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Grünes Muti

Ich goss den Kaffee in den Filter. Ein herrlicher Geruch stieg auf, das Beste für mich am Morgen. Ich war alleine in unserem Campingbus, mein Mann war schon zeitig zum Fischen gegangen. Ich setzte mich mit dem dampfenden Kaffee an den Campingtisch und genoss den herrlichen Ausblick. Um mich herum dicke alte Bäume, völlig verwachsen. Es fehlte nur mehr Tarzan, der sich von einer Liane zur anderen schwang. Vor mir lagen der Strand und das Meer. Das Wasser war genauso blau wie der Himmel, so dass ich den Horizont kaum erkennen konnte. Ein Königsfischer stürzte sich ins Meer, um sich einen Fisch zu schnappen. Möwen rannten am Strand auf und ab. Es war nicht nötig, eine Musik im Radio zu finden, da die Vögel und Affen für mich komponierten.
Ich wollte mir mein Buch holen, als Thandi, eine Xhosa-Frau, die uns vor paar Wochen entdeckt hatte, vor mir stand. Sie wohnte mit ihrer Familie in einem Rondavel, einem Dorf, das in der Nähe lag. Ihr Englisch war ebenso schlecht wie meines, doch wir verstanden einander. Sie war eine richtige Mammi, mit einem riesigen Hinterteil, auf dem bestimmt einige Kinder Platz genommen hatten, um eingewickelt herum getragen zu werden, und einem dicken Busen. Sie stand barfüßig vor mir. Wie sie das schafft, dachte ich, ich brauche meine Flip-Flops, um mich vor Dornen und Insekten zu schützen. Auf beiden Füßen trug sie silberne Reifen, die ich am Tag vorher gezählt hatte: Es waren fünfzehn an jedem Bein. Sie hatte einen grellen orangefarbenen Midi-Rock an, bestickt mit farbigen Perlen. Auch ihr T-Shirt war ein buntes Perlenmeer. Um ihr Handgelenk hatte sie einen kleinen blauen Stoffbeutel gewickelt, der sehr wichtig für alle Xhosa-Frauen ist, denn nach Thandis Erzählungen rauchten alle Frauen Pfeife, und der Beutel enthielt den Tabak. Die Pfeifen sind lang, sehr lang und meistens mit Perlen oder Schnitzereien dekoriert.
„Guten Morgen Thandi, du bist aber heute zeitig hier.“, begrüßte ich sie. „Was ist in der Flasche auf deinem Kopf?“
Sie hatte wie immer einen roten Stoff einige Male um ihren Kopf gewickelt. Inmitten dieses Kunstwerkes steckte eine Ein-Liter-Colaflasche mit einem giftgrünen Inhalt.
„Morgen“, sagte sie lächelnd und nahm die Flasche vom Kopf. „Sie ist für dich.“
Sie stellte die Flasche auf den Tisch.
„Für mich, was ist das? Wie machst du das überhaupt?“
Ich platzierte die Colaflasche auf meinen Kopf, versuchte einen guten Mittelpunkt zu finden, doch sofort rutschte sie ab.
„Also, das ist wahrscheinlich jahrelanges Training, oder dein Kopf ist oben flach.“ Wir lachten beide.
„Willst du Tee?“
„Ja, bitte“, wir stiegen in den Campingbus, und ich ließ das Teewasser kochen.
„Nun, was ist das, hast du mir ein kaltes Getränk mitgebracht?“
Thandi nahm die Pfeife aus ihrem Mund.
„Nein, das ist ein Muti, ich habe es für dich gemischt. Du sagtest vor paar Tagen, dass du kein Kind bekommen kannst. Wenn du das trinkst, wirst du fruchtbar werden.“
Ich rührte fünf Löffel Zucker in ihren Tee, denn nur so schmeckte er ihr.
„Aber ich sagte dir doch, dass ich mich damit abgefunden habe, und wir deshalb unseren Lebensstil geändert haben.“
„Ja, du willst jetzt nur reisen, ich habe deine Wörter gehört, aber deine Augen zeigten mir, dass du ein Kind willst.“
„Meine Augen“, ich lachte, „meine Augen, also bitte, die haben überhaupt keine Ahnung.“
