt worden. Den Schnitt, der quer über seine Brust lief, hatte jemand zugenäht. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckte sie noch eine andere Stelle, eine kleine Wunde. Sie zögerte, dann fasste sie sich ein Herz und drehte den Leichnam ein Stück um. Er war steif unter ihrem Fingern und überhaupt nicht mehr menschlich. Sie unterdrückte ein Schaudern. Schnell ließ sie den Körper wieder zurück rollen. Sie musst zu James.


Ihr Mann stand im Arbeitszimmer seines Vaters und wirkte vollkommen verloren. Sie schloss die Tür hinter sich. Unwillig sah er ihr entgegen.
"Was ist?"
Ihr Blick flog zu der Whiskeyflasche.
"Dein Vater wurde hinterrücks erstochen. Das war kein fairer Kampf." Gespannt beobachtete sie seine Reaktion.
Er nickte langsam und führ sich mit der Hand durch das Gesicht.
"Mein Vater wartet schon seit einer Ewigkeit darauf einen Grund zu finden um den MacKenzies den Krieg zu erklären."
"Worauf willst du hinaus?" Er klang müde und abgespannt.
"Vielleicht waren es gar keine MacKenzies."
Er schaute sie nachdenklich an. "Wer dann?"
"Das weiß ich nicht. Aber du musst vorsichtig sein. Ich will nicht, dass du jemanden zu Unrecht beschuldigst."
Er schnaubte. "Die MacKenzies wurden zweifelsfrei indentifiziert."
"An ihrem Abzeichen. Das kann sich jeder anstecken."
"Du willst damit sagen, dass sich ein paar Schurken einen Spaß erlaubt haben?"
Sie schüttelte den Kopf. "Einen Spaß nicht. Aber sie wollen, dass die MacKenzies als die Schuldigen da stehen."
"Das sind wilde Theorien, Isobel."
"Dann sag mir, was du vorhast."
Er griff nach der Flasche und nahm einen Schluck.
"Außer dich zu betrinken."
Er schnaufte. "Sag mir, was ich machen soll."
"Du musst mit den Leuten reden. Sie glauben nicht, dass du der Aufgabe gewachsen bist, aber noch haben sie Respekt vor dir, weil du der rechtmäßige Erbe bist. Du musst sie überzeugen, dass du einen starken und fähigen Laird abgibst. Wenn mein Vater kommt, musst du ihm ebenbürtig gegenüber treten. Alle Lairds müssen erfahren, dass sie mit dir rechnen müssen. Sonst werden sie sich wie Krähen auf den Clan stürzen."
Er saß mit hängenden Schultern auf der Tischkante. Sein Blick war auf den Boden gerichtet.
"Wie kommst du auf die Idee, dass ich das kann?", fragte er leise.
"Weil du ein MacDonald bist. Du bist ein Sohn dieses Clans." Sie trat zu ihm und legte die Hände an seine Wangen. "James, versuch dich an das zu erinnern, was du einmal warst. Es ist noch in dir. Zusammen mit dem, was du ihn Egladia gelernt hast, gibt das einen wundervollen Laird ab."
Sein Blick brannte sich förmlich in sie.
"Isobel", murmelte er.
Sie zog ihn an sich. "Ich bin bei dir."
Er vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter wie ein schutzbedürftiges Kind. Sie streichelte seinen Rücken und die Schultern.
"Und du musst den Laird der MacKenzies einladen."
Sein Kopf ruckte hoch und schlug gegen ihr Kinn.
"Was?" Er hielt sich den Kopf, wobei die fürchterliche Perücke den Zusammenstoß sehr gedämpft hatte.
"Du musst versuchen diese Sache ohne Blutvergießen zu regeln, James. Wer auch immer deinen Vater ermordet hat, ich glaube nicht, dass es MacKenzie war. Das ist nicht seine Art."
"Was weißt du denn von MacKenzie? Kennst du ihn?", fragte er finster.
"Nay. Ich habe ihn nur auf unserer Hochzeit gesehen. Aber er war durch und durch ein Ehrenmann." James Blick war immer noch finster. "Und jemand, den man nicht zum Feind haben will."
"Weißt du, worum du mich da bittest? Du verrätst deinen Vater." Er sagte das ohne jeden Vorwurf.
"Vielleicht die Politik meines Vaters. Und das bereitet mir kein schlechtes Gewissen. Ich war für ihn auch nur ein Instrument um seine politischen Ziele voran zu treiben."
"Aber ich bin froh darüber", sagte er mit einem plötzlichen Lächeln, "denn sonst hätte ich keine so kluge Ehefrau."
Verdutzt sah sie ihn an.
"Es gefällt mir, wenn du versuchst mir zu sagen, was ich zu tun habe."
Sie versuchte zu verstehen. James hatte ihr gerade ein paar sehr nette Komplimente gemacht, aber gleichzeitig wollte er ihr noch etwas anderes sagen.
"Du hast längst einen Plan."
"Keinen so guten wie du."
Er zog sie an sich. Doch diesmal vergrub er sein Gesicht nicht an ihrer Schulter, sondern küsste sie.
Wenn es ums küssen ging, wurde ihr Mann wirklich leidenschaftlich. Aber sie wollte sich auf keinen Fall beschweren. Vielmehr gab sie sich ihm voll und ganz hin.
Als er sich von ihr löste, hätte sie sich am liebsten wieder an ihn geklammert und um mehr gebettelt. Doch sie hielt sich zurück.
"Danke, Isobel", murmelte er und drückte ihr zum Abschied einen Kuss auf die Nase.
Isobel sah ihm mit einem Lächeln nach. Es fühlte sich gut an ein Ehepaar zu sein. Zufrieden bemerkte sie, dass er seine Flasche vergessen hatte. Um ihre zittrigen Hände zu beruhigen nahm  sie ihrerseits nun einen Schluck, der ihr die Kehle verbrannte.


Der Laird der Campells erreichte die Burg am Vorabend der Bestattung. Er kam mit einem kleinen Gefolge auf den Hof, als Isobel gerade aus der Küche trat, wo sie die Vorbereitungen für den Leichenschmaus überwacht hatte.
Nervös strich sie ihre Röcke glatt und strich ein paar Haarsträhnen zurück, als sie zu ihrem Vater hinüber ging. Mehrere Knechte hatten sich bereits um die Pferde geschaart.
Isobel hieß ihren Vater höflich auf der Burg willkommen. Er nickte ihr nur zu. Insgeheim hatte sie ein paar freundliche Worte erwartet, doch scheinbar war sie nicht mehr von Interesse.
Sie führte ihn in das Kaminzimmer und rief nach Wein.
"James ist noch beschäftigt, aber ich sage ihm Bescheid, dass du hier bist."
Ihr Vater ließ sich auf einen gepolsterten Stuhl fallen und streckte die Beine aus. Sein Blick glitt taxierend über sie.
"Du scheinst hier alles unter Kontrolle zu haben. Daheim fehlt uns eine Frau, die für Ordnung  sorgt."
Isobel wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wollte nur weg von ihm. "Ich hole James."


