In jede Schule in die jemals jemand kommt, wird es immer diese Ranggesellschaften geben. Die „Coolen“ die mit ihrer ganzen Clique über die Schule herrschen. Zu ihnen zählen natürlich die Sportler, die gutaussehenden Jungs und eine Gruppe Mädchen die meinen über alles und jeden zu herrschen. Ihnen untergeordnet sind die Musiker, welche in Bands spielen und die Kiffer welche immer zu einer guten Party etwas mitbringen. Ganz unten an dieser Nahrungskette stehen die Streber, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihr Leben unabhängig von Konsumgeilheit zu führen. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel wenn es darum geht, gegen die Spitze der Gesellschaft anzukommen und doch bekriegen sie sich untereinander wer der beste sei.
Streber sind Freaks. Nicht nur weil sie sich komisch kleiden, immer auf alles eine Antwort parat haben, die nicht immer alle verstehen, sondern vor allem weil sie sich von den ganzen hirnlosen Plastikpuppen und Muskelprotzen abhoben, weil sie nicht so waren wie alle, sondern schlau, intelligent.
Und dann gab es da noch mich.
Ich bin die einzige auf dieser Schule die nirgendwo dazugehört. Denn ich bin anders als alle und niemand konnte mich je in eine Schublade stecken, geschweige denn zu etwas dazu ordnen. Deshalb steh ich nicht nur am Ende der Nahrungskette, sondern existiere laut dieser überhaupt nicht. Ich bin nicht hässlich, zu mindestens fühle ich mich nicht so wenn ich in den Spiegel schaue und doch gehöre ich nicht zu den angesehen Mädchen. Ich bin nicht dumm, zu mindestens beweisen meine Noten das und doch gehöre ich nicht zu den Strebern. Ich bin nicht unsportlich, zu mindestens behauptet das mein Trainer immer und doch gehöre ich nicht zu den Sportlern.
Ich habe es euch ja gesagt. Ich bin alles und doch nichts.
Doch eines Tages sollte sich dies ändern. Eines Tages wollte ich akzeptiert werden, wie ich bin.
Geliebt werden, wie ich bin. Respektiert werden, wie ich bin.
Immer härter schlugen meine geballten Fäuste gegen das gegerbte Leder des Sandsackes. Meine Fäuste schwitzten schon seid geraumer Zeit in den schwarzen Boxhandschuhen, doch die Anstrengung und der Schweiß störten mich nicht im geringsten. Sobald ich boxen konnte, war es als wäre ich in einer anderen Welt. Meiner Welt. Das Training war hart, doch ich hatte es selbst so gewollt. Ich hatte gewollt das mein Trainer mich nicht wegen meines Geschlechts oder meiner Körpergröße von den Jungs unterschied. Und diesen einen Wunsch respektierte er.
Langsam lief mir der Schweiß von der Stirn, wurde aber zum Glück von meinen Augenbrauen abgefangen, bevor er mir in die Augen laufen konnte. Doch das war nebensächlich, denn ich war sowieso überall am Körper durchgeschwitzt. Ich trainierte hart. Manchmal härter als jeder andere hier. Für mich war Boxen nicht einfach nur eine Sportart, es war mein Lebensinhalt. Meine Augen fokussierten dabei genau die Augen des Gegners und ich hatte gelernt auf die kleinsten Reaktionen seines Körpers zu achten, damit ich nie überrascht werden konnte.
„Genug für heute!“ riss mich die Stimme des Coachs aus meinen Gedanken. „Fabi ? Du warst super heute, morgen machen wir einen kleinen Übungskampf gegen Ramon.“ seine Augen fielen auf mich und er verzog sein schon etwas in die Jahre gekommenes Gesicht zu einem winzig kleinen Lächeln, wobei seine Falten noch eine Spur tiefer wurden.
Auch ich fing an zu lächeln, denn gegen Ramon zu kämpfen, bedeutete endlich mal wieder eine Herausforderung. Schon oft hatte ich gegen die anderen Jungs hier im Club gekämpft und gesiegt.
