Cover

Leseprobe

 

 

Honigfieber

Madita Tietgen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Johanna.

Weil jede Frau eine beste Freundin wie dich haben sollte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1

 

 

›Haben Sie wirklich nichts von der Affäre gewusst?‹

›Sie müssen doch etwas gemerkt haben, Aeryn! Das glaubt Ihnen doch kein Mensch!‹

›Um wie viel Geld geht es, Aeryn?‹

Die Stimmen überschlugen sich in Aeryns Ohren. Schlagartig hob sie den Kopf. Vor ihr tauchte plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Schafherde auf. Nur wenige Meter trennten sie und die wolligen Vierbeiner, die sie müde anstarrten. Schnell näherte sich Aeryns Wagen den Tieren. Wenn sie nicht bald bremste, würde sie mindestens eines von ihnen erwischen. Vermutlich sogar mehrere. Adrenalin durchströmte ihre Adern, und sie trat wie von der Tarantel gestochen auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Aeryn spürte, wie die Karosserie unter ihr über die nasse Straße schlitterte. Mit weit aufgerissenen Augen umklammerte sie krampfhaft das Steuer. Schweiß bildete sich unter ihren Achseln. Dann, mit einem Ruck, stoppte der Wagen. Das Schaf, höchstens einen Zentimeter von ihrer Motorhaube entfernt, kaute genüsslich auf einem Grashalm und blickte Aeryn verständnislos an.

»Verdammt!« Aeryn ließ sich in den Sitz fallen und schloss ihre Augen. Sie holte tief Luft und versuchte das immer noch in ihr tobende Adrenalin zu zügeln. Als sie die Lider wieder hob, trotteten die Schafe gemütlich zur anderen Straßenseite, und Aeryn starrte auf ihre Fingerknöchel, die weiß unter ihrer Haut hervortraten. So fest umfasste sie noch immer das Steuer. Sie traute sich nicht loszulassen. Ein Zittern durchdrang ihren Körper.

Aeryn brauchte eine Pause. Zu lange war sie schon unterwegs. Und wie man soeben gesehen hatte, war ihr Kopf noch immer gefüllt mit den schrecklichen Fragen, die nur wenige Stunden zuvor auf sie eingeprasselt waren.

Langsam betätigte Aeryn das Gaspedal, und das Auto rollte wieder los. Erleichtert stellte sie schon nach der nächsten Kurve fest, dass sie den Rand einer Ortschaft erreicht hatte. Sie fuhr auf einen kleinen Rastplatz, der an die Tankstelle des Städtchens angeschlossen war, und stieg aus dem Auto. Erschöpft streckte sie sich und sog die frische Meeresluft ein. Tankstelle und Rastplatz lagen unweit der rauen Küste, die das Land von der aufbrausenden Irischen See trennte. Sie konnte die aufschlagende Brandung hören und schloss erneut die Augen. Von den Anstrengungen der letzten Tage und Stunden gezeichnet, lehnte sie sich gegen die Fahrertür ihres Jahreswagens. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte sie die Schafherde mit voller Geschwindigkeit erwischt. Wie konnte sie nur so unachtsam sein? Unachtsam, das war vermutlich die Untertreibung des Jahrhunderts, dachte Aeryn sarkastisch. Sie war auf der Flucht. Auf der Flucht vor ihrem Leben. Und sie hatte absolut keine Ahnung, wo sie hingehen sollte.

›Haben Sie wirklich nichts von der Affäre gewusst?‹

Wieder ertönten die schrillen und bellenden Stimmen der Klatschreporter in ihrem Kopf. Aufgelauert hatten sie ihr. Ohne jede Vorwarnung. Aeryn hatte ein frühes morgendliches Training in der Irish Dance Academy absolviert. Teils um wirklich an ihrer Form zu arbeiten, vor allem jedoch, um den Kopf frei zu bekommen. Sie war gerade aus dem Gebäude gekommen, als sie plötzlich von einer Traube Journalisten umgeben war. Aufgeregt hatten sie ihr Smartphones, Aufnahmegeräte und Kameras unter die Nase gehalten und sie mit Fragen bombardiert.

Ob sie von der Affäre tatsächlich nichts gewusst hatte? Himmel nochmal, nein! Was dachte dieser schmierige Reporter eigentlich von ihr? Drei Jahre war Aeryn mit Trevor Cox zusammen gewesen. Beide waren Tänzer an der Academy, und gemeinsam hatten sie sich die Hauptrollen in der wohl erfolgreichsten Irish Dance Show ertanzt. Sie flogen um die Welt, traten vor Millionen von Zuschauern auf und lebten nur fürs Tanzen. Zu Anfang schien es wie das perfekte irische Märchen. Zwei junge Menschen, die durchs Tanzen zueinandergefunden hatten. Sie waren verliebt und zeigten es der ganzen Menschheit. Die Funken, die zwischen ihnen sprühten, hatten die internationalen Bühnen entflammt. Zwei Jahre war das Experiment gutgegangen. Sie waren erfolgreich, hatten viel Geld verdient und waren zu Stars geworden. Vor einem Jahr begann es zu kriseln. Noch immer tanzten sie sich in die Herzen des Publikums, doch Aeryn hatte zunehmend unsympathische Charakterzüge an Trevor erkannt. Er konnte keine Kritik ertragen, musste immer im Mittelpunkt stehen, und seine Arroganz war wirklich unübertrefflich. Es ging so weit, dass Aeryn sich in den letzten Wochen bereits hatte fragen müssen, warum sie überhaupt noch mit ihm zusammen war. Doch die Entscheidung, sich zu trennen, hatte Trevor ihr abgenommen. Auf sehr illoyale Weise.

Dass dieser miese Hund fremdging, hatte Aeryn aus den Medien erfahren. Genauer gesagt aus der Zeitung! In einem Interview mit dem Dublin Herald hatte er ganz offen zugegeben, eine Affäre zu haben, und war sogar so dreist gewesen, sich über Aeryn zu beschweren. Wie langweilig sie doch sei, besessen vom Tanzen und eine absolute Spaßbremse. Aeryn hatte ihren Augen nicht getraut, als sie den Artikel gelesen hatte. Als sie Trevor damit per Videochat konfrontiert hatte, hatte er auch noch die Frechheit besessen, ihr verständnislos in die Augen zu sehen und genervt zu rufen: »Aeryn, willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert! Kein Mann auf dieser Welt ist heute noch treu. Wir leben in einer vielfältigen Welt – da probiert man schon mal, wenn man die Gelegenheit bekommt.«

Fassungslos hatte Aeryn ihn angestarrt und schließlich den Videoanruf beendet. Doch damit nicht genug. Sie hätte wissen müssen, dass das erst der Anfang einer ganz beschissenen Woche gewesen war.

Am Montag war das Interview erschienen, seitdem wurde sie von Journalisten – oder solchen, die es sein wollten – belagert. Am Mittwoch hatte sie einen Anruf von ihrer Bank erhalten. Man hatte den Zeitungsartikel gelesen und wollte nur sichergehen, keinen Fehler gemacht zu haben. Fehler. Noch so eine Untertreibung. Aeryn und Trevor hatten ein gemeinsames Konto, worauf sich all ihr Erspartes befand und jegliche Einnahmen flossen. Am Tag zuvor hatte Trevor das Konto eigenmächtig abgeräumt. Also, so richtig. Das Geld war weg. Alles. Aeryns Lunge zog sich schmerzhaft zusammen. Wie hatte sie so dumm sein können? Verzweifelt hatte sie dem Bankangestellten erklärt, dass es sich um ein Missverständnis handeln müsse. Dass man die Überweisung rückgängig machen müsse. Doch vergeblich. Trevor war ebenso bevollmächtigt wie Aeryn. Es gab kein Zurück.

›Es tut mir leid, aber das müssen Sie wohl mit Ihrem … also mit Mister Cox klären‹, hatte der Bankberater kleinlaut erklärt. Wütend hatte Aeryn ihr Handy auf den Tisch gepfeffert.

Die Woche war erst zur Hälfte rum, doch die schlechten Nachrichten rissen nicht ab. An Schlaf war für Aeryn nicht mehr zu denken. Minütlich rief sie Trevor an, aber er ignorierte sie wohlweislich. Sie machte alle Menschen, die Trevor kannten, verrückt und versuchte herauszufinden, wo er war. In Dublin nämlich nicht. Am Donnerstag war schließlich die Meldung gekommen, Trevor hätte sich eine Auszeit genommen und sei mit seiner Affäre nach Australien gereist. Wieder erfuhr Aeryn aus der Zeitung, wie es um ihre Beziehung stand.

›Ich habe Aeryn den Laufpass gegeben. Sie hat mich einfach nicht mehr glücklich gemacht. Und auch wenn es hart ist, aber wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken‹, zitierte der Dublin Herald – nun also – ihren Ex-Freund.

Aeryns Handy hatte nach Veröffentlichung dieses Artikels geglüht. Alle hatten versucht, sie zu erreichen. Sie hatte ihr Smartphone ausgeschaltet, war nicht an die Tür gegangen, als es klingelte, und hatte sich den restlichen Tag und die Nacht in ihrem Bett vergraben. Eigentlich wohnten Trevor und sie zusammen, doch bevor das erste Interview am Montag erschienen war, hatte er am Sonntag einen Koffer gepackt und sich mit einem Kuss von ihr verabschiedet. Er hatte seine Eltern für ein paar Tage besuchen wollen. Oder eben auch nicht, wie Aeryn inzwischen festgestellt hatte. Schamlos hatte er ihr ins Gesicht gelogen. Mit einem Abschiedskuss!

