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Otto Kowalsky



Endlich wird es ihm bestätigt. Er, Otto Kowalsky, war immer einer der Besten. Stets fleißig, zuverlässig, strebsam, loyal und vor allem gewissenhaft. Eigentlich unentbehrlich. Und, was das Schlimmste für die Firma sei, er hinterlasse in der Endkontrolle für pneumatische Autohupen eine große Lücke, die man nicht so leicht wieder schließen könne. Aber seine bereits pensionierten Kollegen waren auch alles tolle Kerle gewesen. Würde man ihre hinterlassenen Lücken nebeneinander setzen, müssten sich bereits Spalten von immenser Größe durch die ganze Firma ziehen. Er fühlt sich sehr geehrt und es ist ihm eine Genugtuung, dass alle Kollegen und seine ebenfalls geladenen Frau nun von kompetenter Seite erfahren, welche begehrte, unersetzliche Arbeitskraft er war. Er hatte es ja schon immer gesagt. Nur glauben wollte es ihm keiner. Gut, er ist oft, seine Frau meinte zu oft, bei den Lohnerhöhungen übersehen worden, aber in einem so großen Unternehmen kann so etwas schon mal vorkommen. Allerdings, jetzt wo sie seine Qualitäten sogar öffentlich anerkannt werden, man die Highlights seines Tuns vor den Anwesenden ausbreitet, ist es für finanzielle Anerkennungen leider zu spät. Die Rednerliste ist lang und immer wieder wird betont, wie gewissenhaft und zuverlässig er gewesen sei, ein Garant dafür war, dass keine einzige fehlerhafte pneumatische Autohupe jemals die Firma verlassen habe. Draußen wartet schon das kalte Buffet, aber auch er will unbedingt noch etwas sagen. Er lobte das gute Arbeitsklima in der Firma, dass die Vorgesetzten immer verständnisvoll waren, stets ein offenes Ohr für seine Probleme hatten und jeder im Betrieb seine Chancen bekam vorwärts zu kommen. Auch er habe als Hupenmonteur angefangen und sich im Laufe von 40 Jahren sogar zum Oberhupenkontrolleur hochgearbeitet, der nicht nur für die einwandfreie Funktionen, sondern auch für die reinen aber auch weithin hörbaren Töne verantwortlich war.

Erst viele Jahre später erlangte er ohne sein Zutun große Berühmtheit. Otto Kowalsky hatte die perfekte Funktion der pneumatischen Autohupen auf den Prüfzertifikaten immer mit seinem Kürzel OK bestätigt und dies war stets die Garantie für einwandfreie Qualität gewesen. Aus der Presse erfuhr er, dass sein Kürzel OK erst in Amerika und dann in der ganzen Welt immer weitere Verbreitung fand. Auch für „einverstanden“ oder „in Ordnung“ wurde sein Okay bald immer öfter benutzt.

Als er die Urheberschaft dieses okay beanspruchen wollte bekam er jedoch Ärger mit dem Kartoffellieferanten Oskar Keller aus Deutschland. Dieser stempelte die zum Export nach Amerika bestimmten Kartoffelkisten ebenfalls mit OK ab. Da die Kartoffeln stets von bester Güte waren und man der deutschen Gründlichkeit vertraute, wurde die Kisten bald gar nicht mehr kontrolliert, sie waren immer OK.

Ihr Streit währte bis zu seinem Tod, denn ein Patent auf das OK hatten leider beide nie angemeldet.