„Und du hast keine Ahnung, was dir fehlt: Kinder. Glaube mir und trinke mein Muti, es wird dich glücklich machen.“
Meine Gedanken kreisten: Niemals würde ich dieses giftgrüne Gemisch trinken.
„Danke“, hörte ich mich sagen, „das ist lieb von dir. Was enthält dieses Getränk, dieses Muti?“
Sie nahm ihren Tee mit nach draußen, und ich breitete eine Decke für sie aus, denn ich vertraute den dünnen Beinen meines Campingsessels überhaupt nicht.
„Das kann ich dir nicht genau erklären, es sind Teile eines Tieres, gewisse Baumrinden und Seewasser.“
„Welches Tier? Welcher Teil?“ Je länger ich dieses grässliche Grün anschaute, umso mehr ekelte es mich.
„Ich bin eine Sangoma, ich habe schon vielen Menschen geholfen. Willst du nicht gleich davon trinken?“
„Ich habe noch nicht gefrühstückt, ich muss zuerst was essen.“ Gut, dass mir das eingefallen war.
„Glaube mir, es hilft. In einem Monat bist du schwanger, trinke die Flasche heute aus. Ich bringe dir Morgen wieder neues Muti.“
Bitte nicht! schoss es mir durch den Kopf.
“Mach dir doch nicht so viele Umstände, ein Liter wird sicher genug sein.“
Ich nahm die Flasche und schüttelte sie leicht. Kleine Stückchen von irgendetwas wirbelten herum.
Thandi ging zum Campingtisch und strich über die Tischplatte.
„Du hast keine Kinder, aber einen schönen Tisch. Ich habe sechs Kinder und keinen Tisch. Wir sitzen am Boden und essen vom Boden.“ sagte sie nachdenklich.
Ich wusste nicht, was ich erwidern konnte und war froh, dass wir von einem Rudel Blue Face Affen abgelenkt wurden, die auf dem Dach des Busses her umsprangen.
„Danke für den Tee“, sagte Thandi. „Ich komme morgen wieder. Vergiss nicht, deine Medizin zu trinken.“
„Auf jeden Fall“, erwiderte ich lachend.
Ich öffnete die Flasche, ein penetranter Geruch nach Verwesung umringte mich. Trinken?
Wo soll ich denn das ausleeren, überlegte ich, da stirbt ja jedes Bodengewächs ab.
Thandi erschien täglich mit einer neuen grünen Flasche auf dem Kopf. Sie streichelte über meine Haare und versicherte mir, dass ich viele Kinder haben würde.
„Wer hat dir eigentlich das Rezept für dieses Muti gegeben, Thandi? Gibt es ein Medizin- oder Rezeptbuch dafür? Wo hast du das her?“ fragte ich sie.
„Ich träume es. Wenn mich etwas beunruhigt, frage ich abends meine Ahnen, sie erscheinen in meinen Traum und geben mir die Anweisungen.“
„Ist ja großartig, dass du mit deinen Ahnen so kommunizieren kannst. Bitte braue nichts mehr für mich, ich glaube, ich habe genug davon getrunken“, log ich.
Es nützte nichts, Thandi kam wieder. Beim Ausleeren der Flaschen fiel mir immer das Lied ‚Ten green bottles hanging on the wall’ ein. Diese Melodie und der scharfe Geruch verfolgten mich Tag für Tag.
Als wir uns eines Morgens entschieden, unser Camp abzubrechen, um weiterzufahren, schenkte ich Thandi unseren Campingtisch. Sie weinte Freudentränen. Eine Stunde später tanzte sie förmlich heran. Auf dem Kopf balancierte sie einen riesigen Karton mit zwölf Flaschen giftgrünem Muti.
„Zwillinge sollen es werden!!“ wünschte sie mir zum Abschied.
Während ich dies niederschreibe, lasse ich meinen Sohn nicht aus den Augen. Er ist jetzt vier Jahre alt und voller Schabernack.

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Tag der Veröffentlichung: 08.01.2011

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