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Prolog

Vorwort

“Dein ganzes Leben steckst du in einem Labyrinth fest und denkst daran, wie du ihm eines Tages entfliehst, und wie geil dann alles wird, und die Vorstellung von dieser Zukunft hält dich am Laufen,  aber am Ende tust du es nie. Du hast die Zukunft einfach nur benutzt, um aus der Gegenwart zu fliehen.”

—  John Green

 

Prolog

Auf einer High School gibt es mindestens fünf Arten unterbelichteter Gruppen: Da wären die Kiffer; die die meiste Zeit ihres Schuldaseins sowieso nicht wirklich anwesend sind, die Sportler; die nichts anderes zu tun haben als an die Cheerleader zu denken, die Cheerleader; die wiederum nichts anderes zu tun haben als an die Sportler zu denken, die Nerds; die auch in ihrer Freizeit nichts besseres machen, als etwas für die Schule zu tun und die coolen Kids. Nichts ist den coolen Kids wichtiger als ihr Status: Wer geht mit wem, wer hat wen mit wem betrogen, wann und wo steigt die nächste fette Party, wer hat nun mit wem was am Laufen und wer hat zusammen gefickt. Und dann bin da noch ich: Allyson Rose Montgomery. Allerdings reicht Ally vollkommen. Keine Ahnung was meine Mutter in ihren jungen Jahren für Pillen geschluckt hat, als sie mir diesen beschissenen Namen gegeben hat.

 

Wie dem auch sei. Diese kurze Einführung in mein so ziemlich fragwürdiges Leben dürfte für den Anfang reichen. Ohnehin gibt es über mich nicht wirklich viel zu erzählen. Wie jeder andere Schüler auch quäle ich mich jeden Morgen aus dem Bett um einen weiteren Tag meiner abgefuckten Jugend in der Lernanstalt zu verbringen, nicht im Unterricht aufzupassen und mir mit jeder Sekunde die verstreicht zu wünschen, gerade ganz woanders zu sein. Mit woanders meine ich allerdings nicht zu Hause, sondern einen besseren Ort. Einen Ort, an dem man leicht und unbeschwert leben kann. Vielleicht ein anderes Paralleluniversum. Oder den Himmel, was weiß ich. In der Hölle bin ich sowieso schon drin.

 

Der einzige Unterschied zwischen mir und anderen Schülern ist der, dass ich meistens nur so am Rand wahrgenommen werde. Die meiste Zeit tun die anderen nämlich so, als ob ich nicht existieren würde und das ist auch gut so. Ich hingegen tue ihnen den Gefallen und bemühe mich aufrichtig, wirklich wie Luft zu sein. Nennt mich den kompletten Außenseiter, ist mir scheißegal. Ich bin einer. Zu meinen Stärken gehört nämlich nicht gerade, mich anzupassen und belanglose Konversationen  – die mich sowieso einen Scheißdreck interessieren – mit Leuten die ich nicht leiden kann, aufrechtzuerhalten. Ich gehe den anderen bewusst aus dem Weg. Ich will einfach nicht von ihnen beachtet werden. In die Gesellschaft passe ich nämlich nicht wirklich rein, ich bin zu anders.

 

Manchmal allerdings habe ich das große Glück – Achtung, Ironie – doch beachtet zu werden. Das sind die schlimmsten Tage und kommen in letzter Zeit irgendwie immer öfter vor. Wenn jemand anders ist, reden die Menschen. Sie glotzen dumm, tuscheln hinter deinem Rücken über dich, geben dir niederträchtige Spitznamen, schließen dich aus und machen dir deutlich, wo dein Platz in der Nahrungskette ist. Nämlich ganz weit unten. Wenn du nicht in das System ihrer ach so perfekten Welt hinein passt, wirst du raus geworfen. Das ist ein nie endender Kreislauf mit dem sich die Außenseiter und Loser der Welt einfach abgeben müssen, ihnen bleibt sowieso keine andere Wahl.

 

Warum mein Leben  so – nennen wir es einfach mal sonderbar – ist, werdet ihr im Laufe der Zeit erfahren. Womit wir bei der eigentlichen Geschichte angekommen wären.

 

Verachtung

„Schau dir diese Primaten an. Wie sie alle in dem großen Kreis stehen und versuchen sich gegenseitig zu imponieren. Würde mich nicht wundern, wenn die gleich ihre Hosen runterlassen würden!“ Ich stieß ein schroffes Schnauben aus, ehe ich meine Hand erneut  an meine Lippen führte und einen langen Zug von der Lucky Strike nahm, den Qualm inhalierte ich lange und behielt ihn für einige Sekunden in meinem Mund. Sollte er mal schön meine Lungen kaputt machen. Dann müsste ich mir diesen Scheiß wenigstens nicht länger ansehen! Kaya neben mir nickte nur, worauf sie den Qualm – den ich genüsslich ausblies – mit einer einzigen Geste weg zu wedeln versuchte. Lucky machte mich die Kippe nun nicht gerade.

„Und mal im Ernst: Sind Mias Titten über die Ferien gewachsen?“ erwiderte meine beste Freundin auf meine Worte, wobei sich Ungläubigkeit in ihre Stimme mischte. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Kaya ungläubig einige Male hintereinander blinzelte und daraufhin eine Augenbraue in die Höhe zog. Meine blauen Augen – die je nachdem wie das Licht fiel einen grünlichen Schimmer hatten – verengten sich zu schmalen Schlitzen, als Mia in meinem Blickfeld auftauchte. Vollbusig. Fetter Knackarsch. Unglaublich volle Lippen. Langes, mit Extension versehenes, schwarzes  Haar und sehr gewagte Outfits, das war Mia. Kurz: Sie war eine Latina wie sie im Bilderbuch stand. Sie stand genau vor Johnny  und zufälligerweise entsprach sie auch noch genau seinem Beuteschema. Wo wir bei der nächsten Person waren, die ich verabscheute: Jonathan fucking Stonem. Er kam sich immer wahnsinnig toll vor mit seinem strahlenden Lächeln auf den herzförmig geschwungenen Lippen, der geradezu perfekten Nase und dem tollen dunkelblondem Haar, durch welches er sich gerade mit seiner linken Hand fuhr. Ich konnte diesen Typen einfach nicht ab. Er regte mich mit seinem ganzen Getue auf.

Wie ihr euch schon denken könnt, ist er wegen seines umwerfenden Aussehens der beliebteste Junge der Schule.  Er kommt echt bei jedem gut an – speziell bei den Mädchen, versteht sich – und darauf bildet er sich gehörig was ein. Er spielt gerne mit Blicken und versucht jeden um seinen Finger zu wickeln – was ihm  verdammt gut gelingt  – und kommt damit auch so ziemlich immer durch. Johnny ist ein Wichtigtuer. Kein Wunder also das er mir so auf den Piss geht, oder?

„Gott, und wie die zwei wieder fummeln! Echt, sollen die sich doch ein Zimmer nehmen!“ Wütend schnipste ich meine Kippe weg, als ich dabei zusehen durfte wie Mia ihre Hand hob und lachend mit ihrem Zeigefinger über Johnnys Brust strich. Schon reflexartig schob ich mir einen Pfefferminzdrop in den Mund. Das Rauchen war zwar ein verflixtes Laster von mir, trotzdem wollte ich deswegen noch lange nicht nach Zigaretten stinken. Ein leises Räuspern neben mir ließ mich aufhorchen. Sofort fuhr mein Kopf in Kayas Richtung. Sie strich sich eine ihrer blonden Locken aus dem Gesicht und schaute mich aus ihren schokobraunen Augen an. „Sag mal, Ally..kann es sein, dass es dir..einfach nicht passt wie Mia Johnny anfasst, weil du..naja, weil du einfach-“ Ich ließ sie nicht zu Ende sprechen. „Weil ich was?“ unterbrach ich sie schneidend und ertappte mich dabei, wie sich meine schwarz lackierten Fingernägel etwas in meine schwarze Röhrenjeans bohrten. Ich wusste worauf Kaya hinaus wollte. Sie sollte es nur nicht laut aussprechen. Dann würde ich sie wohl leider töten müssen.

„Na ja, etwas auf Johnny stehst?“ Kaum als sie den Satz zu Ende gesprochen hatte, rammte ich meine Schulter auch schon fest gegen die meiner besten Freundin. So fest, dass sie beinahe von der Bank fiel, auf welcher wir zu Anfang der Pause Platz genommen haben. „Hast du sie eigentlich noch alle?“ fuhr ich sie an und musterte sie mit einem finsteren Blick. Warum ich so heftig reagierte? Nun ja, weil Kaya in gewisser Weise recht hatte. Seit ungefähr drei Jahren schlug mein Herz aus einem mir unerklärlichen Grund immer schneller wenn ich Johnny sah oder ihn reden hörte. Aber ich war Luft für ihn, genau wie für die anderen. Wahrscheinlich wusste er nicht mal dass wir in dieselbe Klasse gingen. Dass ich möglicherweise ein paar Gefühle für ihn entwickelt habe, versuche ich andauernd so gut es eben ging zu verdrängen. Ich wollte nämlich nicht so fühlen. Deswegen begrüßte ich seine Ignoranz immer mit offenen Armen. Glücklicherweise war ich Kaya keine richtige Antwort mehr schuldig, denn gerade als sie mir eine weitere Frage stellen wollte, klingelte es zum Unterrichtsbeginn und dafür war ich äußerst dankbar. Sofort erhob ich mich von der Bank und warf einen kurzen Blick über meine Schulter; allerdings blickte ich Kaya nicht direkt an.

„Bis nachher, Kay.“ War alles was ich noch leise murmelte. Dann trottete ich mit langsamen Schritten ins Schulgebäude und war einmal mehr froh, dass Kaya nicht in meiner Klasse war.

Sie war zwar meine beste Freundin, aber auch meine einzige. Ich habe es nicht so mit sozialen Kontakten. Eigentlich habe ich es generell nicht so mit Menschen.  Ich war lieber für mich allein. Es reichte mir schon mich zwischendurch mit Kaya abgeben zu müssen. Keine Sorge, das hört sich härter an als gemeint. Ich verbrachte gerne Zeit mit ihr, gar keine Frage. Aber auch nur in Maßen, weil ich einfach meinen Freiraum brauchte.

Gedankenverloren öffnete ich die Tür meines Spindes, als ich ihre Stimme vernahm. „Oh, wow, Ally. Du siehst heute echt hinreißend aus! Weniger wie eine lebende Leiche als sonst.“ Dieser scheinheilige Unterton in ihrer Stimme regte mich jetzt schon auf. Langsam wandte ich mich Mia zu und schenkte ihr mein schönstes Lächeln. „Danke! Es bedeutet mir echt viel, ausgerechnet aus deinem Mund zu hören, endlich mal nicht wie ein Zombie auszusehen! Du siehst heute auch kaum wie ein Miststück aus, deine Möpse kullern ja mal fast nicht aus deinem Oberteil. Was schon echt erstaunlich ist, da es doch den tiefen V-Ausschnitt hat.“ Auch Mia lächelte mich unverwandt an, obwohl ich wusste dass ihr meine Antwort nicht gepasst hatte. „Warte nur ab bis du mein Sportoberteil siehst, dann kann man meine Brüste noch mehr hüpfen sehen!“ lächelte sie zuckersüß, wobei sich der Ausdruck ihrer braunen Augen veränderte; sie strahlten pure Verachtung aus. Kurz nickte ich. „Wie schön, dann machst du deinem Ruf ja weiterhin alle Ehre. Großartig, weiter so!“ Mit diesen Worten wandte ich mich von ihr ab und stopfte mein Geschichtsbuch in meine mit Buttons übersäte, dunkelgraue Tasche aus Jeansstoff. Ein plötzlicher, warmer Hauch an meinem Gesicht ließ mich etwas in der Bewegung verharren. „Du solltest lieber aufpassen, was du sagst, Allyson Montgomery. Schließlich weißt du ganz genau, wer hier das Sagen an der Schule hat. Wenn ich mir weiterhin solche Sprüche aus deinem Mund anhören muss, könnte es ganz schnell passieren, dass ich dir dein Leben hier zur Hölle mache. Und das willst du doch sicher nicht, oder?“ Mias warmer Atem an meinem Ohr verursachte mir zwar eine leichte Gänsehaut, jedoch  zeigten ihre Worte hinter der leeren Drohung nicht die geringste Wirkung. Mein Kopf fuhr zu ihr herum und ich funkelte sie wütend an. „Nicht nötig, dass tust du doch schon längst!“ fauchte ich, wobei ich mit voller Wucht meine Spindtür zu knallte und an ihr vorbei Richtung Mädchentoilette rauschte.

 

Nachdem ich sicher gegangen war, dass ich auch wirklich alleine auf Toilette war, drehte ich mich langsam um und schaute in den Spiegel. Über meinen eisblauen getuschten  Augen, die von dunklen Wimpern umrahmt wurden, befand sich ein geschwungener, schwarzer Lidstrich. Meine Nase war ein gerades, kleines Stupsnäschen und meine rosé schimmernden Lippen waren leider nicht im Geringsten voll. Über dem Nasenrücken hatte ich ein paar leichte Sommersprossen. Mein Gesicht wurde von mahagonifarbigem Haar umrahmt, welches mir knapp bis über die Brust reichte. Langsam ließ ich meinen Blick an mir herunter gleiten. Mein Dekolleté war zwar nicht ganz so üppig bestückt wie das von Mia, jedoch war ein einfaches C Körbchen doch auch äußerst akzeptabel und ansehnlich. Die Größte war ich auch nicht gerade, doch eigentlich reichten mir meine 1, 68 Meter. Ich war zwar schon immer schlank und zierlich gewesen,  gehörte allerdings nie in die „mageres-Klappergestell“ – Richtung. Meinen Style würde ich als rockig und sonderbar bezeichnen. Seufzend wandte ich den Blick von meinem Spiegelbild ab. Ich ertrug meinen Anblick einfach nicht länger. Gedankenverloren zupfte ich das schwarze Top mit rundem Ausschnitt zurecht, welches ich unter einem rot-schwarzen Karohemd trug. Während ich mich mit dem Rücken gegen eines der Waschbecken lehnte, zählte ich die Minuten, die anscheinend nur sehr langsam verstrichen.

 

„Mrs. Montgomery, wären Sie so freundlich Ihren Hintern zu erheben und sich in die Sporthalle zu begeben?“ Unsanft rüttelte jemand an meiner Schulter. Sofort schreckte ich auf und blinzelte einige Male hintereinander. Nachdem sich meine Sicht geklärt hatte, erkannte ich das Gesicht meines Sportlehrers, Coach Carter, und bemühte mich, jetzt nicht zu gähnen. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich mich auf dem Boden niedergelassen hatte und eingenickt war. Langsam schaute ich zu meinem Sportlehrer herauf, der nun sichtlich genervt über meine Unverschämtheit seine Arme vor seiner Brust verschränkte und anscheinend sekündliche einen weiteren Teil seiner  Geduld verlor. Mist. So viel zum Thema Sport schwänzen. In aller Ruhe streckte ich mich erst mal, ehe ich mich mühsam aufrappelte und den Dreck von meiner schwarzen Jeans – die an einem Knie ein Loch hatte – abklopfte. „Wie Sie wünschen, Coach.“ Murmelte ich, hing mir meine Schultasche über die Schulter und trottete lustlos aus der Mädchentoilette. Wenn ich eines hasste dann war es Sport.

 

 Mit zunehmender Lustlosigkeit betrat ich die muffige Sportkabine der Mädchen, die man wohl in so ziemlich jeder High School mit Gekritzel á la Ich liebe dich so unglaublich sehr, Brad. Nie wieder ohne dich!!! #25.06.2013 an den Wänden vorfinden würde. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass die aufgeflammte Romanze zwischen Joleén und Brad nur von sehr kurzer Dauer war: Nach zwei Wochen war schon wieder Schluss gewesen, was mich ehrlich gesagt nicht groß gewundert hat. Ein Typ wie Brad ist nun mal einfach nicht in der Lage dazu, Beziehungen zu führen. Brad hat eben nicht mehr als Sport – genauer gesagt Football – und Partys im Kopf. Wenn er nicht gerade für sein nächstes großes Spiel trainierte, soff er sich die Birne weg. Was wollte also ein hübsches und begehrenswertes Mädchen wie Joleén es war also von einer Kante, die es kaum schaffte irgendwo mal nüchtern zu erscheinen und sich mittlerweile auch die letzten seiner drei verbliebenen Gehirnzellen weggesoffen hatte? Das lustige an der ganzen Geschichte ist jedoch immer noch, dass der Trennungsgrund nicht die extreme Verschiedenheit der beiden oder Brads übertriebener Hang zu Alkohol war, sondern das Joleén einfach zu gut beim anderen Geschlecht ankam. Sie musste nur einmal ihre blonde Wallemähne schütteln und schon lockte sie die Typen mit einer Erektion in der Hose aus der Reserve. Brads ständige Eifersucht ging ihr gehörig auf die Eierstöcke und sie schoss ihn nach vierzehn Tagen wieder in den Wind, somit sind wir auch schon am Ende der herzzerreißenden Liebesgeschichte zwischen dem tragischen Paar gekommen. Ein kurzes Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich daran zurück denken musste, wie Joleén Brad damals vor den Augen aller eine gehörige Szene gemacht hatte, während ich meine Tasche auf einer der verblichenen, grauen Bänke abstellte. Deutlich unmotiviert kramte ich meine Sportsachen heraus und fing damit an, mich anzuziehen. Heilfroh darüber, dass die Weiber aus meiner Klasse schon dabei waren sich aufzuwärmen, zog ich mir – extra langsam versteht sich – meine schlabbrige, dunkelgraue Jogginghose über die dünnen Beine, ehe ich mir ein locker sitzendes schwarzes T-Shirt überzog und zu guter Letzt in meine abgewälzten Hallenschuhe schlüpfte. Dann trat ich vor den kaputten Spiegel und nahm mein Haar zum Schopf, um es zu einem lockeren Pferdeschwanz zu flechten. Als ich fertig war, lösten sich ein paar Strähnen, aber das war mir nur recht.  Ich mochte es nicht sonderlich, wenn eine Frisur keinen einzigen Makel hatte. Nach einem tiefen Seufzen straffte ich meine Schultern und trat zu den anderen in die Halle.

„Da wir nun vollzählig sind, können wir endlich beginnen! De Lima, Matthews, ihr wählt zwei Mannschaften für die Damen. Stonem, Coleman, ihr für die Herren. Volleyball. Zack, zack!“ Coach Carter klatschte einmal in die Hände, ehe er uns selbst überließ. Volleyball, na toll. Innerlich stöhnte ich auf, wobei ich lustlos zu den anderen Schnepfen trottete und mich letztendlich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte. Ich denke das es auf der Hand liegt, wie das hier gleich ablaufen wird, oder? Mia und Lynn werden jeweils ihre Mannschaften wählen und ich werde mich zu irgendeiner gesellen – da ich als letztes übrig bleiben werde – und meinen Kameradinnen wird nicht einmal auffallen, dass wir zusammen in einer Mannschaft sind. Es versteht sich von selbst, dass ich mich Lynn anschließen werde. Keine tausend Mann würden mich zu Mia bekommen. Eine nach der anderen wurde aufgerufen und wie schon erwartet, blieb ich als letzte übrig. Meine Schneidezähne bohrten sich in meine Unterlippe, als ich beunruhigt feststellen musste, dass Lynns Mannschaft vollzählig war. Was hielt das dumme Schicksal dieses Mal für mich bereit? Nicht gerade begeistert schloss ich mich also doch Mias Mannschaft an, wobei ich mich stets bedeckt im Hintergrund hielt. Die ersten zwei Spiele schaffte ich es doch tatsächlich, mich vor dem spielen zu drücken. Beim dritten Versuch wurde der Coach jedoch auf mich aufmerksam und ließ mich wissen, dass ich meinen faulen Hintern endlich ins Spiel bewegen solle, und somit trottete ich nach ganz hinten ins Spielfeld. Ich erntete ein paar verwunderte Blicke, als meine Mannschaft endlich mal realisierte, dass ich in ihrem Team war und blendete diese gekonnt aus. Ich suchte mir einen Punkt in der Halle und fokussierte mich auf diesen, mit dem Wunsch, jetzt ganz woanders zu sein. Am liebsten würde ich auf der Wiese unter dem Kirschblütenbaum liegen und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Vor meinem inneren Auge zauberte ich das Bild von noch etwas feuchtem Gras herbei. Eine pralle Sonne stand am wolkenlosen Himmel. Ich lag auf dem saftigen Grün und konnte die Hitze spüren. Sonnenstrahlen legten sich auf mein Haar, küssten meine Haut und brachten ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Mit einem Schlag wurde dieses Bild jedoch zerstört, denn eine Wucht ließ mich das Gleichgewicht verlieren und zu Boden stürzen. Ein stechender Schmerz in der Magengegend verleitete mich dazu, meine Augen zu öffnen und starr zur Decke zu blicken. Nachdem ich in wenigen Sekunden meine Umgebung realisiert hatte, nahm ich das Gelächter war. Etwas benommen setzte ich mich auf und entdeckte ihn. Er stand genau vor mir. Sein goldblondes, ungefähr kinnlanges Haar, fiel ihm ins Gesicht. Sein Körper war durchtrainiert, aber nicht wuchtig und er hielt mir eine schlanke Musikerhand hin. Aus bernsteinfarbenen Augen blickte er mich an. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken herunter. Noch immer blickte ich auf seine Hand, die er mir nach wie vor seelenruhig hinhielt. Langsam kam ich wieder zu mir. Wütend schlug ich seine Hand weg und rappelte mich auf, wobei ich meinen Arm um meine Mitte schlang, da mein Bauch echt schmerzte. „Sag mal, was sollte das?“ zischte ich, Johnny noch immer in die Augen blickend, und funkelte ihn finster an. Sein intensiver Blick irritierte mich und ich hatte es schwer, meine Fassung zu wahren, bekam es aber irgendwie hin. Gleichgültig zuckte er mit seinen breiten Schultern. „Ich wollte dir lediglich aufhelfen.“ Während er dies sagte, ließ er seine Hand sinken. Womöglich hatte er keine Ahnung wer ich war, denn er musterte mich aus wachsamen Augen. Dummerweise konnte er mich nirgendwo unterordnen und so sah er mich einfach nur an. „Mach doch ein Foto, dann hast du länger etwas von mir!“ murmelte ich, wobei ich mich leicht von ihm abwandte. „Hey, was ist hier los? Montgomery, bist du ok?“ Coach Carter gesellte sich zu uns. Kurz blickte ich mich um. Zum aller ersten Mal, waren alle Augenpaare auf mich gerichtet. Ich war der Mittelpunkt. Mich traf Mias Blick – hasserfüllt und bedrohlich. Eine Zeitlang hielt ich finster ihrem Blick stand. Dann  wandte ich mich langsam  an Mr. Carter. Das war die Gelegenheit, ich musste sie nutzen, um dem Spott zu entkommen. Gespielt angebunden schüttelte ich mit dem Kopf, wobei ich mir mit einer Hand an den Hinterkopf fasste. „Nein, Coach. Beim Aufprall habe ich mir wohl den Kopf gestoßen. Mir ist schwindelig.“ Wehleidig schaute ich ihn an. Er fuhr sich mit seinem Zeigefinger übers Kinn, während er mich eingehend betrachtete. Anscheinend kam er zu dem Entschluss, dass er mir glauben konnte. Was für ein Trottel. Er wandte sich an Johnny. „Da hattest du aber ganz schön viel Power drauf, Stonem. Bring Allyson bitte ins Krankenzimmer. Nicht, dass sie uns noch umfällt.“ Er wandte sich wieder an mich und beobachtete mich abermals. Wahrscheinlich wollte er sichergehen, dass er nicht gerade von einer kleinen Göre an der Nase herumgeführt wird, kam aber zu der Überzeugung, dass ich die Wahrheit sagte. Was eine glatte Lüge war. Mir war schon etwas schwummrig und Magenschmerzen hatte ich auch, aber es war nicht so verheerend, als das ich nicht mehr am Sportunterricht teilnehmen könnte. Gleichgültig blickte ich zu Boden, während Johnny neben mir herging. Vor der Kabine der Mädchen blieb er stehen. Ich spürte seinen Blick auf mir, was mein Herz leider dazu veranlasste, doppelt so schnell als gewöhnlich weiter zu schlagen. Desinteressiert hob ich meinen Kopf an und schaute ihn an. „Ich warte draußen.“ War alles was er sagte. Seine Augen strahlten jedoch noch immer diese starke Intensität aus und es fröstelte mich wieder kurz. Ohne ein Wort trat ich in die Kabine und ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Aufgewühlt hielt ich mir meine Hand an die Stirn, während ich etwas auf und abging. Was mache ich jetzt? Ich war nicht sonderlich scharf darauf, mit Johnny als Leibwächter bei der Krankenschwester zu erscheinen. Ich musste ihn irgendwie loswerden, damit ich mich gemütlich ins Gras setzen und mir eine rauchen konnte. In Gedanken versunken tauschte ich meine Sportsachen gegen meine Anziehsachen und trug einen Spritzer Wild Rose von Avril Lavigne auf. Danach ließ ich das Parfüm zusammen mit meinen Sportsachen in meiner Tasche verschwinden, welche ich mir über die Schulter hing.