Hier herrscht Ordnung



Man merkt es sofort, hier herrscht Ordnung. Und er thront regelrecht hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch. Nur ein Stapel dünner Aktenmappen lässt Arbeit vermuten. Den zaghaft Eintretenden gibt er mit einem kurzen Kopfnicken zu verstehen, sich zu setzen. Dann trifft ihn ein erster strenger, abschätzender Blick. Von oben, denn wie schon gesagt, er thront. Allein seine Körpergröße ermöglicht es ihm, auf den Besucher herabzuschauen. Aber das genügt ihm offensichtlich nicht. Seinen Drehstuhl hat er in der obersten Stellung eingerastet, sich hochgeschraubt sozusagen. Die Bittsteller, nur solche kommen zu ihm, kann er so besser fixieren. Kurz nur. Er weiß gleich, was da für einer unter ihm sitzt. Darin hat er schließlich jahrelange Erfahrung. Ansonsten Schweigen. Behäbig dreht er sich auf dem ächzenden Stuhl zur Seite, starrt in seinen Bildschirm. Kopfschütteln. Seine Hände gleiten einem Pianisten gleich über die Tastatur, schweben nach oben, halten inne, senken sich und greifen wieder in die Tasten. Der Besucher merkt sofort, er hat einen Experten vor sich. Dann Pause. Erneutes Kopfschütteln, weiterhin Schweigen. Sein Blick kann sich offensichtlich nicht mehr vom Bildschirm lösen. Sollte man auf sich aufmerksam machen? Aber wie? Vielleicht räuspern? Ja, räuspern würde ihn sicher am wenigsten verärgern. Er wagt es und erschrickt. War es vielleicht eine Nuance zu laut gewesen? Die Stirn des Riesen am Bildschirm legt sich in Falten. Ohne dass sein Blick die Richtung ändert, verengen sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Aber, er schweigt. Der vorm Schreibtisch wird mutiger, lässt weitere Räusperer folgen. Ohne Erfolg. Am liebsten würde er aufstehen und gehen. Aber was würde es ihm nützen? Ihm wird klar, wer hier das Sagen hat oder besser das Nichtsagen. Er räuspert sich nicht mehr, wozu auch? Er scheint sich mit der Situation abzufinden, beginnt zu dösen. Name, erschreckt ihn plötzlich eine Kommandostimme, sodass er diesen nur stammeln kann. Eine Akte, seine Datei wird im Computer angelegt. Die Wann´s, Wieso´s und Warum´s hageln nur so auf ihn herunter. Zum Schluss erhält er eine Nummer. Viel zu lang, um sie sich merken zu können. Veränderungen seiner Situation seien unverzüglich anzuzeigen, alle vier Wochen habe er sich unaufgefordert zu melden. Arbeit? Nein, die könne man nicht anbieten. Für eine Vermittlung in seinem Alter bestehe überhaupt keine Aussicht. Trotzdem habe er sich ständig verfügbar zu halten, das Gesetz verlange es nun einmal so. Verfügbar für was eigentlich? Er tritt in den Gang hinaus. Dort herrscht inzwischen großes Gedränge, die Stühle reichen bei weitem nicht aus. Alle starren ihn an. Die Stammgäste wissen Bescheid. Sie wissen, wie es da drinnen gelaufen ist. Sie können aus Gesichtern lesen.


Schlesiertreffen



Einmal im Jahr gibt er sich öffentlich zu erkennen. Kollektives Hurrageschrei macht ihn für ein Wochenende zum bekennenden Schlesier. Die Sprechblasen des Hauptredners werden für drei Tage ernst genommen. Das ist Pflicht. Wenn dieser in Fahrt kommt und er die Menge auf Temperatur gebracht hat, schwebt er auf einer Woge des Heimwehs zurück ins großdeutsche Reich.

Die schon traditionellen Rufe nach Wiedergutmachung schreit er im Chor lauthals hinaus. An Heimkehr denkt er jedoch nicht. Nach der Rückkehr ins schmucke Einfamilienhaus legt er seine Kurzzeitschwermut an der Garderobe ab.

„ubi bene ibi patria“, „Wo es mir wohl geht ist mein Vaterland“, ist ab sofort wieder seine Devise. Und besser wie je zuvor hat er es heutzutage allemal.

An den zeitweise heimwehgeplagten Schlesier erinnert bis zum nächsten Heimattreffen nur ein verstaubter Sack mit Heimaterde an der Wand seiner Kellerbar.

Kirchweih in Franken



Es ist wieder so weit. Der Beginn der Kirchweih wird mit viel Blech durchs Dorf geblasen. Auf dem großen Parkplatz gehören die Autos zu den Verlierern. Außerhalb der Ortschaft bitten sie für die nächsten drei Tage um Asyl. Die meisten Einheimischen kommen recht spät, die Reden des Bürgermeisters kennen sie auswendig. Den verwitterten Tischen mangelt es nicht an Erfahrung. Die Bänke müssen trotz verrosteter Scharniere beträchtliches leisten. Das Maß ihrer Sitzfläche ist umgekehrt proportional zu der der meisten Besucher. Wenn die Blaskapelle nicht mehr weiter weiß, haben alle Festbesucher mit Prosit-Gesängen einzuspringen. Danach ist der Stau am Bierausschank unvermeidbar. Die Schankkellner mit Amateurstatus leiden an Kurzsichtigkeit. Eichstriche der Maßkrüge sind für sie nicht erkennbar. Die Anzahl ausgeschenkter Maßkrüge erreicht dadurch eine ungeahnte Steigerung. Die Sau am Spieß dreht unermüdlich ihre Runden, bis ihr die Plastikbestecke und die Kauwerkzeuge der Rentner nichts mehr anhaben können. Überdimensionale Musikverstärker fegen jegliche Unterhaltungen vom Tisch. Die Frauen stellen bald fest, dass ihre Männer nicht zum Tanzen hier sind. Zur mitternächtlichen Stunde, wissen die Meisten nicht mehr, was hier eigentlich gefeiert wird. Diejenigen, die sich über Ruhestörung beschweren, sind die Gleichen, die auch Glockengeläut als Lärmbelästigung zur Anzeige bringen. Daran, dass man sich für den nächsten Morgen an gleicher Stelle verabredet hat, kann sich tags darauf so mancher nicht mehr erinnern. Nur die Elite erscheint zur Morgenandacht mit anschließendem Frühschoppen. Am Abend sind alle wieder beisammen, um sich ihre Standfestigkeit zu beweisen.