Aeryn hatte weinen wollen, doch sie war einfach nur wütend. Die brodelnde Magensäure fraß ihr ein Loch in den Bauch, und ihr Kopf pochte schmerzhaft. Samstagmorgen hatte sie das Einzige getan, das ihr Linderung verschaffen und den Schlamassel für einen kurzen Moment verdrängen würde. Sie war trainieren gegangen. Um fünf Uhr in der Früh hatte sie im Studio der Irish Dance Academy gestanden, sich ihre Soft Shoes, leichte ballettähnliche Tanzschuhe, angezogen und sich der Musik hingegeben. Sie hatte in den Spiegel geschaut, jedoch nur auf Technikfehler geachtet, ihr blasses Gesicht mit den tiefen Augenringen hingegen geflissentlich ignoriert.

Vier Stunden später war ihre eigens auferlegte Tortur unterbrochen worden. Die Tür zum Studio hatte sich geöffnet, und Patrick Finnegan hatte seinen Kopf hereingesteckt.

»Aeryn! Hier versteckst du dich also.«

Patrick war Tourmanager der aktuellen Show, in der Aeryn und Trevor die Hauptrollen besetzten.

Aeryn hatte ein Lächeln aufgesetzt. Oder sie hatte es versucht. »Ich verstecke mich nicht. Ich trainiere.«

Patrick war auf sie zugekommen. Er war etwa Anfang vierzig, trug immerzu feine Anzüge und gelte sich sein Haar einen Tick zu viel, zumindest für Aeryns Geschmack. Doch auch wenn er sie an einen stolzen Pfau erinnerte, war er ihr grundsätzlich sympathisch. Er war fair und zog seine Tänzer nicht über den Tisch. Ein hohes Gut in dieser Branche.

»Darling, wie lange bist du schon hier? Vier, fünf Stunden?«

Pflichtschuldig war Aeryn seinem Blick ausgewichen.

»Siehst du. Verstecken.« Er hatte sie flüchtig umarmt und ihre Augen dann fest in den Fokus genommen. »Aber wer könnte es dir verdenken, bei allem, was Trevor –«

Aeryn hatte ihn harscher als nötig unterbrochen. »Es geht mir gut. Wirklich.« Sie hatte sich zum Spiegel gedreht und ihr rechtes Bein gedehnt. »Was kann ich für dich tun?«

Patrick hatte schwer geseufzt. »Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen. Aber …«

Aeryn hatte nicht aufgesehen und begonnen auch ihr linkes Bein zu strecken.

»Aeryn, dieser ganze Wirbel um dich und Trevor tut uns nicht gut. Die Ersten wollen bereits ihre Tickets für die nächsten Vorstellungen zurückgeben. Wir müssen nach außen ein Zeichen setzen, dass euer persönlicher … Also, dass dieser Zwist nichts mit der Show zu tun hat.« Patrick hatte versucht, Aeryns Blick im Spiegel einzufangen, doch vergeblich. Sie hatte erneut ihr rechtes Bein gedehnt und die Augen auf den Boden vor sich geheftet.

»Aeryn, wir beurlauben dich für eine Weile. Es geht nicht anders. Patricia und Mike übernehmen eure Positionen vorerst. Ich habe bereits mit ihnen gesprochen.« Patrick hatte leise gesprochen, aber Aeryn hatte das Gefühl, seine Worte würden ihren Kopf zum Explodieren bringen. Nein. Das konnte nicht sein. Man durfte ihr das Tanzen nicht wegnehmen. Es war das Einzige, das sie aufrecht hielt bei alldem, was gerade passierte. Ihr Freund hatte sie betrogen, es der ganzen Welt erzählt und via Zeitung mit ihr Schluss gemacht, nachdem er ihren Ruf beschädigt und sie als langweilig und besessen betitelt und obendrein ihr ganzes Geld gestohlen hatte. Und jetzt wollte man ihr das Tanzen nehmen? Trevor lief wie ein Elefant durch den Porzellanladen, ungeachtet dessen, was er mit den Gefühlen und Karrieren seiner Mitmenschen machte, und nun war sie suspendiert worden?

Nicht beschweren, nicht rechtfertigen. Das Mantra ihres Vaters war ihr in den Sinn gekommen. ›Nicht beschweren, nicht rechtfertigen. Wenn du etwas werden willst, musst du durch Leistung überzeugen. Alles andere zeugt nur von Schwäche. Und niemand braucht Schwächlinge.‹ Sie war erst fünf Jahre alt gewesen, als er ihr das zum ersten Mal gepredigt hatte.

Aeryn hatte ihre Wut hinuntergeschluckt. Sie hatte Patricks Standpunkt sogar nachvollziehen können. Er musste die Show schützen. Sie hatte versucht, einen neutralen Ton anzuschlagen. »Ich verstehe. Wie lange?«

Irritiert, dass Aeryn keinen Widerspruch geleistet hatte, hatte Patrick seine Star-Tänzerin betrachtet. »Erst einmal vier Wochen. Danach sehen wir weiter.«

Tränen waren in Aeryn aufgestiegen, doch sie hatte sie energisch zurückgehalten. Nicht beschweren. Nicht rechtfertigen. Sie hatte brüsk genickt. »Wenn weiter nichts ist, würde ich mein Training gerne abschließen.«

Ihre Stimme hatte leicht gezittert, doch abgesehen davon hatte sie keinerlei Gefühlsregung gezeigt.

»Sag Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann, ja?« Patrick hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt und sanft zugedrückt. »Es tut mir ehrlich leid, Aeryn. Das hast du nicht verdient.«

Kurz darauf hatte Aeryn ihre Sachen in die Sporttasche gepackt und war aus dem Gebäude gestürmt – mitten in die wartenden Journalisten, die für die nächste Story über das frisch getrennte Traumpaar auf der Lauer lagen.

Hätte sie doch bloß im Hinterhof geparkt! Nur mit Mühe und der Hilfe des Sicherheitsdienstes der Academy hatte Aeryn sich einen Weg zu ihrem Wagen bahnen können. Kein Wort hatte sie dabei verloren und war schließlich auf direktem Weg nach Hause gerast. Dort hatte sie hektisch ein paar Klamotten in einen Koffer geschmissen, sich ihre Toilettenartikel, und was sie sonst so brauchte, geschnappt und war wieder hinunter in die Garage gelaufen. Sie hatte den Motor angeworfen und war, ohne nachzudenken, auf die Straße hinausgeschossen. Weg. Sie musste weg. Weit weg.

Jetzt öffnete Aeryn müde ihre Augen. Sie schaute hinaus auf den Horizont. Regenwolken schoben sich am Himmel entlang. Von Weiß über die unterschiedlichsten Grauschattierungen hin zu fast schwarzen Wolkenfetzen waren alle Farbtöne vertreten. Die Sonne hatte heute keine Chance.

Sie warf einen Blick auf ihre zierliche Armbanduhr. Sie erinnerte sich nicht mehr, wann sie Dublin verlassen hatte. Ein, zwei Stunden dürfte sie jedoch unterwegs gewesen sein. Es war bereits später Nachmittag. Ihr Magen knurrte, und sie entschied sich, in der Tankstelle ein Sandwich und einen Kaffee zu kaufen. Wenige Minuten später saß Aeryn auf einer der Bänke, die eigens für Rastende aufgestellt worden waren. Lustlos knabberte sie an ihrem Käsesandwich und drehte den Kaffeebecher in ihrer Hand hin und her. Im Laden war ihr plötzlich bewusst geworden, dass das Bargeld, das sie dabeihatte, aktuell ihr einziges Vermögen war. Ihr Konto war leer, und selbst wenn sie sich ihre Ersparnisse rechtlich irgendwie zurückholen könnte, für die nächsten Tage, vielleicht sogar Wochen war sie pleite.

Aeryn legte ihr Sandwich beiseite und kramte ihren Geldbeutel hervor. Sie blätterte durch die Scheine und zählte. Sonderlich viel Zeit benötigte sie dafür nicht, denn die Summe war nicht allzu hoch. Streng genommen hatte sie aber Glück. Normalerweise hatte sie nicht mehr als zehn Euro in ihrem Portemonnaie. Bargeld war für sie eine Seltenheit. Sei es eine Flasche Wasser oder ein Becher Kaffee, Aeryn zahlte alles mit Karte oder über ihr Smartphone. Vor einer Woche hatte sie für eine Kollegin im Pub die Rechnung übernommen. Kurz darauf hatte sie Aeryn den entsprechenden Betrag in bar wiedergegeben. Ein sarkastisches Lachen bahnte sich seinen Weg nach draußen, als Aeryn nun die knapp fünfzig Euro in ihrer Hand betrachtete. Wie weit würde sie mit den wenigen Scheinen und Münzen wohl kommen? Sie griff nach ihrem Handy und suchte in der Gegend nach einer Unterkunft. Nach wenigen Augenblicken legte sie das Smartphone wieder beiseite. Sie mochte zwar irgendwo im irischen Nirgendwo sein, aber für das Geld bekam sie nicht mal hier eine Übernachtung.

Aeryn packte ihr halb aufgegessenes Sandwich wieder ein. Der Appetit war ihr vergangen. Wut und Selbsthass breiteten sich in ihr aus. Wie hatte sie so naiv sein können? Ihr Vater hatte sie gewarnt. Ein gemeinsames Konto mochte ja praktisch sein, aber sie hätte sich etwas Eigenes zurücklegen müssen. Besonders, wo sie doch schon seit Wochen nicht mehr glücklich mit Trevor gewesen war. Sein Verhalten hatte sie zunehmend angewidert. Der Ruhm hatte ihm geschadet. Er verlor den Respekt vor seinen Mitmenschen und wurde sich selbst der Nächste. Trevor wusste, wann er seinen Charme in der Öffentlichkeit spielen lassen musste und wie er sich die Fans einverleibte, bis sie ihm zu Füßen lagen. In den letzten beiden Jahren hatte er diese Fähigkeit perfektioniert. Nach außen wirkte er wie der fleißige Sohn aus der Mittelschicht, der sich den Weg an die Spitze der Academy hart erarbeitet hatte. Doch in Wirklichkeit nahmen seine Ignoranz und Überheblichkeit mit jedem TV-Auftritt, mit jedem Interview, mit jeder positiven Kritik zu. Von dem ehrlich charmanten und ambitionierten jungen Mann war nicht viel übrig geblieben, wie Aeryn schmerzlich hatte erkennen müssen. Dass er sie jedoch so hintergehen und sich sogar an ihrem Vermögen vergreifen würde, hätte sie nicht im Traum erwartet. Wie blind sie gewesen war! Blind und naiv. Fürchterlich naiv.

Aeryn fuhr sich mit der rechten Hand durch die schwarzen Locken und versuchte sie hinter ihrem Ohr festzustecken. Doch der Wind pustete sie ihr immer wieder ins Gesicht. Er war unerbittlich. Irgendwann resignierte sie und ließ ihre wilden Strähnen tanzen. Stattdessen überlegte sie, wie sie in nächster Zeit zu Geld kommen sollte. Natürlich könnte sie ihre Eltern anrufen. Ihr Vater besaß eine äußerst erfolgreiche Agentur, die sich um Irish Dance-Tänzer kümmerte, mitten in Dublin. Kevin Fitzgerald war schon vor Aeryns Geburt in die Riege der Reichen und Schönen aufgestiegen, sodass ihre Mutter beispielsweise nie hatte arbeiten müssen. Aeryn war in einer betuchten Gegend in einem viel zu großen Haus aufgewachsen. An finanziellen Mitteln mangelte es ihren Eltern also nicht. Doch die Scham war zu groß. Ihr Dad hatte Trevor nie gemocht. Er schien wesentlich früher als Aeryn erkannt zu haben, wie Trevor in Wirklichkeit war. Jetzt zurückzukriechen und zugeben zu müssen, dass ihr Vater recht gehabt hatte, und dann auch noch um Almosen betteln? Nein. Dafür war Aeryn zu stolz.

Sowieso hatte ihre Herkunft es ihr nur schwerer gemacht im Leben. So wie ein armer Hintergrund einem gewisse Herausforderungen auferlegt, ist einem als Kind reicher Eltern ebenso ein gewisses Maß an Anstrengungen vorgegeben. Aeryn hatte schon früh die Erwartungen ihres Vaters erfüllen müssen. Mit drei Jahren hatte sie zu tanzen begonnen. Doch während Irish Dance für normale Eltern ein Hobby für das Kind sein sollte, war für Aeryns Eltern von Anfang an klar gewesen, dass sie es zu etwas bringen musste. Mit fünf Jahren hatte sie an ihrem ersten Wettbewerb im Irish Dance teilgenommen. Erfolgreich. Noch bevor sie die erste Klasse besucht hatte, war sechs Mal die Woche Tanztraining auf ihrer Agenda gestanden. Das hatte sich auch nicht geändert, als sie älter geworden war. Im Gegenteil. Mehr Training, mehr Wettbewerbe und noch mehr Erstplatzierungen. Mit nur zehn Jahren hatte sie den ersten internationalen Contest gewonnen. Während ihre Klassenkameradinnen im Teenageralter ausgegangen waren und Partys gefeiert hatten, war sie im eigens eingerichteten Studio im Hause ihrer Eltern gestanden und hatte für den nächsten Wettkampf geübt. Sie war auf die besten Tanzschulen gegangen, von den erfolgreichsten Tänzern unterrichtet worden und hatte auf ganzer Linie gesiegt. Die Investition, wie ihr Vater es genannt hatte, hatte sich Jahr um Jahr ausgezahlt.

Doch Aeryn hatte auch erfahren, was Neid bedeutete. Statt Freunde beim Tanzen zu finden, war sie auf Ablehnung gestoßen. Man machte ihr den Reichtum ihres Vaters zum Vorwurf. War sie wirklich so gut im Tanzen oder lag ihr Erfolg einfach nur am Geld, das ihr Dad allen möglichen Organisationen als Spende zukommen ließ? Wer genau hinsah, wusste, dass diese Wohltätigkeiten die Platzierung nicht beeinflussen konnten. Doch war der Gedanke einmal gesät, brauchte es nicht lange, bis die Missgunst ins Unermessliche stieg. Infolgedessen hatte Aeryn stets das Gefühl gehabt, doppelt so hart arbeiten zu müssen wie alle anderen, denn sie musste beweisen, dass sie aufgrund ihrer Leistung einen Wettbewerb nach dem anderen gewann – und nicht wegen des Geldes ihres Vaters.

Einmal hatte Aeryn den Fehler gemacht, ihren Vater darum zu bitten, nicht so sehr mit seiner Großzügigkeit hausieren zu gehen. Entrüstet hatte er sie angeschrien, sie hätte keine Ahnung vom Leben. Sie solle froh sein, dass er ihr die teuren Extrastunden beim aktuellen Weltmeister mit seinem Geld ermöglichte. Dankbar solle sie sein. Der Reichtum sei ein Segen. Er sorge für ihre Tanzerfolge durch die beste Ausbildung, die Aeryn sich wünschen könnte. Und was wäre sie ohne das Tanzen? Ein Nichts. Ihr Erfolg war sein Erfolg. Das ließ er sie stets spüren. Bis heute hatte Aeryn es nicht geschafft, sich aus diesen Klauen zu befreien, was vermutlich daran lag, dass er auch als ihr Agent fungierte.

Als sie schließlich die begehrte Rolle in High Kings and Queens of Irish Dance bekommen hatte, war ihr Vater zwar vor Stolz geplatzt. Doch er ließ sie nicht vergessen, wem sie das zu verdanken hatte. Nämlich ihm. Seiner unerbittlichen Förderung. ›Siehst du, es hat sich ausgezahlt. Was ist schon eine Party, die man mit sechzehn besucht, gegen die Rolle deines Lebens? Kein Vergleich, wenn du mich fragst‹, hatte er zu ihr gesagt, als sie über die Berufung für die Hauptrolle sprachen.

Manche hätten womöglich angefangen, das Tanzen zu hassen, hätten rebelliert und als junge Erwachsene aufgehört. Nicht so Aeryn. Tanzen war alles, was sie konnte. Und auch, wenn schon seit ihrer Kindheit immer ein enormer Druck auf ihr gelastet hatte, beim Tanzen fühlte sie sich frei. Sie entschied die nächste Schrittfolge. Sie spürte die Kraft, die sich in ihr ausbreitete, sobald die Musik in ihren Ohren erklang. Mit jeder Drehung, jeder Figur, jeder noch so schweren Schrittfolge ertanzte sie sich ein Stück Freiheit.

Durch Neid und Missgunst ihrer Mitschüler war sie schließlich schon in jungen Jahren in die Einsamkeit geflohen. Nur beim Tanzen entkam sie dem Alleinsein. Sie und die Musik. Sie hatte ihr ganzes Leben immer nur getanzt. Wie hätte sie mit achtzehn plötzlich etwas anderes machen sollen? Unvorstellbar. Es war ihr vorgegeben, eine erfolgreiche Tänzerin zu werden. Und erfolgreich war sie. Mehrmalige Landes- sowie zweifache Weltmeisterin. Sie hatte es geschafft.

Dass ihr Vater sie an ihren Tanzleistungen maß und dementsprechend seine Liebe dosierte, war Aeryn von Kindheit an gewöhnt. Ihre Mutter hatte sich stets hinter ihren Vater gestellt. Insofern war es für Aeryn normal, Liebe nur bei Erfolgen zu spüren. Als sie sich in Trevor verliebt hatte, hatte sie zum ersten Mal gelernt, was es bedeutete, Zuneigung zu erhalten, ohne etwas dafür tun zu müssen. Inzwischen war sie sich zwar nicht mehr so sicher, ob Trevor sie je wirklich geliebt hatte – würde man so mit einem Menschen umgehen, den man geliebt hatte? Fraglich. Trotzdem war es für Aeryn zu Beginn ihrer Beziehung eine völlig neue Erfahrung gewesen. Kein Wunder also, dass sie nicht auf ihren Vater gehört hatte, als dieser sie vor dem jungen Tänzer aus der Mittelschicht gewarnt hatte. Stattdessen war Aeryn in ihrem Märchen aufgeblüht. Natürlich hatte sie ihrem Prinzen vertraut!

Und jetzt sollte sie bei ihrem Vater anrufen und gestehen, dass er recht gehabt hatte? Unmöglich. Jetzt sollte sie ihn um Geld bitten? Auf gar keinen Fall. Nicht nur, dass er Trevor richtig eingeschätzt hatte, sie würde ihm auch sagen müssen, dass sie von der Show suspendiert worden war. Der absolute Super-GAU! Vermutlich würde er ihr zur Strafe nicht mal aushelfen wollen. Liebesentzug und Taschengeldkürzungen. Damit war sie groß geworden, wenn sie Misserfolge beim Tanzen eingefahren hatte. Ihr Vater würde heute ebenso handeln wie in ihrer Kindheit. Er nannte es Erziehung.

