Cover


Amazing SF – Band 2
Hermann Schladt (Hrsg.) – Loving Aliens
Anthologie zum gleichnamigen Storywettbewerb des vss-verlag
1. eBook-Auflage – Juni 2012
© vss-verlag Hermann Schladt

Titelbild: Armin Bappert
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de

Hermann Schladt (Hrsg.)

Loving Aliens


Inhaltsverzeichnis


Chris Lind Die Liebe einer Rugatara
Robert Herbig Faa-Ruff
Raphael Grascher Das Reisende
Manuela Führer Korrektur der Einsamkeit
Christian Künne Wellenreiter
Eberhard Leucht Projekt Mensch
Mara Laue Siodana´ar
Michael Rapp Der Weg des Befreiers
Saven van Dorf Die Koloriten
Marc Freund Tief in mir wohnt die Liebe
Manfred Lafrentz Rattenküsse
Shayariel Ophis´ Chimären
Swantje Naumann Mein Prinz vom andern Stern
W. Berner Ein Licht in der Nacht

Chris Lind

Die Liebe einer Rugatara

„Wie lange noch?“, quengelte Mey-Jin und warf einen Gummiball zum hundertelften Mal an den Sichtschirm. „Müssten wir nicht schon da sein?“
Draußen zeigte sich, wie in den letzten Wochen ihrer Reise, die Dunkelheit des Alls und zerrte an den Nerven.
„Weniger als ein Horo“, antwortete die gelassene Stimme der Queen.
Pjotr schüttelte den Schlaf ab. „Queenie, gib‘ uns bitte alle Informationen.“ Er wendete sich an das Kundschafterteam. „Hört zu!“
„Oh, der große Vorsitzende spricht!“ Mey-Jin streckte ihm die gepiercte Zunge heraus und Silvio reckte sich gähnend, doch sie lauschten der Queen. Die lange Reise hatte sie träge gemacht, riskant für Kundschafter, die stets mit Gefahren rechnen mussten. Träge und auch aggressiv. Pjotr wusste, dass sie Ablenkung brauchten, um sich nicht an die Kehle zu gehen. Nichts durfte ihren Auftrag im Sinne der Champs-Corporation gefährden.
„Ah, gut. Ihr seid schon im Briefing.“ Alina, offizielle Führerin des Teams, schlenderte durch das Schott herein, das sich zischend hinter ihr schloss. Die Queen musste dringend ins Landedeck. Mehr als fünfzig Kundschafterreisen forderten ihren Tribut, selbst bei einem Raumschiff der Megaliner-Klasse. „Bitte nur die Basics, Queenie.“
„Tau Ceti. Vor euch sind hier bereits zwei Forschungsteams gelandet. Im üblichen Abstand eines Trimesters. Die Eingeborenen empfingen unsere Leute freundlich und ohne Argwohn.“ Die Queen las weiter: „Ihre Regierungsform ähnelt dem feudalen Japan auf Terra, ein absoluter Herrscher, dem eine Kriegerkaste untersteht. Frauen spielen eine untergeordnete Rolle.“
„Endlich mal eine positive Welt“, spottete Silvio, während Alina und Mey-Jin aufstöhnten. Die Asiatin warf den Ball, der durch die künstliche Schwerkraft trudelte wie ein besoffener Maat, doch Silvio zielgenau in den Nacken traf.
„Alles Übungssache.“ Das Lächeln erreichte ihre Mandelaugen nicht. Nach drei gemeinsamen Missionen blieb sie für Pjotr ein Buch mit sieben Siegeln.
„Konzentration!“, blaffte Pjotr die beiden an.
„Hey, wer starb und machte dich zu unserer Anführerin?“, zischte Mey-Jin, doch nach einer Geste Alinas lehnte sie sich schmollend zurück. Die Kommandantin interessierte sich nicht für die Kleinkriege der Crew. Diese Reise würde ihre letzte sein, und sie wirkte deutlich entspannter als auf den beiden vorangegangenen Missionen, die Pjotr mit ihr unternommen hatte.
Er musterte das Team. Silvio, der Spaßmacher, der Einzige von ihnen, der in der Eurosowjetischen Föderation geboren war und es nicht nötig hatte, sich seinen Bürgerstatus mit Kundschafterjobs zu verdienen. Reine Abenteuerlust trieb ihn auf fremde Welten. Alina, Flüchtling aus dem Vereinigten Amerikanada, dem Gottesreich, das immer wieder Kreuzzüge gegen den Rest der Welt führte und einige Staaten, wie das ehemalige Arabien, in die Steinzeit zurückgebombt hatte. Nur selten erzählte Alina davon, wie es sich unter den rigiden Regeln der Bibel leben ließ. Mey-Jin war aus der chinesischen Nation geflohen, in der Kämpfe zwischen Neomaoisten und Kaisertreuen die Bevölkerung dezimierten.
Und schließlich er, Pjotr, der Junge mit einem guten eurosowjetischen Namen, aber der falschen Hautfarbe. Als Bootsflüchtling war er vom dunklen Kontinent gekommen, geflohen vor Aids, Stammesfehden und Armut. In ihrer unendlichen Güte hatte Mütterchen Russland ihn aufgenommen, ihm Essen und ein Dach über dem Kopf geschenkt und erwartete nun, dass er seine Schulden bezahlte und neue Welten erschloss.
„Der Führer wird Rugatar genannt und von der Bevölkerung als Gott verehrt. Die Rolle und Aufgabe der Rugatara konnten die Forscher nicht klären.“ Die Queen fuhr mit ihrem Sermon fort, ohne sich um die Kabbeleien der Besatzung zu kümmern.
„Pfft. Wen wundert’s?“ Silvio verzog das Gesicht. „Die Feiglinge kamen bestimmt für ein paar Horos, schauten sich kurz um und verschwanden wieder. Und dafür kassieren sie ihre Lega Regnano.“
Queenie ignorierte auch diesen Einwand. „Für Terra interessant sind die Quasar-Vorkommen sowie die Grauerze in den Bergen von Tau Ceti. Die Gesellschaft des Planeten ist so rückständig, dass keine Bergbau-Technologie entwickelt und genutzt wird.“ Ihre Stimme veränderte sich. „Ihr Auftrag, wenn Sie ihn übernehmen, lautet –“
„Wer hat die Queen mit dem Müll gefüttert?“, fluchte Alina. Sie schoss hoch und musterte die Crew. Nichts hasste die Kommandantin mehr als Herumpfuschen am Bordcomputer.
Silvios Grinsen entlarvte ihn. Alina warf einen Ball nach ihm, doch dieses Mal wich er dem Geschoss geschickt aus.
„Queen. Bitte.“ Pjotr warf ihnen einen wütenden Blick zu. Er kannte die Gefahren, die ein übermütiges Team mit sich brachte.
„Ihr seid als diplomatische Handelsreisende getarnt.“ Die Queen klang nun wieder geschäftsmäßig. „Versucht, dem Rugatar alle Bergbaurechte abzukaufen, und zahlt so wenig wie möglich. Potenzielle Konkurrenten könnt ihr ausschalten. Die Wahl der Mittel ist uneingeschränkt.“
„Okay, dann machen wir uns mal landfein.“ Silvios Vorliebe für alte Terra-Vids schlug sich immer wieder nieder.
„Halt!“ Alinas Geste stoppte die Aufbruchsstimmung. „Ihr alle wisst, dass dies meine letzte Mission ist. Weil ihr so gut als Team wart, habe ich mit Champs-Corp ausgehandelt, dass der Erfolg der Mission euch die doppelte Punktzahl bringt.“
Jubel antwortete ihr. Selbst Mey-Jin brachte so etwas wie ein Lächeln zustande. Nur Pjotr kratzte sich im Nacken. Alles lief zu glatt. Ein einfacher Planet, eine leichte Mission – warum also sollte der Megakonzern sich so großzügig zeigen? Was hatte das Forscherteam herausgefunden und ihnen nicht berichtet?
Die Vorbereitungen für die Landung unterbrachen sein Grübeln.
Einige Bewohner von Tau Ceti erwarteten sie bereits. Pjotr tippte auf Diener, ihren Worten und dem Verhalten nach zu urteilen. Bis auf sechs Finger an jeder Hand und extrem schlanke Taillen der wahrscheinlich weiblichen Wesen konnte Pjotr wenige Unterschiede zur Erdbevölkerung feststellen. Sollte etwas Wahres an den Gerüchten sein, dass es schon vor Jahrtausenden Kolonisten von Terra gegeben hatte? Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken wieder auf die Umgebung zu fokussieren. Zwölf erfolgreiche Missionen hatten ihn gelehrt, wie schnell eine kleine Unachtsamkeit Kundschafter töten konnte. Von seiner ersten Crew lebte nur noch er.
„Der Rugatar erwartet euch“, zwitscherte eine der ätherischen Frauen. Pjotr musterte sie unter halb geschlossenen Lidern. Extrem schlank, sehr helle Haut und feines Haar wie Silberfäden unterschied sie deutlich von den stämmigen Terrafrauen, die für das Leben auf fremden Planeten designt waren. Wie sich ihre Haut wohl anfühlte?
„Hey, träum nicht!“ Alina stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und funkelte ihn an. „Ich muss mich auf dich verlassen können.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich wollte ein reines Frauenteam. Ihr Männer, immer nur Sex im Kopf!“
Gequält lächelte er über den alten Terrascherz. Beiden war bewusst, dass ein reines Frauenteam nie Zugang zu einem männlichen Herrscher erhalten hätte, außer vielleicht in seinen Harem. Die Vorstellung ließ ihn grinsen, dann aber siegte das Kundschaftertraining. Mit seinem verstärkten linken Auge scannte er die Umgebung und nickte Alina zu. Nichts Verdächtiges auszumachen. Er bemerkte, dass Mey-Jins Nase die Luft nach Drogen oder Halluzinogenen filterte und auch als sauber befand. Silvio hielt die Augen geschlossen und lauschte über Meilen nach Anzeichen von Verrat. Auch er neigte seinen Kopf.
Gemeinsam folgten sie den Dienern eine ausgebaute Straße entlang.
„Wenn sie keine Industrie kennen und keinen Bergbau, wer hat ihnen die Straßen angelegt?“, flüsterte Pjotr Silvio zu.
„Wege gab es schon immer. Wir bauten die Städte nach ihnen“, antwortete einer ihrer Begleiter.
Pjotr und Silvio verständigten sich mit einem Blick. Die Ohren der Tau Cetianer schienen denen der nichtverstärkten Terraner deutlich überlegen zu sein.
Ab jetzt nur noch telepathische Kommunikation.
Ihre Begleiter, die stets freundlich lächelten und jede Frage mit einem höflichen Nicken beantworteten, führten das Team zu einer Behausung, die Pjotr an alte Burgen erinnerte. Musste kalt und dunkel sein, dort zu hausen, dachte er und schüttelte sich. Die feuchte Hitze im Inneren der Burg überraschte ihn. Das Atmen fiel ihm schwer und Schweißperlen traten auf seine Stirn. Mühsam kämpfte er sich hinter den Dienern her, die das Team zügig durch dunkle Gänge führten. Pjotr blieb wachsam, doch nichts deutete auf Gefahren hin. Er blickte zu Alina, die mit geöffnetem Mund gegen die lähmende Luft anatmete. Sie zuckte die Schultern. Noch etwas, das die Forscher ihnen verschwiegen hatten.
„Terraner wünschen den Rugatar zu sprechen“, erklang die Stimme eines der Diener.
Sie hatten vor einer Tür gestoppt, die aus massivem Gold zu bestehen schien. Pjotr wechselte einen Blick mit Silvio, dem die Augen vor Gier aus dem Kopf quollen.
Der Wächter, ein riesiger Kerl in einer Uniform aus vielen Lederschichten und mit einer fratzenhaften Maske, nickte dem Sprecher zu und trat einen Schritt zur Seite. Mit einer fließenden Bewegung, die so schnell war, dass sie Pjotr überraschte, öffnete er die riesige Tür. Vorsichtig nach allen Seiten spähend trat das Kundschafterteam ein. Der zur Schau gestellte Reichtum in dem riesigen Festsaal blendete ihre Augen. Gold, Silber und Edelsteine schienen die bevorzugten Baumaterialien des Rugatars zu sein. Pjotr fragte sich, warum Champs Corp nur Kundschafter geschickt hatte und nicht gleich die Flotte, wenn es hier so viel zu holen gab. Welches Geheimnis verbarg sich hinter dieser Fassade aus Glitzer und Hitze? Er musterte den Raum, auf der Suche nach Anzeichen für Gefahr oder Bedrohung. Ohne lange zu verweilen, glitt sein Blick über Berge exotisch anmutender Speisen, goldene Teller und Pokale, schwer von Juwelen.
Nachdem er den Saal überprüft hatte, wendete er sich den Feiernden zu. Der Rugatar winkte sie heran und wies auf drei freie Plätze in seiner Nähe. Der Mann saß auf einem erhabenen Thron und wirkte massig und kantig, viel erdiger und stabiler als die Diener. Neben ihm saß eine verschleierte Frau. Pjotrs Blick wollte über sie hinweggleiten, als sie ihn direkt anschaute.
Dunkelgrüne Augen unter feingezierten Brauen fingen seinen Blick und hielten ihn fest. Er schluckte trocken. So eine schöne Frau hatte er noch nie gesehen. Auch wenn der helle Schleier die untere Hälfte ihres Gesichts verdeckte, konnte er genug entdecken, um Begehren in sich aufwallen zu spüren wie Hunger. Eine schmale, elegante Nase zeichnete sich unter der feinen Gaze ab und ein Mund mit geschwungenen Lippen. Wären nicht die sechs Finger an jeder Hand und die reptilienartigen Pupillen gewesen, er hätte die Rugatara für eine Terranerin halten können.
Sie winkte ihn heran. Mit melodischer Stimme zwitscherte sie etwas, das er nicht wahrnahm, da er im Grün ihrer Augen ertrank.
„Entschuldigt, Herrin. Ich habe Euch nicht verstanden.“ Mit Mühe gelangte Pjotr wieder in die Gegenwart und den Festsaal zurück.
„Ich sagte, dass ich Euch um Euer aufregendes Leben beneide. Planeten auskundschaften.“ Sie lächelte. „Abenteuer und Freiheit.“
Und ein früher Tod, dachte er, doch er sprach von den exotischen Welten, die er gesehen hatte, um ihr zu gefallen. Sie tauschten Höflichkeitsfloskeln und die üblichen Fragen und Antworten, wenn Wesen zweier Planeten sich begegneten, und dennoch spürte Pjotr, dass sich unter dem oberflächlichen Geplänkel etwas Tieferes verbarg, etwas, das sich nur an ihn richtete. Viel zu schnell verging die Zeit für ihn und mit Bedauern riss er sich los, als der Rugatar einen Trinkspruch zum Abschied ausbrachte. Pjotr sah den Herrscher an, der so zufrieden wirkte wie ein Basilisk, der seine Beute eingekreist hatte. Auch auf Alinas Gesicht glänzte ein Lächeln, der Beweis, dass die Vertragsverhandlungen erfolgreich verliefen.
Der Herrscher entließ die Kundschafter mit einem Nicken. Der Blick der Rugatara folgte Pjotr aus dem Palastraum.
„Was war mit dir los?“ Mey-Jin boxte ihn schmerzhaft in die Seite. „Du solltest die Herrscherin ausfragen, nicht wie ein Hündchen an ihren Lippen hängen! Wirst du weich, Alter?“
„Quatsch, alles Vorgeplänkel, damit sie Vertrauen fasst und ich alle Infos bekomme.“
Alina musterte ihn prüfend. Pjotr schnitt eine Grimasse und tastete in der Jackentasche nach dem Papyrus, den ihm die Rugatara zugesteckt hatte.
Heute Nacht. Bitte. Kommt. Eine Botin wird Euch holen.
Pjotr wusste nicht, was er von diesen Worten halten sollte, doch seine Neugierde war stärker als die Vernunft des Kundschafters. Freiwillig übernahm er die Wache und lief vor dem Schiff auf und ab wie ein gefangenes Raubtier. Weit nach Mitternacht näherte sich eine kleine Frau ihrem Schiff, nicht in edle Gewänder gehüllt, sondern in Schwarz. Sie wartete, bis Pjotr die Außenwache übernahm, und eilte dann auf ihn zu. „Herrin möchte Euch sehen. Schnell!“ Sie verschwand wie ein Geist, verschwamm mit den Felsen. „Folgt mir.“
Pjotr eilte ihr nach, folgte ihr zu einer Höhle, die in einen Gang führte, der schließlich in die Gemächer der Rugatara mündete. Die schöne Frau saß zusammengesunken auf einem Bett, das über und über mit Fellen in unterschiedlichen Farbschattierungen bedeckt war. Tränen schimmerten in ihren grünen Augen. Als Pjotr und die Dienerin den Raum betraten, sprang sie auf und lief auf ihn zu. Sie warf sich zu seinen Füßen und ergriff seine Hände.
„Ihr müsst mir helfen“, flehte sie und bedeckte seine Hände mit Küssen. „Bitte. Der Rugatar. Er, er ist ein grausamer Mann. Er ...“
Ihre Lippen zitterten und sie konnte den Satz nicht beenden. Stattdessen rollte sie den Ärmel ihres weißen Gewandes hoch und zeigte ihm Peitschenstriemen und blaue Flecken, manche bereits dunkel vor Alter, andere leuchtend rot und frisch.
Pjotr stieß zischend die Luft aus. „Der Mistkerl! Ich werde ihm seine eigene Medizin zu fressen geben.“
„Nein, nein!“ Die Rugatara schüttelte panisch den Kopf. „Bitte, nehmt mich mit. In Eure Welt. Bitte.“
Pjotr lächelte grimmig. Er konnte sich Alinas Vorwürfe vorstellen, wenn er mit so einem Vorschlag käme. Doch etwas an der Herrscherin brachte ihn dazu, sich über alle Bedenken hinwegzusetzen und sie retten zu wollen.
„Habt noch Geduld.“ Er nickte der Frau zu. „Ich muss etwas vorbereiten, doch in wenigen Horos können wir entkommen.“
Das Festessen am nächsten Abend und die langwierigen und zähen Verhandlungen zwischen Silvio und dem Rugatar stand Pjotr nur mit Mühe durch. Immer wieder zuckten seine Hände, wollte er dem Herrscher die Schmerzen zufügen, die jener seiner Gemahlin bereitet hatte. Doch die Augen der Rugatara baten ihn um Stillschweigen und hielten ihn von einem Angriff ab.
Auf dem Rückweg zum Schiff griff Mey-Jin ihn unvermutet an.„Lass es!“ Sie funkelte Pjotr an. Ihre Augen waren fast schwarz vor Zorn, so dass die roten Tätowierungen in ihrem Gesicht leuchteten.
„Was?“ Er stellte sich dumm. Sie hatte ihm nichts zu sagen, war nur ein Kundschafter wie er, kein Führer.
„Wir müssen uns auf deine Loyalität verlassen können.“ Mey-Jin baute sich vor ihm auf. „Hör auf, mit deinem Schwanz zu denken.“
Pjotr fuhr hoch. Mit einer fließenden Bewegung packte er die Frau an der Kehle und presste sie gegen die Wand. Sie zerrte an seinem Arm und musste sich seiner Kraft geschlagen geben.
„Was verstehst du schon davon?“ Pjotr drückte noch einmal zu und ließ Mey-Jin fallen wie eine Puppe.
„Genug, um zu wissen, wie ein liebeskranker Trottel aussieht und wie gefährlich das für unsere Mission ist.“
„Ich bin Profi genug, um den Job nicht zu gefährden.“
„Pjotr“, mischte sich Alinas sanfte Stimme ein. „Mey-Jin hat recht. Wir kennen diese Gesellschaft nicht gut genug, um –“
„Halt dich da raus.“ Pjotrs Stimme zeigte seinen Zorn. Er beugte sich zu Alina hinab und starrte ihr in die Augen. „Sie halten die Frau wie eine Sklavin. Sie haben sie gezwungen, einen viel älteren Kerl zu heiraten ...“
„So sieht es auf den ersten Blick aus, aber du weißt, dass der trügen kann.“ Alina ließ sich nicht einschüchtern. „Erste Regel der Kundschafter. Falls du dich erinnerst.“
Er kniff die Augen zusammen, knirschte mit den Zähnen, drehte sich um und eilte davon.
Draußen lehnte Pjotr sich an einen der ziegelroten, seltsam warmen Bäume. Er holte tief Luft und ballte die Fäuste. Was wussten die anderen schon? Keiner von ihnen hatte sich für die Gesellschaft wirklich interessiert. Als klassische Kundschafter spähten sie nur nach Ressourcen und Schwachstellen der neuen Welt.
„Ihr seid doch nicht im Geringsten an dieser Welt und ihren Bewohnern interessiert“, stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Euch geht es doch nur um Profitmaximierung.“
„Pjotr?“ Silvio war ihm nachgelaufen. „Ich kann mir vorstellen, wie es dir geht ...“ Sein Freund lächelte. „Doch sie haben recht, unsere beiden herzlosen Roboterweiber. Gefühle stehen uns nur im Weg.“
Pjotr wollte ihm antworten, wollte aufbrausen, doch etwas hielt ihn zurück. Mechanisch antwortete er: „Tja, wir Männer sind nun einmal das emotionalere Geschlecht. Komm, lass uns zur Queen gehen und den Bericht abliefern.“

Als alle schliefen, schlich Pjotr hinaus und eilte zur Burg. Die Rugatara erwartete ihn bereits, einen kleinen Lederbeutel neben sich auf dem Boden. Sie rang die Hände wie im Gebet und lief auf und ab. Als sie ihn sah, glitt ein schnelles Lächeln über ihr Gesicht und sie lief ihm entgegen.
„Du bist gekommen!“
„Ja, meine Schöne.“ Pjotr zog sie in seine Arme. „Wie könnte ich dich im Stich lassen?“
Nach einem langen Kuss ließ sie sich gegen ihn fallen und schluchzte leise. „Willst du alles für mich aufgeben?“
„Lass uns gehen, bevor sie uns entdecken.“ Pjotr zog sie sanft hinter sich her. Geduckt eilten sie zum Raumschiff, blickten immer wieder über die Schultern, ob ihnen Palastwachen folgten. Doch das Glück schien ihnen hold zu bleiben. Ohne Zwischenfall erreichten die Liebenden das Raumschiff.
„Queen. Öffne die Tür.“
Pjotr lauschte. Niemand außer ihm schien wach zu sein. Mit einer Geste winkte er die Rugatara ins Raumschiff und schloss eilig die Schotte hinter ihr. Er hob den Zeigefinger an die Lippen und eilte voraus, dem Hangar entgegen. Das Fluchtschiff war aufgetankt und abflugbereit. Wenn alles so lief wie geplant, würden sie die Kolonie auf Rui Gamma in wenigen Äonen erreichen. Er zeigte auf das Schiff und lächelte ihr zu. Mit den Fingern formte er das Siegeszeichen. Sie nickte ihm zu und ihre sechs Finger huschten wie Eidechsen. Eilig öffnete Pjotr die Luken, hob die Geliebte an Bord und begann mit den Startvorbereitungen. Er flehte zu allen Göttern, die er auf seinen Reisen kennengelernt hatte, dass keiner der Crew sie entdecken würde. Endlich öffneten sich die Ladeluken und die Queen entließ das Paar in den Weltraum.
Alina blickte ihnen kopfschüttelnd nach und entsicherte mit einer Tastenkombination die Alarmfunktion. Sofort heulten Sirenen und Silvio und Mey-Jin kamen in kürzester Zeit angelaufen. Mit strubbeligen Haaren und Schlaf in den Augen, barfuß, aber in voller Bewaffnung.
„Pjotr hat ein Schiff gestohlen und ist mit der Rugatara geflohen.“
„Der Idiot!“ Mey-Jins Augen funkelten vor Zorn. „Schnell, lasst uns abhauen, bevor der Rugatar Wind davon bekommt.“
Sie und Silvio nahmen ihre Posten am Computer ein und begannen mit den Abflugvorbereitungen. Der Lähmstrahl aus Alinas Waffe überraschte beide.

Der Rugatar stand im Observationszimmer seines Palastes und blickte dem Sternenschiff nach, in dem Pjotr und die Rugatara sich auf dem Weg nach Rui Gamma befanden. Die Tür öffnete sich und Palastwachen stießen Silvio und Mey-Jin, beide gefesselt und taumelnd durch die Wirkungen des Lähmstrahls, in den prachtvollen Raum. Der Herrscher ging auf sie zu, langsam und geschmeidig, wie eine Raubkatze auf der Jagd. Er musterte das Paar.
Der Mann schien halbtot vor Angst; die Terranerin wirkte erschöpft, Dreck klebte in ihren blauen Haaren und die Tätowierungen leuchteten im bleichen Gesicht.
„Euer Freund hat euch im Stich gelassen“, konstatierte der Herrscher.
Sie zischte ihm ihre Antwort entgegen. „Das Offensichtliche kann ich auch feststellen.“
„Heißt es nicht auf Terra: Ein Auge für ein Auge?“ Der Rugatar näherte sich ihrem Gesicht und zischelte mit seiner Zunge wie eine Schlange.
Zum ersten Mal regte sich etwas wie Furcht in den violetten Augen der Terranerin. „Was wollt Ihr?“
Er lachte lauthals. „Keine Sorge. Ich werde dich nicht zur Rugatara machen oder auf mein Lager zwingen.“ Mit seinen goldenen Augen musterte er sie wie ein Kater eine Maus. „Doch ich will wissen, wie viel ihr über meine Welt herausgefunden habt.“
Sie schüttelte den Kopf. „Warum? Keiner von uns wird entkommen, und Pjotr hat andere Interessen.“ Ein bitteres Lachen begleitete ihre Worte. „Wo ist Alina?“
Wie auf ein Stichwort betrat die Kommandantin den Raum. Ohne ihre Crew eines Blickes zu würdigen, ging sie auf den Rugatar zu. „Wo sind die Verträge? Ich will hier keine Horo länger bleiben als nötig.“
Er übergab ihr eine kleine schwarze Box. „Alles wie ausgehandelt. Fünf Terrajahre Schürfrechte gegen die Kundschafter.“
„Verräterin!“, heulte Mey-Jin auf und versuchte, sich auf Alina zu stürzen, doch die Kommandantin entkam ihr ohne Anstrengung. „Wie konntest du das tun?“
„Jede ist sich selbst die Nächste.“ Alinas freundliche Maske war gefallen. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und beugte sich zu den beiden. „Viel Glück auf Tau Ceti. Ihr werdet es brauchen.“
„Bringt die Terraner zur Unterhaltung für den Adel in den Zoo.“ Der Rugatar winkte den Wachen. „Reißt ihnen vorher die Zungen heraus, damit ihr Geplärre niemanden belästigt.“
Die Samurai zerrten den stöhnenden Silvio und die kreischende Mey-Jin davon. Der Rugatar wendete sein Gesicht wieder dem Fenster zu. Ein durchdringendes Piepen unterbrach sein Grübeln. Aus dem mittelalterlich anmutenden Tisch erhob sich ein Sichtschirm, in dem sich das Bild der Rugatara manifestierte. Ein Lächeln zog über sein Gesicht.
„Geliebter!“ Sie legte zwei Finger an den Mund und dann an den Monitor. „Mein Herz.“
„Meine Herrin.“ Er verbeugte sich tief. Ein Leuchten überzog das markante Gesicht. „Warst du erfolgreich?“
Sie zuckte die makellosen Schultern. „Konnte mir je ein Wesen widerstehen? Der Terraner glaubte jedes Wort meiner Charade und dient nun unseren Zwecken.“ Die Rugatara trat einen Schritt zur Seite und gewährte ihm einen Blick auf Pjotr. Der Mann hing wie ein Schlachtvieh von der Decke des kleinen Schiffs herab. Er stöhnte leise, wie in den letzten Zügen. Aus der Wunde in seiner Brust tropfte Blut auf den Boden und sammelte sich unter ihm zu einem kleinen See. Weiß schimmerten die Ootheken. Viele Eipakete hatte die Rugatara in dem Terraner abgelegt, wie der Herrscher mit Genugtuung feststellte.
Stolz und glücklich lächelte sie ihn an. „In wenigen Horos schlüpfen unsere Kleinen und ich kehre zu dir zurück, mein Geliebter.“
„Ich erwarte dich sehnsüchtig.“ Der Rugatar wendete sich wieder dem Monitor zu. Der grüne Sichtschirm malte Muster auf sein Gesicht und ließ ihn düster und bedrohlich aussehen. „Terraner!“, schnaubte er. „Welch arrogante und doch dumme Rasse. Nur, weil unser Äußeres dem euren ähnelt, glaubt ihr, dass wir uns in allen Facetten gleichen.“
„Hast du Vorrat für den nächsten Zyklus gesichert?“ Das Antlitz der Rugatara zeigte Anspannung und Sorge.
„Für die Schürfrechte senden sie uns in fünf Terrajahren wieder ein Schiff.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie opfern ohne Überlegen die Ihrigen für die Ökonomie.“
„Besser sie als du, mein Herz. Solange wir Terraner als Nisthort nutzen können, bleibst du mir erhalten.“ Ihr Lächeln leuchtete und wärmte ihn.
„Wenn nicht, nehme ich mein Schicksal gerne an, Geliebte Herrin, und stelle dir meinen Leib zur Verfügung.“
„Hoffen wir, dass uns dieser Unstern erspart bleibt, Geliebter.“ Sie hob erneut zwei Finger an die Lippen und verbeugte sich zum Abschied.

Robert Herbig

Faa-Ruff

Jack war schon seit drei Jahren in der Galaxis unterwegs, als er in das fremde Sonnensystem einflog. Seine Aufgabe war die erste Kontaktaufnahme mit Bewohnern fremder Planeten.
„Computer, erzähl mir etwas über das neue System. Gibt es geeignete Planeten?“
Der Computer leierte seine Daten herunter: „System Osra, katalogisiert 2873 vom Explorerschiff Prometheus. Neun Planeten, intelligente Lebensform auf Planet 4, rein tierisches Leben auf einem der Monde des Planeten Osra 6.“
„Umweltbedingungen Osra 4?“
„Erdähnlich, Durchmesser knapp 12.000 Kilometer, Gravitation etwa 1,1 g. Zusammensetzung der Luft: 76% Stickstoff, 22% Sauerstoff, 2% Edelgase. 75% der Landfläche von Osra 4 sind Waldgebiet, durchschnittliche Temperatur etwa 27 Grad Celsius.“
„Das klingt ja sehr vielversprechend. Welche Lebensformen sind das auf Osra 4?“
„Humanoid, menschenähnlich.“
„Wie weit in ihrer Entwicklung?“
„Intelligenz etwa 65% Terranorm, Einstufung Klasse sechs.“
Jack hob eine Augenbraue. „Zivilisation?“
„Die Osraner haben keine Städte oder Siedlungen, sondern leben paarweise in den Wäldern zusammen. Die weiblichen Osraner gebären in ihrem Leben zwei bis fünf Kinder. Sie sind, im Gegensatz zu den männlichen Vertretern, zwischen einem Meter fünfundsechzig und einem Meter achtzig groß, haben meist helles, goldfarbenes Haar und eine nach irdischem Geschmack schlanke Figur. Die Kinder bleiben bis zur Geschlechtsreife bei den Eltern, suchen dann einen Partner und verlassen die Gegend, in der sie aufgewachsen sind.“
„Wie viele Osraner gibt es auf dem Planeten?“
„2873 wurde die Population von der Prometheus auf zwei Millionen geschätzt.“
„Ein ganzer Planet für zwei Millionen Bewohner?!“ Jack dachte an die 35 Milliarden Bewohner auf der Erde und lächelte. Viele Erdenbewohner wussten mittlerweile nicht einmal mehr, wie ein Wald aussah; hier gab es einen ganzen Planeten, der praktisch nur aus Wald bestand.
Jack fiel etwas auf. „Computer, was ist das für ein Gegensatz zwischen den weiblichen und den männlichen Bewohnern?“
„Männliche Osraner sind größer als die weiblichen“, erklärte der Computer lapidar.
„Genauer, bitte!“
„Männliche Osraner werden in der Regel zwischen zwei Meter dreißig und zwei Meter fünfzig groß, sind extrem muskulös gebaut und haben keine natürlichen Feinde.“
Jack pfiff leise durch die Zähne. „Zwei Meter dreißig?“, wiederholte er.
„Zwei Meter dreißig bis zwei Meter fünfzig“, bestätigte der Computer.
„Alle Achtung!“
„Bitte Frage wiederholen.“
„Das war keine Frage, vergiss es, Blechkasten. Ist etwas über eine Sprache bekannt?“
„Osraner benutzen eine primitive, gutturale Lautsprache, die in Teilen bekannt ist.“
„Wann landen wir?“
„Bei der derzeitigen Geschwindigkeit in sieben Stunden, vierzehn Minuten, achtundvierzig Sekunden.“
„Dann bereite das Sprachlernprogramm vor; ich werde noch sechs Stunden schlafen und möchte dabei die Sprache kennenlernen.“

Als Jack erwachte, kannte er die wenigen Worte der Osraner, die bekannt waren. Er nahm einen kleinen Imbiss zu sich und setzte sich erneut in seinen Kommandosessel. Auf dem Bildschirm war der Planet zu sehen. Von Seen und Flüssen durchsetzt sah er aus wie ein übergroßer Smaragd.
„Computer, kannst du Einzelheiten wahrnehmen?“
„Positiv.“
„Hast du Bewohner gefunden?“
„Positiv.“
„Schon irgendwelche Bilder?“
„Negativ.“
Jack widmete sich seinen Unterlagen und legte sich eine Strategie zurecht. Viel zu überlegen gab es nicht; er besaß genügend Erfahrung und hatte schon zu den unterschiedlichsten Rassen Kontakt aufgenommen.
Der Computer meldete sich wieder: „Es konnten erste Bilder gemacht werden.“
Jack blickte auf die Uhr: Noch zwanzig Minuten bis zur Landung. „Auf den Hauptschirm.“
Zuerst sah er eine kleine Lichtung, kreisförmig, etwa dreihundert Meter im Durchmesser. Darin waren fünf merkwürdige kegelförmige Gebilde in einem Kreis aufgebaut.
„Vergrößern.“
Das Bild wurde größer, Jack sah mehrere Öffnungen in den Kegeln.
„Was ist das?“, fragte er, mehr zu sich selbst.
„Zu wenige Informationen“, erklärte der Computer.
„Das war keine Frage an dich, sondern ... ach, vergiss es. Gibt es irgendwo Behausungen?“
Die Kamera schwenkte zum Waldrand. Jack musste zweimal hinsehen, um den Eingang einer Hütte zu erkennen, die mit dem hinteren Teil im Wald zu verschwinden schien. Daneben waren eine Art Stall und

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 22.11.2012
ISBN: 978-3-95500-896-3

Alle Rechte vorbehalten

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