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Schmökerkiste – Band 16

Albert F. De Bary – Rote Götter – Weiße Banditen

La Salle, Teil 8

1. eBook-Auflage – Oktober 2014

© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung des Originalcovers der Romanheftserie

Lektorat: Hermann Schladt

Albert F. De Bary

 

ROTE GÖTTER - WEISSE BANDITEN

 

 

1


La Salle fieberte vor Unruhe und Nervosität. Er saß in Piqua, der Hauptstadt des weitgespannten Miami-Bundes, und wartete, Er konnte nicht viel anderes tun als warten, und das war ein Zustand, den er von allen Zuständen am wenigsten vertrug.

Wenonga war fort; heute in der Morgenfrühe hatte er sich verabschiedet. Solange Wenonga dort gewesen war, der Häuptling und Blutsfreund, hatte alles anders ausgesehen. Seite an Seite, zu Fuß und zu Pferde und zwischen den schmalen, dünnen Wänden eines Rindenkanus, hatten sie das Land bereist, das blühende, fruchtbare Land zwischen Ohio und Wabasch, und immer wieder hatte der Franzose staunend und ehrfürchtig vor den Wundern gestanden, die die traumhafte Schönheit der Landschaft ihm offenbarte.

Amerika, das war für La Salle bisher Kanada gewesen: die kargen und rauhen Gebiete oberhalb der großen Seenplatte mit ihren düsteren Wäldern, den ragenden Gebirgsketten und den harten Winden, die vom Meere herüberdrangen. Hier nun hatte ein milderes Klima einer üppigeren Vegetation den Boden bereitet; endlose Strecken fetten Weidelandes waren von schimmerndem Blaugras und duftendem Weißklee bewachsen, kleine Flüsse und Bäche schlängelten sich durch die fruchtbaren Prärien, die von lieblichen Ahorn- und Buchenhainen begrenzt wurden. Dunkle Bisons weideten hier; rudelweise zogen Hirsche und Rehe zu den Ufern der Bäche und Seen, an denen die Biber ihre Bauten errichteten; in den Wäldern hauste friedlich der braune Bär; riesige Elche traten gravitätisch und unbekümmert heraus auf die Lichtungen; Schwärme von Wildgänsen, Enten und Rebhühnern waren hier zuhause, und in den Zweigen der hohen Bäume turnten die Eichhörnchen.

Stolz hatte Wenonga den weißen Freund durch das Land seiner Väter geführt. La Salle, der Eroberer, der ausgezogen war, zum Ruhme seines Königs neues, unerforschtes Land zu erschließen, aber hatte nicht nur die paradiesische Landschaft wahrgenommen, er hatte auch gesehen, dass hier ein großes, sinnvoll gegliedertes Volk nach selbst gegebenen Gesetzen lebte; er hatte die kraftvollen Männer, die anmutigen Frauen und Mädchen gesehen, hatte mit vielen Kriegs- und Friedenshäuptlingen gesprochen, die kunstvoll angelegten Befestigungen der Dörfer und Städte studiert und war bei alledem sehr nachdenklich geworden.

Er war in Wenongas Begleitung überall mit großer Höflichkeit und Gastfreundschaft empfangen worden; viele der Häuptlinge, die meisten der Krieger und alle Frauen und Kinder hatten bisher nie einen weißen Mann zu Gesicht bekommen, aber fast alle hatten sie schon von den fremden Männern im Norden und Osten gehört, die tötenden Blitz und Donner in langen und kurzen Rohren mit sich trugen und über Waffen, Werkzeuge und Geräte verfügten, die sie nie erblickten. In die heimliche Bewunderung und die fast scheue Ehrfurcht, die sich in den Blicken der roten Männer und Frauen ausdrückte, mischte sich aber nicht selten auch Besorgnis und Misstrauen. Es war bekannt, dass die Weißen oberhalb der Seen seit langem mit den Huronen und den verhassten Irokesen Tauschhandel trieben und feste Verträge mit ihnen geschlossen hatten, Hier und da hatte dieses Misstrauen den Charakter eisiger Reserve und kaum noch verhüllter Feindschaft angenommen.

Diese Indianer, das hatte La Salle sehr bald heraus, lebten seit vielen Jahrhunderten in festen Ordnungen; sie waren tief verwurzelt in ihren Sitten und Gebräuchen und hegten eine natürliche Abneigung gegen jede Veränderung und gegen alles Fremde, Neue und Ungewöhnliche. Sie waren zudem mit einem sehr wachen und hellen Instinkt ausgerüstet, der sie Gefahren frühzeitig wittern ließ. Sie hatten ja auch immer wieder die räuberischen Überfälle wilder und nomadisierender Stämme abzuwehren, und immer wieder in kürzeren oder längeren Abständen rief die Stammespolitik die jungen, waffengeübten Männer zu Kriegszügen auf.

La Salle lebte lange genug in Amerika und hatte genug von den Sitten und dem Wesen der Eingeborenen kennengelernt, um das Verhalten eines Indianers ihm gegenüber richtig zu deuten. Er war auf den langen Ritten und Kanufahrten an Wenongas Seite immer schweigsamer geworden, und auch der Miamihäuptling hatte oft stundenlang vor sich hin gebrütet, ohne dass von seinem steinernen Gesicht irgendeine Bewegung abzulesen gewesen wäre.

Übrigens hatte keiner der Kriegs- und Friedenshäuptlinge ein Wort des Misstrauens oder des Zweifels geäußert. Dafür strahlte der Ruhmesstern des jungen Häuptlings zu hell: Er hatte mit wenigen Kriegern und mit der Hilfe seines weißen Freundes die räuberischen Seneca gezüchtigt, er hatte nicht Ruhe gegeben, bis der Skalp des blutrünstigen Gi-eng-watha an seinem Gürtel hing; er hatte einen zweiten Seneca-Häuptling in seinem eigenen Zelt inmitten seiner Krieger getötet. Und er rüstete bereits zu einem neuen Kriegszug, um die noch an den Grenzen des Stammesgebietes streifenden, raubenden, sengenden und mordenden Irokesenhorden endgültig zu vernichten. Nein, Wenonga stand über jedem Verdacht. Aber war es unbedingt nötig, dass er die fremden weißen Männer ins Land brachte? Was wollten diese Weißen? Was wollte dieser Mann mit den großen kühlen Augen, die manchmal so zwingend und gefährlich aufleuchten konnten, dass man Mühe hatte, seinem Blick standzuhalten?

„Er ist weise und klug und sicherlich sehr groß, obgleich nur von kleiner Gestalt“, hatte Wakon-taka, der Ehrwürdige, der wie ein König verehrte oberste Sagamore, der gewählte Führer des großen Miami-Bundes, zu Wenonga gesagt, nachdem er den dringenden Bitten des jungen Kriegshäuptlings nachgegeben hatte und dem weißen Mann mit einem Gefolge von fünfhundert Kriegern entgegen geritten war, um ihn nach Piqua zu geleiten. „Er ist sicherlich würdig, dein Freund zu heißen, aber kennt mein junger Bruder die letzten Gedanken hinter seiner Stirn? Was will er von den roten Leuten? Warum kommt er in ihr Land? Wakon-taka lebt lange genug unter der Sonne Manitous, es ist viel an sein Ohr gedrungen, von dem mein junger Bruder nichts ahnt. Nana-bosch hat seinen roten Kindern das Land gegeben, den Wald und die Flüsse und die Prärie. Es ist geweissagt seit langer Zeit, dass Männer anderer Farbe kommen werden, die Blitz und Donner in ihren Händen tragen und großes Leid über die roten Kinder bringen. Mein junger Bruder ist klug und weiser als sein Alter, aber er mag auf der Hut sein.“

Wenonga hatte dieser Rede nicht viel zu entgegnen vermocht. Der rote Krieger schweigt, wenn ein älterer Häuptling redet, nun gar, wenn dieser Häuptling der sehr alte, hochverehrte Sachem des ganzen Stammesbundes ist. Er hatte auch mit La Salle über diese Dinge gesprochen, denn jedes Wort in dieser Richtung wäre ihm wie ein Zweifel an der Gesinnung des in Kampf und Not bewährten Mannes erschienen. Alles, was er vernahm, bestärkte ihn nur in seinem Willen und seiner Entschlossenheit, dem weißen Freunde zur Seite zu stehen und dem hier und da aufkommenden Misstrauen mit der starken Autorität seines jungen Kriegsruhmes entgegenzuwirken.

Aber nun hatte er fort gemusst. Zwar, er fürchtete Hia-hiatha und Teharon, die Anführer der in der Nähe herumstreifenden Seneca, nicht; die rund zweihundertfünfzig Krieger, über die die Häuptlinge gebieten mochten, bildeten auch keine ernsthafte Gefahr; sie würden sich hüten, in das eigentlich Miami-Gebiet vorzudringen, wohl aber vermochten sie an den Grenzen durch plötzliche Überfälle auf kleinere Dörfer ungeheuren Schaden anzurichten, und tatsächlich hatten sich denn auch von Tag zu Tag die Meldungen von solchen Überfällen gehäuft. In allen diesen Fällen hatten die Seneca in bekannter Manier wie blutrünstige Teufel gehaust, hatten weder Greise noch Frauen und Kinder verschont und überall wo sie auftauchten, eine brandrote, blutige Spur hinter sich gelassen.

Wenonga machte sich überhaupt schon Vorwürfe, zulange gezögert zu haben, doch da er sich dem Gegner von vornherein weit überlegen wusste und sicher war, dass die Seneca ihm nicht entgehen konnten, hatte er es für seine Pflicht gehalten, zunächst seinem weißen Freunde das Land seiner Väter zu zeigen, ihn überall einzuführen und ihm auf solche Weise den Boden m bereiten.

Schließlich hatte er aber nicht länger zögern können, zumal La Salle selbst das größte Interesse daran hatte, die Miamikrieger ausziehen zu lassen. Denn La Salle wartete nun schon lange und schmerzlich auf die Soldaten und Materialien, die Hauptmann Brulart ihm von Fort Niagara senden sollte. Die Leute, die, wie er wusste, durch den ihm wohlbekannten Hauptmann Tonty geführt wurden, waren seit langem überfällig, und die Vermutung, sie möchten in einen Seneca-Hinterhalt gefallen sein, lag nahe. La Salle aber wartete fieberhaft auf die Männer und die Waren, die sie mitbringen sollten. Seine Mittel und Möglichkeiten waren erschöpft, die vorhandenen Vorräte aufgebraucht; die Waldläufer, mit denen er auf die Reise gegangen war, hatten sich zu einem Großteil als eine Horde von Strauchdieben entpuppt. Paul Caron, der als Diener des Monsieur Charles Denon mit auf die Reise gegangen war, hatte sich als vermutlich gedungener Verbrecher erwiesen, er hatte einige Morde auf sein Gewissen geladen und wahrscheinlich auch bei der Entführung des Frachtschiffes „Greif“ seine Hand im Spiele gehabt. Und als La Salle den Burschen schließlich seiner Schandtaten überführt, ihn eingefangen und nach dem Gesetz der Wildnis zum Tode verurteilt hatte, war gelegentlich der vorgesehenen Hinrichtung eine offene Rebellion ausgebrochen,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: bookworm by vss
Bildmaterialien: bookworm by vss
Lektorat: Hermann Schladt
Tag der Veröffentlichung: 02.10.2014
ISBN: 978-3-7368-4437-7

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