Aeryn fröstelte. Sie würde mit ihren Eltern sprechen müssen. Aber nicht jetzt. Sie konnte es nicht. Sie wusste ja nicht mal selbst, wie ihr Leben weitergehen sollte. Wie sollte sie es also ihren Eltern erklären? Vermutlich wusste ihr Vater sowieso schon Bescheid. Er war bestens vernetzt in der Tanz- und High Society. Das musste er auch bei seinem Job. Wahrscheinlich hatte er von ihrer Suspendierung erfahren, noch bevor man sie informiert hatte. Sicherlich schäumte er schon vor Wut und wartete auf ihren Anruf. Sie würde eine Schimpftirade erwarten, aus Entrüstung und Enttäuschung würde die Stimme ihres Vaters bestehen. Nein, danke. Wirklich nicht. Nicht jetzt.

Wie sollte sie also sonst an Geld kommen? Die Einsamkeit war ihr bis ins Erwachsenenleben gefolgt. Zwar hatte sie inzwischen bewiesen, dass ihre Leistung der Grund für ihre Siege und Show-Besetzungen war, trotzdem fiel es ihr schwer, anderen zu vertrauen. Echte Freundschaft hatte sie nie erlebt, und so hatte sie zwar zu ihren Kollegen ein gutes Verhältnis, eine tiefere Verbindung aber zu niemandem aufbauen können. Dazu war sie einfach nicht fähig. Und so ging sie zwar mit ihren Leuten aus der Academy in den Pub, ab und zu einen Kaffee trinken, doch nie vertraute sie jemandem an, wie sie sich wirklich fühlte. Trevor war der Erste gewesen. Und vermutlich auch der Letzte. Wie könnte Aeryn es nach dieser Erfahrung jemals wagen, jemandem zu vertrauen?

Freunde um eine vorläufige Finanzspritze zu bitten, kam also auch nicht infrage. Hier ging es schließlich nicht nur um die Begleichung einer Pub-Rechnung. Zudem wäre dabei Aeryns Stolz im Weg gewesen. Sie war keine Bittstellerin. Bei niemandem. Trotzdem, sie musste einen Ausweg finden. Oder sie würde heute in ihrem Auto übernachten.

Aeryn schluckte das letzte bisschen ihres inzwischen kalten Kaffees herunter und stand auf, um den Becher zu entsorgen. Sie musste einige Meter laufen, denn der nächste Mülleimer befand sich erst an der Bushaltestelle neben dem Rastplatz. Sie ging gerade darauf zu, als ein kleiner Junge ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war nicht älter als fünf und spielte mit einem gelben Luftballon. Der Wind zerrte an der dünnen Schnur, die um das Handgelenk des Jungen gebunden war. Mit aller Kraft stemmte sich der kleine Mann gegen die Windböe und hielt eisern den Blick nach oben zu seinem Ballon gerichtet.

Aeryn lächelte. Der Kleine mochte schmal sein, doch in seinem Gesicht erkannte sie ein stures Durchhaltevermögen. Sie warf ihren Kaffeebecher in den Mülleimer, hatte kurz ein schlechtes Gewissen wegen der Umwelt und drehte sich dann wieder um, um zurück zu ihrem Wagen zu gehen. Der kleine Junge, der eben noch auf dem Bürgersteig gespielt hatte, war nicht mehr zu sehen. Plötzlich hörte Aeryn eine entsetzte Frauenstimme rufen.

»Liam! Komm von der Straße weg!«

Aeryn schaute sich um, und auf einmal sah sie den Jungen wieder. Sein Luftballon hatte sich von der Schnur befreit und segelte über die Fahrbahn. Liam, wie er offensichtlich hieß, lief ihm hinterher – ohne auf den Verkehr zu achten. Immer wieder sprang er hoch, in der Hoffnung, seinen Ballon einzufangen.

»Liam!« Die Frauenstimme wurde schrill. Und Aeryn wusste auch wieso. Aus der Kurve, aus der sie selbst zuvor gekommen war, rauschte ein Überlandbus auf sie zu. Er fuhr viel zu schnell, dachte Aeryn entsetzt. Sie sah in die Richtung, aus der nun auch eine tiefe männliche Stimme schrie. »Liam, pass auf! Liam!«

Eine ältere Frau und ein Mann im gleichen Alter rannten zur Straße, doch sie würden niemals rechtzeitig kommen. Dafür war die Entfernung zu groß. Es waren Millisekunden, doch für Aeryn fühlte es sich an wie Minuten. Sie nahm die Szene in sich auf. Der Junge, der noch immer auf der Straße seinen Ballon zu erwischen versuchte. Der Bus, der auf ihn zuraste. Und die entsetzten Schreie des Paares. Pure Panik zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab.

»Liam!« Wieder riefen sie nach dem Kind, doch noch immer hörte er nicht.

Inzwischen hatte auch der Busfahrer bemerkt, was auf der Straße vor sich ging. Schockiert umklammerte er das Steuer und betätigte verzweifelt die Bremse. Doch die Distanz war zu gering. Er würde es nicht schaffen, rechtzeitig anzuhalten. Keine Frage, er würde den Jungen erwischen. Wieder sah Aeryn zu dem herbeieilenden Paar. Viel zu weit weg, dachte sie entsetzt. Viel zu weit! Ohne nachzudenken, rannte sie plötzlich los. Schon wieder pulsierte das Adrenalin in ihren Adern. Es ließ sie schneller laufen. Ihre Füße berührten den Boden kaum. Sie wusste nicht, was sie tat, als sie auf die Straße hechtete und sich den kleinen Jungen schnappte. Beide stürzten auf den harten Asphalt, doch Aeryn spürte keine Schmerzen. Das Einzige, das sie wahrnahm, war das Zittern des Jungen und der Windhauch, den der vorbeirasende Bus hinterließ. Sie hörte die quietschenden Reifen und sah auf. Wenige Meter von ihnen entfernt, kam das Fahrzeug mit einem Ruck zum Stehen. Nur ein paar Meter, doch es waren genug, sodass der Bus das Kind mit voller Kraft getroffen hätte. Der Kleine hätte keine Chance gehabt. Schreckliche Bilder tauchten vor Aeryns Augen auf. Ihre Atmung überschlug sich. Sie umklammerte das schmale Kind, das immer stärker zitterte. Sie durfte ihr Entsetzen nicht auf den Jungen übertragen, ermahnte sie sich. Fest umschlang sie den schmalen Körper.

»Es ist alles gut. Alles okay. Dir passiert nichts«, flüsterte sie. »Keine Angst. Alles wird gut.« Sie gab sich Mühe, ihre steifen Arme zu lockern und dem Jungen etwas Platz zu lassen, ihn aber so weit im Arm zu behalten, damit er sich sicher fühlte. »Alles wird gut.«

»Oh mein Gott! Liam!«

»Liam! Hast du dir wehgetan? Liam, mein Gott!«

Das ältere Paar war endlich bei ihnen angelangt und beugte sich über die beiden. Immer noch stand ihnen die Panik in den Augen. Sichtlich erschöpft kniete der Mann sich neben sie. Der Junge sah zu ihm auf und schüttelte kaum merklich den Kopf. Aeryn lag weiterhin mit dem Kleinen auf dem Asphalt. Vorsichtig richtete sie sich auf und zog das Kind auf ihren Schoß.

»Dir kann nichts mehr passieren. Es ist alles gut«, wisperte Aeryn ihm leise ins Ohr. Der Mann wollte nach dem Kind greifen, doch der Junge schob sich enger an Aeryns Oberkörper. Überrascht hob der ältere Herr die linke Augenbraue, doch er sagte nichts und zog seine Arme wieder zurück. Stattdessen nahm er nur die Hand des Jungen und hielt sie in seiner.

Aeryn versuchte ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen. Noch immer hob und senkte sich ihre Brust so schnell, als hätte sie gerade ein Solo getanzt. Das Adrenalin ebbte langsam ab, und sie spürte an mehreren Stellen ihres Körpers den aufflammenden Schmerz. Sie war hart mit der Schulter auf dem Boden aufgekommen, und auch ihre Hüfte hatte bei dem Aufprall etwas abgekriegt. Doch jetzt war nicht der passende Augenblick, um sich um ihre Wehwehchen zu kümmern. Sie hörte, wie sich der Busfahrer schimpfend näherte. Auf dem Gehweg und an der Tankstelle blieben neugierige Menschen stehen und beobachteten die Szenerie. Aber all das war Aeryn egal. Sie hielt das kleine Wesen weiter in ihren Armen und flüsterte unentwegt auf Liam ein. »Alles ist gut. Es ist alles in Ordnung.«

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die ältere Dame, die offenbar zu Liam gehörte, auf den Busfahrer zuging und ihm gehörig den Kopf zu waschen schien. Aeryn konnte nicht hören, was die Frau sagte, doch der Busfahrer verstummte. Seine Gesichtsfarbe nahm einen grauen Ton an, ähnlich wie der irische Himmel über ihnen. Was auch immer die Frau ihm entgegenhielt, es schien Eindruck zu hinterlassen. Und Furcht. Wenn Aeryn sich nicht täuschte, sah sie aber auch den Hauch eines schlechten Gewissens. Während sich die Dame um den Busfahrer und die Menschentraube kümmerte, kniete der ältere Mann weiter vor Aeryn und hielt Liams Hand. Er blieb stumm und sah dem Jungen liebevoll in die Augen. Das Zittern von Liams Körper nahm langsam ab. Er schien sich zu beruhigen. Aeryn wollte ihn deshalb an den Fremden übergeben, doch sofort krallte sich das Kind an ihren Arm.

Irritiert blickte Aeryn auf den Jungen hinab. »Liam, es ist alles gut. Dir passiert nichts. Willst du nicht zu deinem …«

Fragend sah sie auf.

»Großvater«, entgegnete er mit angenehm leiser Stimme.

»… zu deinem Großvater?« Aeryn schaute in das blasse Gesicht des Kindes.

Liam schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier.«

Ratlos richtete Aeryn sich auf und blickte in ein weit überraschteres Gesicht. Doch entgegen ihrer Erwartung lächelte Liams Großvater plötzlich. »Liam, wollen wir uns eine heiße Schokolade auf den Schreck holen?«

Liams Augen ruhten weiterhin auf Aeryn. Energisch schüttelte er den Kopf.

»Sagst du mir, ob du dir wehgetan hast? Hast du irgendwo Schmerzen?«

Der Junge blieb stumm. Das Lächeln des Mannes erlosch augenblicklich.

»Bist du sicher, dass du dir nicht wehgetan hast?«, fragte Aeryn leise.

»Hab ich nicht.« Leise, aber bestimmt, antwortete Liam ihr.

»Unglaublich …« Irritiert sah Liams Großvater zwischen Aeryn und seinem Enkel hin und her. Aeryn war sich nicht sicher, was er mit seiner Bemerkung meinte, doch mit Blick auf den entstehenden Stau hinter ihm hielt sie es für ratsamer, von der Straße zu verschwinden.

»Was hältst du davon, wenn wir uns dort drüben auf eine Bank setzen, Liam? Da ist es sicher viel gemütlicher als hier auf dem Asphalt. Denkst du nicht auch?«      

Liam schaute zu ihr auf. Nach kurzem Überlegen nickte er. »Ja, gut.«

Fragend wandte sich Aeryn dem Mann zu, der sie verblüfft anstarrte. Abwesend nickte er ebenfalls.

»Okay, kleiner Mann. Dann komm mal mit!« Aeryn ignorierte ihre pochende Schulter und nahm den Jungen auf den Arm. Dank ihrer täglichen Trainingseinheiten war sie körperlich äußerst fit und schaffte es, ohne Liam abzusetzen, aufzustehen und ihn zur nächsten Bank auf dem Rastplatz zu tragen. Dass der kleine Kerl für sein Alter ein Fliegengewicht war, spielte ihr zusätzlich in die Karten. Vorsichtig ließ sie sich auf der Bank nieder und wollte Liam neben sich setzen, doch der hatte andere Pläne.

»Ich bleibe hier.« Das Kind kletterte, ohne zu fragen, auf Aeryns Schoß.

Hilfesuchend blickte Aeryn zu Liams Großvater. Doch anstatt etwas zu sagen, verfolgte dieser fasziniert die Szene. Vermutlich war es der Schock, der allen zu schaffen machte, dachte Aeryn.

»Okay, dann bleibst du erst mal hier.« Sie half Liam auf ihre Oberschenkel und strich ihm sanft über eine kleine rote Schramme auf seiner Backe.

»So, du bist also Liam, ja?« Aeryn versuchte den Kleinen in eine Unterhaltung zu verwickeln, damit er sich von dem Schrecken erholte. Nicht, dass sie Ahnung von Kindern hatte, aber das erschien ihr irgendwie sinnvoll.

Abschätzend musterte er sie mit seinen großen Kinderaugen. Dann nickte er und erwiderte mit leiser Stimme: »Ja.« Er senkte den Blick. »Und wie heißt du?«

»Ich bin Aeryn.« Sie lächelte ihm zu.

Liam guckte hinauf in den Himmel. »Mein Ballon ist jetzt wohl für immer fort.«

Er klang weder traurig noch aufgebracht. Aeryn hatte vielmehr den Eindruck, als handelte es sich um eine sachliche Feststellung. Seine Stimme war ein wenig heiser.

»Vermutlich. Aber vielleicht bekommst du ja einen neuen?«

Liam schüttelte den Kopf. »Nein. Es gab nur diesen einen in Gelb. Ich mag die Farbe, weißt du?«

»Das verstehe ich gut.«

Der kleine Junge schien zu überlegen. Dann wandte er Aeryn fragend sein immer noch blasses Gesicht zu. »Der Ballon kann jetzt bestimmt ganz Irland von da oben sehen, oder?«

Aeryn beobachtete die grauen Wolken und bezweifelte, dass der Ballon viel von der grünen Insel sehen würde, doch das würde sie dem Jungen wohl kaum sagen. Stattdessen meinte sie: »Gut möglich.«

Liam sah das als Zustimmung an und nickte zufrieden. »Dann ist es gut. Vielleicht erlebt er ja tolle Abenteuer auf seiner Reise.«

»Oh, da bin ich mir sicher.« Aeryn schmunzelte und versuchte erneut das Alter des Jungen zu bestimmen. Er war so dünn, dass man ihn wahrscheinlich oft jünger einschätzte, als er tatsächlich war. Doch älter als fünf war er sicherlich nicht.

»Liam, Schatz! Wie geht es dir?« Die ältere Dame kam auf sie zu und setzte sich neben Aeryn und den Jungen. Ihr schien es gar nicht seltsam vorzukommen, dass das Kind auf dem Schoß einer Fremden saß, während der Großvater daneben stand und alles sprachlos in sich aufnahm.

Liam sah zwar auf, doch er sagte kein Wort, sodass Aeryn sich genötigt fühlte für ihn einzuspringen.

»So weit gut, glaube ich. Er ist noch etwas mitgenommen, aber ich denke, er hat sich bis auf ein paar Schrammen nicht weiter verletzt.«

»Das ist gut.« Ohne den Blick von Liam zu nehmen, fuhr die Dame fort. »Ein Glück, dass Sie da waren. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn …«

»Wir schulden Ihnen etwas.« Der Mann schien seine Stimme wiedergefunden zu haben.

Aeryn sah in seine freundlichen Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, ich bitte Sie. Ich bin nur froh, dass Liam nichts passiert ist.«

Bevor Aeryn noch etwas sagen konnte, unterbrach die Dame sie sichtlich dankbar. »Nun … Zumindest sollten wir uns wohl vorstellen, nicht wahr? Mein Name ist Rose O’Sullivan, …« Sie deutete auf Liams Großvater. »Das ist mein Mann, Declan.«

Liam machte es sich weiter auf Aeryn gemütlich und musterte den Himmel, obwohl man seinen gelben Ballon schon längst nicht mehr erkennen konnte. Er hatte einen abwesenden Blick aufgesetzt, doch dann drehte er sich zu Aeryn.

»Granny hat gesagt, heute Abend macht sie Pfannkuchen. Mit Honig. Magst du Pfannkuchen?«

Hätte Aeryn Liam nicht auf ihren Beinen sitzen gehabt, sie hätte die Hand ausgestreckt, um Rose O’Sullivan zu stützen. Sie schien es nötig zu haben. Denn sie starrte mit offenem Mund ihren Enkel an und wirkte, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Fragend und hilfesuchend wanderte ihr Blick zu ihrem Mann. Declan hob stumm eine Augenbraue und erwiderte die fragende Geste mit zuckenden Achseln.

Die Situation wurde zunehmend kurioser. Was war hier los?

»Nun … Ich denke, jeder mag Pfannkuchen, nicht?«

Liam nickte. »Am besten sind sie aber mit unserem Honig.«

Rose O’Sullivan schnappte nach Luft und schlug sich die flache Hand vor den Mund. Täuschte Aeryn sich oder hatte Liams Großmutter Tränen in den Augen? Irritiert schaute sie zu Declan O’Sullivan. Dieser schien sich inzwischen wieder gefangen zu haben und erkannte die Fragezeichen in Aeryns Gesicht.

»Aeryn, wir wollen Sie nicht aufhalten, aber würden Sie uns vielleicht die Ehre erweisen und heute Abend mit uns essen? Ich glaube, Liam würde sich sehr darüber freuen.« Declan lächelte. »Es gibt Pfannkuchen mit Honig, wie Sie gehört haben.«

Aeryn blickte zwischen den beiden Großeltern und Liam hin und her, der eifrig nickte. Sie war, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, von Dublin ausgerissen. Sie hatte kein Geld, und ihr Leben lag in Trümmern. Sie hatte also nichts, wovon man sie abhalten würde. Dennoch … Irgendetwas ging hier vor sich. Und sie war sich nicht sicher, ob es ratsam war, sich dort hineinziehen zu lassen. Nur hatte sie das nicht vielleicht schon längst? Nämlich in dem Moment, als ihre Beine zu laufen begonnen und ihre Hände nach Liam gegriffen hatten? Die Stille um sie herum und die bittenden Blicke der O’Sullivans nahmen ihr die Entscheidung schließlich ab. Was würde es schon machen, wenn sie ein paar Pfannkuchen mit ihnen aß?

»Warum nicht?« Aeryn nickte.

Liams Großeltern schien ein Stein vom Herzen zu fallen. Erleichtert und dankbar strahlten sie Aeryn an.

 

 

 

2

 

 

Eine halbe Stunde später fuhr Aeryn auf den Hof der O’Sullivans. Nur widerwillig hatte Liam sich von ihr getrennt, um im Auto seiner Großeltern nach Hause zu fahren. Aeryn war ihnen quer durch den kleinen Ort gefolgt. Appleaugh hieß er, wie sie auf einem Ortsschild gelesen hatte. Sie sprach nicht viel Irisch, wusste aber, dass die Endung augh für Achadh, also ›Feld‹ stand. Sie war folglich in einem verzauberten Ort namens Apfelfeld gelandet, wenn man es wortwörtlich nahm.

Jetzt parkte sie neben einem alten roten Traktor auf einem großen Innenhof, der mit Kies ausgelegt war. Sie stellte den Motor ab, griff nach ihrer Handtasche und stieg aus dem Wagen. Schmerzvoll verzog sie für einen kurzen Moment das Gesicht. Ihr Sturz auf die Straße hatte wohl mehr Spuren hinterlassen als zunächst angenommen. Ihre Schulter pochte wütend, als sie die Autotür zuschlug. Aeryn hielt inne und bemühte sich den Schmerz auszuhalten. Sie atmete tief durch und spürte dem Pochen in ihrem Körper entgegen.

»Alles in Ordnung?« Declan O’Sullivan tauchte mit freundlichen Augen vor ihr auf und betrachtete sie besorgt.

Aeryn zwang sich zu lächeln. »Ja, alles gut. Ein blauer Fleck, das ist alles.«

Ein schlechtes Gewissen überkam Declans Gesichtszüge. »Sie sollten das untersuchen lassen. Der Sturz war nicht ohne …«

Der Schmerz ließ endlich nach, und Aeryn winkte ab. »Nein, wirklich. Es geht schon.«

Declan musterte sie noch einmal und beließ es dann dabei.

Aeryn wechselte das Thema. »Schön haben Sie es hier.«

Ihr Blick schweifte über den Innenhof. In der Mitte befand sich eine große Kastanie, mit ausufernden dicken Ästen. An einem davon hing eine Schaukel, die im leichten Wind hin und her wippte. Der Baum schien ziemlich alt zu sein, denn der Umfang des Stamms betrug bestimmt zwei Meter. Rund um den Baum war eine Holzbank angebracht worden. In verschieden großen Blumentöpfen, die auf und neben der Bank standen, blühten Dahlien und Sonnenblumen. Rechts und links der alten Kastanie säumten zwei lange weiße Gebäude den Platz. Am hinteren Ende des Hofs ging der Kies über in ein grünes Feld, auf dem zahlreiche Obstbäume aufgereiht wurzelten. Aeryn vermutete, dass es sich um Apfel- oder Birnbäume handelte. Typisch für diese Gegend im Norden Irlands. Und wenn sie den Ortsnamen berücksichtigte, würde es sich ziemlich sicher um Apfelbäume handeln.

Sie hatte vor dem Haus auf der linken Seite geparkt. Die Mauern wirkten trotz des weißen Anstrichs alt und massiv. Ein Stück weiter erkannte Aeryn hinter einem der offenen Tore verschiedene Gerätschaften, die in einer Reihe beieinander standen. Daneben warteten leere Glasflaschen in zahlreichen Holzkisten auf ihren Einsatz. Gegenüber, auf der rechten Seite des Hofs, erhob sich ein gemütliches, langgezogenes, zweistöckiges Wohnhaus. Es war ebenfalls weiß gestrichen und mit einem Rebdach ausgestattet. An den Seiten der kleinen Fenster waren niedliche dunkelgrüne Fensterläden angebracht, die man auf- und zuklappen konnte. Die meisten standen offen, und bunte Stiefmütterchen zierten die schmalen Blumenkästen vor den Fenstern. Eine schwarzweiß gefleckte Katze schlenderte über den Hof und ließ sich auf einer Holzbank vor einer der Scheiben nieder. Unweit von ihr lud eine mit flachen Steinen ausgelegte Terrasse zum Verweilen ein. Zwei große Fenster dienten als Schiebetüren. Sie hoben sich deutlich von den übrigen kleinen Fenstern ab. Man musste sie nachträglich eingesetzt haben, denn sie waren wesentlich moderner als der Rest des Hauses. Gemütliche Korbsessel und ein langer Tisch, an dem bestimmt ein Dutzend Menschen Platz nehmen konnte, versprachen gesellige Abende. Tönerne Blumentöpfe mit Rosen, Rhododendron und Lavendel säumten den Essbereich im Freien. Ein paar Meter weiter markierte eine große Doppeltür den Eingang des Anwesens. Darüber stand in geschwungenen, ebenfalls dunkelgrünen Buchstaben: O’Sullivan.

»Der Hof ist seit Generationen in Familienbesitz. Wir haben nur hier und da etwas modernisiert.« Declan zeigte auf das offene Tor und die dahinter liegenden Maschinen.

Aeryn hatte das Gefühl, inmitten eines Bilderbuchs zu stehen. Trotz des grauen Himmels, strahlte der Hof ein gewisses Etwas aus. Sie erwartete jeden Moment, eine fröhliche Bäuerin mit zwei alten Milchkannen über den Kies gehen zu sehen. Stattdessen tauchte Rose O’Sullivan vor ihnen auf, den kleinen Liam an der Hand.

»Aeryn, kommen Sie!« Rose winkte sie lächelnd zu sich.

Declan nickte ihr zu, und gemeinsam begleiteten sie die beiden ins Haus. Aeryn nutzte die Gelegenheit und betrachtete Liams Großeltern eingehender. Beide waren vermutlich Mitte, Ende fünfzig. Erstaunlich jung, wenn man bedachte, dass sie bereits Enkel hatten. Während in Rose’ schulterlangem Haar die ersten grauen Strähnen auftauchten, war Declans Kurzhaarschnitt in einheitlichem Dunkelbraun. Er hatte ein gütiges Gesicht, bei dem sich Aeryn nicht im Ansatz vorstellen konnte, wie es wohl sein mochte, wenn Declan sauer, geschweige denn wütend, war. Sein gesamtes Wesen wirkte ruhig und entspannt. Vermutlich wusste er gar nicht, wie man aufbrausend wurde. Dennoch zeugte sein energischer Gang von Selbstsicherheit. Als er erwähnt hatte, dass der Hof seit Generationen in Familienbesitz war, hatte Aeryn in jedem Wort gespürt, wie stolz er darauf war. Declan war groß und besaß, wie es für einen Mann, der körperliche Arbeit verrichtete, nicht unüblich war, kräftige Hände und Schultern. Trotz der harten Tätigkeit, der er wohl nachging, wirkte er jünger, als er vermutlich war.

Aeryns Blick glitt auf ihre andere Seite, wo Rose leise auf Liam einredete. Abgesehen von den grauen Strähnen wirkte auch sie verhältnismäßig jung. Ihre feinen Gesichtszüge waren inzwischen durch ein paar Falten ergänzt worden, doch ihre freundlichen und hellwachen Augen sprühten noch immer Funken. Rose wirkte lebhafter als ihr Mann. Auch war sie nicht ganz so schlank wie er. Unter ihrem Mantel zeichneten sich etwas breitere Hüften ab, die ihr jedoch ein gemütliches Aussehen verliehen – so wie man es von Großmüttern kannte. Trotz der Freundlichkeit und des lebendigen Lächelns kam Aeryn nicht umhin, einen Schatten der Trauer auf Rose’ Gesicht zu erkennen. Bei Declan war ihr bereits derselbe graue Hauch aufgefallen, der sich immer wieder über sein gütiges Gesicht legte. Insbesondere wenn sie mit Liam sprachen, er aber nicht antwortete. Aeryn konnte vorerst nicht weiter darüber nachdenken, denn Declan hielt ihr höflich die große Eingangstür auf.

»Willkommen bei den O’Sullivans!«, rief er freundlich und bat sie herein.

Ein geräumiger Windfang tauchte vor Aeryn auf. Obwohl seitlich der Haustür nur kleine Fenster waren, fiel erstaunlich viel Licht in das Innere. Eine Porzellanvase mit roten Ranunkeln zierte eine altmodische Holzkommode. Die Blumen verbreiteten einen betörenden Duft im Eingangsbereich des Hauses. Rechts an der Wand waren zahlreiche geschwungene Haken aus Metall angebracht worden. Daran hingen ein dutzend Jacken, Mäntel und Regenkleidung. Direkt darunter befand sich ein langes mehrstöckiges Schuhregal, das vor allem von festen Arbeitsschuhen dominiert wurde. Zu Aeryns Linken lud eine Holzbank mit mehreren flauschigen Schafsfellen zum Verweilen ein. Die große Garderobe hätte den Raum ungemütlich wirken lassen müssen, doch die liebevoll gestaltete Bank sowie die Blumen und hellen Wände zeugten vom Gegenteil. Aeryn fühlte sich sofort willkommen.

Mehrere Türen zweigten von dem geräumigen Windfang ab. Aeryn folgte Rose und Liam durch einen kleinen Flur und betrat eine helle Wohnküche. Durch die großen Schiebefenster erkannte sie die Terrasse, die sie bereits von außen begutachtet hatte.

»Wir haben die Küche vor ein paar Jahren renoviert. Vorher war es hier furchtbar dunkel und nicht sehr gemütlich, müssen Sie wissen.« Rose stellte Liam auf einen kleinen Hocker, sodass er auf die Küchenanrichte gucken konnte. »So, dann wollen wir mal Pfannkuchen backen. Hilfst du mir, Liam?«

Der Junge, nicht mehr ganz so blass wie noch vor einer Stunde, nickte. Doch er sagte kein Wort.