Doch gegen Ramon hatte ich noch nie gekämpft, auch wenn ich ihn schon oft kämpfen sah. Ramon ist ein 1.90 großer Koloss und wiegt zu meinem Bedauern bestimmt fast 90 Kilo. Doch nicht weil er dick war, sondern weil seine Muskeln zum zerreißen trainiert sind. Seine Größe und breite hatte ihm den würdigen Titel des Boxmeisters von Doban Country beschaffen. „Danke, Coach.“ erwiderte ich nur, zog mir hastig die Boxhandschuhe aus und schnappte mir das rote Handtuch, womit ich mir das Gesicht vom Schweiß befreite. Schnell schnappte ich mir meine ganzen Sache und ging in die Umkleide. Nachdem ich mich umgezogen hatte, verabschiedete ich mich und trat heraus in die klare Nachtluft. Hach ja, Doban Country. Eine relativ große Stadt im Herzen Amerikas. Und doch nicht weiter relevant. Ich wollte am liebsten raus hier. Raus aus dem ewigen Kreislauf vom Aufstehen über die Schule, die Hausaufgaben und den Rest. Mein Ziel war es nach ganz oben zu kommen. Zu den Champions. Doch als Frau würde das wahrscheinlich unmöglich werden. Schon lange hatte ich einen Plan. Einen Plan der nur noch in die Tat umgesetzt werden musste und ich wusste auch schon genau wann das sein würde. Nämlich direkt nach dem Kampf gegen Ramon.
Die kalte Abendluft von Doban Country kühlte mein überhitztes Gemüt etwas ab, doch meine Gedanken waren schon seid mein Trainer mir den Kampf eröffnete, bei ihm. Jetzt schon fing mein Gehirn an Taktiken zu entwickeln, denn mit Kraft und Stärke würde ich bei diesem Berg nicht viel anfangen können. Gut, das der Weg von der Trainingshalle zu mir nach Hause nicht sehr lange dauerte. Als ich mein kleines Apartment im dritten Stock betrat, wurde mir aber schmerzlichst wieder bewusst wie einsam ich war. Wie leer es ohne Mum und Dad war. Ich hatte keine einfache Vergangenheit. Meine Mutter und mein Vater starben. Ihr Mordfall wurde nie gelöst. Danach kam ich von einer Pflegefamilie in die andere. Nie war ich länger als einen Monat an einem Ort. So hatte ich schon viel von Amerika gesehen, doch zuhause ist es ja bekanntlich am schönsten, weshalb ich sofort als man mir erlaubte mit 18 zurück in meine Heimatstadt zog. Hier lebte ich jetzt also schon seid einem halben Jahr. Ich hatte immer noch keine Freunde gefunden, weil ich nirgendwo reinpasste. Doch ich wusste wenn mich keiner brauchte, dann würde ich es auch allein schaffen. Das hatte ich bisher immer.
Achtlos ließ ich meine große Sporttasche in die Ecke fallen und zog meine Klamotten schon auf dem Weg ins Bad aus. Endlich unter dem heißen Strahl der Dusche, entspannten sich meine Muskeln und auch mein Kopf schien sich zu beruhigen. Nachdem ich mir den ganzen Schweiß und Dreck des Tages abgewaschen hatte, band ich mir ein großes Handtuch um und verließ die Dusche. Vor dem großen Spiegel ließ ich langsam meinen Blick von unten nach oben herauf gleiten. Ich sah auf sie ein ganz normales, unschuldiges Mädchen. Mit meinen 1.70 war ich nicht gerade die Größte, doch manchmal hatte dies auch seine Vorteile. Meine nassen, langen, braunen Haare klebten an den Seiten meines Kopfes bis zu meinem unteren Rücken. Auch diese waren nicht gerade Vorteilhaft für meinen Sport und ließen mich deshalb noch unschuldiger wirken. Alles in allem wirkte ich auf keinen Fall wie eine kaltblütige, starke Boxerin, doch das mich die Menschen so unterschätzen war nicht immer schlecht, doch sehr überraschend für sie. Schnell wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab, so fielen meine grünen Augen doch wieder auf die Narbe die meinen Rücken schmückte. Es geschah bei dem Mord meiner Eltern. Doch bis heute konnte ich mich an nichts davon erinnern und das machte mich fertig.