James musste den Abend mit dem Laird der Campells verbringen. Er war heilfroh, als dieser sich endlich entschuldigte und zurück zog. Nachdenklich starrte er ins Feuer und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Sie hatten über Politik gesprochen.  Campell erinnerte ihn an den Pakt, der er mit seinem Vater geschlossen hatte. Er war nur hergekommen um sich  zu vergewissern, dass er bestehen blieb. Dass sein alter Verbündeter tot war, schien ihn nicht im mindesten zu berühren. Es war ein widriger Umstand. Vermutlich glaubte er in James einen Laird, der sofort auf seine Forderungen eingehen würde. Doch James hatte nur wage geantwortet und keine Zusicherung gegeben. Sein Plan war ein ganz anderer.

Isobel kuschelte sich an ihn, als er ins Bett kam und er schloss sie in seine Arme. Seine mutige und starke Isobel. Womit hatte er so jemanden verdient?
Er wollte nicht darüber nachdenken. Er brauchte den Schlaf, wenn morgen alles so laufen sollte wie geplant. Bei ihr fiel es ihm leicht die Gedanken abzuschalten. Die Welt um sie herum verschwamm und es gab nur noch die Frau in seinen Armen.


Da sie noch einiges organisieren musste und es viel zu tun gab, wachte Isobel an diesem Morgen früh auf. Ein schwerer Arm lag über ihr. Den anderen hatte sie als Kopfkissen benutzt. Vorsichtig entwand sie sich seinen Armen. Er gab ein unwilliges Brummen von sich. Spontan hauchte sie ihm einen Kuss auf die Stirn. Im Dämmerlich konnte sie nur schemenhaft seinen Körper erkennen, doch er wirkte furchtbar groß und stark. Zu ihrer Überraschung breitet sich sein Haar in einer Wolke auf den Laken aus. Eglada, die sich eine Perücke leisten konnten, schnitten ihr Haar in der Regel kurz. Vielleicht war ja doch noch ein wenig Skott in James.
Sie zog sich leise an und huschte aus dem Zimmer.
Die nächsten Stunden steckte sie Hals über Kopf in Arbeit. Als sie endlich zufrieden war, fand sie gerade noch die Zeit sich umzuziehen.
Jenna hatte das Kleid aus dunkelroter Wolle bereits herausgelegt. Sie steckte ihr Haar zu einem Knoten am Hinterkopf fest und wusch sich noch einmal die Hände. Sie wollte gerade das Zimmer wieder verlassen, als James herein kam. Ein völlig anderer James, als der, den sie in den vergangenen Wochen kennengelernt hatte. Er hatte seine Egladische Kleidung abgelegt und trug einen Kilt in den Farben der MacDonalds. Unter seinem Rock schaute ein schlichtes Hemd hevor und statt der Perücke, zeigte er sein eigenes rabenschwarzes Haar. Da er es im Nacken zusammen gebunden hatte und rasiert war, sah er immer noch sehr zivilisiert aus.
"Du bist wunderschön, Isobel." Seine geschliffene Sprache hatte er allerdings nicht abgelegt.
"Du auch", brachte sie hervor und trat näher heran. Ihr Finger führen über den feinen Stoff des Plaid und ordneten die Falten. Er pflückte sie und drückte einen Kuss auf ihre Finger.
"Bist du bereit?", fragte er.
"Wenn du es bist."
"Ja."
"Das heißt: Aye. Wenn du einen Kilt trägst, musst du sich auch so verhalten", tadelte sie ihn.
"Das sind nur Äußerlichkeiten."

Sie dachte noch über diese Worte nach, als sie mit ihm in der Kapelle stand. James Erscheinung war mit allgemeinem Wohlwollen zur Kenntnis genommen worden. Nur ihr Vater schien wenig erfreut zu sein.
Nach der Totenmessen wurde der Leichnam auf den nahen Friedhof am Seeufer gebracht.
Isobel schaute zu wie er in die Grube hinab gelassen wurde und die Erde auf  den Verstorbenen fiel. Sie drückte James Hand.
Nachdem das Grab geschlossen worden war, sprach man James sein Mitleid aus. Den Anfang machten die Clansmen, dann folgte der Sprecher des Dorfes Malcom. Einer nach dem anderen sprach James ein paar Worte des Trostes zu. Er nahm sich für jeden Zeit, etwas, dass Isobel noch nicht bei ihm gesehen hatte. Anscheinend wollte er sein Erbe antreten.
Auch ihr Vater kam zu ihnen und reichte James die Hand. Isobel spürte, wie er sich kurz versteifte. Die Worte zwischen den beiden klangen angespannt.
"Ich werde Euch in Eurem Kampf gegen die MacKenzies unterstützen", versprach ihr Vater. "Es kann nicht ungesühnt bleiben, dass sie einen Laird getötet haben."
"Ich bin Euch für Eure Unterstützung dankbar. Der Tod meines Vaters wird nicht ungestraft bleiben."
Isobel hörte den kalten Ton aus seinen Worten heraus. Es war fast so, als habe James einen Verdacht gegen ihren Vater. Sie kam nicht dazu weiter darüber nachzudenken, denn ein Reiter zog die Aufmerksamkeit aller auf sich.
MacKenzie saß stolz auf einem prächtigen Ross. Sein Blick flog über die Versammelten, als könnte ihm niemand etwas anhaben. Wieder war sie von seiner stolzen Erscheinung beeindruckt. Sein Name flog von Mund zu Mund. Entsetzen und Empörung breitete sich aus.
Ihr Vater schnaufte. "Wie kann er es wagen hier her zu kommen?", empörte er sich. Gleichzeitig glitt seine Hand zu dem Schwert an seiner Seite.
James hielt ihn zurück. "Das ist eine Beerdigung. Jeder hat das Recht sein Beileid auszusprechen und niemand greift zu den Waffen."
Er hatte seine Stimme erhoben, sodass auch die Umstehenden es mitbekamen.
MacKenzie war derweil aus dem Sattel gestiegen und kam zu ihnen herüber. Wie auf der Hochzeit schritt er unbeeindruckt durch die Menge.
"Campell", er nickte dem Laird zu, der Mühe hatte sich nicht auf ihn zu stürzen. MacKenzie ignorierte ihn und wand sich an James und Isobel. "Ihr werdet mit jedem Tag schöner, Madame. Auch wenn es so ein trauriger Anlass ist, freue ich mich Euch zu sehen." Er gab ihr einen galanten Handkuss. Isobel spürte, wie James sich anspannte. Diesmal war sie sich nicht so sicher, dass er sofort auf dem Boden landen würde, wenn er den Skott angriff.
"Die Freude ist ganz meinerseits", erklärte sie höflich und drückte James Hand.
"MacDonald", er reichte James die Hand. Es fühlte sich an wie eine halbe Ewigkeit, in der die Hand in der Luft schwebte. Dann ergriff James sie. "Mein Beileid."
MacKenzies Blick glitt von James zu Isobel. Er hatte nicht die richtige Augenfarbe um der Rabe zu sein. Der Gedanke kam ihr ganz plötzlich. Der Rabe war ein Mann mit der aufrechten Haltung eines Adeligen, eines Anführers, eines Lairds.
Aber seine Augen waren grün.
James.
Er hatte sie die ganze Zeit zum Narren gehalten. Und nicht nur sie.
Es war ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für eine solche Entdeckung. Sie musste sich auf das Geschehen konzentrieren.
"Wollt Ihr Euch versichern, dass Eure Schergen ihre Aufgabe erfüllt haben?", fragte ihr Vater laut.
MacKenzie drehte sich langsam zu ihm herum.
"Was wollt Ihr damit andeuten, Campell?"
"Was ich damit andeuten will?" Der Laird lachte bellend. "Jeder hier weiß, dass Ihr Eure Männer losgeschickt habt um den Laird der MacDonalds zu töten."
Irgendjemand murmelte"Mörder", wer anders verlangte Rache. Besorgt ließ Isobel den Blick über die Leute gleiten.
"Wenn ich jemanden töten will, dann mache ich das selbst. Und Ihr wärt der Erste."
Isobel zuckte zusammen.
"Ihr wollt es leugnen? Es gibt Zeugen, MacKenzie."
Der Laird spuckte aus. Der jüngere Mann ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen.
"Dass ich den Laird der MacDonalds getötet habe?" Er drehte sich zu James um. "Das ist lächerlich. Zeigt mir diesen Zeugen!"
James holte den Mann mit einer Handbewegung zu sich. Isobel beschlich der Verdacht, dass die beiden Männer hier ein gemeinsames Spiel trieben. Und ihr Vater war der, hinter dem sie her waren. Sie hatte nicht unbedingt Mitleid mit ihm.
Der Krieger wiederholte stockend seine Geschichte. Sein Blick irrte von einem Laird zum anderen.
"Das ist das, was ich gesehen habe, Herr. Ich schwöre es bei den Gebeinen meiner Mutter."
"Ich glaube dir", versicherte James.
"Ihr glaubt ihm?", wiederholte MacKenzie und starrte James finster an. Jetzt wurden die Leute erst recht unruhig. Isobel hielt es für angemessen einzuschreiten.
"Wollen wir diese Frage nicht lieber an einem anderen Ort klären, als am Grab des Toten?", fragte sie und wunderte sich selbst, dass ihre Stimme so klar war. Die Männer waren jeder für sich beeindruckend und angsteinflößend. "Wir gehen jetzt zurück in die Burg, essen etwas und versuchen einen klaren Kopf zu bekommen. Dann werden wir den Schuldigen finden."
Ihr Vater sah sie finster an.
"Ich werde des Mordes verdächtigt", bemerkte MacKenzie.
Isobel zwang sich ihm in die Augen zu sehen. "Ja, aber nicht erst seit heute. Deshalb ändert es nichts, diese Diskussion eine weitere Stunde nach hinten zu schieben."
In seinen Augen flackerte so etwas wie Bewunderung auf. In diesem Moment hätte sie ihm gerne ins Gesicht gesagt, was sie von diesem Spiel hier hielt.
Er zuckte mit den Achseln. "Also schön. Gehen wir." Er marschierte zu seinem Pferd. Niemand wagte es ihn aufzuhalten.
"Ihr lasst ihn gehen?", fragte Campell empört.
"Er ist zu sehr Skott, als dass er gehen würde", antwortete James lakonisch.
"Na schön." Auch ihr Vater stampfte davon.

