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Es war an einen schwülen Sommernachmittag. Alle Zeichen standen auf Sturm doch im Moment herrschte noch totenstille. Niemand aus dem kleinen Dorf ließ sich auf der Straße blicken, jeder war in seinem Haus. Sogar die Bauarbeiten am alten Kingsley-Hof schienen auf Pause gestellt zu sein. Ihre Heimat kam Misha wie ein Geisterort vor.
Plötzlich erfüllte ein ohrenbetäubender Schrei die drückende Luft.


Es regnete. Misha hatte sich noch immer nicht an dieses feuchte Wetter gewöhnt. Benommen von der Arbeit lief sie die Treppen zur U-Bahn Station hinab. Wie so oft erwischte sie das bekannte Londoner Transportmittel ganz knapp und ließ sich erschöpft auf einen der wenigen freien Sitzplätze nieder. Überhaupt hatte sie sich in den 3 Jahren, die sie jetzt schon in London wohnte, an gar nichts gewöhnt. Weder an das Wetter, noch an das tosende Geräusch der fahrenden U-Bahn. Die ganze Stadt kam ihr immer noch so fremd vor, wie an dem Tag, an dem sie die ersten Schritte aus dem Taxi, das sie nach London gebracht hatte, machte.
Ihr Handy klingelte. Sie liebte ihren Klingelton. Manchmal ließ sie die Person am anderen Ende länger warten, nur um „Forever Young“ zu hören. Misha schaute auf den Display, wer schon wieder was von ihr wolle.
Erleichtert nahm sie ab: „Hey Sandy, wie geht’s?“
Sandy war das einzig Gute an London. Sie erinnerte sich nur sehr gut an den Tag an dem sie ihn das erste mal gesehen hatte: es war kurz nach ihrer Ankunft in London. Sie lief, ohne auf ihren Weg zu achten, durch die Straßen und schaute sich in ihrer neuen Nachbarschaft um. Dabei stieß sie plötzlich mit einem gut aussehenden, braun haarigen Mann an die Ende zwanzig zusammen. Er entschuldigte sich sofort, sagte er hätte schon wieder geträumt und stellte sich als Sandy Damon vor. Misha fand ihn sofort sympathisch und aus einer flüchtigen Bekanntschaft entwickelte sich eine wunderbare Freundschaft. Aber auch noch so viel Vertrauen zu ihm konnte sie noch nicht überwinden ihm ihr größtes Geheimnis zu erzählen.
„Ganz gut, passt schon und dir? Hey, ich kann heute nicht zu dir kommen. Da ist was dazwischen gekommen. Kann ich dir jetzt nicht erzählen. Wann anders.“
„Okay“ – doch er hatte schon aufgelegt.
Misha steckte erstaunt ihr Handy zurück in die Tasche. Das war sie von Sandy nicht gewohnt. Normalerweise sagte er nicht einfach ohne genauere Erklärungen ein Treffen ab. Aber naja, beruhigte sie sich, er wird wohl einfach im Stress sein.
Ganz in Gedanken hätte sie fast ihren Ausstieg verpasst. Gehetzt rannte sie durch den Regen, der mittlerweile stärker geworden war, nach hause.
Ihre Wohnung war das beste, was sie mit ihrem kleinen Anfangsbuges hatte leisten können. Sie war geräumig und an schönen Tagen, wenn die Sonne durch großen Fenster in das schön eingerichtete Wohnzimmer schien, fühlte sie sich einigermaßen wohl hier. Doch das geschah selten. Denn, obwohl die Wohnung ganz hübsch war, war sie doch der totale Gegensatz zu ihrem großen Elternhaus. Es war eine ganz andere Atmosphäre wie hier in der Großstadt. Ruhiger und ohne den ganzen Stress den die Leute hier mit sich herum trugen.
Sie legte sich auf ihr Sofa und nahm die Fernbedienung in die Hand. Als sie es sich gerade auf dem Sofa bequem gemacht hatte und den Fernseher anschalten wollte klingelte die Türglocke.
Es war acht Uhr abends. Misha erwartete niemanden.
Langsam richtete sie sich auf und ging erwartungsvoll zur Tür. Draußen stand ein Eilbote. Er wirkte ziemlich erschöpft, nun ja, immerhin schiehn er gerade 4 Stockwerke hochgerannt zu sein.
Der Bote gab ihr einen Brief auf dem weder Absender noch Empfänger standen.
„Da! Ich sollte es Ihnen so schnell wie möglich überbringen.“
„Von wem ist es denn?“
„Das weiß ich nicht. Er hat seinen Namen nicht gesagt.“
„Okay, danke.“
Den Blick auf den Brief geheftet schloss Misha hinter sich die Tür. Schweigend setzte sie sich zurück aufs Sofa und schaute ihn sich genauer an. Weder Absender noch Empfänger waren darauf zu entdecken, doch als Misha den Brief umdrehte erkannte sie ein Siegel, das in der untergehenden Sonne unheilvoll leuchtete.


