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Wenn der Wind seine Flügel erhebt

XXL - Leseprobe

Leseprobe

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Impressum

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Copyright © 2018 Weibsbilder-Verlag

All rights reserved.

1. Auflage: August 2018

ISBN-E-Book: 978-3-96192-083-9

ISBN-Druck: 978-3-96192-084-6

 

Weibsbilder-Verlag Catrin Kaltenborn

Krienitzstr. 1a, 06130 Halle / Saale

E-Mail: kontakt@weibsbilder-verlag.de

Internet: www.weibsbilder-verlag.de

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Weibsbilder-Verlag

 

Bilder: https://de.depositphotos.com/

Umschlaggestaltung: Dana Brandt

Text: Dana Brandt

Lektorat: Silvia Stödter

Korrektur: Bernd Frielingsdorf

Buch-Satz: Weibsbilder-Design

 

Kontakt zur Autorin

Facebook Autorenpage: Dana Brandt

 

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Die Handlung ist frei erfunden. Hier genannte Orte sind fiktional und haben nichts mit tatsächlichen Orten gleichen Namens zu tun.

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

Nur in Fantasy-Storys ist ungeschützter Sex sicher. Schütze dich und deinen Partner, benutze ein Kondom!

Auch wenn Erotik nur einen kleinen Teil der Handlung ausmacht, ist dieses Buch ausschließlich für Leser, die volljährig sind und keinen Anstoß an der Darstellung sexueller Handlungen zwischen zwei oder mehreren Männern nehmen.

Inhalt

Inhalt

 

Elias ist ein Mensch mit einer besonderen Wahrnehmung, der eine eigene Sicht auf die Welt hat. Als Sen ihm eines Tages buchstäblich vor die Füße fällt, ahnt er nicht einmal, dass damit Ereignisse in Gang gesetzt werden, die sein Leben für immer verändern werden. Der Moment, in dem ihm Sen außerdem offenbart, dass er sich in Gefahr befindet und sich ihre Wege bald wieder trennen werden, wird für ihn der Moment der Entscheidung.

 

 

 

 

 

 

Widmung

Widmung

 

 

 

 

 

 

Für die Außenseiter, die Unangepassten, die stillen Helden, die unentdeckten Kämpfer, die Träumer und die träumenden Realisten. Für die, für die der breite Weg, den alle anderen Menschen gehen, nicht begehbar ist und die sich daher mit einer Machete durch den Dschungel kämpfen müssen, den manche Zeitgenossen das Leben nennen.

 

Was für eine Untertreibung!

 

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Manchmal träumen wir von einer Welt, die genauso ist wie die, in der wir bereits leben. Mit einem Unterschied: In dieser anderen Welt vermuten wir den, den es in unserer Welt nicht gibt und dessen Seele wir uns ganz nahe bei uns wünschen. Dabei wissen wir nur nicht, dass dieser andere bereits ist.

 

 

 

 

Elias rieb sich sorgfältig seine Hände. Es war Erde auf seiner Haut und sie roch gut. Er schloss die Augen und hielt seine Hände ganz nahe an die Nase. Da war er. Dieser feine Geruch, der kaum zu beschreiben war. Grün, Leben und das Wissen um den Tod waren darin zu finden. Ein eigener Kosmos und Erkenntnisse verbargen sich vor den Sinnen der meisten Menschen. Sie sahen und erkannten es nicht. Dazu vermischte sich sein eigener Geruch, den er selten so klar wahrnehmen konnte. Jetzt, so nahe an seiner Nase, war es anders. Die Mischung beruhigte ihn und ließ die Welt zurücktreten. Der satte Geruch der Erde und so viel mehr. Elias ging innerlich in seiner Wahrnehmung weiter, ohne dass er sich dabei bewegte, und alles, einschließlich des Geruchs nach Erde und was sonst um ihn herum bestand, hörte auf zu existieren. Aber nicht vollständig. Das Summen der Bienen, welches eher ein Brummen und Vibrieren war. Dann das Rauschen der unzähligen Blätter in den Bäumen, durch die der Wind fuhr. Und die Geräusche, die von der Straße kamen. Der Lärm der Menschen. Ihre Stimmen. Aber nichts von alledem war ein Teil der Welt, in die er eingetaucht war.

Elias schluckte und hielt die Augen geschlossen. Eigentlich war es zu viel. Wie meist. Doch er musste es ertragen.

Einatmen und ausatmen, bis es vorbei war und die Anspannung aus seinem Körper floss wie Wasser, das die Steine in einem ausgewaschenen Flussbett umspülte. Kleine Wirbel, die in der Sonne glitzerten. Elias fühlte, dass er wankte. Auf den Knien in der Erde, die warm und weich war. Bereit für die neuen Pflanzen, die er heute noch in sie setzen würde. Aber vorher musste er fallen, wenn ihn nicht etwas daran hinderte. Das wusste er. Doch die Augen zu öffnen, war nicht möglich. Es lag außerhalb seiner Macht.

„Hey, pass doch auf, du Idiot!“

Elias zuckte nicht einmal zusammen, denn das hätte bedeutet, dass er jetzt gestürzt wäre. Die Welt war so nahe und so weit weg, dass ihm die Sinne schwanden. Plötzlich gab es unmittelbar vor ihm einen dumpfen Schlag. Vibrationen, die sich unter ihm ausbreiteten. Jemand röchelte und lachte dann laut. Der Luftzug, den er eben noch gespürt hatte, war wieder weg. Dafür spürte er die Präsenz eines Menschen vor sich.

„Ich sagte, pass auf! Mann, Sen, wenn du so weitermachst, brichst du dir irgendwann mal das Genick.“ Ein Mann, der das sagte, stand jenseits des Beetes unterhalb der Mauer auf dem Gehweg. Elias konnte die Stimme unterhalb seines Gehörs einordnen. Noch immer war er halb gefangen in der überwältigenden Vielzahl der Eindrücke dieses Frühlingstages.

„Du bist nicht meine Mutter.“

Das war jemand anderes. Denn die Stimme befand sich direkt vor ihm, dort, wo er kniete. Die Sonne schien heiß auf seine Haut und Elias versuchte die Augen zu öffnen. Er wusste, dass er das machen sollte. Dennoch brauchte er sehr lange, ehe es ihm gelang.

„Und wer bist du? Machst du einen auf Meditation?“

Mitten im Beet, das er gerade angelegt hatte, lag ein Mann, der ihn angrinste. Elias hob den Kopf und schaute dorthin, wo er die Stimme des anderen vernommen hatte. Der stand am Rand der Mauer, die das Hochbeet einfasste, und blickte zu seinem Freund. Sie mussten Freunde sein, denn sie trugen ähnliche Sachen. Schwarzes Shirt, Jeans und ein Tuch auf dem Kopf. Der Mann im Beet hob seine Beine und sprang aus der Rückenlage heraus in die Hocke. Mit einer tänzerisch anmutenden Bewegung dreht er sich zu Elias um. Die Hände in die Hüften gestemmt, musterte er ihn von oben herab.

„Geht’s dir nicht gut?“

„Sie stehen in meinem Beet“, sagte Elias monoton. „Würden Sie bitte diesen Ort verlassen, damit ich die Pflanzen einsetzen kann?“

„Okay, okay, alles klar. Dir geht’s gut.“ Er lachte und sprang dann mit einem Satz auf die Mauer, machte einen Handstand, ließ sich dann ganz langsam bis zum Boden hinab. Elias berechnete, dass er eigentlich den Schwerpunkt seines Körpers schon überschritten haben musste. Dennoch fiel der Mann nicht einfach runter. Seine Muskeln waren zum Zerreißen gespannt. Er konnte jede noch so winzige Bewegung sehen. Das schwarze Shirt mit dem wirren Aufdruck verbarg dafür zu wenig und der Anblick, der ihm geboten wurde, entsprach zudem seinem Sinn für Ästhetik.

Einmal mehr drehte sich der Mann um, nachdem er seine Füße sanft auf dem Boden abgesetzt hatte, verbeugte sich spöttisch vor ihm und lief dann davon.

Elias ging die gewonnenen Informationen durch. Parkour vermutete er. Es gab diverse Unterarten und ähnliche Bewegungsabläufe bei anderen Free-Running-Läufern. Vielleicht auch ein Artist. Doch das waren Details, die ihn kaum weiter interessierten. Er hatte mehr Arbeit vor sich. Der Aufwand hielt sich zwar in Grenzen, da er die Erde nicht mehr mit großem Körpereinsatz würde auflockern müssen. Der Boden war am Morgen hart gewesen und überall hatte Glas herumgelegen. Wahrscheinlich hatten ein paar Leute eine Party gefeiert. Es hatte danach ausgesehen. Jetzt musste er lediglich den Abdruck des Mannes beseitigen. Es war dennoch eine Störung im Ablauf. Elias spürte ein klein wenig Frust, das war normal. Er hatte vorgehabt, pünktlich zu Hause zu sein. Jetzt musste er später Feierabend machen.

Einhändig zog er die Kopfhörer aus der Jackentasche, schaltete die Musik ein und zog sich in seine andere Welt zurück. Er durfte sich nicht mehr ablenken lassen.

Drei Stunden später und damit gut zehn Minuten über der von ihm anvisierten Zeit war er fertig. Jeder Muskel schmerzte und seine Knochen fühlten sich spröde an. Den ganzen Tag auf Knien und Händen war keine Arbeit, die spurlos an einem vorüberging. Dennoch war Elias zufrieden mit dem, was er geschafft hatte. Das Beet war neu bepflanzt und er hatte damit seinen Auftrag erledigt. Noch sauber machen, das Auto zurück auf den Hof fahren und er konnte heim.

Er blickte sich nach seinem Arbeitsgerät um. Einem kleinen Handkarren, den er heute Morgen mit allem bestückt hatte, das er brauchte. Sein Auto hatte er eine Straße weiter geparkt, nachdem er die Pflanzen abgeladen hatte. Elias blinzelte gegen die Sonne. Jemand stand an seinem Karren. Er erkannte das Hemd und das Kopftuch wieder. Es steckte jetzt in der Hosentasche.

Elias nahm die Kopfhörer aus den Ohren, ging den Weg auf der Mauer zurück und sprang dann neben dem Mann herunter.

„Du bekommst nicht viel mit, oder?“, fragte der ihn.

Elias blickte zu ihm auf. Sen, so erinnerte er sich an den Namen, überragte ihn eine Handbreit. Wahrscheinlich war er um die ein Meter fünfundachtzig. Standardmaß, nach europäischer Messung. Genauer, er war damit gut fünf Zentimeter größer als der deutsche Durchschnitt.

Elias kannte den Blick, der ihm zuteilwurde. Das genaue Abschätzen. Wer war er? Was stimmte mit ihm nicht? Warum sprach er nicht? Warum sah er die Menschen um sich herum so seltsam an? Elias kannte einige der Fragen. Es gab noch mehr. Nicht jede wurde ihm gegenüber gestellt. Aber er wusste schon seit seiner Kindheit, dass sein Denken von dem anderer Menschen abwich. Letztlich war es nicht wichtig. Wichtig war nur, dass er die Fragen kannte, die dieser Sen gerade stellte, ohne sie auszusprechen.

Elias ging um Sen herum, griff nach dem Besen und wandte sich ab.

„Bist einer von der ganz stillen Sorte, was?“

Elias zog seine Kopfhörer wieder aus der Tasche und setzte sie ein. Der Mann würde gehen, wenn er ihn ignorierte. Die meisten taten das. Sie waren beleidigt, wenn sie nicht beachtet wurden. Doch sie taten meist nichts. Man hielt ihn für verrückt und da er nur der Gärtner war, galt es als unmännlich, ihn zu schlagen. In aller Regel ging die Rechnung auf und Elias vergaß für gewöhnlich seine Beobachter, bis diese endlich mit einem Schulterzucken aufgaben. Er fegte die Erde und die Pflanzenreste auf. Sprang auf die Mauer und kehrte auch sie. Kurz ließ er seinen Blick über die Pflanzung schweifen. Es sah gut aus. Der letzte Akt des Tages vor dem Verstauen der Werkzeuge und der Rückfahrt zum Hof der Gärtnerei war, ein Foto als Beweis für seine Arbeit zu machen. Mitunter wurden frische Pflanzungen über Nacht leer geräumt. So blieb wenigstens eine kleine Erinnerung und Max, sein Chef, hatte etwas in der Hand. Elias wollte sich nicht über die Menschen ärgern, die so etwas taten. Wenn sie die Pflanzen in ihre Gärten setzten und pflegten, war das genug für ihn. Max sah das natürlich anders.

Elias kehrte zu seinem Handkarren zurück und sah, dass dieser Sen noch immer dort stand. Er betrachtete ihn. Aggression konnte Elias nicht erkennen. Eher Verwunderung. Elias nahm seine Kopfhörer wieder raus. „Wenn Sie sich entschuldigen wollen, ist das nicht nötig“, sagte er. „Ich habe meine Arbeit noch rechtzeitig fertiggestellt. Sie können jetzt nach Hause gehen.“

Sen beugte sich zu ihm. „Du bist anders.“

Elias seufzte nun doch. Warum waren Menschen so berechenbar?

„Ich heiße übrigens Seamus. Aber die meisten nennen mich aber Sen. Warum, weiß ich auch nicht so genau. Wie heißt du?“

Elias’ Gedanken kamen ins Stottern. Er blinzelte und antwortete, da es keinen Grund gab, die Antwort zu verweigern: „Elias.“

„Oh, ein biblischer Name. Hört sich gut an. Bist du schon mal geküsst worden, Elias?“

Nun blinzelte Elias heftiger und wich halb vor Seamus zurück, während er versuchte herauszufinden, was gerade anders lief und warum das so war. „Das ist keine Frage, auf die ich antworten muss“, sagte er dann, da er die Unverschämtheit erkannte.