Isobel ließ James' Hand nicht los. Es fühlte sich viel zu gut an so neben ihm her zu gehen.
"Wie geht es deinem Arm?", fragte sie leise.
"Was?", fragte er verwirrt. Schauspieler, schnaubte sie in Gedanken.
"Ich muss die Fäden noch ziehen."
Er schüttelte den Kopf und Isobel befürchtete, er würde es leugnen.
"Du bist viel zu schlau, Isobel", murmelte er.
"Und du bist ziemlich gerissen."
"Vielleicht passen wir ja doch ganz gut zusammen."
Sie musste schmunzeln.
"Das ist eine Beerdigung", ermahnte er sie. "Versuch wenigstens ernst auszusehen."
"Oh", murmelte sie, "es tut mir Leid. Du-"
"Mein Vater ist für mich schon vor langer Zeit gestorben", erklärte er verbittert.
Darauf fand sie keine Erwiderung und so gingen sie schweigend zurück in die Burg.


James spürte die Wut in sich brodeln, weil er nun auch mit dem Verräter zusammen essen musste. Doch Isobels Vorschlag war zu klug um ihn zu verwerfen. Er würde es noch eine Stunde aushalten. Seine überaus kluge Frau hatte ein prächtiges Essen gezaubert. Es vertröstete die Leute, dass er Alasdair noch nicht aufgeknüpft hatte und brachte sie auf andere Gedanken.
Er betrachtete versonnen seine Frau und bemerkte Alasdairs spöttischen Blick.
Er war fast froh, als Campell ihm von seinem letzten Jagdausflug berichtete. Er konnte zuhören und seinen Grimm festigen.
Als schließlich die letzten Platten abgeräumt worden waren, hielt er die Zeit für gekommen. Als er aufstand, wurde es still in der Halle.
"An diesem Tag haben wir Angus MacDonald, Laird des Clans der MacDonalds beerdigt", begann er noch immer ohne den Dialekt der Skott zu benutzen. "Ich will keine Lobrede auf ihn halten, doch ich will ihm Gerechtigkeit zukommen lassen. Ihr alle habt erfahren, wie er zu Tode gekommen ist. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Wer hat den Toten gewaschen?"
Sein Blick glitt durch die Halle. Es war Morag, die sich schließlich meldete. "Ich war es, Herr."
Er nickte. "Berichte uns von seinen Verletzungen."
Stockend berichtete Morag, dass sie die Wunde auf der Brust geschlossen hatte.
"Aber es gab noch eine zweite Wunde, nicht wahr?"
Sie nickte. "Eine Wunde im Rücken. Ein Stich, glaube ich."
Er dankte ihr. "Die Wunde in der Brust hat ihn nicht umgebracht, es war ein Stich in den Rücken." Er ließ den Blick durch die Halle schweifen und gelangte zu Campell. "Und ich klage Euch des Mordes an meinem Vater an."
Er starrte ihn an, dann sprang er erbost auf. "Wie könnt Ihr es wagen. Ihr, ein Lümmel, der kaum in der Lage ist ein Schwert zu halten." Ein ganzer Kübel von Beleidigungen ergoss sich über ihn. Die meisten zielten auf sein stümperhaftes Verhalten in den letzten Wochen ab. Gut so.
"Das reicht, Campell", fuhr Alasdair ihn schließlich an.
"Der Welpe braucht sogar jemanden um ihn zu verteidigen", höhnte der Mann.
"Ich entnehme Euren Worten, dass Ihr Euch nicht für schuldig haltet", sagte James ungerührt. Von lächerlichen Beleidigungen würde er sich nicht beeindrucken lassen.
"Wie könnt Ihr es wagen!", knurrte Campell.
"Ich kann es beweisen", sagte er einfach. "Ihr habt Euren Hauptmann losgeschickt, dass er den Laird der MacDonalds aus dem Weg räumt. Auf Euren Befehl hin verkleidete er seine Leute als Krieger des MacKenzie-Clans um den Verdacht von Euch abzulenken und mich für Eure Fehde gegen die MacKenzies zu bekommen."
"Ihr seid verrückt. Das sind haltlose Beweise."
"Ian, Calum. Holt den Mann aus dem Kerker." Die beiden Krieger sahen sich überrascht an. Was nicht verwunderlich war, denn sie wussten nichts von einem Gefangenen. Trotzdem trotteten sie davon.
Alasdair hatte sich derweil zufrieden zurück gelehnt.
"Ich habe nie eine hohe Meinung von Euch gehabt, MacDonald, aber mit diesen Anschuldigungen geht Ihr entschieden zu weit. Das werde ich mir nicht weiter anhören."
Der Laird wollte gehen.
"Ihr bleibt hier. Ihr steht unter Anklage."
"Eure Anklage ist lächerlich."
James verzog das Gesicht. "Aber Ihr befindet Euch auf meinem Land, unter meiner Gerichtsbarkeit."
Das Gesicht des Laird wurde weiß vor Zorn. Einen Moment fürchtete James er würde die Soldaten in die Geschichte hineinziehen wollen. Doch anscheinend besaß er noch so viel Anstand, dies auf Skott-Weise zu regeln und die achtete die alten Regeln. Streng genommen konnte er auch James Rechtmäßigkeit in Frage stellen, denn er war nicht offizielle zum Laird ernannt worden.
Ian und Callum kamen mit einem übel zugerichteten Mann im Schlepptau in die Halle.
"Erkennt Ihr diesen Mann?", fragte James den Laird. Der murmelte sich etwas in den Bart. "Was habt Ihr gesagt?"
"Ja, verflucht." Er war blass geworden.
"Und?"
"Er ist der Hauptmann meiner Clansmen."
