Schmökerkiste – Band 12
Albert F. De Bary – Auf der Spur des Bluträchers
La Salle, Teil 4
1. eBook-Auflage – Juni 2014
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Armin Bappert unter Verwendung des Originalcovers der Romanheftserie
Lektorat: Hermann Schladt
Albert F. De Bary
AUF DER SPUR DES BLUTRÄCHERS
Die Büsche im Hintergrund teilten sich in eben dem Augenblick, da der Fellvorhang vor der letzten der sechs etwa mannshohen, kegelförmigen Hütten am Waldrand von innen auseinander geschoben wurde und die schlanke, geschmeidige Gestalt eines Indianers ins Freie trat. Die Blicke des keineswegs großen, fast schmächtig wirkenden Mannes gingen aus dunklen Augen schweifend in die Hunde, sie streiften auch das Gebüsch, dessen Zweige sich eben noch bewegt hatten, die aber nun schon wieder in Ruhe und Gleichmaß verharrten, nur dass der frische Wind, der von Südwesten herüber strich, das Blattwerk leise erzittern ließ. Noch war die Sonne nicht erwacht, aber ihre rosaroten Strahlenbündel schossen schon hinter den östlichen Wäldern auf und tauchten den Horizont in das sanfte Licht der ersten Dämmerung, die einen strahlenden Tag verhieß.
Das Buschwerk, dessen Zweige sich für Sekundenspanne bewegt hatten, war noch ganz in die kühle Düsternis der Nacht getaucht; seine breiten Schatten verschluckten jede Einzelheit; der Mann,, der hier eben noch gestanden hatte und der inzwisdien unhörbar und ungesehen zurückgetreten war in das schirmende Dickicht, hätte wohl ruhig stehenbleiben können, ohne befürchten zu müssen, von dem anderen, der jetzt mit zum Himmel gereckten Händen vor der Rindenhütte stand, gesehen zu werden. Doch er blieb in der Deckung, und nur seine Augen folgten mit ruhiger Aufmerksamkeit den Bewegungen des Mannes vor der Hütte.
Der ging jetzt mit gleitenden Schritten und wiegenden Bewegungen zum Seeufer hinunter, vorbei an den anderen Hütten und an dem dunklen, klobigen Block eines hastig und primitiv zusammen geschlagenen Holzhauses, das seiner ganzen Bauart nach wohl nur zu vorübergehendem Aufenthalt dienen und gegen die Unbilden der Witterung einigen Schutz gewähren sollte.
Er war eben an dem Hause vorüber und hinter den weiß schimmernden Stämmen einiger Birken verschwunden, als die Tür des Blockhauses geöffnet wurde und ein großer, hagerer Mann heraus auf die kleine Lichtung trat. Der Mann, ein Weißer, trug eine eng anliegende, in Material und Schnitt der Wildnis angepaßte, gleichwohl hier in der Freiheit der Wälder ungewöhnlich wirkende Kleidung. Waldläufer, Jäger und Fallensteller pflegten sich zu jener Zeit im amerikanischen Urwald ihre Kleidung noch weitgehend selber aus Fellen und Häuten zu verfertigen, allenfalls trugen sie Wämse und Beinkleider aus rauhen Tüchern. Der aus dunklem, schmiegsamem Leder gefertigte Anzug des, hageren Mannes, der sieh jetzt, vor der Tür des primitiven Blockhauses stehend, fröstelnd die Hände rieb und die Beine vertrat, die Nachtkälte aus den Gliedern zu treibenv schien eigens iür die Wildnis in einem städtischen Schneideratelier gefertigt. Und die beiden Pistolen, sowie das Messer mit dem Hirschhorngriff, die in seinem Gürtel steckten, verrieten die Arbeit eines erstklassigen Waffenschmiedes.
Der Mann gähnte und fuhr sich dabei mit der Hand vor den Mund, ganz so, als befände er sich nicht in dämmernder Morgenfrühe im einsamen Wald, eine halbe Meile hinter den östlichen Ausläufern des jungfräulichen Eriesees, sondern in einem städtischen Salon, oder doch wenigstens in der unmittelbaren Nachbarschaft der Zivilisation. Alles an dem Mann wirkte hager, auch das leicht gebräunte, länglich geschnittene Gesicht mit den unruhigen Augen, der schmalen Nase und dem kleinen gepflegten schwarzen Spitzbart. Es war ein glattes, aber charakteristisches Gesicht, dem man anmerkte, dass sein Träger gewöhnt war, seine Züge zu beherrschen.
Der Mann schloß die Tür hinter sich, leise und behutsam, als wünsche er etwaige Schläfer dahinter nicht zu wecken, sah sich mit flüchtigen Blicken um und huschte an den Rindenhütten entlang bis zu der dritten, deren Eingangsfell er zurückschlug. Er betrat sie nicht, steckte vielmehr nur den Kopf hinein und raunte einen Namen, um gleich darauf wieder zurückzutreten und, ungeduldig, wie es schien, vielleicht aber auch nur, um das Blut in seinen Adern zu beleben, mit den Füßen den Boden zu stampfen.
Sein Blick streifte dabei auch das Gebüsch jenseits der Lichtung, und hätte er die Augen des Luchses gehabt, dann wäre Ihm vielleicht trotz der dort herrschenden Dunkelheit das Gesicht des roten Mannes nicht entgangen, dessen Augen jeder seiner Bewegungen aufmerksam folgten.
Es verging kaum eine Minute, da wurde das Fell der Hütte von innen zurückgenommen und ein kleinerer, kräftigerer Mann, gleichfalls ein Weißer, trat heraus. Seinem Äußeren nach war dieser Mann auf den ersten Bück freilich kaum von einem Indianer zu unterscheiden, bis auf das ziemlich verwilderte dunkle Haar allerdings, das europäischen Schnitt aufwies und mit einer kleinen Fellmütze bedeckt war, Der Mann trug auch wie ein Indianer einen kleinen Bogen über der Schulter, in der Art, wie die Algonkinvölker ihn verwendeten, und Köcher mit Pfeilen, Messer und Tomahawk am GürteL In der Hand hielt er eine lange Büchse. Der Tomahawk unterschied sich freilich erheblich von den Obsidianbeilen der Indianer; es war dies eine richtige Metallaxt mit glänzender Schneide und kurzem, federndem Stiel. Aus der Hütte heraustretend, warf der Mann die Büchse samt Kugelbeutel und Pulverhorn über die Schulter.
„Komm“, raunte der Hagere und schritt an den weiteren Hütten vorbei auf eben das Dickicht zu, aus dem zwei glühende Augen die Szene beobachteten. „Ich habe verschlafen; es ist schon spät, in einer halben Stunde ist die Sonne hoch, und wir dürfen keinen Verdacht erwecken, Waren ohnehin schon zu unvorsichtig.“
„Augenblick“, knurrte der andere und verhielt vor der vorletzten Hütte den Schritt. Er wies mit der Hand auf zwei dunkle Flecke am Boden, links und rechts vom Eingang. „Nun seht Euch das an“, raunte er, „da schlafen sie, die Bestien. Haben zu viel Blut gesoffen in letzter Zeit, das hat sie faul gemacht. Soll ich ihnen den Schädel einschlagen?“
„Dass dich der Teufel hole", zischte der andere. „Das brächte uns . . .“ - er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern sprang unwillkürlich einen Schritt zurück und unterdrückte einen Fluch. „Schätze, der Versuch wäre dir schlecht bekommen“, knurrte er.
Die dunklen Flecke vor der Hütte waren in Bewegung geraten, hatten sich beträchtlich vergrößert, Form und Gestalt angenommen und erwiesen sich als zwei riesige, kohlschwarze Doggen, die — ein teuflisches Naturspiel — zwei kleine weiße Flecken unmittelbar über den Augen hatten. Das sah man im Augenblick nicht genau, aber es war auch nicht nötig, der Anblick der aufgerichteten Tierleiber genügte völlig, um einem unvorbereiteten Menschen Schauer über den Rücken zu jagen. Die Tiere knurrten bedrohlich, öffneten die Rachen und zeigten zwei wahre Raubtiergebisse.
„Mort! Diable! Platz!“ zischte der Mann in der indianischen Tracht. „Fehlt noch, dass die Biester jetzt zu heulen begännen!“ Aber die Doggen heulten nicht, sie hockten halbaufgerichtet, sprungbereit sozusagen, und ließen nur ein leises, bedrohliches Knurren vernehmen. Es war augenscheinlich: sie mochten die beiden Männer nicht, sie wären ihnen am liebsten an die Kehlen gesprungen, aber sie wagten es nicht; ein höherer Wille, der in ihren Köpfen regierte, hinderte sie daran. Doch erhoben sie sich jetzt ganz und machten Anstalten, witternd hinter den beiden Männern herzuschleichen, die sich umgewandt hatten und auf das Buschdickicht im Osten zuschritten. Der indianisch Gekleidete mochte wohl die besseren Ohren haben oder den besseren Instinkt; er drehte sich plötzlich um und sah die Doggen hinter sich. „Zurück!“ befahl er, mit der Hand weisend, „wollt ihr wohl, Bestien! Soll ich euch Beine machen!“ Seine Hand tastete nach Messer und Tomahawk. Die Tiere sahen ihn aus blutunterlaufenen Augen an, nackter Haß stand in ihren Blicken, aber sie gehorchten und schlichen zurück, um sich an ihrem alten Platz wieder niederzulassen.
„Sonderbar“, sagte der Mann, „Anhänglichkeit ist es wahrhaftig nicht, was die Hunde uns folgen ließ. Die Bestien wittern etwas, sie hätten sich sonst nicht von der Stelle gerührt. Sollte irgend etwas nicht stimmen?“ Er schnupperte in die Luft, als vermöchte auch er Gefahren zu riechen wie ein Hund. „Übrigens bringe ich sie doch noch um“, knirschte er, „aber Ihr habt recht das muss auf andere Weise geschehen. Die Gelegenheit wird sich schon finden. Aber nun sagt, warum jagt Ihr mich so früh heraus? Ist Euer Jagdehrgeiz erwacht? Soll ich Euch zeigen, wie man den Elch schießt oder Puma und Luchs belauert?“
„Halt den Mund!“ wies der Hagere ihn schrqff zurecht, und sein Ton ließ darauf schließen, dass der Kleinere zu ihm in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis stand, „ich sagte dir gestern abend, dass ich dich sprechen muss und zwar sofort und allein, ohne dass uns von irgendwoher ein paar misstrauische Augen folgen. Laß uns hier hinter das Buschwerk gehen, ein Stück in den Wald meinetwegen, und das schnell, denn die Zeit schreitet vor, und wenn die Leute erwachen, soll wenigstens einer von uns wieder zurück sein.“
Dass sie, während er dies sprach, unentwegt von zwei lauernden Augen verfolgt wurden, ahnte der Hagere gewiß nicht; der andere, durch das Benehmen der Hunde etwas beunruhigt, war immerhin misstrauisch- Aber auch er gewahrte nichts von dem Indianer, der eben noch an der gleichen
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Lektorat: Hermann Schladt
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2014
ISBN: 978-3-7368-1602-2