„Also nicht“, schloss Seamus. „Ich lag da vorhin vor dir und du sahst aus wie ein Engel in einem grünen Overall. Die Erde roch so gut und du hast nach ihr gerochen. Und da dachte ich, ich könnte dich eigentlich küssen. Ich bin nicht geoutet und deshalb wollte ich das nicht vor meinem Freund machen. Wie steht es bei dir? Willst du mich küssen?“

Elias hatte jedes einzelne Wort in seine Bestandteile zerlegt. Bedeutung und Stimmlage betrachtet. Sen sagte die Wahrheit. So viel stand fest. Der Rest jedoch, warum dieser so sprach, wie er sprach, entzog sich ihm – bis auf eines: „Wenn Sie einen sexuellen Notstand verspüren, sollten Sie sich von jemand anderem helfen lassen“, sagte er und legte den Besen in den Handkarren. „Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich habe Feierabend.“

Sen stellte sich ihm in den Weg und zwang ihn dadurch, ein Stück zurückzuweichen. Irritierend war, dass er ihn nicht festhielt, sondern nur sanft sein Gesicht berührte. Elias hätte sich zu wehren gewusst, hätte ihn Sen festgehalten. Doch das war anders. Kein echter Angriff. Die Berührung jagte ihm einen Schauer ein, ohne dass er es wagte, sich weiterzubewegen. Fragend blickte er ihn an und kam zu dem Schluss, dass eine weitere Aufforderung Not tat. „Geh …“

Das Gesicht war zu nahe. Sens Gesicht war zu nahe. Er spürte seinen Atem auf der Haut und dann die Lippen, die auf seinen lagen. Eine Zunge in seinem Mund. Das Anstupsen mit selbiger an seiner. Der Geschmack fremder Spucke. Elias hielt die Luft an. Die Augen weit aufgerissen, wusste er nicht, was er tun sollte. Fest mit dem Boden verankert, war das das Einzige, dessen er sich sicher war, während Sen ihn küsste. Es lag keine Gewalt in dieser Annäherung, weshalb er noch immer überlegte, ob er Sen einfach wegstoßen sollte. Doch ehe er zu einem Ergebnis kam, wich der zurück. „Du musst die Augen schließen“, flüsterte er. „Ich halte dich schon fest.“

Jetzt endlich kam Elias zu dem Ergebnis, dass ein Kuss völlig ausreichte. Ein zweiter ohne seine Erlaubnis stand nicht zur Wahl. Sicherheitshalber wich er ganze drei Schritte zurück und schätzte die Lage neu ein.

Sen lächelte ihn an. „Ich muss sagen, ich hätte nicht gedacht, dass ich heute noch jemanden treffe, der so gut schmeckt.“ Er zwinkerte ihm zu. „Und das Beste ist, ich habe dich als Erster entdeckt. Du bist eine echte Sahneschnitte.“ Er legte den Kopf schief und der Blick wanderte einmal von Kopf bis Fuß. Die unverschämte Art ließ Elias rot werden und er fühlte sich, als wäre er mitten auf der Straße nackt. „Nein, ich glaube, ich werde dich nicht teilen“, sagte Sen ohne die Spur von Zurückhaltung. „Ich habe dich noch in keinem Club gesehen. Du wärst mir nicht entgangen. Frischfleisch deiner Güte wäre dort sehr schnell verdorben worden. Bleib hier und ab und an komme ich vorbei und werde dich küssen. Vielleicht auch ein wenig mehr.“

„Ich habe keine Ahnung, was Sie sich denken.“ Elias wählte seine Stimme eine Nuance tiefer, denn das schien ihm vor diesem Mann mehr als angemessen. „Doch was lässt Sie glauben, dass Sie mein Typ sind?“

Sen grinste breit. „Deine roten Wangen und die glänzenden Augen und hundert Prozent der Ständer in deiner Hose.“

Elias entglitt die Kontrolle über sein Gesicht. Er fühlte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich und dann mit voller Wucht wiederkam.

Noch immer fassungslos musste er tatenlos zusehen, wie Sen auf die Mauer sprang, lachend davonlief und mehrere Flickflacks schlug, als wäre Gehen eine Beleidigung.

 

Elias hatte an diesem Abend Mühe, alles in der für ihn gewohnten Routine zu erledigen. Immer wieder fiel ihm etwas aus der Hand oder er stolperte über die geringsten Erhebungen. Beinahe hätte er zudem einen Unfall auf seinem Heimweg verursacht. Er hatte einen Fahrradfahrer übersehen, als er die Straße überquerte. Es war knapp gewesen und der Schrecken von der Vollbremsung sowie der Erkenntnis, dass der Fahrradfahrer ihn vollkommen angemessen einen Vollidioten genannt hatte, saßen ihm auch noch dann in den Knochen, als er den Schlüssel im Schloss zu seiner Wohnung umdrehte.

Das Telefon klingelte gellend und war schon zu hören gewesen, als er den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte. Betont langsam stellte er seine Schuhe ab und ging dann auf Socken zum Telefon. „Mum“, stand auf dem Display „Wo warst du, Elias?“, fragte seine Mutter ihn, noch bevor er den Hörer am Ohr hatte. Elias schloss seine Augen und atmete tief durch. „Geht es dir gut? Ist dir etwas passiert?“

„Mir geht es gut. Ich musste heute nur länger arbeiten“, sagte er endlich. Deutlich konnte er das Ausatmen seiner Mutter hören. Ihre Anspannung schmerzte ihn. Sie war immer voller Sorge, wenn es um ihn ging, und er war nicht in der Lage, sich daran zu gewöhnen. Ihre Unruhe wurde zu seiner. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er zwanzig Minuten zu spät zu Hause war.

„Du hättest anrufen sollen.“

„Ich konnte nicht anrufen. Ich werde jetzt Abendbrot essen. Guten Nacht, Mum!“

„Elias!“

„Ja, Mum?“

Er hörte ihren Atem und die Unruhe, die sie ihm übermittelte, legte sich um ihn und erstickte ihn fast. Er wollte das nicht. Es waren zu viele Informationen, die er nicht verarbeiten konnte. Er war ihr Kind und sie wusste, wie er darauf reagierte. Genauso wusste er aber auch, wo ihre Grenzen lagen. Es war ein Kreislauf und frustrierend, ihn nicht unterbrechen zu können. Sie trug die Angst in sich, dass er das Leben, das er seit einem halben Jahr führte, nicht bewältigte. Aber er hatte es geschafft und er schaffte es auch jetzt. Zwanzig Minuten war er zu spät. Er würde die Zeit aufholen. Gestern hatte er vorgekocht. Er würde die Nudeln mit der Tomatensoße aufwärmen und essen. Seine Serie lief zwar schon, aber danach kam die nächste und er konnte sich beruhigen. Er wollte ihr das sagen, aber die Worte blieben in seiner Kehle stecken. Hilflos schloss er die Augen. „Soll ich kommen?“, fragte seine Mutter ihn. Elias schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht sehen, wenn du nickst“, sagte sie.

„Mir geht es gut. Ich habe alles im Griff“, stieß er hervor. Seine Hände verkrampften sich um den Hörer. Mit der Zunge strich kurz über die Lippen und er schmeckte Sen auf ihnen. Es brachte ihn aus der Fassung. Aber auf keinen Fall wollte er seine Mutter in der Wohnung haben. Sich zu beruhigen, würde ihm auch ohne sie gelingen!

„Mir geht es gut. Ich bin in Ordnung. Die Arbeit hat nur länger gedauert. Jetzt möchte ich etwas essen.“

„Okay, Elias. Okay, alles in Ordnung.“

Elias bemerkte erst jetzt, dass er immer lauter geworden war. Aufregung war nicht gut. Dann fing er an, nervös durch die Gegend zu laufen, was bedeutete, dass er später jemanden brauchte, der ihn festhielt und sich nicht daran störte, wenn er um sich schlug.

„Ich bin ruhig“, sagte er. „Ich bin ruhig. Aber du fragst mich immer wieder und mir geht es gut. Du glaubst mir nicht. Aber mir geht es gut …“

„Alles gut.“

„Lass dem Jungen Raum zum Atmen, Sarah. Ihm geht es gut“, hörte er seinen Vater im Hintergrund. „Er ist alt genug.“

Elias konnte die Einwände seiner Mutter hören, obwohl sie sie nicht aussprach. Zu oft hatte er sie gehört. Er war anders. Er war nicht normal. Er war hilflos. Er brauchte Rahmen und Strukturen. Wenn er sie nicht bekam, dann wurde er für andere Menschen schwierig. Er kannte das alles. Aber ihm ging es gut. Seit einem halben Jahr arbeitete er und hatte eine eigene Wohnung. Sein Chef hatte ihn nach der Ausbildung übernommen. Auf keinen Fall wollte er nach dem erfolgreichen Auszug ins elterliche Haus zurück. Er war erwachsen. Und er musste schaffen, was er sich vorgenommen hatte. Zog er wieder in das Haus seiner Eltern, würde er so schnell nicht mehr ausziehen können, weil sie es nicht zulassen würden. Er konnte ihre Angst sehr gut verstehen. Doch er war nicht so unselbstständig, wie seine Mutter ihn einschätzte. Zudem wollte er endlich die Dinge tun, die er sich bisher nicht getraut hatte.

„Gute Nacht“, sagte er und schloss die Augen. Ihm war schwindelig. Die Aufregung existierte nach wie vor, aber er hatte sie unter Kontrolle. Der Atem seiner Mutter war weiterhin schwer. Sie war noch immer angespannt. Doch sie würde nichts sagen. Nicht mehr laut, da sein Vater es hören konnte, der weit mehr Vertrauen in die Fähigkeiten seines Sohnes zeigte.

„Gute Nacht, Elias“, sagte sie und nach einer gefühlten Minute beendete sie das Gespräch. Elias legte den Hörer ebenfalls auf. Langsam und er rückte ihn zurecht. Manchmal dachte er daran, wie es sein würde, wenn ihn jemand anderes als seine Eltern anrief. Doch es gab niemanden außer ihnen. Er stellte sich gerade hin und ging dann in die Küche, um dort sein Abendbrot zu machen. Dann aber vermochte er den Herd nicht anzustellen. Das, was ihn die ganze Zeit schon gequält hatte, ließ sich nicht aufschieben. Diese Unruhe und der Druck brachten seinen gesamten Tagesablauf weit mehr durcheinander als die zwanzig Minuten, die er zu spät nach Hause gekommen war. Mit jeder weiteren Minute würde seine tägliche Routine weiter durchbrochen und die Folgen waren noch nicht absehbar. Aber der Druck blieb, wenn er seinem inneren Impuls nicht nachgab.

Mit einem Geschmack auf den Lippen, der ihm unvertraut war, war es ihm nicht möglich, zur täglichen Routine zurückzukehren. Er wusste, dass er riskierte, unausgeglichen zu sein und dass sich seine Gefühle kumulieren würden, bis er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Doch das war ihm im Moment egal. Er ging zum Regal im Wohnzimmer. Lange hatte er mit sich gehadert, die Kiste mit den Zeitschriften so offen hinzustellen. Aber er lebte allein. Niemand schaute nach. Zwar hatten seine Eltern einen Schlüssel zu seiner Wohnung, jedoch durften sie nur, wenn sie wirklich in Sorge waren, hierherkommen und die Tür ohne seine Erlaubnis öffnen. So lautete die Absprache. Dass sie dabei auf die kleine Kiste stießen und sie öffneten, war wenig zu befürchten. Elias nahm sich die Box und setzte sich aufs Sofa. Ehrfürchtig nahm er den Deckel ab und anschließend eine der Zeitschriften heraus, die sich darin befanden. Männer, die Männer küssten, konnte man auf dem Titelblatt sehen. Vor drei Jahren hatte er sie heimlich gekauft. Das Bild hatte ihn, als er es das erste Mal sah, ganz konfus gemacht. Mehrere Wochen war er damals immer wieder in den Kiosk geschlichen und als er die Zeitschrift nicht mehr an ihrem Platz entdecken konnte, war er in Panik geraten. Fast zu spät, weil er voller Anspannung hatte hinauslaufen wollen, bemerkte er, dass es eine neue Ausgabe gegeben hatte. Erst dann hatte er auf den Titel geachtet. Zu abgelenkt vom Titelbild hatte er sie sich nie wirklich durchgelesen.

Es war damals für ihn sehr aufwendig gewesen, sich das erste Exemplar und dann später noch ein paar andere Ausgaben zu besorgen, ohne dass seine Eltern es je bemerkten. Wenn es ihm nicht gut ging oder er aufgeregt war, dann holte er die Kiste vom Regal, setzte sich hin und suchte besonders gern seine erste Ausgabe heraus und strich sanft über das glänzende Papier. Dieses Magazin hatte ihn geweckt und es beruhigte ihn, es zu besitzen. Wie neu war jedes einzelne Blatt, obwohl er sie so oft in den Händen gehalten hatte.

Als er jetzt das Bild ansah, war es ihm, als sähe er es zum ersten Mal. Fassungslos berührte er seine Lippen, während er die Männer betrachtete. Immer hatte er sich gefragt, wie es sich anfühlen mochte, wenn man auf diese Weise geküsst wurde und ob das überhaupt so angenehm sein konnte, wie das Bild der beiden Männer es ihm zeigte.

Er kannte in der Praxis nur die Küsse, die er von seiner Mutter bekommen hatte, als er noch kleiner gewesen war. Nicht sehr häufig, denn er hatte Küsse auf die Wange noch nie gemocht und überhaupt war ihm körperliche Nähe suspekt. Er wusste mittlerweile, dass sich dies ab und zu nicht vermeiden ließ. Aber Küsse auf der Wange mochte er deswegen immer noch nicht. Sens Kuss hingegen war vom ersten Moment an anders gewesen. Es lag etwas darin, das ihn auf eine neue Art unruhig machte und sich ihn wieder danach sehnen ließ, es doch noch einmal mit dem Küssen zu versuchen. Kuss und Kuss schienen zudem nicht dasselbe zu sein, obwohl es keinen Unterschied im Wort selbst gab. Eine Ahnung machte sich in ihm breit.

Langsam ließ er die Zeitschrift sinken. Da war wieder diese Sehnsucht, die damals das erste Mal erwacht war und nie ein konkretes Ziel gefunden hatte. Jetzt erhielt sie neue Nahrung. Elias kannte einen Club, wo er Männer sehen konnte, die andere Männer küssten, der von hier aus in zehn Minuten mit der Straßenbahn zu erreichen war. Er hatte vor vier Monaten davor gestanden, sich die lange Schlange angesehen und in einen Hauseingang gedrückt, bis ihn jemand von dort verjagt hatte. Unverrichteter Dinge war er wieder nach Hause gefahren. Allein die Vorstellung, mit so vielen fremden Menschen um sich herum an einem ihm fremden Ort zu sein, hatte ihn beinahe zusammenbrechen lassen. Fast das ganze Wochenende über hatte er gebraucht, um sich wieder zu beruhigen, und am Montag hatte ihn sein Chef gefragt, ob er krank sei.