Ich putzte mir schnell meine Zähne, legte meine schmutzige Kleidung in den Wäschekorb und flitzte in mein Bett, nachdem ich noch schnell einen Apfel verdrückt hatte. Heute war ein guter Tag. Ich wurde nicht wie sonst als 'Freak' auf den Schulfluren beschimpft, doch wahrscheinlich lag das nur daran, das alle so beschäftigt mit dem bevorstehenden Schulball waren. Und dann noch die wunderbare Nachricht das ich bald gegen Ramon kämpfen durfte. Ich war seid langen mal wieder etwas glücklicher und so schlief ich nicht wie alle Nächte zuvor mit Tränen in den Augen ein und Schuldgefühlen im Herzen, sondern mit einem kleinen Lächeln in den Mundwinkeln.
Heute war es soweit. Heute sollte ich meinen letzten Kampf als Fabienne Rosanna austragen. Danach würde ich hier verschwinden. Ich hatte Doban Country sowieso satt. Die einfältigen Menschen, denen es nur um eines ging, das alle sie mochten. Außerdem erinnerte es mich viel zu sehr an meine Vergangenheit, als meine Eltern noch lebten. Ich war früher glücklich, sehr sogar. Doch als meine Eltern dann umgebracht worden sind, hatte ich immer mehr das Bedürfnis mich zurückzuziehen und wehren zu wollen. Mittlerweile boxe ich seid ich 16 bin. Also noch nicht wirklich lange, doch anscheinend war ich sehr ehrgeizig. Denn eins hatte ich schnell über meinen Trainer gelernt; Er würde nie jemanden gegen Ramon kämpfen lassen, wenn er sich nicht hundertprozentig sicher wäre, dass er soweit ist. Und ich war soweit. Soweit meinen Traum endlich ein Stück näher zu rücken. Danach würde ich hier umziehen. Am Morgen wachte ich mit einem breiten Lächeln auf, ich fühlte mich gut, bereit.
Noch etwas schläfrig stellte ich meine Füße auf den kalten Parkettboden. Nachdem ich alle meine Sachen zusammengesucht hatte, schlüpfte ich unter die Dusche. Das kalte Wasser weckte mich auf, erfrischte mich und ließ mir den Ernst der heutigen Lage etwas bewusster werden. Ich konnte meinen Plan nur in die Tat umsetzten, wenn ich heute gewann. Es gab für mich keine andere Möglichkeit. Sollte ich nämlich verlieren, so hatte ich mir geschworen, hieß das für mich das ich einfach noch nicht soweit war. Natürlich hatte ich Respekt vor Ramon. Aber man musste vor jedem Gegner Respekt haben, durfte niemanden fälschlicherweise unterschätzen. Nach der Dusche, machte ich mir in der Küche ein proteinreiches Frühstück. Jetzt musste ich irgendwie die Zeit totschlagen bis heute Mittag. Doch ich hatte schon eine Idee, wie ich die Zeit sinnvoll nutzen konnte. Ich setzte mich mit einem warmen Kakao auf mein Sofa und legte den Laptop auf meine Beine. Ihn angeschaltet suchte ich heraus wo die Qualifikationen für die nächste Meisterschaft meiner Gewichtsklasse stattfinden. Nachdem ich erfahren hatte das dies in verschiedenen Orten geschah, doch die Meisterschaft in Los Angeles ausgeführt wurde, suchte ich mir die Vorstadt Hamberra heraus, welche ganz in der Nähe lag. Zu meinem Glück gab es dort auch etliche Apartments zu vergeben. Leider konnte ich ja noch nichts buchen oder dergleichen, denn alles hing von heute ab. Mit einem Blick auf die Uhr, stellte ich ein wenig erschrocken fest, wie schnell die Zeit doch vergangen ist. In der Küche machte ich mir noch schnell etwas zu essen, packte meine Tasche und machte mich auf den Weg. Draußen war es immer noch kalt, doch einerseits tat es gut, keine drückende Hitze auf mir zu spüren. Vor der breiten Metalltür blieb ich noch einmal kurz stehen, atmete tief durch und erinnerte mich an meine Eltern zurück. Mit einem tiefem Seufzen öffnete ich die Tür und trat in die große Halle ein. Mein Trainer kam mir sofort entgegen. Er sah mich zuversichtlich an. „Du schaffst das Fabi, geh dich umziehen.