Die Sonne blendete mich, als ich nach draußen trat. Nach Johnny sah ich mich gar nicht erst um. Stattdessen war ich auf direktem Wege zur Wiese. „Zum Krankenzimmer geht’s aber in die andere Richtung.“ Seine verlockend klingende Stimme schnitt mir ins Ohr. Ich warf einen Blick über meine Schulter und schaute ihn aus leicht zusammengekniffenen Augen an. „Lass gut sein. Du weißt so gut wie ich, dass ich nie vorhatte, zur Krankenschwester zu gehen. Sag dem Coach einfach das ich mich bei der Krankenschwester ausruhe und gut ist.“ Ich wandte mich wieder von ihm ab und steuerte auf die Wiese zu. Gleichmäßige Schritte teilten mir mit, dass er nicht vorhatte, wieder in die Sporthalle zu verschwinden. Mist. 

 

Wahrnehmung

Du hörst mir nun gut zu, Allyson Montgomery. Du wirst dich jetzt nicht, ich wiederhole, nicht zu dem Jungen mit der traumhaft klingenden Stimme umdrehen. Hast du mich verstanden? Gehe einfach weiterhin schnurstracks auf die Wiese zu und versuche so zu tun, als seist du Luft für ihn. Wie du es sonst auch immer warst und auch weiterhin sein wirst. Mit diesen Worten im Hinterkopf fiel es mir mit einem Mal viel leichter, nicht auf die Schritte, die in einem gleichmäßigen Abstand auf dem noch leicht feuchten Kies hinter mir ertönten, zu achten. Ich blendete sie einfach aus. So, wie ich so ziemlich alles und jeden ausblendete. Statt also vergeblich zu versuchen, meinen durcheinander geratenen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen, kramte ich stattdessen lieber nach meinem Feuerzeug. Dieses fand ich auch recht schnell in meiner dunkelgrauen, mit Buttons übersäter Tasche aus Jeansstoff. Ich fische mir also eine Kippe aus der Zigarettenschachtel, steckte mir diese in den Mundwinkel und überließ der Flamme meines Feuerzeuges den Rest. Während ich die Sachen achtlos zurück in meine Tasche wandern ließ, trat ich den Weg zur Wiese an, auf welcher ich es mir letztendlich gemütlich machte. Meine Tasche diente als Kopfkissenersatz, nachdem ich mich auf dem Rasen breitgemacht hatte. Langsam schloss ich meine Augenlider, um die Wärme der vereinzelten Sonnenstrahlen auf meinen Wangen vernehmen zu können. Genießerisch zog ich an der Lucky Strike, ließ das Gift für einen Moment in meinen Lungen wirken, und wurde den Qualm schließlich beim Ausatmen wieder los. Ein plötzlicher Schatten legte sich über meine geschlossenen Lieder; ich musste meine Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass er mittlerweile vor mir stand. Mein Herz wusste es auch so, trotz der unvermeidlich einfachen Offensichtlichkeit. Was mich allerdings wunderte, war, dass Johnny nicht wie erwartet kehrt machte, sondern sich zu mir auf den Rasen begab. Sein Knie berührte leicht meine angewinkelten Beine als er sich, vermutlich im Schneidersitz, niederließ. Unberührt rauchte ich in aller Seelenruhe meine Zigarette weiter und ausnahmsweise war einmal ich diejenige, die so tat, als würde er nicht existieren. Meine Augen ließ ich ebenfalls geschlossen, da ich für seinen Anblick nicht gewappnet- und ich lieber Herrin der Lage war, als irgendetwas unkontrolliertes zu starten. „Meinst du nicht, dass sich das Schwindelgefühl in deinem Kopf durch das Rauchen bloß noch verschlimmert?