Cover


Die kleine Samstagabend S-Bahn-Party unserer Facebook-Generation
Am Samstag feierten die Eltern meines Freundes den 46. Hochzeitstag. Andreas und ich, wir waren von ihnen zum Essen eingeladen worden. Wir trafen uns abends in einer Pizzeria am Rotkreuzplatz. Dumm, dass Andreas‘ Eltern lieber Bücher lesen, anstatt über die Anschaffung eines Computers nachzudenken. Sonst hätten sie sich eventuell mit der Facebook-Gemeinde besser im Terminkalender abstimmen können. Was schreibe ich hier soeben nur zusammen, Andreas’ Eltern trennen ganze Welten vom Internet und der Hochzeitstag ist seit 46 Jahren immer an genau diesem Datum. Jedenfalls verbrachten wir zu viert einen netten gemeinsamen Abend. In der U-Bahn dann, gegen halb 10, war zunächst alles wie immer. Im Nachhinein könnte man es auch als ‚Ruhe vor dem Sturm‘ betiteln. Wir rollten ahnungslos die Treppe vom U-Bahnhof ins Hauptbahnhof-S-Bahn-Geschoß hinauf. Und hörten die ständige Durchsage, ‚bitte steigen sie zügig an allen S-Bahn-Türen ein. Gehen sie im Wageninneren durch und blockieren sie bitte nicht den Einstiegsbereich.‘ Es folgte noch die ganze weitere Litanei des S-Bahn-Programms für Anfänger. ‚Da stimmt wiedermal was nicht,‘ schoss mir spontan durch den Kopf, und der Dame vor mir auf der Rolltreppe mochte es wohl just in dem Moment ebenso gegangen sein. Unsere Blicke trafen sich kurz und ich sprach meinen Gedanken laut aus. Sie nickte, während Andreas uns skeptisch ansah. Und meinte, ‚warum, das sagen sie doch immer.‘ ‚Du fährst noch zu viel mit dem Auto in die Stadt, so oft ist’s sonst nie,‘ belehrte ich ihn und erntete damit ein zustimmendes Nicken von der netten Dame. Zunächst wirkte alles ganz normal auf dem Bahnsteig. Bis wir merkten, dass sich die fast leere S-Bahn am Gleis verdächtig lang nicht rührte und ein Waggon davon in dämmriges Halbdunkel gehüllt war. ‚Schau, da ist Stau’, sagte ich zu Andreas, weil man am vorderen Tunnelende noch die Rücklichter der vorherigen S-Bahn erkennen konnte. Und hinten laut elektronischer Anzeige sich die S-Bahnen sich schon stapeln mussten, fünf davon sollten in null Minuten vom Hauptbahnhof abfahren. Auf der ‚Stadtauswärts-Seite‘ drüben kam nun gewaltig Bewegung in die Sache. Eine S-Bahn fuhr ein und heraus drängten sich Heerscharen an (unserer heutigen..?) Jugend, allesamt schienen mit Bierflaschen und sonstigem Hochprozentigen bewaffnet zu sein. ‚War da nicht so eine Protestaktion angekündigt worden, weil sie mit dem Fahrplanwechsel das Trinken in der S-Bahn verbieten wollen?’, grübelte Andreas. ‚Ich dachte, das war schon,‘ gab ich zurück, weil ich meinte, irgendwo vor Kurzem Fotos von krawelenden Jugendlichen gesehen zu haben. Jetzt bot sich uns jedoch ein Livebild dieser Situation. Die Sippschaft stolperte auf der rechten Seite aus der S-Bahn heraus und befüllte fröhlich die vor uns stehende Bahn. Wir durften das Ein- und Aussteigespielchen erst ein bisschen vom Bahnhof aus beobachten, schließlich hatten ja alle Züge Verspätung. Von der sprachen die im Häuslein in der Bahnhofshalle gar nicht. Das hatten sie wohl zu diesem Zeitpunkt schon aufgegeben. Im Inneren unserer Bahn waren dann die meisten erfreulicherweise noch recht nüchtern. Nie hatte man besser unterscheiden können, welcher der Fahrgäste zu was für einer Front angehörte. Es gab ‚Jung mit Flasche‘ und die gequält dreinblickenden ‚Älteren ohne solchen Zubehör.