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Vorspann

Katharina Ludwig – Dark Night

1. eBook-Auflage – Februar 2016

© Betts & Atterbery im vss-verlag, Frankfurt

vssinternet@googlemail.com

Titelbild: © Katharina Ludwig - Pixabay.com

Lektorat: Oliver Schmidt

 

 

 

 

 

Katharina Ludwig

 

Dark Night

 

Die Tochter der bösen Königin

 

Prolog

 

Schweigend beugte ich mich über die steinerne kalte Balkonbrüstung, um die Sterne zu beobachten, die wie kleine Diamanten um die Wette funkelten. Es wirkte fast schon so, als würde ich mir die Freiheit herbeisehnen. Nun, dies war eine Tatsache, die ich nicht einmal leugnen konnte. Ich fühlte mich gefangen. Hier, in diesem düsteren kalten Schloss, wirkte einfach alles so, als wäre es ein Kerker. Einzig und allein mein Zimmer unterschied sich von dem dunklen Mauerwerk, welches dieses finstere Gebäude ausmachte. Mein Zimmer war nicht dunkel. Es war hell. Weiß und ein zartes Rosa. Fast schon ein kleiner Lichtblick an diesem Ort, meinem Gefängnis. Doch das musste nicht zwingend so sein. Zwar fühlte es sich so an, aber es stand mir frei zu gehen und zwar wann immer ich es wollte. Doch dafür musste ich dann auch in Kauf nehmen, dass überall Augen und Ohren sein würden. Die Wachen meiner Mutter, einer ebenso finsteren Frau, wie dieses Gemäuer hier, würden mich auf Schritt und Tritt begleiten, so wie ein leiser unsichtbarer Schatten. Ich würde sie nicht sehen, doch ich würde es wissen, dass sie da wären. Denn das waren sie immer. Mutter fürchtete, dass sie mich irgendwann verlieren könnte. Ich wusste, dass sie mich liebte und ich musste mir eingestehen, dass ich sie genauso liebte, obwohl sie von allen gefürchtet wurde und sich der schwarzen Magie verschrieben hatte. Ich würde sie nie und nimmer verlassen, denn ich war die Einzige, die meiner Mutter Einhalt gebieten konnte. Ich war die Person, die ihr inneres Licht zum Leuchten bringen konnte. Ohne mich, würde dieser letzte Funke Menschlichkeit und Güte für immer erlöschen und das konnte und wollte ich nicht riskieren. Dennoch glaubte sie mir nicht. Sie glaubte einfach nicht, dass ich sie niemals verlassen würde. Wenn ich das Schloss verließ, schickte sie mir also ihre Wachen mit. Sie sagte es sei zu meinem Schutz, doch ich wusste es natürlich besser.

 

Ein leises Seufzen entfuhr meinen Lippen. Auch wenn ich diesen Ort niemals gänzlich verlassen würde und mit ‚Gefolgschaft‘ sogar hinaus durfte, so sehnte sich mein Herz buchstäblich nach Freiheit, Freiheit und Unabhängigkeit. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass meine Mutter mir einfach glauben und mir die Wachen nicht ständig mitschicken würde. Vielleicht würde ich mich dann auch befreiter fühlen, denn wenn man ständig unter Beobachtung stand, tat man oftmals nicht die Dinge, die einem wirklich beliebten. Gerne würde ich einfach mal ohne die Wachen meiner Mutter über den Marktplatz streifen oder mich zu einem Musiker begeben und eventuell sogar selbst erlernen, wie man auf einer Harfe oder auf einer Geige spielt. Ich liebte die Musik und ich war immer wieder aufs Neue entzückt, welche lieblichen Klänge man so manchen Instrumenten entlocken konnte, doch meine Mutter zog trostlose Stille im Schloss vor. Kein einziger schöner Klang erfüllte diese Mauern. Eigentlich ziemlich traurig. Musik täte diesem Ort mehr als gut.

 

„Prinzessin, Ihr solltet nun hinein kommen. Es wird langsam zu kalt für Euch. Ihr fangt an zu zittern.“, konnte ich eine Stimme hinter mir sagen hören.

Normalerweise würde man nun vor Schreck zusammenzucken, wenn so plötzlich eine Stimme ertönt. Doch das galt nicht für mich. Ich war es gewohnt, dass hinter mir so urplötzlich eine Stimme ertönte.

Meine grünen Augen richten sich auf ihn. Ich konnte erkennen, wie mir die Wache in ihrer mattierten schwarzen Rüstung leicht zunickte und sich anschließend vor mir verneigte. Meine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Auch wenn das Gesicht von einem Helm verdeckt war, so wusste ich trotzdem wer diese Person war. Der Klang der Stimme hatte die Wache verraten. Es war James. Er war die Wache, die am häufigsten den Auftrag erhielt auf mich aufzupassen. Er war auch die Wache, die versuchte mir weitgehend meinen Freiraum zu lassen, nur war dies eine Tatsache die meine Mutter nicht wusste.

Ich wusste, er würde mich niemals hinein schicken, wenn es nicht dringend nötig wäre. Seine Sorge um mich war eben aufrichtig. Nichts davon war gespielt.

„Wirklich? Das habe ich gar nicht mitbekommen.“, antwortete ich ihm.

„Dann scheint Ihr sehr in Eure Gedanken vertieft gewesen zu sein.“

„Ja, da mögt Ihr Recht haben.“

„Dennoch solltet Ihr nun hinein gehen. Nicht, dass Ihr euch verkühlt.“

Ein letzter Blick huschte zu den funkelnden Sternen, dann sah ich wieder zu James.

„Bitte, Prinzessin. Es ist nur zu Eurem Wohl.“, sagte er.

„Aber nur, wenn Ihr endlich aufhört mich Prinzessin zu nennen. Nennt mich bei meinem Namen.“, erwiderte ich.

Auch wenn ich eine geborene Prinzessin war, so hatte ich diesen Titel doch nie gemocht. Ich wollte mich einfach nicht von der Masse abheben. Wieso auch? Ich hatte mich noch nie als etwas Besseres empfunden. Denn das war ich nicht. Ich war nicht besser, nur weil ich eine Prinzessin war. Ich wollte einfach nur ich sein und auch genauso behandelt werden.

„Nun gut, dann nenne ich Euch eben nicht Prinzessin, aber nur, wenn Eure Mutter nicht in der Nähe ist. Ich möchte vor ihr nicht als respektlos erscheinen, doch eine Bitte hätte ich. Dürfte ich den Namen Dark Night eventuell abkürzen?“

„Gewiss.“

„Gut, dann werde ich euch Dark nennen.“

„Einverstanden.“, stimmte ich ihm zu und ging gemeinsam mit James hinein.

 

Kapitel 1


Drinnen angekommen, verbeugte er sich vor mir und ging von dannen. Einzig und allein im Schloss konnte ich mich relativ frei und unbeobachtet bewegen. Und das tat ich dann auch. Zwar konnte ich viel Zeit damit verbringen, in meinem Zimmer zu lesen (und somit auch die Zeit zu vergessen), doch wenn man die meiste Zeit in einem Schloss war, so wollte man nicht ständig am gleichen Ort sein. Das Schloss wirkte zwar dunkel und trist, aber dennoch gab es einige Orte, die meiner Aufmerksamkeit stets sicher sein konnten. Da war zum einen die große Bibliothek, die vollgestopft war mit Unmengen von Büchern zu zahlreichen Themen und dann war da noch der kleine Schlossgarten, der eigentlich gar kein wahrer Schlossgarten war. Geheimer Schlossgarten traf es nämlich schon eher. Ich war die Einzige, die davon überhaupt wusste, da ich in einer kleinen ruhigen Ecke ein paar Blumen gepflanzt hatte. Vielleicht war die Begrifflichkeit Garten auch nicht gerade treffend. Es waren schließlich nur ein paar kleine Blumen und es war ohnehin überraschend, dass sie überhaupt an so einem finsteren Ort wuchsen und nicht einfach verwelkten. Ich sah es jedoch als Hoffnungsschimmer. Selbst an den dunkelsten Orten konnte es einen Lichtblick geben. Es war fast schon wie eine Art Wink mit dem Zaunpfahl. Meine Mutter war eine böse, machtbesessene und egoistische Frau. So wurde sie jedenfalls von vielen Menschen Peredurs gesehen. Dennoch war ich fest davon überzeugt, dass es einen Grund geben musste, wieso sie so war, wie sie nun mal war. Für mich war es schwer vorzustellen, dass sie schon immer so eine Person gewesen war. Irgendetwas hatte sie verändert, doch nur was? Ich wusste es nicht, doch ich war fest entschlossen, es irgendwann herauszufinden.


Und so schritt ich völlig gedankenverloren einen dunklen Korridor entlang, der nur vom schwachen Schein der flackernden Kerzen erhellt wurde. Rechts und links standen ein paar Rüstungen, denen ich jedoch keine weitere Beachtung schenkte. Ich fragte mich, wie die Gänge wohl mit ein paar Pflanzen aussehen würden, doch vermutlich würden diese nur eingehen. Solche dunklen Gänge waren nun wirklich nicht gerade ideal dafür.

Ab und an wurde ich auch von den Wachen gegrüßt, die mich erspähten. Einige nickten mir nur stumm zu und wiederum andere begrüßten mich mit einer fast schon ehrfürchtigen Verbeugung, fast schon, als hätten sie Angst, dass ich sie auffressen könnte. Dennoch sagte ich nichts dazu. Ich hatte ihnen oft genug gesagt, dass sie sich vor mir nicht verbeugen mussten, doch sie taten es trotzdem. Wahrscheinlich befürchteten sie eine Strafe von Mutter, also beließ ich es eben dabei und nickte den Wachen selbst zum Gruß leicht zu.

Ich überlegte, ob ich vielleicht in die Küche gehen und bei den Vorbereitungen des Abendessens helfen sollte, denn lange konnte es bis dahin nicht mehr dauern. Die Sonne war schließlich bereits untergegangen und der Himmel wurde von unzähligen funkelnden Sterne erhellt. Natürlich war es mir bewusst, dass ich vorsichtig sein musste. Meine Mutter wusste nichts davon, dass ich ab und an in der Küche bei den Vorbereitungen für das Essen half und das war auch ganz gut so. Sie würde es nicht verstehen und würde sowohl die Bediensteten, als auch mich bestrafen. Doch ich war vorsichtig. Ich half nie sehr lange und wenn dann doch eine Wache in die Küche kam, um sich Wein, Bier oder etwas anderes zu nehmen, dann tat ich so, als würde ich vom Teig naschen wollen oder von der teuren Schokolade.


Ein Schrei durchbrach die Stille. Es war ein Schrei, der durch Mark und Bein ging und mich abrupt zum Stehenbleiben bewegte. Ich lauschte. Einen Moment passierte nichts, doch dann ertönte erneut ein Schrei. Mein Herz begann wie wild zu klopfen. Was hatte das zu bedeuten? Wem gehörten diese Schreie, die offensichtlich Schmerz und Leid bedeuteten? Ich lauschte weiterhin und wenige Sekunden später ertönte erneut ein Schrei. Es waren die Schmerzenslaute einer Frau und auch wenn eigentlich alles in mir schrie, es nicht zu tun, so folgte ich dennoch den Geräuschen. Ich wollte wissen woher sie kamen und noch viel wichtiger war es, wieso sie überhaupt ertönten. Es musste einen Grund dafür geben. Doch ganz gleich was es auch war, irgendetwas sagte in mir, dass es nichts Gutes verheißen konnte.


Meine Schritte beschleunigten sich. Innerlich schrie auch weiterhin alles in mir, es sein zu lassen, doch zeitgleich sagte mir auch eine Stimme, dass eine Person meine Hilfe brauchte. Diese Hilfe brauchte die Person sogar ziemlich schnell, denn wie es klang, schien es um Leben und Tod zu gehen. Und so wurden meine schnellen Schritte schließlich zu einem Sprint, bis ich an einem Gemach vorbei kam, dessen Tür halb offen stand. Sofort stoppte ich ab. Vorsichtig spähte ich hinein und als ich den grausigen Anblick sah, der sich mir offenbarte, zog sich mein Magen unschön zusammen. Zeitgleich fühlte sich mein Herz unglaublich schwer an.

Die Schreie stammten von einem jungen, blonden Mädchen. Ich konnte nicht genau erkennen wie alt sie war, doch sie schien fürchterliche Schmerzen zu haben. Sie lag furchtbar zusammengekrümmt und wimmernd auf dem kalten Steinboden. Sie flehte eine Gestalt an, sie gehen zu lassen, doch die Gestalt schüttelte nur ihren Kopf und fixierte mit ihren grünen Augen das Mädchen.

„Du hast den Apfel aus der Vorratskammer gestohlen, also wirst du dafür auch bezahlen.“

„Aber...a...aber ich hatte solch schrecklichen Hunger.“, flüsterte sie.

Das glaubte ich ihr sofort. Das Mädchen wirkte unglaublich unterernährt und ihrer Kleidung zur Folge schien sie eine Bettlerin zu sein, die sich heimlich in das Schloss geschlichen haben musste. Wie genau sie das geschafft hatte, konnte ich nicht sagen. Normalerweise sorgten die Wachen dafür, dass niemand hier eindringen konnte. Und wenn es dann doch mal eine Person schaffte, so kümmerte sich meine Mutter um das Problem. So wie auch jetzt. Sie strich sich über das lange rote Haar, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust, fast schon so, als sei sie ein trotziges kleines Kind.

„Und? Soll mich das etwa interessieren? Da muss ich dich leider enttäuschen. Hier auf meinem Schloss herrschen strenge Regeln und wer sich nicht daran hält, der muss eben mit den Konsequenzen rechnen. Ich schätze es nicht, wenn man mich bestiehlt. Dafür wirst du gerade stehen müssen, ob du nun willst oder nicht.“, sprach sie eisig.

Das Mädchen wimmerte erneut.

„Bitte habt erbarmen mit mir und seid eine gnädige Frau. I...ich weiß es war falsch, aber ich war in einer Notlage. Ich...ich könnte für Euch arbeiten. Ich könnte Eure Dienerin sein und-“

„Schweig still!“, unterbrach die Ältere das Mädchen und hob ihre Hand, als würde sie etwas damit abwehren wollen, „Du wirst mich weder gnädige Frau nennen, noch wirst du für mich arbeiten. Ich kann solch ein törichtes Pack wie dich nicht dulden. Ich bin eine Königin! Mir steht viel mehr zu!“

„Ihr seid keine Königin. Nicht mehr, jedenfalls. Ihr...Ihr wurdet verstoßen, Serena und nun weiß ich auch warum. Ihr seid einfach eine böse und verbitterte Frau, die von Macht besessen ist.“, sprach das Mädchen leise.

Scheinbar schien sie eingesehen zu haben, dass Widerstand zwecklos war und nun war sie der Meinung, dass sie eh nichts mehr zu verlieren hatte.

Ich wusste, dass sie Recht hatte. Meine Mutter war eine verstoßene, böse Königin und sie war voller finsterer Gedanken. Dennoch tat es weh diese Worte von einer außenstehenden Person zu hören. Für einen Moment vergaß ich sogar, warum ich eigentlich hier war. Doch wenige Sekunden später wusste ich wieder wieso. Die Schreie.

Meine Mutter verengte ihre Augen zu Schlitzen und musterte das Mädchen.

„Das du dir damit dein eigenes Todesurteil geschmiedet hast, ist dir doch hoffentlich bewusst, nicht wahr?“

Mein Herz verkrampfte erneut und ich geriet kurz ins Wanken. Meinte meine Mutter das etwa Ernst? Wollte sie das Mädchen wirklich töten? Nein, das war unmöglich. Das konnte nicht sein. So finster meine Mutter auch sein konnte, meine Mutter würde doch einen Menschen nicht einfach so töten, oder? Sicher hatte sie das nur gesagt, um das Mädchen zu erschrecken. Ja, genau so musste es sein. Ganz bestimmt wollte sie ihr nur eine Lektion erteilen. Nicht mehr und nicht weniger. Eine einfache kleine Lektion.


Leider irrte ich mich. Meine Mutter hatte dies nicht einfach so daher gesagt. Sie hatte noch immer eine ihrer Hände erhoben und aus dieser schoss plötzlich ein blauer Lichtblitz, der das Mädchen mit voller Wucht traf und sie erneut schmerzvoll aufschreien ließ.


Für einen kurzen Moment war ich unfähig zu reagieren. Mein gesamter Körper fühlte sich taub an und ich konnte mich keinen einzigen Zentimeter rühren. Das alles fühlte sich so unwirklich an. Auch wenn ich wusste wie sie sein konnte, so hätte selbst ich ihr solch eine Grausamkeit niemals zugetraut.

Am liebsten wollte ich es nicht wahr haben. Diese Szene sollte verschwinden und ich wollte in meinem Bett aufwachen. Doch natürlich war dies nur Wunschtraumdenken. Sobald ich meine Augen zukneifen und mir wünschen würde aufzuwachen, würde ich nie und nimmer unter meiner weichen Bettdecke erwachen. Ich schlief nicht. Dies war real. Das Mädchen war real. Meine Mutter war real. Und ihre Magie war es ebenfalls. Dunkle, finstere Magie, mit der sie das Mädchen folterte und umbringen wollte!


Allmählich kehrte wieder Leben in meine erstarrten Muskeln und ich konnte mich wieder bewegen. Sofort betrat ich das Zimmer und starrte meine Mutter an.

„Hör sofort auf damit!“, rief ich so laut ich konnte.

Meine Mutter war so auf das Mädchen und ihre Wut fixiert, dass sie mich nicht bemerkte.

„Aufhören!“, versuchte ich es erneut und auch wenn es äußerst riskant war, eilte ich zu meiner Mutter und versuchte ihren Arm einfach nach unten zu bewegen. Sie war jedoch noch nie der Mensch gewesen, der Unterbrechungen großartig geschätzt hatte, weswegen meine Aktion leider dazu führte, dass sie nur noch wütender wurde. Zwar hörte dieser Blitzstrahl auf, doch dafür packte sie mich einfach an den Schultern und schubste mich in Richtung Wand, so dass ich dagegen taumelte und zu Boden sank. Und dann sah ich, wie sie einen erneuten Lichtblitz formte und diesmal wollte sie ihn auf mich abfeuern.

Ungläubig weitete ich die Augen.

„Mutter, nicht!“, hauchte ich und versuchte mein Gesicht mit den Armen zu schützen.

„Dark Night!“, keuchte sie plötzlich auf.

In letzter Sekunde konnte sie den Blitz gerade so noch von mir weg lenken, so dass dieser eine Stelle der Steinmauer erwischte, die sich über mir befand.

Ich zuckte bei dem Krach zusammen, der durch den Einschlag entstand, dann öffnete ich die Augen und blickte zu meiner Mutter, die mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Wut ansah, dann wanderte mein Blick zu dem Mädchen, welche regungslos auf dem Steinboden lag. Sie schien nicht mehr zu atmen.


„Ist...i..ist sie tot?“, fragte ich voller Grauen.

Meine Mutter gab mir keine Antwort.

„Ist sie tot?“, fragte ich erneut, diesmal etwas lauter.

Nun nickte sie.

„Dies war nicht für deine Augen bestimmt, Dark Night. Und außerdem warst du nicht befugt einfach einzugreifen. Das hätte schlimme Konsequenzen mit sich bringen können. Gehe jetzt unverzüglich auf dein Gemach.“, sprach sie.

Ich blickte sie an und schüttelte den Kopf.

„Nach all dem, was hier grade geschehen ist? Das...d...das kannst du nicht von mir verlangen, Mutter. Sie hat nichts verbrochen!“, meinte ich, während ich mich langsam aufrichtete.

Doch ich musste mich ein wenig an der Steinwand festhalten. Meine Beine fühlten sich wie Gummi an und ich hatte das Gefühl, jeden Moment wieder zu Boden zu rutschen.

Unbekümmert zuckte sie mit den Schultern.

„Sie hatte einen Apfel gestohlen.“, gab sie nur von sich, als könnte diese Tatsache alles entschuldigen, was sich hier abgespielt hatte.

„Ja, und? Es war nur ein Apfel!“, gab ich frustriert von mir.

„Ich bin nicht in der Stimmung für eine Diskussion. Auf dein Gemach, sofort!“, rief die böse Königin mit Nachdruck in der Stimme.

„Und wenn ich mich weigere? Tötest du mich dann genauso, wie dieses junge Mädchen?“, konterte ich.

Diese Worte zeigten Wirkung. Meine Mutter weitete die Augen und sie starrte mich mit offenem Mund an.

Mir war bewusst, dass diese Worte ziemlich hart waren, doch die Enttäuschung war einfach zu groß.

„Sie hatte es nicht verdient zu sterben. Sie hatte es doch eingesehen, dass sie einen Fehler begannen hatte, doch sie war in einer Notlage. Sie hatte Hunger, Mutter. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man Hunger hat. Aber es muss furchtbar sein, wenn man dadurch gezwungen ist, das Falsche zu tun. Doch was du getan hast, ist unentschuldbar. Warum hast du sie nicht einfach gehen lassen? Sie hätte es ganz bestimmt nicht wieder versucht.“ Ich schluckte schwer und fügte dann noch hinzu: „Langsam verstehe ich es, wieso dich alle so verachten. Ich dachte immer, dass selbst du noch ein Fünkchen Gutes in dir hast, doch anscheinend habe ich mich getäuscht!“

„Dark, ich-“, setzte sie an, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf, während heiße Tränen über meine blassen Wangen liefen.

„Nein, ich will deine Worte nicht mehr hören. Sie sind sowieso nur als heiße Luft. Sie sind bedeutungslos! Dein Herz ist genauso finster, wie dieses elende Schloss, welches mich fast zu ersticken droht“, rief ich und ehe meine Mutter überhaupt die Chance hätte bekommen können, auf meine Worte zu reagieren, eilte ich aus dem Zimmer und wenig später dann auch aus dem Schloss. Wohin genau ich gehen sollte wusste ich nicht, ich wusste nur noch eins: Ich musste hier weg, weg von diesem finsteren Ort. Einfach hier bleiben konnte ich nicht. Nicht, nach all dem was geschehen war.


Kapitel 2


Ich schlängelte mich an den Wachen vorbei und lief in Richtung Wald. Ab und an drehte ich mich um, um zu sehen ob mich Wachen verfolgten, doch das taten sie nicht. Ich war so schnell verschwunden, dass weder meine Mutter, noch ihre Wachen dagegen etwas hätten tun können.

Ich betrat den Wald, rannte noch immer, hatte jedoch langsam große Mühe, mein hohes Tempo beizubehalten. Ich wusste, ich konnte schnell sein, doch irgendwann war selbst bei mir die Kondition am Ende. Meine Atem ging schnell und angestrengt und meine Seiten begannen zu schmerzen, so dass ich gezwungen war langsamer zu laufen. Trotzdem blieb ich in Bewegung. Anhalten konnte ich nicht. Nicht jetzt. Zu groß war die Gefahr, dass man mich am Ende doch noch zurück bringen würde. Und das wollte ich nicht. Ich wollte nicht zurück. Ich konnte nicht zurück. Ich war einfach zu durcheinander. Das meine Mutter sehr eigen sein konnte und von den meisten Menschen verachtet wurde, das wusste ich, doch ich hatte sie noch nie so erlebt, wie am heutigen Abend. Sie war so unendlich kalt gewesen und hatte mir nicht einmal zugehört! Ich dachte immer, dass wenigstens ich es irgendwie schaffen würde, zu ihr durchzudringen, doch anscheinend hatte ich mich geirrt. Es war ein Trugschluss gewesen. Und so sehr ich es mir auch gewünscht hatte, vielleicht konnte ich sie nicht mehr retten. Vielleicht war es schon zu spät für sie. Vielleicht war ihr Herz schon so voller Hass und Dunkelheit, dass selbst das stärkste Licht es nicht mehr verdrängen konnte?! Möglich war es. Und wenn dem so war, hätte ich keine Chance mehr. Es wäre vorbei und weitere Versuche wären zwecklos!


Ich wurde langsamer. Eine ziemlich große Strecke hatte ich bereits zurück gelegt, weswegen ich im Vorteil war und mir ein wenig Ruhe gönnen konnte. Das hatte ich auch bitter nötig. Ich fühlte mich von meinem Dauerlauf ziemlich erschöpft. Zwar hatte ich nicht vor stehen zu bleiben, doch weiter rennen kam für mich nicht in Frage. Irgendwann erreichte eben jeder den Punkt, an dem er nicht mehr weiter konnte. Und dieser Punkt war bei mir nun gekommen.

Während ich mich kurz umschaute, versuchte ich meinen keuchenden Atem etwas zu beruhigen, welcherkleine Wölkchen vor meinem Mund bildete. Der Wald war ruhig und dunkel. Zwar tauchte das silberne Mondlicht alles in einen leichten Schein, doch als wirklich hell, konnte man es natürlich nicht bezeichnen. Die meisten Tiere schienen zu schlafen. Das war

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Betts & Attaberry
Bildmaterialien: Katharina Ludwig
Lektorat: Oliver Schmidt
Tag der Veröffentlichung: 13.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3760-0

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