“ Johnnys Stimme unterbrach die eigentlich angenehme Stille. Ich fasste es nicht, dass er nach wie vor auf meine vorgetäuschte Schädigung meines Wohlbefinden einging! Leicht neigte ich meinen Kopf in die Richtung, aus der seine klare Stimme kam, ließ meine Augenlider allerdings trotz allem noch fest zu. „Hau ab, ich meine es ernst. Mir geht’s gut und du störst ehrlich gesagt in meinem Kosmos!“, murmelte ich zischend, wobei ich mein Gesicht wieder gen Himmel richtete. Ein sowohl leises, als auch herzzerreißend melodisches Lachen erfüllte meine Umgebung. Schlagartig riss ich meine Lider auf und erstarrte augenblicklich. Johnny blickte mich direkt aus seinen bernsteinfarbenen Augen heraus an; ich behielt Recht, er saß tatsächlich im Schneidersitz, stützte sich mit seinen muskulösen Armen auf seinen Oberschenkeln ab und hielt sich zu mir vornübergebeugt. Mit einem Mal konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Dieses goldbraun seiner Augen zog mich in einen Abgrund aus Wüste, Wärme und Geborgenheit. Ich fühlte mich an einen anderen Ort versetzt, war nicht mehr Herr meiner selbst. „Ich störe in deinem Kosmos? Gar kein Thema, ich suche ein anderes Paralleluniversum, damit ich dich bloß nicht mehr belästigen kann. Und dann bringe ich dich zur Krankenschwester, damit ich endlich zurück in den Sportunterricht kann, was hältst du davon?“ Johnnys Stimme klang warm und ich meinte sogar, den Hauch eines schiefen Lächelns auf seinen ausgefüllten Lippen zu sehen. Okay, irgendetwas ging hier gehörig schief. Erstens, sprach der beliebteste Junge der Schule mittlerweile das fünfte Mal zu mir und zudem war sein letzter Satz wohl der längste Wortschwall, den ich ihn jemals in meiner Umgebung hatte sagen hören. Zweitens, war er nett zu mir und machte auch keinerlei Anstalten, dies zu ändern, was ich umso gefährlicher an der ganzen Sache fand. Bleib auf der Hut, Ally. Er nimmt dich sonst nicht einmal wahr, das solltest du dir mal vor deine verträumten Augen halten! Jetzt hör bitte endlich damit auf, ihn wie eine Irre anzustarren, und ordne deine Gedanken, verdammt nochmal! Mahnte ich mich, während ich versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Als sich meine Atmung mehr oder weniger beruhigt hatte, drückte ich meine Zigarette in dem noch etwas feuchten Gras aus und kam mit einem Mal auf die Beine. Rasch hängte ich mir meine Tasche über die Schulter, wobei ich finster zu Johnny herab starrte. „Geh doch einfach zurück in diese verdammte Halle und lass mich endlich in Frieden! Wie oft denn noch? Mir fehlt nichts.“, ließ ich ihn zischend wissen, drehte mich um und wollte gehen. Ein schweres Seufzen war zu hören, als auch Johnny sich dem Anschein nach vom Boden erhob. „Ich weiß, ich bin nicht blöd. Aber ich brauche die Krankenbescheinigung, damit der Couch weiß, dass du dich bei der Schwester befindest. Sonst fliegt dein ganzer Schachzug nämlich auf und wir bekommen beide Ärger.“ Einige Male blinzelte ich hintereinander. An die Bescheinigung hatte ich gar nicht gedacht..doch ich wäre nicht Ally Montgomery, wenn ich kein weiteres Ass im Ärmel hätte. Also kramte ich, noch immer mit dem Rücken zu Johnny stehend, in meiner Tasche herum und zog einen etwas verknitterten Zettel hervor, welchen ich so gut es eben ging, glatt strich und wortlos an Johnny weiter reichte. „Da. Hier hast du die Bescheinigung.“, knurrte ich schlussendlich, würdigte ihn keines weiteren Blickes und ließ ihn an meiner Wiese zurück.

 

Und er hat sich einfach so neben dich ins Gras gesetzt, Ally? Ist das dein Ernst?“ fragte Kaya wahrscheinlich nun zum hundertsten mal. „Ja.“ gab ich dieselbe immer kurze Antwort, während ich an der Bushaltestelle ungeduldig auf und abging. „Wahnsinn! Johnny Stonem hat tatsächlich Zeit mit dir verbracht!“ Noch immer klang ihre Stimme einige Oktaven zu hoch, weswegen ich genervt meine eisblauen Augen verdrehte. „Mann, Kaya! Er hat keine Zeit mit mir verbracht, er wollte bloß keinen Anschiss bekommen, okay? Jetzt halt mal den Ball flach und tue nicht so, als wäre er der Überking!“ Ich konnte nichts daran ändern, dass meine Stimme so schneidend klang. Trotzig schürzte ich die Lippen, als ich meine beste Freundin am anderen Ende der Leitung gestresst aufseufzen hörte. „Ally, jetzt hör mal-“, setzte sie an, doch ich unterbrach sie ruckartig. „Kay, es tut mir leid, mein Bus kommt. Ich schreib dir später!“ Und schon hatte ich aufgelegt und mein Blackberry Curve in meiner Hosentasche verstaut. Ich hasste es, wenn andere im Bus telefonierten, weshalb ich mich an meine Prinzipien hielt und es ebenfalls nicht tat. Kaum als das sich die Türen öffneten, huschte ich auch schon in den überfüllten Bus und zwang meine zierliche Gestalt zwischen einige Schülergruppen. Allerdings plagte mich ein leicht schlechtes Gewissen, da ich den ganzen Tag über schon nicht sonderlich nett zu Kaya gewesen war, weshalb ich mein Handy hervor holte und eine rasche SMS an sie tippte.

 

Kay? Es tut mir leid..du weißt, dass ich dich lieb habe. - Ally

 

Keine Minute später folgte ihre Antwort.

 

Mach dir nicht immer so 'nen Kopf, Ally. Alles ist gut, ich hab dich auch lieb. - Kay

 

Diese zwei Sätze schafften es tatsächlich, dass ich mich ein wenig besser fühlte. Kurz lächelte ich, als ich mein Blackberry zurück in meine Hosentasche steckte. Momente darauf hetzte ich auch schon aus dem Bus, um wenigstens nicht allzu spät im Sip anzukommen.

 

 

Fortsetzung folgt. :)

 

Impressum

Texte: by Samira G.
Tag der Veröffentlichung: 10.11.2013

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