Still saß er auf seinem Sofa und dachte an den Kuss von Sen. Einem Mann, der ihn nicht kannte und der, ohne Scham und Zurückhaltung, seine Lippen auf die eines für ihn fremden Mannes gepresst hatte. Und dann die Zunge und die Zähne! Elias wurde wieder heiß. Er blinzelte heftig. Heftig riss er die Zeitschrift an seine Brust, damit er das Bild nicht mehr sah, und versuchte sein schneller schlagendes Herz zu beruhigen. Es war viel zu viel. Besser, er kehrte zu seiner Routine zurück. Es war sicher ein Versehen gewesen. Menschen sagten und taten häufig Dinge, die nicht so waren, wie sie es wirklich meinten. Elias wusste das. Was ihm nie klar, ob sie logen, die Wahrheit sagten und dann wieder vergaßen oder einfach nur unachtsam waren. Oder ob sie eine Absicht verfolgten, wenn sie etwas sagten und dann etwas anderes taten.

Sen hatte sicherlich ein paar schöne Worte verloren, weil er ihm nicht hatte wehtun wollen, und hatte dann sein Ziel, ihn zu küssen, verfolgt, weil ihm alles andere unwichtig gewesen war. Doch er konnte ihm damit nicht wehtun. Nicht auf diese Weise.

Elias legte seinen Schatz wieder in den Karton und stellte diesen zurück auf das Regal. Der Kuss und das Magazin waren die bisher schönsten Erinnerungen in seinem Leben. Danach kam der Auszug, der erste Morgen in seiner eigenen Wohnung und die Prüfung, die er bestanden hatte und die ihm gezeigt hatte, dass er alles schaffen konnte. Er war an dem Tag sehr glücklich gewesen, bedeutete sein Bestehen doch, dass er kein Gefangener seiner Grenzen war.

Elias eilte in die Küche. Jetzt hatte er Hunger und er musste noch seine Serie schauen. Dann konnte er schlafen gehen.

2

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Elias hatte Seamus nicht wiedergesehen. Nicht am nächsten Tag und auch nicht am Tag darauf. Aber das war auch kein Wunder. Das Beet, das er angelegt hatte, war fertig und seine Arbeit war jetzt an anderer Stelle in der Stadt, die so groß war, dass er ihre Ausmaße nicht kannte. Dafür kannte er aber die Beete, Rabatten und Parks.

Die nächsten zwei Wochen arbeitete er in einem Team aus drei Kollegen an einem sehr viel größeren Projekt. Es war für ihn nicht immer einfach, ihre Nähe zu ertragen. Leicht war es aber bei den Kollegen, die ihn bereits seit seiner Ausbildung kannten. Doch dieses Mal war ein neuer Kollege dabei, der ihn immer wieder beobachtete, ansprach und nicht in Ruhe ließ. Erst als Max, sein Chef, ein grauhaariger Mann mit einem breiten Kreuz wie ein Bodybuilder und einer Stimme, die weit trug, diesem Einhalt gebot, wurde es besser.

Am dritten Tag zur Mittagspause hatte sich Max zudem zu ihm gesetzt. „Du musst sagen, was du nicht willst“, hatte er erklärt. „Manche Menschen sind wie Schmeißfliegen. Sie merken erst, dass sie nerven, wenn man sie erschlägt.“

„Valentin ist keine Fliege“, hatte Elias geantwortet und in sein Brot gebissen. Max hatte gutmütig gelacht und ihn durch seine Anwesenheit vor weiterer Zudringlichkeit geschützt. Das half zwar nur so lange, wie er da war, jedoch gab es Elias die Zeit, sich eine Strategie zu überlegen – erfolglos. Er wusste nicht genau, was er mit Menschen wie Valentin machen sollte.

„Bist du zurückgeblieben?“, fragte dieser ihn gerade. Er war über die halbe Anlage zu ihm rüber gerobbt, obwohl dieser Teil der Beete nicht zu seinem Einsatzgebiet gehörte. Wenn Valentin nicht seine Arbeit machte, würden sie nicht rechtzeitig fertig werden. Elias hatte den Plan für die Anpflanzungen im Kopf. Dazu gehörten auch die Zeitpläne. So etwas störte ihn ungemein. Die Dinge mussten ihre Ordnung haben und mit Ordnung kannte er sich aus.

„Hey, Holzkopf!“, zischte Valentin. „Bist du bescheuert?“

Er sprach das letzte Wort sehr langsam aus. Es hatte Zeiten gegeben, da war Elias traurig gewesen. Auch heute war das noch der Fall. Er verstand nicht, warum man ihn nicht einfach in Ruhe ließ, denn er begriff nicht, was andere Menschen dazu bewog, ihm wehzutun.

Valentin kam noch näher. „Du bist dumm!“, sagte er und kicherte. „So ein richtiger Volltrottel. Dir hat man wohl nicht zugetraut, etwas Richtiges zu lernen, oder?“

Jetzt blickte Elias auf. „Dir anscheinend auch nicht, denn du bist hier bei mir.“

„Was?“ Fast mit einem Satz war Valentin auf den Beinen. „Hast du mich gerade beleidigt?“ Die Hände waren zu Fäusten geballt und das Gesicht war rot vor Zorn. Elias kannte die Zeichen. Es war besser, wenn er sich trollte. Dabei durfte er Valentin auf keinen Fall den Rücken zukehren. Das würde dieser als Zeichen der Schwäche nehmen und ihn niederschlagen. Diese Verhaltensweisen waren eine ständige Wiederholung. Praktisch, wenn man sie einschätzen lernen musste, um sich Pläne für die nahe Zukunft zurechtzulegen. Schmerzhaft, wenn er sich verschätzte.

„Valentin, was suchst du da? Du bist im Abschnitt C. Mach dich an deine Arbeit“, donnerte Max vom anderen Ende der Rabatten.

Elias blieb stehen und ließ Valentin nicht aus den Augen.

„Das hier ist noch nicht zu Ende, Dummkopf“, zischte der und ging zurück zu seinem Arbeitsgebiet.

Elias seufzte. Er überschlug die Anzahl der folgenden Auseinandersetzungen. Das war nicht gut. Mit fünf- bis sechsmal musste er rechnen. Und er war nicht gut in Schlägereien. Er konnte kein Blut sehen. Allein die Vorstellung davon blockierte ihn. Wenn er etwas kaputt machte, waren es meist Spielzeuge und Türen gewesen. Und als er kleiner war, sich selbst. Doch allein die Vorstellung, unter seinen Fäusten jemanden bluten zu sehen, verursachte bei ihm Panik. Einmal hatte er seine Hände erhoben gehabt und das Gesicht, das unter diesen gewesen war, war voller Angst gewesen und überall war Blut. Blut an ihm und Blut bei dem anderen Kind.

Elias schüttelte den Kopf.

Valentin stapfte davon. Er blickte sich nicht um, sondern ließ sich demonstrativ auf seinem Gebiet nieder.

Am Abend, nachdem sie ihr Arbeitsgerät abgegeben hatten, lauerte ihm Valentin am Hofausgang der Firma auf. „Max hält die Hand über dich. Schon verstanden. Du bist wohl so etwas wie das Maskottchen der Firma. Aber ich habe dich durchschaut. Du machst einen auf nett und klein und niedlich, um dich hoch zu schleimen. Ich habe schon mal so jemanden wie dich woanders gehabt. Ich mache dich fertig und werde nicht zulassen, dass du mir in den Rücken fällst. Ein Wort zu Max und du wirst was …“

„Hallo Elias! Wie war dein Tag?“

Elias blinzelte gegen die Sonne. Bis jetzt hatte er vor Valentin gestanden, ohne sich rühren zu können. Seine Gedanken waren erlahmt und er hatte gehofft, dass Valentin einfach ging. Sen hatte ihn aus der Starre gerissen. Seamus, korrigierte Elias im Kopf. Er hieß Seamus und wurde Sen genannt.

Wie hatte er ihn gefunden?

Die Frage war nur für einen Moment interessant, denn sicher hatte Sen den Namen der Firma auf seinem Overall gelesen: „Gärtnerei Schulte“. Der Rest war einfach. Gelbe Seiten oder Internet, wobei es wohl eher das Internet war. Die Wahrscheinlichkeit war höher.

„Guten Abend, Sen“, grüßte Elias höflich. „Es war heiß heute. Wir mussten sehr viel Wasser in die Beete leiten, damit die Blumen nicht verwelken.“

„Ah, dann hast du sicherlich auch Durst. Kann ich dich einladen?“ Sen trug heute Jeans und Hemd. Dazu wieder ein Tuch, das aus der Hosentasche hing. Es war schwarzgrün. Farben hatten Bedeutungen und vielleicht bekam er heraus, ob diese Farben auch einen Sinn hatten. Aber zuvor musste er die Frage mit der Einladung beantworten.

„Ich muss nach Hause. Vielen Dank“, sagte er immer noch im gleichen Tonfall. Dabei erinnerte er sich, dass er die Stimmlage variieren sollte. Im Moment war er für solche Sachen einfach zu müde und er hatte großen Durst, obwohl er viel getrunken hatte.

„Dann bringe ich dich nach Hause. Bin mit dem Fahrrad hier.“ Sen deutete zur Parkplatzeinfahrt der Firma. Tatsächlich stand dort ein fremdes Fahrrad.

„Ich fahre mit der Straßenbahn nach Hause. Ich muss jetzt los, damit ich sie nicht verpasse.“

„Okay“, meinte Sen.

„Wer bist du?“, hakte sich Valentin ein, der Sen bisher eindeutig taxiert hatte und Vorsicht und Zurückhaltung in seine Gesten legte.

„Ich bin Elias’ Freund. Wir hängen ab und an rum.“

„Du und der? Ihr seid Freunde?“

Elias blickte zum Hofausgang. War es sehr unhöflich, wenn er die zwei einfach stehen ließ? Da sie sich gerade gegenseitig nieder starrten, entschied er, dass sie beschäftigt genug waren.

„Auf keinen Fall seid ihr Freunde. Er ist ein Freak und du … keine Ahnung, was du bist. Aber eine andere Art Freak.“

„Du solltest aufpassen, was du sagst. Denn ich Freak hau dir eine runter und glaube mir, du stehst so schnell nicht wieder auf.“

Elias befahl sich, den geordneten Rückzug anzutreten. Die Gelegenheit war günstig. Zudem, wenn er sich beeilte, bekam er noch seine Straßenbahn. Ohne zu rennen, aber eindeutig zügig lief er aus der Hofeinfahrt, grüßte noch mit einer Handbewegung Max, der gerade aus dem Büro trat und ihm schönen Feierabend wünschte. Dann hatte er den Hof hinter sich gelassen. Er hörte noch Max etwas rufen, aber es ging um Valentin und er war nicht gemeint.

Max war beeindruckend genug, um sich Respekt zu verschaffen und Valentin hatte morgen genug Gelegenheiten, ihm zu sagen, dass er ein Freak war und dann konnte er ihm auch erneut Prügel androhen. Elias musste zugeben, dass es sehr anstrengend war, ruhig zu bleiben. Aber er war stolz auf sich, dass er Hände, Füße und Gesicht unter Kontrolle hatte.

„Hey, Elias! Warte!“

Das war Sen. Elias entschied sich dagegen, stehen zu bleiben. Er hatte noch eine Minute laut Anzeige, die sich in Sichtweite befand, bis die Straßenbahn kam, und dann musste er auch seine Monatskarte heraussuchen. Das brauchte auch ein paar Sekunden. Besser, er lief ein wenig schneller.

Er war etwas außer Atem, als er beim Wartehäuschen ankam. Ein wenig langsamer folgte ihm Sen auf dem Fahrrad. Er hätte ihn locker überholen können.

„Bist du vor mir davongelaufen?“, fragte er, als er bei ihm zu stehen kam.

Elias schluckte den Speichel runter, der sich in seinem Mund gesammelt hatte, und schöpfte nach Atem. Noch immer atemlos schüttelte er den Kopf und deutete über sich.

„Ah, deine Straßenbahn. Klar. Dieser grauhaarige Berserker hat mich vom Hof geworfen und dem anderen die Meinung gegeigt, als ich noch gesagt habe, dass er dich geärgert hat. Ich fürchte, morgen wird der dich auf dem Kieker haben.“

Elias gab einen Schnaufer von sich. „Manche Menschen sind so“, sagte er nur.

„Er ist ein Idiot.“

Elias lächelte mit Blick zum Boden. Valentin hatte ihn als Vollidioten bezeichnet und jetzt wurde dieser von Sen so genannt. Dass das „Voll“ fehlt, darüber konnte er hinwegsehen.

„Du lächelst“, stellte Sen fest.

Elias schaute ertappt auf. Die Straßenbahn fuhr heran und die Türen öffneten sich. „Hallo Elias. Du bist pünktlich“, sagte die Fahrerin. Elias blickte sie an und er wusste nicht, was er als Erstes tun sollte.

„Ja, ist er“, sagte Sen. „Ich fahre heute mit ihm mit.“

„Ah, ein Freund. Dann steigt ein. Aber das Fahrrad musst du extra bezahlen.“

„Kein Problem.“

Elias suchte eilig seine Karte heraus und zeigte sie vor. „Danke, Doro“, murmelte er. „Heute bin ich pünktlich“, bestätigte er und stieg ein. Doro lächelte ihn an. Dann schaute sie Sen an. Der hielt ihr Geld hin und sie gab ihm dafür das Ticket. „Ich mach dir in der Mitte auf.“

„Danke“, rief Sen geradezu fröhlich und stieg dann zu Elias ein, der sich an seinen Lieblingsplatz gesetzt hatte.

„Du kennst die Fahrerin mit Namen?“, fragte Sen ganz leise.

Elias, der angestrengt nach draußen gesehen hatte, sah sich gezwungen, Sen anzuschauen. „Ja, meine Mutter hat mich allen Fahrern vorgestellt, die ich auf dieser Strecke sehen werde. Wir sind mehrfach gefahren, damit ich sie alle erkenne und sie wissen, wer ich bin.“

„Und das ist wichtig“, stellte Sen fest.