"Und Ihr habt ihn beauftragt meinen Vater zu töten."
Er Laird presste die Lippen aufeinander. James drehte sich zu dem Gefangenen um.
"Wollt Ihr dazu etwas sagen, Hauptmann?"
"Schert Euch zum Teufel", knurrte der, "und Euren Handlanger gleich mit."
"Das ist nicht kooperativ", bemerkte James spöttisch. "Ich mache Euch ein Angebot, Campell."
Der Mann starrte ihn finster an.
"Ich will einen Kampf. Mit Euch. " Er sah so einige entsetze Gesichter. "Ich kann aus Eurem Hauptmann ein Geständnis herausprügeln lassen, aber dann müsste ich Euch aufknüpfen lassen. Ich will, dass Ihr wie mein Vater sterbt. Im Kampf."
Die Augen des Laird blitzen hönisch auf. "Es ist eine Beleidigung gegen Euch antreten zu müssen."
"Dann müsste es für Euch ein leichter Sieg sein. Tötet Ihr mich, bekommt Ihr mein Land, meinen Clan." Nicht dass er vorhatte, ihm das zu geben.
"Lasst mich für Euch antreten, Herr", bat Callum.
"Oder mich", schlug Alasdair vor und spießte Campell mit seinem Blick auf.
"Nein." Er fixierte Campell. "Nehmt Euer Schwert. Wir gehen auf den Hof."

Im hinausgehen warf er Isobel einen entschuldigenden Blick zu. Sie wirkte gefasst. Aber er dabei ihren Vater zu töten. Würde sie ihn danach noch ansehen können?
Er konzentrierte sich wieder auf den Verräter. Trotz seines Alters galt er als ausgzeichneter Fechter und wilder Kämpfer, während James der verweichlichte Jammerlappen war.
Bevor der Kampf beginnen konnte, war Isobel plötzlich bei ihm und küsste ihn.
"Sei vorsichtig", wisperte sie.
"Es tut mir Leid", murmelte er und sah sie aufrichtig an.
"Nein, Mörder müssen sterben." Sie wand sich ab und suchte sich einen Platz in sicherer Entfernung, von wo sie ihn genau beobachten konnte.
Ein Rabe flog krächzend über sie hinweg. Die Vögel waren zu schlau um ihn zu verraten.
"Seid Ihr fertig?", fragte Alasdair, der die Rolle des Unparteiischen übernommen hatte.
James nickte und riss ungestüm sein Schwert aus der Scheide. Campell lächelte mitleidig.
"Los!"
Mit einem Brüllen stürmte Campell auf ihn zu. Stolpernd wich er zurück und entging den wütenden Stier um haaresbreite. Die Zuschauer schrien auf und er sah in einigen Gesichtern die schiere Verzweiflung. Er sollte ihnen das nicht zumuten. Entschlossen packte er sein Schwert fester.
"Glück gehabt, MacDonald."
Diesmal ging er mit einem berechnenden Grinsen auf ihn los. James erwiderte den Schlag. Aber er hatte nicht vor, sich lange aufzuhalten. Er wirbelte herum und stellte sich dem nächsten Schlag.
"Sieh einer an."
James richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er war zwar nicht so groß wie Alasdair, aber er musste sich auch nicht verstecken. Nun griff er Campell an. Er wollte ihn nicht verletzten, er wollte nur in seinen Rücken kommen. Der Laird begriff dies zu spät. James hatte ihm bereits das Schwert in den Rücken gestoßen. Er würde genauso sterben wie sein Vater.
Ungläubig sah er James an und brach zusammen.
James verspürte nur wenig Befriedignung. Das Schwert entglitt seinen Fingern. Irgendwie hielt er dann Isobel in seinen Armen.
Eine harsche Stimme riss ihn aus ihren Armen.
"Was geht hier vor?"
Unwillig machte er sich von ihr los und richtete seinen Blick auf Leutnant Benett. Der ließ seinen Blick missbiligend über den Hof schweifen.
"Also, MacDonald?"
Er schob Isobel zur Seite.
"Nichts, was Euch angehen würde, Leutnant", sagte er scharf und hätte den Soldaten nur zu gerne vom Hof gejagt.
"Tatsächlich? Wenn ich mich nicht irre liegt dort Laird Campell erstochen auf Eurem Hof. Wer hat ihn getötet?"
"Er fiel im Kampf", entgegnete James ruhig.
Die Brauen des Soldaten ruckten nach oben. "Abgeschlachtet trifft es wohl eher."
James kniff die Augen zusammen. "Was wollt Ihr von mir, Leutnant?"
"Ich hörte Euer Vater sei gestorben. Es wird Zeit, dass Ihr als neuer Laird seiner Majestät die Treue schwört. Ich bin als hiesiger Vertreter dazu verpflichtet Euch daran zu erinnern."
James ballte die Fäuste.
"Mein Vater wurde heute beerdingt und Ihr wagt es mich jetzt daran zu erinnern, welche Verpflichtungen ich habe." Zornig ging er auf den Soldaten zu, der noch immer im Sattel saß. "Kommt in drei Tagen wieder, dann werde ich Euch eine Antwort geben. Jetzt werde ich mich um meine Angelegenheiten kümmern."
Er packte dem Pferd ins Zaumzeug, wendete es und trieb es mit einem Schlag auf das Hinterteil an. Bevor der verdutzte Soldat wusste, wie ihm geschah, war er schon auf dem Weg nach draußen.
Jemand lachte und einige fielen mit ein. James begenete Alasdairs Blick, der ihn angrinste.
Irgendwer rief: "Es lebe der neue Laird!" und alle fielen mit ein.
James befahl den Toten weg zu schaffen und mehr Whiskey auszuschenken. Er war durchaus zufrieden.