“ Nickend schluckte ich meine Angst herunter und schlenderte in die Umkleide. Da ich das einzige Mädchen im ganzen Club war, gab es keine extra Umkleide für mich, weshalb ich mich zusammen mit den Jungs umzog. Heute war zwar kein Training aber einige waren trotzdem da. Die hinterste Ecke war sowieso für mich reserviert. Schnell zog ich meine Jacke aus und den Pulli den ich darunter an hatte. Damit die anderen nicht die ganze Zeit auf meine Narbe starrten zog ich über den Sport-BH schnell mein enganliegendes Top. Am Anfang hatte ich mit Jogginghose trainiert, doch schnell hatte ich begriffen das diese zu schlabberig ist und ich mich nicht gut darin bewegen konnte, also zog ich eine kurze schwarze Hose an. Gleich würde es soweit sein. Langsam und sehr genau band ich meine weißen Bandagen um meine Finger und Hände. Sie sollten meine Knöchel stabilisieren und halfen fand ich, wirklich gut. Mittlerweile war ich allein in der Umkleide. Kurz sah ich mich um, ging dann vor den großen Spiegel und sah mich an. Ich sah aus wie immer. Schnell band ich meine langen Haare zu einem Zopf zusammen, welchen ich dann noch grob flechtete. Die Haare waren wirklich nervig, doch ich mochte sie. Meine Augen schauten mich an wie immer, ließen keinerlei Angst erkennen.
Darauf war ich stolz, denn in mir drin sah es anders aus. Doch ich wusste, gleich würde ich keine Angst mehr haben, weder äußerlich noch innerlich. Mit einem letzten Blick in den Spiegel, schnappte ich mir meine Boxhandschuhe, eine Wasserflasche und ein Handtuch und verließ den Raum. In der großen Halle, legte ich meine Sachen neben den Ring. Ramon war bereits da. Unauffällig ließ ich meinen Blick über ihn gleiten. Er war nicht wirklich hässlich, doch seine Statur war meines Erachten so weit ausgeprägt, dass er mit seinem jungen Gesicht eher wie ein Kleinkind im Körper eines Erwachsenen wirkte. Sein enormer Oberkörper steckte in einem engen Muskelshirt und seine wirklich großen Oberarme ließen darauf schließen das er seinen Gegner mühelos im Schwitzkasten erwürgen konnte. Seine Beine wirkten wie zwei Baumstämme welche fast steif auf dem Boden zu stehen schienen, doch ich wusste das es anders war. Er war relativ wendig für seine Größe und Breite, doch er setzte eher auf Stärke. Das konnte mein Vorteil sein. „Bist du bereit, Fabi?“ riss mich die Stimme meines Coachs aus meinen Musterungen. Kurz sah ich ihn an und nickte. „Gut, dann ab mit dir in den Ring. Und mach mich stolz.“ sagte er während er eifrig in die Hände klatschte.
Texte: Alle Rechte am Text liegen bei der Autorin!
Bildmaterialien: Cover made by Darque :)
Tag der Veröffentlichung: 30.05.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich widme das Buch meiner großen Leidenschaft, dem Kickboxen.
Und meinem Freund, welcher ein begnadeter Boxer ist.
Engel, ich liebe dich