Elias nickte. „Wenn ich Probleme habe, wissen sie, was sie machen können.“

„Ah, verstehe. Und, was sind das für Probleme?“

Die Straßenbahn fuhr an und Elias hielt sich fest. „Die meisten Menschen verstehen es nicht. Sie lachen mich aus. Warum fragst du?“

„Weil ich dich geküsst habe.“

Elias fühlte, wie seine Wangen heiß wurden. „Das hast du“, flüsterte er. Er wagte nicht, wieder aufzublicken. Sen strich ihm über den Handrücken und berührte dabei die Stellen, wo die Haut weiß geworden war und sich die Knöchel abzeichneten.

„Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Das hast du nicht“, versicherte Elias. „Aber du warst der Erste, der mich so geküsst hat.“

„Oh!“ Einen Moment war atemlose Stille. Dann sagte Sen: „Ohhhh!“ Und es war ein sehr viel längerer Ausruf des Erstaunens. Das Zeichen, dass er etwas verstanden hatte. „Ich hatte das im Spaß gesagt. Aber mir gefällt es, dass ich der erste Mann gewesen bin, der dich je geküsst hat.“

Elias blickte auf. „War es auch der erste Kuss für dich?“

Sen lächelte ihn an. „Nein! Ich bin der Meinung, niemand sollte in seinem Leben ungeküsst bleiben. So ein hübscher Kerl und kein Mann, der sich zu dir hingezogen fühlt. Ich bin der Erste für dich. Ich habe wirklich Glück.“

„Ich bin anders.“ Elias blickte wieder zur Seite und zum Fenster hinaus. „Valentin hat recht. Ich bin ein Freak. Schon immer gewesen.“

„Glaube ich nicht.“ Sen hatte sich vorgebeugt. „Und außerdem sind alle Menschen Freaks. Auf die eine oder andere Weise. Mag sein, dass du besonders bist, aber ich kenne keinen Menschen, der normal ist und das ist das einzig Normale. Und du bist kein Freak und wenn, dann ist jeder einer. Und ganz bestimmt bist du nicht dumm. Weißt du, was du bist? Ich glaube, du bist ein hervorragender Küsser. Die Frage ist jetzt, magst du mich küssen?“

Elias überlegte und zuckte dann mit der Schulter. „Ich glaube schon“, gab er dann aber zu. „Nur … ich glaube nicht, dass ich das tun sollte.“

„Warum nicht?“

Elias riss sich von der Aussicht des Straßenzugs los, den er sowieso schon gut genug kannte. Er blickte Sen in die Augen. „Ich kann Menschen nicht gut einschätzen. Nimmst du mich ernst? Oder willst du mich aufziehen?“

Sen richtete sich auf. Er wirkte erschrocken.

„Auf keinen Fall. Ich will dich auf keinen Fall aufziehen. Aber ich würde dich gern noch einmal küssen. Ich weiß, dass das ein Problem geben kann. Es gibt Menschen, die es nicht gern sehen, wenn zwei Männer sich küssen. Doch ich denke, du magst es.“

Elias nickte. „Ja“, flüsterte er. Das Lächeln war von ganz allein da. Er konnte es nicht verhindern und automatisch wanderte sein Blick zu Sens Lippen. Ja, er wollte Sen küssen und ein kleiner Seufzer stieg in ihm auf. Hastig blickte er zur Seite. „Es gibt Probleme, wenn zwei Männer sich küssen und wenn sie zusammen sind und mehr als nur Freunde beim Fußballspiel sein wollen. Es gibt akzeptierte Regeln. Alles, was außerhalb ist, stellt ein Problem dar und wird in der Öffentlichkeit nicht gern gesehen“, dozierte er.

„Hat dir wer das gesagt?“

Elias schüttelte den Kopf, ohne sich nach ihm umzublicken. „Ich habe viel gelesen und viel beobachtet. Es ist die Essenz aus allem. Ich weiß, dass ich schwul bin. So werden Männer bezeichnet, die wie ich sind. Mädchen und Frauen sind nett. Ich mag sie. Aber …“

„Es kribbelt nur bei Männern und dann gibt es da noch diese Spannung. Und dann das Lächeln, das du da gerade zeigst. Das verursachen keine Mädchen und keine Frauen bei dir.“

Elias schüttelte den Kopf. „Ich bin schon Freak genug. Ich kann mich nicht schlagen und wenn ich auch noch … so anders bin.“ Er schloss die Augen. „Ich bin nicht normal. Spektrum-Störung nennt es der Arzt.“

„Autismus“, murmelte Sen.

Elias blickte wieder zu ihm. „Nur ein Idiot im täglichen Leben. Du kannst mich gern noch einmal küssen. Es würde mir gefallen. Aber dann sollten wir uns nicht erneut treffen. Du wirst einen Besseren als mich finden.“

„Das meinst du nicht ernst, oder?“

Elias lächelte und es schmerzte ihn. Nicht, weil er nicht lächeln konnte, auch wenn er weit weniger geübt war als die meisten Menschen. Nein, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass Sen überhaupt eine Ahnung hatte, auf was für eine Art Mensch er sich mit ihm einlassen würde. „Es ist mein Ernst. Du denkst, das ist ein Spiel. Das ich spiele. Die meisten Menschen finden mich anstrengend. Aber ich spiele nicht. Ich bin das, was du siehst. Manchmal schaue ich Menschen, wie du einer bist, lange an und ich verstehe nicht, was sie bewegt. Oder ich ticke aus. Ich habe mich nicht unter Kontrolle. Wenn ich viel Stress habe und mich nicht mehr an die Regeln gehalten habe, dann kann es sein, dass ich um mich schlage, kratze, herumschreie und -laufe. Das kann ich nicht kontrollieren. Du wirst dir das anschauen und dich fragen, was ist das für einer? Das ist mir zu kompliziert. Viel zu nervig. Das ist es, was die Menschen mir sagen. Ich bin anders und ich meine das wirklich so. Ich bin froh, dass du mich geküsst hast. Aber ich kann dir nicht folgen, wohin du gehst. Und du kannst mir nicht folgen. Ich versuche seit einem halben Jahr, in einer eigenen Wohnung zu leben. Allein. Meine Mutter kommt vorbei, um zu schauen, ob ich es allein schaffe. Ich …“ Elias spürte, wie sich sein Brustkorb zusammenzog. Er bekam schlecht Luft, weil er sich aufregte. Schon der Gedanke, dass er es nicht schaffen würde, sein Leben allein zu leben, brachte ihn in Not. Wenn er sich auch noch vorstellte, wie es wäre, einen Mann lieben zu können, das würde er nicht schaffen. Es war aufregend. Und Aufregung war Gift.

Plötzlich fühlte er warm und stark Sens Hand auf seiner. Er sah sie an. Lange. Das Gefühl von Haut auf Haut war fast zu viel. Schon die Lippen auf seinen Lippen hatten etwas mit ihm gemacht, das eigentlich nicht gut war. Aber die warme, weiche Haut. Ein wenig rau und die Ahnung von Hornhaut und Schwielen. Die Knochen und Muskeln darunter. Winzigen Bewegungen, die er erspürte. Er konnte die Härchen sehen und die feinen Rillen, die die Haut bildete. Sie war nicht glatt. Niemals war sie glatt und doch fühlte sie sich so an. Es war ein Wunder. Beweglich und kraftvoll. Elias verlor sich in dem Anblick und er schwankte darin, ob er seine Hand wegziehen sollte oder nicht. Doch das hätte bedeutet, Reibung zu erzeugen. Noch mehr Wärme, noch mehr Berührung. Er blickte auf und Sen in die Augen. Trocken schluckte er. „Nicht anfassen“, bat er leise.

Sen hob langsam seine Hand. „Ich bin geduldig, wenn ich weiß, dass es sich lohnt“, flüsterte dieser.

Elias blickte zur Tür, als die Straßenbahn anhielt. Am Rande hatte er wahrgenommen, dass das der fünfte Halt war. Er sah die vertraute Haltestelle und die Häuser. „Ich muss aussteigen“, sagte er und stand auf. Er war draußen, als Sen sein Fahrrad ebenfalls rausschob.

„Ich sagte, ich begleite dich.“

„Und was muss ich dafür tun, dass du es nicht tust?“

Sen blieb stehen und betrachtete Elias eine ganze Weile. Sogar die Straßenbahn war schon weggefahren. Elias überschlug die Zeit. Er musste nach Hause, bevor der allabendliche Anruf seiner Mutter kam und sie sich Sorgen machte. Sie würde kommen wollen und das wollte er nicht.

„Ich habe nicht vor, dich zu etwas zu zwingen, was du nicht willst“, sagte Sen endlich. „Doch ich habe das Gefühl, dass du es eigentlich willst. Ganz tief in deinem Inneren willst du wissen, wie es ist. Richtig ist. Nicht so. Nicht nur ein kurzer Kuss. Ich verstehe nicht alles, was du sagst. Nichts von den Regeln und allem anderen. Aber ich glaube, du stehst ganz schön unter Stress.“

„Die Regeln sollen den Stress minimieren“, erläuterte Elias.

„Und sie verschaffen dir weiteren Stress, wenn du es nicht schaffst. Ich habe keine Ahnung, wie dein Leben ist. Aber ich kann dich ein Stück begleiten, wenn du magst und wenn du möchtest, zeige ich dir ein Stück von meinem und dann, wenn du willst, küssen wir uns.“

Die letzten drei Worte entfachten in Elias eine Sehnsucht, die er in Ansätzen schon kannte, aber noch nie so stark gefühlt hatte. Er hätte alles dafür gegeben, um normal zu sein. So zu sein wie Sen, der eigentlich Seamus hieß und Parkour lief oder Artist war. Der stark war. Selbstbewusst. Der nicht überlegte, wie er den Tag schaffen konnte, ohne dabei Blicke auf sich zu ziehen, die den Tadel in sich trugen.

Elias’ Augen brannten und er hasste das Gefühl. Es war Schwäche, die er nicht zulassen wollte und durfte. „Danke“, sagte er und wandte sich ab.

Dass Sen ihm folgte, konnte er nicht verhindern. Er hatte ja auch beim zweiten Angebot nicht gesagt, dass er ihm nicht folgen sollte. Vielmehr ging ihm auf, dass das Danke jetzt wie eine Einladung gewirkt hatte. Seine Gedanken und Wünsche präziser zu formulieren, dafür fehlte ihm die Kraft. Sen hatte eine Grenze überschritten, von der dieser nicht einmal wusste, dass sie existierte. Das Gefecht war verloren. Müde ging er vor, Sen einen Viertelschritt hinter ihm.

Beim Haus schloss der sein Fahrrad ab, als Elias seinen Schlüssel herausholte und war hinter ihm ins Haus getreten, ehe die Tür zufiel. Elias blickte ihn fragend an und Sen lächelte. „Ich bring dich nach Hause“, wiederholte er.

Elias nickte und ging die Treppen hinauf. Sen immer hinter sich. Als er vor der Wohnungstür stand, hörte er schon das Klingeln des Telefons. Seine Hand zitterte, als er den Schlüssel hielt, ohne dass er sich dazu bringen konnte, ihn ins Schloss zu stecken. Es war Sen, der ihn ihm aus der Hand nahm und aufschloss. Sanft drehte er Elias zu sich und blickte ihm ins Gesicht, musterte ihn geradezu. „Angst ist nicht das Problem“, sagte er, „du musst nur deinem Mut vertrauen.“ Die rätselhaften Worte sickerten in Elias ein. Er verstand nicht, was Sen damit meinte. Er sah aber, wie dieser einen Schritt zurückwich, sich umdrehte und dann die Treppe hinuntereilte. „Du solltest den Hörer abnehmen“, rief Sen noch aus dem Erdgeschoss, dann hörte Elias, wie die Haustür auf- und wieder zuging.

Elias erwachte wie aus einem Traum und rannte zum Telefon. Bevor er aber den Hörer abnahm, atmete er tief durch. Auf keinen Fall wollte er atemlos klingen. „Hallo Mum“, grüßte er.

Einmal mehr hatte sie sich Sorgen gemacht. Elias konnte sich kaum auf ihre Worte konzentrieren, aber er spürte, dass er sie mit ein paar Worten beruhigen konnte, ohne dass er sich selbst dabei zuhören wollte. Als sie endlich etwas weniger besorgt auflegte, sah Elias, dass die Wohnungstür noch offen stand. Für einen Moment blieb er unschlüssig stehen. Er wusste nicht, was er tun sollte, bis das Gefühl der Unwirklichkeit und des Kontrollverlusts endeten.

Eilig ging er zur Tür und schloss sie mit Nachdruck. Sen brachte ihn durcheinander und dann geschahen solche Dinge. Er wusste nicht, was er fühlen und was er denken sollte. Dadurch wurde er zu einem Spielball seiner Unfähigkeit. Elias zitterte bei dem Gedanken, was dann passieren würde. Er hatte so lange darum gekämpft, dieses Leben zu schaffen. Jetzt stand er aufgrund eines einfachen Kusses davor, alles zu verlieren. Gleichzeitig sehnte er sich danach, dass Sen wirklich hielt, was er versprach. Dass er ihn küsste. Die Hand auf seiner … Elias schloss die Augen und sank auf den Boden. Er schaffte es nicht, sich zusammenzureißen. Wie lange er letztlich dort auf dem Boden saß, sich selbst umarmte und versuchte, den Aufruhr in sich zu besänftigen, vermochte er nicht zu sagen. Als er sich wieder aufrichten konnte, war es bereits dunkel. Sein Magen knurrte und er hatte Durst. Außer ein paar Schokoriegeln und zwei Gläsern Wasser mochte er aber nichts zu sich nehmen oder gar etwas zubereiten. Die Erschöpfung war tief und so erwog er sogar, sich mit seinen Sachen ins Bett zu legen und zu schlafen. Aber er musste die innere und äußere Ordnung so weit aufrechterhalten, wie es nur möglich war. Daher zog er sich aus, putzte sich die Zähne, zog seinen Pyjama über und fiel mehr, als dass er sich legte, ins Bett.

