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Neue Glut

Ulrike war Anfang 40, trug ihre braunen Haare mittellang und hatte keinen Gedanken daran verschwendet, ob sie trotz der ersten Fältchen um die Augen für eine attraktive Frau und Mutter gehalten wurde. Ihr Eheleben war eingeschlafen und sie machte sich keine Gedanken mehr darüber, ob es jemals wieder erwachen würde. Die Schmetterlinge waren verschwunden. Im Bauch machte sich nur der Wut über Missverständnisse breit.

Jeden Montag, wenn in der Sauna um die Ecke Frauentag war, arbeitete Ulrikes Mann von zuhause aus und brachte die Kinder ins Bett. Danach setzte er sich wieder an den Schreibtisch und arbeitete weiter, während Ulrike sich den Abend frei nahm. Sie hatten sich Freiräume geschaffen, um das Gleichgewicht zu behalten.

Die Kinder waren aus dem Gröbsten raus, gingen zur Schule, hatten Freunde, und zum ersten Mal hatten sie wieder Zeit für ihr altes Leben. Keine nächtlichen Störungen mehr, keine Dauerbespaßung der beiden Racker. Aber sie hatten die Lust aneinander verloren. In einer Zeit, in der die Tür ihres Schlafzimmers immer offen gestanden hatte, damit sie in der Nacht die Rufe der Kinder hören konnte, voneinander getrennt durch die Angst, in der nächsten Sekunden von einem Kind geweckt zu werden, das entweder schlecht geträumt oder eingenässt hatte. Ihr ehelicher Beischlaf, genau so konnte man ihn nennen, hatte sich auf eine heimliche, sprachlose Nummer im Monat beschränkt, und selbst als die Kinder nicht mehr jede Nacht kamen, änderte sich nichts mehr im Ehebett.

Statt die neue Freiheit miteinander zu nutzen, war Tim, ihr Mann, war von da an immer häufiger beruflich unterwegs, da er fand, dass die prägenden Jahre, in denen er keine Sekunde mit seinen Kindern verpassen wollte, vorbei waren. Anfangs war es noch die eine oder andere Überstunde gewesen, doch mit der Zeit kamen immer häufiger dienstliche Fahrten hinzu, so dass Ulrike manchmal nächtelang mit ihrer ungestillten Lust alleine blieb.

Das hast du davon, hörte Ulrike ihre Mutter sagen, wenn du dich mit einem Karrieremenschen einlässt. Da sind die Rollen klar verteilt.

Aber seine Kunden honorierten seinen Einsatz mit vielen Aufträgen und großem Umsatz, der ihnen ein schmuckes Eigenheim in der Vorstadt finanziert hatte. Und Ulrike konnte es sich leisten, von zuhause aus und ohne Druck ihre alten Verbindungen zu reaktivieren und Events zu organisieren, während sie sich gleichzeitig um die Kinder kümmerte.

In den einsamen Nächten fand sie Trost und bei einer Flasche Prosecco und Downton Abbey und anderen Fernsehserien, doch mit ihren Fingern, doch mit den Wochen und Monaten, in denen sie manchmal zwei oder drei Nächte lang alleine in ihrem viel zu großen Bett lag und vom Schwanz ihres Mannes träumte, wuchs die Lust auf mehr.

Den ganzen Tag und den ganzen Abend hatte sie an nichts anderes mehr denken können und als ihre Kinder endlich geschlafen hatten, war ihr klar geworden, dass ihr genau das gefehlt hatte, um die Balance wieder zu finden.

