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Terra Utopia – Band 40
Jürgen vom Scheidt – Sternvogel [auch: Thomas Landfinder: Die lebende Maschine]
1. eBookAuflage – Februar 2016
© vss.verlag Hermann Schladt / Dr. Jürgen vom Scheidt
vssinternet@googlemail.com
Überarbeitete Neuausgabe der Leihbuch-Fassung von 1962
Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung eines Fotos von http://www.pixabay.com/
Lektorat: Chris Schilling
Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer
Jürgen vom Scheidt [Thomas Landfinder]
Sternvogel
Jürgen vom Scheidt
Sternvogel
Teil 1: Roman von 1959
Teil 2: Nachwort von 2016
Teil 3: Das Unlöschbare Feuer (komprimierte Fassung)
Teil 4: Making of Das unlöschbare Feuer
Das Raumschiff Haya fiel aus dem Portal der Greggnor-Schleuse in das fremde Sternensystem, dessen Doppelsonne rötliche und orangefarbene Reflexe an die Wände der Zentrale zauberte. Die Männer, die in diesem Raum arbeiteten, hatten keinen Sinn für solche Schönheit. Für sie zählte nur, dass die Suchtaster genau genug gearbeitet hatten und das homogene Abwehrfeld vor jeder denkbaren Überraschung schützte. Und wie groß ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass ein Raumschiff beim Blindsprung in die Nähe einer Sonne fällt, wenn es die Schleuse verlässt - und nicht irgendwo im energielosen Nichts des Pararaums materialisiert?
„Hamans, untersuchen Sie die Sonnen. Nach Planeten, Monden und so weiter. Ich warte auf Ihren Bericht“, sagte der Admiral zu seinem Kosmographen. Der salutierte, nahm das Scheibchen mit den Systemdaten, die der Automat eben geliefert hatte, und ging. Als er die Tür hinter sich zu ziehen wollte, kam der Schrei. Gedehnt, gequält. Mit einem Riesensatz, den ihm niemand mehr zugetraut hätte, kam Admiral McNeill aus dem Sessel hoch, in den er sich gleiten lassen wollte. Er fegte den Kosmographen, der die elektronische Sperre betätigen wollte, beiseite, und drückte die Tür in die Wand zurück.
Wieder der Schrei.
„Houb! Ich komme!“ McNeill schien das Ende des Ganges in unerreichbare Ferne gerückt. Sein verbrauchter Körper gab das Letzte an Reserven. Verzweifelt griffen die Beine aus. Bis übergangslos die Schwerkraft weg war und er wie ein Geschoss, der Trägheit folgend, durch die Luft segelte. Kurz vor dem Ende des Gangs setzte die künstliche Schwerkraft wieder und mit voller Stärke ein. Nur eingefleischten Reflexen verdankte er, dass er mit beiden Beinen aufkam. Die Kabinentür stand weit offen. Auf dem buntgemusterten Boden lag, die Augen weit geöffnet, ein junger Mann. Der Admiral kniete sich neben die Gestalt in der schwarzen Offiziersuniform, untersuchte sie mit fliegenden Fingern, dauernd sinnlos vor sich hin plappernd. Trotz aller Verwirrung konnte er die Würgemale nicht übersehen.
McNeill war ratlos. Seit dem Start von der irdischen Basis vor einem Jahr ging das bereits so: Nach jedem Raumsprung, immer bei Verlassen des Ausflugsportals, wenn er am meisten mit den Schiffskontrollen beschäftigt war, fanden diese Überfälle statt.
In die unnatürlich geweiteten Pupillen kehrte so etwas wie Verständnis zurück.
„Vater“, stöhnte er, „Vater er... wieder hier... würgte... wie... drei Tagen.“
„Hast du ihn erkannt? War es Gredd?! Silverstob?“
„Konnte nicht seh'n... wieder von hinten... hinten... und... ist schrecklich... Macht... mich wahnsinnig... Überfälle!“ Erschöpft klafften die ausgetrockneten Lippen für einen Augenblick. „Verfluchte Mannschaft... Hassen mich... alle... hassen mich... weil ich... normal... bin... Oder etwa nicht?“ Aggressiv zischte er: „Bin ich auch so verrückt wie diese Ungeheuer?! Wie dieser besoffene Ronson?“
Mühsam stemmte er sich, von seinem Vater gestützt, hoch. Quäkende Musiklinien strahlten aus dem Bandgerät. Die Traumbox bemusterte verwirrend die Decke. Es war etwas Eigenartiges in diesen haltlos wandernden Augen. Der sonderbare Ausdruck ließ den Admiral frösteln. Er schüttelte beruhigend den Kopf.
„Nein, du bist nicht verrückt. Du und ich, wir sind die Normalen hier im Schiff, die einzigen in einer Mannschaft von lauter Verrückten. Und wenn die anderen das Gegenteil behaupten, schicke ich sie in die Schlafkammer!“
„Natürlich ist er verrückt“, sang eine krächzende Stimme. Die Köpfe der beiden drehten sich aufgestört zu der verdunkelten Tür, durch die eine zusammengefallene Gestalt torkelte. Ronson, der Astrogator der Haya. Ein Genie, wenn er an der Rechenmaschine saß und die greggnorschen Raumschleusen kalkulierte, ein betrunkener Halbidiot für den Rest seines Daseins.
„Natürlich ist er ver... ver... verrückt“, lallte die eintönige Singsangstimme, die aus einer vom Alkohol zerfressenen Kehle kam.
„Natürlich ist er ver... verrückt.“
„Maul halten, Ronson! Betrunkenes Schwein, scher dich in deine Kabine, oder ich verabreiche Ihnen eine Tracht Prügel, die Sie so schnell nicht vergessen, verstanden, Mistkerl, elender - HAU AB!“
Der Astrogator zuckte zusammen, als die scharfen Worte des Admirals an sein vom Schnaps umdünstetes Gehirn drangen. Ein letztes bisschen Menschenwürde in ihm ballte seine zittrigen Finger zur Faust, und er rief:
„Prrrügeln will mich der Admiral, Sir? Ein betrunkenes Schwein bin ich, der Admiral, Sir? Die nächste Schleuse berechnen Sie sich selbst, der Admiral, Sir Sie Sie Sie... bah!“
Er schüttelte sich und torkelte rückwärts weg, hilfesuchend um sich greifend, immer wieder lallend: „Natürlich ist er ver... rückt, türlich ist er verrückt...“
„Verdammt!“ McNeill warf hinter dem Astrogator die Tür zu, dass der ganze Schiffsleib dröhnte. „Jetzt sitzen wir wieder in der Tinte, wie letzte Woche, und müssen warten, bis dieses Ungeheuer seinen Rausch ausgeschlafen hat.“
Ausdruckslos war der junge Mann dem Auftritt Ronsons gefolgt, wobei er mit langsam pendelnden Bewegungen seinen kalkweißen, haarlosen Kopf drehte. Das Donnern der zufallenden Tür trieb ihn aus seiner Erstarrung. Er packte seinen Vater bei der unordentlich zugeknöpften Uniformjacke und fing an, hilflos zu jammern. Doch McNeill hatte keine Zeit, zuzuhören. Überall in der Haya heulten in diesem Augenblick Alarmsirenen auf, während rote Blinklichter an den Wänden hektisch zuckten.
„Admiral!“ rief eine Stimme aus einem der vielen Lautsprecher, „Admiral McNeill! In der Messe prügeln sich Silverstob und Ronson, und die Kerle haben Strahlenpistolen! Das ganze Schiff ist in Gefahr!“
„Schlagt sie zusammen und werft sie in die Schlafkammer. Bis sie sich beruhigt haben. Aber passt auf Ronson auf! Und gebt ihnen eine doppelte Dosis – nein! gebt ihnen gleich eine Spritze. Und Sie, Hamans, melden sich bei mir in der Zentrale. Was fiel Ihnen eigentlich vorhin ein, als Sie mich am Verlassen der Zentrale hindern wollten?“
Keine Antwort.
„Wenn Sie wieder einen schizophrenen Schub bekommen, muss ich Sie konditionieren lassen, verstanden?“
Es kam keine Antwort, obwohl das Atemrasseln zeigte, dass der Kosmograph noch am Mikrophon war.
„Verstanden?!“ brüllte der Admiral nochmals. „Und schicken Sie den Alten Mann her zu mir, in Houbs Kabine.“
Jetzt knackte es im Lautsprecher; die Verbindung war unterbrochen. In einem der vielen Räume der Haya, in der Messe wahrscheinlich, ertönten zwei kurze, schrille Schreie, als Ronson und Silverstob paralysiert wurden. Dann wieder Stille. Der Admiral wandte sich seinem Sohn zu, der mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Hals rieb. Diese Würgemale...
Aber das war doch nicht gut möglich! Es sah geradeso aus, als habe man ihn von vorne gewürgt. Von vorne. Ob der Wahnsinnskerl am Ende versucht haben sollte, sich selbst umzubringen und die Schuld auf andere zu schieben? Grotesker Gedanke -
Stellarfieber.
„... alle in die Schlafkammer...“, wimmerte Houb McNeill, „wollen mich alle umbringen... einzige Normale...“
Simulant, dachte McNeill. Elender Simulant.
„Sei endlich ruhig und komm mit. Der Alte Mann wird dir helfen.“
„Der Alte Mann! Nein!“ Gellend kreischte er: „Nein, nicht den Alten Mann. Der ist auch normal, darf nur einer normal sein, ich... Metallmonster... ich...“
Er blabberte unaufhörlich weiter, bis ihm der Admiral endlich eine schallende Ohrfeige gab, ihn hochriss und im Judogriff mitschleppte. Als sie am Mannschaftsraum vorbeikamen, hörte man durch das dicke Schott das betrunkene Grölen der Freiwache.
Entsetzt fing Houb an zu zerren, als der Alte Mann behäbig auf sie zukam. Seine blankpolierte Stirn mit dem æ-Symbol war das einzige Kennzeichen, das ihn zum Androiden stempelte. Alles andere war menschlich.
Dann setzte die Schwerkraft wieder aus, als Gredd im Somarausch Amok lief und sich verzückt in die Kontrollen stürzte.
Die roten Lichter zuckten von neuem.
Licht.
Lärm!
Schmerzende Farben und Laute.
Heulend und kreischend wälzte sich die entfesselte Menge auf ihn zu. Immer größer und furchterregender wurden die wesenlosen Gebilde - Zahlen, violette Achten, dickbäuchige, aufgequollene Nullen und lila Zweien. Alle mit verzerrten Masken, aus denen eine unfassbare Dämonie sprach. Schrie!
Schrie.
Ein Heer von Zahlen hatte Gestalt angenommen und raste jetzt auf grotesken Beinen gegen ihn an. Grelle Blitze zuckten und ließen Schreckenswesen einer Alptraumlandschaft zu einem Chaos explodieren.
Doch das Auf-ihn-zustürzen hielt an. Neue Zahlenungeheuer formten sich aus dem Gewirr, die mit vermehrter Geschwindigkeit auf ihn herabstießen. Mit Fratzen, die noch wilder, noch dämonischer grinsten.
Und dann stand im Hintergrund das Robotgehirn auf, reckte sich drohend, wuchs ins Unermessliche.
R 17
Das Robotgehirn kippte nach vorne über, und im Fallen begannen die unzähligen Lämpchen auf der Vorderseite zu blinken. Sie drehten sich schneller und schneller, wurden zu schmerzenden Feuerrädern, die sich auf ihn stürzten.
R 17
„Aufhören“, rief Tes Dayen und sprang hoch. Der schwere Ledersessel fiel nach hinten um. Befremdet blinzelte der doppelköpfige Miraner: „Aber wir dachten, Sie seien an Handelsbeziehungen mit uns interessiert! Der jährliche Abbau an Schwermetallen der drei Triaden beträgt tatsächlich zur Zeit zwei Megatonnen und wird im Laufe der nächsten Jahre noch wesentlich gesteigert werden“, lispelte Links, während Rechts sein gelbes Faungesicht geistesabwesend in einem unmöglichen Winkel verdrehte.
„Aufhören!“ schrie Tes Dayen. Gehetzt sprang er hinter dem gläsernen Pult hervor, dessen Rand er eben noch in ohnmächtiger Wut und Verzweiflung umklammert hatte, und stürmte auf die Wand des Raumes zu. Höhnisch flackerte das Kontrollbirnchen, als die Fotozelle seine Annäherung bemerkte und die unsichtbare Tür in dem seitlichen Schlitz verschwand.
„Was hat er nur?“ sagte Links. „Diese Erdenmenschen sind ein eigenartiges Volk.“
Tes Dayen schlug um sich, brüllte: „Aufhören! Aufhören!“ und stürmte durch den hohen Gang, der sich endlos vor ihm öffnete. Auf beiden Seiten saßen hinter gläsernen Wänden Männer und Frauen an der Arbeit. Sie blickten von ihren Buchungsmaschinen hoch und schauten neugierig der Gestalt im golddurchwirkten Anzug nach, die, wild gestikulierend und unverständliche Laute ausstoßend, vorbeirannte.
Licht! Lärm.
Das Robotgehirn war nicht hinter ihn gefallen, wie er gehofft hatte. Es ragte noch immer hinter ihm auf, und noch immer wuchs es. Die kreisenden Feuerräder wurden zu quirlenden Vulkanen, die mit glühenden Zungen flüssigen Lichts auf ihr vergeblich fliehendes Opfer herableckten.
Keuchend erreichte er die Kreuzung, von der aus gläserne Korridore und Schwebeschächte nach allen Richtungen in das Gebäude führten. Hinter den durchsichtigen Wänden gafften Tausende von Angestellten und pressten ihre großen gierigen Augen gegen die Scheiben, während ihre Arbeitsgeräte im sinnlos gewordenen Rhythmus weiter hämmerten...
„Aufhören! Aufhören! Aufhören!“ heulte Tes Dayen.
Aufhören... hören... ren hallte es durch die leeren Gänge, und in den Schächten rollte das Echo und schreckte das Haus aus seiner geschäftigen Ruhe.
Robotgehirn R 17stürzte und stürzte und stürzte...
Dayens Beine versagten den Dienst, und mit ausdruckslosem Gesicht, aus dem aller Schrecken gewichen war, fiel er zu Boden. Dickflüssig sickerten große Blutstropfen aus einer klaffenden Stirnwunde; sie bildeten ein eigenartiges Muster auf dem kalt schimmernden Glasboden.
Bald hatte sich ein enger Kreis blasser Menschen um die leblose Gestalt versammelt. Sie wagten nicht, sie zu berühren. Sie warteten auf den Arzt und waren insgeheim ein bisschen dankbar für diese willkommene Unterbrechung ihres Alltags. Manche der Blicke bohrten wie Nadeln, versuchten in den Gestürzten einzudringen; andere glitten scheu darüber und schreckten zurück, wenn dem Betrachter zu Bewusstsein kam, wer dort lag.
„Platz! Macht Platz für den Arzt!“ riefen einige, die weiter hinten standen und sich über diese Tatsache ärgerten. Sie wollten hinter dem Mann mit der Instrumententasche in den Kreis der Gaffer drängen, wurden aber zusammen mit den bereits vorne Stehenden von einigen Bewaffneten, die im Laufschritt durch den Gang eilten, beiseitegeschoben.
Dr. Jageh kniete sich schnell nieder, öffnete das Hemd des Reglosen und horchte mit dem Stetophon die Herztöne ab. Das gleichzeitig auf dem Oszillographen auf und nieder flatternde EKG zog rasch die Aufmerksamkeit der zurückgedrängten Zuschauer auf sich.
„Lebt er?“ fragten die Gaffer überflüssigerweise.
„Er lebt. Herzanfall. Und wahrscheinlich Nervenzusammenbruch. Totaler Nervenzusammenbruch.“
Diese Worte des Arztes waren eigentlich nur für Direktor Arlagon bestimmt, der inzwischen ebenfalls schnaufend angekommen war. Aber die Umstehenden nahmen es begierig auf und gaben es nach hinten weiter.
„Aber es war ja auch Wahnsinn! Wie kann ein Mensch, selbst ein Mensch von solchem Format, für zwei Wochen die koordinierende Arbeit eines Rechenautomaten übernehmen!“
Beipflichtendes Flüstern und Kopfnicken der vielen Gesichter.
„Aber er hat es geschafft“, sagte Arlagon mit belegter Stimme, und seine Begleiter Bebel und Bogoban stimmten ihm eifrig zu.
„Die Interstellar ist gerettet“, hieß es. Das war übertrieben, denn die Gesellschaft hatte sich in keiner akuten Gefahr befunden, drückte aber doch irgendwie die Besorgnis und jetzt Erleichterung aller aus. Sie wussten genau, dass ohne Tes Dayen eine so gewaltige Institution wie die Interstellare Handelsgesellschaft undenkbar war. Wenn es auch die Direktoren manchmal gar zu gern vergessen wollten.
Endlich kamen die Sanitäter mit der Schwebebahre und trugen Dayen davon. Solange man etwas sehen konnte, folgten die Blicke, und dann steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten, bis Direktor Arlagon sie mit einigen beschwichtigenden Sätzen zu ihren Arbeitsplätzen zurückschickte.
„Herzanfall... Nervenzusammenbruch“, wisperte es in den gläsernen Gängen, die sich erst allmählich wieder leerten. „Herzanfall“, säuselten tausend Stimmen. „Nervenzusammenbruch“, summten zwanzig gläserne Stockwerke. Und raunend eilte das Gerücht auf schnellen Flügeln durch die transparent schimmernde Stadt, von der aus eine ganze Milchstraße kontrolliert wurde. Von einem Gebäude der Interstellaren Handelsgesellschaft zum anderen schwang es sich.
Die mächtigen Radiosender funkten es hinaus zu den Sternen: „Tes Dayen... Herzanfall... Nervenzusammenbruch...“
„Nun, wie fühlen Sie sich?“ fragte Dr. Jageh einige Wochen später, als er sich neben dem Bett Tes Dayens in einen der bequemen Sessel niederließ und sorgfältig die Falten seines weißen Mantels gerade strich. Das Lächeln auf seinem pausbäckigen Gesicht verriet große Zufriedenheit mit dem Zustand seines Patienten, und er wusste schon im Voraus, wie dessen Antwort lauten würde.
„Danke“, sagte Dayen leise, „ich fühle mich, wie man sich nach Heilschlaf, Sahnekuren, nach vielen heißen Bädern und all den anderen Bemühungen um meine so kostbare“ - er lachte kurz auf - „Persönlichkeit nur fühlen kann: Gesund und munter. Zufrieden.“
Eine steile Falte erschien auf seiner kantigen Stirn, über die sich noch, als letzte sichtbare Spur seines Unfalls, eine breite, blasshäutige Narbe zog. „Gesund und munter? Zufrieden? Ja, aber was ist mit...“
„Alles in bester Ordnung, Herr Dayen“, beruhigte ihn der Arzt auf seine freundliche, unaufdringliche Weise, die so viel vom Wesen eines chinesischen Mandarins an sich hatte. „Alles in Ordnung. Das Elektronengehirn R 17 arbeitet schon seit langem wieder. Die Interstellar hat bei dem ganzen Vorfall nicht den geringsten Verlust erlitten, wie mir Direktor Jan Arlagon neulich mitteilte. Und der Handelsvertrag mit Mira wurde auch abgeschlossen.“
„Mira? Ich erinnere mich. Die Schwermetallminen, nicht wahr?“
Dr. Jageh nickte. Seine hellbraunen Augen, der breite, stets zu einem nachsichtigen Lächeln bereite Mund, die unzähligen Schmunzelfältchen - sein ganzes Gesicht glühte voll innerer Zufriedenheit mit dem Wohl Tes Dayens.
„Direktor Arlagon sprach davon. Seltsame Wesen, diese miraschen Doppelköpfe; ich sah sie neulich auf offener Straße nach Art der Mohammedaner ihr Morgengebet verrichten, mitten im Verkehr. Eine bemerkenswerte Kultur, die sich dort draußen im All, auf einem für frühere Begriffe unendlich weit entfernten Planeten, entwickelt hat. Völlig unabhängig von uns. Wussten Sie, dass ihre Metaphysik, ihre Auffassung von religiösen und philosophischen Dingen stark der ceylonesischen Form des Buddhismus ähnelt? Auch die Miraner glauben an eine Art Nirwana, in das der Mensch erst gelangt, wenn er sich völlig aufgibt, wenn er völlig zu Nichts wird.“
„Doch, dies war mir bereits bekannt“, sagte Dayen etwas geistesabwesend. Nach einer geraumen Weile, während der nur die Stille des Zimmers wirkte, sagte der Arzt unvermittelt: „Herr Dayen, Ihnen fehlt etwas. Ihnen fehlt ein Mensch, der sich um Sie kümmert, der Ihnen zur Seite steht, wenn es hart auf hart geht. Wie kürzlich.
Ich drücke mich vielleicht etwas ungeschickt aus aber Ihnen fehlt einfach eine Frau! Jahraus, jahrein leben Sie nur Ihrer Arbeit. Sie sind am Tag allein, weil die vielen Menschen, mit denen Sie zusammenkommen, Ihnen wenig bieten können, und Sie sind aus demselben Grund auch nach der Arbeit allein. Bei dem Vorfall mit R 17 handelte es sich nun um eine besonders extreme Situation, wie sie vielleicht alle tausend Jahre einmal vorkommt; aber da sind noch die anderen täglichen Belastungen, diese vielen Stress-Augenblicke, die sich auf Ihre besondere psychische Situation als propagierter Übermensch stärker auswirken müssen als auf einen sogenannten normalen Menschen.“
Dr. Jagehs Stimme nahm einen fast beschwörenden Ton an, als er weitersprach. „Herr Dayen, Sie selbst werden es vielleicht nicht so sehr merken, aber die geistige Höhe, auf der Sie stehen, hat Sie von Ihrer Umwelt getrennt. Und auf die Dauer werden selbst Sie trotz aller erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen diesen Zustand der Einsamkeit nicht ohne Schaden aushalten. Es ist vielleicht nicht sehr klug von mir, Ihnen meine psychologischen Beobachtungen mitzuteilen -aber ich halte es für den bestmöglichen und vor allem auch für den einfachsten Weg, Ihnen zu helfen.“
„Eine Frau für mich?“ Sinnend schloss Dayen die Augen. „Wissen Sie, Doktor, ich möchte keine von den unzähligen Frauen haben, die mir wegen meines Reichtums, wegen meiner besonderen Stellung in der Stufenleiter menschlicher Intelligenz oder was weiß ich weswegen nachlaufen. Sie werden das verstehen. Meine Frau... Aber wozu erzähle ich Ihnen das.“
„Bitte, erzählen Sie weiter“, ermunterte ihn der Arzt. Aber Dayen ging nicht weiter aus sich heraus; er zog sich wieder in die Reserviertheit zurück, die er für Augenblicke verlassen hatte. Warum er sie verlassen hatte, wusste er genau. Er wusste schließlich, wie er sich selbst analysieren konnte. Das Wort Frau hatte ihn aufgetaut. Er war kein Stein. Er war nur... nun, vielleicht zu intelligent.
Suchend öffnete er die Augen wieder, wobei er sich gleichzeitig ein wenig ärgerte, weil er dem Arzt wie ein versponnener Träumer vorkommen musste. Dr. Jageh hatte, wie schon so oft, Gelegenheit, in diese faszinierenden Augen zu blicken. Wie zwei blaue Sonnen in den Tiefen des Alls funkelte es ihm entgegen, und er verspürte wieder einmal, welche Willenskraft in diesem Menschen steckte, welche Zähigkeit und Ausdauer dieser Mann barg. Die Zwangsruhe und die seit einigen Tagen wieder aufgenommenen Sportübungen hatten Dayens zusammengefallenem Körper die ursprüngliche, sorgsam gezüchtete Sportlergestalt zurück gegeben. Nicht zu breite, aber sehr muskulöse Schultern, die sich unter der dünnen Bettdecke abzeichneten, ließen etwas von der physischen Stärke ahnen, die in ihnen steckte. Er war ein Wirklichkeit gewordenes Modell des noch immer als gültig angesehenen altgriechischen Körperideals: Schließlich musste man den Menschen, die im Leiter der Interstellaren Handelsgesellschaft einen Supermann sehen wollten, auch einen Supermann zeigen.
„Nein“, erwiderte Dayen mit Nachdruck, „Sie sind Arzt und Psychologe und zu meinem Besten bestellt. Aber ich möchte nicht, dass meine Träume seziert, analysiert und ausgewertet werden wie eine Wetterkarte. Wenn ich eine Psychoanalyse brauche, kann ich mir sie selbst verfertigen, obwohl ich zugebe, dass sie dann etwas subjektiv ausfallen wird. Ich weiß natürlich, dass Sie mir nur helfen wollen, Dr. Jageh; mein Standpunkt ist in diesem Fall jedoch, dass dem Menschen etwas bleiben soll, was nur ihm gehört, was er nicht mit anderen teilen muss.
Aber erzählen Sie mir doch etwas. Was raten Sie mir, was ich tun soll, um mich richtig zu erholen, um richtig auszuspannen von dieser ewigen Tretmühle?“
„Das ist, oberflächlich betrachtet, keine schwere Frage. Säße ich an Ihrer Stelle, dann würde ich mir eines dieser schnittigen Interstellar-Schiffe nehmen, einen kleinen Forschungskreuzer oder eine Phantomkugel, und auf Abenteuersuche gehen, auf die Jagd nach dem Glück unter dem Licht ferner, unerforschter Sonnen. Und vielleicht auf die Suche nach einer Lebensgefährtin, die ebenbürtig ist.“
„Aber das kommt für Sie ja nicht in Frage“, setzte er gleich darauf bedauernd hinzu.
Fast traurig schüttelte sein Gegenüber den Kopf. „Sie haben ganz recht: für mich kommt das nicht in Frage. Schließlich bin ich Tes Dayen, der Nachfolger des großen Hannibal Dayen, Vorgänger eines Irgendwie Dayen, und bin Erbe und Sklave der Interstellaren Handelsgesellschaft, des größten Privatunternehmens der bekannten Galaxis und der gesamten menschlichen Geschichte.“
Seine Stimme nahm einen bewusst theatralischen Klang an, während er sich mit der Pose eines Bühnenhelden im Bett aufrichtete: „Ich stehe über einer Stadt mit sechzig Gebäuden, in der einige hunderttausend Menschen fünfzig Robotgehirne mit Daten versorgen, die die Geschicke einer halben Milchstraße berechnen. Und wenn eines dieser Gehirne ausfällt, muss ich, der große Tes Dayen, Supermann aus Prestigegründen, seine koordinierenden Funktionen übernehmen, weil ich zufällig der Mann mit dem größten Intelligenzquotienten bin, den die Menschheit zur Zeit besitzt.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es der Sinn meines Lebens sein soll, mit der Zeit selbst zu einer Denkmaschine zu werden. Was mache ich denn tagaus, tagein anderes, als Berechnungen anzustellen, als Kalkulationen auszuführen, zu denen ein Robotgehirn nicht in der Lage ist, weil sich Gefühle, die immer noch die letztbestimmenden Faktoren aller Lebensbereiche sind, nicht in Form von Schablonen niederlegen lassen?
Denken Sie nur an die Wega-Krise im vergangenen Jahr. Die Rechenmaschine hätte die gelieferten statistischen Daten verarbeitet und wäre untrüglich zu dem Schluss gekommen - wie es ja auch der Fall war -, dass die rebellischen Planeten mit Gewalt befriedet werden müssen. Ich habe mich mit Vertretern der drei Welten zusammengesetzt und sie heimlich getestet. Wissen Sie, was die Ursache der Rebellion war?
Die Leute waren mit der eingeführten Form des irdischen Schulsystems nicht einverstanden. Diese Wesen wuchsen seit Anbeginn ihrer Kultur in einem Erziehungssystem auf, in dem die Eltern die Funktion des Lehrers übernahmen. Und jetzt sollten die Kinder plötzlich alle zusammen, ohne Rücksicht auf noch bestehende Klassenunterschiede, in einem Schulzimmer sitzen? Bei den sozialen Spannungen, die man dabei nicht berücksichtigt hatte, ein Unding.
Solche Vorfälle sind ein Teil meiner Aufgabe. Schön. Eine sehr humane Beschäftigung, nicht wahr? Aber sagen Sie selbst: was für ein Unterschied besteht zwischen einer Maschine, die konkretes Zahlenmaterial verarbeitet, und einer anderen, die mit irrationalen Werten kalkuliert?“
Dr. Jageh spürte nur zu deutlich die Bitterkeit und den versteckten Zynismus in diesen Worten. Er hatte selbst in früheren Jahren Ähnliches durchgemacht. In Dayens Fall konnte auch er mit seinen vielfachen Erkenntnissen nicht helfen. Diese sklavenhafte Abhängigkeit, deren sich der Mann ja voll bewusst war, musste er selbst ausgleichen. Niemand konnte ihn dabei unterstützen.
„Nein, Dok“, unterbrach Dayen seine abirrenden Gedankengänge, „was Sie mir da verschreiben, ist unmöglich. Ich bin der Mann, der mit einem einzigen Befehl ganze Planeten und Rassen wirtschaftlich ruinieren oder zu höchster Blüte bringen kann. Und da soll ich so selbstverständlich ein Raumschiff nehmen und auf Sternenfahrt gehen, wie es jeder junge Mann mit etwas Vermögen tut? Und soll eine Frau heiraten und Kinder haben, die niemals meine Erben werden können, weil die Statuten der Gesellschaft in weiser Voraussicht verlangen, dass nur der Mensch mit dem jeweils höchsten Intelligenzquotienten Leiter der Interstellar werden darf? Was bleibt mir da schon übrig, als zu resignieren.“
Wieder war Stille in dem Raum.
„Lassen Sie mich bitte allein, Doktor.“
Dr. Jageh wollte das Fenster beim Hinausgehen schließen, aber Dayen bat ihn, es offenzulassen. Dann war er allein. Er fühlte sich einsam; und war sich zur gleichen Zeit bewusst, wie seltsam dieses Gefühl auf einen Außenstehenden wirken musste. Aber es tat gut, so zu fühlen. Es erleichterte die Resignation ein wenig. Durch das Fenster wehte eine warme Brise den schweren Geruch der Rosenhecken, die in farbiger Pracht den Garten des Landhauses umgaben. Durch das offene Oval konnte er vereinzelte Zirruswolken sehen, die im dunklen Blau des Himmels schwammen; die untergehende Sonnenscheibe entzündete sie zu einem glühenden Rot. Irgendwo zwitscherte ein verschüchterter Vogel.
„Ach, wie romantisch“, murmelte er grinsend, räkelte sich zu einer bequemen Lage und begann zu dösen. Kurz vor dem Einschlafen huschte noch ein Gedanke wie ein Irrlicht durch seinen Kopf, ein verrückter und doch irgendwie angenehmer Gedanke: Ich würde an Ihrer Stelle ein Schiff nehmen und auf Abenteuersuche gehen; auf die Jagd nach dem Glück unter dem Lichte ferner Sonnen, und vielleicht auf die Suche nach einer Frau...
Und aus dem „Ich würde...“ des Arztes formte seine Sehnsucht ein „Ich werde!“ Wie eine Stahlfeder schnellte sein Körper aus der Beuge, streckte sich zum Zehenstand. Die Rechte stieß weit vor und entließ dann die schimmernde Kugel, gab ihr mit gespreizten Fingern den letzten Schwung. In weitem Bogen flog die Kugel durch die Luft und landete mit einem matten Geräusch in der Sandgrube. Befriedigt dehnte sich Dayen unter den Lichtfluten der Sonne, die als flirrende Scheibe hoch am Firmament stand.
„Bald zwanzig Meter, nicht schlecht!“ rief Dr. Jageh bewundernd. Dayen drehte sich um.
„Hallo, Dok, Sie sind's. Ja, so langsam komme ich wieder in Form. Auch ein Supermann muss etwas für seine Kondition tun. Nur der Hundertmeterlauf... Haben Sie noch niemanden gefunden, der mit mir läuft? Ich möchte gerne an die zehn Sekunden herankommen.“
„Nein, Trainingspartner habe ich noch keinen. Aber etwas anderes!“ Aus einer seiner weiten Manteltaschen fischte der Arzt ein kleines Buch und hielt es Dayen hin, der es erfreut entgegennahm.
»Ah, die Grundlagen des Hyperraumfluges! Wo haben Sie das nur aufgetrieben, ohne dass jemand etwas bemerkt hat? Normale Sterbliche bekommen so etwas doch niemals, nur Raumpiloten und Astrogatoren.“
„Nachdem niemand davon erfahren sollte, musste ich mich ziemlich anstrengen, um es zu bekommen. Aber hier ist es.“
Mit etwas unsicherem Lächeln sagte er weiter: „Eine Frage nur: Warum diese Heimlichtuerei? Und weshalb wollten Sie die Grundlagen überhaupt haben?“
„Ach, nichts Besonderes, ich möchte nur meine Kenntnisse etwas auffrischen. Und es braucht schließlich nicht jeder zu wissen, dass der große Tes Dayen auch nur ein Mensch ist.“
„Der Nimbus des Übermenschen könnte sonst Schaden erleiden“, lachte der Arzt verständnisvoll. Er verabschiedete sich bald und ließ Dayen allein. Der warf nur einen kurzen prüfenden Blick in den letzten Abschnitt des Buches und klappte es, vergnügt pfeifend, zu. Die notwendigen Tabellen mit den Sprungdaten für die Greggnor-Raumschleusen waren glücklicherweise dabei.
Mit einem vielsagenden Grinsen hob er die Kugel auf und trug sie zurück. Er stellte sich, die Grundlagen des Hyperraumfluges in der Linken, in den Reifen, schätzte kurz die Entfernung und ging tief in die Beuge hinunter. Der nächste Stoß lag zwar immer noch unter zwanzig Metern, war sogar schlechter als der von vorhin; aber das bekümmerte Dayen nicht im geringsten.
Vor Dayens Grundstück blieb Dr. Jageh eine Weile grübelnd stehen. Was wollte sein Patient nur mit diesem astronautischen Handbuch? Zu komisch. Dayens Antwort auf seine diesbezügliche Frage war eine Lüge gewesen; das hatte er an seiner, wenn auch nur sehr geringfügigen Unsicherheit erkannt. Er verstand sich auf das Lesen von gut beherrschten Gesichtern; das hatte er von den Chinesen gelernt. Auch Supermann konnte nicht unbemerkt lügen, wenigstens nicht in Gegenwart von jemandem, der ihn seit Jahren so gut kannte und studiert hatte.
Aber warum log er?
Ob es ein Trauma war, ein Überbleibsel jener nervlichen Erschütterung, von der er sich endlich zu erholen begann? Er hatte ihm da neulich eine Idee in den Kopf gesetzt. Deutlich erinnerte sich Dr. Jageh an seine eigenen Worte, die sich, wie das ganze Gespräch damals, unauslöschlich in ihm eingegraben hatten.
„Das ist keine schwierige Frage“, hatte er geantwortet. „Säße ich an Ihrer Stelle, dann würde ich mir eines der schnittigen Interstellar-Schiffe nehmen und auf Abenteuersuche gehen, auf die Jagd nach dem Glück unter dem Licht ferner Sonnen.“
Es konnte doch schlecht möglich sein, dass Dayen, der große Tes Dayen mit einem Intelligenzquotienten von 184, diesen plötzlichen Einfall seines Hausarztes verwirklichen wollte? Immerhin, so ausgeschlossen war das nicht. Er erinnerte sich, vor Jahren auf der Universität einmal eine Sondervorlesung über psychologische Randprobleme gehört zu haben. Da wurde von einem reichen Fabrikanten berichtet, der nach einem schweren nervlichen Schock Familie, Fabrik und gesicherte Existenz im Stich ließ, um zum Zirkus zu gehen. Um seinen unerfüllten Kindertraum, Clown zu werden, zu realisieren. Ein interessanter medizinischer Fall zu jener Zeit, der nun plötzlich eine ganz andere Bedeutung erlangte.
Ihm wurde sehr unwohl bei dem Gedanken, was er mit seiner Bemerkung bei Dayen angerichtet haben mochte! Dieses Wunschbild, zu den Sternen zu fliegen, war natürlich schon immer dagewesen, aber erst seine Bemerkung hatte es gewissermaßen aktiviert, hatte es aus den verschütteten Tiefen des Unbewussten an die Oberfläche des Bewusstseins geholt.
Geistesabwesend kaute Dr. Jageh an einem Zweig herum, den er von Dayens Hecke gerissen hatte.
„Ich werde ihn selbst fragen“, sagte er schließlich zu sich selbst. Er wollte schon die Rufanlage betätigen. Unschlüssig zog er die Hand zurück. Ein solches Wunschbild würde den Heilungsprozess fördern. Auf der anderen Seite konnte es durchaus möglich sein, dass Dayen von diesem Wunschbild wusste und als einzigen Ausweg aus dem psychologischen Dilemma die baldige Verwirklichung ansah. Er traute Dayen eine so weitgehende Selbstanalyse ohne weiteres zu.
Doch wie er den Fall auch drehte und wendete, ihm wurde nur noch unbehaglicher zumute. Er konnte es einfach nicht zulassen, dass Dayen seinen Posten bei der Interstellar im Stich ließ. Er musste diese Flucht vor der Verantwortung verhindern, musste sie aber so verhindern, dass die notwendige Zerstörung des Wunschtraums möglichst wenig Schaden bei dem fast geheilten Patienten anrichtete.
Teufel, Teufel! Ein Rückschlag könnte verheerend sein, noch dazu, wo es nicht ausschließlich um die Person Tes Dayens ging - obwohl die ihm als Arzt in erster Linie wichtig war -, sondern auch um die Geschicke der Interstellar und des irdischen Sternenimperiums.
“Ich werde Raleigh benachrichtigen. Die Direktoren sind unzuverlässig, denn sie werden nichts mehr begrüßen, als ein Verschwinden des Supermanns. Diese Narren“, brummte Dr. Jageh nachdenklich. Die Direktoren würden es dann fertigbringen, das so sorgfältig ausgewogene Reglement der Gesellschaft so weit abzuändern, dass sie selbst mit ihrem weitaus geringeren Intelligenzquotienten die Oberhand bekämen. Unmöglich. Der einzige, dem er vertrauen konnte, war Dayens Privatsekretär. Der würde auch einen Ausweg wissen.
Entschlossen ging er zu seinem Wagen und rief den Sekretär an. Er hatte das Glück, ihn noch im Büro zu erreichen. „Hallo, Doktor!“ grüßte Raleigh vom Bildschirm, „wie geht es unserem Patienten? Ich wollte gerade weggehen. Was bedrückt Sie denn?“
„Ich habe einen Verdacht, der einigen Wind machen dürfte, wenn er bekannt würde. Es ist zwar nicht meine Aufgabe, derlei Dinge zu beurteilen und zu behandeln, aber ich muss diesen Schritt zum Besten meines Patienten unternehmen.“
Ein knapp gehaltener Bericht informierte den immer unruhiger werdenden Sekretär über
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag
Bildmaterialien: vss-verlag
Lektorat: Chris Schilling
Tag der Veröffentlichung: 12.02.2016
ISBN: 978-3-7396-3749-5
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