Sein Schlaf war die Nacht über unruhig und immer wieder wachte er orientierungslos auf, ohne sagen zu können, was ihn geweckt hatte. Am Morgen darauf und auch an den nächsten Morgen glich er mehr einem Zombie und er ahnte, dass er das nicht lange durchhalten würde, ohne dass es jemandem auffiel. Valentins Anwesenheit sorgte für weiteren Stress, wenn es seinem Kollegen auch nicht mehr gelang, direkt an ihn heranzukommen. Immer schien Max etwas für ihn zu tun zu haben, sodass er ihm kaum noch auflauern konnte.

Seltsamerweise war es allerdings Sens Anwesenheit am Abend, die ihm zumindest für die kurze Zeit des Nachhausewegs Ruhe verschaffte. Am vierten Tag jedoch machte sich sein Schlafdefizit und seine Unruhe auch für Sen so weit bemerkbar, dass er Elias in die Wohnung begleitete und nach dem Anruf von dessen Mutter beunruhigt musterte. Elias kannte diese Art Blicke auf sich. Er mochte sie nicht und er wollte nicht, dass Sen ihn so ansah.

Sen ging nach ein, zwei Minuten zur Tür. Länger konnte er ihn auf keinen Fall angeschaut haben. Elias dachte, er würde jetzt gehen. Einfach so. Normalerweise gingen Menschen nicht, ohne zumindest Tschüss oder etwas Ähnliches zu sagen. Doch Sen schloss die Tür und blieb in der Wohnung.

Elias atmete unwillkürlich schneller. Noch nie war ein Fremder hier gewesen. Hilflos verknotete er seine Finger. Jedes Wort, das ihm hätte einfallen können, entfloh ihm, bevor es seine Zunge berührte. Sen kam wieder zu ihm, ohne ihn jedoch zu berühren. Elias konnte den Blick nicht ertragen und schaute haarscharf an ihm vorbei.

„Okay“, sagte Sen ernst und Elias fragte sich, was okay sei. „Ich habe nur eine Ahnung, wenn ich auch noch nicht sicher bin. Doch ich denke, ich werde es einfach mal riskieren und damit leider auch du. Ich bleibe bei dir. Du siehst, ehrlich gesagt, scheiße aus und ich glaube, es liegt an mir, aber auch an dir. Du denkst, du tust etwas Falsches und gleichzeitig kommen dir wahrscheinlich die seit mehr als einem Jahrzehnt angestauten Hormone aus den Ohren. Vermutlich hattest du noch nie auch nur im Ansatz etwas mit einem Kerl. Hast dadurch Probleme, die du versuchst mit Regeln in den Griff zu bekommen. Jetzt weißt du nicht, was du tun sollst. Gleichzeitig müssten ein paar neue Regeln aufgestellt werden und ein paar umgeschrieben. Ich fürchte jedoch, das wirst du tun müssen. Ich mache dir daher ein Angebot. Ich passe jetzt auf dich auf, dass du mir nicht aus den Latschen kippst. Du wirst mir sagen, was du sonst so tust und ich werde sehen, dass ich mich nicht allzu ungeschickt dabei anstelle. Ich denke“, Sen blickte sich kurz um, „du hast einen Ordnungsfimmel, was auch zu den Regeln passen würde. Also, was steht an?“

Elias hatte die Augen aufgerissen. Noch immer wagte er nicht, Sen anzuschauen.

„Abendbrot? Hände waschen? Sich einen runterholen?“

Elias konnte bei diesen Worten nicht mehr an Sen vorbeischauen. Er musste wissen, was der dachte. Dieser grinste ihn an. „Okay, das hilft offenbar.“

„In der Reihenfolge?“, fragte Elias ungläubig.

„Oder in jeder anderen. Ich richte mich da ganz nach dir.“

Elias wich einen halben Schritt zurück und versuchte Sens Haltung einzuschätzen. Da war kein Angriff zu erkennen. „Du willst hier bei mir bleiben?“, fragte er vorsichtshalber.

Sen nickte. „Klar. Du siehst aus wie der Tod auf Urlaub. Ich versetze dich in Stress, also will ich mal sehen, ob ich was wiedergutmachen kann. Ich fürchte, dafür wirst du anderen Stress bekommen. Nur, ich habe so das Gefühl, das könnte sogar die Lösung sein. Aber na ja, was weiß ich schon so genau? Also, Abendbrot?“

„Hände waschen“, stellte Elias die Reihenfolge um.

„Und dann einen runterholen?“

Elias schloss die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein, ich … nein. Ähm … Abendbrot.“

Er fühlte, dass er rot wurde und das war peinlich und irgendwie auch erleichternd. Denn diese Reaktion war normal. Es durfte ihm unangenehm sein. So viel wusste er.

„Dann Abendbrot“, meinte Sen und stapfte regelrecht in die Küche. Elias blinzelte nervös, ging zur Tür und zog sich erst einmal seine Schuhe aus, dann überlegte er. Normalerweise wusch er sich in der Küche die Hände. Doch da war jetzt Sen. Besser er ging ins Bad. „Wo bist du?“, rief Sen und kam auch schon nach, als Elias im Bad nach dem Handtuch griff.

„Ah, das mit dem Händewaschen war offenbar richtig.“

Elias trocknete seine Finger besonders sorgfältig ab. Er hörte auch nicht auf, als Sen zu ihm ins Bad trat und sich ebenfalls die Hände wusch. „Also, wie ich das sehe, hast du ein paar Schwierigkeiten. Ich dachte jetzt so, dass wir was essen. Gemeinsam, wenn du magst. Ich kann dir auch zuschauen. Und dann gebe ich dir die Gelegenheit, dich an mich zu gewöhnen. Ich werde einfach so rumliegen und du kannst das tun, was immer du tun willst. Ich werde dich nicht ansprechen, wenn du das nicht möchtest, dich nicht berühren und auch sonst nichts. Aber ich werde bleiben.“

Elias betrachtete die Hände von Sen, die jetzt auch das Handtuch berührten und dabei fast seine, da er es bisher nicht losgelassen hatte.

„Du kannst natürlich auch die Bullen rufen und sagen, dass du einen Irren in deiner Wohnung hast und er nicht wieder geht. Ich werde dann wegen Hausfriedensbruch und Stalkerei verknackt. Und keine Sorge: Ich werde nichts davon abstreiten.“

Elias blickte zu ihm auf.

„Verdammte Scheiße“, flüsterte Sen. „Wie kann man nur so schauen, wie du gerade schaust?“

Elias schoss das Blut erneut ins Gesicht und er wandte sich hastig ab.

„Hey, ich wollte dich nicht beleidigen. Aber ehrlich, wenn du so guckst, dann kann ich dir eigentlich nur verfallen und dich auf Knien anflehen, mir eine Chance zu geben. Bitte …!“

Elias hielt sich am Türrahmen fest und atmete tief durch. „Abendbrot ist gut“, sagte er mit so fester Stimme, wie es ihm möglich war.

„Echt? Du wirfst mich nicht raus? Danke! Danke!“

Elias biss sich kurz auf die Lippen, ehe er fast fluchtartig das Bad verließ. Dass er dabei keinen Abstand zwischen sich und Sen gewann, wusste er, denn er hörte dessen Schuhe auf dem Boden. Sen schien in dem Moment zu bemerken, dass das nicht die Art war, wie man in der Wohnung herumlief. „Du bist barfuß?“

Elias drehte sich um und sah, wie Sen einbeinig zur Tür hüpfte und dabei einen Schuh auszog. Das Manöver wiederholte sich, als er den anderen abzog und erst den letzten Schritt zur Bank auf beiden Beinen absolvierte, um dort seine Schuhe neben die von Elias zu stellen. Der Anblick gefiel ihm. Ordentlich nebeneinander standen sie und es war, als würden sie trotz ihrer Unterschiedlichkeit gut zueinander passen. Schwere Arbeitsschuhe neben leichten Turnschuhen. Er mochte so etwas. Wie gelbe Blumen neben blauen. Die Farben explodierten dann und ließen ihn träumen.

Sen sah ihn mit einem Lächeln an. „Du kannst ruhig sagen, wenn ich was falsch mache.“

Elias blickte wieder auf und hatte Mühe, die Informationen richtig einzuordnen. Was genau meinte Sen mit falsch machen?

„So, und jetzt Abendbrot. Das war doch, was du vorhattest?“

Elias nickte automatisch. Noch immer wusste er nicht, was für Fehler Sen meinte. Aber er erkannte, dass er wohl darauf so schnell nicht zurückkommen würde und wandte sich um. Er fühlte mehr als dass er hörte, wie ihm Sen folgte. In der Küche wollte er vorbereiten, was er alles brauchte. Als er aber nach einem Teller aus dem Schrank griff, musste er jedoch zugeben, dass nichts so war wie an den Abenden ohne Sen in seiner Küche.

Er spürte die leichten Muskelzuckungen um seine Augen. Erst als Elias Sens Hand auf seiner fühlte, bemerkte er, dass er einfach so erstarrt war. Dies war schon lange nicht mehr geschehen und er atmete zittrig ein und aus.

„Soll ich gehen?“, fragte Sen leise.

Elias schüttelte den Kopf. „Du bist nett“, flüsterte er. „Du bist noch hier und sagst nicht, dass ich ein Freak bin.“

„Du bist kein Freak. Ich bin in dein Leben eingedrungen und habe mich dir aufgedrängt und das bringt dich durcheinander. Ich verstehe nicht alles, aber ich weiß, wenn ich die Verantwortung für etwas trage. Und ich trage die Verantwortung für deine Verwirrung. Vertraust du mir?“

Elias musste nicht einmal überlegen. Er nickte, ohne Sen dabei anzuschauen. „In Ordnung. Ich werde einfach mal raten, was du machst. Du setzt dich hin und versuchst dich zu beruhigen. Probieren wir einfach aus, ob das geht und ich würde sagen, dass ich dich vorher noch einmal küsse. Küssen kann einen ganz schön ablenken.“

Elias sah auf. Zu spät bemerkte er, dass seine Lippen einen Spalt weit geöffnet waren und er merkte es erst, als Sen über selbige leckte und dann seine Zunge dazwischen steckte.

Elias hielt die Luft an, die Hände zu Fäusten geballt wagte er nicht, sich zu bewegen. Er wollte nicht, dass es aufhörte und gleichzeitig brachte alles, die Berührungen, der Geschmack, dieser Mann – alles davon – ihn völlig durcheinander. Halb in Trance wurde er von Sen zurückgeschoben und auf einen von den zwei Küchenstühlen gesetzt.

„Also, Abendbrot“, stellte Sen fest, nachdem er zurückgewichen war, ihn betrachtete und dabei die Hände rieb. „Ich lade mich mal kurzerhand selbst ein, dann isst du nicht allein. Ich glaube, das passiert recht häufig. Man sollte nicht allein essen. Das ist nicht gut für die Seele“, erklärte er mit ernsthafter Stimme. Vor Elias kamen zwei Teller sowie Besteck für zwei Personen zu stehen. „Ich vermute, es gibt kalte Küche. Brot, Wurst, ah, Butter …“ Weitere Sachen fanden ihren Weg auf den Tisch. Elias begann sie zu sortieren und Sen stellte einfach alles, was er fand, dazu.

„Das ist für das Frühstück“, sagte er, als Sen die Marmelade aus dem Kühlschrank genommen hatte.

„Schon mal Käse mit Marmelade gegessen?“, fragte der ihn.

Elias überlegte und konnte nur feststellen, dass dem nicht so war.

„Du musst es probieren. Ich sage dir, es schmeckt sehr gut.“

„In Ordnung“, stimmte Elias zu, ohne verhindern zu können, dass er dabei skeptisch klang. Sen ließ sich davon nicht aufhalten.

„Tee“, sagte Elias nach einer Weile. Sen hatte die Schränke geöffnet und irgendwann Gläser und Tassen gefunden.

„Du trinkst am Abend Tee?“

„Ja, trinke ich.“

Sen ging ein paar Schranktüren zurück und sah auf das, was er schon zuvor gesehen hatte. „Oh Gott, das letzte Mal hatte ich Tee, als ich acht Jahre alt war.“

Elias wusste nicht, warum ihm das unangenehm war, aber es war so. „Ich habe nur noch Wasser da“, sagte er.

Sen schien zu spüren, dass er ihn mit der Anmerkung in Verlegenheit gebracht hatte, denn er holte eine der Packungen heraus und bestückte todesmutig Wasserkocher und eine Kanne. „Dann Tee. So wie jeden Abend.“

Elias knetete seine Hände. „Wieso bist du hier?“, fragte er leise.

Sen hielt sich am Küchenschrank fest, schaute sich nicht nach ihm um. „Das sage ich dir, wenn du keine Angst mehr vor mir hast und ich besser verstehe, warum du so bist. Und ich warte außerdem darauf, dass es dir wieder gut geht.“

„Ich bin anders“, wisperte Elias.

Sen fuhr herum, zog sich den zweiten Stuhl heran und ließ sich rittlings darauf nieder. „Ich habe ein wenig gelesen. Sag mir, wenn ich es falsch sehe. Du bist Autist, das hast du gesagt. Deshalb die Regeln. Deshalb schaust du weg, wenn ich dich überfordere. Du verstehst deshalb manches nicht.“

Elias nickte. Einmal mehr schaute er Sen nicht an. Zu viele Gefühle gingen von ihm aus und sie berührten ihn tief.

„Ich glaube, ich bin verrückt“, gestand Sen. „Ich kann dich nicht mehr vergessen und ich will es auch nicht. Gleichzeitig habe ich Angst davor, dir Angst zu machen. Wahrscheinlich geht das einfach und jedes Wort und jede Tat können dir einen Schrecken einjagen, ohne dass ich weiß, warum das so ist. Doch wenn ich es nicht versuche, werden wir beide nicht herausfinden, ob du mich nicht auch mögen könntest.“

Elias schmeckte den Worten nach. Ihn mögen. Der Gedanke verursachte Wärme und Nervosität. Es war angenehm und unangenehm zugleich. Doch es war nicht unangenehm genug, um Sen zu sagen, dass er gehen sollte. Da Elias keine Worte hatte, wandte er sich dem Essen zu, nahm eine Scheibe Brot, begann sie bedächtig mit Butter einzuschmieren, wählte zwei Scheiben Käse, die er exakt auf die Maße der Brotscheibe zuschnitt, und nach einem kurzen Zögern griff er zur Marmelade. So bedächtig, wie er die Butter verteilt hatte, verstrich er diese auf dem Käse. Erst als er sein Messer sorgfältig abgewischt hatte, erhob er sich und schlängelte sich an Sen vorbei. Das Wasser hatte gekocht und es war Zeit, den Tee aufzugießen. Elias fühlte sich von Sen beobachtet. Es machte ihn kribbelig, aber er hatte keine Angst und etwas ließ ihn sicher sein, dass er niemals Angst vor ihm haben musste. Er stellte die Kanne auf die Tisch, setzte sich wieder und begann zu essen.

