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Der vergessene Friedhof

 

Saramee - Stadt der Vertriebenen

 

Der vergessene Friedhof

Autor: Markus K. Korb

Einleitung – Die Natter

Einleitung – Die Natter

Christoph Weidler


Schwer lag die schwülwarme Luft über der Stadt. Die Regenzeit hatte in Saramee begonnen und die Bewohner der Stadt lagen regungslos in ihren mit Netzen verhangenen Betten und Hängematten, um den stechenden Koris zu entgehen. Wie jedes Jahr verwandelte der wochenlang anhaltende Dauerregen die Straßen und Gassen von Saramee in einen breiigen Fluss voll von mit Unrat durchsetztem Matsch und nassem Lehm. Man verließ in diesen Wochen nur widerwillig seine heimischen Wände.


* * *


»Nun mach schon«. Die Natter schaute angestrengt aus ihrem Versteck auf dem Dach in das von Kerzen erleuchtete Fenster während ihr der Regen in Strömen über die aufgeweichte Kleidung lief.

Die Gestalt in der gegenüberliegenden Wohnung sortierte Dokumente auf einem Tisch und schlurfte in Richtung des in der Ecke stehenden Bettes.

»Nun komm endlich, du gehst doch sonst auch so früh zu Bett«, murmelte die Natter leise vor sich hin.

Die Gestalt nahm eine brennende Kerze vom Tisch und zündete damit die andere an, die auf dem Nachttisch stand. Anschließend wanderte die Gestalt durch den Raum und löschte eine Lichtquelle nach der anderen. Das Licht im Raum verblasste und die Natter konnte nur noch schemenhaft erkennen was sich in dem gegenüberliegenden Raum abspielte.

Fluchend wischte sich die Natter erfolglos das ständig nachfließende Regenwasser aus dem Gesicht.

Die Gestalt im Haus gegenüber ging zurück zum Nachttisch, schenkte sich aus der dort stehenden Karaffe ein Glas Wasser ein. Nach den ersten Schlücken griff sie sich plötzlich krampfhaft an den Hals und brach zusammen.

»Na endlich, ich dachte schon du hättest deine Gewohnheiten geändert«, schmunzelte die Natter. Sie war beruhigt. Ihr kleiner Einbruch war nicht aufgefallen und der Auftrag erfüllt. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten hatte sie dieses Mal keinen abgeschnittenen Schlangenkopf zurückgelassen, da der Auftraggeber wollte, dass es wie ein natürlicher Tod aussah.

Die Natter zuckte mit den Schultern. Was soll’s. Ich werde dafür gut bezahlt, und ganz Saramee wird nun den Tod des Händlers Locir auf sein kränkelndes Herz zurückführen, dessen Schwäche allgemein bekannt ist. Hauptsache ein zufriedener Auftraggeber. Leise über den lästigen Dauerregen schimpfend blickte die Natter in den dunklen Himmel, packte ihre Sachen zusammen und verließ den ungemütlichen Beobachtungsposten.


* * *


Unaufhörlich fiel der Regen auf die durchweichten Straßen von Saramee. Eine vermummte Gestalt kämpfte sich durch die Dunkelheit voran und versuchte die halbwegs trockenen Stellen des Weges zu erreichen.

»Was für ein verdammtes Wetter«, murmelte Morgan vor sich hin. »Aber nur noch wenige Wochen, dann ist auch diese Regenzeit vorbei und jeder wird wieder über die tropische Hitze jammern. Doch ich lasse mir davon diesen Abend nicht verderben. Silja ist heute Nacht bei der Schwester meiner verstorbenen Frau, und ich habe einen Abend für mich!«

Morgan war froh, dass seine Tochter Silja sich mittlerweile so gut mit Etelka und ihren Kindern verstand. Seit dem Tod ihrer Mutter war sie sehr zurückgezogen gewesen.

Nach wenigen Schritten hatte Morgan sein Ziel erreicht und öffnete die Tür der Taverne »Nasse Feder«. Im Inneren schlug ihm die abgestandene und feuchtwarme Luft entgegen.

Morgan zog seinen tropfenden Umhang aus, warf ihn über den Arm und ging auf den Tresen zu, wo Selvo Turan, der Wirt der »Nassen Feder«, gelangweilt die Krüge polierte.


* * *


»Und ich sage euch, die Natter ist entweder ein Söldner oder jemand aus der Schattengilde. Nur jemand, der das Töten gelernt hat, kann die Natter sein!« tönte es Morgan vom nahe gelegenen Tisch entgegen. Neugierig schaute er über die Schulter und entdeckte neben Kara dem Geschichtenerzähler noch zwei Söldner, die sich lautstark unterhielten.

»Nein, die Natter ist jemand, der völlig unauffällig in Saramee lebt. Jemand, bei dem man nicht damit rechnet, dass er diesem Gewerbe nachgeht. Nur so konnte sie bisher unentdeckt bleiben!«, meinte Kara.

Beide Söldner am Tisch starrten den Geschichtenerzähler ungläubig an.

»Das glaube ich nicht. Dann doch eher ein Söldner oder einer der Schattengilde. Aber wer? Was meinst du, Grego?«, meinte der links sitzende Söldner und schaute seinen Partner fragend an.

»Kronn?«, mutmaßte Grego unsicher.

»Niemals! Kronn ist ein heruntergekommener Abenteurer, der seine Zeit in Tavernen, beim Spiel oder auf Schatzsuche verbringt. Er ist niemals die Natter! Lächerlich!« Gregos Partner schaute erwartungsvoll zu Kara.

Morgan blickte erstaunt zu Selvo. »Was ist denn hier los?«

»Ach, seit die Natter ihr Unwesen in Saramee treibt, versucht jeder die wahre Identität des Mörders zu ergründen.«

»Es ist schon seltsam, dass die Söldner des Stadtrats ihm bisher noch nicht auf die Spur gekommen sind. Sie rühmen sich doch sonst bei jeder Gelegenheit, so tüchtig zu sein. Es würde mich nicht wundern, wenn die Natter einer von ihnen ist. Selvo, sei so nett und schenke mir ein Krug Wetah ein. Es war ein langer und anstrengender Tag.«

Während er auf sein Wetah wartete, lauschte Morgan neugierig den neuesten Spekulationen über den geheimnisvollen Mörder, der seit einiger Zeit scheinbar planlos sein Unwesen in Saramee trieb.


* * *


Kara nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug. »Ihr denkt. Kronn ist ein heruntergekommener Abenteurer? Ich denke zwar auch nicht, dass Kronn die Natter ist, aber ihr scheint absolut nichts über Kronn, den Söldner, zu wissen! In Wirklichkeit steckt viel mehr in Kronn als ihr ahnt. Damals, als er den vergessenen Friedhof im Dschungel entdeckte ...«

Ein Fressen für die Fische

Ein Fressen für die Fische

Markus K. Korb


Als Kronn von der Planke gestoßen wurde und mit hinter dem Rücken gefesselten Händen hinabfiel, wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass ihm die letzte Stunde geschlagen hatte. Das Klirren von Eisengliedern erinnerte ihn während des Fallens daran, dass an seinen Füßen eine Kette befestigt war. Am anderen Ende der Kette hing sein bester Freund Kaschemm. Blutüberströmt und mit weit aufgerissenen Augen. Kaschemm war tot.

Dann klatschten beide auf der Wasseroberfläche auf und Kronn versank wie ein Stein in den Fluten des Meeres.

Das Johlen der Piraten drang nur schwach von oben zu ihm durch. Luftblasen wirbelten um Kronn herum und strebten der Oberfläche zu. Sein blondes Haar wurde von der Strömung hin- und hergerissen. Obwohl Kronn seine muskelbepackten Arme bis zum Zerreißen anspannte, konnte er die Fesseln nicht sprengen.

Während der Söldner tiefer und tiefer sank, durchzuckten ihn die Erinnerungen …


* * *


Es war ein gewöhnlicher Tag auf See gewesen. Die Meeresoberfläche war ruhig, geradezu einladend. Die Matrosen hingen an der Reling und dösten vor sich hin. Selbst der Kapitän, ein vierschrötiger Geselle mit nur einem Auge und einer Stahlklaue, gönnte sich ein Nickerchen in der Kajüte. Der Bootsmann saß unter Deck und war in ein Kartenspiel mit dem Koch vertieft. Die Kriegskaravelle Safir kreuzte in Sichtweite der zerklüfteten Steilküste verschiedene Wegpunkte ab, welche von Saramees Stadtvorderen festgeschrieben worden waren. Schon lange hatten die Piraten die Gewässer unsicher gemacht und in Saramee ging die Angst um, dass die eh schon durch ihre Lage zum Landesinneren hin abgeschlossene Stadt, auf Grund der Piratenaktivitäten auch von See her bald isoliert sein würde. Die Stadtvorderen konnten dies nicht zulassen. Dies wäre das Ende von Saramee, dieser Grenzstadt voller Abenteurer, Dirnen und anderen gestrauchelten Existenzen.

Die Söldner saßen auf dem Deck, polierten ihre Krummschwerter und Kriegsäxte, während sich das Piratenschiff unbemerkt näherte. Kronn entdeckte es als erster. Es musste hinter einer Landzunge hervorgekommen sein. Anders wäre es den Piraten nicht gelungen, die Kriegskaravelle zu überraschen. Kronn sprang auf und gab Alarm. Sofort stürmten alle Söldner zusammen und bildeten eine Linie an der Reling. Die Matrosen verfielen in hektische Betriebsamkeit, waren aber ohne Kapitän und Bootsmann unfähig zu einer gezielten Reaktion. Je näher das feindliche Schiff kam, desto mehr Einzelheiten erkannte Kronn. Es war ein kleines, wendiges Schiff, eher ein umgerüstetes Fischerboot mit Fischbeinschilden an den Seiten. Lange Ruder stießen ins Wasser, wühlten es auf, zogen das Schiff näher und näher heran.

Als Kapitän und Bootsmann an Deck erschien, hatte Kronn schon die Schlachtordnung der Söldner aufgestellt und erwartete mit gebleckten Zähnen und vorgeschobenem Kinn den Angriff der Piraten, die nur noch wenige Schiffbreiten entfernt waren.

Ehe der Kapitän begriff, was vor sich ging, lief das Piratenschiff längsseits und ein Schwarm von Enterhaken flog durch die Luft. Nicht alle konnten die Söldner zurückwerfen und an jenen, die sich in Takelage und Segeln verfingen, hangelten sich die Piraten mit quer im Mund geführten Messern herüber.

Die Piraten waren in der Überzahl und selbst die furchtlosen Söldner vermochten nicht gegen die schiere Masse anzukommen. Einer nach dem anderen fiel unter den Hieben der Gesetzlosen, bis nur noch Kaschemm und Kronn übrig blieben.

Sie kämpften Rücken an Rücken. Verbissen, gewitzt und hart. Aber plötzlich fühlte Kronn nicht mehr den Rücken von Kaschemm an seinem eigenen und drehte sich um. Zu seinen Füßen lag der Söldnerfreund in seinem eigenen Blut, das sich auf den Planken mit der vergossenen Röte der restlichen Besatzung vermischte.

»Gib nicht auf! Es sind nicht mehr allzu viele übrig!«, keuchte Kaschemm und stieß mit letzter Kraft einem heranstürmenden Piraten sein Schwert in den Bauch. Dann verschied Kaschemm und Kronn blieb allein zurück.

»NEIN!«, brüllte der Söldner und hieb wutentbrannt um sich. Seine Kriegsaxt wirbelte in einem zerstörerischen Kreis durch die Piraten, zerteilte deren Fleisch und legte Knochen frei. Irgendwann ließ der Blutrausch in Kronn nach und einer der Feinde schlug ihm mit der Breitseite eines Krummsäbels über den Kopf, so dass Kronn schwer auf die Knie sank und seine Axt ihm aus den Händen glitt.

Der Pirat holte weit aus und wollte eben seinen Säbel zu einem Enthauptungsschlag führen, als etwas Unerwartetes geschah.

»Haltet ein!«, erscholl eine Stimme über den Kampfeslärm hinweg, der sofort erstarb.

Kronn blinzelte. Blut verklebte seine Augenlider und trübte seine Sicht. Verschwommen nahm er einen Bär von Mann wahr, der vor ihn hintrat.

»Dieser hier soll unserem Vergnügen dienen!«, polterte dessen Stimme.

Kronn holte tief Luft.

»Verflucht sollst du sein, Pirat! Töte mich endlich, so wie du meine Kameraden und Freunde umgebracht hast! Warum zögerst du?«

Der Pirat ging in die Hocke. Offensichtlich war er der Anführer der Gesetzlosen. Sein Bart stank nach tagealtem Essen und im Atem schwang der Geruch fauliger Zähne mit.

»Oho - Ein Held!«

Lachen und Johlen der Piraten folgten diesen Worten.

»Du willst also zusammen mit deinem Freund hier sterben?« Das bärtige Gesicht blickte auf Kaschemm, der mit weit aufgerissenen Augen neben Kronn lag. Kaschemms Blick war gebrochen.

Kronn nickte.

»So sei es! Kettet sie zusammen und bindet dem Helden die Arme hinter den Rücken!«, sprach der Piratenkapitän.

Die Menge johlte vor Freude. Offensichtlich wussten sie schon, welches Schauspiel sie erwartete.

»Und bringt mir eine Planke für die beiden!« lachte der bärtige Pirat, während er sich aufrichtete …


* * *


Kronns Lungen brannten. Um ihn herum herrschte das wechselhafte Zwielicht des Meeres. Auf einmal war ihm, als könne er unter sich einen schattenhaften Punkt erkennen, der rasch größer wurde.

Je tiefer Kronn sank, desto deutlicher sah er den Punkt sich zu einem Kreis ausweiten, bis der Söldner auf gleicher Höhe mit dem Objekt war und erstaunt feststellte, dass es sich dabei um ein Korbgeflecht handelte, das auf einem dicken Rundbalken aufgeflanscht war, der in die Tiefe hinabreichte.

Ein Krähennest!, durchzuckte es ihn.

Kronn sank am Mast eines versunkenen Schiffes entlang. Weit unten war ein breiter Schatten zu sehen - ein Schiffswrack, das mit salzgefüllten Lungen und leeren Augen in die ewige Finsternis starrte.

Der Söldner spürte schmerzhaft das Gewicht seines toten Freundes an den Beinen zerren, je länger er sank. Er brauchte Luft, und zwar schnell.

Wie war das möglich, dass hier ein Schiff lag? Es musste eine Sandbank geben, worauf das Wrack ruhte. Kronn blickte nach oben und schätzte die Meeresoberfläche auf gut und gerne zehn Faden über sich, was ungewöhnlich wenig war.

Endlich fühlte der Söldner, wie der Zug an seinen Beinen nachließ. Mit einem Blick nach unten erkannte er, dass die Kaschemms Leiche auf dem Grund angekommen war und flach auf dem Sand zum Liegen kam. Kronn schwebte neben dem Schiffsrumpf, der als riesiger Schatten vor ihm aufragte.

Es war eine Karavelle unbekannter Bauart. Ihre Ausmaße waren ungewohnt groß. Viel zu groß, als dass sie von sarameeschen Schiffsbauern stammen konnte. Selbst die wuchtigen Handelskaravellen von anderen ihm bekannten Städten und Inseln kamen nicht als Vergleich in Betracht.

Das Wrack musste unvergleichlich alt sein, denn ein Algenteppich hing in wilden Wucherungen über die Reling und wogte in der Strömung. Der Rumpf war mit Muscheln und Korallen übersät. Kronn schwebte dicht an die krustige Oberfläche des Schiffes heran und suchte nach einem Hilfsmittel, mit dem er seine Fesseln lösen konnte.

Er fand die Schnittermuschelkolonie verborgen unter Seegrasbärten. Er drehte sich so schnell es seine Muskeln zuließen mit dem Rücken gegen die Muschelkolonie, deren Schalen scharf wie Messer waren und begann seine Handfesseln daran zu reiben.

Nach und nach spürte er, wie sich die Fasern des Seils

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: vss-verlag
Bildmaterialien: vss-verlag
Tag der Veröffentlichung: 09.07.2014
ISBN: 978-3-7368-2465-2

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