Doch zum Gleichgewicht brauchte es auch Freiheit außerhalb der eigenen vier Wände, und ein Teil davon hatte 98°C bei sehr geringer Luftfeuchtigkeit. Zur Sauna gehörten ein Squashcenter sowie ein Fitnessclub, aber das Angebot nutzte Ulrike selten. Sie ging jeden Morgen Laufen, bevor die Kinder aufwachten und ihr Mann in seinen SUV stieg, um in sein Büro zu fahren. Laufen hielt sie fit und so war sie auch die überflüssigen Kilo nach der Schwangerschaft losgeworden. Auch ihre Brüste hatten nicht unter dem Stillen gelitten – im Gegenteil. Sie waren größer geblieben als vorher, eine Tatsache, die ihr Mann viel zu wenig zu schätzen wusste. Auch ihrem Hintern standen die kleinen Pölsterchen gut, auch wenn Ulrike fand, dass ein bisschen weniger auch okay gewesen wäre. Darauf war sie ein bisschen Stolz, jedoch nicht stolz genug, um ihren Körper den gierigen Männern in der Sauna auszusetzen.

Frauentag. Das hatte für Ulrike daher einen sehr entspannten Klang. Und normalerweise sah sie sich die anderen Frauen auch nicht an. Nicht die alten Frauen mit den faltigen Brüsten und auch nicht die jungen Hüpfer, die ihre rasierten Körper nach dem Sport mit einer frischen Schweißschicht überzogen.

Ulrike guckte nicht, weil sie nicht aufdringlich wirken wollte. Nur deshalb. Denn eigentlich sah Ulrike gerne zu, wie die jungen Frauen die Handtücher ausbereiteten und ihr dabei die Kehrseite zuwandten. Sah gerne zu, wie sich die jungen Damen mit ihren festen Hintern auf die Bank setzten oder die prallen Brüste in den Frottee pressten. Ulrike verbarg ihre Blicke meist in der Bewegung, wenn sie kam oder ging und nach dem Thermometer guckte oder nach einem freien Platz auf der Bank. Dann erinnerte sie sich an ihre Jugend und geriet ins Träumen, dachte an die Zeit vor den Kindern und wie ihr Körper noch fest und begehrenswert gewesen war.

Den Rest der Zeit träumte sie davon, wieder einen solch jungen Körper zu haben, einen Körper, den ihr Mann begehrte und für den er seine Geschäftsreisen verkürzen oder sogar absagen würde, nur um in der Nacht über sie herzufallen und sie zu nehmen, so wie früher, hemmungslos, atemlos.

Ulrike genoss den Moment der Sehnsucht, jedes Mal, wenn eine neue, junge unbekannte Frau in der Sauna war, die sie noch nicht beobachtet hatte, oder wenn sie erneut den festen Körper einer Bekannten sah, den sie zuvor schon einmal bewundert hatte. Heimlich. Aus der Bewegung heraus.

Und dann geriet sie wieder ins Träumen.

In einem anderen Leben, dachte sie, in einem anderen Leben wäre ich keine Hausfrau und Mutter, sondern eine Frau, die man ficken wollte.

Ulrike hatte bis zu diesem Montag keine Ahnung, dass ihr neues Leben gerade begonnen hatte. An diesem Abend war nur eine andere Frau in der Sauna, wie Ulrike schnell feststellte, als sie durch die Glastür sah. Und mit einem geübten Blick, der wie immer weniger als eine Sekunde dauerte und von einem beiläufigen Augenschwenk kaum zu unterscheiden war, hatte Ulrike registriert, dass es eine junge Frau war, die auf ihrem Handtuch Platz genommen hatte.

Ulrike ließ die Badesandalen draußen, zog die Tür hinter sich zu und was folgte, war die erste in einer ganzen Reihe von Unterbrechungen des normalen Ablaufes an einem solchen Montagabend. Ulrike nahm Augenkontakt mit der Frau auf, die mit leicht auseinandergestellten Beinen auf ihrem Handtuch saß. Sie war Mitte bis Ende 20 und weder ihr Bauch noch ihre Brüste erweckten den Anschein, als habe sie Kinder. Ihre dunklen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. Die Frau lächelte. Ulrike lächelte zurück und sagte Hallo, bevor sie auf der Sitzbank ihr Handtuch ausbreitete.