Sen schien zu verstehen, dass er nicht sprechen würde. Er drehte den Stuhl um und setzte sich ihm gegenüber. Schweigend begann er ebenfalls zu essen und als Elias Tee in die Tasse von Sen eingoss, berührten sich ganz kurz ihre Finger und Elias lächelte.

Obwohl der Abend nicht so verlief, wie er es eigentlich in seiner täglichen Routine sollte, spürte Elias, dass die Anspannung in ihm nachließ, und er zuckte auch nicht zusammen, als Sen aufstand und den Geschirrspüler bestückte. Jede Bewegung war so, als würde er schon immer hier wohnen. Elias erkannte zwar, dass er nicht alles an die Stelle stellte, wie er es wollte und brauchte, aber er nahm sich vor, das nachher zu korrigieren. So, wie es sich gerade anfühlte, war es für ihn in Ordnung.

„So, und jetzt …“ Sen richtete sich erwartungsvoll auf. „Ich habe keinen echten Plan. Aber wenn ich das mit dem Autismus richtig verstanden habe, musst du dich an mich gewöhnen. Ich dachte … okay, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist es eine saublöde Idee. Ich sollte es nicht machen.“ Er schnaufte und wirkte eindeutig ratlos.

„Was für eine saublöde Idee ist es?“ Elias sah vorsichtig auf.

„Wie soll ich es sagen, ohne dass ich mich wie ein notgeiler Bock anhöre, der auf Sex aus ist? Okay, ich bin auf Sex aus. Ich würde gern mit dir ins Bett steigen und mal sehen, welche Töne ich dir entlocken kann.“

Elias schoss wieder das Blut ins Gesicht. Was genau Sen meinte, wusste er nicht. Doch er sah ein paar Bilder aus seinen Zeitschriften vor sich, die er schon häufiger sehr intensiv betrachtet hatte. Allein der Gedanke, dass er einen Part davon einnehmen sollte und dann noch mit einem ihm fremden Mann, ließ ihm heiß und kalt zugleich werden. Dann ging ihm auf, dass Sen diese Gedanken offenbar schon die ganze Zeit gehabt hatte. Wie es ihm gelang, dabei so ruhig zu bleiben, hätte er nur zu gern erfahren. Doch wahrscheinlich, so vermutete Elias, würde er nicht einmal die Frage verstehen, wenn er sie stellte. Kein Mensch verstand, wenn er Dinge wissen wollte, die mit den Gefühlen und Gedanken zusammenhingen. Solche Details und Hintergründe musste er gewöhnlich allein herausfinden.

„Ich weiß nicht, wie du es anders sagen kannst“, stellte Elias mit schlichter Offenheit fest. „Aber du hörst dich nicht wie ein notgeiler Bock an.“

Sens Augen waren größer geworden. Das Staunen war sogar für Elias einfach zu interpretieren. Dann aber lachte er auf einmal. „Ich glaube auch nicht, dass ich weiß, wie sich ein Bock anhört“, stellte er gut gelaunt fest. „Oh verdammt. Ich glaube, ich sollte einfach sagen, was ich denke. Okay, ich will, dass du keine Angst hast. Essen war schon mal gut. Soweit ich das jetzt beurteilen kann. Und dann denke ich, dass ich dich jeden Tag von der Arbeit abholen werde, wenn du das willst. Und dann denke ich auch, dass du mich einfach anschauen und beobachten kannst und auch anfassen, so wie du magst. Ich werde nichts machen. Du kennst mich nicht. Ich gehöre nicht zu deiner Familie. Du weißt nicht, wer ich bin, wie du reagieren sollst oder kannst. Es gibt kein Müssen, aber wenn ich dich küssen dürfte, wäre das großartig.“

„Du hast keinen Freund?“, fragte Elias, als Sen kurz Luft holte. Denn das schien ihm wichtig. „Und keine Familie? Du bist hier bei mir und nicht woanders.“

„Du lebst ja auch allein. Ich habe keinen Freund. Mein Leben war in den letzten Jahren ziemlich angespannt und ein Freund wäre damit ganz bestimmt nicht klargekommen. Darüber hinaus war und ist es nicht ganz ungefährlich. Doch ich will mein Leben und alles ändern. Ich meine wirklich alles, weißt du? Ich habe seit ewigen Zeiten kein Ziel mehr gehabt und habe einfach so gelebt, wie sich die Dinge ergeben haben. Doch das hat sich geändert, als ich in dein Beet gefallen bin. Das hier mit dir ist mir wichtig und du kannst mir glauben, dass ich das noch nie gemacht habe. Doch noch wichtiger ist mir, dass du mir vertraust. Wenn du sagst, ich soll gehen, dann werde ich gehen. Versprochen!“

Elias lauschte dem Klang der Stimme und folgte den Bildern der Worte, die Sen wob. Er sah ihn dabei nicht an. Das war nicht wichtig. Wichtig war, was die Stimme und die Worte mit ihm machten und er musste feststellen, dass es da keine Unsicherheit gab. Er vertraute Sen auf eine Weise, die er bisher noch nicht hatte kennenlernen dürfen. Selbst bei seinen Eltern war da mitunter ein Hauch Zweifel. Manchmal eine Unsicherheit. Aber sie waren seine Eltern. Es war schwer, über sie nachzudenken.

Bei Sen war es anders.

Elias vermutete, dass sich das noch ändern würde. So oft waren sie sich beide nicht begegnet. Sen hatte keine Gelegenheit gehabt, ihn zu verunsichern – oder es war egal gewesen.

„Was meinst du?“, hakte Sen nach.

Elias wusste, dass er für eine normale Unterhaltung wieder einmal zu lange gewartet hatte. „Was hast du vor?“, fragte er.

Sen war es jetzt, der an ihm vorbeischaute. Es war ein merkwürdiger Anblick. Schließlich hatte er ihn bisher immer sehr intensiv angesehen. Elias war das keinesfalls entgangen. Wie ihm auch jetzt nicht entging, dass das Tuch, das dieser normalerweise eher offen trug, jetzt fast vollständig in der Hosentasche steckte. Elias blinzelte. Er versuchte sich Sens Aussehen einzuprägen. Die Haltung, den Gesichtsausdruck. Als Sen ihn wieder anschaute, blickte er an ihm vorbei.

„Na ja, ich leg mich jetzt auf dein Sofa, wenn du eines hast, und du kannst, wenn du magst, was auch immer tun. Mich anschauen. Fernsehen gucken oder die Wohnung putzen. Du kannst auch sagen, setz dich auf den Boden. Mach ich auch. Wenn du magst, kannst du mich auch anfassen, beobachten und was auch immer du tun willst. Ich werde dich nicht anschauen und dich nicht anfassen, wenn du das nicht willst. Ist das für dich okay?“

„Damit ich mich an dich gewöhne.“ Elias fand den Vorschlag ungewöhnlich. Aber der Gedanke, dass ein fremder Mann auf seinem Sofa lag, hatte etwas. Und Sen war ihm auch nicht mehr so fremd. „Ich soll dich anfassen oder auch nicht.“

„Genau! Kann aber sein, dass ich dann einen …“ Sen räusperte sich. Er wurde rot, als Elias nachschaute. „Na ja, ich könnte dann einen … Oh, Mann! Fuck! Na ja, einen Ständer bekommen. Herrschaftszeiten verdammichnocheinmal und scheiß die Wand an!“

Elias riss die Augen auf. Nicht aufgrund des angekündigten Ständers, sondern wegen des Fluchs.

„Äh!“ Sen grinste, noch immer rot im Gesicht. „Ehrlich gesagt, das war kein Scherz. Ich glaube, ich stehe auf dich und das könnte passieren, wenn du mich anfasst.“ Er öffnete noch einmal den Mund, weil er wohl noch etwas sagen wollte, schloss ihn dann aber wieder. „Ist das peinlich“, flüsterte er und damit war es wohl eindeutig mehr für ihn als für Elias gedacht. Für ihn war das genug. Er mochte Sen und er wusste nicht einmal so genau, warum das so war. Vorsichtig trat er näher und Sen reagierte, in dem er minimal zurückwich und ihn dann aber erstaunt musterte. „Ich werde die Wohnung nicht putzen. Wenn ich den … Ständer zu sehen bekomme, werde ich nicht schreien“, sagte er und meinte das auch so. Einmal keine Bilder sehen oder sich selbst berühren, das war eine Aussicht, mit der er nicht gerechnet hatte. Ein echter Mann und der nach seinem Empfinden gut aussah, wenn er sich meist auch nur eingeschränkt ein Urteil über das Aussehen von anderen Menschen leistete.

Elias hatte eher damit gerechnet, dass er ab und an mal aus der Ferne jemanden nachschauen durfte, und selbst das gelang ihm eher schlecht, da er Menschen nicht immer richtig sah. Dabei hatte er gute Augen. Lediglich sein Gehirn war nicht in der Lage, die Informationen richtig abzuspeichern. Entweder waren es zu viele Details oder zu wenige. Wie auch immer, starren konnte einen in erhebliche Schwierigkeiten bringen und kurzes Schauen war selten genug, um sich ein Bild zu machen. Aber Sen bot sich an und er war von ihm nicht abgestoßen.

„Okay, soll ich mich ausziehen? Ne, lieber nicht!“ Sen grinste, verlor aber die gespielte Leichtigkeit wieder. Elias ergriff seine Hand und seufzte stumm. Sich vorzustellen, dass diese Hand ihn auch an anderen Stellen berühren könnte, brachte ihn ein wenig aus der Fassung. Wahrscheinlich hatte Sen recht, wenn er es erst einmal langsam versuchte. Zu viele Sinneseindrücke überforderten ihn. Nicht mehr so stark, wie sie es als Kind getan hatten. Aber es gab Momente, in denen er kämpfen musste, und nicht selten bekam er heftige Kopfschmerzen.

Dennoch ließ Elias die Hand nicht los, sondern führte Sen ins Wohnzimmer. Heftig zuckte er zusammen, als er auf einmal etwas an seinem Nacken spürte. Erschrocken fuhr er herum und sah noch, wie Sen zurückwich. „Sorry, aber ich konnte nicht widerstehen“, flüsterte er, als wollte er ihn nicht noch weiter erschrecken. Elias blinzelte und ließ Sens Hand los. Stumm deutete er dann auf das Sofa.

Noch während Sen an ihm vorbeiging, überlegte er, was dieser getan hatte. Dann ging ihm auf, dass es ein Kuss gewesen war. Ein Kuss in seinen Nacken.

Sen betrachtete ihn prüfend, dann legte er sich einfach hin. Elias’ Herz klopfte bei dem Anblick schneller. Verwirrt wich er ein paar Schritte zurück und lehnte sich schwer gegen die Wand. Langsam ließ er sich zu Boden sinken und blickte in Sens Gesicht, folgte den vielen verwirrenden Linien, Farben und Wölbungen. Sen zog ihn zweifelsfrei an und doch wusste er schon jetzt, dass es ihm nicht möglich sein würde, beispielsweise das Bild seines Gesichts in seinem Kopf aufzurufen. Dafür konnte er sich an die Hände erinnern, die Farbe der Haare, der Blick, den er ihm zuwarf, das sanfte Heben und Senken des Brustkorbes und an andere Details ohne Bedeutung. Jedoch nur mit Mühe an die Art seiner Sachen. Unabhängig davon würde er bemerken, wenn Sen etwas anderes trug. Es war verwirrend und anstrengend zugleich.

Gerade richtete sich dieser wieder auf und blieb auf dem Rand des Sofas sitzen.

„Es war eine Vermutung“, sagte er leise. „Ehrlich gesagt, gibt es keine eindeutigen Erklärungen, wie man als Außenstehender darauf reagieren soll, wenn man nicht zur Familie gehört. Aber ich kann mir vorstellen, dass du gerade Angst hast.“

Elias atmete tief durch und ließ seinen Blick zu den Fußspitzen wandern, um dort Ruhe zu finden. Er verstand, was Sen ihm sagen wollte, und es wühlte ihn nicht auf wie sonst, wenn er gezwungen war, eine Erläuterung zu seiner Person abzugeben. Es war wichtig, dass Sen wusste, wer er war und was es für sie beide bedeuten konnte. „Ich habe eine Form von Autismus“, sagte er neutral und er war froh, dass seine Stimme fest genug war. „Genauer, es ist Asperger. Es wurde bei mir als Kind diagnostiziert. Aber ich komme mittlerweile ganz gut klar. Ich lebe seit einem halben Jahr allein. Musste lange dafür kämpfen, weil meine Eltern Angst haben, und es stimmt, mir fällt manches nicht so leicht wie anderen. Früher war es noch schwerer. Ich habe einen Schulabschluss und bin Gärtner. Seit einem Dreivierteljahr bin ich ausgelernt und arbeite. Es ist toll und es ist das, was ich gern mache.“

Sen rutschte auf die Knie und krabbelte zu ihm. „Ich heiße Sen und ich habe auch einen Schulabschluss. Keinen guten, aber ich habe einen. Eine Ausbildung habe ich nicht und ich muss zugeben, dass ich auch nicht wirklich arbeite. Aber ich laufe gern und es ist das, was ich gut kann.“

Elias lächelte, ohne ihn anzuschauen. „Ich habe ein paar Videos angesehen. Das Internet ist voll davon und mich faszinieren die Bewegungen und die Schwerelosigkeit. Kannst du auch über Dächer laufen und dann einfach so von einem Dach auf ein anderes springen, als ob du Flügel hättest?“

Sen stupste spielerisch gegen Elias’ Fußspitzen. „Ja, das kann ich. Und ich kann über Mauern springen, Geländer und manchmal sieht es aus, als würde ich schweben oder in der Luft tanzen.“

Elias schob seine Hand vorwärts, bis er Sens Fingerspitzen berührte, strich dann über die ganze Hand. Es waren viele Sinneseindrücke. Aber es half, dass er Sen nicht direkt ansah. Ausschließlich dessen Körper wahrnahm. Seinen Geruch, den Atem und die Wärme, die er ausstrahlte. Es war beruhigend und aufregend zugleich und mit nichts vergleichbar, was er je zuvor erlebt hatte. Zumindest konnte er sich an nichts Derartiges erinnern.