„Oh Shit!“
Sandy wäre jetzt gerade viel lieber bei Misha.
„Warum mache ich das eigentlich?“
Gerade als er mit seiner Arbeit als Anwalt in einer Kanzlei fertig geworden war bekam er einen Anruf. Er sollte so schnell es geht zu einem gewissen Herrn Roberts in seine Villa kommen. Sandy wollte wissen wieso es so dringend war, doch der Mann hatte schon wieder aufgelegt.
Wenn es etwas wichtiges war konnte Sandy ja nicht einfach nicht aufkreuzen. Aber vielleicht spielte auch etwas Neugier mit, als er etwas außerhalb von London mit dem Auto einen Hügel zur prachtvollen Villa hinauffuhr und um kurz vor acht Uhr die Klingel mit der Aufschrift „Dr. Roberts“ drückte.
Auf einmal überkamen ihn Schuldgefühle, weil er Misha am Telefon so abgewimmelt hatte. Aber er hätte ihr ja schlecht die Wahrheit sagen können. Es hätte sie zu sehr Beunruhigt. Und er wusste ja selber auch nicht viel mehr. Aber entschuldigen hätte er sich wenigstens können.
Er wurde durch eine unbekannte Stimme an der Sprechanlage aus seinen Gedanken gerissen:
„Wer ist da?“, bellte eine gereizte Frauenstimme.
„Hier ist Sandy Damon. Herr Dr. Roberts hat mich herbestellt.“
„Einen kurzen Augenblick bitte!“
Man hörte wie die Frau sich im Hintergrund mit irgendwem unterhielt. Anscheinend war sie nicht sehr technikbewandelt, sonst hätte sie wahrscheinlich den Sprechknopf nicht gedrückt gehalten.
„Okay, kommen Sie rein.“
Die Tür wurde von einer etwas ältere Frau, die eine Schürze um den Bauch trug, geöffnet. Jene geleitete Sandy mit einer einladenden Geste in die ganz und gar nicht spartanisch eingerichtete Wohnung.
Sandy war vom Anblick der Villa von innen überwältigt. Zuerst stand er in einer mit vielem Gemälden und wunderschönen Vasen geschmückten Diele, die in einen riesengroßen Salon überging.
Verzückt bestaunte der Anwalt die reich verzierten Wände. Wieder hingen überall Kunstwerke von bekannten Künstlern. Sandy trat an ein berühmtes Bild von Da Vinci heran, das er schon mal bei einer Versteigerung gesehen hatte. Damals hatte er Misha noch nicht gekannt. Er konnte sich erinnern, dass es für ca. 1,5 Mio. Dollar verkauft worden war.
„Ah! Sie haben meine bescheidene Wohnung gefunden.“
Die Stimme kam von hinten. Sandy drehte mich um und sah einen Mann, Mitte 50, groß mit edel zurechtgeschnittenen grauen Haaren. Hinter ihm war eine Tür noch einen Spalt weit geöffnet, die Sandy vorher vor lauter Staunen nicht bemerkt hatte.
„Nun, „bescheiden“ kann man das hier nicht gerade nennen.“
„Also gefällt es Ihnen.“
Da dies keine Frage war fuhr Dr. Roberts fort: „Kommen Sie mit in mein Arbeitszimmer, dort können wir alles weitere besprechen.“
Zu seiner Überraschung führte ihn sein Gastgeber nicht durch die noch halb geöffnete Tür, hinter der Sandy das Arbeitszimmer erwartet hätte, sondern eine geschwungene und mit goldenem Geländer verzierte Treppe hinauf.
„Hier entlang.“, vernahm Sandy die nun schon oben angelangte Stimme, während er noch der wunderbaren Aussicht wegen die Schönheit des Salons betrachtete.
Das Arbeitszimmer hätte Sandy nicht als solches erkannt, wenn es ihm nicht wie hier gesagt worden wäre.
Es gab zwar einen großen Schreibtisch und einen Lederstuhl, dem ein etwas Kleinerer gegenüberstand, doch das war auch schon das einzige, was an ein Arbeitszimmer erinnerte. Es war nicht so verziert wie der Salon, trotzdem konnte man auch hier den Reichtum des Mannes erkennen. Hinter der Arbeitsfläche stand ein Billardtisch, der nicht gerade billig aussah, und von einem riesigen Fenster aus konnte man über dem Balkon auf einen Großteil ganz Londons hinabblicken.
Mr. Roberts bat ihn Platz zu nehmen. Sandy setzte sich auf den kleineren Stuhl, doch sein Gastgeber machte keine Anstalten sich ebenfalls zu setzen. Stattdessen fing dieser an langsam auf und ab zu schreiten.
Sandy wartete geduldig darauf, dass jener etwas sagt, doch erst nach fast fünf Minuten wurde sein Hoffen erfüllt:
„Haben Sie eine Idee warum ich Sie habe zu mir kommen lassen?“
Sandy verneinte dies, aber bevor er etwas hinzufügen konnte redete Dr. Roberts weiter.
„Ja ... Das habe ich mir schon gedacht ... warum wohl? Was wissen Sie über ihre Freundin Misha Clark?“
„Woher wissen Sie...?“
„Nein, reden Sie nicht weiter. Ja, ich weiß von ihrer Freundschaft mit ihr. Und ich weiß noch viel mehr. Nicht nur über Sie sondern hoffentlich auch bald über Ms. Clark.“
„Was soll das? Woher? Ach egal ... was interessiert sie Misha? Ich weiß nichts was für sie von Belang sein könnte.“
Dr. Roberts ging weiter auf und ab. Er schaute auf den Boden. Ab und zu noch ein Blick auf seine Uhr.
„Ja … ich weiß … leider... Sie wissen nichts. Sie können gar nichts wissen... Ihre „Freundin“ hat ihnen all die Jahre etwas verheimlicht. Etwas was Sie bestimmt interessieren würde... aber nun ja... ich selber habe auch nur Anhaltspunkte...“
„Kann schon sein. Man muss sich ja nicht immer alles erzählen oder? Wenn Misha es nicht für richtig hält es mir mitzuteilen, dann ist das ihre Sache. Es geht mich nichts an. Und außerdem wird es schon nicht von so großer Bedeutung sein.“
Er hörte nicht auf auf und ab zu gehen. Er schaute als ob er angestrengt nachdenken würde.
„Ja ja... keine große Bedeutung... wenn sie wüssten...“
Und er grinste Sandy verschmitzt an.


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Tag der Veröffentlichung: 18.05.2009

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