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1.

 

Mein erstes Mal erlebte ich mit Frau Döring. Heute würde man sagen: mit einer MILF. Ein Freund sagte mir später, halb im Scherz, halb ernst gemeint, auf alten Gäulen lerne man das Reiten. Aber das stimmt bei Frau Döring, die zudem alles andere als ein alter Gaul gewesen war, nicht so ganz. Sie brachte mir vieles bei, nicht jedoch das Reiten.

Die Wirklichkeit ist immer etwas komplizierter.

 

Frau Döring war damals unsere Nachbarin und höchstens Mitte Dreißig. Aus damaliger Sicht vielleicht alt, heute weiß ich es besser. Sie hatte zwei Kinder, der Große war ein paar Jahre jünger als ich und das Mädchen vielleicht zehn. Ihr Mann war immer unterwegs, ich glaube, er war Fernfahrer oder bei der Bundeswehr oder selbstständig. Die Wahrheit ist, dass es für mich keine Rolle spielte. Jedenfalls war sie oft alleine, wenn ich aus der Schule kam und sie mit der Kleinen an der Sandkiste im Hof zwischen unseren Häusern sah oder wenn ich bei ihr zu Besuch in der Wohnung war.

Und das war ich einige Zeit lang häufiger, weil der Sohn eine Carrerabahn hatte und ich nicht, und mir hatte der Altersunterschied eine Zeitlang nichts ausgemacht, solange ich mit Michaels Carrerabahn spielen durfte.

Schon damals hatte sie meine volle Aufmerksamkeit gehabt, wenn sie uns Kekse und Limonade hinstellte. Sie hatte blonde Haare und sehr große Brüste, und ihre schmale Taille lenkte mich, je älter ich wurde, immer mehr vom Spiel ab, als ihr Sohn jemals verstehen würde.

Irgendwann hatte ich das Interesse an der Carrerabahn verloren und Frau Döring war zu einer Nachbarin geworden, die man grüßte, aber ansonsten kaum noch beachtete.

Wobei die Missachtung meinerseits auch einen klaren Grund hatte, denn mir war die Erektion, die jedes Mal in meiner Hose wuchs, wenn ich sie sah, viel zu peinlich, als dass ich es länger in ihrer Nähe aushielt, als nötig war, um Hallo zu sagen.

Das änderte sich erst, als ich begann, Zeitungen auszutragen, ein damals für einen Schüler in meiner Kleinstadt einträgliches Geschäft. Einmal die Woche verteilte ich in meiner unmittelbaren Nachbarschaft 500 Exemplare einer Gratiszeitung mit belanglosen Berichten aus der Region und noch belangloserer Werbung.

Sechs Pfennig bekam ich pro Zeitung. Ein Taschengeld, verglichen mit dem wahren Lohn, den ich eines Tages für meine Arbeit einstrich. Ein unschätzbarer Lohn.

An einem windigen Herbstnachmittag stopfte ich zu Beginn der Runde durch mein Viertel die Zeitung in die Briefkästen der Mieter unseres Hauses, als Frau Döring mit einer vollen Einkaufstasche in den Hausflur trat. Sie trug einen engen Rock und ein weißes Hemd. Die blonden Haare fielen ihr glatt auf die Schultern. Mein Zwerchfell zitterte plötzlich, so sehr hatte ich vergessen, wie hübsch sie war.

»Hallo Stefan«, sagte sie. Ich setzte meinen Kopfhörer ab und schob die letzte Zeitung in einen Briefkasten. »Dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Mensch, bist du groß geworden.«

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte und nickte nur.

»Ich trage jetzt Zeitungen aus«, fiel mir nach einer kurzen Pause ein. Frau Döring nickte lächelnd. Ihr Blick fiel auf meine Kopfhörer, die mir um den Hals baumelten.

»Was hörst du?«

»Alles Mögliche«, sagte ich. Ihre spontane Reaktion kam unerwartet. Sie beugte sich vor und setzte sich meinen Kopfhörer auf. Ihr Gesicht kam meinem ganz nah. Ich konnte die kleinen Fältchen in den Winkeln der blauen Augen erkennen, die mich unverblümt musterten.

»Das ist Foreigner«, sagte ich, und noch bevor mir bewusst wurde, wie platt es wirken könnte, wie blöd der Zufall aussah und wie peinlich mir das sein würde, fügte ich den Titel hinzu: »I want to know what love is..

»Das kenne ich«, sagte sie mit lauter Stimme. Ihr Atem roch noch Pfefferminz, nach Zitrone, nach Alkohol. Bevor sie den Kopfhörer wieder absetzte, blickte sie mir lange in die Augen.

»Du musst dich ja schon rasieren«, sagte sie.

Verlegen sah ich zu Boden. Sie hielt mich für älter als ich war. Oder für reifer. Ich war noch lange nicht erwachsen. Sie nahm ihre Taschen wieder auf. Sie schluckte trocken und wirkte sehr aufgeregt, beinahe nervös.

»Magst du mal zum Quatschen vorbeikommen? Ich würde gerne mit dir reden.«

»Ich muss meine Runde fertig machen«, sagte ich und traute mich noch immer nicht, sie anzusehen. Plötzlich bekam ich Angst. Was wollte sie von mir? Wollte sie überhaupt etwas von mir? Oder war sie nur nett? Ich spürte, wie sich in meiner Hose der Platz rar machte. Hoffentlich sah sie die Beule nicht.

Aber größer als die Erregung war die Angst vor der Situation. Was sollte ich sagen, wie sollte ich mich verhalten? Ich hatte das tiefe, unbehagliche Gefühl, ihre Erwartungen nicht erfüllen zu können. Wie immer in solchen Situationen, wenn ich unsicher wurde und nicht wusste, was ich tun sollte, zog ich mich zurück. Ich öffnete die Haustür. Frau Döring nahm die ersten Stufen der Treppe.

»Vielleicht hast du ja Lust auf einen Apfelsaft, wenn du mit deiner Runde fertig bist«, verstand ich noch. Ich rief »Okay!« ohne sie anzusehen, und ließ die Haustür hinter mir zufallen.

Die Fahrt über stopfte ich meinen Boten abwesend in die Briefkästen und Zeitungsrohre. Ich dachte an Frau Döring und ihre Sommersprossen auf der Stupsnase. In den letzten Wochen hatte ich eigentlich von Nicole geträumt.

Sie war vor einem halben Jahr neu in unsere Klasse gekommen, und jeder meiner Freunde hatte sie belächelt. Zu groß, zu dünn, zu laut. Sie war keine Schönheit, jedenfalls nicht wie die Mädchen in den Heften, die ich mir jede Woche im Kiosk um die Ecke kaufte und als Wichsvorlage nahm.

Schlüsselloch und Sexy waren die Lehrbücher für eine Klassenstufe, die ich längst noch nicht erreicht hatte, aber dem Kioskbesitzer, einem knorrigen alten Mann, waren Altersfreigaben herzlich egal, solange ich regelmäßig mein Geld über den Tresen schob. Auf dem Heimweg hielt ich dann die Hefte aus dünnem, glänzendem Papier mit erotischen Reportagen, lasterhaften Neuigkeiten und geilen Kurzgeschichten aus der Welt meiner feuchten Träume wie einen Schatz unter meinem T-Shirt, Hemd oder Pullover verborgen. Um dem Verkauf unter dem Ladentisch zu entgehen, waren die intimsten Stellen zwischen den gespreizten Beinen nachträglich geschwärzt, so dass die tiefsten Einblicke der Fantasie vorbehalten waren.

Aber die Posen der Mädchen auf allen Vieren, und die Berichte der Leser, die ihre geilsten Erlebnisse oder wildesten Fantasien schrieben, ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Jede Woche neue Lektionen, jede Woche mehr theoretische Grundlagen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.12.2014
ISBN: 978-3-7368-6502-0

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