Die Wahlversammlung


Alle wissen es, heute kommt ihr Kandidat. Parteifußvolk hat dafür ge-sorgt, dass er von jeder freien Wand, von jedem Laternenpfahl herunter-lächelt. Er hat zu einem politischen Frühschoppen in den „Roten Ochsen“ einge-laden. Das spricht jeden an, auch die von der anderen Partei. Seine Wahlparole „Nur mit uns, er meint natürlich nur mit mir, wird es aufwärts gehen“, nimmt keiner mehr ernst, zu oft hat er schon gesagt. Eigentlich kommen sie ja auch weniger wegen dem Politischen, sondern eher we-gen dem Frühschoppen. Erfahrene wittern da sofort Freibier.

Wenn er dann vom Programm seiner Partei redet, dass die einen nicht verstehen, die anderen erst gar nicht darauf wahrnehmen, bekräftigt er mit geballter Faust, dass er voll dahinter stehe. Den Wenigen, die noch hinhören fehlt der Glaube. Wer im Kreistag steht schon hinter etwas? Dort sitzen sie die Dinge doch eher aus Hemdsärmelig rechnet er mit seinem politischen Gegner ab. Wenn dann die Attacken unter die Gürtellinie gehen, kommt endlich Stimmung auf.

„Pfundig war´s“, sagen sie dann auf dem Heimweg, „nächste Woche kommt der von der anderen Partei, wenn´s Freibier gibt, geht´s wieder hin“.


Pool man



Alle Blicke folgen ihm, besonders die der Frauen. Letzteres erwartet er auch. Brust heraus, den Bauch eingezogen, stolziert er storchengleich dem Poolrand entlang. Atmen braucht er offensichtlich nicht. Ölig glänzen seine dauergewellten Haare in der mediterranen Sonne. Sein struppiger Oberlippenbart verrät den Macho. Die Brustbehaarung, leicht grauschimmernd, lässt in natura auch Raureif auf dem Kopf vermuten. Dunkle Augen unter buschigen Brauen, weiden sich genüsslich an jeder weiblichen Augenweide. Mit diamantenem Ohrläppchen Pircing, Goldkettchen um Hals und Handgelenke und protzigen Fingerringen signalisiert er Vermögen. Stets hat er alle Hände voll zu tun. Mit der Linken umfasst er eine seiner jungen Gespielinnen, mit der Rechten umklammert er ein Handy. Selbst im Pool hält er damit ständigen Kontakt zur Außenwelt. Manchmal hat es den Anschein, als sei eher das Telefon sein Lieblingsspielzeug. Während er unverständliche Worte durch die fast geschlossenen Lippen quetscht, wippt seine unverzichtbare Zigarre im Mundwinkel auf und ab, entledigt sich dabei automatisch der Asche.

Jedes Mal, wenn er den Pool verlässt, hat er seinen ganz großen Auftritt und die Frauen recken ihre Hälse. Den Beobachtern fällt es schwer, das was seine Scham bedeckt, als Badehose zu bezeichnen. Hinten eher nur eine Kordel, vorn ein kleines, schwarzes Dreieck, beides von einer um die Hüften gespannten Goldkette gehalten, das ist alles. Aber genau diesem kleinen Dreieck, gilt immer wieder das ganze Interesse der weiblichen Feriengäste. Frauen lieben nun mal schöne Verpackungen. Was sie dabei denken, bleibt ihr Geheimnis.

Die Männer nehmen die Sache gelassen, denken logisch: „Was kann mit einem so winzigen Stück Stoff schon Großes bedeckt sein?“


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 05.09.2008

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