Es war intensiver als in der Straßenbahn. Da gab es weit mehr Ablenkungen. Hier in seiner Wohnung gab es nur ihn und nichts anderes. Elias blickte langsam nach oben. Er sah Erwartung in Sens Gesicht. Und eine Geduld, die er so nicht erwartet hätte.

Er wich nicht zurück, als Sen die Hand hob und ihm damit über die Schläfen und dann die Wange strich. Sein Atem ging schneller. Die Pupillen wurden größer und sein Gesicht wurde einen Hauch röter, als es sowieso schon war. Elias schluckte und Sen schien mit einem Seufzer zu antworten. Das war interessant, fand er. Er spürte, wie er selbst sich weit wärmer als sonst fühlte.

„Das wird schwer“, flüsterte Sen.

„Was genau?“

Sen beugte sich ein Stück weiter vor. „Ich fürchte, wenn das so weitergeht, muss ich mich wohl zurück aufs Sofa schleppen. Du hast keine Ahnung, was du mit mir machst, wenn du mich nur so anschaust. Verdammt!“ Er schloss die Augen. Dann ruckte er ein Stück zurück und atmete tief ein und aus. „Verdammt!“, wiederholte er. „Wärst du jemand anderes, wüsste ich einzuschätzen, ob du etwas willst oder nicht. Doch das hier ist schwer. Du musst mir helfen.“ Er schaute ihn wieder an.

Elias blinzelte nervös. Fast panisch suchte er aus seinen Erinnerungen und Vorstellungen etwas heraus, was mit der Situation gerade thematisch eine wie auch immer geartete Verwandtschaft aufwies. Es war erschreckend wenig. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, er hätte noch ein paar Filme geschaut und Bücher gelesen. Jetzt saß er wissenstechnisch buchstäblich auf dem Trockenen.

„Wie?“, fragte er und klang dabei so kläglich, wie er sich fühlte.

„Entweder du sagst jetzt, dass ich gehen soll oder du vertraust mir. Ich werde dich anfassen, küssen und ich werde dir versprechen, dass ich dir nicht wehtue. Ich fürchte, für einen langsamen Start muss ich mir das nächste Mal vorher gewaltig einen runterholen. Oder mehrfach.“

Elias schloss die Augen. Er hörte, wie sich Sen bewegte und er ahnte, dass er gehen wollte, ohne den Gedanken zu Ende zu denken. „Bleib!“, sagte er laut und deutlich. „Bleib, aber ich kann dir nicht helfen. Ich weiß nicht, wie das geht und wenn, dann nur in Standbildern.“

„Ich frage jetzt nicht, wie du das meinst“, flüsterte Sen. „Später vielleicht.“

Elias atmete schon schwer, als Sen die Hand an sein Gesicht schmiegte und auf einmal hinter ihm war. Wie er das gemacht hatte, wusste Elias nicht. Noch immer vermochte er nicht, seine Augen zu öffnen. Langsam wurden die Finger seiner Faust geöffnet. Jedoch nur dadurch, dass Sen darüber strich und Elias zuließ, dass die Spannung aus ihnen wich. Ebenso sanft wurde er zu Sen gezogen und auf einmal lag er an ihn gelehnt. Tief aus seinem Inneren begann er zu zittern. Da war Wärme. Berührung. Jeder einzelne Atemzug und der Geruch, der von Sen ausging. Alles davon fühlte er. Es war angenehm. Da war kein Deo – was er schön fand, da die meisten ihm zu stark waren. Etwas frischer Schweiß und der Geruch von Baumwolle und Seife. Es musste Seife sein. Vielleicht aber auch Waschpulver.

Sen strich ihm über den Kopf und Elias lehnte sich gegen seine Brust. Ein schneller Herzschlag und die Lungen, die sich ruhig mit Luft füllten und wieder leerten. Elias wusste nicht, ob er so viel Nähe lange ertragen konnte. Er zitterte stärker und dennoch wollte er nicht, dass es aufhörte. „Du musste etwas sagen oder tun, wenn es zu viel ist“, flüsterte Sen. „Oder sag mir, ob ich weitermachen soll.“

Elias seufzte und nickte. Hilflos öffnete er den Mund. Doch außer einem unartikulierten Laut bekam er nichts über die Lippen. Sen legte seine Finger unter das Kinn und zog seinen Kopf so weit nach oben, dass Elias ihn sehen müsste, wenn er die Augen öffnete.

„Bitte schau mich an“, bat Sen ihn leise.

Eine ganze Zeit geschah nicht mehr, als dass Sen ihn streichelte und Elias seine Sinne überfluten ließ. Langsam öffnete er seine Augen.

„Da bist du“, murmelte Sen. „Jetzt schau mich an und nicke oder sage ja, dass ich weitermachen soll!“

Elias musste zugeben, dass seine Gedanken nicht gerade geordnet verliefen und er sich eigentlich an dem Punkt befand, an dem normalerweise jemand intervenierte, wenn er die Anzeichen richtig erkannte. Was passieren würde, wenn er den Punkt überschritt, wusste er. Zu oft war er schon in seinem persönlichen Ausnahmezustand gewesen. Ob es dieses Mal genauso sein würde, wusste er hingegen nicht. Langsam nickte er und versuchte dabei, so gut es ging, den Augenkontakt zu halten. Sens Blick war intensiv. Fragend und der Finger, der über Elias’ Lippen strich, beinhaltete dieselbe Frage. „Wirklich?“ Es war nur ein Wort und doch verstand er es, ohne dass es Sen aussprechen musste. Elias nickte erneut. Am Rande nahm er wahr, dass er kurz davor stand, die Luft anzuhalten. Es war ihm egal, allein Sen sollte nicht auf die Idee kommen, dass er jetzt aufgab.

Unmissverständlich zog Sen ihn zu sich und küsste ihn. Irgendwie fand er dabei den Weg unter Elias’ Shirt und begann dort, seine Haut zu verbrennen. Elias wimmerte. Es war anders, als wenn er sich selbst berührte. So viel anders, wenn jemand anderes ihn anfasste. Das hier brachte ihn fast dazu, Sen von sich zu stoßen. Stumm öffnete er seinen Mund, ohne einen Laut von sich zu geben.

„Schsch …“, wisperte Sen. „Ich werde dich nicht quälen.“

Das war ein Versprechen, wie Elias noch erkannte. Dann verabschiedete sich sein Erinnerungsvermögen, das ihm die richtige Reihenfolge der Ereignisse hätte abspeichern sollen. Er wusste nur noch, dass Sen den Knopf seiner Hose aufgemacht hatte. Das Ratschen des Reißverschlusses folgte und dann die Hand an seinem Schwanz. Elias schrie unartikuliert auf und ihm wurde schwarz vor Augen. Als Nächstes hörte er den schweren Atemzug von Sen an seinem Ohr und den viel zu schnellen Herzschlag. „Oh!“ Elias brauchte keine weitere Erläuterung. Er war allein von einer winzigen Berührung von Sen an seinem Schwanz gekommen und so viel ahnte er: Das war zu schnell.

Noch immer lag Sens Hand dort. Elias zappelte nervös und plötzlich hielt ihn eine andere Hand im Nacken fest. „Nicht so schnell“, murmelte Sen.

„Ich war schnell“, erwiderte Elias. „Das war sehr schnell.“

„Wie du das warst! Also würde ich sagen, noch einmal.“

Elias richtete sich abrupt auf und Sen musste seinen Kopf wegziehen, um nicht sein Kinn zur Prellzone machen zu lassen.

Sen grinste. „Du stehst so unter Druck, dass ich denke, dass du unbedingt noch einmal einen Orgasmus brauchst. Scheiße. Ich habe gar nichts mit dir gemacht und du bist gekommen.“

Elias erstarrte, als Sen einfach das fortsetzte, was er nicht einmal richtig hatte beginnen können. „Ohhhh … ich …“ Elias presste seine Hand auf den Mund. Sich selbst zu hören war nichts, was er wollte. Sen schien das anders zu sehen. Mit einer Hand dirigierte er ihn so, dass sich ihre Lippen erneut berührten. „Augen schließen“, sagte er und es klang wie ein Befehl. Elias kam ihm einfach nur nach und ließ zu, dass diese Mischung aus Schmerz, Berührungen und Scham, denn es musste Scham sein, ihn erneut dazu brachten, innerhalb kürzester Zeit in Sens Hand zu kommen.

„Mhm, das war besser“, meinte Sen, als er schwer atmend an ihm lehnte. Dieses Mal hatte es keine Sekunde gegeben, in dem seine Sinne sich abgeschaltet hatten. Das war noch verwirrender als die Ohnmacht.

„Besser?“, fragte Elias, weil er daran zweifelte, dass es besser sein konnte. Er war noch genauso schnell gewesen. Oder nur unwesentlich langsamer.

Sen lachte und er spürte die Erschütterungen. „Schau mich an“, wisperte er und Elias folgte. Es war einfacher, sich an die Anweisungen zu halten, da Sen eindeutig mehr wusste, um ihn anzuleiten. Ein weiteres Mal bekam er einen Kuss, der sich ein wenig wie eine Belohnung anfühlte, und in einem war sich Elias sicher: Er konnte davon nicht genug bekommen. Die Hand von Sen an seinem empfindlichsten Körperteil war ihm fast zu viel und dennoch würde er es nicht wagen, Sen zu sagen, dass er sie wegnehmen sollte. Denn es fühlte sich verboten gut an. Dieser Zwiespalt brachte ihn durcheinander. Mit dem Kuss ließ sich das aber gut verbergen. Zumindest glaubte er das so lange, bis Sen die Hand wegnahm. Er zitterte einmal mehr und konnte es nicht verhindern.

„Du bist nicht gekommen“, stellte Elias fest, nur um überhaupt ein Thema zu haben.

„Doch, bin ich“, widersprach Sen. „Und mir ist das bisher noch nie so passiert. Du hast nicht die geringste Ahnung, wie du aussiehst, wenn du kommst, vermute ich mal. Wie auch? Ich fürchte, dass ich die Finger nicht so schnell von dir lassen kann, aber es besser ist, wenn ich es tue. Zumindest jetzt. Du bist blass.“

Elias richtete sich halb auf und stützte sich dann an der Wand ab. Tatsächlich fühlte er sich merkwürdig. Sen hielt ihn fest, stand aber dann auf und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. „Möchtest du ins Bad?“

Elias nickte. Er brauchte zu seiner Bestürzung weit mehr als nur die Hand von Sen. Seine Knie waren weich und er fragte sich, wie er überhaupt in der Lage war, zu stehen.

„Ich muss mir was anderes anziehen“, stellte er leise fest. Bei den Worten ging ihm auf, was Sen gesagt hatte. „Du musst auch ins Bad. Du brauchst eine frische Hose.“

„Das geht schon. Die Sauerei bringe ich bei mir zu Hause in Ordnung. Aber ich glaube, du bist ziemlich durch den Wind. Ich gehe erst, wenn du wieder so weit klar bist.“

Elias wusste nicht, was er meinte, aber er ging langsam ins Bad, gefolgt von Sen. Ein prüfender Blick in den Spiegel zeigte ihm, dass Sen offenbar gar nicht so unrecht hatte. Er wirkte, als wäre er durch ein Düsentriebwerk gezogen und am anderen Ende wieder ausgespuckt worden. Seine Augen waren groß und sein Mund wirkte wund. Irgendwann hatte er sich auf die Lippen gebissen und es nicht bemerkt. Sen trat hinter ihn und blickte ihm über die Schulter. „Ich werde dir nicht sagen, was mir durch den Kopf geht.“

„Warum nicht?“

Sen lächelte. „Weil es dich dann noch mehr durcheinanderbringen würde. Es gab da ein paar Warnhinweise und ich will nicht, dass es dir schlecht geht. Lassen wir es langsam angehen und ich werde mich, soweit ich kann, in Geduld üben. Und dann lernen wir gemeinsam Dirty Talk.“

„Dirty Talk lernen“, wiederholte Elias für sich. „Kannst du mir die Schlagwörter aufschreiben, damit ich sie im Internet nachschlagen kann?“ Die Idee war gut. Zudem er dann auch noch ein paar Parkour-Videos anschauen konnte und dazu etwas über das, was Sen mit ihm gemacht hatte. Er hätte schon längst daran denken können, die handwerklichen Dinge samt Begriffe im Internet nachzuschlagen. „Ich werde für das nächste Mal recherchieren. Außerdem brauche ich eine Hose und Taschentücher und …“ Elias stockte, weil Sens Blick im Spiegel sich immer mehr veränderte. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte er.

Sen schüttelte den Kopf, ohne dass die Anspannung aus dessen Gesicht verschwand. Elias hatte den Verdacht, dass er lachen wollte. „Ich glaube nicht. Aber das hört sich gerade an, als hättest du dir einen Schlachtplan zurechtgelegt.“

„Möglich! Ich denke nur nicht, dass ich das nächste Mal so unvorbereitet sein sollte und ich muss …“ Elias holte kurz tief Luft und atmete sie wieder aus, „mich auch anderweitig vorbereiten. Ich bin …“

„Zu sehr unter Druck? Spitz? Geil? Hormonell etwas überlastet?“, schlug Sen vor.

Elias nickte ernsthaft. „Könnte alles auf einmal sein“, bestätigte er aber noch in Worten. Er sah Sen in die Augen, weil sich sein Verdacht zu bestätigen schien. Fast hatte es sich angehört, als würde sich dieser über ihn lustig machen. Sicher war er sich nicht. Aber meist konnte man in den Gesichtern der Menschen sehen, ob der Eindruck stimmte.

„Du willst das echt so machen?“, fragte Sen ihn gerade.

Elias war verunsichert. „Ist es falsch?“

„Nein, aber es ist beängstigend – einerseits. Andererseits, ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht, wie unser erstes Zusammensein verlaufen könnte. Ehrlich gesagt, so habe ich es mir nicht vorgestellt.“ Er grinste. „Und, wie ist es jetzt? Hose aus? Kannst du dich auf den Beinen halten?“

„Ich bin erwachsen“, murrte Elias. „Ich denke, dass ich das kann. Und du brauchst auch noch eine frische Hose.“

„Ich brauche keine …“

„Aber …“

„Ich brauche keine Hose.“ Sen leckte ihm kurzerhand über den Hals und brachte ihn damit effektiv zum Schweigen. „Du musst mich nicht in Ordnung bringen. Nicht die Wohnung putzen. Nicht aufräumen. Aber du kannst dich reinigen, wenn du das willst, und ich helfe dir. Ich gehe dir dabei jedoch ganz sicher anders zur Hand, wenn du weiterhin versuchst, mir eine Hose aufzudrängen.“

Elias schluckte. „Ich … kann dann nicht stehen.“

Sen lächelte ihn über den Spiegel aus an. „Ich weiß!“, sagte er und wich zurück. „Sag Bescheid, wenn es dir nicht gut geht, okay?“

Elias blickte ihm nach. Sen lehnte die Tür an und damit war ein gewisses Minimum an Privatsphäre gewahrt. Aber das war ihm im Moment nicht weiter wichtig. Vielmehr versuchte er die Informationen zu verarbeiten. Dann aber schüttelte er den Kopf. Er bemühte sich, Sens Bemerkungen so weit zu vergessen, dass er sich waschen konnte und überhaupt darauf kam, wo er frische Sachen herbekam. Sen brachte ihn durcheinander und das auf eine sehr einfache Weise. Wieso er das hinbekam, wusste Elias noch nicht, aber er nahm sich vor, das alles neben den Dingen wie Dirty Talk herauszufinden. In den nächsten Tagen würde er froh sein, dass er doch die Internet-Flatrate zu seinem Telefonanschluss genommen hatte, auch wenn er von zu Hause aus nur wenig Zeit im Internet verbrachte. Seine Eltern – insbesondere seine Mutter – hatten immer seinen Browserverlauf kontrolliert und es war ihm unangenehm gewesen. Einer der vielen gewaltigen Vorteile, die er jetzt genoss, da er allein lebte. Auf keinen Fall wollte er das gefährden. Er musste besser vorbereitet sein und dafür tatsächlich eine Art Schlachtplan aufstellen. Dazu gehörte, dass er auf keinen Fall ins Straucheln geriet und damit seine Eltern auf den Plan rief.

Umso besser, dass er sich trotz der Ausnahmesituation einigermaßen gut fühlte. Elias nahm sich vor, morgen genauer auf seine Routinen zu achten, damit sich daran nichts änderte. Die Abende würde er aber variieren, sofern Sen das auch vorhatte. Sen … Elias berührte seine Lippen.

Alles in ihm verkrampfte sich. Was, wenn er mit ihm spielte? Dieser Gedanke war auf einmal da und er machte ihm Angst. Elias blickte sich selbst ins Gesicht. Seine Gefühle spiegelten sich in ihm wider.

„Alles okay?“, fragte Sen vom Flur aus. Elias sah sich außerstande zu antworten.

Auf einmal war Sen bei ihm.

„Was?“, fragte er leise und schlang locker die Arme um ihn.

„Ich habe nur an etwas gedacht!“ Es war keine Lüge, aber auch nicht die Wahrheit. Irgendwo lag der Moment all dessen genau dazwischen. Nicht sagen, was man dachte, oder nur einen Teil davon, hatte sich bereits sehr häufig als Vorteil herausgestellt. Er erkannte aber auch, dass Sen es ihm nicht abnahm. Das hier war kein Spiel für ihn, denn sein Herz schlug dafür zu schnell. Es gab keine Probe und wenn Sen mit ihm spielte, dann musste er es jetzt erfahren.

Irgendwie half es Elias dennoch, sich alles als eine Art Spiel mit entsprechenden Regeln vorzustellen. Etwas, bei dem es nicht darauf ankam, wie es ausging, da davon nichts abhing. Es war eine Lüge. Eine riesige, grauenhafte Lüge und er hoffte, dass seine Spielkarte ein Joker war. Dennoch, im Dunkeln lag die Panik, die auf ihn lauerte.

Sen hauchte einen Kuss in seinen Nacken. „Du denkst sehr viel nach“, sagte er. „Mhm, was mache ich mit dir?“

„Gehst du?“, fragte Elias leise.

„Willst du, dass ich gehe?“

Elias schüttelte den Kopf.

„Dann werde ich nicht gehen. Ich würde sagen, du wäschst dich und versuchst dich zu beruhigen und ich schaue mal, dass du ins Bett kommst. Die Nacht werde ich dich nicht allein lassen.“

Elias richtete sich abrupt so auf, dass Sen einmal mehr ausweichen musste. Er lächelte zufrieden.

„Ja, ich werde nicht gehen. Und ich werde dich nicht anfassen, wenn ich auch zugeben muss, dass das eindeutig Folter ist.“

„Ich will dich nicht foltern und du fasst mich gerade an, aber das ist in Ordnung. Ich mag es, wenn du mich berührst.“

„Danke!“ Sen schenkte ihm ein Zwinkern. Elias wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Hieß das, dass er es nicht ernst nahm, dass er es anders meinte oder war es eine Verstärkung des eben Gesagten? Genauso gut konnte es aber auch das Äquivalent eines Schulterschlags sein. Ein Zeichen, dass derjenige ihn verstanden hatte. Elias musste zugeben, dass ihm langsam der Kopf schwirrte und es ihm immer schwerer fiel, konzentriert zu bleiben.

Er bemerkte erst, als ihm Sen das Shirt auszog, dass dieser sein Problem erkannt haben musste. Beschämt wollte er ihn daran hindern, wurde jedoch von ihm aufgehalten. Wie ein Kind wurde er in seinen Pyjama gepackt und er wusste nicht einmal, woher Sen ihn hatte – außer dass dieser wohl in seinem Schlafzimmer gewesen sein musste. Elias taumelte und wollte alles aufhalten. Doch die Bilder vor seinen Augen verschwammen und wurden zu bunten Schlieren. Heftig atmete er ein und aus. Alle Kontrolle ging ihm verloren und er wusste nicht, was er machen sollte.

Erst als er lag und zur Zimmerdecke hinaufblickte, hielt die Welt an und gestand ihm eine Verschnaufpause zu. Sen musterte ihn besorgt. Er saß auf einem Stuhl und hatte die Hände gefaltet. „Ich muss eindeutig mehr recherchieren.“

Elias räusperte sich. Ein Kichern kämpfte sich in ihm hoch. Das war exakt das, was er gedacht hatte. In einem war er sich jedoch sicher: Die jeweiligen Recherchen würden andere sein und zu anderen Ergebnissen führen. Einerseits.

Andererseits konnten ihre Suchverläufe auch zum selben Ergebnis führen. Alles war möglich.

Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. „Du bist nicht angewidert?“, fragte er und seine Stimme hörte sich ängstlich an. Er hasste es, wenn er seine Gefühle nicht verbergen konnte.

„Warum sollte ich?“, stellte Sen die Gegenfrage. Er rutschte mit seinem Stuhl ein Stück näher. „Ich gebe zu, du bist der ungewöhnlichste Mensch, der mir begegnet ist. Vom ersten Moment an habe ich mich aber von dir angezogen gefühlt. Ich würde dich gern zum Lächeln bringen und möglicherweise schaffe ich es auch, dass du lachst. Ich glaube, ich habe mich ganz heftig ich dich verknallt. Und das meine ich genau so. Hätte nie gedacht, dass mir das passieren würde.“ Sen verzog seinen Mund zu einem feinen, kaum wahrnehmbaren Lächeln. Elias erkannte es dennoch. Es war ein Stück Bedauern darin, ein Hauch Zweifel und eine Menge Hoffnung. Gefühle waren nie einfach und es dauerte, bis es ihm gelang, sie zu interpretieren. Sens Gefühle schienen ihm aber auf eine ganz bestimmte Weise mitunter sehr einfach und dann wieder unglaublich kompliziert. Er hoffte, dass er sich nicht irrte, denn dann wusste er nicht, was er tun sollte. Langsam schob er seine Hand zu Sens hinüber. Er wagte kaum zu atmen. Als der seine Hand berührte, ließ er die angehaltene Luft entweichen.

„Keine Angst, ich werde von dir nicht verlangen, dass du mich liebst. Vielleicht ist es nur ein Strohfeuer und es ist bescheuert, dass ich das sage. Aber ich denke eher, dass es keines ist. Du bist nicht mein erster Freund. Aber du bist der erste, bei dem ich hoffe, dass es ewig hält. Wenn du mich wegen dieses Geständnisses fortjagst …“

„Du hast Angst“, stellte Elias fest.

„Wahnsinnige. Und ich rede einen Haufen dummes Zeug.“

„Auch über die Liebe?“

Sen richtete sich ein Stück auf und schüttelte den Kopf. „Nein, darüber nicht. Aber ich sollte meine Klappe über Verflossene halten, nicht wahr?“

Elias überlegte und verneinte. „Ich denke, dass es nicht normal ist, dass ich keine Verflossenen habe. Und ich sollte darüber lügen, damit ich nicht so unerfahren wirke.“

„Das kannst du nicht verbergen.“

Elias biss sich auf seine Lippen und ließ es gleich darauf bleiben. Sie brannte, weil er exakt die Stelle erwischt hatte, in die er zuvor schon gebissen hatte.

„Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber es ist so. Du hast keine Erfahrung und daher weiß ich nicht, ob ich dich nicht einfach mit all dem überfahre.“

„Ich bin vielleicht nicht so erfahren und ich weiß eine ganze Menge nicht. Mein Verhalten ist nicht normal und manchmal weiß ich auch nicht, wie ich mich benehmen soll. Aber ich bin nicht dumm. Außerdem weiß ich durchaus, was ich will.“ Elias blickte auf und nahm dabei seinen ganzen Mut zusammen. „Selbst wenn ich durcheinander sein sollte oder seltsam, ich möchte nicht, dass du gehst und wenn du gehst, würde ich mich freuen, wenn du wiederkommst. Wenn das für dich okay ist, dann …“ Weiter kam er nicht. Sen verschloss seine Lippen. Erst mit dem Finger, dann mit einem Kuss.

Elias war noch nicht fertig mit dem, was er alles hatte sagen wollen. Es gab aber da die leise Ahnung, dass Sen dies sehr wohl wusste und womöglich reichte das auch aus. Weitere Worte waren damit überflüssig.

„Vertraust du mir?“, fragte Sen, als Elias schon glaubte, dass er eine Strategie benötigte, ohne Atemluft auszukommen.

Er nickte, weil ihm schlicht die Worte fehlten. Dass seine Augenlider heftig blinzelten, störte ihn. Für Sen schien das wie ein Zeichen zu sein, wie es ihm ging. Sanft streichelte er ihn und so unglaublich es für Elias war, er wurde dadurch ruhiger. Wenn er an Zauberei geglaubt hätte, dann wäre das der richtige Zeitpunkt, um den Beweis für deren Existenz anzutreten. Aber das war natürlich Unsinn. Wunderbar fühlte es sich aber auf jeden Fall an.

„Gut!“, murmelte Sen. „Ich werde dich nicht fallen lassen, okay? Du darfst darauf vertrauen, dass ich mich schlaumache und du sagst mir im Gegenzug, was dir durch den Kopf geht. So irre und unglaubwürdig es für dich klingen mag: Ich will, dass das mit uns funktioniert. Ob es hält, keine Ahnung. Aber eine kleine Nummer will ich mit dir nicht. Wenn, dann die ganz große Nummer.“

„Eine Beziehung?“ Elias konnte es nicht glauben.

„Haben wir schon und da du mich nicht rauswirfst, eine längerfristige.“

Elias wusste nicht, ob ein Lächeln angebracht war, aber er versuchte es und brachte damit Sens Gesicht zum Strahlen. Offenbar hatte es sich um die richtige nonverbale Antwort gehandelt, stellte er erleichtert fest.

„Eine Frage!“

Die Tonlage ließ Elias aufhorchen. Er nickte zögernd.

„Wie wichtig sind für dich die Tagesroutinen?“

„Ähm …“ Der Blick auf die Uhr auf dem Nachttisch neben seinem Bett sagte ihm, dass er sich außerhalb jeder Routine aufhielt. Nun, fast. Er befand sich im Bett. „Ich gehe 21 Uhr ins Bett. Davor habe ich gegessen, Fernsehen geschaut, habe die Küche aufgeräumt, mich dann geduscht und die Zähne geputzt.“

„Du bist also fünf Minuten früher im Bett, okay. Ich räume die Küche auf und du bleibst hier. Was passiert, wenn du Routinen änderst?“

Elias verknotete aufgrund des aufsteigenden Unbehagens seine Finger. „Ich weiß dann manchmal nicht, was ich machen soll. Bekomme Zuckungen, stehe mitunter nur so da oder laufe aufgeregt herum. Wenn es ganz schlimm ist, dann kann ich nicht sprechen und meine Gedanken sind … Es ist furchtbar.“

„Okay, dann weiß ich Bescheid. Du musst mir sagen, wenn es so weit ist. Aber früh genug, verstehst du?“

Elias blickte auf und nickte ernsthaft. „Aber du bist …“

„Ich bin dein Freund. Ab heute offiziell. Und inoffiziell, seit ich dir vor die Füße gefallen bin.“

 

 

 

 

 

 

Danke an die Rasselbande von Danas Bakery, meiner Verlegerin, die so unglaublich geduldig ist, und meine nicht minder geduldigen Lektorinnen und einen ganz besonderen Lektor. Jedes Stück legt sich irgendwann bei einer Geschichte an seinen Platz und dafür braucht es mehr als den Autoren. Danke an alle Geburtshelfer.

 

Dana

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ISBN-Ebook: 978-3-96192-052-5

ISBN-Print: 978-3-96192-054-9

 

 

In den Raunächten zwischen Weihnachten und Neujahr, wenn die Grenzen zwischen Traum und Realität besonders dünn sind, geschehen manchmal seltsame Dinge.

Und manchmal sind es Träume, mit einer ganz besonderen Kraft.

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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 04.09.2018

Alle Rechte vorbehalten

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