‘ Eine Frau stellte sich neben mich, wir schauten uns in die Augen und verdrehten diese wie zur gemeinsamen Sympathiebekundung kurz mal in exakt die gleiche Richtung. Im Mittelgang pressten sich unsere Gegner dicht zusammen und grölten und hopsten dabei auf der Stelle. Wie dann ein Stückchen weiter vorne im Türbereich einer das Rauchen anfing, reichte es mir endgültig. Ich tat einen Schritt auf einen jungen Kerl vor mir zu und fragte, ‚warum macht’s ihr so was nur?‘ Ganz im Tonfall von ‚seit’s ihr noch zu retten.‘ Andreas kennt mich schon. Interessanterweise drückte er sich etwas mehr in seine Stehplatzecke an der Türe und in seinen Augen stand zu lesen ‚ich kenne die Dame eigentlich nicht näher.‘ Mein Gegenüber gab derweil keck zur Antwort, ‚warum, ist doch endlich mal eine super Stimmung hier herinnen. Wissen Sie, die wollen doch glatt ab Montag das Biertrinken hier verbieten. Und überhaupt, sind Sie morgens um neun schon mal mit der S-Bahn gefahren? Dauernd hat sie Verspätung.‘ 'Sag 'Du', ich sag's ja auch zu Dir,' meinte ich vorab zu ihm. Schließlich gehöre ich mit 43 ja auch noch nicht zu den eindeutig Alten. Etwas irritiert war ich auch, weil er nämlich ganz nett klang. Und dann verblüffte ich mich selbst, indem ich die Bahn in Schutz nahm und ihm erklärte 'Naja, witterungsbedingt können die jetzt im Winter oft gar nichts dafür, wenn es morgens nicht so 100-prozentig nach dem Fahrplan läuft.' Vor Kurzem hatte ich eine Reportage im Fernsehen über die Bahn gesehen. Man kann sich als unbedarfter Normalbürger gar nicht vorstellen, mit was für Schikanen das Personal aufgrund des kalten und nassen Wetters täglich so zu tun hat. Ich erzählte dem Burschen ein wenig davon, währenddessen wurde von vorne ein Jugendlicher quasi auf den Händen der im Mittelgang Stehenden johlend durchgereicht. Über deren Köpfen entlang, mit der Schuhspitze schlug er dabei ein bisschen an die Beleuchtungsvorrichtung. So bekamen sie das mit den defekten Lampen vorzüglich hin. Bis zum Ostbahnhof benötigten wir eine gefühlte Ewigkeit, wir waren da gegen 10 Uhr und das restliche Pack trollte sich wieder in eine Bahn nach der anderen Fahrtrichtung. Ich glaube, wir waren mit unserer Heimfahrt gerade noch früh genug dran. Zuvor, war es am Karlsplatz, bemerkte ein Typ nämlich, 'Scheiße, Mensch, ich bin noch viel zu nüchtern.' Ich bedankte mich im Stillen dafür. Außerdem befürchte ich, dass die Bahn bald einen Hilfsfonds für sich einrichten lässt. Wahrscheinlich bittet sie dann in einer groß angelegten Spendensammelaktion uns Fahrgäste um Geld für alles, was so zu Bruch ging bei der großen Megaparty. Ich schwöre mir in Gedanken, nie bei Facebook Mitglied zu werden. Seit zwei Wochen besitze ich endlich auch so einen schicken Laptop daheim. Auf meiner netten Mailadresse bin ich für gute Freunde erreichbar und das reicht, finde ich.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.12.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /