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Vorspann

UB – Universum Bücherei Band 2

Daniela Preiß - Willensstark

1. eBook-Auflage – Februar 2016

© Universum Bücherei im vss-verlag Hermann Schladt

 

Titelbild: Armin Bappert

Lektorat: Chris Schilling

 

 

 

Daniela Preiß

 

Highway to Hell

Marathon des Sables

 

Was für ein Abend! Ich saß vor dem Fernseher, zappte zwischen den Programmen hin und her und wusste nicht genau, was ich mir anschauen sollte. Ich hatte auch keine Ahnung, was ich ansonsten machen könnte, um mir die Zeit zu vertreiben. Irgendwie fand ich an nichts so richtig Spaß. Bis ich an einer Sportsendung hängen blieb. Ich bin selber ambitionierter Läufer. Langstrecken und Berge, alles ist dabei. Ich hatte mich zu meinem ersten Marathon durchgekämpft. 42,195 Kilometer. Dann hatte ich die Distanz gesteigert, also Ultraläufe absolviert. Beim Zugspitzlauf war der Anspruch ein anderer gewesen. Genauso bei meinem ersten 24-Stunden-Lauf oder bei der BraveheartBattle, dem härtesten Hindernisrennen in Deutschland.

Aber das, was ich nun in dieser Sendung sah, übertraf doch alles andere. Die extremsten Sportarten und Läufe der Welt wurden vorgestellt. Für mich besonders interessant: der Marathon des Sables.

Auf sechs Etappen aufgeteilt, liefen die Teilnehmer 251 Kilometer durch die Sahara, südlich des Atlas-Gebirges. Jeder Sportler würde pro Tag ungefähr elf Liter Wasser erhalten. Mehr nicht. Kein Essen, keine Ausrüstung. Die mussten die Athleten selber mitbringen. In einem Rucksack, den sie dann die ganze Woche durch die Wüste tragen würden. Darin die vorgeschriebene Pflichtausrüstung: Kompass, Signalspiegel, Pfeife, Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor. Weil die Lippen durch die Sonne auch austrocknen und dann aufreißen konnten, gehörte auch ein Lippenbalsam mit Sonnenschutz dazu. Dann eine LED-Stirnlampe und Ersatzbatterien für dieses Gerät. Um die persönliche Sicherheit zu erhöhen, brauchten die Teilnehmer ein Schlangenbiss-Set, aber auch Utensilien zur ersten Hilfe wie Blasenpflaster, Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel. Der Marathon des Sables war schließlich kein Spaziergang. Noch mehr Gegenstände aufzuzählen, wäre deshalb kein Problem. Das Regelwerk für 2015 beinhaltete rund 40 Punkte. Da wurde alles bis ins Detail besprochen.

Die Läufer mussten einen Schlafsack haben. Um kochen und essen zu können, legten sie Topf, Schälchen und Messer vor. Und zur Verpflegung mindestens 2.400 Kilokalorien für jeden Tag.

Insgesamt war das eine minimale Ausstattung, um zu überleben. Zusätzlich konnte jeder noch die Dinge einpacken, von denen er persönlich glaubte, dass er sie dringend benötigen würde. Mehr als 15 Kilo durfte der Rucksack allerdings nicht wiegen. Auf der anderen Seite, um den Wettbewerb nicht zu verzerren, hatte der Veranstalter auch ein Mindestgewicht festgesetzt. Sechs Kilo.

Wenn ich mir das Ganze weiter ausmalte … Ich hatte ohnehin schon darüber nachgedacht, wo für mich die nächste Herausforderung lag. Ein weiterer Berglauf? Oder der Marathon in New York? Der könnte ein Ziel sein, wäre aber schwierig zu erreichen. Entweder gewann ich bei der Verlosung von Startplätzen oder ich musste viel Geld dafür bezahlen, dass ich in New York zugelassen wurde. Okay, alternativ würde ich das jetzt für den Marathon des Sables hinblättern. Aber zu diesem Event fühlte ich mich berufen.

Die Sahara faszinierte mich schon lange. Bereits als Kind hatte ich davon geträumt, sie einmal zu erleben. Da hörte ich das Lied Fata Morgana von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung. Ich sah Bilder im Fernsehen und fragte mich immer wieder, ob die Wirklichkeit genauso wäre. Sah die Wüste tatsächlich so aus, wie der Flimmerkasten sie mir zeigte? Wie fühlte sich das alles an? Beim Laufen würde ich permanent Sand unter den Füßen haben oder Steine, während die Hitze kaum zu ertragen war. Begleitet wurde ich nur von Staub und Wind.

Das fand ich ungeheuer spannend. Und der Marathon des Sables versprach, den Sport und die Eindrücke der Wüste miteinander zu verbinden. Ich konnte laufen in der Wüste, ich sollte die Sahara kennen lernen und noch besser: Ich würde mit meinem eigenen Rucksack dort leben. Mit meinem eigenen Material, das ich vorher selbst zusammenstellte. Das war nicht nur ein Lauf, sondern ein Projekt. Und das faszinierte mich.

„Da melde ich mich an“, verkündete ich Claudia, meiner Frau.

Sie war weniger begeistert.

„Das ist nicht ungefährlich“, brachte sie vor. Außerdem kostete der Spaß 3.000 Euro. Eine Menge Geld, die ich eigentlich nicht hatte.

Aufgekratzt lief ich durch die Wohnung. Ging zur Toilette, schob die Entscheidung noch ein bisschen auf. Was sollte ich tun? Immer wieder stellte ich mir diese Frage. Denn ich konnte Claudia verstehen, ich teilte ihre Sorgen. Auf der anderen Seite wusste ich eines genau: Wenn ich jetzt zurücksteckte, würde ich mir ewig vorwerfen, warum ich gezögert hatte. Vielleicht schaffte ich es nie, beim Marathon des Sables mitzulaufen. Wer konnte schon sagen, ob er gesund blieb? Ob er die Startgebühr in zwei oder drei Jahren aufbringen würde? Deshalb kam ich zu dem Schluss: „Du sollst die Feste feiern, wie sie fallen.“

Dieser Spruch hatte einen wahren Kern. Der Marathon des Sables zählte zu den härtesten Ultra-Läufen auf der ganzen Welt. Und ich wollte gerne etwas wagen, das nicht jeder versucht. Etwas Außergewöhnliches erleben.

Also vertraute ich darauf, dass ich einen Sponsor finden würde und trug mich in die Liste ein. Und damit fingen die Probleme an.

 


Lahcen Ahansal

 

Atlantide, mit Sitz in Frankreich, organisierte den Marathon des Sables. Anke Molkenthin kümmerte sich um das deutsche Team. Sie bestärkte mich in meinem Vorhaben.

„Da sammelst du gute Erfahrungen als Ultraläufer. Noch dazu mit den Bedingungen der Wüste!“

Zu laufen wäre dort sicher nicht mein einziges Problem. Umso besser, wenn ich das Rennen meisterte. Dann hätte ich einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Nur stellten sich die Franzosen quer.

„Ohne einen Guide lassen wir Sie nicht auf die Strecke“, kündigten sie an.

Für einen sehbehinderten Läufer schien ihnen das Risiko zu hoch. Und egal, was ich ihnen sagte oder zeigte, welche Rennen ich früher schon bewältigt hatte – ich blieb, so kam mir das zumindest vor, in ihrer Auffassung ein Baby. Blind, hilflos und damit fertig.

Schon bei meiner Geburt hatte ich eine Sehnervathrophie. Das bedeutet, ich bin auf dem rechten Auge blind. Links sehe ich noch fünf Prozent, dabei beträgt mein Gesichtsfeld ungefähr zwölf Grad.

Diese Behinderung kann mir keiner nehmen. Aber es gefällt mir nicht, wenn ich als blind betrachtet werde. Ich bin stark sehbehindert. Und ich habe gelernt, vernünftig damit umzugehen. Von anderen Leuten kann ich das nicht immer behaupten. Atlantide war für mich so ein Fall. Die bemühten sich nicht, mehr über meine Behinderung zu erfahren. Ich hätte nicht gezögert, mit ihnen zu sprechen und auf diese Weise abzustimmen, was ich selber leisten konnte und wo ich vielleicht Hilfe brauchte. Aber sie setzten mir einfach das Messer auf die Brust. Entweder ich fand einen Läufer, der bereit war, mich zu führen. Oder ich musste zu Hause bleiben.

Aber so leicht, wie die sich das vorstellen mochten, konnte ich die Aufgabe nicht lösen. Zum Beispiel erklärte mir ein Läufer kategorisch: „Nein, ich übernehme das nicht. Ich laufe nicht mit dir.“

Wegen der Behinderung hielt er mich für einen Klotz am Bein. Er befürchtete, dass er sich in der Sahara zu sehr um mich kümmern müsste.

Dann, Ende Januar, nahm ich am 50-Kilometer-Lauf in Rodgau teil. Nach drei Stunden, 58 Minuten erreichte ich das Ziel. Damit landete ich auf Platz 39 in der Gesamtwertung und auf Platz vier in meiner Altersklasse. Wieder einmal hatte ich den Zweiflern bewiesen, wozu ich in der Lage war. Ich hatte mir einen gewissen Respekt verschafft und freute mich darüber. Auch der Kollege, dem ich nur zur Last gefallen wäre, schwenkte um. Zwar lehnte er es immer noch ab, in die Rolle des Guides zu schlüpfen. Aber der Grund war neu gewählt.

„Harry, du bist einfach zu schnell für mich.“

Ich hätte nicht gezögert, mich seinem Tempo anzupassen, bei einem gemeinsamen Lauf durch die Wüste. Von Anfang an hatte ich ihm das gesagt. Aber gut – wer nicht will, der hat schon.

Ich bemühte mich weiter um die nötige Unterstützung. Irgendetwas stand immer im Weg. Eine lange Geschichte mit vielen, unerfreulichen Etappen. Aber am Ende hatte ich Glück. Der Meister höchstpersönlich, Lahcen Ahansal, gab sich die Ehre. Er hatte den Marathon des Sables bereits zehn Mal für sich entschieden. Nun war er sich nicht sicher, wie er weitermachen sollte. Den elften Sieg nach Hause bringen? Vielleicht würde er das versuchen. Er könnte aber auch einen anderen Läufer unterstützen. Das Problem war für ihn, dass die Startplätze praktisch schon vergeben waren. Er wandte sich an Patrick Bauer, den Initiator vom Marathon des Sables. Der stand an der Spitze von Atlantide. Und er wies Lahcen darauf hin, dass ein sehbehinderter Läufer starten wollte. An meiner Seite wäre ein Platz für Lahcen frei. Und ich müsste meine Anmeldung dann nicht zurückziehen, ich könnte starten!

So vermittelte die Organisation. Sie stellte den Kontakt zwischen uns her. Um den Rest mussten wir uns selber kümmern. Und das war nicht wenig.

Nachdem Lahcen beschlossen hatte, dass er mich begleiten würde, schafften wir mit Nicola Wahl den nächsten Schritt. Sie machte es möglich, dass wir uns zwei Monate vor dem Start schon einmal kennen lernen und austauschen konnten. Sie ist eine Freundin von Lahcen, die in Deutschland lebt, aber fließend Französisch spricht. Weil sie Lahcen, als er mich besuchen kam, begleitete, konnten wir uns besser unterhalten. Denn Lahcen beherrscht weder Englisch noch Deutsch. Dafür Französisch und Arabisch, aber diese Sprachen habe ich nie gelernt. Ich begann vor dem Marathon des Sables, mir ein paar Brocken Französisch anzueignen, damit wir uns in der Wüste verständigen könnten. Aber so weit brachte ich es da vermutlich auch nicht mehr. Viel mussten wir improvisieren, einfach mit Händen und Füßen reden.

Weil die Läufergemeinde wie eine Biker Szene ist, kennen sich Läuferinnen und Läufer aus aller Welt untereinander. Lahcen erzählte Nicola, dass er nach Deutschland reisen würde. Er wollte sich mit Joe Kelbel treffen, der in Frankfurt wohnt. Auch ich kenne Joe und wohne nicht weit von Frankfurt weg. Daher schlug Lahcen vor, mit Nicola zunächst zu Joe zu fahren und anschließend zu mir nach Bad Homburg. Seine Überlegung war, dass er bei mir übernachten könnte, dann würden wir zusammen trainieren. Darüber freute ich mich sehr. Immerhin sollte ich eine Woche mit ihm in der Sahara laufen, er wäre mein Guide, ich musste ihm vertrauen können. Ohne diese erste Begegnung in meinem Umfeld wäre ich in die Wüste geflogen und hätte mir Fragen gestellt in der Art: „Wie wird es mit Lahcen sein? Auf wen treffe ich da? Harmoniert es zwischen uns?“

Da konnte ich nur profitieren, wenn ich schon vorher wusste, mit wem ich es zu tun hätte. Ich wünschte mir einen Guide, der mich nicht ans Halsband nahm. Er sollte mich machen lassen und vor allem, er musste durchhalten beim Marathon des Sables. Bei Lahcen konnte ich mir sicher sein, dass er nicht nach drei Etappen einbrechen würde.

Ihn kennen zu lernen, war für mich ein aufregendes Ereignis. Ich erlebte Lahcen als einen sehr angenehmen Menschen. Wir verstanden uns auf Anhieb. Auch läuferisch passte es gut. Lahcen konnte sich sofort auf mich einstellen und umgekehrt war es genauso. Vorher hatte ich immer wieder gezweifelt, ob ich den Marathon des Sables schaffen würde. Jetzt bekam ich das Gefühl, dass wir zusammen ein gutes Rennen laufen könnten. Mit Lahcen stand mir ein zuverlässiger Partner zur Seite und das zu wissen, beruhigte mich wieder etwas.

Auch Nicola war mir sofort sympathisch. Ich kann mich nur bei ihr dafür bedanken, dass sie uns in dieser Sache unterstützt hat. Ihr Einsatz berührte mich umso mehr, da andere Läufer nur neidisch reagierten.

„Du hast doch sowieso mit dem Lahcen irgendwelche Beziehungen“, unterstellte mir einer, „deswegen wird dir da alles aufs Brot geschmiert. Diese Klamotten von Compressport …“

Lahcen hatte dieses Unternehmen als Sponsor gewonnen. Compres belieferte uns beide mit Klamotten. Sicher, die hätte der andere Läufer auch gerne gehabt. Bloß hätte er sich dafür auch stärker engagieren müssen.

„Ich wusste doch nicht“, fing er an, sich zu verteidigen.

Sie hatten alle keine Ahnung, die Läufer aus dem deutschen Team. Aber sie wollten ihr Stück vom Kuchen bekommen.

„Warum“, beklagten sie sich, „hast du Lahcen als Guide genommen? Warum nicht einen von uns?“

„Als ich euch gefragt habe, wollte keiner etwas davon wissen.“

Sie argumentierten: „Jetzt wissen wir ja, wie du läufst. Wir können dich besser einschätzen.“

Aber jetzt war es zu spät. Ich spielte doch nicht für sie den Pausenclown! Zuerst hatte sich niemand für mich interessiert. Dann fiel ihnen auf, welches Echo sie bekommen hätten, wenn sie mit mir gelaufen wären. Und sie bemühten sich, die Situation zu korrigieren. Gerne wollten sie mir helfen. Sie waren doch so gute Kerle …

Vielen Dank, aber auf ihre blöden Sprüche konnte ich jetzt auch verzichten. Wie vorher auf ihre Unterstützung.

Lahcen hatte sich ganz uneigennützig bei mir gemeldet. Und wenn er einen Vorteil daraus ziehen konnte, weil er von einem Sponsor ausgestattet wurde oder stärker in die Medien kam, dann hatte er das auch verdient. So einfach war das nach meinem Urteil. Weil er mir half, bekam ich das Rennen. Dann sollte er auch die Publicity bekommen.

Lahcen hatte nie ein Problem mit meiner Behinderung. Während andere den Standpunkt vertreten, dass ich mich profilieren will.

„Der startet doch nur in der Wüste, um zu zeigen, dass es geht. Obwohl er so wenig sieht …“

Diese Leute kennen mich schlecht. Denn so bin ich nicht. So denke und fühle ich nicht. Meine Sehschwäche nach vorne zu schieben, damit der Veranstalter mir mehr Aufmerksamkeit schenkt, damit sich ein Journalist, die Öffentlichkeit und wer auch immer für mich interessiert …

… Ganz ehrlich, das käme mir schäbig vor. Ich strebe auch nicht danach, andere Sportler auf dieser Linie zu beeindrucken. Mein Wunsch ist einfach nur, auf gleicher Höhe mit ihnen zu laufen. Ich möchte ausprobieren, was ich mir vorstellen kann. Dabei will ich die Anerkennung vor jedem Konkurrenten wahren und mir das Vergnügen am Laufsport erhalten. Dass ich zusätzlich behindert bin, kann keiner ändern. Ich habe diese Einschränkung nun mal, ich stehe auch dazu, aber ich lasse mir deswegen bestimmt nichts diktieren.

Wenn ich bei einem schwierigen Rennen an den Start gehe, dann einfach deshalb, weil ich die Herausforderung liebe. Ich möchte etwas machen, das nicht jeder versucht. Etwas erleben, das ich nicht jeden Tag erleben kann. Vielleicht mache ich anderen damit ja Mut. Menschen, die auch behindert oder schwer krank sind. Oder denen einfach

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Universum Bücher im vss-verlag
Bildmaterialien: vss-verlag
Lektorat: Chris Schilling
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3587-3

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