Während Rose verschiedene Schubladen und Schränke öffnete, um alles für den Teig zusammenzusuchen, schaute Aeryn sich neugierig um. Ähnlich wie auf der Terrasse stand auch hier unweit der großen neuen Fenster ein langer Esstisch aus Holz, umgeben von Bänken und Stühlen mit rotweiß karierten Kissen. Hier mussten regelmäßig viele Menschen zusammensitzen, dachte Aeryn. Warum sonst sollte man so viel Platz für Tisch und Sitzgelegenheiten verwenden? Auf der anderen Seite des Raumes befand sich eine weitläufige Kochinsel mit Waschbecken, Herd und einer großen Arbeitsfläche, auf der Rose gerade ein paar Eier aufschlug und in zwei Schüsseln trennte. Liam reckte neben ihr den Kopf und reichte ihr ein weiteres Ei. Hinter den beiden bot eine lange Küchenzeile an der Wand zusätzlichen Platz für Küchenarbeiten. Rechts davon, in einer Ecke, befanden sich ein großer Kühlschrank sowie zwei Öfen auf Brusthöhe. Die Küchenmöbel trugen eine weiße Front, während die sichtbaren Seiten jeweils in mattem Grau gehalten waren.

»Was hat es mit dem Honig auf sich, von dem Liam vorhin gesprochen hat?«, fragte Aeryn, um die aufkommende Stille zu überbrücken.

»Wir haben Bienen«, murmelte Liam und sah zu seiner Granny auf.

Die nickte lächelnd. »Unser Sohn hat sie vor einigen Jahren auf dem angrenzenden Feld hinter dem Haus angesiedelt. Seitdem sind unsere Apfelernten wesentlich ertragreicher geworden. Und nebenbei produzieren die fleißigen Bienchen auch noch leckeren Honig. Cillian versucht derzeit, das Honiggeschäft aufzubauen. Aber das braucht seine Zeit.«

»Rose, hast du Aeryn etwas zu trinken angeboten?« Declan tauchte hinter Aeryn auf.

Entsetzt sah Rose von der Teigschüssel auf. »Ach du liebes bisschen! Aeryn, entschuldigen Sie! Was darf ich Ihnen anbieten?«

Sie wischte sich ihre schmutzigen Hände an einem Geschirrtuch ab.

Aeryn winkte ab. »Bitte, machen Sie sich wegen mir keine Umstände.«

Declan lachte. »Das sind doch keine Umstände. Entschuldigen Sie lieber unsere fehlende Gastfreundschaft. Wir sind es hier gewohnt, dass sich jeder nimmt, was er braucht.« Er holte eine Flasche aus dem Kühlschrank und hielt sie Aeryn fragend hin. »Mögen Sie Cider?«

Lächelnd nahm Aeryn die Flasche entgegen. »Wir sind in Irland. Wer mag den nicht?«

Declan schmunzelte und deutete dann auf einen Durchgang am Ende der Küche. »Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen den Rest des Hauses.«

Aeryn nickte.

»Gern.« Sie folgte Declan, als sich plötzlich eine kleine Hand in die ihre schob. Sie schaute neben sich und erkannte Liam, der sich an ihre Seite drückte. »Kommst du mit?«, fragte sie ihn.

»Ja.« Seine schmalen Finger umschlossen sie so fest, wie es eine Kinderhand nur konnte. Aeryn drückte seine Hand liebevoll und strich ihm beruhigend über den Kopf.

»Na, dann los.«

Hätte Aeryn sich nicht auf Liam konzentriert, wäre ihr der Blick aufgefallen, den Rose und Declan miteinander wechselten. Die beiden waren seit mehr als dreißig Jahren verheiratet. Sie brauchten längst keine Worte mehr, um sich zu verständigen. Declan musterte die junge Frau verstohlen. Sie kam ihm bekannt vor, doch er konnte nicht sagen, wo er ihr wohl begegnet sein mochte. Es war auch unbedeutend, denn der Fakt, dass Liam an ihr hing wie eine kleine Klette, sprach Bände. War sie vielleicht der Schlüssel, damit endlich alles gut werden würde? Nein. So viel wollte Declan ihr nicht aufbürden. Dennoch … Er kam nicht umhin, einen Hoffnungsschimmer am Horizont zu sehen. Er seufzte unbemerkt auf und führte Aeryn mitsamt seinem Enkel am Arm schließlich in das angrenzende Wohnzimmer.

»Verzeihen Sie die Unordnung. Die Jungs lassen ihre Sachen einfach überall liegen.«

»Jungs?«, hakte Aeryn interessiert nach.

Declan lächelte. »Ja, unsere beiden jüngsten Söhne wohnen noch bei uns auf dem Hof.«

Aeryn ließ ihren Blick über die große Sofalandschaft gleiten, auf der eine ganze Fußballmannschaft Platz gehabt hätte. Bunt bestickte Kissen und ein Schwung Wolldecken verteilten sich quer über der Couch. Auf kleinen Beistelltischen aus dunklem Holz stapelten sich Bücher, und über einem alten Schaukelstuhl hing eine vergessene Regenjacke. An der dahinterliegenden Wand reihten sich Regale, vollgestopft mit Büchern, wie eine kleine Bibliothek. Auf der anderen Seite war ein großer Kamin in die Backsteinmauer gearbeitet. Ein kunstvoll gefertigtes Gitter sorgte dafür, dass die Asche innerhalb der Feuerstelle blieb. Auf dem breiten Sims entdeckte Aeryn zahlreiche gerahmte Fotografien. Darunter ein Bild mit Declan und Rose und mindestens – Aeryn zählte im Geiste nach – sieben Kindern.

»Haben Sie noch weitere Kinder?« Sie drehte sich zu Declan, der inzwischen auf dem Sofa Platz genommen hatte.

Sein Gesicht nahm einen liebevollen und zugleich stolzen Ausdruck an. »Ja, sieben sind es insgesamt. Unsere Ältesten sind Anfang dreißig. Der Jüngste ist gerade einundzwanzig geworden.«

Das erklärte den langen Esstisch und die vielen Kleiderhaken in der Eingangshalle. Eine große Familie benötigte viel Platz.

Liam zog Aeryn ebenfalls zum Sofa und zwang sie, sich zu setzen, damit er auf ihren Schoß klettern konnte.

»Haben Sie Geschwister?«, fragte Declan.

Aeryn schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin Einzelkind. Ich habe mir immer eine Schwester gewünscht.« Sie hob den Cider an ihre Lippen und wollte einen Schluck nehmen, doch als sie das Etikett erblickte, stockte sie mitten in der Bewegung und hob erstaunt den Kopf.

»Warten Sie …« Sie versuchte sich ihre Verwirrung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, doch das war vergebliche Mühe. »Sind Sie die O’Sullivans?« Sie streckte Declan ihre Flasche entgegen. »Die Familienbrauerei?«

Declan lächelte. »Das sind wir, ja.«

Perplex starrte Aeryn ihn an. »Das … das habe ich nicht erwartet.«

Er lachte. »Warum sollten Sie das auch? Wir sind nichts Besonderes, Aeryn. Eine Familie wie jede andere auch.«

Oh, nein. Ganz sicher waren sie das nicht. Declan mochte bescheiden sein, aber seine Formulierung war eine Untertreibung. Die O’Sullivans gehörten zu den größten Cider-Produzenten Irlands. Nur Byrnes Cider war erfolgreicher. Aeryn sah sich um. Dieses gemütliche Wohnzimmer passte irgendwie nicht zu der Vorstellung, die sie von einer Familie wie den O’Sullivans hatte. Seit Generationen verdienten sie ihr Geld mit der Cider-Herstellung. Sie hatten bereits jegliche wirtschaftlichen Tiefen überstanden und waren stets gestärkt daraus hervorgegangen. Das Familienrezept hatte sie noch immer irgendwie gerettet. Die Brauerei war bekannt für ihren Familienzusammenhalt. Er war dank einer raffinierten PR-Abteilung zu ihrem Markenkern geworden. Wer O’Sullivans kaufte, erhielt nicht nur einen Cider, sondern ein Stück Familiengeschichte. Von ihrem Vater wusste Aeryn, dass die O’Sullivans eine wichtige Stellung in der irischen Gesellschaft innehatten. Sie waren nicht nur Gutverdiener, sie besaßen ein Vermögen. Doch schienen sie nicht damit zu protzen. Müssten sie nicht eigentlich in einem riesigen edlen Anwesen leben, statt in einem – wenn auch großen – Hof mit Rebdach?

Declan beobachtete die überraschte junge Frau aufmerksam. »Sie sehen aus, als hätten Sie etwas anderes erwartet.«

Peinlich berührt, senkte Aeryn den Blick. »Nicht direkt.«

»Wir machen uns nicht viel aus Geld, wissen Sie. Wir haben alles, was wir brauchen.« Es war eine Feststellung, nichts weiter. Trotzdem fühlte Aeryn sich und ihre Gedanken ertappt. Declan wirkte so bodenständig, wie man als Mann nur sein konnte. Keine Überheblichkeit, keine Arroganz. Ein Mann, der zwar stolz war auf das, was er geschaffen hatte, es aber nicht der ganzen Welt mitteilen musste. Er war das Gegenteil von ihrem Vater. Zu einhundert Prozent.

Rose erschien in der Tür und rief nach Liam. »Schatz, willst du mir helfen, die Pfannkuchen zu wenden?«

Der Junge blickte zu seiner Großmutter und dann wieder zu Aeryn. Unsicher schüttelte er den Kopf. Aeryn wusste nicht, weshalb, aber sein Anblick zerriss ihr das Herz. Sie beugte sich zu ihm und flüsterte: »Geh nur, Liam. Ich laufe nicht weg. Ich bin hier, wenn du wiederkommst, okay?«

Abschätzend musterte Liam sie. »Versprochen?«

»Versprochen.«

Schließlich nickte er und rutschte von Aeryns Schoß. Er lief hinüber zu Rose und drehte sich nochmal um. »Du gehst nicht weg, ja?«

»Ehrenwort.«

»Gut.« Liam sagte es mehr zu sich selbst als zu den Erwachsenen um sich herum. Gemeinsam mit seiner Großmutter verschwand er in der Küche. Aeryn sah den beiden nach. Dann fiel ihr Blick wieder auf Declan. Freude, Trauer und Hoffnung kämpften in seinen Augen um die Vorherrschaft. Aeryn konnte sich nicht länger zurückhalten.

»Es geht mich ja nichts an, aber …«, begann sie leise.

Declan seufzte. »Nein, schon gut. Fragen Sie ruhig.«

Vorsichtig fuhr Aeryn fort. »Es scheint, als würde … Als würde Liam nicht mit jedem sprechen. Oder täusche ich mich?«

Declan stand auf und ging hinüber zum Kamin. Er nahm eines der Bilder in die Hand.

»Unser ältester Sohn, Cillian, er ist der Vater von Liam. Seine Frau starb vor zwei Jahren. Da war Liam gerade drei Jahre alt. Es war ein Schock für uns alle.« Er räusperte sich, dann fuhr er mit leiser Stimme fort. »Bevor Catherine starb, war Liam ein kleines Plappermaul. Immerzu quasselte er fröhlich vor sich hin, ob ihm nun jemand zuhörte oder nicht. Mit dem Tod seiner Mutter schien es, als würden wir auch seine Stimme beerdigen. Er hat seit dem Tag kein Wort mehr gesprochen.« Declan drehte sich um und sah Aeryn fest in die Augen. »Bis heute.«

Aeryns Mund wurde trocken. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.

Declan stellte das Foto zurück an seinen Platz. »Wir sind eine starke Familie, sind füreinander da, doch niemand von uns hat es geschafft, den Kleinen wieder zum Reden zu bringen. Wir waren mit ihm schon bei vielen Ärzten und Psychologen. Alle sind sich einig. Er kann, wenn er nur will. Doch etwas in ihm weigert sich. Es ist psychischer Natur, nicht körperlicher.«

Ein Schauer rann Aeryn über den Rücken. »Aber wieso redet er mit mir? Wir kennen uns doch gar nicht.«

Declan zuckte mit den Achseln. »Glauben Sie mir, das wüsste ich auch gerne. Vielleicht liegt es an dem Schock, den der Unfall in ihm ausgelöst hat. Sie haben ihn beschützt.« Er ging einen Schritt auf sie zu. »Aeryn, wir kennen uns nicht, aber meine Menschenkenntnis sagt mir – und sie hat mich noch nie getäuscht –, dass in Ihnen eine gute Seele wohnt.« Declan hielt inne. »Es geht mich nichts an, aber darf ich fragen, was Sie in unsere Gegend geführt hat? Wenn ich mich nicht irre, sind Sie nicht von hier.«

»Das stimmt. Ich …« Was sollte sie sagen? Sie wusste ja selbst nicht, was sie hier wollte. Sie war schlichtweg geflohen. »Ich verbringe ein paar freie Tage hier. Eine Auszeit von der Arbeit.« Mit ganz viel Fantasie mochte das stimmen, trotzdem fühlte Aeryn sich wie eine Lügnerin. Doch die Wahrheit wollte sie Declan, so gern sie ihn bereits hatte, nicht anvertrauen.

Declan nickte, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf und betrachtete sie schweigend. Kurz bevor die Stille unbehaglich wurde, kehrte er zurück zur Couch und setzte sich. Er beugte sich nach vorne und betrachtete Aeryn eindringlich. Liams Großvater räusperte sich, dann erhob er schließlich seine tiefe leise Stimme: »Es ist sicherlich viel verlangt, aber könnten Sie sich vielleicht vorstellen, … also hätten Sie Lust, eine Weile zu bleiben?«

Aeryn stellte ihre Flasche auf den Couchtisch und erhob sich. »Bleiben?«

Auf dem Gesicht des Mannes spiegelten sich allerlei Emotionen. Hoffnung, Angst, Stolz, Sorge – und die Liebe eines Großvaters. »Mein Sohn will es nicht wahrhaben, aber wir brauchen demnächst eine Betreuung für Liam. Die Saison geht bald wieder los, und auf dem Hof wird viel zu tun sein, da können wir Liam nicht jeden Tag zu uns nehmen. Wir brauchen jemanden, der ein Auge auf ihn hat. Und dem er vertraut.« Er sprach schnell, und Aeryn hatte beinahe Mühe, ihm zu folgen. »Sie könnten das Gästezimmer bei Cillian haben, er und Liam wohnen in einem Haus hinter dem Feld mit unseren Apfelbäumen. Wir würden Sie natürlich auch entlohnen und unterstützen, wo wir nur können.«

Aeryn wusste nicht, wie ihr geschah. Eben noch wäre sie beinahe in eine Schafherde gerast, und jetzt stand sie im Wohnzimmer der berühmten O’Sullivans, und man bat sie, sich des kleinen Liams anzunehmen, der sie aus irgendeinem Grund zur Gesprächspartnerin auserkoren hatte.

»Ich …« Aeryn suchte nach den richtigen Worten. »Ich kenne mich mit Kindern überhaupt nicht aus, Declan. Ich … Sie kennen mich doch gar nicht.«

Hoffnungsvoll betrachtete er sie. Dann, von einer Sekunde auf die andere, wirkte er um Jahre gealtert. »Nein, aber Liam vertraut Ihnen. Und das ist alles, was zählt.«

Ein schlechtes Gewissen kroch in Aeryn hoch. »Ich würde Ihnen wirklich gerne helfen. Aber …«

Sie ließ die Worte verklingen.

Plötzlich zog Declan sich zurück. Er schüttelte den Kopf und lächelte entschuldigend. »Nein, natürlich. Das dürfen wir nicht von Ihnen verlangen. Sie haben schon so viel für Liam getan. Und Sie haben sicherlich eine Arbeit und eine Familie, die auf Sie wartet.« Er fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare. »Verzeihen Sie diesen Überfall. Das ist eigentlich gar nicht meine Art, nur wenn es um Liam geht …«

In Aeryn wallte Mitleid auf. Die Hoffnung, die sie zuvor noch auf Declans Gesicht entdeckt hatte, war nun Enttäuschung gewichen. Der Mann, der eben noch so stolz von seiner Familie berichtet hatte, war von Sorge gezeichnet. Hatte sie am Morgen die aufdringlichen Reporter noch als schlimm empfunden, so war diese Situation hundertmal schrecklicher. Sie war noch keine Stunde in diesem Haus und fühlte sich den O’Sullivans bereits verbunden. Sie mochte den kleinen Liam, und sein Schicksal brach ihr das Herz. Kein Kind sollte den Tod eines Elternteils erleben müssen. Dass er ausgerechnet bei ihr seine Sprache wiedergefunden zu haben schien, war für Aeryn unerklärlich. Doch sie musste realistisch bleiben. Sie würde dem Kind nicht helfen können. Es brauchte eine fachliche psychologische Betreuung, wenigstens von jemandem, der sich mit Kindern auskannte. Sie aber hatte keine Ahnung, was ein Fünfjähriger für Bedürfnisse hatte. Und schon gar nicht, nachdem er ein solches Trauma durchlebt hatte.

Aeryn wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Nichts, was sie sagen würde, würde helfen. Sie sollte gehen. Jede weitere Minute, die sie blieb, würde womöglich Hoffnungen wecken, die sie nicht erfüllen konnte.

Aus der Küche hörte sie plötzlich Rose' fröhlichen Ausruf. »Cillian! Wir haben schon auf dich gewartet!«

Eine besorgte männliche Stimme rief nach dem Kind. »Liam! Wie geht es dir, mein Großer?«

Keine Antwort von Liam. Stattdessen hörte man Rose. »Er hat nur ein paar Schrammen. Aeryn hat Schlimmeres verhindert.«

»Na, komm her, Kumpel.« Den Geräuschen nach zu urteilen, schien er Liam hochzuheben. »Wie konnte das überhaupt passieren?«, fragte der Mann in der Küche.

Rose seufzte. »Er hat mit seinem Ballon gespielt. Plötzlich hat sich die Schnur gelöst, und Liam ist dem Ballon hinterher. Und dann war er auf einmal auf der Straße … Es tut uns so leid, Cillian. Das hätte nicht passieren dürfen. Ein Glück, dass Aeryn da war.«

»Schon gut, Mom. Das ist nicht eure Schuld. Ist ja nochmal gutgegangen.« Der Mann wandte sich an Liam. »Und du hilfst Granny beim Pfannkuchenbacken?«

Keine Antwort.

Aeryn biss sich auf die Unterlippe.

Impressum

Verlag: Zeilenfluss

Texte: Madita Tietgen
Cover: Grit Bomhauer
Korrektorat: Dr. Andreas Fischer
Satz: André Piotrowski
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2022
ISBN: 978-3-96714-226-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /