Liebe Leserinnen und Leser,
mit Markus K. Korb können wir Ihnen in dieser achten Ausgabe des Terra-Utopia-Magazin einen „alten Hasen“ der Fantastik-Szene und arrivierten Autor vorstellen und mit seiner Story „Der letzte Flug der Ikarus“ eine bemerkenswerte Kurzgeschichte aus seiner Feder präsentieren.
Auch die beiden in der letzten Ausgabe vorgestellten Autoren Ulli Kammigan und Jan Niklas Meier sind in dieser Ausgabe wieder mit interessanten Sachbeiträgen vertreten.
Zu Urgesteinen unseres Magazin entwickeln sich Christiane Kromp und Gerhard Fritsch, die auch diesmal wieder mit Beiträgen vertreten sind.
Rezensionen von Tobias Lagemann und Michael Schmidt komplettieren das Magazin.
Und jetzt noch ein Hinweis in eigener Sache: ein interessantes Interview mit Hermann Schladt, dem Inhaber des vss-verlag und Herausgeber des Terra-Utopia-Magazins kann man nachlesen unter
https://phantastikon.de/20160512/der-kleine-verlag-fuer-grosse-unterhaltung/
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Viel Spaß beim Lesen dieses Magazins.
Hermann Schladt
Herausgeber
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Impressum
Das Terra Utopia Magazin erscheint 6 x im Jahr und steht bei allen wichtigen eBook-Shops kostenlos zum Download bereit.
Verlag:
vss-verlag Hermann Schladt
Walter-Hesselbach-Str. 89
60389 Frankfurt am Main
Mail: tu-magazin@mailwizzard.de
Story von Christiane Kromp
Linda Plummer war auf dem Heimweg von der Arbeit. Sie musste nur noch um die Ecke mit dem Voodoo-Laden gehen, dann wäre sie gleich zu Hause. Wie immer in den letzten Wochen saß Gail, die Besitzerin, in einem Klappsessel vor der Tür und schien zu einem kleinen Schwätzchen aufgelegt. Sie war eine sehr dicke dunkelhäutige Frau, die in einen bunten Sarong gehüllt war und sie breit anlächelte. Ihr Alter war schwer zu bestimmen, aber jung war sie gewiss nicht mehr.
„Hallo, Schätzchen, willst Du dich heute mal in meinem Laden umschauen?“ grüßte sie freundlich.
„Ein anderes Mal gerne, Gail.“
„Ich habe für alle Gelegenheiten das Richtige, Partys oder Geburtstage, wenn du etwas Ungewöhnliches suchst. Ich lese auch aus der Hand oder mache ein Horoskop für dich, Liebes.“
„Vielleicht morgen“, lächelte Linda.
Kurz darauf betrat sie den achtstöckigen Wohnblock, in dem sie eine winzige Wohnung gemietet hatte. Sie ging zu den Briefkästen und schaute in ihr Fach. Einen Schlüssel brauchte sie dafür nicht, denn das Schloss war schon lange kaputt. Seufzend nahm sie die Briefe hinaus, von denen ein Nachbar bereits einige geöffnet und durchgesehen hatte, vermutlich dieser sonderbare Mr.Smith aus der ersten Etage. Sie wusste nicht einmal, ob sie alle ihre Briefe wirklich bekam.
Wie sie dieses Haus hasste! Die meisten Nachbarn waren heruntergekommene Typen, vom Leben enttäuscht oder zu faul, um etwas erreichen zu können. Sie dagegen war mit ihren 22 Jahren noch zu jung und ihr Gehalt als Evaluateurin für Parfüm in New York war zu gering, um eine Wohnung in einer besseren Gegend als der East Side bezahlen zu können. Dabei könnte sie die Düfte viel besser selber kreieren, als immer nur die Fehler der anderen auszubügeln. Seit fast einem Jahr lebte sie nun schon in New York, aber sie hatte in dieser Metropole kaum Menschen kennen gelernt, die ihr etwas bedeuteten. Es schien hier schwerer zu sein, Freundschaften zu knüpfen, als anderswo. Die Menschen schienen ihr oberflächlicher, unverbindlicher – und einsamer. Während sie die Treppen hinauflief in den sechsten Stock – natürlich war der Fahrstuhl schon wieder kaputt – wurde sie immer wütender. Das ganze Treppenhaus war trotz der flackernden Neonröhren dunkel und dreckig. Im vierten Stock hatte einer ihrer Nachbarn einen alten Kleiderständer in den Hausflur geworfen. Fluchend drückte sie sich daran vorbei, auf der Hut, nicht zu stolpern.
„Nicht ärgern, Linda, das ist es nicht wert.“, sprach sie jemand an, der von oben kam. Es war ihr Nachbar James, der unter dem Dach wohnte. „He, wo ich Sie gerade treffe“, begann er mit entwaffnendem Lächeln. „Wollen wir Freitag Abend ins Kino?“
Seit er hier wohnte, waren sie schon ein paar Mal ausgegangen. Sie mochten die gleichen Weine, die gleiche Musik.
„Da habe ich leider schon was vor… meine Freundin Heather hat Geburtstag.“, sagte sie in bedauerndem Tonfall. Enttäuschung malte sich auf James‘ offenes Gesicht. „Aber am Samstag hätte ich Zeit…“, fügte sie schnell hinzu und schenkte ihm einen verführerischen Augenaufschlag. Der junge Mann lächelte.
„Also dann bis Samstag…“, sagte er und lief weiter nach unten, während Linda nach oben ging.
Zwischen dem 5. Und dem 6.Stock klebte die Treppe, als sei da Sirup ausgelaufen. Nein, sie würde die Treppe nicht sauber machen, nahm sie sich vor. Gleichzeitig fragte sie sich innerlich, was denn auf einmal mit ihr los war. Gab sie jetzt genauso auf wie alle anderen hier?! War sie schon so weit? Dieses Haus schaffte sie, tat ihr nicht gut. Sie musste hier raus, irgendwie! Wenn sie doch bloß die Beförderung bekommen würde! Sie hatte sich in den letzten Wochen so sehr dafür angestrengt! Wenn sie sich doch nur einmal etwas wünschen könnte, das auf jeden Fall in Erfüllung gehen würde! Sie würde alles dafür geben.
Sie schloss ihre Wohnungstür auf, hängte ihre Handtasche an die Garderobe und ließ sich in ihren Lieblingssessel am niedrigen Wohnzimmertisch fallen. Dann schaute sie ihre Post durch und öffnete die Briefe, bei denen die Nachbarn ihr diese Mühe noch nicht abgenommen hatten. Ein Brief war ungewöhnlich. Er stammte von einem Rechtsanwalt und lautete folgendermaßen:
„Sehr geehrte Miss Plummer,
bitte melden Sie sich bei uns in der Erbangelegenheit Ihrer Tante Pearl Bleye. Sie sind die einzige lebende Verwandte, die wir ermitteln konnten, und damit Universalerbin Ihrer Tante. Bringen Sie bitte zur eindeutigen Identifizierung Ihrer Person Ihren Ausweis mit.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Jonathan Grape, Rechtanwalt“
Auf dem Briefkopf war eine Adresse in der Innenstadt angegeben und eine Telefonnummer.
Sie las den Brief wieder und wieder. An eine Tante Pearl konnte sie sich nicht erinnern. Aber das war nicht weiter verwunderlich, denn in ihrer Familie hatte es wenig Zusammenhalt gegeben. Ihre Eltern hatten sich getrennt, als sie selbst zwei Jahre alt gewesen war. Inzwischen waren sie beide gestorben und hatten sie, wie sie dachte, allein zurückgelassen. Vielleicht war diese Tante Pearl eine Schwester ihres Vaters gewesen? Sie zuckte die Achseln. Sie würde den Anwalt fragen.
Ein anderer Gedanke aber breitete sich in ihr aus: Vielleicht war Tante Pearl reich gewesen? Sie schüttelte den Kopf und wies sich innerlich zurecht. Sie hätte jetzt eigentlich traurig sein müssen, immerhin hatte sie ihre letzte Angehörige verloren. Aber so intensiv sie auch in sich hinein lauschte, sie fühlte nicht viel, als sie an die unbekannte Tante dachte. Allenfalls leichtes Bedauern darüber, dass sie nicht früher von ihrer Existenz erfahren hatte. Und Ärger, dass sie jetzt die Formalitäten mit dem Rechtsanwalt am Hals hatte – wie seltsam.
Am nächsten Tag rief Linda in der Kanzlei an und ließ sich einen Termin geben. Sie war erstaunt, dass die Sekretärin ihren Besuch für den gleichen Tag einplante. Also ging sie schon in der Mittagspause und fuhr zu Dr.Grape. Mit gespannter Erwartung betrat sie die luxuriös eingerichteten Räumlichkeiten und wurde in ein angenehm helles, freundlich wirkendes Sprechzimmer gebeten, das nach Holzpolitur und Aktenstaub roch. Sein Licht erhielt der Raum durch ein großes Panoramafenster gegenüber der Tür, wenngleich das Panorama, das sich ihr bot, nur bunte Leuchtreklamen an der grauen Fassade gegenüber zeigte.
Hinter einem großen Mahagonischreibtisch saß ein kleiner, vertrocknet aussehender Mann. Er hatte eine runde Brille auf der Nasenspitze und reichte ihr die Hand.
„Ich bin Dr.Jonathan Grape. Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Linda Plummer“, stellte sie sich vor. Da klopfte es an der Tür und eine Sekretärin kam herein. „Entschuldigung, dass ich stören muss, Dr.Grape, aber hier ist Ihr Gespräch mit Phoenix“, verkündete sie und wedelte mit einem schnurlosen Telefon. Dr.Grape blickte an Linda vorbei zur Tür.
„Danke, Phillis“, sagte er und dann an Linda gewandt: „Tut mir Leid, es dauert nicht lange. Auf dieses Gespräch warte ich seit einer Woche.“ Er lächelte entschuldigend und verließ das Büro. Schwach blieb der Duft seines teuren Rasierwassers im Raum präsent.
In wachsendem Maße beeindruckt blickte sich Linda in dem Zimmer um. Es war ziemlich groß, die Wände in einem warmen Ockerton gestrichen, gute Gemäldereproduktionen hingen dort: ein Van Gogh, ein Matisse, mehrere kleinere Gemälde zeitgenössischer Maler. Der Mahagonischreibtisch beherrschte den Raum, dahinter ein großer weißer Ledersessel, der teure Eleganz ausstrahlte. Der Teppichboden war sandfarben und sah neu aus, Linda saß auf der anderen Seite des Schreibtisches auf einem weichen und bequemen Lederstuhl. Helle Holzregale mit Unmengen von juristischen Büchern hinter dem Schreibtisch vervollständigten das Bild. Dennoch sah der Raum nicht überladen oder vollgestopft aus, im Gegenteil, er wirkte großzügig genug, um darin zu tanzen. So weit war Linda mit ihren Überlegungen gekommen, da betrat Dr.Grape wieder den Raum und überprüfte ihre Papiere. Dann lächelte er verbindlich und sagte:
„So, dann wollen Sie jetzt sicher wissen, was Sie geerbt haben?“
Linda nickte. Sie hatte auf einmal einen Kloß im Hals ohne zu wissen, warum.
„Ihre Tante besaß ein Haus in einem Vorort von New York, das ist jetzt Ihr Eigentum, wenn Sie das Erbe antreten wollen.“ Die halb versteckte Frage war
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag
Bildmaterialien: vss-verlag, (Cover: die jeweiligen Verlage)
Lektorat: Hermann Schladt
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2016
ISBN: 978-3-7396-5777-6
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