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Das Meer und der Himmel haben heute Morgen dieselbe Farbe. An jedem Grashalm schillert ein Tropfen Tau. Ich genieße die leichte Feuchtigkeit zwischen meinen Zehen. Es ist noch sehr zeitig und die Welt gehört mir. Fröhliches Vogelgezwitscher und das ewige Rauschen der brechenden Wellen umgeben mich. Ich bleibe einen Augenblick stehen atme tief ein, leichter Langustengeruch vermischt mit einem Hauch von morgendlicher Frische zieht durch meine Nase. Wenn ich dieses Bild, als Gemälde sehen würde, erschiene es kitschig und unrealistisch: Umgedrehte Fischerboote, bei denen die grüne und blaue Farbe schon abgesplittert ist, daneben Ruder und große Netze verhängt mit Algen. Der Strand ist komplett einsam und frei von Fußspuren. Ich halte Ausschau, um die Delphine wieder zu sehen, die gestern in den Wellen surften, doch die Sonne und der Tau vermischen sich zu einem Schillern, das es fast unmöglich macht, ohne Sonnenbrillen etwas zu sehen. Am Horizont erkenne ich die Silhouette eines Frachtschiffes.
Ein kleiner Kiosk steht inmitten der Dünen, dicht umringt von blühendem, violetten Unkraut, das sich durch den Sand gedrillt hat. Der alte Verkaufskiosk hält sich gerade noch aufrecht. Ich öffne die morsche Holztüre und betrete den kleinen Raum, der die notwendigsten Utensilien für eine Küche aufweist. Ich habe noch Zeit, aber auch noch viel zu tun, bis ich die ersten Gäste mit Hamburgern und Würstchen bedienen muss. Mein erster Handgriff gilt dem Radio. Ich brauche die Musik um in Schwung zu kommen. Ich öffne die Durchreiche, binde meine Schürze um und fange an, mein Verkaufspult aufzubauen. Servietten, Papierteller, Gurkenglas, Senf. Ich bewege mich zu den afrikanischen Trommeln, die aus dem Kofferradio hallen. Wie gerne ich diesen Rhythmus habe, er kann mir nie zu viel werden, nur leider verstehe ich kein Wort des Xosa Gesanges. Ich erfinde meinen eigenen Text. „What a beautiful day...“. So macht das Putzen mehr Spaß, bumm, bumm, bumm fegt das feuchte Abwaschtuch im Takt über den Gaskocher und die Töpfe. Im hintersten Winkel des Kiosks stehen noch zwei Plastikkisten mit einem Vorrat an Colaflaschen. Flink nehme ich die erste Kiste und bringe sie zur Kühltruhe, um sie aufzufüllen. Als ich die zweite Kiste ergreife und sie mit einem Schwung hoch reiße, berührt meine große Zehe etwas Weiches. Eine elektrische Schockwelle schießt durch meinen Körper, was war das? Langsam ziehe ich die Kiste etwas näher an meinen Bauch um besser sehen zu können.
Oh, mein Gott, nein! Ich will aufschreien, doch kein Wort kommt aus meiner Kehle. Ich spüre weder das Gewicht der Kiste, noch meinen Körper. Meine Kopfhaut zieht sich zusammen.
Eine dicke, eingerollte Puffotter!
Weg rennen, die Kiste auf sie fallen lassen, kann ich sie damit töten? Ich tue überhaupt nichts, ich bin an dem Zementboden angewachsen.
Was soll ich tun. Eine innere Stimme flüstert: Nicht rennen, nur nicht ruckartig bewegen. Ich halte meinen Atem zurück so lange ich kann und atme nur ganz flach und wenig. Mein Körper kommt wieder zu mir zurück und schlagartig wird mir höllenheiß. Ich spüre nur den kalten Boden unter meinen Sohlen. Meine große Zehe berührt sie noch immer. Weg, raus aus dem Kiosk, aber wie? Ohne mich zu bewegen, nur einen Millimeter, schiebe ich meinen Fuß zurück. Dann den Anderen.
Ich lasse sie nicht aus dem Auge. Bitte schlafe weiter. Langsam, langsam, nicht zu viel atmen, nur kein Geräusch! flitzen die Gedanken durch meinen Kopf. Es ist schwierig die Kiste im Gleichgewicht zu halten, ohne dass sich die Flaschen irgendwie bewegen. Meine Hände sind lahm und ich bemühe mich zögernd einen Fuß zurück zu ziehen. Sie hebt den Kopf und ich schaue in ihre kleinen Augen. Mein Atem stoppt, nur mein Herz pocht lauter als die Trommeln, spürt sie die Vibration? Lieber Gott, hilf mir, jetzt brauche ich dich. Lass bitte niemanden bei der Tür rein stürmen.
Oh, nein, sie entrollt sich. . . Ich bin komplett betäubt, meine Ohren beginnen zu rauschen und mein Kopf will zerspringen. Nur nicht in Ohnmacht fallen! Ich fixiere sie. Ihren Kopf und Rumpf aufrecht haltend beobachtet sie mich, während der Rest des Körpers sich in Bewegung setzt. Soll ich die Kiste jetzt auf sie fallen lassen. Sie kommt mir zuvor mit der Entscheidung. Sie lässt ihren Kopf auf den Boden sinken und windet sich gewandt durch meine Beine und über meinen rechten Fuß, als ob er ein Stein wäre. Ich kann den Atem nicht mehr halten. Ihr dicker Körper erzeugt auf dem harten Boden ein leises Rascheln und Zischen. Sie gleitet wendig ins Freie. Mein Blut beginnt wieder zu zirkulieren, doch ich wage es noch immer nicht, mich zu rühren. Ich muss mich bewegen, kurz darauf spüre ich hunderte Nadelstiche, die meine Arme durchbohren. Ich stelle endlich die schwere Kiste ab und schleiche mich vorsichtig zur Tür. Ich kann sie nirgends erblicken. Meine Hände zittern. Schnell nehme ich mir ein Glas Wasser und fünf große Löffel Zucker - ich habe einmal gehört dass, das gegen Schock hilft. Ich zünde mir eine Zigarette an und schaue aus dem Fenster in die tobenden Wellen. „Danke.“ Wer immer da draußen auf mich schaut.

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Tag der Veröffentlichung: 23.01.2011

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