Die Sauna war gut angeheizt und jemand hatte einen Aufguss aus Piniennadeln gemacht. Die heißen Steine knackten. Die Frauen in der Sauna saßen meist gleich, fand Ulrike. Sie zogen ihre Beine an und kauerten sich quer zur Sitzrichtung auf die Bank. Aber die junge Frau saß anders, sie hatte beide Füße auf dem Boden, ganz wie ein Mann.

Ulrike setzte sich und drückte die Hände neben sich in das Handtuch. Sie hob den Blick, und irgendwie, weil sie alleine waren und beide ziemlich genau die gleichen Positionen einnahmen, kam plötzlich ein Kontakt zustande. Sie hielten zwei, drei Sekunden lang Blickkontakt.

Peinlich berührt wandte Ulrike den Blick ab und schloss die Augen, um zu träumen.

Von einem Körper wie dem der jungen Dame. Der Ofen knackte. Das Holz knarrte unter leichten Gewichtsverlagerungen ihres unruhigen Hinterns. Wie sah der noch genau aus? Ulrike öffnete die Augen erneut. Beiläufig. Desinteressiert. Und was dann passierte, war die zweite Unterbrechung der montäglichen Routine. Die junge Frau lächelte wieder hinüber, lehnte sich zurück, legte die Arme auf die zweite Sitzreihe, und nahm, ganz beiläufig und selbstverständlich, beinahe unschuldig, ihre Beine auseinander. Ulrike konnte nicht anders als hinsehen, und das war die dritte Besonderheit an diesem Abend, der so harmlos angefangen hatte.

Die Scham der jungen Frau war teilrasiert mit einem kleinen Landestreifen, und Ulrike musste schlucken, so aufgewühlt war sie plötzlich. Zwischen ihren Beinen begann es zu kribbeln und ihre Brustwarzen richteten sich unwillkürlich auf. Wenn ihr bei der Hitze in der Sauna nicht ohnehin der Schweiß auf der Stirn gestanden hätte, wäre er ihr in diesem Moment ausgebrochen. Die junge Frau nahm eine Hand von der Lehne und legte sie auf ihren rechten Oberschenkel, ganz unauffällig. Dabei sah sie Ulrike an.

Ulrike spürte, wie ihr Herz auf einmal unruhig zu schlagen begann.

Warum macht sie das? Und warum, fuhr es ihr durch den Kopf, kann ich nicht wegsehen? Es ist doch eine Frau.

Sekunden später öffnete sich die Tür erneut und zwei ältliche Frauen traten herein.

Der dünne Faden, der Ulrike und die junge Frau gegenüber verbunden hatte, riss lautlos. Ulrike wandte den Blick ab, die junge Frau schloss die Beine und alles war wie immer.

Fast wie immer.

Denn als Ulrike die Augen schloss, um davon zu träumen, wie ihr eigener Ehemann zu ihr ins Bett kam, weil Ulrike einen jugendlichen und begehrenswerten Körper hatte, konnte sie nur an die junge Dame von gegenüber denken, an die festen Brüste und die ausrasierte Scham. Nie hatte Ulrike daran gedacht, sich ihr Schamhaar abzurasieren, weil sie es obszön fand und unnötig. Aber bei der jungen Frau hatte es gut ausgesehen. Mehr als das. Es hatte Ulrike erregt.

Sie hörte Holz knarren. Schritte. Atmen. Und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie noch einen entzückend festen Hintern durch den Spalt in der Tür verschwinden.

Ulrike spürte ihr Herz klopfen. Flatternd, irritierend lebendig.

Du spinnst, schalt sie sich.

Ihr war schwindelig. Im Bauch breitete sich ein seltsames Gefühl aus. Wie Schmetterlinge.

Was hast du vor?, dachte sie.

Dann stand sie ebenfalls auf.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 26.04.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein kleiner Ausflug, eine Momentaufnahme der Lust. Wohin das führt? Kann man sich denken... Für: Erotik-Schreibwettbewerb April/Mai Thema: Zufällige Begegnung

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