Sechstes Kapitel

 

Isobel erwartete James im Schlafzimmer. Er war noch den ganzen Tag belagert worden und es wunderte nicht, dass er vollkommen erschöpft zu ihr gewankt kam.
"Ah, meine schöne Frau erwartet mich", brummte er und küsste sie.
Sie vergrub ihre Hände in seinen Haaren und löste das Lederband in seinem Nacken.
"Isobel, ich kann mich heute nicht noch länger zurückhalten", murmelte er.
"Du sollst dich nicht zurück halten, Jamie. Ich will dich endlich ganz."
"Du weißt ja nicht, worauf du dich da einlässt."  Er deckte ihren Hals mit Küssen und sie wollte sehr gerne erfahren, auf was sie sich da einließ.


Sie erwachten mit ineinander verschlungenen Gliedmaßen. Sonnenlicht schien auf Jamie, sodass sie ihn in aller Pracht bewundern konnte. Im Schlaf waren seine Gesichtszüge entspannt und friedlich. Eine schwarze Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Sie wagte nicht, sie zurück zustreichen. Denn solange er schlief, konnte sie ihn in aller Ruhe betrachten. Ihr Blick fuhr über die Schulter herunter zu seiner Brust. Feste Muskelstränge verliefen unter der leicht gebräunten Haut. Sie hatte sie unter ihren Händen gespürt. Unter den feinen Eglada-Kleidern hatte sich stets der gestählte Körper eines Kriegers verborgen.
Sie konnte sich nicht länger beherrschen. Sie legte die Hand auf seine Brust, gleich über dem Herzen. Gleichmäßig und stark schlug es ihr entgegen.
Jamie hatte ihr gezeigt, wie sehr er sie begehrte. Aber liebte er sie? Sie war nicht so naiv zu glauben, dass Begierde und Liebe das gleiche waren. Er hatte ihr nicht genügend vertraut um sie in sein Geheimnis einzuweihen.
Ihr Blick kehrte zurück zu seinem Gesicht und begegnete seinem Blick.
Er lächelte.
"Guten Morgen."
Klang da ein Anflug von Skott-Dialekt mit?
"Morgen..."
Seine Finger strichen sanft über ihren Oberarm. "Woran denkst du?"
Sie fühlte sich ertappt und wand den Blick ab.
"Isobel?"
Er schob ihr Kinn sanft nach oben.
"Was ist los? Sieh mich an."
"Ich... ich habe mich gefragt, wie es weiter geht." Sie fühlte sich mit einem Mal in seiner Nähe nicht mehr wohl. Er hielt sie nicht zurück, als sie sich von ihm los machte und aus dem Bett stieg, nicht ohne jedoch das Laken um ihren Körper zu schlingen.
James setzte sich auf ohne auf seine Nacktheit zu achten. Ihr Blick flog unwillkürlich zu seinem besten Stück. Ihr wurde heiß.
"Letzte Nacht warst du nicht so schüchtern", brummte James.
Sie wusste weder was sie sagen sollte, noch wo sie hin sehen sollte. In der Nacht war alles anders gewesen, viel einfacher. Jetzt fühlte sie sich beschämt.
Plötzlich stand James vor ihr. Sie musste zu ihm aufsehen.
"Was ist los?" Seine Stimme klang ein wenig kratzig, seine grünen Augen waren besorgt auf sie gerichtet. "Bereust du es?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Was ist dann? Rede mit mir. Liebling..."
Er sah beinahe hilflos aus.
"Zieh dir etwas an."
"Nay." Er schüttelte den Kopf. "Sieh mich an. Fass mich an. Du brauchst nicht schüchtern sein."
Seltsamerweise war sie das aber. Der Mann vor ihr war noch immer ein Fremder.
Er trat einen Schritt zurück und sah sie auffordernd an.
Sie zögerte.

 

So gerne er noch länger bei Isobel geblieben wäre, musste er sich um seine Aufgaben als neuer Laird kümmern.
In der Bibliothek traf er auf Alasdair, der vor sich eine Karte ausgebreitet hatte.  Er grinste, als er James bemerkte.
"Sie hat es dir nicht allzu übel genommen."
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. "Wir haben nicht darüber geredet." Eigentlich hatten sie gar nicht geredet. "Was machst du da?"
"Ich suche nach einem Versteck für weitere Flüchtlinge. In Glen Torra wird es langsam eng."
James runzelte die Stirn. "Besser wär, die Sache mit den verfluchten Eglada ein für alle mal zu beenden."
Sie wussten beide, dass das nicht möglich war.
"Ich werde morgen wieder nach Glen Torra zurück kehren", erklärte Alasdair und rollte die Karte wieder zusammen. "Kann ich dich alleine lassen?"
"Ich komme schon zurecht." Außerdem hatte er Isobel an seiner Seite. Der Gedanke gefiel ihm außerordentlich gut. "Ich werde mir mal das Arbeitszimmer vornehmen. Du kannst dir gerne weiter Karten angucken."


Es war ein Tag wie jeder andere und wieder nicht. Das Leben ging weiter. Sie musste sich um die Gäste kümmern und die üblichen Haushaltsangelegenheiten. Die Burgbewohner liefen geschäftig umher und verrichteten ihre Arbeit. Dabei wurde jedoch mehr getrascht und getuschelt. Kein Wunder bei allem, was am vergangenen Tag alles geschehen war. Nicht zu vergessen, was James und sie nun verband.
Als sie herunter in die Küche gekommen war, hatte sie halb erwartet, dass alles anders sein würde. In wie fern, dass wusste sie auch nicht. Doch die Normalität hatte sie irgendwie überrascht. Morag war zu ihr geeilt und hatte ihr den Speiseplan für den Abend vorgetragen. Sie hatte nur genickt und ihren Haferbrei gelöffelt. Morag schimpfte über die Zecherei am vergangenen Abend und die faulen Leute, die nicht früh genung zur Arbeit gekommen waren. Die Köchin gab lautstark den Mägden und Küchenjungen Anweisungen. Alles war wie immer. Doch wenn man über den Laird sprach, so meinte man James.

Es war bereits nachmittag, als sie ihn wieder zu Gesicht bekam. Er stand auf dem Hof und sprach mit mehreren Clansmen. Sie konnte nicht verstehen, was sie besprachen, doch sie sah, dass die Männer ihn um einiges respektvoller ansahen als bisher. Auch er sah grimmiger aus als sonst, mehr wie ein Krieger als ein egladischer Schwächling. Sie musste lächeln. James war ein Krieger. Die Männer ging mit einem Nicken und James drehte sich um. Er bemerkte sie und seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus. Seine Aufmerksamkeit wurde jedoch beinahe sofort wieder von einem Burschen in Anspruch genommen, der ihm irgendeine Nachricht überbrachte.
Mit einem Lächeln ging sie wieder in die Burg. Sie hatte versprochen nach dem Wein zu sehen.
Auf dem Rückweg von den Kellern lief sie MacKenzie über den Weg. Er verneigte sich höflich vor ihr.
"Darf ich mich bei Euch für die hervorragende Gastfreundschaft bedanken, Mylady?"
"Seid Ihr immer so charmant?"
"Nur bei schönen Frauen", gab er mit einem Grinsen zurück.
Dieser Mann hatte ihr schon bei der ersten Begegnung gefallen. Nicht so wie James... natürlich nicht.
"Ich bin verheiratet, Laird", erinnerte sie ihn.
"Aye, bedauerlicher weise."
Sie musste lachen, als er eine betrübte Miene aufsetzte. "Ich bin durchaus zufrieden."
"Hmmm... Jamie hat wirklich Glück gehabt, Euch zu bekommen."
Jamie... also hatte sie ihr Gefühl nicht getäuscht. Sie waren nicht nur Bekannte, sondern auch Freunde.
"Was ist mit Euch? Ihr seid nicht verheiratet, nehme ich an?"
"Weswegen? Weil ich so charmant bin?"
"Nay. Aber Ihr seid alleine gekommen."
Er seufzte. "Aye... ich genieße das Leben eines freien Mannes."
Sie war sich nicht sicher, ob er das ironisch meinte.
"Könnt Ihr mir verraten, wie ich von hier auf den Hof finde? Ich fürchte, ich habe mich tatsächlich verlaufen."
Das glaubte sie ihm keine Sekunde lang. Allerdings war sie sich auch nicht sicher, was er mit dieser fadenscheinigen Ausrede bezwecken wollte.
"Ich war gerade auf dem Weg dorthin. Ihr könnt mich begleiten."
MacKenzie ging neben ihr und schien über etwas nachzudenken.
"Ich hörte, Ihr hattet ein paar... Probleme mit dem Raben", bemerkte er plötzlich.
Stirnrunzelnd sah sie zu ihm auf. Worauf wollte er hinaus? Sie war sich ziemlich sicher, dass er von James' Geheimnis wusste. Falls sie jedoch falsch lag, wollte sie ihren Mann unter keinen Umständen verraten. Besser sie war vorsichtig. Schließlich kannte sie diesen Mann überhaupt nicht.
"Man könnte es Probleme nennen - oder unerwartete Hilfe. Er hat nur unschuldige Menschen beschützt."
Er nickte langsam. "Ihr seid also eine Anhängerin des maskierten Helden."
"Ihr nicht? Ich hatte Euch nicht für einen Freund der Eglada gehalten." Schließlich hatte ihr Vater versucht mit den Eglada auf seiner Seite den MacKenzies bei zukommen.
"Bin ich auch nicht."
"Aber?"
"Ich achte auch das Gesetz."
Sollte das eine Prüfung sein? "Das tue ich auch. Aber das Gesetz und der Laird sollte die Menschen seines Clans schützen nicht dem Feind ausliefern. Ich bilde mir nicht ein besonders viel von Politik zu verstehen, aber ich sehe, was Menschen brauchen. Ihr seid ein Laird. Was gebt Ihr Eurem Clan? Ein Leben in Frieden oder eines unter der Knute von Fremden um mit deren Unterstützung eine alte Fehde siegreich beenden zu können?"
Er musterte sie nachdenklich. "Das waren die Pläne Eures Vaters? Mir scheint, Ihr unterstützt sie nicht."
"Ich habe nichts mit dieser Feindschaft zu tun, Laird. Ihr habt mir nichts getan."
"Danke. Es wäre schön, wenn mehr Leute so denken würden."
Sie hatten den Hof erreicht und sie blieb stehen.
"Jetzt, da Ihr meine Meinung kennt, verratet Ihr mir, was Ihr mit diesem Gespräch bezwecken wolltet?"
Er grinste wieder unbeschwert. "Ich wollte nur sicher gehen, dass Jamie in guten Händen ist."
Damit marschierte er davon.
"Was wollte er von dir?", fragte plötzlich jemand hinter ihr. Sie drehte sich zu James um.
"Scheinbar wollte er wissen, ob ich auf eurer Seite stehe."
"Unserer Seite?" Er hob die Augenbrauen.
"Du weißt, was ich meine. Kennt er dein Geheimnis?"
"Aye." James schaute nachdenklich über ihre Schulter.
"Was ist?"
Er schüttelte den Kopf. "Entschuldige mich." Seine Hand strich über ihren Oberarm, dann war er schon wieder fort.

Siebtes Kapitel

 

Er fand Isobel auf dem kleinen Turm. Sie hatte ein Plaid um ihre Schultern gewickelt und starrte auf den See hinaus. Für einige Augenblicke genoss er einfach den Anblick, dann trat er zu ihr.
"Isobel", murmelte er um vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, dass sie aus dem Zopf gelöst hatte und in dicken Flechten über ihren Rücken hing.
Sie lehnte sich an ihn.
"Was machst du hier?", fragte sie.
"Ich habe dich gesucht."
"Oh", machte sie und drehte den Kopf um ihn anzusehen. "Warum?"
"Vielleicht, weil ich meine Frau vermisst habe?"
Sie lächelte und er drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen.
"Was gibt es hier zu sehen?"
"Den See." Sie schaute wieder hinaus in die Dunkelheit. "Ich habe nachgedacht."
"Worüber?"
"Über dich. Über uns. Über alles."
"Das ist viel."
Sie lachte leise. Er konnte ihren Körper beben spüren.
"Und zu welchem Schluss bist du gekommen?", erkundigte er sich.
"Wir müssen reden", stieß sie hervor.
"Aye." Ihr Haar duftete nach Rosen. "Aber ich bin müde und du musst auch vollkommen erschöpft sein. Komm ins Bett, Liebling."

 

Isobel konnte nicht schlafen. Zu viel ging ihr im Kopf herum. James hingegen schlief tief und fest, einen Arm um sie geschlungen. Noch vor wenigen Wochen hätte sie niemals geglaubt, dass sie so hier liegen würden. Aber damals hatte James sich auch von ihr abgeschottet. Jetzt war es anders. Aber wie würde es weiter gehen? Dieser Zustand der Schwebe gefiel ihr nicht. Sie wusste noch immer nicht, was geschehen sollte. Wieder hing alles von den Entscheidungen eines Mannes ab, ihres Mannes. Der sich weigerte mit ihr zu sprechen.
"Sturer Esel", murmelte sie und erntete ein Grummeln als Antwort. Er zog sie dichter an sich. Sie machte sich von ihm frei und schlüpfte aus dem Bett.
"Isobel", murmelte er, "was machst du? Komm her..."
Sie schlang ihr Plaid um ihre Schultern und starrte ihn finster an. Es war zu dunkel um irgendwelche Gesichtszüge zu sehen. "Nay, ich will wissen was du vor hast."
"Es ist mitten in der Nacht", brummte er. Das Bett knarzte leise, als er sich bewegte.
"Egal. Sag mir wie es weiter geht."
"Isobel..." Er richtete sich auf. "Ich soll dir sagen, wie es weiter geht? Du kommst jetzt zurück ins Bett. Ich bin den ganzen Tag herum gerannt und musste Dinge klären, die mein Vater für unwichtig gehalten hat."
"Dein Vater ist seit über vier Tagen tot und seit du... seit dem Kampf haben wir noch kein einziges Wort darüber gesprochen, wie es nun weiter gehen soll." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Du bist jetzt Laird über beide Clans in den Zwillingstälern. Willst du weiter maskiert durch die Gegend reiten?"
"Wenn ich muss."
Sie schnaubte. "Das ist gefährlich und du hast jetzt eine Verantwortung."
"Der Rabe hat auch eine Verantwortung", hielt er dagegen. "Du hast mich auch schon um Hilfe gebeten, weil du keinen anderen Weg gesehen hast."
"Weil mein Vater - und deiner- sich mit den Eglada verbündet haben. Sag, dass du das nicht auch vor hast."
"Ich kann die Eglada nicht einfach aus den Tälern werfen, Isobel. Ich muss ein wenig diplomatischer vorgehen. Das benötigt Zeit und währendessen wird der Rabe gebraucht werden."
Sie starrte ihn finster an. Jedes Mal, wenn er als Rabe dort draußen herum ritt, brachte er sich in Gefahr. Und nun, da sie wusste, wer sich hinter der Maske versteckte, hatte sie Angst um ihn.
Er seufzte frustriert auf. "Isobel, ich ... die Eglada werden verschwinden. Von hier und von ganz Skottia. Aber ich arbeite bereits seit Jahren daran, also hab ein wenig Geduld und Vertrauen."
Seit Jahren... "Was hast du gemacht, als du fort warst? Warum diese ganze Maskerade? Warum verheimlichst du mir immer noch alles? Vertraust du mir nicht?"
"Ich vertraue dir", sagte er ruhig. "Komm her."
Endlich machte sie die Schritte. Seine starken Arme umfingen sie. "Du hast eiskalte Füße", stellte er fest und zog sie vollends zurück ins Bett.
"Es ist ein bisschen kompliziert, aye?", begann er.
"Erzähl einfach."
Er schnaubte belustigt. "Du weißt, warum mein Vater mich fortgeschickt hat?"
"Nicht richtig. Es hatte mit deiner Mutter zu tun, aye? James? Es tut mir Leid..."
"Mein Vater verbannte mich, weil ich meine Mutter umgebracht hatte." Sie verkrampfte sich unwillkürlich. Natürlich glaubte sie nicht, dass er das getan hatte, nicht willentlich. Aber wenn es ein Unfall gewesen war und er sich die Schuld gab... "Das habe ich nicht." Er streichelte ihre Schulter. "Aber ich habe es zugelassen."
"Jamie..."
"Der Laird hat es getan. Ich war dabei. Deshalb schickte er mich fort. Damit ich es niemandem erzählen konnte. Damit er einen Sündenbock hatte. So viel war ihm sein einziger Sohn wert. So wenig vertraute er ihm."
Sie wollte ihn trösten, wollte ihm helfen.
"An diesem Tag ist auch mein Vater für mich gestorben. Er verbannte mich von seinem Land und ich hatte keinen Ort, an den ich gehen konnte.
Wütend ging ich nach Süden. Ich wollte nichts mehr mit dem hier zu tun haben, dem Laird, den MacDonalds oder den Skott. Ich entschied mich ein Eglada zu werden. Ich bin in das Heer eingetreten. Ich wurde Soldat." Er schwieg einen Moment und schien seine Gedanken zu ordnen. "Ich habe nie in Skottia gekämpft, aber dennoch für den König Blut vergossen."
"Was hat dich zurück gebracht?", fragte sie vorsichtig.
"Eine Hure."
Sie wandte den Kopf. Aber in der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Es gab nur ihre beiden Körper, die sie spürte und seine Stimme, in der so viele Emotionen mit schwangen.
"Sie war eine Skott und eine Rebellin." Jetzt klang seine Stimme so, als ob er lächeln würde. Obwohl sie der Gedanke an eine Hure nicht glücklich machen sollte, fühlte sie doch Dankbarkeit der Frau gegenüber, da sie James zurück gebracht hatte. "Sie wollte mir Informationen entlocken. Als ich es bemerkte und sie zur Rede stellte, begann sie mich zu beschimpfen und die Eglada im Allgemeinen. Sie stammte aus dem Norden und war für einen Eglada mit Sicherheit nicht zu verstehen. Aber ich habe verstanden, was sie mir an den Kopf geworfen hat. Ich habe endlich erkannt, zu was für einem Mistkerl ich geworden war. Sie hatte ihre Familie verloren und sah keine andere Wahl als ihren Körper zu verkaufen um zu überleben. Und gleichzeitig gab sie nicht auf und versuchte aus ihrer Misere etwas Gutes zu machen.
Ich habe mich wirklich schlecht gefühlt."
"Was ist mit der Frau geschehen?"
"Ich weiß es nicht. Ich habe sie fortgeschickt. Als ich später unauffällig nach ihr suchte, war sie fort."
Vielleicht war es besser so. Sie wollte nicht, dass ihr Mann mit Huren verkehrte.
"Und wie ging es dann weiter?"
"Ich habe Kontakt zu den Skott aufgenommen. Hierher durfte ich nicht. Außerdem machte mein Vater mit den Eglada gemeinsame Sache, gegen die MacKenzies. Also habe ich mich an sie gewand. Alasdair war mir eine große Hilfe. Er leitete meine Informationen weiter und wurde immer mehr ein Freund."
Also waren ihre Vermutungen nicht falsch gewesen.
"Ich schied aus dem Heer aus und ging in den diplomatischen Dienst. Bis mein Vater mich zurück holte."
"Also hat der Laird einen egladischen Diplomaten und einen skottischen Spion nach Hause geholt."
"Er hatte endlich Verwendung für seinen Erben." James klang verbittert. Aber das konnte sie ihm nicht verdenken.
"Aber du warst nicht der Sohn, den er sich gewünscht hätte."
"Das war ich noch nie."
"Nay, und das ist gut so." Sie strich über seine Wange. "Wir sind beide nicht so, wie unsere Väter sich das gewünscht haben. Und sie waren beide Verräter."
Er seufzte. "Es tut mir Leid, dass ich deinen Vater töten musste."
Er sagte "musste", nicht "habe". Ihr war der Unterschied durchaus aufgefallen. "Du hast ihn vor einem ehrlosen Tod am Galgen bewahrt. Für seine Vergehen musste er bezahlen. Das ist nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest."
"Isobel..."
"Ich müsste eigentlich um ihn trauern, aye? Aber ich kann nicht. James, ich kann einfach nicht." Sie vergrub das Gesicht an seiner Schulter. "Ich bin ein furchtbarer Mensch."
"Bist du nicht", widersprach er.
"Aber es war mein Vater."
"Der dich nie beachtet hat. Ich weiß es. Isobel. Es ist vorbei."
Sie schluchzte leise. James war so viel stärker als sie.
"Wir fangen neu an", versprach er. "Unser Clan wird stark sein und sich den Eglada entgegen stellen. Unsere Kinder werden geliebt werden."
Unsere Kinder...
Er küsste sie sanft.

Achtes Kapitel

 

In den folgenden Tagen unterstützte Isobel ihren Mann wo sie nur konnte. Es gab eine Zeremonie, in der er offiziell als Laird des Clans der MacDonalds anerkannt wurde. Sie stand an seiner Seite während er den Lehnseid der Clanmitglieder entgegenahm und sorgte für ein angemessenes Festmahl danach. Während er zu den Campells reiste, kümmerte sie sich um die Burg und die Bewohner. Leutenant Benett vertröstete sie auf später, wenn ihr Mann wieder zurück sein würde.
Die Tage waren mit Arbeit gefüllt, doch abends lag sie alleine im Bett und sehnte sich nach James. Schon als er das letzte Mal fort gewesen war, hatte sie ihn vermisst. Doch jetzt war das Gefühl anders, saß tiefer und war schmerzlicher. James war so sehr ein Teil von ihr geworden, dass es sie erschreckte. Es war ein bisschen wie früher, als sie ihn angehimmelt hatte und ihm den ganzen Tag hinterher gelaufen war. Aber jetzt war sie erwachsen und aus einer kindlichen Schwärmerei war etwas anderes geworden: Liebe.


James konnte es kaum erwarten nach Hause zurück zu kommen. Doch er musste sich zunächst auf seine Aufgaben in Glen Corran konzentrieren. Man hatte ihn dort mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die Kunde, dass er den Laird getötet hatte, war ihm bereits voraus geeilt. Doch ebenso wussten die Leute, dass ihr Laird Verrat begangen hatte. Außerdem waren die Sympathien für ihn nicht besonders hoch gewesen. Man hatte ihm loyal gegeüber gestanden, da er der rechtmäßige Laird gewesen war. Und der war nun James. Durch seine Heirat mit Isobel Campell, durch seinen Sieg und durch das begangene Verbrechen an seinem Clan. Er war sich der komplizierten Lage nur zu sehr bewusst.
Er sah, dass es die Menschen beruhigte, dass er als Skott auftrat und nicht als schwächlicher Egalda. Er gab seine Befehle, teilte seine Entscheidungen mit und sprach Recht. Kurzum er war der Laird.
Für die Clansmen war schnell ein neuer Hauptmann gefunden. Er erkundigte sich nach Isobel, wodurch er James gleich sympathischer wurde.
Eine geeignte Haushälterin zu finden stellte sich als schwieriger heraus. Dabei hätte er Isobels Hilfe gebrauchen können. Sie kannte die Menschen hier.
Er beschloss vorerst nichts zu ändern und mit ihr zu sprechen.
Bei seinem Besuch im Dorf empfing ihn ein ganzes Komitee, allen vorran der Schmied. Dieser schien noch immer nicht von ihm überzeugt.
"Mylaird", murmelte er und senkte wie alle anderen den Kopf, als James aus dem Sattel stieg.  Dann richtete er seinen Blick wieder grimmig auf ihn.
"Meine Frau richtet ihre besten Grüße aus, euch allen." Er ließ den Blick über die Menschen gleiten, armselige Gestalten. Verfluchte Eglada! Sie hatten kaum genug zum überleben.
"Geht es der Herrin gut?", fragte eine Frau zaghaft. Isobel hatte sie ihm vorgestellt. Alison war ihr Name.
"Aye. Sie bedauert nicht selber her kommen zu können."
Die Augen der Frau leuchteten auf. "Wir würden uns sehr freuen, Herr."
"Möchtet Ihr einen Honigkuchen, Herr? Die Herrin liebt sie." Eine andere Frau hielt ihm einen Korb mit verführerisch duftenden Honigkuchen hin. Er nahm einen.
Nachdem dieses erste Eis gebrochen war, unterhielt er sich mit einzelnen Leuten, bekam Dinge gezeigt und geschenkt. Ihm schwirrte bereits der Kopf, als er letzendlich dem Schmied gegenüber stand. Dieser hatte die dicken Arme vor der Brust verschränkt und musterte ihn noch immer grimmig.
"Ich werde mich nicht entschuldigen."
Sie wussten beide, wovon er sprach.
"Das erwarte ich auch nicht." James zog eine Grimasse. "Ich habe es damals herausgefordert. Aber das ist jetzt vorbei." Er wurde ernst und in den Augen des Schmiedes blitzte etwas auf, vielleicht widerwilliger Respekt. "Jetzt bin ich der Laird und ich will als solcher behandelt werden. Ist das klar?"
"Aye", brummte der Mann widerwillig.
James warf ihm einen warnenden Blick zu. "Zwinge mich nicht, etwas zu tun, dass nicht nötig ist."
Der Schmied stieß ein leises Grollen aus. James beließ es bei dieser Warnung.
"Wenn die Eglada hier Unruhe stiften, will ich Bescheid wissen. Sofort", erklärte er unvermittelt. Die Augen des Dorfsprechers weiteten sich ein wenig. "Alle Abgaben und Steuern werden an mich gezahlt. Der Vogt ist darüber informiert. Sollte auch nur ein Soldat mehr verlangen, schickt ihr einen Boten, aye?"
"Aye." Der Mann sah ihn verwundert an. "Ihr unterstützt die Soldaten nicht, Herr?"
James zog eine Grimasse. "Willkür werde ich mit Sicherheit nicht unterstützen. Insbesondere, wenn hier solche Zustände herrschen." Er ließ den Blick über die Hütten schweifen. "Ich möchte eine Aufstellung der Vorräte hier und der umliegenden Höfe. Setz dich mit dem Verwalter zusammen."
Der Schmied nickte nur noch.
Zufrieden ritt James aus dem Dorf.


 Es regnete in Strömen, als James mit seinen Begleitern endlich zurück kam. Isobel musste bei seinem Anblick lachen. Das Wasser tropfte ihm nicht nur von den Kleidern sondern von der Nase.
"Na, das ist ja ein netter Empfang", brummte er verdrossen und marschierte auf sie zu. Sie versuchte quietschend das Weite zu suchen, doch James hatte sie schon gepackt.
"Du bist nass."
"Aye. Sehr nass", nickte er. "Aber ich  konnte nicht länger warten."
Ein weiterer Regentropfen fiel von seiner Nasenspitze. Isobel scherte sich nicht länger darum, sondern küsste ihn. Er war so heiß, dass seine Kleidung eigentlich hätte zu dampfen anfangen müssen. Seine Wärme drang in ihr Innerstes vor und füllte sie von innen aus.
"Ich liebe dich", sagte sie leise.
Er sah sie an.
Hätte sie besser geschwiegen? Aber er musste es doch längst wissen. Sie liebte ihn. Sie straffte die Schultern. Dafür würde sie sich nicht schämen.
In seinem Gesicht zuckte es, dann hoben sich seine Mundwinkel. Er lächelte sie strahlend an.
"Ich liebe dich auch, Isobel MacDonald."
Er hob sie hoch und wirbelte sie herum. Sie konnte nicht anders als laut zu lachen.


ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.09.2015

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /